Rom, 15. bis 21. Mai 2011

Sonntag, 15. Mai/Montag, 16. Mai

Sechs Tage Studienreise nach Rom mit Studiosus. Heißt: die Jüngsten in einer sehr seniorigen Gruppe sein, viel rumlaufen, noch viel mehr zuhören und lernen. Nix ist’s mit Buch, Sofa und Pause, nein, wir laufen und lernen. Genau das wollte ich – ich war schon dreimal mit Studiosus unterwegs –, und den Kerl überredete ich sanft („Kommmitkommmitkommmit!“).

Wir landeten um 17 Uhr in Rom, warteten eine knappe Stunde auf unsere Koffer und waren dann mit dem einsprachigen Shuttle-Fahrer in gefühlten 30 Sekunden im Hotel in der Nähe des Vatikans. Die italienische Fahrweise ähnelt der französischen – „die anderen haben auch ne Bremse“ –, und ich presste die gesamte Fahrt den Bremsfuß in den E-Klasse-Teppich. (Am Flughafen den einzigen Ferrari gesehen und den ersten der mindestens 8 Millionen smarts in der Stadt. Der knuffige Cinquecento scheint aber aufzuholen. Ebenfalls aus den Augenwinkeln erhascht: ein paar Maseratis und immerhin einen Lamborghini.)

Nach dem Abendessen mit der Gruppe gingen der Kerl und ich noch zum beleuchteten und fast leeren Petersplatz, circa zehn Fußminuten vom Hotel weg. Wie klug das war, merkte ich am nächsten Tag, als wir um kurz vor 9 mit der Gruppe wieder dort waren, um erst in die Kuppel zu klettern und uns dann den Dom „von unten“ anzugucken. Der Platz war schon relativ gut gefüllt, die Busse bildeten kleine Schlangen, aber wir warteten gerade knapp zehn Minuten, bis wir durch die Metalldetektoren in die Kirche durften. Als wir drei Stunden später wieder auf dem Platz standen, zog sich die Schlange einmal komplett an den schönen Kolonnaden entlang, die um den Platz herumstehen.

Die ersten 100 Meter zur Kuppel nahmen wir per Fahrstuhl und blickten danach erstmals in die Kirche. Der Petersdom ist 137 Meter hoch, was von außen zwar recht ordentlich, aber nicht übermäßig hoch aussieht. (Zum Vergleich: Die Cheops-Pyramide ist 147 Meter hoch und macht etwas mehr Eindruck, wenn man vor ihr steht.)

Bevor wir hochkletterten, gönnten wir uns noch einen Blick auf die Sixtinische Kapelle. Ja, das ist der unscheinbare graue Kasten. Den Kamin, aus dem der Rauch nach einer Papstwahl aufsteigt, gibt es übrigens nicht ständig – der wird für jede Wahl neu aufgebaut und dann wieder in die Mottenkiste geworfen, denn es wäre etwas zu gefährlich, in der Sixtinischen Kapelle mit Stimmzetteln rumzuzündeln.

Zurück zum Dom: Wenn man in ungefähr 100 Meter Höhe steht, sieht das ganze so hoch aus wie es ist. Die Menschlein unten kriechen als Ameisen über den Marmor – die Buchstaben im Bild sind knapp zwei Meter groß – und ich hielt mich leicht höhenfühlig am Gitter fest und guckte nicht allzuoft nach unten. Aus der Kuppel schaut man direkt auf das Grab von Petrus, über dem ein Baldachin aus Bronze steht. Der Baldachin wurde von Gian Lorenzo Bernini gestaltet, dem wir im Laufe des Woche noch öfter begegneten (quasi der Haussmann von Rom).

Nach dem Kuppelblick begann der Aufstieg. Ich wusste, es wird eng, aber es wird dazu auch noch schräg – irgendwann merkt man dem Gang eben an, dass er um eine Kuppel herumführt. Die letzten fünf Meter (nach 300 Stufen) klettert man über eine Wendeltreppe aus Eisen, die gefühlt 70 Zentimeter breit ist; in der Mitte hängt eine Kordel, die man als Geländer benutzt, und sobald man den Knoten fühlt, kann man den Blick wieder von den Füßen nehmen und nach oben gucken, wo man auf eine Steinbrüstung tritt und einen wundervollen Blick über Rom genießen kann. (Vor allem auf die Armen in der Schlange, die a) noch anstehen und b) noch 300 Stufen vor sich haben.)

