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31.12.2011

2011 revisited

(2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003, 23. Dezember)

1. Zugenommen oder abgenommen?

Zum ersten Mal, seit ich ungefähr zwölf bin, kann ich auf diese Frage antworten: keine Ahnung. Und ich find’s großartig.

2. Haare länger oder kürzer?

Bisschen länger.

3. Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

4. Mehr Kohle oder weniger?

Mehr. Ein ganzes Jahr komplett durchgebucht gewesen, und zu den lustigen Werbehonoraren kam dieses Jahr noch ein lustiges Buch.

5. Mehr ausgegeben oder weniger?

Mehr. In den letzten drei Jahren habe ich versucht, so viel wie möglich auf dem Konto zu lassen, weil ich für etwas Größeres spare. In diesem Jahr war aber die Lust auf Heute so groß, dass ich Morgen mal in den Hinterkopf gepackt habe. Deswegen bin ich gefühlt in jedem Monat irgendwo gewesen, habe von jetzt auf gleich Flüge, Hotels, Opernkarten und Fußballspiele gebucht, ohne auf den jeweiligen Preis zu gucken – beziehungsweise habe den Nutzen vor die Kosten gestellt. Also: viel Spaß, viel Gutes für die Seele, scheiß auf den Kontostand. Wozu gehe ich denn arbeiten.

6. Mehr bewegt oder weniger?

Mehr. Ich fahre überhaupt kein Auto mehr, benutze die Öffis, und wo das nicht geht, gehe ich eben zu Fuß hin. Läuft. (Haha.)

7. Der hirnrissigste Plan?

Über ein sehr persönliches Thema schreiben und glauben, dass das a) total einfach ist und b) ü-ber-haupt keine Kraft kostet.

8. Die gefährlichste Unternehmung?

Im Gomez-Trikot in die AWD-Arena gehen. Dachte ich jedenfalls vorher. War aber gar nicht schlimm.

9. Der beste Sex?

Kannnichklagen.

10. Die teuerste Anschaffung?

Ein Bild. Knappes halbes Monatseinkommen.

11. Das leckerste Essen?

All’Oro in Rom, dicht gefolgt vom Broeding in München.

12. Das beeindruckendste Buch?

Comic: Ein Mann geht an die Decke von Katharina Greve; Runner-up: Fantastic Four Legends – Unstable Molecules von James Sturm und Guy Davis.

Sachbuch: Nudeldicke Deern – Free your mind and your fat ass will follow. (Bescheidenheit, my fat ass.) Okay, ernsthaft. Ganz vorne: Paradox of Plenty: A Social History of Eating in Modern America von Harvey Levenstein sowie The Beauty Myth: How Images of Beauty Are Used Against Women von Naomi Wolf. Runner-up: Die Fußball-Matrix von Christoph Biermann und Walküre in Detmold von Ralph Bollmann.

Kochbuch: Genussvoll vegetarisch von Yotam Ottolenghi. Runner-up: die Go-Veggie!-App von Nutriculinary.

Fiktion: Die Herrenausstatterin von Mariana Leky. The Fortress of Solitude von Jonathan Lethem. Bestattung eines Hundes von Thomas Pletzinger. Die Erfindung des Lebens von Hanns-Josef Ortheil. Eine exklusive Liebe von Johanna Adorján. Libidissi von Georg Klein.

13. Der ergreifendste Film?

The King’s Speech.

14. Die beste CD? Der beste Download?

Am häufigsten gehört habe ich Dream on von Scala.

15. Das schönste Konzert?

Ich nehme den Publikumsjoker und antworte mit der schönsten Oper: Parsifal in Bayreuth, direkt dahinter Lohengrin in Bayreuth, direkt dahinter Tannhäuser in Bremen (aus Faulheit nicht verbloggt, aber äußerst empfehlenswert. Kommt im Januar und Februar nochmal – hingehen, bitte).

16. Die meiste Zeit verbracht mit …?

Schreiben und grübeln.

17. Die schönste Zeit verbracht mit …?

Zuhören. Augen aufmachen. Singen. Lächeln. Und schreiben.

18. Vorherrschendes Gefühl 2011?

Yay! Fuck! Yay! Fuck! YAY! WASDENNJETZT?

19. 2011 zum ersten Mal getan?

Ein Buch veröffentlicht, auf dem vorne nur mein Name steht. Bayern München und Champions-League-Spiele live gesehen. Mit Altona 93 einen Oberligaverein für mich entdeckt. In Rom, auf dem Oktoberfest und in der Bremer Oper gewesen. In einem Sterne-Restaurant gegessen. Mehr private Flug- als Bahnkilometer zurückgelegt.

20. 2011 nach langer Zeit wieder getan?

Kunst gekauft. Eine Studienreise gemacht. Gesangsunterricht genommen. In Bayreuth, Dresden und im Niedersachsenstadion gewesen, das inzwischen AWD-Arena heißt. Liebeskummer gehabt. Lungenfunktionstests gemacht.

21. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Buchschreib- und -veröffentlichungs-Sinnkrisen-Deprischeiß. Herzschmerzscheiß. Asthmascheiß.

22. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Meine Lunge, mit dem verdammten Husten aufzuhören.

23. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Eine neue Chance.

24. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Eine neue Chance. Und jede glückliche Leser_innenmail, die sich für Blog oder Buch bedankt.

25. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Dein Blog hat mein Leben verändert.“

26. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Ich liebe dich.“

27. 2011 war mit einem Wort …?

Aufwühlend.

27.12.2011

What Anke ate in 2011

17.12.2011

Mein Weihnachtsgeschenk

Meine Gesangslehrerin wohnt in der Nähe einer kleinen Galerie, an der ich früher so gut wie jede Woche vorbeigelaufen bin, denn meine Lieblingsvideothek, die inzwischen leider geschlossen hat, ist ebenfalls um die Ecke. Im Schaufenster der Galerie stehen meist maritime Motive, gerne auch was mit Wald und Wiesen und Blumenvasen. Kurz: nichts, was mich jemals länger gefesselt hätte. Bis vor einigen Wochen, als mich abends das Porträt einer jungen Dame anblickte. Und ich tat etwas, was ich dort noch nie getan hatte: Ich blieb stehen und schaute mir ein Bild minutenlang an. Wie im Museum, nur eben an einem dunklen Donnerstagabend im Regen. Ich erfreute mich an der Farbe des Kleids, dem freundlichen Gesichtsausdruck der Dame und der allgemeinen Stimmung, die ich als sehr beruhigend empfand. Dann löste ich mich, dachte, schönes Bild, und ging nach Hause.

Eine Woche später passierte das gleiche. Ich freute mich darüber, dass die Dame noch im Schaufenster stand, guckte sie an, war wie immer nach dem Singen recht beseelt und empfand ihren Anblick als gelungenen Abschluss des Tages.

So ging es mehrere Wochen, bis ich krank wurde und den Unterricht ausfallen lassen musste. Als ich letzte Woche endlich wieder an der Galerie vorbeikam, war die Dame nicht mehr da. Und erst da fiel mir auf, wie sehr ich mich schon an sie gewöhnt hatte, obwohl ich sie nur einmal die Woche gesehen hatte. Durchs Schaufenster sah ich sie hinten im Laden stehen – und dachte zum ersten Mal, Anke, du Nase, wenn du das Bild so gerne magst, dann kauf es gefälligst.

Erstmal ließ ich mich von Twitter überreden, mich überhaupt in den Laden zu trauen und fragte zusätzlich wissende Menschen, mit was ich preislich denn so zu rechnen hätte. Die Auskünfte beruhigten mich immerhin (ich muss keinen Kredit aufnehmen), aber der Verkaufspreis war dann doch höher als der, den ich für einige meiner Autos bezahlt hatte (das waren aber auch meist gebrauchte italienische Kleinwagen). War aber eigentlich egal, denn sobald ich meinen Fuß in die Galerie gesetzt hatte, war klar, dass ich ohne die Dame nicht wieder gehen würde. Beziehungsweise ohne einen Handschlag, dass sie jetzt mir gehörte. So war’s dann auch, und eben kam der Galerist vorbei und lieferte mir mein Weihnachtsgeschenk an mich selbst.

(Vorsicht, doofe Perspektive, weil das Bild noch auf dem Sofa steht anstatt an der Wand zu hängen – und doofes Foto, weil es schon wieder zu diesig ist für die Digiknipse.)

Das Bild ist circa 1m x 1,50 groß, vermutlich um 1850 gemalt worden, zeigt eine hanseatische Kaufmannstocher, und der Maler (oder die Malerin) ist unbekannt. Es ist unsigniert. Die Farben sind weniger grell als sie auf dem Foto aussehen; das Kleid ist plüschigburgundig, der Himmel hamburgisch graublau. Im Hintergrund sieht man Blankenese und die Elbe.

Ich kann mich der Dame nicht entziehen, ich habe keine Ahnung, warum sie mir so gut gefällt. Ist aber völlig egal. Reicht ja, dass sie mir gefällt.

Edit, nach ein paar Konversationen auf G+ mit einem freundlichen Kunsthistoriker:

„Da sind (Kaufsumme) gut angelegt, besonders in dem Zustand und mit dem Rahmen. Vor allem auch, weil das Bild deutlich älter als 1850 ist, also eine halbe Epoche früher. Man kann es aufgrund des großen Dutts und der schmalen Ärmel in die spätere 1. Hälfte der 1830er Jahre datieren, eventuell sogar zwischen 1834 und 1836, weil davor die Ärmel voluminöser waren, und mit der Rückkehr dieser schlanken, geschlitzten Ärmel die Hinterkopffrisuren größer wurden. 1850 war dann alles schon wieder sehr viel üppiger. Das Bild wurde – siehe die Blume in der Hand – wahrscheinlich zur Hochzeit der jungen Dame angefertigt, als Erinnerung. Der blaue Umhang und das rote Kleid sind eine Anspielung auf die Farben, die auch Maria trug, und sollten vermutlich die besondere Sittsamkeit herausstellen. Der Maler konnte wirklich was. (…)

Im 18. und 19. Jahrhundert gab es zwei nonverbale Kommunikationsarten, die uns heute fremd sind: Fächersprache und Blumensprache. Wenn es eine rötliche Rose ist, dann ist der Fall klar, dann ist es die Liebe, und dann darf man auch auf ein Hochzeitsbild – oder besser knapp vor der Hochzeit – schließen. Ich sehe auch keinen Ring. Insofern ist die Ehe noch nicht vollzogen. (…)

Wie gesagt, wenn es eine gerade anblühende Rose mit Blättern, aber ohne Dornen ist, dann ist es ganz eindeutig Hochzeit, und dann ist die Rose auch eher Rosa denn Knallrot. Das grüne Blatt an der Rose passt auch: Das steht für die Hoffnung. Würde es fehlen, hieße es „Es ist hoffnungslos.“ (…)

Übrigens, die unglaublich weiße Hautfarbe: Das sind die Folgen der damals üblichen Quecksilbercreme, die die Frauen zur Bleichung benutzten. Klingt irre, war aber nicht ganz so schlimm wie andere Schwermetallverbindungen des 18. Jahrhunderts mit Bleiweiß und Arsen.“

Nochmal Edit, 18.12.: Inzwischen kommen per Mail schöne Tipps und weitere Hinweise, von wann und vom wem das Bild sein könnte und was die Details bedeuten. Ich habe, ehrlich gesagt, überhaupt keine Ahnung, deswegen lasse ich die obige Deutung mal stehen und warte, was noch aufläuft. Und demnächst quengele ich vermutlich irgendjemand in der Hamburger Kunsthalle voll, dass ich Hilfe brauche, um auf Luises Spur zu kommen. (Ja, ich habe die Dame Luise getauft.)

24.11.2011

München, 22. November, nach dem Spiel FCB-Villarreal. ♥

(Foto von Lizas Welt, von mir fies beschnitten)

21.11.2011

Heimspiel: Altona 93 – SV Halstenbek-Rellingen

Als ich mit regelmäßigem Fußballgucken anfing, konnte ich mir nicht vorstellen, jemals meine gemütliche Couchposition gegen einen zugigen Stadionsitz einzutauschen. Denn neben der Couch waren da ja auch noch Zeitlupen, ein (meist) wissender und unterhaltsamer Kommentar, das Klo, das man mit niemandem teilen muss und bereits bezahlte Getränke in Reichweite. Wieso sollte ich jemals ins Stadion gehen?

Ganz einfach: um die Helden mal live und aus der Nähe zu sehen. Das war jedenfalls der Grund, warum ich so dringend in die Allianz-Arena wollte und inzwischen auch dreimal war (plus einmal AWD-Arena). Womit ich allerdings nicht rechnen konnte: dass mir das verdammte Stadionerlebnis so gut gefällt, dass es mich inzwischen nervt, auf der Couch Fußball zu gucken.

Was so toll am Stadion ist? Dass ich nicht gezwungen bin, der Fernsehperspektive zu folgen. Inzwischen sind mir Zeitlupen relativ wurst – wenn der Schiedsrichter Abseits oder Foul pfeift, dann ist das eben so; das bringt mir im Spielverlauf eh nichts, wenn mir eine Zeitlupe sagt, nee, war doch kein Abseits, und für das Foul wäre ne Karte gerechtfertigt gewesen. Im Stadion habe ich zwar keine Close-ups von Schnucki (oder sogar Close-ups von Schnucki im angeschwitzten Shirt in Zeitlupe), aber dafür kann ich dem Mann meines Herzens, wenn ich will, 90 Minuten lang hinterhergucken anstatt dem Rest des Spiels. Was ich natürlich nicht tue, denn der Rest des Spiels macht viel mehr Spaß. Ich finde es inzwischen viel interessanter zu sehen, was die Spieler tun, die den Ball gerade nicht haben. Ich schaue mir gerne an, wie die gesamte Mannschaft verschiebt, wie eng sie die Räume macht oder wie weit sie alles auseinanderzieht. Ich suche nach Spielformationen, gucke, ob zum Beispiel aus einem 4-2-3-1 ein 4-4-2 wird, achte darauf, wie tief die Abwehr steht oder wie alleine der Stürmer vorne ist. Kurz: Ich gucke auf so ziemlich alles, was man im Fernsehen nur selten, ansatzweise oder gar nicht zu sehen bekommt, weil das Fernsehen eben nur einen Ausschnitt zeigt. Deswegen fand ich alle Spiele, die ich bisher live gesehen habe, im Nachhinein in der Aufzeichnung fast langweilig, während ich mich im Stadion prächtig unterhalten habe.

Leider ist es nicht ganz so einfach, für die Allianz-Arena Karten zu bekommen, mal abgesehen davon, dass ich nicht dauernd Flüge nach München buchen möchte. Also muss ich in Hamburg Fußball gucken. Der HSV ist mir egal, für den FC St. Pauli sind Karten auch eher Mangelware, und ehrlich gesagt, ist mir Pauli noch egaler. Aber in der Hansestadt spielen ja noch andere Vereine – zum Beispiel Altona 93, die sich gerade in der Oberliga Hamburg befinden. Wenn ich also nicht in die Allianz-Arena komme, dann gehe ich halt auf die Adolf-Jäger-Kampfbahn. Ist auch deutlich günstiger.

Gestern war ich zum ersten Mal da – und ich glaube, es wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Klar ist das Niveau ein ganz anderes als in der 1. Bundesliga, aber das Spiel ist das gleiche, und es hat fast genau so viel Spaß gemacht, Altona 93 zuzuschauen wie den Bayern. In der ersten Halbzeit war es gefühlt ein Spiel auf ein Tor und zwar auf das des Gegners. Leider konnten die Torchancen nicht verwertet werden, und ein Elfmeter wurde vom gegnerischen Torwart gehalten. Kurz vor der Halbzeitpause gelang Halstenbek-Rellingen sogar der Führungstreffer, für mich völlig unverdient. In der zweiten Halbzeit wurde das Spiel ausgeglichener. Aus dem 3-4-3 von Altona 93 wurde ab und zu ein 3-5-2 und später bei nachlassenden Kräften ein verzauseltes Irgendwas; beim Gegner sah es nicht anders aus, wobei der immerhin vier Verteidiger nutzte. Das Spiel wurde deutlich hakeliger. Die Folge: drei rote Karten, so dass zum Schluss neun Altonaer gegen zehn Schleswig-Holsteiner spielten – und in der letzten Minute sogar noch den Ausgleich schafften („Altona-Dusel“). Einmal die Ärmchen zum Jubeln hochgerissen, nochmal ne Nase Bratwurst und Glühwein genommen und wieder ab nach Hause. Im Bus, nicht mit der S-Bahn und mit weitaus weniger Mitreisenden.

Was mir so viel Freude bereitet hat – neben dem offensichtlichen: Fußball gucken –, war das Drumherum. Statt 66.000 saßen und standen nur 500 Menschen um mich rum, Kinderwägen, Punks, Hunde und lautstarke Hobbytrainer, die natürlich alle besser wussten, wie man das Spiel gewinnt als die Spieler selbst. Die mussten sich ne Menge anhören genau wie der Schiedsrichter, aber das ist in den großen Arenen auch nicht anders. Dort kriegen die Akteure das aber wahrscheinlich nicht ganz so deutlich mit, was für das eigene Seelenheit vermutlich besser ist. Was ich dafür erstmals so deutlich mitgekriegt habe: das Geschrei der Spieler, wer jetzt bitte was machen soll. Das überraschend laute Geräusch des Balls, wenn er auf Füße, Köpfe oder Gegner trifft. Und natürlich die aggressive Körperlichkeit des Sports selbst, die ganz anders aussieht, wenn man ihr aus zehn Metern Distanz und auf Augenhöhe folgt anstatt aus 80 Metern im Rang einer Arena. Das war alles sehr, sehr toll, und ich ahne, dass ich neben meinem Bayern-Schal noch einen Altona-93-Schal brauche.

EINUNDNEUNZIG – ZWEIUNDNEUNZIG – DREIUNDNEUNZIG* – AL-TO-NA! Nächsten Sonntag um 14 Uhr wieder. Bis Bayern um 17.30 Uhr gegen Mainz spielt, bin ich locker wieder zuhause.

Edit 1: Es gibt Bewegtbilder vom Spiel.

Edit 2: Ups, peinlicherweise die 93 beim Grölen vergessen. Danke für den Hinweis, AFC-Fanforum.

24.10.2011

Auswärtsspiel

Seit mehreren Jahren gehört mein Samstag der Bundesliga; ich erinnere an diesen Eintrag. In der letzten Sommerpause musste ich mit Entsetzen feststellen, dass mir die Jungs und das Bällchen weitaus mehr gefehlt haben als ich das vorher geglaubt hatte. Deswegen gab ich zum Start der jetzigen Saison alle Contenance auf, kaufte ein Trikot, nahm vom pflichtschuldig gemochten HSV Abschied (wenn man halt in Hamburg wohnt) und schenkte mein Herz dem Verein, der es seit Jahren schon hatte, dem FC Bayern, auch wenn man sich dafür immer rechtfertigen muss („Erfolgsfan“). Außerdem wurde ich Vereinsmitglied und guckte mir unser Stadion live an. Zusätzlich trug ich zum ersten Mal alle Bayernspiele in meinen iCal-Kalender ein, damit ich weiß, wann ich soziale Verpflichtungen annehmen kann und wann ich tödliche Krankheiten vortäuschen muss, um in Ruhe Fußball gucken zu können. Und dabei fiel mir auf: He, wenn du schon nicht dauernd nach München fliegen kannst, um deinen Helden zuzujubeln, dann guck sie dir doch an, wenn sie in deiner Nähe spielen. Erste Gelegenheit: meine Geburtsstadt Hannover.

Sonntag mittag checkte ich die vorausgesagten Temperaturen (ein HSV-Spiel vor Jahren hatte mich gut auf die zu erwartende Kälte vorbereitet), zog zwei Shirts und zwei Longsleeves unter mein Gomez-Trikot, fitzelte zwei Paar Socken in die Sneakers, warf mir den Schal mit meinem Namen darauf um, packte die Jacke erstmal in den Rucksack und bestieg den Zug in Richtung Niedersachsen. Die zwei Stunden vor dem Spiel verbrachte ich bei einer Freundin mit Familie, stärkte mich mit Feigen-Pflaumen-Kuchen, ließ mir vom Nachwuchs bescheinigen, eine coole Sonnenbrille zu haben und wurde dann zur U-Bahn gebracht. Auf dem Weg dahin scherzten die ersten 96-Fans, dass Bayern verlieren werde, was ich natürlich mit „Wir sprechen uns nach dem Spiel“ konterte. Gut, dass wir uns danach nicht mehr getroffen haben.

Die AWD-Arena kenne ich noch als Niedersachsenstadion. Mein erstes Popkonzert fand dort statt, Pink Floyd erfreuten mich auf ihrer „Momentary Lapse of Reason“-Tour 1988. Und auch mein erstes Fußballspiel live habe ich dort gesehen. Ich dachte lange Zeit, eine Begegnung der EM 88, Irland gegen die UdSSR, wäre mein erstes Spiel gewesen, aber das zweite Spiel, an das ich mich deutlich weniger erinnere, war laut der Wikipedia schon ein paar Jahre früher: Am letzten Spieltag der Saison 1985/86 verlor Hannover 96 1:4 gegen Dortmund und stieg in die zweite Liga ab. Das Ergebnis wusste ich noch, das Jahr hatte ich anscheinend verdrängt.

Gegen ein 1:4 hätte ich Sonntag nichts einzuwenden gehabt. Schon in der U-Bahn traf ich die ersten Bayern-Anhänger, die genau so wie ich an den roten Trikots zu erkennen waren. Wir mischten uns unter die vielen schwarz-weiß-grünen Schals und Kutten und zogen die wenigen Gehminuten in Richtung Stadion.

AWD-Arena – Allianz-Arena 1:0. Kürzere Anfahrts- und Fußwege, bessere Ausschilderung. Allerdings sieht man das Stadion erst, wenn man direkt davor steht und so eindrucksvoll wie der Kissenberg in München ist es nicht. Aber das gibt nur Abzüge in der B-Note und beeinflusst den Spielstand nicht.

Ich bräuchte für die nächsten Spiele mal eine Aufstellung, in welchen Stadien 0,5-l-Plastikflaschen erlaubt sind. Hamburg: weiß ich nicht mehr verboten, danke, Pleitegeiger. München: erlaubt. Wolfsburg, jedenfalls zu Frauen-WM-Zeiten: 0,5-Tetrapak erlaubt, Plastikflasche verboten. Hannover: verboten.

AWD-Arena – Allianz-Arena 1:1. DURST!

Auch an dieser Stelle, nachdem ich auf Twitter schon mehrfach piepste, ein fettes Dankeschön an den Kutter, dem ich meine Eintrittskarte verdanke. Perfekter Platz, zwei Blöcke neben der Bayern-Fankurve, weswegen ich meine Freund_innen weitaus lauter hören konnte als die 96er, die hinter dem Tor da ganz weit drüben standen. Gerade mal zwei Besuche in der Allianz-Arena hatten mich perfekt vorbereitet. Fangesänge haben recht selten komplizierte Texte oder Melodien, weswegen ich alles locker mitgrölen konnte. Habe ich anfangs nicht gemacht, aber direkt vor mir saßen zwei überzeugte und laute 96-Kuttenträger, und da wollte ich dann doch ein kleines Gegengewicht bilden.

STEEEHT AAAUUF, WENN IHR BAYERN SEID, STEEEHT AAAUUF, WENN IHR BAYERN SEID!

Aufgestanden bin ich verdammt gerne, auch wenn ich kein Bayer bin, aber die Sitzschalen, jedenfalls im Oberrang, sind scheiße unbequem. Man liegt eher als dass man sitzt, und das Lehnchen hat seinen Namen nicht mal im Diminuitiv verdient. Gut, man hat ein bisschen mehr Platz als in München, aber da kann man wenigstens sitzen ohne Angst zu haben, aus der Schale zu rutschen oder sich endgültig den armen Rücken zu ruinieren.

AWD-Arena – Allianz-Arena 1:2. Ich bin alt, ich will’s bequem.

Das Spiel war noch nicht richtig im Gange, als die ersten Nasen hinter mir schon vom Bayern-Dusel zu reden begannen. Das hörte auch nach dem 2:0 nicht auf. Außerdem hatte ich eine Dame hinter mir, die ihren armen Kerl ab Minute 30 volljammerte, dass das alles viel zu spannend sei. „Also wenn die das noch verkacken, dann haben sie aber echt selber Schuld. Das ist alles viel zu spannend. Wieso ist noch nicht Schluss? Mann, wenn die das noch verkacken!“

Natürlich musste sich auch der Mann, dessen Namen ich auf dem Rücken trage, eine Menge anhören. Leider nicht ganz unberechtigt. Umso schöner fand ich es, als ich in der Halbzeitpause mal wieder stand (und sogar Netz hatte!), dass mir ein Bayern-Fan, der hinter mir die Treppe runterkam und mein Trikot sah, auf die Schulter klopfte und meinte: „In der nächsten Halbzeit! Das wird noch!“ Schnucki wäre gerührt gewesen. Hinter dem freundlichen Fan ergoss sich eine weitere Schlange an Menschen, die zu den Fressständen oder den Klos wollten – oder eine rauchen. In den Zugängen durfte man anscheinend und draußen, aber nicht, wenn man saß. Ich habe mehrfach Ordner gesehen, die Leute auf das partielle Rauchverbot aufmerksam machten, und soweit ich das überblicken konnte, wurden auch brav alle Kippen ausgedrückt.

AWD-Arena – Allianz-Arena 3:2. Ich rauche zwar auch ab und zu, aber in der Masse nervt es total. Fetter Punkt für Hannover. Und: Die Allianz-Arena ist das absolute Funkloch. In 300 Meter Entfernung konnte ich manchmal noch twittern, in der Arena selbst ging nix mehr. In Hannover ging es immerhin in der Halbzeit.