Der Abstieg geht weitaus schneller, und dann steht man im Petersdom, der von oben noch so mächtig aussah – und jetzt auf einmal den Charme einer Bahnhofshalle hat. Einer dunklen, verwinkelten und seltsam dimensionierten Bahnhofshalle. Wie groß der Dom ist, sagen einem die Baumeister eitlerweise noch mal: Auf dem Boden sind Markierungen, an denen man ablesen kann: Hier finge St. Paul’s Cathedral an, hier der Kölner Dom, hier irgendeine andere Kirche, die logischerweise kleiner ist als das Protzmonster. Unser Reiseführer erzählt, dass Michelangelo (der die Kuppel erbaut hat – die höchste weltweit) einen symmetrischen Kreuzbau vor Augen hatte – und dann hätte das ganze auch gleichmäßig und erhaben ausgesehen. So verschwindet die Kuppel irgendwo dahinten im Halbdunkel, während man selbst in einem viel zu langen Kirchenschiff steht. Goldene Decken und Papststatuen aus Marmor hin oder her – das Ding wirkt wirklich nur von oben.

Immerhin steht ganz am Anfang Michelangelos Pietà – leider nach einem Attentat nur hinter dickem Panzerglas, was ihre Wirkung ziemlich abschwächt. Man kann nur von vorne draufgucken und steht mindestens fünf Meter weg, was ich sehr schade fand. Trotzdem ist sie wunderschön, sehr feingliedrig und hat mich mehr berührt als die Kirche, in der sie steht.

Der ganze Dom wuselt von Menschen; unzählige Touristengruppen werden durch die Gegend gescheucht. Genau wie sie tragen wir Kopfhörer bzw. Ohrstöpsel und hören unseren Reiseleiter verstärkt, was ganz praktisch ist, denn die Akustik ist ebenfalls Bahnhofshalle. Im dem ganzen Riesending gibt es immerhin eine winzige Kapelle, die noch güldener ist als der Rest, und vor der man anstehen muss, um reinzudürfen. Hier kann man sich zum Gebet zurückziehen, und genau das mache ich. Ich lasse die üblichen vordrängelnden Senior_innen vordrängeln, übe mich in christlicher Nachsicht und gehe dann in die kleine Kapelle. Die meisten Menschen knien in den Bänken, ich sehe diverse Rosenkränze, aber einige setzen sich auch, wie ich (als Protestantin). Ich bin immer etwas neidisch auf die Katholik_innen, weil sie die bunteren Kirchen haben, aber nach dem ganzen Gold da draußen und noch mehr hier drinnen sehne ich mich fast nach „meiner“ Hamburger Kirche, die aus rotem Backstein besteht und als einzigen Schmuck einen Blumentopf auf dem Altar hat. (Nebenbei: Bei unserem Spaziergang am Nachmittag durch Rom sind wir an mehreren Geschäften vorbeigekommen, in denen man prima kirchliche Gewänder und Utensilien kaufen kann. Darüber habe ich mir vorher auch noch nie Gedanken gemacht, woher die Jungs eigentlich ihre ganzen Arbeitsmittel haben. Jetzt weiß ich’s: Sie kaufen sie wie ich Druckertinte und MacBook-Hüllen.)

(Um den Baldachin und das Petrusgrab herum stehen vier Statuen, die die höchsten Insignien der katholischen Kirche anzeigen: die Speerspitze des römischen Soldaten, der Jesus den Todesstoß versetzte; Jesus’ Schweißtuch, ein Kreuzsplitter – dafür ist die obige Dame zuständig – und dann war da noch der Heilige Andreas mit dem gleichnamigen Kreuz, aber wofür der steht, habe ich vergessen.)

(Der Bronze-Baldachin mit Blick in die Kuppel.)