Das Spiel selbst fand ich großartig. Klar hätte ich gerne ein anderes Ergebnis als das 2:1 gehabt, ich hätte ein Unentschieden als gerecht empfunden, aber ehrlich gesagt war mir das schon nach dem Abpfiff total egal. Ich habe 90 Minuten auf der Kante des Sitzes verbracht – und das nicht nur, weil mein Rücken sonst zerbröselt wäre. Es war unfassbar spannend, die Stimmung toll, die Kälte erträglich, und wenn ich noch was zu trinken gehabt hätte, wär das ein perfekter Abend gewesen.

Als ich wieder in Hamburg war, habe ich mir das Spiel nochmal auf Sky angeguckt, wo mich die ständigen Close-ups extrem genervt haben. In der Totalen konnte man wunderbar sehen, wie schnell das Spiel war, leider natürlich auch, wieviele Pässe wir diesmal vergeigt haben; wie unbeeindruckt Hannover von Bayern war, denen ich sonst eine gewisse naturgemäße Präsenz unterstelle, von der Sonntag aber nicht ganz so viel zu sehen war. Das waren zwei absolut ebenbürtige Gegner, die sich nichts geschenkt haben und die 90 Minuten lang kaum Leerlauf produzierten. Selbst wenn wir das Spiel verloren haben, war es ein Genuss, es anzuschauen.

Da ich noch 90 Minuten Zugfahrt vor mir hatte, bin ich quasi mit Abpfiff die Treppen runtergehüpft, um den nächstmöglichen Zug zu bekommen. Auch wenn im Gegensatz zu München keine 66.000, sondern „nur“ 49.000 Zuschauer_innen von hier weg wollen, war der Andrang am U-Bahnsteig äußerst erträglich. Eine Menge Ordner sagten genau, wer bitte wo lang zu gehen habe, und die Bahnen kamen im gefühlten 2-Minuten-Takt. In der S-Bahn-Station Fröttmaning fand ich es deutlich enger, deutlich voller und nicht ganz so konsequent organisiert, weswegen man eine Menge Ellenbogen brauchte, um a) in die Bahn zu kommen und b) eventuell sogar zu sitzen. Das hat bis jetzt beide Male mein Begleiter für mich erledigt, aber ich fand es immer recht grenzwertig und werde es wahrscheinlich auch nächste Woche, wenn wir gegen Neapel spielen, grenzwertig finden.

AWD-Arena – Allianz-Arena 4:2. Okay, weniger Menschen, aber trotzdem: eine sehr entspannte und gut organisierte Abreise.

Im Zug nach Hamburg wurde erstmal die Timeline nachgelesen, wodurch das Spiel noch eine weitere Ebene bekam (was Twitter halt so macht, dieser wunderbare Dienst). Und zuhause wartete die bereits erwähnte Sky-Übertragung. Ich war Stunden vor dem Spiel schon hibbelig, was sich auch so gar nicht dadurch bändigen ließ, dass ich ausgerechnet Fever Pitch von Nick Hornby im Zug las. Das Hibbeln hörte im Stadion erst recht nicht auf, und selbst zuhause, als alles vorbei und erledigt und gegessen war, ging mein Kopf nochmal ein paar Szenen durch, erinnerte sich an die vielen Details – und jammerte präventiv, dass er das nicht öfter haben kann.

Selbst wenn ich jeden zweiten Samstag nach München flöge, hätte ich recht geringe Chancen, eine Karte zu bekommen, da von den 66.000 Plätzen gerade mal 8.000 im freien Verkauf landen. Daher hier der Aufruf einer EXTREM ANGEFIXTEN JUNGEN DAME: Wer auch immer als Dauerkartenbesitzer_in mal keine Zeit oder Lust auf ein FCB-Spiel hat – Mail genügt und ich buche einen Flug. Sogar für Köln.

AWD-Arena – Allianz-Arena 4:3. Home is where the heart is.

06.10.2011

So long …

… and thanks for all the fun, Steve.

05.10.2011

04.10.2011

Das Oktoberfest aus Fischkoppsicht

Was hatte ich für Schauergeschichten gehört! Für mich war das Oktoberfest in München immer eins: zu viele Menschen, die zu viel Alkohol in sich reinkippen und dann viel zu viele Dinge mit ihren Körperöffnungen in der Öffentlichkeit machen, die da nicht hingehören (sagt Oma Gröner jedenfalls). Und dann ging ich letzten Montag nachmittag (und Dienstag gleich nochmal) entspannt mit meinem local guide auf dieses Jahrmarktdingsda, in ein paar Zelte und irgendwann ziemlich gut gelaunt wieder nach Hause und frage mich seitdem: Haben mich die bösen Medien jahrelang sensationalistisch gegen eine wunderbare Tradition aufgehetzt? Lassen Sie uns das ergründen, meine Damen und Herren.

1. Bierzelte

Bier ist Alkohol, und Alkohol in übergroßem Maße genossen, ist nicht so nett für die Anwesenden, die diesem herrlichen Getränk in vernünftiger Weise zugesprochen haben, zugegeben. Beim Oktoberfest hat man sich aber anscheinend darauf geeinigt, dass es immer ein paar Idioten geben wird, die das noch nicht so richtig verstanden haben. Die schiebt man aus den Augen, aus dem Sinn auf den Kotzhügel, während der große, große Rest sich weiterhin in den Zelten vergnügt. Und dabei heißt „vergnügen“ nicht: sich die Hucke bis zur Besinnungslosigkeit zusaufen, sondern: „gemeinsam Spaß haben, ein paar Bierkrüge leeren und noch alleine wieder nach Hause finden, ohne sich vorher an fremde Gartenzäune zu übergeben“. Das geht. Habe ich zweimal geschafft.

Als das Angebot kam, mich aufs Oktoberfest zu begleiten, war ich ein bisschen eingeschüchtert (wir erinnern uns: sensationalistische Medienmaschine!). Ich dachte, ich müsse mich durch Horden von Besoffenen kämpfen, würde in den überfüllten Zelten Bierkrüge an den Schädel kriegen, während Mannschaftsbusse von Australiern auf den Tischen literweise Bier auf Ex wegkippen. Stattdessen war der erste Blick in ein Oktoberfestbierzelt – sehr angenehm. Es war die Augustiner-Festhalle, grün geschmückt, voll, aber nicht überfüllt, eine ordentliche, aber schöne Lautstärke und eine nicht zu laute Band. Also Band im Sinne von Humtata. Der Begleiter schlug vor, uns noch ein paar weitere Zelte anzuschauen, bevor wir uns an irgendeinen Tisch setzten, also guckten wir noch in die Ochsenbraterei, den Himmel der Bayern (Hacker-Zelt) und das Hofbräuzelt, bevor ich wieder ins Augustiner wollte.

2. Menschen

Die Stimmung war in jedem Zelt anders, genau wie die Deko und die Musik, und ich glaube, das jede_r sich sofort für irgendein Zelt entscheiden kann, ganz gleich, wie er oder sie drauf ist. Mir war nach Tradition und einem nicht ganz so jungen Publikum, und deswegen wurde es eben die Augustiner-Festhalle. Der Begleiter beeindruckte mal wieder mit Fakten, so zum Beispiel, dass Augustiner das Bier noch aus Holzfässern ausschenkt, deren Anstich mit einer Glocke angekündigt wird. Das haben wir einmal mitbekommen in den fünf Stunden, die wir an unserem Biertisch festsaßen. Im wahrsten Sinne des Wortes übrigens, denn wir haben beide seltsame Abschürfungen an den Ellenbogen mitgenommen, die wir danach auch an anderen Wiesn-Besuchern gesehen haben. Ich behaupte, der Schweiß verbindet sich mit dem Bier und/oder dem Wischwasser auf den Tischen zu einem Film, der den Tischlack auflöst, und der frisst sich in die Haut. Ja, genau.

Wir hatten keine Reservierungen und haben uns einfach zwei freie Plätze gesucht, was nachmittags anscheinend halbwegs problemlos möglich ist (man möge mich korrigieren, wenn das nicht so ist). An unserem Tisch saßen lauter Menschen, mit denen man dauernd anstoßen musste oder durfte – immer wenn die Band „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ anspielte, was sie recht häufig tat. Normalerweise bin ich ja soziophob wie nix, aber es gibt Dinge, die mich zum äußerst anhänglichen Monchichi werden lassen. Im Bild zwei davon.

Ein weiteres Kennzeichen der Menschen: Sie waren ebenfalls anhängliche Monchichis, was ich persönlich sehr charmant fand, auch wenn ich kaum etwas von dem verstanden habe, was sie mir sagen wollten. Bayerisch überfordert mich von allen deutschen Dialekten am meisten (okay, BAP-Kölsch verstehe ich noch weniger, aber ich glaube, das ist in Wirklichkeit Flämisch oder so was), weswegen ich meist nur freundlich „Na logisch“, „Aber hallo“ oder „Sicher, Dicker“ gebrüllt und mit den wildfremden Menschen angestoßen habe.

Weitaus weniger anhänglich war Maria, die schönste und beste Bedienung im Zelt (mit dem einzig richtigen Namen fürs Oktoberfest), die uns Entspannungspuschel mit jeweils drei Maß verwöhnte und sich allen Grabschversuchen der zu anhänglichen Monchichis zu erwehren wusste. Ich war selten so gelöst wie an diesem Biertisch und wollte ihn kaum verlassen, aber irgendwann hatte meine Konfirmandenblase (die nur bei Bier und Kaffee so memmig drauf ist) genug und wollte zum Klo.

Das Klo. Ein weiteres Schreckgespenst im Hinterkopf nach Australiern, fliegenden Bierkrügen und dem Kotzhügel. Und was soll ich sagen? Das Klo in der Augustiner-Festhalle war sauberer als so manches Uni- oder Agenturklo. Minimum eine Klofrau war ständig beschäftigt, und ihr Glück war es, dass die Maß in diesem Jahr 9 Euro kostete, was man natürlich auf 10 aufrundete, weswegen ich null Kleingeld in den Taschen hatte, weswegen ich nach dem dritten Besuch einen 5-Euro-Schein aufs Tellerchen legte.

3. Bayern

Dieser Teil wird mich wahrscheinlich einen Großteil meiner süddeutschen Leser_innen kosten, aber für mich als Norddeutsche ist Bayern vor allem eins: putzig. Die Berge, der Dialekt, die vielen Dörfchen mit den Kirchlein, die Dirndl, die Lederhosen, die Gamsbärte und die Volksmusik – das ist so knuffig. Was ich absolut positiv meine. Als ich vor fünf Jahren nach zwei doofen Bayreuther Aufführungen im Zug nach Nürnberg saß, von wo mich der Flieger wieder nach Hamburg bringen sollte, zuckelte der Zug so durch die Landschaft (ist das schon Franken? Krieg ich jetzt Kloppe?), und ich guckte so raus, mit Parsifal auf den Ohren, und dachte, schon schön hier. Wenn das mit dem Ruhesitz in der Villa auf Sylt nicht klappt, zieh ich nach Bayern.

So ähnlich ging es mir auf dem Oktoberfest. Mir ist schon klar, dass das inzwischen kein lokales Volksfest mehr ist, sondern eine riesige Gelddruckmaschine und Touristenattraktion, aber genau deshalb fand ich die Anklänge an bayerische Traditionen so charmant. Gut, wie PatschBella nicht müde wird zu betonen, weiß heute kaum noch jemand, wie man ein Dirndl trägt, und ich unterstelle auch so ziemlich jeder Touristin, dass diese Bekleidung einfach stimmungsmäßig dazugehört – so wie ich in der Allianz-Arena ein Gomez-Trikot anziehe, ohne jemals in meinem Leben Fußball gespielt zu haben. Trotzdem hat es mich sehr überrascht, dass geschätzt 50 Prozent aller Damen im Dirndl und ebenso viele Herren in kurzen Hosen unterwegs waren. (Wenn ich das mal sagen darf, liebe Kerle: gerne wieder.) Ich bin von der Rocklänge ausgegangen und habe mir bei jedem Dirndl, das irgendwo in Wadenmitte aufhört, gedacht, du bist Bayerin oder wenigstens im Geiste eine; bei allen anderen „Dirndln“ war ich mir sicher: Faschingsoutfit. Was mir aber als Nicht-Bayerin herzlich egal war; ich fand es nur schön, so viele von diesen Trachten auf einem Haufen zu sehen.

Eine besondere Häufung gab es auf der sogenannten Oiden Wiesn, wo das Publikum entweder richtig jung war (sehr viele Familien mit kleinen Kindern) oder sehr alt (Senior_innen). Die Oide Wiesn kostet Eintritt, die Fahrgeschäfte sind historisch, ich habe schuhplattlernde Kerle gesehen und Männer auf Tischen mit Peitschen, die, wir mir meine Timeline sofort um die Ohren versalisierte, Goaßlschnoizer heißen. (Ich wiederhole mich: PUTZIG!)

Der Begleiter und ich wählten aus den immerhin zwei Bierzelten das mit dem längeren Namen, nämlich das Musikanten- und Volkssängerzelt „Zur Schönheitskönigin“. Dort gab es nicht nur die lauten Männer mit den Peitschen, sondern das beste Bier, was ich je getrunken habe: Hofbräu Wiesn-Märzen.

Das Bier wird in gekühlten Steinkrügen ausgeschenkt, und wenn wir nicht noch das Spiel von Bayern München gegen Manchester City am Abend vor uns gehabt hätte, hätte ich auch davon drei getrunken. Oder mehr. So hat es immerhin zu einer richtigen Maß und einer Radler-Maß gereicht, während auf dem Podium mehrere Kapellen die übliche Volksmusik spielten und dazwischen Ansagen machten, von denen ich keine einzige verstanden habe. Toll.

4. Fazit

Lass es September werden. (Und dieses Mal miete ich mir ne Wohnung in München. Ist günstiger als die Hotelpreise zur Wiesn.)

21.09.2011

Im Buchhandel

– „Kann ich Ihnen helfen? Suchen Sie was Bestimmtes?“
– „Nö, ich guck nur.“

*hust*

(Das ist ein sehr großartiges Gefühl, das. Danke, Weiland im Mercado/Altona.)

20.09.2011

Konfettiwochenende

Morgens in den Zug nach Dresden gestiegen. Die ganze Zeit aufs Elbpanorama gefreut, das mich bei der letzten Anfahrt so begeistert hatte, nur um gut vier Stunden später festzustellen, dass entweder der Bahnhof oder die Elbe versetzt wurde oder dass ich beim letzten Mal aus einer anderen Richtung gekommen bin – kein Elbpanorama, keine Arme, keine Kekse.

Es sind zehn Grad mehr als in Hamburg, es ist stickig, gelbliches Licht liegt über der Stadt. Das Intercity-Hotel ist dafür auf Hamburger Verhältnisse runtergekühlt, ich bekomme ein Öffiticket in die Hand gedrückt, freue mich darüber und nutze es sofort, um mit der 8 oder der 9 in Richtung Zwinger/Semperoper/Grünes Gewölbe und was da noch alles rumsteht zu fahren. Tramfahren! Jeder Tag ist ein guter, an dem man Tram fahren kann.

Der Zwinger ist, im Gegensatz zum letzten Mal, schön voll. Zehn Euro zahlen, nur um zwei Raffaels anzugucken: ich. Im Stechschritt durch die flämischen Meister, ein hilfloser Blick an den Wänden entlang, schließlich frage ich: die italienische Renaissance? und werde freundlich in die richtige Richtung geschickt.

Ein kleiner abgetrennter Bereich weist auf die Sonderausstellung „Himmlischer Glanz“ hin: „Raffael malte die große, mehr als drei Meter hohe Altartafel der „Madonna di Foligno“ 1512, bevor er im gleichen Jahr von Papst Julius II. den Auftrag zur „Sixtinischen Madonna“ erhielt. Beide Gemälde standen also vor circa fünf Jahrhunderten mutmaßlich zeitgleich in Raffaels Atelier und werden jetzt erstmalig wieder vereint.“ Ich bin verzückt von den Engelchen der Sixtinischen Madonna, obwohl ich damit gerechnet habe, sie eher belanglos zu finden, weil ich sie von Keksdosen und Kitsch kenne, und verzaubert von den Farben der Madonna di Foligno. Alles ist erleuchtet.

Ein kleiner Bummel an den restlichen Exponaten vorbei, nichts, was mich fängt außer dem Heiligen Sebastian von Regnier, der ein ständiger Gast in Dresden ist. Wieder raus, ein dickes Lächeln im Gesicht, Zwinger, Semperoper, Grünes Gewölbe, wunderschön, das Licht, die Luft, nur gut gelaunte Menschen, und in 90 Minuten bin ich schon wieder hier, um mir Dvoraks Rusalka in der Inszenierung von Stefan Herheim anzuschauen.

Zurück ins Hotel und opernfein machen. Theoretisch. Die schwarzen Schuhe vergessen, weswegen ich zu schwarzem Hemd und Hose meine weißblaupinken Nikes trage. Der Dresscode der restlichen Besucher ist allerdings teilweise noch legerer, was mich erstaunt und erleichtert. Ein kurzer Einführungsvortrag erklärt mir, dass heute abend nicht Rusalka die Hauptperson ist, sondern der Wassermann: Er steht stellvertretend für „den Mann“, der sich mit „den Frauen“ auseinandersetzt, mit den Vorstellungen, die er von ihnen hat und damit, wie sie ihn damit kleinkriegen. Ich bin ein bisschen quengelig, weil ich mit dem üblichen Aufmarsch von Huren und Heiligen rechne, aber schauen wir mal.

Huren und Heilige habe ich dann auch bekommen, und so ganz überzeugt hat mich die Deutung nicht, aber scheißegal. Denn was ich noch bekommen habe: wieder einiges, was ich so noch nie in der Oper gesehen hatte. Schon der Anfang hat mich erwischt. Sonst so: Das Saallicht erlischt, die/der Dirigent_in kommt in den Orchestergraben, freundliches Klatschen, Stille, Ouvertüre, Vorhang hoch, los geht’s. Hier so: Das Saallicht wird gedimmt, bleibt aber an, der Vorhang geht auf, und die Handlung beginnt einfach mal ohne Musik. Und mittendrin geht sie dann los, ohne dass ich mitbekommen hätte, dass der Dirigent reingekommen ist. Und wie in Herheims Parsifal, der mich völlig fertiggemacht hat, passieren auch hier wieder lauter Dinge, die ich erst mitbekomme, wenn sie passiert sind. Außerdem tanzen Gummipuppen und Barhocker, Spiegel schieben sich vor Gebäude, eine U-Bahnstation ist ein Blumenladen, der Förster ist ein Kiffer, die Nixen schweben anstatt zu schwimmen, irgendwann tauchen Wasserwesen im Saal auf, und plötzlich regnet es rotes Glitzerkonfetti auf das Publikum. Ich muss mich beherrschen, nicht zwischendurch zu klatschen oder kurz mal „Ihr seid alle irre, aber meine Güte, macht das alles Spaß!” in Richtung Akteure und Akteurinnen zu brüllen, weil es so herrlich ist, so frisch und aufregend und überhaupt nicht märchenhaft-schnarchig, und gleichzeitig so poetisch und tieftraurig. Wundervolle Stimmen, tolle Inszenierung. In der Pause stehe ich mit Sektglas und Zur-Feier-des-Tages-Zigarette zwischen Oper und Zwinger, die nachts beleuchtet sind, gucke um mich rum auf die ganze Historie vor und hinter mir, atme tief ein und aus und ein und aus und bin glücklich.

Beim Rausgehen ein bisschen Glitzerkonfetti aufgehoben und ins Portemonnaie gesteckt.

Im Hotel Twitter nachlesen; viele Menschen haben die Nudeldicke Deern in der Post und freuen sich oder sie schon durchgelesen und freuen sich. Ich lese Tweets und freue mich noch mehr und poste die bekannteste Arie aus Rusalka.

Der nächste Morgen wirft mich früh aus dem Bett, ein Taxi bringt mich zum Flughafen. Der Taxifahrer weist mich auf das Elbpanorama hin, und ich bin versöhnt. Außerdem erzählt er mir, dass Dresden die höchste Geburtenrate Deutschlands habe. Kein Wunder. Hier scheint sich’s aushalten zu lassen.

Eine gute Stunde später bin ich in München, wo die Lufthansa uns launig ein „zünftiges G’suffa“ wünscht. Mein charmanter Begleiter und ich telefonieren erstmal 20 Minuten, bis wir uns gefunden haben. „Du musst links rausgehen!“ – „Welches links?“ Dann fahren wir in die älteste Brauerei der Welt, um zu frühstücken. Ich esse das erste Mal im Leben Käsespätzle zum Frühstück, verstehe den Kellner nicht, weil er eine Mischung aus kroatisch und bayerisch spricht, bin aber sowieso weichgekocht, weil wir die ganze Zeit mit Humtata aus dem Lautsprecher begleitet werden.

Der Spaziergang im botanischen Garten führt zur ersten Niederlage meiner Nordischkeit, als ich zugeben muss, dem bösen Münchener Regen nichts Adäquates entegegenzusetzen zu haben. Meine schnuffige Kapuzenjacke ist eine Memme, aber mein Begleiter hat nicht nur zwei Regenjacken, sondern auch noch einen Schirm dabei. Ich lerne erstaunt, dass es einen Lebkuchenbaum gibt, wir amüsieren uns über Zieräpfel in der Größe von Mirabellen und verstehen nicht, warum Rosen nicht immer Rosen heißen.

Auf der Autobahn beginne ich Musik zu schätzen, von der ich nie gedacht hätte, dass ich sie mag, was daran liegen könnte, dass sie herrlich laut ist, und Musik kann ja nie laut genug sein. Wir brüllen uns bis nach München an, ich bekomme eine Quasi-Stadtführung aus dem Auto heraus, die an der Säbener Straße endet, beim Trainingsgelände von Bayern München. Der Begleiter ignoriert die geschlossene Schranke, ich peer-pressure-Küken stolpere hinterher, und wir werden beide zu Recht von irgendeinem Aufpasser angeschnauzt. Der Verein ist mir sofort unsympathisch, aber das hält nur 30 Sekunden, bis ich durchs Fenster drei fette Europapokale erspähe.

Bei Kaffee und Käsekuchen werden dann bei ihm Stoppuhren ignoriert und Münchener Reiseführer gewälzt, wir diskutieren die Theorie, dass Frauen immer frieren („Frauen frieren nur, wenn sie nichts essen, und außerdem zieht dein Backofen.“ – „Ja, der ist ein bisschen psychotisch drauf.“), die größten kulturellen Errungenschaften, auf die wir nicht verzichten wollen („Bayreuth“ – „Champions League“), und dann ist es schon Zeit, um sich zur Kneipe aufzumachen, wo das Spiel Schalke-Bayern übertragen wird. Wir verteidigen tapfer unsere Plätze gegen allzu zutrauliche Menschen, Currywurst und Bier für ihn, Bier und Bier für mich, zweimal Torjubel, und ich verleihe Petersen den Ehrentitel Schnucki 2.

Die Zeit reicht kaum noch für einen anständigen Abschied, aber ich hysterische Zu-früh-am-Gate-Seierin habe Angst, den letzten Flug zu verpassen. Wieder alles richtig gemacht, denn die Gepäckschlange ist ziemlich lang, und ich bin zehn Minuten vor Boarding am Gate, wo gerade die Aufschrift blinkt, dass der Flieger eine halbe Stunde Verspätung habe.

Ich bin voll mit Eindrücken, Stimmen, Melodien (und Bier) und gucke nur noch still nach draußen ins nasse Dunkel. Ohne Musik auf den Ohren. Ohne Twitter zu checken. Ohne alles. Nur da sein und satt sein und glücklich sein.

Und ich habe jetzt immer Konfetti dabei.

09.09.2011

Eine Schokolade auf das Leben oder: Wie man in der Lebensmittelbranche arbeitet, ohne ein Teil von ihr zu sein

(Für die deutsche Ausgabe der WIRED, die gestern erschien, habe ich einen Artikel über Alyssa Jade McDonald, Gründerin von Blyss, geschrieben. Ich hatte eine bestimmte Zeichenzahl zur Verfügung, die ich im ersten Entwurf natürlich völlig ignorierte, weil ich so viel schönes Zeug zu erzählen hatte. Die (kursives edit, weil’s zu Missverständnissen kam) von mir gekürzte Fassung steht in der Zeitschrift, und darin geht es eher um die technologischen Aspekte. Mich haben andere Dinge aber mehr interessiert: wie Schokolade zu Müll verkommen konnte und welche Marketingstrategie Blyss verfolgt zum Beispiel. Das steht alles in der „extended version“, und die kommt jetzt:)

“And now I’ll show you how to experience chocolate.”