Vom Petersdom führt unser Weg an der Engelsburg vorbei; der Fluchtpunkt, den die Päpste über einen Geheimgang vom Petersdom aus erreichen konnten. Wobei der „Geheimgang“ eine gut fünf Meter hohe Steinmauer ist. Also total subtil, aber dafür auch stabil. Über die Engelsbrücke gehen wir in die Altstadt.

(Figur auf der Engelsbrücke.)

Dort wird erstmal Mittag gemacht, bevor wir auf die Piazza Navona spazierten. Nachdem ich den Petersdom etwas „underwhelming“ fand, stellte sich hier zum ersten Mal das Gefühl ein, jepp, genau deswegen fahre ich in den Urlaub bzw. auf Studienreise: um etwas zu sehen, das so einmalig und wunderschön ist, dass ich mich daran noch lange erinnern werde. In meinem Fall war das der Vier-Ströme-Brunnen, Fontana dei Quattro Fiumi. Von, genau, dem ollen Bernini, der von irgendeinem Papst den Auftrag bekommen hatte, einen ägyptischen Obelisken, den die Römer vor Jahrhunderten mal in dei Stadt geschleppt hatten, in ein „modernes“ Werk einzubauen. Und anstatt den Obelisk einfach in einen Brunnen zu setzen, hat Bernini den Pfeiler über den Brunnen gebaut. Unser Reiseführer meinte, wir seien vielleicht schon zu sehr mit dieser Art „schwebender Architektur“ aufgewachsen; wir bauten so viele Häuser auf Stelzen, dass uns das nicht mehr als etwas Besonderes erscheine. 1651 war das jedoch eine Sensation – und für mich persönlich ist es das noch heute. Das Ding besteht aus Travertin und wiegt weiß der Geier wie viele Tonnen, aber es sieht wunderschön und filigran aus. Die vier Kerle symbolisieren die damals vier bekannten Kontinente, wobei Europa dadurch versinnbildlicht wird, dass es das Papstwappen stützt, während zum Beispiel Asien sich verächtlich abwendet (und absolut nicht nach irgendwas Asiatischem aussieht, aber Bernini kannte höchtswahrscheinlich auch niemand aus diesem Kulturkreis). Das Papstwappen, dem man in Rom auch alle zehn Schritte begegnet, zeichnet sich durch die Mitra und die gekreuzten Schlüssel aus (Jesus sagte zu Petrus: Ich gebe dir den Schlüssel zum Himmelreich). Jeder Papst packt dann noch persönlichen Kram dazu, Benedikt XVI. zum Beispiel die Jakobsmuschel als Sinnbild für das Pilgern auf dem Jakobsweg.

Vor der gotischen Santa Maria sopra Minerva, schräg gegenüber vom Pantheon, steht ein weiteres Werk von Bernini: mal wieder ein Obelisk, diesmal auf einem Elefanten. Neben der Kirche steht ein Palazzo der Dominikaner (in dem Galileo abschwor und Giordano Bruno zum Tode verurteilt wurde; sehr sympathischer Haufen, diese Jungs), und einer der Mönche hatte Angst, dass der Elefant den Obelisk nicht würde tragen können. Daher durfte Bernini nicht die gleiche schöne Schwerelosigkeit wie beim deutlichen größeren Brunnenobelisk verwenden, weswegen dieses Denkmal auch weitaus klotziger wirkt. Seine kleine Rache: Der Arsch des Elefanten zeigt in Richtung Palazzo.

(Auf dem Weg zu Kirche, Elefant und Pantheon noch die Reste des römischen Senats – da, wo Julius Caesar erstochen wurde. Et tu, Brute?)

In der gotischen Kirche, die wie ein Fremdkörper in Rom wirkt, das eher durch Klassik, Rennaissance und Barock gekennzeichnet wird, steht eine kleine Statue von Michelangelo, der Auferstandene Christus. Hier darf man auch ganz nah ran, und hier hat mich dann auch wieder dieses seltsame Glücksgefühl erwischt, wenn man weiß, etwas Außergewöhnliches gesehen zu haben. Gerade im Petersdom sind eine Menge Statuen, die aussehen, als hätte sie ein Steinmetzprakti im ersten Jahr gehauen – und dann steht man ein paar Stunden später vor purer Perfektion. Kalter Stein, der aussieht, als würde er atmen können.

Zum Abschluss (und mit blutenden Füßen, denn wir waren bis auf die einstündige Mittagspause jetzt acht Stunden auf den Beinen) besichtigten wir das Pantheon. Sieht von außen aus wie noch nicht fertig – und von innen faszinierend gleichmäßig. Laut Reiseleiter ist die Kugel die harmonischste geometrische Form, und so wollte man im Pantheon auch gar nicht groß rumlaufen. Egal wo man stand, es fühlte sich richtig an (eat this, Petersdom). Das Ding wurde zwischen 118 und 125 n. Chr. von Kaiser Hadrian gebaut und war eine „Wohnstätte“ für so ziemlich alle römischen Götter. Der Durchmesser der Kuppel beträgt 43 Meter (ein knapper Meter mehr als der Durchmesser der Petersdom-Kuppel), und oben befindet sich eine neun Meter breite, runde Öffnung. Nur durch sie und die Eingangstür fällt Licht in den Bau – und es ist taghell, keine Ahnung warum. In jedem Detail, seien es die Kacheln in der Kuppel, der Marmor des Fußbodens oder die Fensterattrappen, verbinden sich Kreis und Rechteck. Bis auf die zwei Fenster, die die ollen Katholiken „verbessert“ und damit die Symmetrie ziemlich ruiniert haben. Die waren wahrscheinlich zu oft im Petersdom.

Statt eines Welcome-Drinks spendierte der Reiseleiter dann für jeden ein dickes Eis bei Giolitti, das es seit 1900 gibt und bei dem schon die Obama-Töchter zu Gast waren. Sounds like Touri-Falle, war aber gut.

Und das war ungefähr die Hälfte von dem, was wir heute gesehen, gehört und erlebt haben. Wir bestaunten auf dem Campo di Fiori, einem Marktplatz, verschiedene Häusertypen („Eher schmal und hoch, bevor es Mode wurde, eher breit zu wohnen“), und wir streichelten im Petersdom die Füße der Bronzestatue von Petrus, weil das Glück bringen soll – allerdings nicht für Petrus, denn weil das seit Jahrhunderten Menschen machen, hat der Gute keine Zehen mehr. An einem Rennaissance-Palast, in dem heute die französische Botschaft sitzt (ich weiß nicht mehr, ob für den Vatikan oder Italien), studierten wir die Fassade – zwischen ihre beigefarbenen Backsteine wurden mit roten Ziegeln Muster gebildet, die allerdings teilweise sehr ungleichmäßig waren. Angeblich durften die Steinmetzlehrlinge damals Figurenmauern üben, denn über die Ziegel kam noch eine Schicht Putz, so dass die verunglückten Muster eh niemand gesehen hätte. Dumm gelaufen. Wir gucken an der Marc-Aurel-Säule hinauf, die vor dem italienischen Parlamentsgebäude steht, und die unser Reiseleiter als den ersten Film der Menschheit bezeichnete: Das „Lebenswerk“ Aurels wird als fortlaufende Geschichte in Bildern erzählt, die von unten nach oben um die Säule herumlaufen.

Und wir kamen an diesem Gebäude vorbei, das direkt an den Kolonnaden steht. Reiseleiter: „Und hier wohnt der Papst.“ Was für eine irre Stadt, in der man diesen Satz sagen kann.

Dienstag, 17. Mai

Seit meiner ersten Lateinstunde wollte ich ins Kolosseum. Hat dann ja auch nur noch gut 30 Jahre gedauert, und dann war ich da. Anke in Colosseo est. Sed ubi est Kerl? Kerl fotografiert die als Gladiatoren verkleideten studentischen Hilfskräfte, während ich ein paar beeindruckte Tränchen trockne.