Ich sitze mit Alyssa Jade McDonald, der Gründerin von Blyss, auf einer viel zu tiefen Couch eines Frankfurter Luxushotels. Seit einer guten Stunde erzählt McDonald begeistert von ihrem Produkt: Blyss, einer Serie an hochwertigen Schokoladen und Kakaoprodukten. Zwischen uns liegen diverse Reagenzgläser; sie sind mit Bruchstücken von Kakaobohnen gefüllt, mit dunklen Schokoladenplättchen, mit einer Kakaobutter, die McDonald flächendeckend auf meinem Arm verteilt hat und die mich mit einem weichen Duft umhüllt. McDonald, im knielangen schwarzen Kleid, mit goldenem Lidstich und auf Absätzen unterwegs, auf denen ich nicht mal stehen könnte, hantiert mit einem Kellnerbesteck, um die Reagenzgläser zu öffnen, lacht, gestikuliert, erhitzt die Kakaobutter mit einem Feuerzeug, lacht wieder, zeigt mir blitzschnell Bilder aus Ecuador auf ihrem iPad und strahlt, wenn sie von ihren Plantagen erzählt. „Wir haben vier Plantagen in Ecuador, eine im Landesinneren, eine am Río Babahoyo und zwei direkt am Meer. Ich glaube, dass die Kakaobäume ihre Einflüsse aufnehmen. Wie ein guter Wein, dessen Geschmack sich auch durch anderes Terroir ändert. Hier, probier mal.“

McDonald greift sich mal wieder meinen Arm, wo ich hungrig einfach ein Stück Schokolade aus der Metallbox nehmen wollte. Keine Chance. „Du musst die Schokolade erstmal etwas anwärmen.“ Sie legt mir ein Stück auf den Handrücken, wir warten, McDonald plaudert und gestikuliert weiter, und ich gucke erwartungsvoll auf meine Hand, ob sich da irgendetwas Wunderbares ereignet. McDonald reibt nun die leicht angewärmte Schokolade auf meiner Haut entlang; schön sieht das nicht aus, aber: „An diesen Streifen erkenne ich inzwischen die wahren Connaisseure. Riech mal dran.“

Riech mal. Natürlich. Bei einem Wein setze ich ja auch nicht die Flasche an den Hals, sobald ich sie entkorkt habe, sondern gieße den Wein in ein Glas, betrachte ihn, schnuppere an ihm, um erste Aromen wahrzunehmen. Bei dieser Schokolade geht das auch: Ich erkenne herben Kakao, überhaupt nicht bitter, obwohl das braune Stück einen Kakaogehalt von 65 Prozent hat. Dazu einen blumigen Duft, sehr zart, tropisch-mild, nicht zu süß. „Das ist Ishpingo, ein Lorbeergewächs. Wir destillieren das Aroma per Bedampfung aus der Blüte und verarbeiten es in der Schokoladenmasse. Jetzt darfst du’s essen.“

Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, nachdem ich mich schon genüsslich durch die Reagenzgläser gefuttert habe. Die Schokolade zergeht langsam auf der Zunge, der blumige Geschmack steigt mir in die Nase und erfüllt meinen ganzen Mund. Dann kommt ein leichtes Pfefferaroma dazu, das kurz die Blüte überdeckt, die sich aber wehrt und geschmeidig zurückkommt. Und dann bleibt der tiefe, dunkle, saftige Kakaogeschmack. Ich hätte jetzt gerne einen Rotwein. Oder einen Whisky. Oder ein Schaumbad mit einem Vorleser bei Kerzenlicht, der mir den Rücken krault und zwischendurch Arien singt.

Blyss ist eine sehr junge Firma; gerade mal ein knappes Jahr arbeiten McDonald und ihre acht Kollegen daran, Schokolade wieder den Status zu geben, den sie verdient hat: eine Speise der Gottheiten zu sein und nicht mehr das billige Zeug aus größtenteils Fett und Zucker, das falschen Trost verspricht. Das Besondere an Blyss-Schokolade: Sie entsteht unter besonderen ethischen und geschmacklichen Ansprüchen zum größten Teil in Handarbeit, und das fertige Produkt folgt neuen Vertriebsstrukturen.

800 Familien arbeiten für Blyss in landwirtschaftlichen Genossenschaften auf den Plantagen in Ecuador, ernten die Kakaofrüchte und lassen die Bohnen zunächst auf hohen Gestellen lufttrocknen. Blyss verwendet ausschließlich Bohnen der Sorte Arriba Nacionale, die für ihr fruchtiges Aroma bekannt ist. Die großen Konzerne zermahlen die Bohnen bei bis zu 150 Grad, um Kakaobutter zu erhalten, den Grundstoff für Schokolade – Blyss setzt hingegen auf eine teilmanuelle Mahlmethode. Die dabei entstehende Reibungshitze soll 50 Grad nicht übersteigen. Genau wie kaltgepresstes Olivenöl behalten die Bohnen so ihren charakteristischen, starken Geschmack. In Ecuador werden sie dann zu Schokolade verarbeitet, die wiederum in Deutschland in recycelbare Metallboxen verpackt wird.

Leider kann man diese Boxen (noch) in keinem Geschäft finden, nicht einmal in speziellen Süßwarenläden oder Patisserien. Weltweit beherrschen Kraft Foods, Mars, Nestlé, Ferrero und Hershey die Preise und drücken die Margen. Daher entschied sich McDonald für einen ungewöhnlichen Weg: „If you can’t compete – don’t. Wir wollten nicht die zwanzigste Schokolade im Supermarkt sein – wir wollten etwas Einzigartiges schaffen. Und dafür haben wir den Prozess von Herstellung und Vertrieb von Grund auf umgekrempelt.“

Für McDonald ist Schokolade mehr als „nur“ ein Genussmittel. Die gebürtige Australierin arbeitete jahrelang als Managerin eines deutschen Großkonzerns, bis eine schwere Krankheit alles änderte. „Ich konnte vieles auf einmal nicht mehr essen. Deswegen habe ich mich eingehend mit Nahrungsmitteln beschäftigt, wie sie produziert werden, was sie mit uns und unseren Körpern machen. Klar dachte ich auch über ‘gesunde’ Produkte nach, aber ich brauchte etwas, das mich glücklich macht und mich die Krankheit mal vergessen lässt. Also: Schokolade.“ Drei Jahre lang experimentierte McDonald in ihrer eigenen Küche mit Zutaten und Rezepten, bis sie schließlich ihren Angestelltenjob kündigte, für ein Jahr nach Ecuador zog und ihre Ersparnisse in die Kakaoplantagen steckte. Mithilfe von acht Freunden wurde Blyss gegründet. Diese sitzen in Kapstadt, Montreal, London, Sydney, Amsterdam und Frankfurt: „Wir nutzen Skype, weil Handyverbindungen in Ecuador nicht immer verlässlich sind. Per Google Docs, Basecamp und unserer geschlossene Gruppe auf Facebook tauschen wir Informationen aus; ich twittere und bin seit Kurzem auch bei Google+, um mit Freunden, Kollegen und Geschäftspartnern in Kontakt zu bleiben. Wir sind eigentlich eine virtuelle Organisation – wir verwenden mehr Technik, um unsere Geschäfte zu machen als die Schokolade herzustellen.“

Keiner der Menschen bei Blyss hat vorher je in der Lebensmittelindustrie gearbeitet – was McDonald als einen Vorteil ansieht. „Wenn du die sprichwörtliche ‘Box’ nicht kennst, außerhalb der du denken willst, kannst du nicht in ihr steckenbleiben. Deswegen sprechen wir auch nicht mit dem Chefkoch eines Luxushotels, in dem wir unsere Schokolade anbieten möchten, sondern mit dem Manager.“ Er oder sie hat im besten Fall einen strategischen Plan, wo es mit dem Hotel hingehen soll. Falls es sich zum Beispiel als Konferenzhotel von anderen unterscheiden möchte, ist Blyss ein Mittel zum Zweck. „Es geht nicht darum, unsere Schokolade in der Minibar zu finden. Wir können Events bestücken, in denen es um Nachhaltigkeit geht. Oder wir unterstützen Konferenzen mit Vorträgen, in denen wir unsere Sicht auf die Produktion von Lebensmitteln darlegen – wir sind quasi eine Metapher für einen anderen, innovativen Umgang mit Ressourcen.“

Denn auch das unterscheidet Blyss von der durchschnittlichen Supermarktschokolade: der ethische Anspruch. Die Schokolade ist vegan, kosher, halal und kann mit ihrem niedrigen glykämischen Index von 16 auch von Diabetikern genossen werden; die Bohnen werden biologisch angebaut und erfüllen die Ansprüche für Fair Trade. Als Emulgator (das ist der Stoff, der den weichen Schmelz bei Schokoladen erzeugt) nutzt Blyss Sonnenblumenlecithin. „Wir hatten Sojalecithin getestet, aber es gibt weltweit kaum Soja mehr, das nicht genetisch modifiziert ist. Daher verzichten wir auf diesen Stoff.“ Genau wie Blyss auf Kinderarbeit verzichtet, die bei der Schokoladenproduktion, gerade in Afrika, ein offenes Geheimnis ist. „Wir produzieren ein ethisch einwandfreies Produkt – aber das ist nicht unser Alleinstellungsmerkmal. Ethik sollte der Ausgangspunkt für jedes Geschäft sein und nicht etwas, das du extra betonen musst, damit die Leute dein Produkt kaufen.”

Ein Vorwurf, den man Blyss allerdings machen kann: Es ist einfach, bei einem Luxusprodukt ethisch einwandfrei zu arbeiten. McDonald lässt das allerdings nicht gelten. „Irgendwo muss man ja anfangen, um den grundlegenden Prozess zu ändern. Momentan hat es noch seinen Preis, hochwertige, ethisch einwandfreie Schokolade zu produzieren – die 50-Gramm-Tafel kostet zurzeit 30 Euro. Wir arbeiten aber daran, kostengünstiger zu werden, ohne unsere Ansprüche zu kompromittieren. Und dann kann man unsere Schokolade über das Internet bestellen.“

Schokolade sollte laut McDonald wieder den Rang eines bewusst genossenen Lebensmittel haben. „Wir möchten, dass Menschen wieder darüber nachdenken, was sie essen, wo ihre Lebensmittel herkommen. Und wir sagen ganz klar: Genuss ist wichtig. Wir wollen keinen erhobenen Zeigefinger – wir wollen wieder in Essen schwelgen.“ Genau wie Genießer und Genießerinnen bei Wein nicht grob von „irgendwas Französischem“ reden, sondern wissen, aus welcher Region der Wein kommt, aus welcher Traube er gekeltert wurde und von welchem Gut er stammt, spricht McDonald Menschen an, die genauso über Schokolade denken. „Wir richten uns momentan noch an Kunden, die für sich Fragen nach der Herkunft ihrer Lebensmittel schon beantwortet haben. Menschen, die deswegen auch mehr Geld für Genussmittel ausgeben, weil sie wissen, dass es jeden Cent wert ist.“

Blyss spricht derzeit eher mit Kunden, die nichts mit der traditionellen Lebensmittelbranche zu tun haben. Ihre Geschäfte machen sie zum Beispiel mit Autoherstellern, die für ihre Kunden Individualisierungsprogramme anbieten. Wer sich für eine besondere Lederfarbe interessiert und wie der Werkstoff behandelt wurde, interessiert sich vielleicht auch dafür, durch welche Blume eine Schokolade ihr Aroma bekommen hat. Anders herum geht das auch: Anstatt für besondere Kunden zu produzieren, lässt sich Blyss von besonderen Menschen, Industrien, Innovationen inspirieren. McDonald: „Manchmal frage ich Musiker: Wenn dein Song aus Kakao wäre – wie würde er schmecken? Ich spreche mit Architekten, Künstlerinnen, anderen Entrepeneuren. So zu arbeiten, ist unglaublich inspirierend. Genau wie unser Produkt ist auch unsere Arbeitsweise eher innovativ als kompetitiv.“

Was dabei herauskommt, wenn man traditionelle Produktions- und Vertriebsstrukturen ignoriert, kann man in jeder Tafel Blyss schmecken. Der Name Blyss – „bliss“ bedeutet auf englisch „Glückseligkeit“ – ist eben nicht nur ein Anklang an den Vornamen der Gründerin, sondern ein Statement. Sie weiß, dass er ein bisschen exzentrisch ist: „Aber Glück kommt eben auch von Genuss. Und für uns ist Glück nicht nur unser eigenes, sondern auch das anderer. Das unterscheidet uns von vielen Produzenten in der Lebensmittelbranche.“

Das Interview ist vorbei, lang hat es gedauert. Wir sind längst ins Plaudern gekommen, ich erzähle von meinen Erfahrungen mit Essen, Alyssa von ihren. Ich darf die angebrochenen Tafeln und Reagenzgläser mit nach Hause nehmen (darauf hatte ich die ganze Zeit gehofft) und schnappe mir ein Taxi. Im Flug zurück nach Hamburg gibt es einen Schokoriegel von einem der fünf Großkonzerne. Ich lasse ihn liegen.

03.09.2011

Post von meiner Lektorin

Mein erstes Exemplar der Nudeldicken Deern landete gestern auf dem Agenturschreibtisch. Ich war zugegebenermaßen ein bisschen sehr nah am Wasser, wurde aber von der halben Belegschaft getröstet, den angebotenen Jägermeister haben wir doch lieber gelassen (es war noch vor der Mittagspause), dann habe ich früh Feierabend gemacht und mein zweites Exemplar an die Inspiration für alles geschickt, nachdem ich es signiert hatte.

Es fühlt sich auf einmal so real an. Bis gestern waren es ein paar Buchstaben im Rechner, dann waren es Ausdrucke, dann die Fahne, aber irgendwie war das nie richtig fassbar für mich, dass da demnächst ein Buch mit meinem Namen drauf in den Läden liegt.

Jetzt glaub ich’s auch.

Zur Erinnerung: Wer ebenfalls eine Unterschrift in das Büchlein haben möchte – so geht’s.

19.08.2011

Welcome to the Schnuckidome

Vor gerade mal vier Wochen schrieb ich launig, dass ich mir gerne mal die Allianz-Arena von innen angucken wollen würde, am idealsten natürlich bei einem Spiel von Bayern München, und bat my man for all things Bayern probek um einen Terminvorschlag.

Eigentlich hatte ich nicht wirklich mit einem gerechnet, aber ich stelle immer mehr fest, dass Fußballfans eine ganz besondere Sorte Menschen sind. Denn NATÜRLICH hatte probek einen Vorschlag und zwar gleich einen ziemlich guten: Bundesliga sei ja schön und gut, aber Champions League wäre noch viel toller, und weil die Mannschaft die direkte Qualifikation für diesen Wettbewerb verpasst hatte, musste sie jetzt nachsitzen. Die Auslosung fand vor zwei Wochen oder so statt, und nicht mal eine Stunde später waren die lächerlich wenigen Tickets im Bayern-Ticketshop zu haben. Jedenfalls für Mitglieder. Was probek ist. Weswegen er sofort einen Privatfussicircle auf G+ einrichtete und mir dringend nahelegte, JETZT in die Allianz-Arena zu fahren. Denn, völlig richtig: Sonst gibt’s nur Bundesliga oder Gruppenphase, bei der die einzelnen Spiele noch nicht ganz die Brisanz haben, die ein KO-Spiel eben hat. Ich leistete halbgaren Widerstand („Ja, aber Zürich? Schnarch“), wurde charmant überzeugt („Immer noch besser als Kaiserslautern“) und bat um das beste Ticket, was noch da war. Das landete ein paar Tage später per DHL-Eilig-und-Wichtig-Sendung (kannte ich noch gar nicht) bei mir zuhause und wartete nun darauf, benutzt zu werden. Was ich vorgestern tat.

Da ich mich seit Kurzem offen zum FCB bekenne, wollte ich das natürlich auch per Kleidung kundtun. Flugs im FCB-Shop einen Schal und ein Shirt gekauft; ich konnte mich allerdings nicht entscheiden, womit ich nun ins Stadion wollte und packte beides ins Köfferchen. Der wiederauferstandene Sommer in München nahm mir diese Frage ab, denn bei 26 Grad fand ich ein Shirt deutlich sinnvoll als einen Schal.

Trotzdem fand ich es komisch, damit aus dem Hotel zu gehen. Das legte sich aber sehr schnell, als probek und ich in der U-Bahn in Richtung Arena saßen und an jeder Station gefühlte 50 Leute in ähnlichem Outfit zustiegen. Sehr sympathisch, das alles. Das Bild dort oben zeigt die Treppe an der Station Fröttmaning (gnihihi), die man hochklettert, dann kurz um eine Ecke biegt und schon den ersten Blick auf die Arena hat. Noch durch Gitterzaun und eher unbeeindruckend klein, aber immerhin. In den nächsten 15 Minuten machte ich ne Menge Witze über Scheinriesen und dass die Arena ja echt nicht so beeindruckend aussehe wie von der Autobahn aus gesehen, aber als ich direkt davorstand, nahm ich alles wieder zurück.

Das Ding ist: groß. Und ich finde schon die Imtech-Arena groß, und da gehen „nur“ gut 40.000 Leute rein. (Laut Frau Pleitegeiger, auf deren Trikot „Frau Petric“ steht, passen 57.000 Menschen ins ehemalige Volksparkstadion.) In die Allianz-Arena passen 66.000 Zuschauer_innen, und wenn man drin steht, merkt man ziemlich deutlich, wie groß das Stadion ist. Am schönsten fand ich den Blick vom Oberrang, bei dem man fast unter der Hallendecke ist, aber trotzdem das Gefühl hat, nicht richtig weit weg vom Rasen zu sitzen. (Das Foto täuscht total, aber es zeigt die Größe sehr gut.)

Mein Platz war allerdings ganz weit unten, knapp auf Höhe der Eckfahne, in der dritten Reihe. Also ziemlich auf Augenhöhe der Spieler, was mich das Spiel sehr anders erleben ließ als ich es vom Fernseher gewohnt bin. Aber vor dem Spiel kam zunächst der Glücklichmacher „Aufwärmen“. Die Jungs liefen halbwegs angestrengt und größtenteils ohne dusselige und ihre Optik total verschandelnde Schienbeinschoner durch die Gegend, schwitzten lässig ihre weiten Shirts durch, und Frau Gröner war wieder 13 und dachte verträumt an junge Wildpferde, die über taufeuchte Wiesen traben. Beim Frauen-WM-Spiel in Wolfsburg habe ich ähnlich nah am Spielfeld gesessen, aber ich kannte zugegebenermaßen kaum eine der Damen. Den Bayernjungs gucke ich seit Monaten möglichst regelmäßig bei ihrer Arbeit zu, und deshalb war das Promigucken galore, als Ribéry 15 Meter von mir weg zum Sprint ansetzte. Der Mann meines Herzens ließ sich leider nicht so oft auf den Flügeln blicken, aber er hätte daran auch nicht viel Freude gehabt.

Denn ich war natürlich nicht alleine im Stadion. Um mich herum saß die Kettenrauchergilde München und quarzte, was das Zeug hielt. Und als ob das noch nicht genug war, fanden sie Herrn Gómez dann auch eher doof. Zugegebenermaßen wurde meine Hingabe an Schnucki auf eine harte Probe gestellt, als er ein ums andere Mal fette Chancen versemmelte, worauf um mich herum „Nichtskönner“-Rufe laut wurden, aber meine Zuneigung kann natürlich von ein paar blöden Bällen nicht erschüttert werden. Trotzdem ahne ich, warum sich die Jungs bei ihrer lächerlich kurzen Ehrenrunde nach dem (mit 2:0 etwas unsouverän gewonnenen) Spiel nur kurz an die Fans wandten, die sich hinter den beiden Toren befanden, uns an der langen Gerade aber schmählich ignorierten.

Ach ja, Fans. Die hübsch laute und auf 90 Minuten Gebrüll konditionierte Schickeria gönnte sich wirklich nur in der Halbzeit mal eine kleine Pause; ansonsten ertönten Schlachtengesänge in einer Tour (die mir blöderweise immer noch im Hirn kleben). Auch die Zürichfans, die auf den Oberrang verbannt wurden, sangen ziemlich konstant, weswegen die Geräuschkulisse angenehm hoch war. Nicht so fürchterlich laut wie in Wolfsburg, wo 30.000 hysterische Eventfans „unsere“ Mädels zum Sieg kreischen wollten, aber laut genug, um anständige Stimmung zu verbreiten. Ich glaube, es gab einen einzigen kurzen Augenblick, wo alle mal Luft holen mussten – und daraufhin war es im Stadion gespenstisch still. Wie gesagt, 66.000 Leute, aber für die Stimmung sorgen anscheinend wirklich nur die wenigen Schlachtenbummler. War mir nicht so klar. Aber sehr recht, weil ich so einfach Fußball gucken konnte und mich nicht auch noch um die akustische Untermalung kümmern musste. Bei den Toren habe ich natürlich mit allen anderen aus vollem Hals „SCHWEINSTEIGER!“ und „ROBBEN!” in Richtung Stadionsprecher gebrüllt, und ich hätte so gerne noch „GÓMEZ!” gebrüllt, aber nun ja. Beim nächsten Mal.

Die ungewohnte Perspektive war interessant und hat für mich das Spiel etwas kurzweiliger gemacht, als es anscheinend aus der Totale gewesen ist. Trotzdem würde ich beim nächsten Besuch gerne zehn Reihen weiter oben sitzen, um einen besseren Überblick zu haben. Aber für das erste Mal Bayern angucken war’s toll. Ich war näher dran als ich gehofft hatte, und ich fand es sehr schön, die Jungs mal zu hören, die Ballgeräusche und die Anweisungen, die sie sich geben, auch wenn ich keine verstanden habe. Und ich fand es sehr beeindruckend, die körperliche Arbeit aus nächster Nähe zu sehen, wie schnell Lahm auf einmal werden konnte, wie hartnäckig Rafinha um den Ball kämpfte (den habe ich aber nur in der ersten Halbzeit sehen können), wie präsent Badstuber und vor allem Boateng auf dem Platz standen – und wie weit Neuer sich vom Tor weg wagte, wenn er nichts zu tun hatte. Er stand teilweise gut zehn Meter vor dem eigenen Strafraum, während der Züricher Torwart sich nie weiter als bis zum Elfmeterpunkt getraut hat.

Zu FCB-Spielen ist die Arena rot angeleuchtet, wenn 1860 München spielt, blau. Der Firmenschriftzug leuchtet eigentlich weiß, aber weil es ein Champions-League-Spiel war, für die die Allianz kein Sponsor ist, blieb er ausgeschaltet. Auch bei den Fantreffs im Stadion (vulgo: die Bier- und Breznbuden) waren die Sponsoren überklebt. probek und ich stießen nach dem Spiel noch mit BigEasyMUC im Hacker-Pschorr-Fantreff an, der eigentlich den Gästefans „gehört“ – die Bayern treffen sich im Paulaner-Fantreff –, aber eben weil er den Gästefans gehört, war er schön leer. Danach ging’s wieder zur U-Bahn, wo ich mich mit probeks Mitbringsel tröstete – ein Gómez-plus-Schweinsteiger-Poster aus dem FCB-Magazin.

Und auf dem iPhone habe ich Schnucki nochmal, weil er auch in einer neueren Ausgabe des Magazins drin war. Sieht zwar ein bisschen nach Bürgerkriegsopfer aus, hat aber die Haare schön.

He, Bayern: Das wäre nett, wenn ihr erstens die Champions League erreicht, zweitens die Vorrunde übersteht und mir drittens die Chance gebt, euch im Achtelfinale wieder anhimmeln zu dürfen. Herr probek, legen Sie doch bitte schon mal den Mitgliedsausweis für die nächste Kartenbuchung raus. (Beim nächsten Besuch nehme ich auch gerne wieder zwei bis vier von diesen Killer-White-Russians, die Sie mixen können. Vielen Dank im Voraus.)

16.08.2011

Murksig

Da hat Bayreuth ja was Schönes angerichtet. Ich war in der Woche nach den Aufführungen schon so memmig drauf, so „ich will nicht in die Agentur, ich will nicht über Autos nachdenken, ich will stattdessen Pause machen, in Museen rumhängen, in der Oper weinen und noch mehr Bücher lesen. Und kochen. Und schlafen. Und bei Regen im Bett liegen und rausgucken“.

Das denke ich dann zwei Minuten lang durch, mache irgendeine Wagner-Oper in iTunes an und werde traurig. Dann kommt das „Jetzt reiß dich mal zusammen“-Teufelchen aus meinem Nacken gekrochen, macht es sich auf der Schulter bequem und faselt was von Miete bezahlen, auf was Eigenes sparen, vorsorgen, man weiß ja nie, jetzt wollen dich grad alle buchen, dann nimm das gefälligst mit, als Freie muss man ja dankbar für jeden Job sein, der reinkommt.

Ich nicke dann brav, sag dem Teufelchen, ja, hast ja recht, klar ist Mietezahlen total wichtig und die Beiträge für die Künstlersozialkasse und wir sind ja erwachsen und verantwortungsbewusst und müssen an Morgen denken und an Übermorgen.

Das Teufelchen verkriecht sich wieder, die Oper auf iTunes läuft weiter, und dann traut sich das Mach-doch-Engelchen wieder raus und schlüpft in meinen Gehörgang, wo es mich zutextet, und irgendwann weiß ich nicht mehr, was Engel ist und was ich bin. Ich habe die letzten drei Jahre fast ununterbrochen gearbeitet. Das Konto sieht super aus. Man könnte auch an Heute denken, denn das letzte Hemd ohne Taschen wird sowieso passen. Mein Herz geht mir gerade auf, wenn ich in meinem Raffael-Band blättere, ich fange an zu lächeln, wenn mir irgendjemand Wagner ins Ohr singt oder Tschaikowsky oder freundliche Streicher_innen einen Beethoven anstimmen. Das Rom-Gefühl ist wieder da, dieses unmittelbare, schlichte Glück, das mich erwischt hat, als ich einen Michelangelo anschauen durfte. Durfte! Ich bin in der unfassbaren Luxuspopuxussituation, mich um keine Kinder kümmern zu müssen und einen Kerl zu haben, der auch alleine prima klarkommt. Ich könnte morgen meine Koffer packen und für sechs Monate nach Italien ziehen, nen Sprachkurs machen und viel zu viele Kohlenhydrate essen. Ich könnte meine Kreditkarte damit ausreizen, alle zwei Wochen in irgendeinem Opernhaus dieser Republik den besten noch verfügbaren Platz zu buchen. Könnte ich. Kann ich dann aber doch nicht, weil ich unter Einfluss des doofen „Wir denken brav an morgen“-Teufelchen meine Schreibfinger an meine Lieblingsagentur gekettet habe und zwar bis Ende des Jahres.

Was als Angebot so verlockend klang, erweist sich jetzt gerade als blöde Fußfessel, als Stimmungsbumerang, als „Ah, so fühlt sich erwachsen sein an, wasn Scheiß“. Ich bin gerne hier, ich schreibe gerne über Autos, aber jetzt gerade denke ich den ganzen Tag: Mir läuft die Zeit weg. Ich muss, nein, ich möchte mir die Zeit nehmen für die ganzen Schönheiten, die ich sonst verpasse, weil ich an die KSK denke. Die ganzen Bilder, Skulpturen, die ganzen Lieder, Chöre, Arien, Konzerte, die vielen Buchseiten drinnen, die Luft draußen, die vielen Festessen, die andere verspeisen und nicht ich. Ich weiß nicht, warum mir das auf einmal so wichtig erscheint, nein, wichtig ist, warum es sich wichtiger und richtiger und lebensnotwendiger anfühlt als Geld zu verdienen und über Autos zu schreiben.

Ich will das nicht zur Sinnkrise hochjazzen, aber ich frage mich eben, warum sich durch ein paar alte Bilder und Brunnen und zwei zugegebenermaßen unglaublich tolle Aufführungen die Prioritäten so deutlich verschoben haben. Warum ich das nicht wie sonst in sehnsüchtigen Phasen mit dem üblichen Hinweis aufs Konto in den Hinterkopf schieben kann. Warum es seit Mai in mir gärt und seit zwei Wochen in mir brodelt.

Für Berlin im Januar habe ich mir deswegen Tosca gebucht, wo der Herr Vogt mitsingt, in dessen Lohengrin ich mich verliebt habe, und wenn der Kartenvorverkauf beginnt, reiße ich mir die Walküre mit ihm in München im März unter den Nagel. Und schon bald, nämlich im September sehe ich Rusalka in Dresden, wo erstens Herr Zeppenfeld singt, dem ich als König Heinrich im Bayreuther Lohengrin verfallen bin und was zweitens von Stefan Herheim inszeniert wurde, dem ich im Bayreuther Parsifal verfallen bin. Und als ob das noch nicht wundervoll genug wäre, hängen in Dresden noch die Sixtinische Madonna und eine Leihgabe aus Rom von Raffael und wahrscheinlich noch andere Renaissance-Maler, die mich derzeit so glücklich machen.

Ich weiß jetzt nur nicht, ob das alles mein Murksgefühl noch verstärken wird oder mich kurz aus dem Alltag reißt, um den Alltag wieder erträglich zu kriegen. Rom hat mir das normale Generve, was man eben so „Arbeitsleben“ nennt, leichter gemacht, Bayreuth interessanterweise schwerer.

Ich guck mal. Und hör mal. Und genieße mal. Und dann schreibe ich wieder drüber. Also alles wie immer. Nur mit mehr Murks.

07.08.2011

Bayreuth 2011: Parsifal

Nach dem Lohengrin dachte ich, das war’s, jetzt kann der Parsifal auch doof sein, eine Oper von zweien, die toll ist, das reicht, das ist ne gute Ausbeute. Aber dann hörten meine Mutter und ich am Morgen der Aufführung einen sehr guten Einführungsvortrag zur Inszenierung, und ich wurde immer hibbeliger. Das klang alles so clever und spannend, was da auf uns wartete, dass ich fast Angst hatte, mich selbst zu enttäuschen. Wäre nicht nötig gewesen, denn die Parsifal-Inszenierung von Stefan Herheim hat meine bisherige Lieblingsinszenierung (Tschaikowskys Eugen Onegin) von Achim Freyer locker auf den zweiten Platz verdrängt.

Beim Schlingensief’schen Parsifal habe ich noch ausgiebig rumgenölt über das viele Zeug auf der Bühne und die ganzen Ideen und Andeutungen, aber vor allem darüber, dass das meiner Meinung nach christliche Motiv als Blaupause für irgendwas (ich weiß immer noch nicht, was der Herr von mir wollte) herhalten musste. Herheim war schlauer: Für ihn geht es um den Erlöser (oder die Erlöserin) in uns allen – und das hat interessanterweise funktioniert.

Aber bei dieser Inszenierung bin ich mir sicher: Ohne den Vortrag von Dr. Sven Friedrich hätte ich nur die Hälfte mitbekommen. Denn was Herheim da auf die Bühne packt, sind nicht nur Requisiten und Personen, sondern gleich drei Geschichten auf einmal: Die Werksgeschichte des Parsifal, die deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis in die 50er Jahre und dazu noch die Geschichte von Wahnfried (dem Haus Wagners in Bayreuth) bzw. dem Festspielhaus und den Aufführungen darin. Ja, genau. Wenn wir schon mal dabei sind, machen wir doch gleich die ganz große Kiste auf.

(Fotos der Inszenierung angucken auf der Festspielseite: 2010, 2011)

Schon die Ouvertüre wird bebildert. Alles beginnt in Wahnfried, wo eine Mutter in einem Bett in der Bühnenmitte im Sterben liegt und sich von ihrem Kind verabschieden will. Der Kleine trägt den klassischen, wilhelminischen Matrosenanzug, und auch der erwachsene Parsifal, der kindliche Tor, wird ihn tragen. Das Kind ist hin- und hergerissen zwischen Abschied und Angst; schließlich reißt die Mutter es an sich, ein Inzest wird angedeutet, aber nicht aufgelöst. Im Hintergrund wartet unter anderem ein Arzt, den wir im Laufe des Stücks als Gurnemanz wiedersehen – dort trägt er Flügel. Sind die Gralsritter Engel? Keine Ahnung. Denn auch Kundry, die dazu verflucht ist, Männer verführen zu müssen und erst erlöst wird, wenn ihr einer widersteht, trägt Flügel. Jedenfalls manchmal, zum Beispiel in der Szene, in der sie Parsifal erobern möchte und dabei wie Marlene Dietrich aussieht – und ihre Flügel sind natürlich blau.

Aber zurück zum Anfang: Die Mutter stirbt, sinkt in die Kissen – und verschwindet, ohne dass ich es mitbekommen hätte. Das Bett bleibt in den ersten beiden Akten der zentrale Punkt, aus dem ständig Menschen und Dinge kommen und in dem wieder alles verschwindet. Wiege, Bahre? Das Tolle: Auch als ich kapiert hatte, das sich in diesem Teil der Bühne anscheinend des Öfteren was ereignet, habe ich es meist nicht mitbekommen. Genausowenig habe ich gesehen, wie aus dem Bild der Germania über dem standesgemäßen Kamin ein Spiegel wurde. Oder wie sich der kleine Parsifal (oder soll das Kind Wagner sein?) sich in einer Badewanne in einen alten Mann verwandelt hat. Aus den Augenwinkel habe ich immerhin die Wandlungen des Reichsadlers mitbekommen, der über der Bühne hing und sich brav dem Zeitgeist anpasste. Rechts öffnete und schloss sich eine Tür, mal war ein Schaukelpferd da, mal nicht, mal stand in der Rotunde Wahnfrieds im Hintergrund ein Weihnachtsbaum, mal lief ein Film ab, in dem Soldaten in den ersten Weltkrieg zogen, im 3. Akt ist die Rotunde zerstört, und der Film zeigt Nachkriegsdeutschland in Ruinen. Die Säulen des Hauses verschieben sich, es schneit, die Sonne bricht durch die Bäume, sie verfärben sich rot, die Lichtstimmung ändert sich von Szene zu Szene; ein Ring in der Bühnenmitte wird mal zum Brunnen, mal schlicht zu einer Begrenzung, dann verschwindet er ganz im Boden, und als er wieder da ist, hatte ich mal wieder nicht mitbekommen, wie er dort hin gekommen war. Das hört sich alles sehr verwirrend an, aber ich war völlig fasziniert davon. Vor allem eben von den zielstrebigen Bewegungen auf der Bühne, die ich als motiviert empfand und die – im Gegensatz zur Schlingensief-Inszenierung – weder die Musik noch die Handlung übertünchte. Außerdem fügten sich die Details gerne mal zu eindrucksvollen Tableaus, die man in Ruhe genießen konnte, bevor die Darsteller_innen und Kulissen sich wieder wandelten. Die vielen Aktionen in allen Ecken der Bühne haben für mich eine sehr filmische Atmosphäre verbreitet; es verlief alles sehr geschmeidig und ohne, dass ich das Gefühl gehabt hätte, ich sehe dauernden, hektischen Umbauten zu.


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Ich merke gerade, dass der ganzen Bühnenzauber schwer zu beschreiben ist. Dann versuche ich mich mal an einigen Details. Der kleine Junge aus der Ouvertüre begleitet uns noch länger. Zum Beispiel baut er vorne auf Wagners Grab (der Souffleurkasten, perspektivisch perfekt zu Wahnfried im Hintergrund) eine Mauer – und die symbolisiert nicht nur die Mauer, die Hardcore-Wagnerianer um die Werke ihres Meisters ziehen (wie es jahrelang in Bayreuth praktiziert wurde), sondern sie hat auch noch die Form der Mauer, die 1945 von Wahnfried übrig blieb. Das Haus wurde in den letzten Kriegstagen von einer Bombe getroffen und stark beschädigt. Gleichzeitig beziehen sich die Steine auch auf das Stück (danke dafür), denn große Teile des Parsifals spielen in der Gralsburg, in der Parsifal, der reine Tor, quasi alles und alle retten soll. Ich zitiere die Wikipedia, denn die sagt das sehr hübsch:

„Auf den ersten Blick wirkt Wagners Bühnenweihfestspiel wie ein „religiöses Werk“, mit weihevoller Musik, Monstranzenthüllung (Gral), Taufe, christlichem Abendmahlsritual usw. Bereits in seinen Zürcher Kunstschriften entwickelte er (Wagner) die Idee, den Kern des Religiösen durch Kunst zu verdeutlichen. In Religion und Kunst, schreibt er zusammenfassend:

„Man könnte sagen, dass da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche sie im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfasst, um durch ideale Darstellung derselben die in ihnen verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen.“

Wagner erklärt, dass er zur Transformierung seiner gleichnishaften Botschaft, nämlich Erlösung und Regeneration der Menschheit durch Mitleid – dargestellt durch den suchenden Parsifal und den leidenden Amfortas – eine Kunstform gewählt habe, die mit religiöser Symbolik eine „entrückende Wirkung auf das Gemüt“ ausüben solle.“

Parsifal „entdeckt“ die Gralsburg, als er einen Schwan erschießt und deswegen zur Rechenschaft gezogen werden soll. Hier erschießt er aber den kleinen Jungen – symbolisiert er gleichzeitig die kindliche Reinheit? Die göttliche Unschuld, für die eigentlich der Schwan steht? Zusätzlich wird der Junge auch in die Handlung einbezogen, in dem Kundry (die Verführerin, die aber der Mutter ähnelt) oder Gurnemanz ihn ansingen anstatt den erwachsenen Parsifal. Und ganz zum Schluss, als wir knapp 100 Jahre deutscher Geschichte hinter uns haben, steht er mit Gurnemanz und Kundry, die eigentlich dahinscheidet, plakativ als deutsche Kleinfamilie am Bühnenrand und schaut uns an.


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Die Werksgeschichte Parsifals wird eher angedeutet als groß aufgetischt: Wir sehen das Bühnenbild der Uraufführung als Gralsburg – und dann kommt zu Beginn des 3. Akts etwas, was ich nie und nimmer ohne den Vortrag erkannt hätte. Ich komme darauf zurück. Der 1. Akt zeigt das wilhelminische Deutschland, die Damen tragen Korsetts, die Herren wahlweise Uniform, Burschenschafter-Outfits oder die üblichen Anzüge des Großbürgertums. Ein Chormitglied ähnelt dem Kaiser, und nach und nach mischen sich Pickelhauben unter die Menschen. Schließlich laufen Filme, die die Generalmobilmachung zeigen – der Weg in den Krieg wird beschritten, und der 1. Akt endet mit dem 1. Weltkrieg bzw. der Vertreibung von Parsifal aus der Gralsburg. Wir haben den Erlöser (in uns) nicht erkannt.

Im 2. Akt befinden wir uns in den 20er Jahren – aus Lazarettschwestern werden Revuegirls, eine Kamera in der Bühnenmitte erinnert an das neue Medium. In Klingsors Zaubergarten ist das Zwitterwesen Klingsor ein Transvestit, dessen Oberkörper mit einem Smoking bekleidet ist und dessen Unterleib in Netzstrümpfen steckt. Kundry verwandelt sich vom wilhelminischen Dienstmädchen in die rothaarige Mutter und schließlich in Marlene Dietrich, der Parsifal schließlich erliegt. Beim ersten Kuss wird er „sehend“ und wird vom unwissenden Knaben zum Mann. Dumm, dass er auf seinem Weg zur Erkenntnis das Deutsche Reich nicht mitnehmen kann, denn aus den mit Koffern bestückten Menschen, die ich bis dahin als Große-Depressions-Statisten wahrgenommen habe, werden nun Juden, die auf ihren Abtransport warten. SS-Männer stürmen die Bühne, der Adler in der Bühnenmitte trägt ein Hakenkreuz in seinen Klauen, und plötzlich entrollen sich vier riesige Hakenkreuzfahnen.

Das Bild hatte ich vorher schon gesehen, und ich wusste, dass es kommt, aber ich muss gestehen, dass es mich schier überwältigt hat, dieses Symbol zu selbstverständlich in verdammt groß direkt vor der Nase zu haben. Klar sind wir durch Schulunterricht etc. darauf gedrillt, davon abgeschreckt zu sein, aber ich war wirklich erstaunt davon, wie groß meine Abscheu und auch meine Angst waren, plötzlich mitten in dieser Szene zu sitzen. Für diese wenigen Sekunden, bevor das Deutsche Reich mit seinen verdammten Standarten den Bach runterging, habe ich meinen Sitzplatz verflucht; ich hatte nie einen besseren: 3. Reihe, direkt in der Mitte, aber jetzt gerade wäre ich gerne 20 Reihen weiter hinten gewesen. Vielleicht hätte ich mich dann auch nicht so erschreckt, als der Reichsadler von der Bühne gesprengt wurde, ganz so wie es die Alliierten in Nürnberg mit dem Vogel über dem Reichsparteitagsgelände gemacht haben. Eine Explosion, die Fahnen gingen zu Boden, die Soldaten ebenso – und vorne auf Wagners Grabplatte stürzte die Mauer ein.


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Und dann kam der 3. Akt und mit ihm eine, wie ich finde, große Verbeugung. 1951 wurden die Festspiele wieder eröffnet, Wieland und Wolfgang Wagner übernahmen von ihrer Mutter Winifred, die bis zu ihrem Tod von ihrem Kumpel Adolf schwärmte. Besonders Wieland erwies sich als sehr innovativer Regisseur, der es schaffte, Bayreuth aus dem sehr tiefen, braunen Sumpf zu ziehen, in das es sich selbst geritten hatte. Auf dem Vorhang erscheint eine Einblendung von 1951, in der Wieland und Wolfgang das Publikum bitten, von politischen Diskussionen auf dem Grünen Hügel abzusehen. „Hier gilt’s der Kunst.“ Um den Schnitt noch deutlicher zu machen, hat Herheim einen Teil der Wieland’schen Parsifal-Inszenierung von 1951 übernommen. Größer hätte der Kontrast kaum ausfallen können. Wo bis eben ein fast ständiges Kommen und Gehen und Erscheinen und Verschwinden herrschte, erstarrt die Szenerie nun in bedeutungsvollen Gesten und einer fast leeren Bühne. Einzig der Ring, der aus der Wieland-Inszenierung stammt, ist noch da; selbst das Bett ist zerstört, aus dem so viel Gutes und Schlechtes entsprang.

Und: Sobald der Vorhang sich für den 3. Akt öffnete, sah man: eine weitere Bayreuther Bühne, die genau derjenigen entsprach, die wir jetzt gerade anschauten. Theater im Theater. Auf dieser zweiten Bühne sahen wir die Neuauflage von Wielands Parsifal, bevor ein letzter Szenenwechsel uns in den, ich konnte es selbst kaum glauben, deutschen Bundestag der 50er Jahre führte. Die klassischen schwarzen Bänke mit ihren präsenten Nieten, in der Mitte ein Pult mit Mikrofon, an dem Amfortas nun die Totenfeier für seinen Vater Titurel beginnt. Dessen Sarg ist in die bundesrepublikanische Flagge eingehüllt, und über allem schwebt ein riesiger Spiegel, der auch den Bundesadler inmitten des Rings zeigt. Und genau dieser Spiegel erzeugte dann auch den Effekt, der mich völlig umgehauen hat. Parsifal tritt auf und schließt Amfortas’ Wunde, die ihm Klingsor zugefügt hatte – er erlöst damit Amfortas und wird selbst zum Gralshüter. Könnte also alles in Ordnung sein, wir haben wieder einen starken Mann, aber stattdessen versinken der Bundesadler und Parsifal im nun unter Wasser stehenden Ring, und der Spiegel bewegt sich.

Zunächst zeigt er das sonst stets unsichtbare Orchester und den Dirigenten im Graben und reißt damit die vierte Wand ein, die uns als Publikum wohlig-entspannt von der Handlung auf der Bühne trennt. Und dann zeigt er uns; Scheinwerfer beleuchten den Saal, und zu der erlösenden Musik wird klar, dass wir unseren Sauhaufen eben selbst wieder abtragen müssen und dass uns das niemand abnimmt. Um mich war es zu diesem Zeitpunkt längst geschehen; bei der Ouvertüre heule ich sowieso immer, ganz gleich, in welchem Opernhaus ich sitze, und mich jetzt selbst inmitten von 2.000 Menschen zu sehen und Teil einer Inszenierung zu werden, hat mich überwältigt. Klingt total bescheuert, weiß ich auch, aber bei mir war kurz vor Schluss alles vorbei, ich schniefte fassungslos vor mich hin und wollte auch erstmal überhaupt nicht klatschen, sondern nur hier sitzen und schweigen, so sehr hatten mich Musik und Bildergewitter erwischt.


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Aber das klappt in der Oper ja nie. Wo es im Lohengrin nur Jubel gab, brüllte hier jemand ein vereinzeltes „Buh“ in die Stille, bevor er niedergeklatscht wurde. Ich war noch mit Tränentrocknen und Schweigen beschäftigt und verpasste daher die ersten paar Vorhänge, bevor ich dann auch der gesamten Mannschaft einen verdienten Applaus spendete. Simon O’Neill war ein sehr klarer, straighter Parsifal, Kwangchul Youn als Gurnemanz überstand sogar seine ewigen Monologe mit Bravour (und ohne dass ich anfing, über Essen oder das Universum nachzudenken). Detlef Roth wankte als Amfortas gefasst und gleichzeitig kurz vor dem Exitus über die Bühne und blieb dabei stets ergreifend, aber umgehauen hat mich Susan Maclean als Kundry. Leidenschaftlich, zerrissen, flehend, verführend, alles dabei, alles toll.

Das einzige, was mir den Abend ein winziges My verleidet hat, war die Länge. In jeder Wagner-Oper gibt es einen Akt, bei dem der Mann nie zum Punkt kommt und ich latent quengelig werde. Bei den Meistersingern könnte von mir aus der 3. Akt 20 Minuten kürzer sein, bei Tristan und Isolde der 2., und im Parsifal strengt mich der 1. am meisten an. Im Festspielhaus unter der Leitung von Daniele Gatti dauerte er 1.52. An diesem Abend hörte ich noch die Story von James Levine, der es mal geschafft hat, das Ding auf 2.20 auszudehnen. Ja, der Parsifal ist weihevoll und getragen, aber es hat sich für mich des Öfteren angefühlt, als würden wir in Kaugummi stecken. Das mag allerdings dem Umstand geschuldet sein, dass ich schon eine Oper im Kreuz hatte und keine 24 Stunden später meine Wirbelsäule schon wieder mit dem Folterstühlchen im Festspielhaus quälen musste. Aber selbst das konnte meine Begeisterung kaum trüben. Ich entschlüssele seit Mittwoch abend nach und nach die Aufführung, manche Details fallen mir wahrscheinlich erst ein, sobald ich diesen Eintrag online stelle, manche habe ich schon vergessen, und ich weiß, dass sie irgendwann wieder aufpoppen, wahrscheinlich, wenn ich einen anderen Parsifal sehe. Die Bilder hallen immer noch in mir nach und ich hoffe sehr, dass diese Aufführung auf DVD erscheinen wird. Die Stefan-Herheim-Appreciation-Group auf Facebook hat schon eine Petition gestartet.

Der Guardian über Stefan Herheim’s Wagner Revolution.

Parsifal verstehen, Teil 1, Teil 2, mit dem Dramaturg der Herheim-Inszenierung, Alexander Meier-Dörzenbach. Heike Scheele spricht über ihr Bühnenbild, so geht’s backstage zu; ein Zusammenschnitt von Spiegel TV-Making-of: Teil 1, Teil 2.

For everything Wagner: Wagneropera.net

Und nebenbei: die wunderbare Freyer-Produktion von Eugen Onegin gibt’s im Februar 2012 nochmal in Berlin zu sehen. Hingehen.

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05.08.2011

Bayreuth 2011: Lohengrin

Das letzte Mal war ich 2005 in Bayreuth – wenn Sie sich den Eintrag dazu mal eben durchlesen möchten? Ich warte. (Jeopardy-Musik) Fertig? Gut, dann kann ich ja jetzt die Basics des Festspielerlebens voraussetzen.

Nach den beiden letzten Inszenierungen war ich eher genervt von der ganzen Bayreuth-Chose, auch weil ich damals bereits zum vierten Mal da war, mein Rücken allmählich richtig von den Stühlchen erledigt war und ich auch so langsam einen Wagner-Overkill zu bekommen drohte. In den letzten Jahren erweiterte ich dann allmählich mein Opern-Repertoire um (vor allem) Puccini und Tschaikowsky, hörte in Donizetti rein, gab Mozart eine letzte Chance (es geht einfach nicht), merkte aber generell: Hey, andere Menschen schreiben auch schöne Opern. Von Richard sah ich gerade mal den Holländer (die Einstiegsdroge für Newbies – dauert nur gut zwei Stunden und ist noch sehr in der klassischen Operntradition geschrieben), das Rheingold (auch so’n kurzes Ding) und eine Bayreuth-Übertragung als Stream (Meistersinger). Diese Quasi-Wagner-Pause hat anscheinend sehr gut getan, denn als ich diesmal erfuhr, dass mein Mütterchen und ich wieder Karten bekämen – für Lohengrin und Parsifal –, habe ich mich sehr gefreut.

(Festspielbilder dürfen laut der Webseite nicht im Internet verbreitet werden, und der Abdruck im Print kostet Schotter – vielleicht klicken Sie da mal kurz rüber, um sich anzugucken, wovon ich jetzt ein bisschen schreibe. 2010, 2011. Ich habe für diesen Eintrag mein total legal erworbenes Programmheft abfotografiert und hoffe, dass das unter Zitatrecht fällt. Was weiß denn ich.)

Die Lohengrin-Inszenierung von Hans Neuenfels stammt vom letzten Jahr, daher wusste ich schon, was uns auf der Bühne erwartet: Ratten. Die wie immer wundervollen und FANTASTISCH LAUTEN Chöre steckten komplett in Rattenkostümen und bewegten sich dementsprechend: Da wurden Barthaare geputzt, es wurde sich hinter den Öhrchen gekratzt, die Vorderpfötchen suchten irgendwas in der Luft, und die Schwänze wedelten bei jeder Körperdrehung. Das ist schon ein sehr hübsches Bild, wenn geschätzt 50 mannsgroße Ratten Zeilen wie „Wohlauf! Mit Gott für Deutschen Reiches Ehr!“ schmettern.

Die Bühne ist ein übergroßes Labor, in dem die Ratten von blau gewandeten Statisten in Schach gehalten werden. Meistens jedenfalls, denn in einem Zwischenspiel behielten die Ratten mal die Oberhand, verjagten ihre Versuchsanordner und gaben sich dafür ein cooles High-Five. Aber im Prinzip habe ich die Inszenierung so verstanden: Wir sind alle Teil eines Versuchs, den irgendetwas oder irgendjemand mit uns durchführt. Und dann entsteht im Versuchsaufbau plötzlich eine Krisensituation – Elsa wird von Fiesling Telramund beschuldigt, ihren Bruder getötet zu haben. Sie bestreitet es, König Heinrich fragt, ob sie einen Fürsprecher habe, woraufhin sie von einem Ritter erzählt, der ihr im Traum erschienen sei. Auf einem Schwan. (Ja, die Zeile „Mein lieber Schwan“ stammt aus dem Lohengrin und ist eine sehr zärtliche Stelle.) Ein paar Liedzeilen weiter taucht eben dieser Ritter auf, verteidigt Elsas Ehre und bittet, wenn er schon mal da ist, auch gleich um ihre Hand. Aber das alles nur unter einer Bedingung: „Nie sollst du mich befragen, noch Wissens Sorge tragen, woher ich kam der Fahrt, noch wie mein Nam’ und Art!“ Im Klartext: Der gute Mann will seinen Namen nicht preisgeben, aber im Gegenzug rettet er dafür Brabant und den memmigen König vor Telramund und seiner giftigen, galligen Gattin Ortrud.


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Besonders der König (Georg Zeppenfeld) hat mir sehr gut gefallen, auch weil er seine schwächliche Rolle sehr clever gespielt hat. Ständig wird er gestützt, er kann kaum geradeaus gehen, ohne umzufallen, er klettert ängstlich hinter seinen Thron, der aussieht wie von Ikea, sobald irgendjemand etwas von ihm will, und seine Krone ist aus schwarzem Filz anstatt aus ehrfuchtsgebietendem Metall. Gegenspieler Telramund (Tómas Tómasson) darf in silbrig-glitzerndem Anzug ein bisschen pseudoprotzen und Macht vortäuschen, die er nicht hat, aber noch viel toller war Ortrud (Petra Lang). Das sieht man dem verlinkten Foto überhaupt nicht an, aber meine Güte! war die Dame verbissen darauf, Einfluss zu gewinnen. Wenn sie nicht sang, verknautschte sich ihr ganzes Gesicht zu einer einzigen Haben!HABEN!-Grimasse, die mich an irgendwas erinnerte, ich kam bloß nicht drauf, was. Mein charmanter Begleiter (Mama hatte die Karte aus Gründen abgegeben) wusste es und sagte es mir in der Pause: Sie sah ganz in echt und wirklich und wahrhaftig haargenau so aus wie Grace van Cutsem. Zumindest aus unserer Perspektive: Wir saßen extrem gut gelaunt in der zweiten Reihe, ein bisschen seitlich, aber scheißegal: zweite Reihe, Baby.