Das Kolosseum ist erstmal: groß. Und ich meine: groß. Man schätzt, dass um die 70.000 Leute reingepasst haben, und auf den Fotos kann man auch prima die kleinen bunten Touripunkte erkennen, die vielleicht einen Eindruck davon vermitteln, dass das Kolosseum echt jetzt mal groß ist. Und wieviel 70.000 ist, wird deutlich, wenn man weiß, dass während der Zeit der Erbauung (80 n. Chr.) Rom geschätzt 700.000 Einwohner hatte. Wenn wir so ein Ding heute in Berlin bauen würden, passten 350.000 Menschen rein.

Auch wenn das Kolosseum von innen nicht mehr ganz so aufgeräumt aussieht, kann man sich halbwegs vorstellen, wie beeindruckend es einmal war. Unzählige Sklaven haben erst einmal Mörtel und Steine in Holzverschalungen gegossen und die Masse trocknen lassen. Dann wurden die Verschalungen entfernt und alles mit Backsteinen ummauert; die kann man auch noch gut erkennen. Aber wir sind ja nicht bei Hinz und Kunz, sondern bei den Römern, die so unermesslich viel Geld hatten, dass sie nicht nur sehr große Bauwerke in die Landschaft geklotzt haben (ich komme noch auf den Palatin und das Forum zurück), sondern die auch noch richtig hübsch gemacht haben. Die Backsteine wurden weiß verputzt, und in den unteren Etagen, wo Tiere oder Gladiatoren auf ihren Einsatz warteten, und in den Gängen blieben die Wände wahrscheinlich so; im besten Falle wurden sie noch bemalt. Die Sitzplätze allerdings wurden mit weißem Marmor verkleidet, so dass man zwar etwas unbequem, aber dafür äußerst nobel saß. Im unteren Bild sieht man ein paar nachgebaute Sitzreihen, links über der nachgebauten „Bühne“.

Die Arena hatte vier Ränge; auf dem obersten durften Sklaven oder Frauen Platz nehmen, wobei kaum eine ehrbare Römerin sich bei den Spielen hätte sehen lassen (bzw. jeder ehrbare Römer hätte seiner Frau die Anwesenheit verboten. Mistkerle). Das Programm kennt wahrscheinlich jeder; Tierjagden bzw. Kämpfe zwischen Menschen und Tieren waren gern gesehen, die angeblichen Wasserspiele gab es nicht, aber dafür fanden im Kolosseum Hinrichtungen statt. Die Gladiatorenkämpfe Mann gegen Mann endeten allerdings eher selten so wie im Film. Die Jungs waren teure, gut ausgebildete Kämpfer, und daher gab es längst nicht so viele Dahingemetzelte wie man glaubt. Die Daumen-hoch-/Daumen-runter-Geste vom Kaiser wird übrigens auch neuerdings bezweifelt – bzw. ihre Bedeutung. Daumen hoch könnte auch gemeint haben: Du bekommst gleich eine unfreundliche Stichverletzung von unten, während Daumen runter heißen könnte: Du darfst noch ein wenig bei uns auf der Erde bleiben.

Direkt gegenüber vom Kolosseum beginnt schon die Gegend, die als Forum Romanum bekannt ist, selbst wenn das eigentliche Forum nur ein Marktplatz inmitten der riesigen Anlage ist. Wir erkletterten den Palatin, einen der sieben Hügel, auf denen Rom erbaut wurde, vorbei an den Resten eines Aquädukts. Davon gab es mal 20, die in die Stadt führten – alle von Ostia und dem Meer, das unterhalb Roms liegt. Auch hier waren wieder Sklaven im Einsatz, die den ganzen Tag Pumpwerke betrieben, um den Höhenunterschied auszugleichen. Von den 20 Wasserleitungen ist nur noch eine erhalten, die allerdings in beachtlicher Länge. Sie brachte bis in die Neuzeit Wasser bis zum Trevi-Brunnen, der die wichtigste Wasserquelle der Stadt war. Deswegen wurde aus dieser eben auch irgendwann der Monsterbrunnen, der er jetzt ist. (Ich glaube, Rom hat einen Hang zum Überdimensionierten.)