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Stimmlich fand ich alle drei großartig. Sowohl Zeppenfeld als auch Tómasson haben äußerst verständlich gesungen, und selbst Lang hatte Momente, in denen ich wusste, was sie von sich gab, was bei allem über Alt ja leider meist Glückssache ist. Aber sie hat von Anfang bis Ende eine solche Aggressivität und Besessenheit in ihre Stimme gelegt, dass man sich ihr überhaupt nicht entziehen konnte. Ich war schwer beeindruckt. Von der guten Elsa (Astrid Weber) leider etwas weniger. Sie blieb recht farblos; hübsch, adrett, unauffällig, was natürlich auch an der Rolle liegt, aber trotzdem – das einzige, was ich ihr gerne abgenommen habe, waren die Szenen, die sie alleine mit Lohengrin (Klaus Florian Vogt) hat, denn ihm war sie absolut ebenbürtig. Was wiederum an Vogt lag, der eine sehr weiche, lyrische Stimme hat. Er klingt für mich nicht wie der üblich schmetternde Heldentenor, sondern singt den Lohengrin romantisch, einfühlsam, fast vorsichtig. Klar kann er auch laut werden, und das tut er auch, aber ich war sehr von seiner sanften Stimme überrascht, die ich vorher noch nicht kannte. Das war für mich ein sehr neuer Lohengrin, und er hat mir ausnehmend gut gefallen.

(Wenn Sie vergleichen wollen: Vogt in einer anderen Inszenierung als Lohengrin; Bild und Ton sind leider nicht synchron. Als Gegenstück: René Kollo, der für mich mehr geradeaus klingt. Auch toll, aber eben anders. Bonustrack: Jonas Kaufmann, der die Rolle im letzten Jahr gesungen hat und den ich nicht ganz so mag.)

Und das ganze Drumherum gefiel mir noch mehr. Die Ratten schälen sich irgendwann aus ihren Kostümen, und darunter tragen sie zum Beispiel knallgelbe Anzüge. Keine Ahnung, warum, sah aber großartig aus. Die Rattenhüllen landen an Garderobehaken, die aus der Decke gefahren kommen, und irgendwann brüllt der vielstimmige, gelbe Chor ins Publikum, während über ihren Köpfen Häute und Schwänze baumeln. Vielleicht haben wir, die Versuchstiere, eben doch ab und zu einen eigenen Willen, eine individuelle Persönlichkeit, streifen kurz unser gesellschaftlich akzeptiertes Kleid ab, laufen wie Kanarienvögel rum – bis uns jemand zurück in den Käfig scheucht und wir wieder Schwänze haben.

Die Bühne war sehr hell erleuchtet, viel Neon, viel weiß, sehr klare Linien, immer schön an der Zentralperspektive ausgerichtet – wie ein Labor eben. Rechte Winkel, klare Aufgabenverteilungen, bloß keine Ausreißer. Deswegen habe ich mich besonders über eine pinkfarbene Ratte gefreut. Wieder ein Zwischenspiel, das Neuenfels irgendwie bebildern wollte, und so kommen acht rosafarbene Kinderratten auf die Bühne, die irgendwas Putziges tanzen. Bis auf eine Ratte, denn sie imitiert Uma Thurman aus Pulp Fiction, worauf sie von der Anführerin eins mit dem Schirmchen aufs Köpfchen kriegt, während ich mich im Zuschauerraum sehr zusammenreißen musste, um nicht allzu laut zu lachen. Im Nachhinein würde ich gerne wissen, wieviel Prozent des Festspielpublikums diese Referenz entdeckt haben. Es ist meiner Meinung nach schon jünger geworden, aber mit 42 reißt man den Schnitt dann doch sehr nach unten. (Und mein Begleiter war noch jünger!)


©Bayreuther Festspiele (Enrico Nawrath/Jörg Schulze)

Uma war schon ein sehr schöner Moment, aber der schönste war der Schluss. (Der drittschönste war das Vorspiel, bei dem ich natürlich angefangen habe zu weinen, aber hey, das liegt am Vorspiel.) Normalerweise kann sich ja kein Opernpublikum beherrschen, bis die letzten Töne verklungen sind, bevor geklatscht und gebuht wird. Gefühlt will jeder der erste sein, der seine Meinung kund tut, und in Bayreuth ist das nicht anders. Und ich, ich Harmoniepuschel, will nach den letzten Tönen ein, zwei, zehn Augenblicke der Ruhe und Einkehr haben, um aus der Oper aufzutauchen und wieder im Zuschauerraum zu landen. Neuenfels und mein Mit-Publikum haben mir beim Lohengrin ein absolutes Geschenk gemacht. Chöre und Orchester blasen nochmal richtig Attacke, bevor der Schlussakkord kracht, und normalerweise könnte man dann halt losklatschen. Hier marschiert Lohengrin aber von der Bühnenmitte in Richtung Orchester bzw. Zuschauerraum – und er bleibt nicht stehen, obwohl die Musik vorbei ist. Er geht einfach weiter auf uns zu, langsam und zielstrebig, bei voll erleuchteter Bühne – und erst nach mehreren, fast unendlich scheinenden Sekunden erlöscht das Licht. Und selbst jetzt warteten die Schnellklatscher lieber noch ein paar Momente, falls doch noch was passierte. Es war aber wirklich Schluss, die Applausmaschine rollte, die Bravo-Rufe wurden laut, und ich war sehr, sehr glücklich über diese kurzen Augenblicke von purer, spannungsgeladener Stille. Das habe ich noch nie in der Oper erlebt, und ich werde mich noch sehr lange daran erinnern.

(Tat auch nicht weh, dass Vogt in schwarz und schlicht und V-Ausschnitt und blauen Augen und blonder Wallemähne in meinen tränenverhangenen Augen wie Marcus Schenkenberg aussah und quasi auf mich zukam. Nee, war schon in Ordnung.)

Ihr könnt tollerweise dieses Wunderwerk auch sehen und zwar entweder per Livestream im Internet oder bei arte, beides am 14. August. Ich bin wieder dabei. (Falls da nicht Bayern spielt.)

07.07.2011

My Deern so far

Maike twitterte vor ein paar Tagen: „hurra! heute morgen lag die fahne von @ankegroener s buch auf meinem schreibtisch <3“, woraufhin mir schlagartig klar wurde: Maike ist die erste, die das Ding lesen wird nach mir, meiner Lektorin und der Rowohlt’schen Pressedame. Und da war auf einmal das Gefühl da, das ich nur von Blogeinträgen kenne, die mir richtig am Herzen liegen, dieses flatterige, uh, hoffentlich gefällt’s ihr.

Es war einmal vor langer, langer Zeit, genauer gesagt im September 2010, ein freundlicher Lektor, der mir eine Mail schrieb, in der er fragte, ob ich vielleicht Zeit für ein kleines Treffen hätte. Da ich noch nie mit einem Lektor Kaffee getrunken hatte, sagte ich ja und traf den erwähnten Herrn, der noch eine blubberige Dame mitbrachte, zu der ich heute „meine Lektorin“ sage. Wir siezten uns beim ersten Treffen noch brav, beim zweiten dann nicht mehr, tranken Kaffee und sprachen über Bücher. Vor allem über eins, das ich gefälligst schreiben sollte. Den ersten thematischen Vorschlag, den sie für mich hatten, möchte ich nicht erwähnen – meine Reaktion war ungefähr „Den Scheiß will ich nicht mal lesen, geschweige denn schreiben“ –, den zweiten schon, denn der lautete: Essen. Körpergefühl. Der dicke Hintern, der dir glücklich folgt, wenn du den Kopf mal freigekriegt hast vom ganzen Diätgequatsche und der WIR WERDEN ALLE STERBEN-Fetthysterie.

Ich stimmte nicht sofort zu, denn ich fühle mich in meiner kleinen Internetecke ziemlich wohl und wollte gar nicht an die große Öffentlichkeit. Deswegen sage ich so gut wie alle Anfragen für Lesungen und Kooperationen und Gastartikel und ähnlichem ab, weil mir mein Blog reicht. Das ist klein und übersichtlich und puschelig, keine_r nölt (naja, fast keine_r), ich schreibe vor mich hin, kriege schöne Mails und Buchgeschenke und gut ist. Daher zauderte ich ein bisschen, bis jemand den alles entscheidenden Satz sagte: „Anke! Tu’s für uns Frauen!“ Klingt pathetisch, war aber genau der Tritt, den ich brauchte. Wie sehr, merke ich jeden Tag, wenn ich mit Bekannten oder Kolleginnen über das Buch und seinen Inhalt spreche. Ich kenne keine, und ich meine wirklich: keine Frau, die sich vor den Spiegel stellt und sagt: „Jepp. Alles super. Nix ändern.“ Und ich kenne kaum eine Frau, die einfach isst. Einfach so, ohne „Darf ich das? Muss ich danach ne Stunde auf den Stepper? Kann ich frühstücken, wenn ich heute abend zwei Bier trinken will? Komme ich in die Hölle, wenn ich an Snickers denke? Ich sollte mal wieder Sport machen. Ich sollte fettfreie Jogurts kaufen. Ich sollte, ich müsste, ich darf nicht.“ Fuck that.

Also sagte ich mündlich zu, Lektor-Girl und ich stießen mit Sekt an und ich fragte, wann der Abgabetermin sei. Was man halt so fragt als professionell Schreibende – immer erstmal abchecken, wie viel Zeit man hat. Antwort: „Kannst du dir aussuchen. Kann ein Jahr dauern. Fürs Weihnachtsgeschäft wäre Abgabe Ende Juni, für die Buchmesse Ende April.“ Und ich Hirn so (wir sind im Dezember): „April? Das ist ja total entspannt. Nehm ich.“

Wenn Petrus mich irgendwann fragen wird, was ich in meinem Leben bereue, dann wäre das: in der Jugend geglaubt zu haben, ich sei fett, hässlich und müsse abnehmen – meinen ersten Freund betrogen zu haben – die Bemerkung „April? Das ist ja total entspannt. Nehm ich.“

Ich handelte mit meinem damaligen Arbeitgeber den Deal aus, nur vormittags arbeiten zu müssen, damit ich nachmittags schreiben konnte. Klang total super, den halben Dezember verdaddelte ich natürlich mit Rumlungern ab 14 Uhr und entspannt kochen, ist ja auch bald Weihnachten, keinen Stress hier, wir haben ja EWIG ZEIT, aber im Januar fing ich an, die ganzen schlauen Bücher, die ich mir zu meinen eigenen Bauchgefühlen und Erfahrungen gekauft hatte, auch mal zu lesen. Und ich dachte über Themenaufteilung nach.

Die Blogeinträge zum Thema „Essen, Foodcoaching, Körperakzeptanz“ nutzte ich als Grundgerüst (das war superschlau, denn so hatte ich schon mal knapp 60 Seiten der vertraglich vereinbarten 224 fertig). An diese Blogeinträge dockte ich Themen an, schrieb Stichworte auf Zettel und Karteikarten und klebte Post-Its in Bücher. Je mehr ich las, desto mehr Stichworte schrieb ich auf Zettel und Karteikarten, sortierte irgendwann mal meine Sammlung, tippte diese brav ab und teilte sie in einzelne Kapitel ein.

Damit fuhr ich zum ersten Mal nach Reinbek, war angemessen davon beeindruckt, dass in der Eingangshalle von Rowohlt die Bücher von Herrn Lobo und Herrn Buddenbohm standen (neben vielen anderen) und legte die Kapitelübersicht Lektor-Girl vor. Außerdem hatte ich schon ein Vorwort geschrieben. Das mache ich bei so ziemlich allem Längeren: Ich fange brav vorne an, um mich in irgendeine Tonalität reinzuschreiben und gucke dann, wo mich das hinführt. Das Vorwort war dann auch das Kapitel, an dem ich am wenigsten rumgedoktert habe; das war im Januar gut, und das war auch im April noch gut. Und weil es das erste war, mit dem Lektor-Girl innerhalb des Verlages für mich und die Deern Werbung machen konnte, ist das auch der Schnipsel, der jetzt bei Amazon steht, in der Wunderlich-Verlagsvorschau und überhaupt überall, wo es um mein Buch geht.

Das Schreiben, dachte ich, sei nicht großartig anders als wenn ich Autokataloge texte: Ich suche alles an Informationen zusammen, was ich finden kann, bringe sie in eine sinnvolle Reihenfolge, gebe einen Schuss Anke dazu und fertig ist das Buch.

Dachte ich. (*hau auf Hinterkopf*)

Denn natürlich bekam ich ab Januar lustig Autokataloge und Buchthemen im Kopf durcheinander. Ich saß in der Agentur und dachte an Biomilch, ich saß zuhause und dachte an Getriebevariationen. Ich ging in die Agentur und überlegte, ob ich über Fleischkonsum schreiben sollte, ich ging nach Hause und hatte die Meetings im Kopf, die hinter mir lagen. Ich wachte nachts um 2 auf, weil ich an Magenverkleinerungen dachte und zwei Stunden später nochmal, weil ich an V8-Motoren dachte. Neben meinem Bett lagen Karteikarten, in meinem Rucksack waren welche, auf dem Sofa sowieso, im Bus las ich immer mit gezücktem Bleistift, übertrug abends die unterstrichenen Zeilen auf Karteikarten, sortierte die mit denen, die ich nachts vollgeschrieben hatte und wurde immer müder, gereizter und überarbeiteter.

Schließlich fand ich den Rhythmus „Montag bis Freitag schreibe ich nur über Autos“ plus „Am Wochenende schreibe ich mein Buch und den Rest der Woche lese ich viele, viele, viele Bücher von anderen zum Thema“. Wobei ich hier schnell merkte: Wenn man ein gutes Buch zum Thema gefunden hat (bzw. zu den drei, vier, fünfzehn Themen, die ich im Buch anspreche), findet man im Anhang gleich noch zehn weitere, die man auch lesen könnte. Was mich am meisten ärgert an meiner selbstgewählten Deadline: Ich hätte noch so … viel …lesen können. Wobei Lektor-Girl (wahrscheinlich zu Recht) meint: „Man kann IMMER mehr lesen. Das passt schon.“ (Trotzdem!)

Das klang im Blog schon mal an, und ich sage das gerne nochmal: Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so richtig urlaubsreif gefühlt. Ende April war ich soweit, dass ich drei Wochen einfach nur noch schlafen wollte. So schlau war ich immerhin, dass ich Anfang Mai Pause machte, erstmal zwei Wochen rumlag und dann ein paar wundervolle Tage in Rom verbrachte. Ich bin immer noch überrascht davon, wie nötig das war – und wie sehr diese Tage noch in mir nachhallen. Ich sitze seit fünf Wochen wieder in der Agentur, und obwohl ich natürlich auch genervte Minuten und Stunden habe, ist das Grundgefühl immer noch ein halbwegs entspanntes. Wie ich schon in einem der Rom-Einträge schrieb: Alles, was du machst, wirkt ziemlich banal, wenn du die Sixtinische Kapelle und die Raffael’schen Stanzen gesehen hast.

Was nicht heißt, dass mir mein Buch inzwischen egal war. Denn nach der Abgabe – hier zwei kleine Impressionen von den Momenten, bevor ich die Mail mit dem Word-Dokument als Anhang losschickte:

– kam ja das bange Warten auf das Feeback. Kapiert man das alles, was ich so schreibe? Bringt einen das irgendwie weiter? Nervt das, dass ich mich um geschlechtergerechte Sprache bemüht habe, also dass ich nicht nur von „Ärzten“ spreche, sondern immer von „Ärzten und Ärztinnen“? (Laut Lektor-Girl nervt das überhaupt nicht – es fällt nicht mal auf. SAG ICH DOCH.)

Das Feedback war klasse, die Korrekturen absolut im Rahmen und dazu auch noch lehrreich: Ich weiß jetzt, dass ich im Blog gerne im Perfekt plaudere, weil ich auch im Perfekt spreche (und schon der alte Lessing wusste: Schreib wie du sprichst), und im Blog ist das auch okay, aber gedruckt nervt das irgendwann ziemlich, wenn man auf einer Seite zwanzigmal „habe“ lesen muss. Die meisten Korrekturen waren also „aus Perfekt Imperfekt“ machen, die zweitmeisten: „Wenn du aus englischen Büchern zitierst und das leser_innenfreundlich übersetzt, darfst du das Original gerne weglassen.“ (Nebenbei: Nein, ich habe im Buch nicht die Gender Gap verwendet. Ja, ich weiß, dass ich gerade Perfekt genutzt habe. Enteenteente.)

Ich drehte also noch ein winzige Korrekturschleife, schickte das Ding wieder zurück und wartete auf den Umbruch. Das ist die Druckfassung bzw. die Druckfahne, die jetzt schon rausgeht, obwohl das Buch erst Mitte September erscheint. Im Umbruch durfte ich auch nochmal mit rot rummalen, was sich aber in Grenzen hielt. Ich fand wieder Rechtschreibfehler, was ich wirklich nicht mehr glauben wollte, weil ich jedes Kapitel bis dahin geschätzt fünfzig- bis achtzigmal gelesen hatte. Lektor-Girl: „Man findet immer noch Fehler, und auch im gedruckten Buch wird garantiert einer sein.“ Was mich ja jetzt schon wahnsinnig macht. Andererseits habe ich auch in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ Fehler gefunden, und den Text sollten inzwischen schon ein paar Menschen gegengelesen haben.

Jetzt weiß ich also, in welcher Typo mein Buch gesetzt wird (I like), dass es Guillemets als Anführungszeichen hat (I like) und dass die einzige Baustelle jetzt nur noch das Cover ist. Denn das Ding, das überall zu sehen ist, ist eine vorläufige Fassung und ich bin alles andere als einverstanden mit ihr. Falls sich das nicht mehr ändert, dann hier fürs Protokoll: Die Dame auf dem Fettwegrubbelgerät SOLL NICHT GUCKEN, ALS OB SIE DAS TOLL FINDET. Tut sie aber (noch?). Bitte kaufen Sie mein Buch trotzdem, es stehen wirklich schöne Sachen drin.

Glaube ich jedenfalls. Weiß ich aber nicht, denn wie da ganz weit oben angesprochen: Im Prinzip haben das erst drei Menschen gelesen. Nicht mal dem Kerl habe ich es gezeigt, und ich weiß überhaupt nicht mehr, warum nicht. Ich bin wirklich einfach nicht auf die Idee gekommen, es mal irgendwen lesen zu lassen. Daher kann ich jetzt nur hoffen, dass die positive Meinung von drei total voreingenommenen Frauen (Autorin, Lektorin, Pressetante, die es an Redaktionen verkaufen soll) halbwegs objektiv ist.

Ich nehme an, das werde ich im September erfahren, wenn die ersten Rezensionen auflaufen.

Dann macht mal. Ich HABE fertig.

23.06.2011

Broeding

Mein Kurzkurzurlaub in München beinhaltete nicht nur die Alte Pinakothek, sondern vor allem einen Besuch bei der charmanten Frau Kaltmamsell und einem gemeinsamen Essen im Broeding. Das Restaurant ist recht klein und war bei unserem Besuch hell erleuchtet; hätte ich das gewusst, hätte ich die Digitalkamera eingepackt. So lag diese faul zuhause rum, während ich im Laden mit dem iPhone fotografierte. Zudem waren wir so ins Gespräch und die begleitenden Weine vertieft, dass ich zwei Gänge komplett vergessen habe.

Der Gruß aus der Küche: kalte Tomatensuppe mit Mozzarella und Artischockenchips. Unaufgeregt und stimmig. Dazu gab’s für mich als Aperitif einen Apfelsekt (mehr! nochmal! kaufen wollen!) und für meine Begleiterin irgendwas Alkoholfreies, das mit Kardamom gewürzt war. Auch ganz großartig. Blöderweise ist das das einzige Getränk, an das ich mich erinnere. Ich muss wirklich anfangen, die Etiketten der Weinflaschen zu fotografieren, wenn sie mir entgegengehalten werden – oder zumindest notieren, was ich hatte, denn bis auf einen Grünen Veltliner (na toll, DEN hab ich mir gemerkt) haben mir alle Weine sehr, sehr gut geschmeckt. Aber immerhin habe ich mir merken können, dass Smaragd nicht nur ein Edelstein, sondern auch ein Gütesiegel für Wein aus der Wachau sein kann, denn der Service war nicht nur schnell und freudlich, sondern auch sehr auskunftsfreudig.

1. Gang: Zweierlei vom Reh mit Salat und Cranberry-Mayonnaise. Mit essbaren Blumen kriegt man mich ganz leicht rum, aber der Kracher war für mich die Cranberry-Mayonnaise. Ich liebe ja die Kaffeemajo aus dem Momofuku, aber auf die Idee, da was Fruchtiges runterzurühren, wäre ich nie gekommen. Während der Kaffee diese weichwarme Schlotzigkeit von Majo unterstützt, geben die leicht säuerlichen Cranberrys dem ganzen einen richtig schönen Schubs in die frische Richtung, ohne dass es plötzlich zu Jogurt wird. Sehr seltsam beim ersten Bissen und sehr großartig beim zweiten.

Den 2. Gang habe ich vergessen zu fotografieren, das wäre Seeforelle mit Pfifferling-Sugo gewesen. Den hätte ich euch gerne gezeigt, weil der weiße Fisch eine herrlich knusprige Haut hatte, und obwohl ich kein Pilzfan bin, habe ich den ganzen Pfifferling-Sugo, den mein Löffel nicht erwischt hat, mit Brot aufgetunkt. Sehr wenig Waldboden, aber dafür sehr viel Würze.

3. Gang: Kartoffel-Ravioli mit schwarzen Walnüssen. Angenehm cremige Füllung, leicht knackige Nüsse, alles irgendwie kuschelig zusammengewürzt – flauschiges Wohlfühlessen.

4. Gang: Gebratene Lammhüfte mit Bohnen und Zucchiniblüte. Die Bohnen waren vielleicht eine Winzigkeit zu hart, aber das mag persönlicher Geschmack sein. Jedenfalls hat mich der Rest des Menüs mehr begeistert. Vor allem die Zucchiniblüte, an die ich mich auch noch nie rangetraut habe, weder beim Essen noch beim Zubereiten. Aber wie schon gesagt: Mit essbaren Blumen kriegt man mich immer. Mit Lamm sowieso.

5. Gang war Käse: Fougerus mit marinierter Feige und, wie Frau Kaltmamsell sich ausdrückte, Keksen aus dem Ökoladen. Ich formuliere es wohlwollender: Die formstabilen Kekse boten einen spannenden Kontrast zu … nee, warte. Die waren steinhart, aber dafür war der Käse äußerst schmackhaft, sowohl mit der Feige als auch mit dem würzigen roten Irgendwas. (Das ist der Paprikatomatenschlumpf, und der hat auch schon fünf Gläser Wein intus.)

Frischestes, fast fruchtiges Magenaufräumen mit Basilikumsorbet, Olivenöl und Sauerrahm. Danach gab’s noch herrlich warme, süße Marillenknödel mit Hollersauce und einem ebenso wunderbaren Dessertwein, aber auch die habe ich vergessen zu fotografieren.

Den einzigen Wein, den ich per Notizfunktion auf dem iPhone notiert hatte, als die Flasche auf dem Nachbartisch stand, war der Morillon Zieregg vom Weingut Tement. Von dem würde ich mir gerne noch einen Nachschlag ordern, aber der Weinshop vom Broeding wird gerade überarbeitet. Macht mal hin, ich will noch mehr Geld bei euch ausgeben. Und wiederkommen will ich auch. Dringend.

20.06.2011

Groupietum, 500 Jahre zu spät

Nachdem ich in Rom gemerkt hatte, wie wundervoll das ist, sich mal wieder ein bisschen altes Zeug anzugucken, buchte ich am Wochenende äußerst spontan einen Flug nach München, um a) mit Frau Kaltmamsell gut essen zu gehen und b) vorher der Alten Pinakothek einen Besuch abzustatten. Ich sparte mir das gesamte Erdgeschoss, denn ich wollte nur eins: den Herrn Raffael wiedersehen, dessen Stanzen mich im Vatikan so beeindruckt hatten.

Vor den italienischen Malern bot der erste Stock aber erstmal ein paar Franzosen, Holländer und Flamen. (Nein, keine _innen.) Ein paar Bilder notierte ich mir, um sie zuhause in Ruhe zu ergoogeln, weil sie mir so gut gefallen haben, dass ich mehr über sie wissen wollte. Über die meisten erzählte mir freundlicherweise der hervorragende Audioguide etwas. Mit den Dingern stehe ich manchmal auf Kriegsfuß – das letzte Mal schleppte ich sie im Grünen Gewölbe mit mir rum, und da reichten zehn Minuten, um sie mir zu verleiden. Den hier kann ich aber weiterempfehlen: Die Infos sind gefühlt um die fünf Minuten lang, nicht zu kurz, nicht zu schnarchig, die Sprecher_innen gut ausgewählt, und zu den meisten Bildern kommt ein Fakt, den man sich prima für Small Talk merken kann. So zum Beispiel zu „Das Große Jüngste Gericht“ von Rubens, eines der größten Bilder, die je in Europa gemalt wurden. Der Saal, in dem das Bild hängt, wurde eigens dafür konzipiert – und der Rest des Museums wurde dann um diesen Raum herum gebaut. Das „Gericht“ ist das einzige Bild, das noch am gleichen Ort hängt, an dem es zur Eröffnung des Museums 1836 hing.