Am Forum stehen nur noch zwei, drei Bögen eines Aquädukts, aber der ist uns jetzt egal. Wir schlendern an den mal wieder riesigen Ruinen eines Palastes vorbei, in dem mehrere Jahrhunderte lang römische Kaiser gelebt haben. Und obwohl der Circus Maximus gleich um die Ecke liegt, wurde direkt am Palast noch eine zweite, kleinere Rennbahn erbaut. Man erkennt noch die Sockel der Säulen, die einen Gang bildeten, damit die Besucher im Trockenen zuschauen konnten. Irgendwann fand eine Kaisergattin, dass Pferderennen doof seien und wollte eine Dressurmanege. Die erkennt man am hinteren Bildrand.

Was ich am Reiseleiter so mochte: dass er Zusammenhänge gut und nachvollziehbar erklären konnte. So erzählte er von den Jahrhunderten, in denen die einzelnen Bauwerke entstanden, beschrieb, wie sie unterhalten werden mussten, auch wenn die Kaiser jahrelang auf Feldzügen unterwegs waren und schuf so ein sehr dichtes Bild, das es etwas leichter machte, von den verstreuten Steinklötzchen beeindruckt zu sein. Genau wie mit dem Rest des Forums. Irgendwann standen wir vor der Maxentius-Basilika, die keine Kirche ist, sondern eine Markthalle. Das hätte aber niemand von uns anhand dieser riesigen Ausmaße vermutet. Aber so wurde eben immer noch der Anschein von Wohlstand und Macht vermittelt, obwohl das römische Weltreich schon an allen Enden bröckelte.

Der Titusbogen, der älteste, noch erhaltene Triumphbogen von circa 81 nach Christus. Das Detail zeigt die Eroberung Jerusalems. Bundeslade und so.

Der Saturn-Tempel auf dem Forum. Direkt nebenan befindet sich ein Stein (ach was), der quasi den Nullpunkt anzeigt. Also der Punkt, an dem alle sprichwörtlichen Wege nach Rom enden, was praktisch für die vielen Pilger war, die sich irgendwann mal aufgemacht haben. Eine Schrifttafel sagt dann genau das; ich erinnere mich schemenhaft an das Wort „umbilicum“, also den Nabel, und die widerliche Typo, die kurz nach 1900 für die Inschrift gewählt wurde. Ich habe sie die Comic Sans der Antike getauft.

Blick aus den kapitolinischen Museen (es sind zwei Gebäude) auf das Forum. Das ganze muss man sich mit klebrigem Muzak vorstellen, der allen Ernstes aus Lautsprechern über den Aussichtspunkt dudelt. Ruiniert ein winziges bisschen die Stimmung, wenn ich das mal so sagen darf, lieber Tourismusverband. Auf dem oberen Bild kann man hinter den drei Säulen die Reste des Hauses der Vestalinnen erkennen und am Bildrand den Titus-Bogen von eben. Auf dem unteren sieht man in gaaaanz klein hinter dem mit Baustellenplane verkleideten Gebäude die oberen Ränge des Kolosseums und im Vordergrund den Septimius-Severus-Bogen, zu dem ich rein gar nichts sagen kann. Der Vormittag war schon weit fortgeschritten und mein Kopf voll.

Bevor wir uns noch durch die Museen schleppten, gab’s erstmal Mittag. Und das ist dann auch das Einzige, was ich an der Reise zu bemängeln habe. Das Programm ist derart straff, dass wir nie die Zeit hatten, mal eine halbe Stunde mit dem Bus durch den römischen Verkehr zu gondeln, um zu einem richtig guten Restaurant (oder auch nur einer nicht touristenverseuchten Trattoria) zu kommen. Natürlich haben wir da gegessen, wo wir nun einmal gerade waren, und das sind dann eben die Läden mit den fünfsprachigen Speisekarten und den vielleicht eher globalen Würzungen. Ich habe meist versucht, etwas Vegetarisches zu bekommen und bin fast immer bei einem Sandwich (tramezzino) oder einem Salat gelandet. Ich war bei 25 Grad Mittagshitze aber auch nicht wirklich in Stimmung für Gnocchi mit Gorgonzola-Sauce, aber da war ich eine Ausnahme in unserer Gruppe, die netterweise nur aus zwölf Leuten plus Reiseführer bestand. (Mein Futter findet sich wie immer bei Flickr, nur das Sandwich von heute nicht, denn das habe ich vergessen zu fotografieren.)