(Ich mag solche Geschichten.)

Im Vatikan hatte ich gelernt, dass man auch „punktuell“ durch ein Museum gehen kann, ja, dass das vielleicht sogar die schlaueste Methode ist, um sich nicht selbst zu langweilen. Also: nicht jedes Bild angucken bzw. vor jedem pflichtbewusst stehenbleiben, sondern sich die rauspicken, die einen sofort erwischen. Ich gucke mir im Cinemaxx ja auch nicht alle zehn Filme an, nur weil sie da sind, sondern nur den, den ich eben sehen möchte. Also ließ ich in jedem der Räume den Blick erstmal schweifen, sah sofort ein, zwei, drei Bilder, die mich anlachten, machte trotzdem brav eine Runde – manches sieht ja erst auf den zweiten Blick toll aus –, schlenderte aber doch relativ zielstrebig zu den Auserwählten und gönnte mir dann dort eine etwas längere Zeit. Es war leider nicht zu allen etwas auf dem Audioguide zu finden, aber deswegen notierte ich mir die Titel ja auch.

Eins der ersten Bilder, das mir auffiel – auch wegen seiner Größe, aber noch mehr wegen des Inhalts – war nochmal ein Rubens: „Der Höllensturz der Verdammten“. Vor dem Gemälde kann man durchaus einen halben Tag zubringen, um alle Figuren zu erfassen, die dort ins Fegefeuer stürzen. Es kam mir sehr modern vor, und ich habe mich an Moores und Gaimans Comics erinnert gefühlt. (Nein, ich behaupte, damit tue ich weder Herrn Rubens noch den anderen beiden Jungs unrecht.)

Ein kleiner Ausgleich: die weltliche Pracht des „Obst- und Gemüseladens“ von Frans Snyders. Sieht in Wirklichkeit deutlich schmackhafter aus. Und wenn man nach dem Mann googelt, findet man noch viele weitere leckere Stillleben.

Dann fiel mir Tintorettos „Bildnis eines Jünglings mit einer Skulptur der Lucretia“ ins Auge, weil es zwischen der ganzen Farbenpracht und dem Jesus-Maria-Apostel-Overkill sehr herausstach. Es sieht fast schwarzweiß aus, so stark ist der Kontrast zwischen dem dunkel gekleideten Jüngling und der weißen Statue, an der er lehnt. (Finde ich nicht bei Google. Hm.)

Und dann kam ein Bild, das ich von nun an als mein neues Lieblingsbild bezeichne (sorry, Seerosen): „Die mystische Vermählung der hl. Katharina“ von Lorenzo Lotto, der mir vorher, ehrlich gesagt, unbekannt war. Weder mein Monitor noch das Buch, das ich sofort im Museumsshop erwarb, kann die Farbpracht auch nur annähernd wiedergeben, die einem entgegenleuchtet, wenn man vor dem Werk steht. Es erzeugt eine tiefe Ruhe, der knarrende Fußboden ist auf einmal egal, die Schulklasse im Raum hinter einem auch, ich versank völlig in den Falten der Gewänder, dem ruhigen Gesicht von Maria und dem weichgrünen Vorhang, der die Intimität der Szene noch verstärkt. Ein wunderschönes Bild, und mir fehlen absolut die Worte, es adäquat zu beschreiben. (Und mir fehlt die Fähigkeit, das iPhone ruhig zu halten.)

Von Fra Filippo Lippi mochte ich besonders „Maria mit dem Kind“, das Google nur in winzig ausspuckt bzw. anscheinend hat der gute Mann 700 Bilder gemalt, in denen die Worte „Maria“, „Madonna“, „Kind“ etc. vorkommen. Ich meine das hier. Die Gesichter waren nicht so plüschig wie die meisten anderen, und die Details sind so feinziseliert, dass es sehr neu aussieht. Klingt blöd, weiß ich, aber es wirkt eben, als wären die Ärmel gestern bestickt worden, weil sie heute noch so golden schimmern.

Verstörend, selbst wenn man christlichen Motiven nichts abgewinnen kann: „Die Beweinung Christi“ von Botticelli. Auch hier muss man davorgestanden haben, anstatt einen Link anzuklicken. Die Farbigkeit ist nicht so intensiv wie bei Lotto, aber die verzerrten Gesichter und die dramatischen Posen haben mich sehr gefangen. Und auch hier: Es sieht nicht so aus, als sei es 500 Jahre alt. Die Figuren haben mich an Picasso und den Kubismus erinnert, denn sie sind nicht ganz perspektivisch korrekt bzw. eindeutig nicht so gemalt, als sollten sie ein Abbild sein. Die erschienen mir wie Sinnbilder, und sie sind nicht so rund, wie sie unter dem Link aussehen. Mir kamen sie sehr scharfkantig vor; man fühlt mit ihnen, was sie fühlen. (Verdammt, Bilder zu beschreiben ist noch schwieriger als Wein!)

Und dann kamen schließlich die drei Werke von Raffael, für die ich den Flug gebucht hatte. „Die Heilige Familie aus dem Hause Canigiani“, „Die Madonna Tempi“ (das ist die Dame oben in diesem Posting) und „Die Madonna della Tenda“. Alle drei scheinen von innen zu strahlen, und wenn man den Saal betritt und sich einmal umschaut, bleibt man sofort an ihnen hängen. Ich weiß schon gar nicht mehr, was noch an den Wänden war. Ich setzte mich erstmal direkt vor sie und gucke einfach zehn Minuten vor mich hin. Auch sie verströmen eine ganz eigene Ruhe, fast eine Aura. Während andere Bilder, zum Beispiel der bewegte „Höllensturz“ voller Aktion sind, sind diese drei eine Momentaufnahme – aber die scheint sich zur Ewigkeit auszudehnen. Alle Figuren fühlen sich bewusst an, in ihrem Tun gefestigt, so dass das, was sie gerade machen, nie an Gültigkeit verlieren wird.

Danach schlenderte ich noch an ein paar Holbeins und Dürers vorbei, und das war auch alles wunderbar, aber ich glaube, ich habe mein Herz an die italienische Renaissance verloren. Obwohl ich mich durchaus auch von Treppenhäusern in Museen beeindrucken lasse.

Ich weiß nicht, warum mich die Kunst gerade jetzt so erwischt. Vielleicht ist es noch ein Rom-Nachklingen, vielleicht musste ich erstmal gestresst genug sein, um zu spüren, wie wundervoll es ist, sich von der Ruhe und Präsenz eines Bildes einfangen zu lassen, vielleicht ist es eine Altersfrage. Aber auch wenn das alles gerade nicht auf euch zutrifft, kann ich euch die Alte Pinakothek sehr ans Herz legen. Ich habe zwei Stunden in ihr zugebracht, aber sie scheinen nicht aufzuhören.

12.06.2011

Musterbeispiel

Für mein Büchlein beschäftigte ich mich auch Medienbildern – also den massenhaften Fotos von Frauen, die uns als „Norm“ präsentiert werden, was sie in den seltensten Fällen sind. Um einen Fakt aus dem Buch vorwegzunehmen: Das durchschnittliche Model ist heute 1,80 m groß, wiegt um die 55 kg und hat meistens zu wenig Körperfett, um zu menstruieren. Trotzdem werden diese Ausnahmeerscheinungen uns als „normal“ und „erstrebenswert“ präsentiert.

Wenn man sich über derartigen Quatsch aufregt, bekommt man des Öfteren zu hören: „Mich stört das nicht. Ich weiß ja, dass Models nicht „normalen“ weiblichen Körpern entsprechen. Ich kann das unterscheiden.“

Wie sehr diese Bilder uns und unsere Wahnehmung von „normal“ beeinflussen, kann man gerade hervorragend bei einer Spon-Bilderstrecke bewundern. Es geht um die Finalshow von Germany’s Next Top Model (zum Sinn und Unsinn dieser Sendung sage ich mal nix), in der Lady Gaga aufgetreten ist. Ich persönlich halte den Körper von Lady Gaga auch schon für schlanker als den Durchschnittskörper (50% aller Amerikanerinnen tragen Größe 42 und drüber, bei uns sieht es ähnlich aus) – aber seht selbst, was passiert, wenn man sich durch die folgenden sieben Bilder klickt. Auf den ersten sieht man die hyperschlanken Finalkandidatinnen und die ebenso hyperschlanke Frau Klum – und dann die schlanke Lady Gaga.

Und dann erzählt mir nochmal, dass diese Fotos nicht auch an eurer Wahrnehmung drehen.

Edit: Post von Lu.

„Moin Anke,

da muss ich nun aber doch mal meinen Senf zu Deinem Eintrag zu den „normalen“ Frauen und den Wahrnehmungen loswerden, aus einem anderen Blickwinkel allerdings.

Du schreibst:

Wie sehr diese Bilder uns und unsere Wahnehmung von „normal“ beeinflussen, kann man gerade hervorragend bei einer Spon-Bilderstrecke bewundern. Es geht um die Finalshow von Germany’s Next Top Model (zum Sinn und Unsinn dieser Sendung sage ich mal nix), in der Lady Gaga aufgetreten ist. Ich persönlich halte den Körper von Lady Gaga auch schon für schlanker als den Durchschnittskörper (50% aller Amerikanerinnen tragen Größe 42 und drüber, bei uns sieht es ähnlich aus) – aber seht selbst, was passiert, wenn man sich durch die folgenden sieben Bilder klickt. Auf den ersten sieht man die hyperschlanken Finalkandidatinnen und die ebenso hyperschlanke Frau Klum – und dann die schlanke Lady Gaga.

Die Durchschnittsfrau trägt in der Tat zwischen 40 und 42, wobei sie sich im normalen Feld bewegt. Aber genau so wie Du Toleranz forderst, und sagst: Auch dicke Körper können gesund sein, genau so sage ich: Ja, und auch schlanke Körper können das und sind das. Nicht jede Frau um die 1,75 mit 60 Kilo hat Mensisprobleme, und erst recht keine junge Frau. Die Mädchen, die bei der aktuellen Staffel von GNTM liefen, hatten durch die Reihe weg sportliche, schlanke Körper (Also die späteren Top 10) Es wurde diesmal nicht auf magere Störche gecastet, sondern wirklich auf Mädchen, die Kondition haben und sportlich sind. Heidi Klum ist nicht hyperschlank, jedenfalls nicht in meinen Augen, sondern hat für eine mehrfache Mutter und ihr Alter eine wirklich gute Figur. Und das ist der nächste Knackpunkt:

Die von Dir als hyperschlank wahrgenommenen Mädchen sind in einem Alter, wo sie noch so sein dürfen. Zwischen 16 und 18 sind sie noch nicht komplett ausgewachsen, die Körper haben noch Wachstumsschübe, was ihnen oft noch zu diesen unweiblichen, sehr geraden Beinen verhilft etc. Das alles ändert sich ab spätestens 20 wenn die weiblichen Hormone zuschlagen, die Drüsen anders arbeiten, wobei sich dann auch verschieben würde, dass sie tatsächlich zu dünn sind, würden sie so bleiben. Das bedeutet nämlich für die meisten dann starke Entbehrungen, um als Frau noch einen mädchenhaften Körper zu behalten. Lady Gaga ist schon 25 und groß wie eine Bierdose. Da drückt sich der Po mal zusammen, wenn sie tanzt J

So, das wollte ich einmal kurz loswerden. Toleranz für die schlanken, jungen Fohlen, und Hut ab für Frau Klum (die nach jedem Baby immer mit Herrn Kirsch geackert hat, und auch sagt, dass es Arbeit und nicht Glück ist, wenn man wieder in Form kommen muss.)“

Meine Antwort (natürlich habe ich Lu um Erlaubnis gefragt, ob ich unseren Mailwechsel abdrucken darf):

Gnarg. Ich finde das inzwischen fast lustig, dass ich bei jedem Eintrag oder Kommentar (wie neulich bei der Kaltmamsell) dazusagen muss: Ich hab nix gegen dünne Frauen. Von mir aus kann der ganze Rest der Welt dünn sein, solange ich weiter dick sein kann. Das schreibe ich sogar gleich an zwei Stellen im Buch, weil ich geahnt habe, dass der Spruch irgendwann kommt.

In meinem Blogeintrag geht es nicht darum, ob dünn oder dick gesund ist oder normal oder was weiß ich. Vielleicht war das geringe Körperfett der Auslöser für deinen Kommentar, aber mir ging es um den Blickwinkel, der sich verschiebt, wenn man die ganze Zeit sehr dünne Frauen vorgesetzt kriegt – und auf einmal sieht eine „normale“ Frau eben dick aus. Das ist alles.

Und dass eine 1,75-Frau mit 60 Kilo menstruiert, stelle ich auch nirgends in Abrede. Aber 1,80 und 55 ist für mich einfach extrem. Nicht ungesund, nicht eklig, sondern extrem und alles andere als „normal“. (Auch das Wort schreibe ich im Buch konsequent in Anführungszeichen.)

07.06.2011

Unbezahlte Werbung

Wo ich gerade einige Mails kriege, die sich nach Studiosus erkundigen, mit denen ich in Rom ja augenscheinlich extrem zufrieden war: Ich schrieb schon einmal (weitaus kürzer) über meine drei bisherigen Reisen mit dieser Organisation nach Ägypten, China und Israel.

Ich weiß, dass das nicht für jede/n was ist, mit einer Gruppe rumzureisen, es ist nicht ganz billig, und ich kenne auch das (nicht ganz falsche) Vorurteil, dass bei Studiosus gerne besserwisserische Studienrät_innen mitreisen. Und natürlich gibt es bei Gruppenreisen immer das Risiko, dass mindestens eine totale Nervensäge dabei ist (war bis jetzt auch immer so). Trotzdem empfehle ich den Laden allen Menschen, die mich danach fragen, bedenkenlos weiter. Die Studienreisen waren immer ausgezeichnet organisiert – andere Reiseformen wie City Lights, Sprachreisen etc. habe ich noch nicht ausprobiert –, und die Reiseleitungen waren, bis auf einen Ausrutscher in Israel (siehe alter Blogeintrag), fantastisch. Meine Eltern sind noch deutlich öfter als ich mit Studiosus unterwegs gewesen, und auch sie meinen, Israel sei die einzige Reise, wo sie mit der Reiseleitung nicht ganz so glücklich waren.

Worauf man sich einstellen muss: Wer in meinem Alter ist, ist durchschnittlich 25 bis 35 Jahre jünger als der Rest. Das hat Vor- und Nachteile. Die Mitreisenden haben zum Beispiel 25 bis 35 Jahre Vorsprung, was die Bildung angeht. So meinte unser Reiseleiter in Rom des Öfteren, diesen Baustil/diesen Malstil/diese Deko kennen Sie ja sicher alle, Florenz, Uffizien und so weiter. Und alle nickten total wissend, während ich mir eine mentale Notiz machte, dass ich das nachher im Hotel dringend mal googeln müsste. Gleichzeitig mag ich das an Studiosus: dass man ein bisschen Wissen voraussetzt und die Reiseleitung nicht erklärt, wer eigentlich dieser komische Konstantin war, dem wir in Rom ab und zu begegnen. Ich habe im Nachhinein aber gemerkt, dass es mir nicht geschadet hätte, vor Reiseantritt nochmal kurz den Wikipedia-Eintrag zur Renaissance zu überfliegen.

Die meisten Teilnehmer_innen haben, auch bedingt durch ihr Alter, schon die halbe Welt gesehen, und wenn man Pech hat, erzählen sie einem das dauernd. Was ziemlich nervt, während man vor einer Kirche steht und eigentlich was über diese Kirche hören möchte. Was aber toll ist, wenn man beim gemeinsamen Abendessen ein Gesprächsthema sucht. Ich bin jedenfalls immer mit der Frage „Und was machen Sie so beruflich?“ gescheitert, weil so gut wie alle Mitreisenden ihr berufliches Leben schon hinter sich hatten.

Die ganzen Marotten, die ich von meinen Eltern kenne, erlebt man hier potenziert. Meine Eltern fragen auch fünfmal nach, wann genau ich denn mit dem Zug komme und auf welchem Gleis er ankommt und ob ich wirklich den Weg alleine nach Hause finde und ob sie mich nicht doch lieber abholen sollten – von dem Bahnhof, in dessen Nähe ich 25 Jahre lang gelebt habe. So ähnlich laufen auch Verabredungen auf den Reisen: Wenn die Reiseleitung sagt, Sie haben jetzt 30 Minuten für sich, dann gehen zehn Minuten dafür drauf, dass der Treffpunkt genauestens beschrieben werden muss. Man könnte sich ja sonst verlaufen. Selbst wenn es heißt, wir treffen uns genau hier wieder, kann man darüber nochmal reden. Das sind dann die Momente, wo man selbst auf sein Smartphone mit Google Maps guckt und schon mal losgeht. (Wobei man gerade mit Google Maps richtig Eindruck schinden kann. Mit Foursquare eher weniger; das konnte der Kerl wirklich niemandem erklären, was daran so lustig ist, im Petersdom einzuschecken.)

Andere seniorige Marotte, die mich wahnsinnig gemacht hat: beim Essen gnadenlos auf Deutsch zu bestellen und davon auszugehen, dass der Italiener an sich Deutsch bestimmt versteht, wenn man es nur laut genug nutzt. Auch das übliche „Bei uns gäb’s das ja nicht“ hört man manchmal, und bei sowas frage ich mich dann schon, wie das damit zusammenpasst, dass die meisten schon die halbe Welt kennen. Gerade dann sollte man doch wissen, dass es verdammt vieles „bei uns nicht so gibt“.

Den Quatsch kann ich aber ausblenden, denn es wird ausgeglichen durch die schon angesprochene Organisation, die durchweg tollen Hotels und eben die Reiseleitungen, bei denen ich fast immer das Gefühl hatte, sie wüssten nicht nur, wovon sie reden, nein, sie tun das auch noch gerne. Außerdem: Wenn ich Reisen buche, bei denen ich weiß, dass sie hauptsächlich von Senior_innen gebucht werden, weiß ich auch, dass das Tempo nicht so wahnwitzig hoch ist. Ich weiß, dass es genügend Pinkel- und Fotopausen gibt und dass die körperlichen Anforderungen nicht übermäßig fies sind; so bin ich gerade mal bei den 300 Stufen in die Kuppel des Petersdoms herausgefordert worden, und wenn ich mich richtig an die Menschenschlange vor und hinter mir erinnere, war das auch für schlanke und jüngere Menschen nicht zu bewältigen, ohne etwas außer Atem zu kommen. (Sowas beruhigt mich ja immer.)

Das geringe Tempo heißt nicht, dass man sich im Schneckentempo zu zwei Aussichtspunkten pro Tag bewegt, ganz im Gegenteil. Es heißt stattdessen, dass man für fünf Kirchen keine fünf, sondern acht Stunden einrechnet. Was ein bisschen zu Lasten von Freizeit geht, aber dafür können alle Fragen dieser Welt gestellt und beantwortet werden. Wobei wir in Rom schon recht viel freie Zeit hatten. Ich erinnere mich an einen Tag in China, der morgens um 7 losging und abends um 23 Uhr endete. Ein gemütlicher Strandurlaub ist eine Studienreise nicht. Aber, und ich hoffe, das ist bei meinen Einträgen auch rübergekommen, man nimmt unglaublich viel wieder mit nach Hause.

03.05.2011

Urlaub

17.04.2011

Ich und ich

Nach Jahren des Körperhasses und Sich-selbst-scheiße-findens, weil man dick ist, habe ich mich gefragt, wie ich auf die Fotos von der re-publica reagieren würde. Ich habe mich jahrelang vor möglichst allen öffentlichen Auftritten gedrückt, weil ich nicht so präsent sein wollte und keine Angriffsfläche bieten wollte, von der ich ja genug habe. Dieses Mal hat mein Bauch zur Anfrage von Don, ob ich mit auf die Bühne wolle, aber spontan ja gesagt und sich darauf gefreut.

Ich bin im Moment ziemlich urlaubsreif – das Buch hat mich mehr gestresst als ich dachte, im Job zähle ich die Tage, bis endlich der Mai da ist und damit drei wundervolle Wochen Nichtstun. Ich hatte es wirklich unterschätzt, wie sehr es zehrt, sich jeden Tag mit Diäten, Dicksein, Anorexia, Anforderungen an die weibliche Optik, Zwängen, Körperhass und Fetthysterie auseinanderzusetzen – und damit nicht genug, auch gleichzeitig brav weiter als Werbetexterin zu funktionieren, obwohl mein Kopf doch gerade über andere Dinge nachdenkt. Erst als ich den ersten Manuskriptentwurf fertig hatte, habe ich gemerkt, wie anstrengend die letzten Monate waren. Und anstatt JETZT ein paar Wochen auszusetzen, quillt mein Schreibtisch gerade über (und ich bin eben bis Ende April gebucht), und das Manuskript will feingeschliffen werden, und die re-publica wartet.

Ich hatte mich seit der re-publica 10 auf die 11 gefreut, aber jetzt gerade wollte ich nur drei Tage im gemieteten Appartement rumliegen und schlafen. Das habe ich auch fast so gemacht; bis auf wenige Panels und vorher getroffene Verabredungen ist die Veranstaltung diesmal fast komplett an mir vorbeigegangen. Ich konnte und wollte einfach nicht mehr.

Auf unser Panel habe ich mich trotzdem gefreut, hatte aber, wie gesagt, im Hinterkopf, dass das die erste Belastungsprobe für meine gelebte Fat Acceptance werden würde. Ich selbst glaube mir inzwischen, dass ich okay bin – aber wenn jemand anders von außen auf mich draufguckt und mich fotografiert, glaube ich mir dann immer noch? Falle ich wieder in alte Muster zurück, wo ich mich für jedes Snickers beschimpfe, das ich in meinem Leben gegessen habe? Finde ich mich auf einmal wieder eklig?

Die ersten Blogberichte sind da, die ersten Fotos stehen auf Facebook und Flickr. Ich suche nicht gezielt nach mir, aber manchmal stolpere ich über mich. Und dann gucke ich, wie ich aussehe. Und ich habe schon beim ersten Bild festgestellt, wie sehr sich meine Selbstwahrnehmung verändert hat. Bisher waren Fotos für mich fürchterlich: Da wird eben jedes Kilo, das mich ausmacht, festgehalten. Ich kann mich nicht verstecken. Und deswegen war Fotos anzuschauen eben doof: So sehe ich aus? Das ist ja eklig. Das ist ja nicht mal in der Nähe von Gisele oder Kate, das ist ein anderer Kontinent.

Umso mehr hat es mich gefreut, dass ich mich diesmal anders sehe. Seit ich mein Spiegelbild nicht mehr schlimm finde, weil ich mich nicht mehr schlimm finde, scheine ich mich auch mit Fotos angefreundet zu haben. Ja, ich bin dick. Nein, Moment: Ich bin fett. Ohne zu wissen, was die Herren neben mir auf die Waage bringen, würde ich schätzen, ich bin die schwerste Person da oben auf der Bühne. Aber das war in der Stunde des Panels völlig egal, und es ist auch jetzt beim Betrachten der Fotos egal. Ich sehe nicht mehr den riesigen, disziplinlosen Körper, der da irgendwie an mir dranhängt. Ich sehe stattdessen eine souveräne Bloggerin, die gut gelaunt mit ihren Mitstreitern plaudert. Wie ich aussehe, ist völlig egal. Was ich kann, zählt viel, viel mehr.

Ich mag mich auf den re-publica-Fotos. Wieder so ein Satz, den ich mir selber vor gut einem Jahr noch nicht gelaubt hätte. Um mal ein Thema aufzugreifen, über das wir auf dem Panel leider nicht gesprochen haben: Für mich waren und sind und bleiben Blogs eine unfassbar inspirierende Quelle von Lebensentwürfen und Persönlichkeiten. Keine Reportage oder Dokumentation ist jemals so nah dran an Menschen und ihren Geschichten wie Blogs. Als ich das erste Mal ein Fat-Acceptance-Weblog gelesen habe, konnte ich kaum glauben, was da stand. Da waren dicke und fette Menschen, die sich einfach hinstellen und sagen: Du bist kein schlechter Mensch, weil du mehr wiegst als der Durchschnitt. Du bist genauso wertvoll und klasse und großartig wie alle anderen. Du musst dich für nichts entschuldigen und du hast das Recht, dich selbst zu mögen. Das klang alles so anders als das, was ich mir (und jeder dicke Mensch sich) seit Jahren anhören muss, das konnte ich anfangs kaum glauben. Ich habe jahrelang gebraucht, bis ich von der theoretischen Möglichkeit, mich zu mögen, wirklich dabei angekommen war (wir erinnern uns). Trotzdem habe ich weiterhin versucht, offiziellen Auftritten aus dem Weg zu gehen, und selbst als die Anfrage von Verlag kam, ob ich ein Buch über dieses verdammte Thema schreiben will, war meine erste Reaktion: nee. Dann muss ich womöglich Pressetermine wahrnehmen oder Lesungen, und da sehen mich Leute, so wie ich bin. So fett eben. Bis der Kopf den Bauch wieder eingeholt und ihm ein bisschen Schokolade gegeben und ihm gesagt hat: Das ist schon okay. Sag mal ja, und dann gucken wir weiter.

Jetzt ist das Buch so gut wie fertig, und ich glaube, dass ich das ganz gut hingekriegt habe. (Lasst die Amazon-Rezensent_innen von der Kette!) Ich habe das Panel hinter mir, und ich glaube, dass ich auch das gut hingekriegt habe. Und ich bin eben auf einigen Fotos drauf, die ich mir anschaue, wie ich mir alle anderen Fotos dieser Welt auch anschauen kann: interessiert, wohlwollend, nickend. Ich bin ich. Darüber muss ich nicht mehr nachdenken, ich muss meinen Körper nicht zur Diskussion stellen, und ich muss mich nicht mehr eklig finden. Ich bin ich. Und so sehe ich aus.