Die kapitolinischen Museen wurden im 15. Jahrhundert gegründet und sind die ersten ihrer Art: Hier wurden erstmals Gegenstände ausgestellt, damit irgendwer sie angucken kann. Sie stehen auf einem trapezförmigen Platz, den Michelangelo so angelegt hat, damit er größer wirkt. In ihnen befinden sich „Klassiker“ wie zum Beispiel die Wölfin, die Romulus und Remus säugt. Eine der wenigen erhaltenen Bronzestatuen, in diesem Fall von Marc Aurel – Bronze war ein beliebter „Werkstoff“, um geklaut zu werden, deswegen gibt es nicht mehr viele Statuen daraus. Eine Menge an Marmorköpfen, bei denen augenscheinlich die Nasen restauriert werden mussten; im Mittelalter, als viele der Statuen und Köpfe gefunden werden, wusste man nicht so recht, ob einem die alten Götter schaden könnten. Daher schlug man ihnen die Nasen ab, damit sie nicht mehr atmen konnten.

Drei wunderschöne Statuen, die mich mit ihrer Lebendigkeit begeistert haben; sie fühlen sich wie Momentaufnahmen an und nicht wie irgendwas für die Ewigkeit, das sie lustigerweise geworden sind. Das ist einmal der Dornauszieher und zum zweiten der sterbende Gallier. Gerade er sieht wirklich so aus, als könnte man ihn mit ein bisschen erster Hilfe noch vom Totenbett zerren. Die dritte Statue ist die der kapitolinischen Venus, bei der man, Schockschwerenot, ein Bäuchlein sieht. Das antike Schönheitsbild sieht also bei Frauen durchaus Bauchfett vor, das man nicht mit bizarren alten Tricks lösen muss. Unglaublich.

Dann gab es ein kleines Bild von Tauben, die aus einer Schüssel trinken, was mich erstmal hat denken lassen, najut, ein Vogelbildchen. Aber wenn man sich ganz, ganz nah davorstellt, sieht man auf einmal, dass das Bild nicht gemalt ist, sondern aus winzigsten Mosaiksteinen besteht. Und schon ist es toll.

(Man merkt mir immer an, wenn der Tag später und später wurde – irgendwann wollte ich nicht mehr fotografieren, obwohl ich im Museum gedurft hätte.)

Noch ein Lob für den Reiseleiter: Er scheute sich nicht, uns auch mal Massenware zu zeigen und sie auch so zu nennen. Der Marforio zum Beispiel war eine Deko in einer Therme, die eben auf Teufel komm raus geschmückt wurde. So wie wir heute nicht jedes Zimmer mit Ebenholz täfeln, sondern Ikea-Tapete an die Wand hauen, gab es natürlich auch in der römischen Zeit Zeug, das einfach so runtergemeißelt wurde ohne große Ansprüche. Das Wikipedia-Bild ist ziemlich schmeichelhaft; gerade wenn man die beiden Michelangelos von gestern noch im Kopf hat oder den sterbenden Gallier von vor zehn Minuten, sieht man, wie grobschlächtig das Ding aussieht. (Meine liebste Aussage des Reiseleiters war in den Vatikanischen Museen, wo er einen ganzen Saal voller Putten als „Gartenzwergsammlung“ bezeichnete. Seitdem habe ich Alpträume davon, dass in 2.000 Jahren irgendwer Gartenzwerge ausstellt und sie als wichtige bildnerische Leistungen des 21. Jahrhunderts preist.)