13.04.2011

reinstoff

Kinnings. Ich hab ja keine Ahnung. Ich war noch nie in einem Sternerestaurant, und ich backe doch bloß Bienenstich und mach Gnocchi und mir fehlen die ganzen schicken Koch- und Fressvokabeln, die einem richtig guten Restaurant würdig sind. Aber. Meine Güte, habe ich gestern fantastisch gegessen.

Das reinstoff in Berlin-Mitte besitzt einen Michelin-Stern, ist schlicht-geschmackvoll eingerichtet und überraschend leise, obwohl die Tische recht nah beieinander stehen.

Ich war ein bisschen nervös – „Die kleine Anke traut sich zum ersten Mal in ein Sternerestaurant“ und hatte Flashbacks zu Julia Roberts „Pretty Woman“, wo sie Schnecken durch den ganzen Laden wirft –, aber das war alles völlig unbegründet. Das Personal fand ich extrem aufmerksam, sehr höflich und nie überkandidelt-doof, sondern stets bemüht, uns zu erzählen, was wir da gerade vor uns haben. Gerade die Weinbeschreibungen fand ich sehr hilfreich, denn sie gingen über das übliche Gerede von „fruchtigen Noten und Schiefer“ hinaus; stattdessen wurde uns etwas über das jeweilige Weingut erzählt und in welchem Holz der Wein gelegen hat. Nicht dass ich damit irgendetwas hätte anfangen können, weil mir einfach die Vergleiche fehlen, aber ein paar Dinge sind doch hängengeblieben und helfen mir vielleicht beim nächsten Besuch. Und nebenbei hätte ich in allen Weinen, die wir bekommen haben, baden wollen.

Frau Modeste verspätete sich etwas, daher gab es für Frau Elise, Herrn Knüwer und mich erstmal ein paar Kleinigkeiten in dreifacher Ausführung, während wir beim Nachtisch dann jeweils alles vierfach vor uns hatten. Der Beginn war: Ricotta und Maränenkaviar; Erdnussflip, Cornichon und Dukka; Entenleber und Vogelmiere; Wachtelei mit Paprikaschaum.

Wobei der kühle Ricotta in einem knusprigen Hörnchen eingehüllt war und der Kaviar einen frischen Tupfer gesetzt hat. Der Erdnussflip knirschte feinwürzig vor sich hin und war frisch statt funnyfrisch. Die milde Entenleber war eingehüllt in geeiste Vogelmiere, was zusammen einen fast süßlichen Geschmack ergab, und das Wachtelei war … ein leckeres Wachtelei mit Paprikageblubber, aber, wenn ich es richtig geschmeckt habe, winzigsten Speckwürfeln oder salzarmen Salzkristallen, keine Ahnung, auf jeden Fall war irgendwas dabei, was das ganze noch gut gewürzt hat.

Vom 8-Gänge-Menü haben wir uns sechs schmecken lassen, Thomas und ich haben uns dazu die Weinreise gegönnt, was bedeutet, dass wir zu jedem Gang den passenden Wein bekommen haben. Ich hätte gerne eine_n Sommelier_e als Freund_in, der oder die mir zu jedem Müsli und zu jedem Käsebrot und zu jedem Stück Marmorkuchen einen Wein empfiehlt. Das Essen alleine war schon wundervoll, aber der Wein dazu hat allem eine weitere Ebene verliehen, die ich jetzt bitte gerne bei allem hätte. Ich nehme Bewerbungen entgegen.

Der Gruß aus der Küche: Buttermilchkürbis mit Süßkartoffelknusperkram und Roter Bete, die anscheinend luftgetrocknet wurde, so hauchdünn war sie – und so hauchzart-dunkelerdig hat sie über der mildsäuerlichen Kürbisbuttermilchmousse gelegen.

Ich habe mir die Auster und den Hummer erspart und stattdessen den Salat genommen. Thomas noch so: „Salat braucht keiner“, aber als er kam, war ich sehr dankbar, keine Auster essen zu müssen (die aber auch sehr gut aussah). Der Salat bestand aus den leckersten Kartoffeln, die ich je gegessen habe: Außen ein ganz winziges bisschen knusprig, innen butterweich. Dazu Périgord-Trüffel, die allem einen extrem leichten Hauch von Waldboden verliehen habe, und Kräuter, die ich nicht identifizieren konnte, die aber alle einen ganz eigenen Geschmack hatten – und alles zusammen war ein Traum. Dazu gab’s einen deutschen Weißwein, den ich natürlich vergessen habe. Der war gut, aber von allen Weinen der „einfachste“. Recht geradeaus, ein bisschen Säure, kaum Frucht. Nettes Schlückchen.

Gänseleber, Pilze und Birkenwasser. Das Birkenwasser gab’s nicht nur als Sorbet auf dem Teller, sondern auch im Glas dazu – schmeckt ein bisschen wie abgestandenes Vittel. Als Sorbet mit der weichen Gänseleber und den bissfesten Pilzchen war es aber großartig. Ich ärgere mich etwas über die Bildperspektive, denn die Pastete war so schick aufgeschichtet wie eine Skischanze, und das kann man hier überhaupt nicht erkennen. Das Grünzeug hat allem eine gewisse Frische verliehen – aber der Kracher war die Weinbegleitung. Es gab einen Gewürztraminer, der schon meine Nase völlig überzeugt hat mit seiner Dichte und Größe und Lieblichkeit, ohne süß und klebrig zu sein. Viel Körper, ganz groß im Mund, aber ohne den Hammer, der den Kopf kleinklöppelt und beim ersten Schluck daran denken lässt, dass man den Wein morgen ganz sicher bereut. Erster Vorsatz: mehr Gewürztraminer trinken.

Mein Lieblingsgang: Rotbarbe, Schweinebäckchen und Ratatouille. Wobei ich bisher unter „Ratatouille“ einen Berg an Gemüse verstanden habe und nicht diese scheinbar mit dem Skalpell zerteilten Miniwürfelchen, die ich kaum essen wollte, so mühevoll hergestellt sahen sie aus. Die Kombination aus Fisch und Fleisch fand ich unsagbar lecker, und ich habe noch nie so knusprigen Fisch gegessen. Man konnte mit dem Messer behutsam die Haut zerknacken, und darunter floß weißweicher Fisch auf die Gabel. Der Wein dazu war ein spanischer Weißer, dessen Traube ich leider, leider vergessen habe. Ganz viel Banane und Mango und ein bisschen Ananaseis, aber nicht süß, sondern kernig. Wie eine Lush-Filiale für Holzfäller.

Ein bisschen was zum Magenaufräumen: Zitrusfrüchte und -sorbet, Heavy-Water-Wodka. Jo. Wie der Name schon sagt. Zitronensorbet und Stöffchen. War okay, aber bei dem Gang dachte ich, hättste man die Austern genommen und den Gang weggelassen.

Auch hier nervt die Perspektive etwas, denn das ganze sah wesentlich aufgeräumter aus als hier. Das mild-würzige Hochrippenstück vom Bremer Rind fand seinen knackigen Gegenspieler in den Linsensprossen, deren Rohheit mir sehr gut gefallen hat. Ich weiß schon gar nicht mehr, was der Rest war: extrem leckeres Gemüse. Und auch wenn Thomas meinte, ich solle nie das Wort „Textur“ verwenden, weil Dollase das dauernd sage (wobei Florian meint, Dollase sage dauernd „Aromaakkorde“) – hier passt es, weil hier eben alles zusammenkam: Festes, eher Weiches, außen knusprig, innen zart, alles bunt, alles toll, alles durcheinander und doch oh so passend. Und dazu einen spanischen Rotwein, der anscheinend gar nicht weiß, was Tannin ist, aber die gleiche Würde und Erhabenheit mitgebracht hat wie die ollen, staubigen Franzosen. Ich habe mir Tempranillo gemerkt, den ich sonst eher mit gelangweilten Schwarzkirschen verbinde, aber hier hatte ich dunkle Beeren in der Nase und im Mund die gesamte spanische Hochebene und ein bisschen Stierblut mit Schokoladenholzsplittern.

Der Nachtisch in zwei Teilen: Pure Caraïbe, Kirschblüte, Reis, Tee und Tonkabohne. Ich habe keine Worte mehr, ich war wirklich irgendwann überfordert von den ganzen hingezauberten Köstlichkeiten. Süß, fein, mild, nicht zu süß, nicht zu fein, nicht zu mild. Und dazu den ersten Portwein, den ich getrunken habe. Zweiter Vorsatz: mehr Portwein trinken. Den kippe ich mir jetzt in Quarkspeisen und Milchreis und strecke den Agenturkaffee damit.

In vierfacher Ausführung von links nach rechts: Schokolade, Parmesan und Rosmarin; Walnuss-Eiskonfekt; Kaffeebrause; gelbe Bete und Pistazie. Ich weiß nichts mehr, ich habe nur noch selig-dumm gelächelt und wollte den Köch_innen die Füße küssen. Einen Espresso noch, den letzten Rest Port, ein Schluck Wasser, mit dankbarem Herzen 93 Euro fürs Essen und 55 für die Weine bezahlt und das Gefühl gehabt, das hätte auch das Doppelte kosten können und es wäre okay gewesen.

Ich habe früher in meiner grenzenlosen Ignoranz immer gedacht, das ist doch alles Schischi, das braucht kein Mensch, ne gute Linsensuppe tut’s doch auch. Ja, Linsensuppe ist toll, aber geeiste Vogelmiere ist auf einer anderen Ebene toll. Um mal wieder auf den Herrn Dollase zurückzukommen, dessen Geschmacksschule gerade zuhause auf dem Sofa liegt und auf mein Durcharbeiten wartet: Der Mann meint auch, man könne seine Sinne schulen. Ich hab halt mit Industriepizza angefangen, dann die Linsensuppe gekocht, und inzwischen hat sich bei mir der kleine Ehrgeiz eingenistet, die zehn Gurkenscheiben abends fürs Sandwich möglichst in der gleichen Dicke abzuschneiden, auch wenn’s eigentlich egal ist. Ich versuche, anders an Essen heranzugehen als noch vor einem halben Jahr, wo ich froh war, wenn die Gnocchi einfach geschmeckt haben. Heute will ich, dass sie auch noch gut aussehen. Und ich will eine Begleitung dazu haben, die das ganze über ein Alltagsgericht heraushebt. Und ich will den passenden Wein.

Natürlich waren das gestern recht übersichtliche Portionen, aber sechs davon hintereinander haben absolut satt gemacht. Und wie gesagt, ich war irgendwann wirklich überfordert von noch mehr und noch feiner und noch raffinierter. Das ist sicherlich auch Übungssache, wie ich anfangs bei meinen naiven Kochversuchen auch überfordert war von neuen Gewürzen und Aromen. Und jetzt taste ich mich eben an die so verballhornten Texturen und Akkorde heran. Für mich ist das alles noch äußerst spannendes Neuland, und ich kann es kaum erwarten, wieder essen zu gehen. Und wieder zu staunen. Und aufs tiefste dankbar zu sein, dass ich mir so etwas Wunderschönes leisten kann.

05.04.2011

Tagebuchbloggen 04.04.2011

Am Sonntag habe ich die erste Manuskriptphase meines TOLLEN BUCHS abgeschlossen. Angefangen hat alles im Dezember mit einer wilden Stoffsammlung in meinem Moleskine. Die einzelnen Themen habe ich dann auf Din-A4-Papier geschrieben, das ich in Streifen geschnitten habe, damit ich die Inhalte hin- und herschieben konnte. (Nein, ich mache sowas nicht am Rechner, sondern lieber auf Papier. Wenn ich mir über einen 120-seitigen Autokatalog Gedanken mache, kritzele ich auch lieber mit einem Stift rum anstatt ein Flowchart anzulegen.) Nachdem ich die Themen in eine Reihenfolge gebracht habe, habe ich diese zwei Tage später über den Haufen geworfen und eine neue gemacht, diese ebenfalls nach zwei Tagen über den Haufen geworfen und mir wieder die alte vorgenommen.

Dann habe ich viele schlaue Bücher gelesen, in denen viele schlaue Dinge gesagt wurden, und mir gleichzeitig selber viele schlaue Gedanken gemacht. Dieses viele schlaue Zeug habe ich auf dutzende von blauen Karteikarten geschrieben, die ich unter meine Themenpapierschnipsel geordnet habe. Und als ich das Gefühl hatte, jetzt habe ich genug, um anzufangen, habe ich genau das gemacht.

Während des Schreibens entstand ein Kapitel, das gar nicht eingeplant war, während ich ein anderes wieder verworfen habe. Außerdem habe ich einige Sätze geschrieben, bei denen ich im Hinterkopf habe, dass die Formulierung noch nicht ganz so ist, wie sie sein könnte (rot markiert), Textblöcke, bei denen ich mir noch nicht sicher bin, ob ich sie überhaupt drinlassen möchte (rot markiert), und manchmal steht im Manuskript noch eine Behauptung, von der ich (noch) nicht weiß, ob ich sie belegen kann (rot markiert). Aber ich habe jetzt eine Rohfassung, an der ich rumklöppeln kann.

Es sind nicht alle Karteikarten verbraucht worden, weil ich mir bei manchen Gedanken oder Ideen selbst noch nicht klar war, wo sie hingehören. Auch das passiert jetzt im zweiten Schritt: möglichst alles irgendwie unterbringen, was mir am Herzen liegt. Wobei ich jetzt schon den dööfsten Doofsatz für alle Texter_innen im Hinterkopf habe, der leider wahr ist: Kill your darlings. Ich weiß jetzt schon, dass ich einigen meiner Lieblinge wahrscheinlich den Gnadenschuss werde geben müssen, weil sie einfach nirgends hinpassen. Vielleicht mache ich im Blog zum Buch eine Rubrik „Darlings“, und da stehen dann 100 Fakten, die keine Heimat haben. (Memo to me: Endlich mal das Blog zum Buch in Angriff nehmen.)

Meine Vorgabe waren 224 Seiten. Ich habe keine perfekten Normseiten konfiguriert, sondern mehr so pi mal Daumen mit Seitenrand und Zeilenabstand rumgedaddelt und bin bis jetzt bei 212 Seiten. Das müsste also passen, vor allem, wenn ich noch ein paar Karteikarten einarbeite.

Eigentlich müsste ich jetzt total motiviert und tatendurstig sein. Bin ich auf eine seltsame Weise auch, weil der erste und dickste Brocken weg ist und es nun ans „Schönmachen“ geht. Da liegen eine Menge Dateien auf insgesamt drei Festplatten (man weiß ja nie), und darauf bin ich schon mal sehr stolz. Trotzdem bin ich auf eine ganz unerwartete Weise traurig, weil da eben eine Menge Dateien liegen und der dickste Brocken weg ist. Ich bin monatelang mit dem Gedanken aufgewacht: Cool, ich schreibe ein Buch. Und gestern bin ich mit dem Gedanken aufgewacht: Naja, jetzt fitzeln wir da halt noch ein bisschen dran rum.

Gleichzeitig war ich in der Agentur, wo zwei neue Autokataloge geschrieben werden wollen, völlig hirntot. Ich habe von 9 bis 10 Uhr morgens nur blöd auf den Bildschirm gestarrt. Für eine halbgare Headline hat der Kopf noch gereicht, aber die ersten drei, vier Copyzeilen haben sich schon beim Schreiben so falsch angefühlt, dass ich das ganze Dokument in den Papierkorb gezogen habe. Neue Playlist angewählt, Kopfhörer auf und nochmal von vorne. Ich ahne, dass ich die gesamte Vormittagsarbeit von gestern ebenfalls in den Papierkorb ziehe, weil ich mich völlig uninspiriert gefühlt habe. Zum ersten Mal ahne ich, was das Wort „leergeschrieben“ bedeutet.

Ich glaube, ich lasse das Büchlein mal ein paar Tage rumliegen, bevor ich es wieder anfasse; Abgabetermin ist Ende des Monats, und es erscheint im September. Mit den Autokatalogen klappt das leider nicht; die haben eine engere Deadline. Womit ich eh hadere – ich kann mich nicht auf eine konzentrieren, sondern muss auf zwei sehr unterschiedlichen Baustellen schreiben –, ist im Moment noch nerviger als sonst, weil ich gerade wirklich gerne zwei, drei Tage lang gar nichts schreiben wollen würde. (Bis auf Blogeinträge, die sind Urlaub für den Kopf.)

28.02.2011

Oscars 2011

Dieses Mal bin ich so unvorbereitet wie sonst noch nie bei den Oscars: Ich habe gerade einmal Inception und Toy Story 3 gesehen, ich bin allen Tippspielen ferngeblieben, und ich bin völlig leidenschaftslos, wer was gewinnt. Schau’n mer mal, wie sich das so anfühlt. Kleidergucken geht natürlich auch so.

0.53 Uhr. Ich klicke mich durch ein paar Livestreams, solange auf Pro 7 noch Müll läuft. Die AP-Tante fragt den Komponisten von Slumdog Millionaire, wie sich sein Leben nach dem Oscargewinn verändert hat. “I work less and have more fun.”

0.55. Cate Blanchett sieht aus wie ein Wandpanel in Schönbrunn. Kevin Spacey gräbt Jeremy Renner an. Russell Brand klaut der AP-Tante die Wäscheklammer, die hinten ihr Kleid zusammenhält. Und Scarlett Johansson trägt etwas enges Weinrotes, das wie die Lidl-Variante von Halle Berrys fantastischem halbtransparenten Oscar-Kleid aussieht. Außerdem kriegt sie morgen garantiert von allen Fashionblogger_innen um die Ohren gehauen, dass ihre Haare zu wuschelig aussehen.

1.00. Marisa Tomei schlicht in schwarz, aber mit wunderschönen Riesenohrringen mit gelbem Stein; Amy Adams in eng-hochgeschlossen-ärmellos-glitzerblau. AP-Tante: “‘The Fighter’ changed the audience’s perception of you; before we all thought of you as pure and innocent.’ – “Well, I just did the Muppet movie, that’s pretty innocent.”

1.15. Ich mag Helena Bonham-Carter. Schwarzes Korsettkleid, über dem Hintern gerafft, eine Clutch in Fächerform und ein Strumpfband mit dem Union Jack.

1.18. Hilary Swank hat sich von Zoe Zaldanas Federpuschelkleid aus dem letzten Jahr das Gute rausgepickt: schmal, gülden, mit ein paar Federn unten. Sehr schön.

1.20. Danny Boyle plaudert aus, dass die Hosts im Saal Witze erzählen, während die Werbung läuft. Jedenfalls hat Hugh Jackman das vor zwei Jahren gemacht. (NATÜRLICH hat Schnucki Jackman das gemacht!)

1.22. Jeremy Renner ist von der sogenannten award season nicht beeindruckt. Das seien ja immer nur ein paar Stunden zwischen den Nickerchen. “Life is a series of naps.”

1.23. Colin Firth würgt die AP-Tante ab und parliert fließend Italienisch mit einer anderen Reporterin.

1.24. Nicole Kidman in weiß mit Glitzer und einer Fälteltechnik, die ein bisschen nach missglücktem Kimono in den Südstaaten aussieht. Aber nicht schlecht. (Dior)

1.25. Oh, die wunderschöne Penelope Cruz in wunderschönem knallrot mit Gold und einem den Stillbrüsten angemessenem tiefen Ausschnitt. Jennifer Hudson in klasse orange, aber einem eher ungünstigen Dekollete. Und die allerschönste ist sowieso immer Halle Berry, diesmal in nude mit Glitzer (Marchesa). Und kurzen Haaren. Love!

1.26. Huch, was ist mit Samtstimme Kevin Spacey passiert? Klingt wie ein schlechter Jeff-Bridges-Klon. Erkältet? Die raue Londoner Luft? DAS ALTER?

1.29. Neinneinnein, Christian Bale mit Zauselbart. Gwyneth Paltrow in Silberfolie von Calvin Klein. “What do you do to calm the nerves?” – “I always have a Guinness.”

1.28. Helen Mirren in dunkelgrau mit kleinen Puffärmelchen. Ich merke gerade, dass Steven Gätjen für Pro 7 ungefähr fünf Meter vor der AP-Dame stehen muss; immer, wenn die Promis aus meinem Stream verschwinden, tauchen sie bei Gätjen auf.

1.35. Mein Liebling Sandra Bullock ebenfalls in Knallrot (Vera Wang), auch mit irgendwas überm Po und Schleppe. Toll. Robert Downey Jr. hat sich gewaschen und trägt eine Don-Draper-Frisur zur weißen Krawatte und blauem Anzug.

1.50. Miese Planung. Musste neue Käsehäppchen machen.

1.55. Und endlich ist auch Natalie Portman da; in bodenlangem Violett, Chiffon, och jo. Ich finde, sie sieht weniger schwanger aus als bei den Globes. Natalie erzählt das gleiche wie Helena Bonham-Carter: Mann, bin ich froh, wenn die Award Season vorbei ist und ich die Füße hochlegen kann. – Ich erkenne einen Unterschied zwischen Frauen und Männern und schiebe es auf hochhackiges Schuhwerk.

2.05. Justin Timberlake meint, der rote Teppich sei nicht rot, sondern fuchsia.

2.07. Sandra Bullock sagt, man sei als Nominierter_r auf jeden Fall nervös, wenn man im Theater ist und es losgeht. Am besten sei es, vorher nicht viel zu schlafen – daher wäre Javier Bardem mit seinem neugeborenen Sohn wahrscheinlich am entspanntesten.

2.12. Ich glaube, Nicole Kidman hat orangefarbene Schuhe an.

2.15. Wieso klingt Christian Bale mit amerikanischem Akzent schlauer als mit seinem englischen? (UND RASIER DICH, BEVOR DU AUF DIE BÜHNE GEHST!)

2.17. Von Tim Gunn den Ausdruck „Parisian drapes“ gelernt.

2.22 HUGH JACKMAN!

2.24. Im Green Room fragt irgendwer Halle Berry, was ihr favorite thing an dem ganzen Kram sei: “I love to see all those people dressed up.”

2.30. Ich weiß, die Zeiten sind wahrscheinlich auf ewig vorbei, aber immer, wenn die Show losgeht, warte ich auf Billy Crystal und sein Medley It’s a wonderful time for Oscars.

2.34 Sehr schöne Montage aus den zehn nominierten Filmen (Best Picture), in die sich Anne Hathaway und James Franco gemogelt haben. Und Alec Baldwin. Und Morgan Freeman. “I always narrate. I have a soothing voice.”

2.38. James: “You look very beautiful.” Anne: “You look very appealing to a younger demographic yourself.”

2.42. Eine sekundenlange Einblendung feiert Gone with the Wind. Tom Hanks leitet davon zu Titanic über, der auch durch Art Direction überzeugt habe. Tolle Überleitung (bzzz). And the first Oscar of the night goes to – Alice in Wonderland. Robert Stromberg fragt: Why didn’t I lose those 20 pounds? und setzt seinem Oscar ein Mützchen auf. Tom Hanks verleiht direkt danach gleich noch den Oscar für die beste Kamera an Wally Pfister für Inception. Wally wird sich morgen darüber ärgern, dass er seine Lesebrille im Haar hat. Er bedankt sich bei Chris Nolan – das Publikum klatscht – “You’re taking away my time!” und schließt mit dem üblichen wifekidsbla.

2.50. James Franco twittert übrigens die ganze Zeit mit.

2.51. Kirk Douglas kriegt die erste Standing Ovation des Abends, gräbt Anne an: “Where were you when I was making pictures?” und moderiert den Einspieler für die fünf besten Nebendarstellerinnen an. Ganz alter Showman zögert er die Verkündigung ewig hinaus – “You know … three times … and I lost all of them … and the Oscar goes to … you know … I’ll remember that moment forever … Melissa Leo” für The Fighter, die auch gleich mit der Legende weiterflirtet. Ihr weißgoldenes Kleid sieht übrigens aus wie mein Lieblingslampenschirm von habitat. Jetzt vergisst sie ihren Text: “When I watched this two years ago it looked so fucking easy! … Ooops …” Mann, Kinder, Familie, the Academy yadayadayada.

3.01. Mila Kunis (die mit den Parisian drapes in violett) und Justin Timberlake. Justin: “I … I am Banksy. That felt good.” Die beiden vergeben Best Animated Short Film an The Lost Thing. Und der beste Animated Feature Film ist … das wird ja wohl Toy Story werden … genau.

3.12. Ein Rückblick auf 1929 und die erste Oscar-Verleihung. Josh Brolin und Javier Bardem in weißen Dinnerjackets vergeben die Drehbuch-Oscars. Adapted Screenplay geht an … ich hoffe auf Aaron Sorkin für The Social Network … YES! Mein Drehbuchheld aller Drehbuchhelden. (The West Wing, Kinnings.) Aaron erinnert an die Buchvorlage, spult 1.000 Namen runter, pickt sich David Fincher raus (das Orchester spielt langsam auf, ist Aaron egal): “Roxy Sorkin, your father just won an Oscar, I expect some respect from your guinea pig.”

Original Screenplay geht an David Seidler für The King’s Speech. Der Gute sieht nicht mehr ganz jung aus. “My father said I would be a late bloomer … I think I am the oldest person to win this award. I hope this record is broken quickly and often.” Der Mann ist Jahrgang 1937 und sehr charmant.

3.23. Anne hat sich in einen schwarzen Hosenanzug geworfen, der eindeutig bequemer aussieht als ihr weißes Kleid von eben. Sie beschwert sich, dass ihr Gesangspartner sie sitzengelassen hat und singt On my own ohne Hugh Jackman. Ich kapier den Witz nicht, aber sie kann hübsch singen und Hugh sieht amüsiert aus. James Franco kommt in Marilyns pinkfarbenem Kleid und Platinperücke auf die Bühne: “I just got a text message from Charlie Sheen.” (Egal.)

3.26. Helen Mirren kündigt Best Foreign Film auf französisch an, was Russell Brand übersetzt mit: “Yo! I was a much better queen than Colin was a king.” Der Oscar geht an In a better world aus Dänemark. Die dänische Regisseurin ist sichtlich nervös und kriegt nicht mehr raus als grateful, honored, happy.

3.29. Reese Witherspoon channelt Betty Draper (hohe Haare, elegantes Schwarz, grüne Ohrringe, auf die ich sehr neidisch bin) und vergibt Best Supporting Actor. Ich will BALE, weil ich BALE mag! Oder Ruffalo. Oder Renner. Und es wird … SCHNUCKI! Verdammter Bart. “A room full of talented and exceptional people … what am I doing here? Melissa … I’m not gonna drop the F-bomb … I did that plenty … (1.000 Namen) … and thank you to my wonderful wife …” (Stimme versagt, ich dachte, er hätte ihren Namen vergessen, aber nein, er ist sehr gerührt, und das war’s dann auch.)

3.35. Still miese Planung. Again keine Käsehäppchen mehr.

3.38. Der Präsident der Academy (im breiten Texanisch) und die Präsidentin von Disney TV erzählen stolz, dass ABC die Oscars bis 2020 überträgt.

3.39. (Zügiges Tempo bis jetzt.) Anne jetzt in grauem Glitzerschnürkleid. Hugh Jackman und Nicole Kidman erzählen vom Übergang von Stummfilm zu den Talkies. Der winzige Einspieler endet mit dem THX-Sound, und dann spielt das Oscar-Orchester auf der Bühne das Thema von Star Wars. Lawrence of Arabia. E.T. West Side Story. Die beiden vergeben den Oscar für Best Original Score, den das Orchester jeweils kurz anspielt. Nice. And the Oscar goes to … The Social Network. Hihi, Trent Reznor im Smoking.

3.45. James: “I am six degrees of Kevin Bacon away from the next presenters – look it up –: Scarlett Johansson and Matthew McConaughey.” Der Oscar für Sound Mixing geht an Inception. Zwei Männer, eine Frau auf der Bühne: “We want to thank our wonderful wives …” und dann kommen drei Frauennamen. Nice.

3.48. Matthew und Scarlett vergeben gleich noch Sound Mixing an – ebenfalls – Inception.

3.53. Marisa Tomei erzählt was von den Scientific and Technical Awards, die seit 1931 vergeben werden, und wo es diesmal anscheinend nur männliche Preisträger gab. James: “Congratulation, nerds.” Arschloch.

3.55. Cate Blanchett kriegt mal wieder das Lord-of-the-Rings-Thema zu ihrem Auftritt. Immerhin redet sie auch darüber und vergibt den Oscar für Best Make-up an The Wolfman, zu dem sie im Einspieler noch “That’s gross” gesagt hatte. Dann nimmt sie Costume Design auch gleich mit; der Oscar geht an Alice in Wonderland. Colleen Atwood klemmt den Oscar charmant zwischen Oberarm und Brust, aber dann: Zettel. Abgelesene Rede. Ich geh Käsehäppchen machen, während das Orchester sie von der Bühne spielt.

4.01. Straßenumfrage zum liebsten Movie song. Die letzte Stimme gehört Präsident Obama, dessen liebster Song As time goes by ist.

4.02. Kevin Spacey singt kurz, stellt sich als George Clooney vor und klingt auch wieder wie mein geliebter Kevin. Dann singt ein schlecht abgemischter Randy Newman einen kurzen Ausschnitt aus Toy Story 3. Danach kommen Alan Menken, Mandy Moore in dramatischem Blau und irgendwer Zachary Levi (Danke, Sven) mit „I see the light“ aus Tangled.

4.11. James: “She’s nominated for an Oscar, and he made out with my co-host.” Amy Adams und Jake Gyllenhaal fordern das Publikum auf, mehr short films zu gucken. Der Oscar für Documentary Short Subject geht an Strangers no more. Und der beste Live Action Short Film ist God of love. Der Regisseur ist acht Meter groß – “I should have gotten a haircut … check out these films, you find them on iTunes … (1.000 Namen) … the rest of the crew I thank on the Thank-you-cam.”

4.17. Anne hat sich wieder umgezogen, jetzt in silberfransig. Sie und James kündigen einen Einspieler mit „Musicals“ an, der aus Filmszenen und Auto-Tune besteht. Naja. Irgendwie fehlt der ganzen Veranstaltung ein bisschen Charme. Bis auf den ersten Einspieler ist das alles recht seelenlos. (Okay, der Song “He doesn’t have a shirt” zu Szenen mit Jacob und Edward ist nett.)

4.19. Anne hat immerhin gute Laune und franst quirlig mit ihrem Kleid rum, James redet dagegen, als ob er zuviel gekifft hätte. Auftritt Oprah Winfrey in wunderschönem Grausilber. Sie vergibt Best Documentary Feature an Inside Job. Einer der beiden Produzent_innen bemerkt, dass drei Jahre nach der Finanzkrise noch keiner der Banker im Gefängnis gelandet sei – “and that’s just wrong”.

4.26. YAY, Billy Crystal! Ich glaub’s ja nicht. (I MISS YOU! I MISS YOU SO MUCH!) Das Publikum auch, es steht jedenfalls. “So. Where was I? … The producers have told me we’re running too long. So here are the nominations for Best Picture. … Bob Hope said: The Oscar host has to be a sexy movie star. (Grinst.) Drink it in, Hugh Jackman. …” Er erzählt was über Bob Hope und dass dieser 18mal die Oscars moderiert habe. Und jeder der 40 Jahre alten eingespielten Witze ist besser als die, die heute abend geteleprompted wurden.

4.31. Robert Downey Jr. und Jude Law (der mit seinem Haarpuschel immer mehr wie Tim aus „Tim und Struppi“ aussieht) sind die ersten charmanten Presenter. Jude ärgert Robert mit der Story einer angeblichen Stripperin, die als Batgirl verkleidet war und es mit ihm in einem billigen Hotelzimmer 2001 getrieben habe, während Robert meint, es wäre 2006 gewesen, das Hotelzimmer habe 1.250 Dollar die Nacht gekostet, und sie wäre Wonderwoman gewesen. Und genau dieses Auge für Details bräuchten die Nominierten für Visual Effects. Der Oscar geht an Inception. Liebster Tweet bisher (ich lasse Twitter weitgehend unbeobachtet): @rhysiedarby: “Inception has now won an Oscar within an Oscar within an Oscar …”

Danach gibt’s den Oscar für Editing, und er geht an The Social Network. Alle Ausgezeichneten bedanken sich bei Fincher, der total ungerührt aussieht.

4.41. Hui, Anne jetzt in dunkelrot. Jennifer Hudson moderiert die letzten beiden nominierten Best Songs an. Florence Walsh (?) und A. R. Rahman performen „If I rise“ aus 127 Hours; Gwyneth Paltrow in fleischfarbenem Glitzer „singt“ „Coming Home“ aus Country Strong. Hudson vergibt den Oscar an Randy Newman und Toy Story 3, der auf seine 20 Nominierungen anspielt: “At the nominees luncheon, they have a Newman Chicken by now.”

4.52. Das Oscar-Orchester spielt sanfte Weisen … ich wiege mich in Sicherheit … und dann kommt Celine Dion und zersingt Smile zur Montage mit den Verstorbenen des letzten Jahres. Ich höre überhaupt keinen Zwischenapplaus aus dem Saal. Tony Curtis? Leslie Nielsen? Claude Chabrol? Arthur Penn? Dennis Hopper? Blake Edwards? Hallo? Mannmannmann.

4.55. Halle Berry würdigt über Lena Horne. Eine Montage endet mit einem ihrer Zitate: It’s not the load that breaks you down. It’s the way you carry it.

5.01. Anne in … äh … blauer Lackfolie. Hilary Swank (ja, tolles Kleid) kündigt Kathryn Bigelow an, die ein tierblutrotes Sweatshirtkleid trägt. Sie vergibt den Oscar für Best Directing an …Tom Hooper für The King’s Speech. Hooper bringt die erste rührende Rede des Abends, in der er erzählt, dass seine Mutter vor einigen Jahren zu einem play reading eingeladen wurde, zu dem sie gar nicht gehen wollte, es aber doch tat. Der Titel: The King’s Speech. “And she came home and rang me and said: I think I found your next movie. … And the morale: Always listen to your mother.”

5.05. Annette Bening im glitzernden Metropoliskleid erzählt vom Governor’s Award. Die Preisträger stehen auf der Bühne, das Publikum im Saal: Eli Wallach, Kevin Brownlow und Francis Ford Coppola.

5.11. Jeff Bridges nominiert die Beste Hauptdarstellerin an. Jede Dame bekommt ein paar persönliche Sätze und den obligatorischen Einspieler. Ich hoffe auf Annette Bening, aber ich ahne, dass Natalie … genau. (Nebenbei: Wie wunderschön ist Michelle Williams mal wieder?) Lange, lange Rede, auch die Make-up-Dame wird bedacht und der Regisseur, der sie im Alter von elf Jahren engagiert hat … okay, ist gut jetzt. Der Rausschmeißersong ist immerhin „Schwanensee“.

5.19. Und hinterher Sandra Bullock mit dem gleichen Spiel. “Javier? Hola! In one of your former films, you managed to scare an entire nation … with a haircut. … Jeff – dude! DUDE! … Jesse, I’m still waiting for you to accept my friend’s request on Facebook. Seriously. … Colin, I hear the Queen saw your movie – which is good because you want to go home again sometime … James – you are the reason children get picked up late from school because mothers are watching you on General Hospital.” I love her. And the Oscar goes to … Colin Firth. “I have a feeling that my career just peaked.”

5.32. Letztes Kleid des Abends: Stahlgrau. Steven Spielberg vergibt Best Picture. “One of the ten following movies will join the ranks of (insert Oscar-prämierte Filme hier), the other nine will join The Grapes of Wrath, Citizen Kane and Raging Bull.” Bilder aus den zehn Filmen mit Text aus The King’s Speech darüber. The Social Network kriegt mehr Applaus als The King’s Speech. Nützt ihm aber nix. The Oscar goes to … The King’s Speech.

5.38. Immerhin schmeißt uns der PS22-Chor raus, wenn auch mit dem komplett totgenudelten Somewhere over the rainbow. Und hinten auf der Bühne versammeln sich alle Preisträger_innen. Noch ne standing ovation, und wir sind raus.

Hm. Och. Näh. Ich mochte Anne Hathaway, aber Franco fand ich komplett daneben. Und mir fehlten die Einspieler, über die sich alle beschweren, weil sie den Abend länger machen – also die üblichen Montagen aus 100 Jahren Filmschnipseln. Wobei das heute wirklich ratzfatz ging. Gut drei Stunden – das ist ja nix. Das sind ja fast schon die Globes. Näh. (BILLY! COME BACK!)

14.02.2011

St. John Bread and Wine

Am Samstag, den 12. Februar, habe ich auf einer „Konferenz“ in London sehr viel Spaß gehabt: dem Mixed Grill. Darüber schreibe ich in einem gesonderten Eintrag noch was, aber einen Satz, der auf dieser Veranstaltung gefallen ist, möchte ich diesem Post voranstellen.

Beim Mixed Grill haben Menschen aller Couleur für jeweils 15 Minuten über ein Thema geredet, über das man 15 Jahrhunderte reden kann: Essen. Einer der Vortragenden war ein sogenannter artisan baker, also ein Bäcker, der statt mit Maschinen sein Brot mit Muskelkraft und Herzblut herstellt. Sinngemäß meinte er, dass das eigentlich Quatsch sei, aber. Es ist nicht kostengünstig, jedes Brot sieht anders aus, es dauert länger, der Rücken tut weh, man verdient nichts dabei – but it’s nice. Bei diesem Satz jubelte der ganze Saal, denn anscheinend hat er nicht nur bei mir etwas ausgelöst.

Das Essen im St. John Bread and Wine in Spitalfields besteht nicht aus Türmchen und Fruchtspiegeln und Gemüselandschaften und Aromaakkorden; es sind schlichte Zutaten, ganz einfach kombiniert, aber genau dadurch kann jede einzelne ihre ganze Stärke ausspielen. Es ist komplett schnickschnackfreies Essen und es ist das beste, was ich je gegessen habe. Es ist einfach „nur“ Essen – but it’s oh so fucking nice.

Die Fotos sind leider alle nur per iPhone aufgenommen; meine kleine Digiknipse kam mit dem Licht überhaupt nicht zurecht, und ich wollte nicht in der Gegend rumblitzen.

Meine Begleiter_innen an diesem schnuffigen Abend waren Herr Siepert, marqueee von Allem Anfang und Juliane, die ich bei Twitter unter monkeypenny kenne. Wir haben jeweils zwei Vorspeisen bestellt und dann reihrum probiert. Die Hauptgerichte haben wir weggelassen, weil wir dringend Dessert essen wollten. Und dann gab’s noch Wein und Käse, und bei dem zweiten Wein hätte ich fast angefangen zu heulen, so fantastisch war er.

Ich koche seit einiger Zeit so gut wie fleischlos, weil ich es gerade so möchte, aber wenn ich weiß, dass das Fleisch aus guten Quellen kommt (wovon ich bei diesem Restaurant ausgehe), habe ich kein Problem damit, welches zu essen. Ich hätte es auch sehr bedauert, von den ganzen Köstlichkeiten, die wir um uns rumgestapelt haben, nicht probieren zu können.

Meine erste Vorspeise war Kohlrabi mit Vogelmiere und Sauerampfer, angemacht mit Öl und ich glaube, ohne Essig. Die Kräuter haben dem mild-nussigen Kohlrabi eine frische Schärfe verliehen, und das weiche Öl hat alles brav zusammengehalten. Sieht so einfach aus, schmeckt auch schön geradeaus vor sich hin, aber es hat mich mindestens zwanzig Minuten glücklich gemacht, weil ich es in winziges Bissen genossen habe, damit es nicht so schnell vorbei ist.

Ochsenherz mit Kresse und eingelegten Walnüssen. Bei Innereien bin ich etwas memmig, aber mein Vorsatz war: alles probieren. Es eklig finden kann ich danach ja immer noch. Also habe ich probiert – und war sehr positiv überrascht: zartes, ganz leicht faseriges, dünngeschnittenes Fleisch, das für mich wie ein richtig gutes Steak geschmeckt hat. Die Kresse und die Nüsse haben der Sauce noch einen schönen Kick mitgegeben, und der Fleischgeschmack war sehr intensiv und sehr rund.

Noch was aus dem Innenleben, diesmal Kalbsbries mit Gartenmelde. Auch hier war ich überrascht von der Konsistenz: ganz weiches Fleisch, das trotzdem erst nach einem winzigen bisschen Biss nachgibt und dann im Mund dahinschmilzt. Dazu gab’s eine sehr würzige Sauce; die Gartenmelde habe ich eher als frischen Beiklang bemerkt als richtig geschmeckt. (Wobei ich jetzt auch nicht weiß, wie Gartenmelde schmeckt. Ich wusste ja nicht mal, dass es so etwas gibt, bevor ich mithilfe von LEO die Speisekarte entziffert habe.)

Meine zweite Vorspeise waren Kartoffeln mit Entenei. Die jungen Kartöffelchen waren sehr zart und hatten einen ganz, ganz leichten Salzhauch unter ihrer glattpolierten Schale, das Entenei war etwas fester als ein Hühnerei, das Gelb floß zähmildweich dahin, und die Winterkresse knackte würzig zwischen den Zähnen. Auch hier: zwanzig Minuten was zu tun gehabt. Weil wundertoll.

Das einzige Gericht, von dem ich nur die duftende Estragonsauce probiert habe, denn Florian sah so glücklich mit seinen Fischen aus, dass ich ihm davon nicht einen Bissen wegessen wollte. Marqueee hatte sich bei seiner Foie gras das Teilen auch verbeten, aber wir haben trotzdem etwas abbgekommen (und ich habe vergessen, sie zu fotografieren). Die Foie gras wurde mit Entenleber auf geröstetem, knusprigem Graubrot serviert, das direkt im Restaurant gebacken wird. Ich fand sie sehr rund und lecker und behaupte, einen leichten Kaffeegeschmack entdeckt zu haben.

Nach dem würzigen Teil wartete der süße. Juliane gönnte sich das üppig-sahnige Marmeladeneis, das genauso schmeckt wie es klingt: fruchtig, weich, schmackig, schlotzig. Sehr simpel serviert, kein doofes Minzblättchen; das hatte schon fast Jugendherbergscharme, aber mehr braucht es auch nicht. Juliane bestand darauf, dass ihr Daumen im Bild sein müsste.

Florian entschied sich für die custard tarte mit Pflaumen, die genau die gleichen Adjektive verdient wie das Eis: weich, schmackig, schlotzig. Ein bröselig-knuspriger Boden, die eingelegten Pflaumen, dazu die Tarte: so simpel, so gut.

Marqueee hatte das klarste Dessert von allen: eine Kugel Zitronensorbet, die mit einem Wodka serviert wurde.

Und ich konnte chocolate terrine & brandy snap nicht widerstehen, auf der noch eine Nocke Crème fraîche thronte. Hervorragende Idee, denn die zähsüße, tiefdunkle Terrine, die mich ein bisschen an eine Nobelversion vom Kalten Hund erinnerte, war arg zuckerlastig, was aber nicht negativ ist: Zusammen mit dem Gebäck und der eiskalten Creme war es ausgewogen und hat längst nicht so schwer geschmeckt wie es hätte schmecken müssen.

Ein bisschen Platz war noch, und der wurde sofort mit einem halben Dutzend Madeleines gefüllt, die butterknusprig und ofenwarm serviert wurden. Marqueee und ich teilten uns noch vier kleine Stückchen Käse – oder versuchten es zumindest –, während die anderen beiden sich schon Espresso und Schnaps ergaben. Den Alkohol hatten wir natürlich auch noch, nachdem der Käse den Magen abgeschlossen und den Schlüssel verbaselt hatte.

Fehlt nur noch der Wein: Der erste war ein Chenin Blanc, La Grange aux belles „Fragile“, 2009, wenn ich die Weinliste des Lieferanten richtig verstehe. Ich kann mich kaum an ihn erinnern, außer dass er sehr lecker war, aber der zweite überlagert meine Erinnerung komplett. Der hier: ein Muscat sec von Domaine Boudau. Die Nase sagt: Bergamotte-Tee, der unter gelben Bäumen serviert wird. Und der Gaumen sagt gar nichts mehr, sondern wirft sich ergeben dem Stoff zu Füßen: viel, viel Frucht, ohne süß zu sein, viel, viel Kraft, ohne den Kopf zu plätten, ein ganz großer Mund, eine ganz leichte Säure, und über allem eben diese Bergamotte-Note, die vom Gebirge runterweht und ein bisschen Schnee mitbringt. Sowas habe ich noch nie getrunken, aber davon brauche ich jetzt dringend eine Kiste. Ach was, eine. Fünfzehn. Für die nächsten Jahrhunderte.

St. John Bread and Wine
94–96 Commercial Street
London E1 6LZ

10.02.2011

Fürs Tagebuch

15.01.2011

Da liest man so im eigenen Archiv rum und denkt sich … das kannste so nicht stehenlassen.

Vor gut einem Jahr ging in der Blogosphäre die Liste der zehn Futtersünden rum. Also zehn Dinge, von denen man eigentlich weiß, dass sie Müll sind, die man aber trotzdem isst oder trinkt, warum auch immer. Meine zehn waren im Dezember 2009 diese hier (längere, erklärende Fassung verbirgt sich unter dem Link):

1. Miracel Whip
2. Das belegte Brötchen vom Bäcker
3. Smileys-Pizza
4. Der Baumstamm von Aldi
5. Nutella
6. Rübensaft
7. 5-Minuten-Terrine/Tassensnack oder wie immer das Zeug heißt
8. Röstzwiebeln aus dem Plastikbecher
9. Alle Kinder-Produkte
10. Ben & Jerry’s

Ich war sehr erstaunt über diese Liste, denn ich kann mich kaum noch daran erinnern, wann ich das letzte Mal Röstzwiebeln aus dem Plastikbecher gegessen habe oder eine 5-Minuten-Terrine. Das Update für die Liste im Januar 2011:

1. Miracel Whip

Steht sogar noch im Kühlschrank, wird aber überhaupt nicht mehr benutzt. Der Kerl hat es eh nie gegessen, ich, wie in der alten Liste zu lesen ist, gerne als Aioli-Ersatz. Seit ich aber kein Fleisch mehr auf meine Sandwiches haue, sondern nur noch Käse und diverses Gemüse, schmiere ich mir gerne Senf in allen Geschmacksrichtungen aufs Brot. Sobald dieser Eintrag geschrieben ist, gehe ich in die Küche und verklappe das Glas, denn inzwischen geht auch selbstgemachte Mayonnaise bei mir ruckzuck. Und ich weiß, was drin ist.

2. Das belegte Brötchen vom Bäcker

Nope, keine Chance. Auch hier kann ich mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte Mal eins von den Dingern gekauft habe. Ja, ich schlafe morgens immer noch lieber länger als mir ein Brot zu schmieren, aber fleischlose Brötchen sind meistens Tomate-Mozzarella, und darauf habe ich überhaupt keine Lust. Mal abgesehen davon, dass ich die Berge von Remoulade oder ähnlichem, die sich gerne unter der Scheibe „Putenbrust“ verbargen, noch nie so richtig sexy fand.

3. Smileys-Pizza

Die wird ab und zu noch bestellt, aber längst nicht mehr so oft wie früher, weil ich inzwischen weiß, dass ich in der einen Stunde Wartezeit auf die Lieferung auch selber einen Fladen in den Ofen schieben kann. Und der kommt inzwischen ohne Beef oder Salami oder ähnliches aus und sieht so aus (beim Herrn des Hauses liegt noch Schinken drauf).

4. Der Baumstamm von Aldi

Der Baumstamm kommt mit dem ganzen Weihnachtskram in die Aldi-Märkte, und ich freue mich da jedes Jahr drauf. Eigentlich. 2010 habe ich mich dauernd gefragt, wann denn endlich mein traditioneller Gieper nach dem Zeug einsetzt, wann ich endlich Lust auf die Marzipan-Nougat-Bombe haben werde. Der Weihnachtskram ist schon längst wieder aus den Märkten raus, und ich warte noch immer. Seit gefühlt 20 Jahren das erste Weihnachten, ohne einen Baumstamm zu essen. Einfach weil ich keine Lust mehr auf diese Billigschokolade hatte. Ich glaub’s selber kaum.

5. Nutella

No-one puts Nutella in the corner. (Geht immer. Schmeckt immer.)

6. Rübensaft

Dito.

7. 5-Minuten-Terrine/Tassensnack oder wie immer das Zeug heißt

Näh. Der Kerl hat noch ein paar Tütensuppen im Regal, weil er bei Erkältungen nur von dem Zeug lebt, aber ich rühr den Kram nicht mehr an. Mir geht ja inzwischen selbst die Biogemüsebrühe auf den Zeiger, weil da auch Hefeextrakt drin ist und jede verdammte Gemüsesuppe nach dem Zeug schmeckt (so wie diese hier – ich liebe dieses Foto). Einer der kulinarischen Vorsätze für dieses Jahr: endlich Gemüsebrühe selber kochen. Wozu hab ich denn einen Tiefkühler, verdammt?

8. Röstzwiebeln aus dem Plastikbecher

Warum Fertigzeug essen, wenn es kaum Dinge gibt, die verheißender duften als leicht angebratene Zwiebeln in Butter?

9. Alle Kinder-Produkte

Alle viel zu süß geworden für meinen Gaumen. Auch hier: Ich glaub’s selber noch nicht, aber es ist so. Früher bin ich am Süßigkeitenregal im Supermarkt stehengeblieben und habe ziemlich wahllos Zeug in den Einkaufswagen geschaufelt: Knoppers, Twix, Toffifee, kiloweise Ritter Sport oder Milka und eben die Kinder-Produkte. Heute ist es die 55%ige Vollmilchschokolade von Hachez und zur Abwechslung eine Runde Kaffee-Sahne-Schokolade, gerne die von Aldi oder von Alnatura. Das war’s. Der ganze Kram von oben lockt mich überhaupt nicht mehr. Dafür schaufele ich jetzt wahllos Zeug aus der Obst- und Gemüseabteilung in den Einkaufswagen.

10. Ben & Jerry’s

Siehe „zu süß geworden“. Geht nur noch sehr selten, und danach ist mir meistens schlecht. Ich bin dafür auf den Häagen-Dazs-Geschmack gekommen, auch wenn mir die schönen, feisten Brocken von Ben & Jerry’s fehlen.

Die beiden verlinkten Fotos auf Flickr gehören zu einem neuen Set, das ich seit Anfang Januar befülle: Futter. Ich habe angefangen, meine drei Hauptmahlzeiten zu fotografieren und hochzuladen (meine Zwischendurch-Kekse verschweige ich natürlich), aber das wird wochentags sehr langweilig, morgens fünfmal Müsli mit irgendeinem Obst drin zu fotografieren. Daher knipse ich jetzt nur noch ausgewähltes Zeug; weil ich gerne selber gucke, was ich gegessen habe und weil ich mich meistens sehr darüber freue, was ich gegessen habe.

13.01.2011

Nach dem Telefonat mit der Lektorin, als sie mir sagte, in welchem Segment ich in den Buchläden lande, steht fest, was demnächst auf meinen Visitenkarten steht:

Anke Gröner
Schreibt unterhaltsame Sachbücher für die Frau.
Und Autokataloge.