Zum Schluss noch ein fun fact zum letzten Bild mit den beiden Statuen, von denen eine kopflos ist – mir ging es bei dem Bild nämlich nicht um den Kopf, sondern um die Baumstämme, an die sich der Mensch schmiegt. Die meisten Marmorstatuen haben eine so dusselige Gewichtsverteilung, dass sie unten einen Schwerpunkt brauchen, um nicht umzufallen. Die Griechen waren schlauer – das sieht man an der Venus, die eine Amphore hat –, die Römer laut Reiseleiter eher doof, weswegen so gut wie alle Statuen einen Baumstamm haben, der meist völlig sinnfrei ist und nichts mit dem oder der Dargestellten zu tun hat. Ist mir noch nie aufgefallen, aber danach habe ich bei allen Statuen nach den Stämmen geguckt und sie auch immer gefunden.

Mittwoch, 18. Mai

Oder wie ich ihn nenne: Kirchentag. Auf den Programm stehen satte fünf Kirchen, nachdem wir gestern nach den kapitolinischen Museen schon in der zweiten nach dem Petersdom waren, genauer gesagt, in Santa Maria in Aracoeli. Dabei meinte der wunderbare Reiseleiter launig, wir seien mit der jetzigen Optik schon ziemlich spät dran, so um 1390. Sowas können auch nur Historiker_innen sagen.

Die Kirche hat mir sehr gut gefallen, vor allem, weil mir hier zum ersten Mal klargeworden ist, dass so ziemlich jedes neue Bauwerk sich anscheinend bei einem alten bedient. Ich war jahrelang nörgelig, weil ich wusste, dass viele Moscheen mit dem Marmor gebaut wurden, der mal die Pyramiden verkleidet hat – und nun stand ich in einer katholischen Kirche, in denen dutzende von römischen Säulen die Decke hielten. Lustigerweise waren sie alle unterschiedlich in Durchmesser, Farbe oder Maserung, und in dem Moment verstand ich auch, was mit „schon ziemlich spät dran“ gemeint war: Die meisten Tempel waren schon geplündert, die gleichmäßigen Säulen waren schon verbaut, und deswegen sieht diese Kirche eben etwas wuselig aus. Wie gesagt, mir hat sie gefallen, vielleicht gerade wegen der Wuseligkeit. Hier habe ich auch zum ersten Mal einen sogenannten Kosmatenfußboden gesehen, eine Art grafisches Mosaik. Der Fußboden hier sah eher nach Fingerübung als nach perfekten geometrischen Mustern aus, aber damit passte er sehr schön zu dem Säulengewimmel.

Aber damit nicht genug: In einer Seitenkapelle versteckte sich noch ein Bild, an dem man prima sehen konnte, wie die Malerei sich so langsam an die Zentralperspektive rangetastet hat: das Begräbnis des Heiligen Bernhardin von Pinturicchio. Die Linien auf dem Boden stimmen schon halbwegs und laufen fast gleichmäßig auf den Horizont zu, aber trotzdem hat jede Figur noch eine eigene Perspektive, was das ganze wieder sehr schräg wirken lässt. Ich vergesse manchmal, dass andere Zeiten andere Blickwinkel auf die Welt hatten, und deswegen mag ich solche Momente gerne, in denen die Welt mir das nochmal sagt. So nach dem Motto, vor dir war schon jemand hier, und es ist nicht alles mit dir zuende. (Hier bitte die Titelmelodie zu Es war einmal … der Mensch einspielen. Danke.)

Also: Petersdom – check. Santa Maria in Aracoeli – check. Dritte Kirche: Santa Maria Maggiore.

Santa Maria Maggiore ist eine der vier Kirchen, die eine sogenannte Heilige Tür haben. Das heißt, eine Tür, die nur im Heiligen Jahr, das alle 25 Jahre stattfindet, geöffnet wird. (Je länger die Woche dauerte, desto mehr seltsame Geschichten von und über und mit Katholik_innen habe ich gehört und mir irgendwann gedacht, ach, ich hab’s doch ganz gut bei den Evangelen, so mit ohne Firlefanz.) Das letzte Heilige Jahr war 2000, und zur Feier des Jahres haben alle vier Kirchen eine neuen Heilige Tür gekriegt. Dass die dicke Bronzetür in dieser Kirche neu ist, erkennt man nicht nur an der Inschrift bzw. Ãœberschrift, die auf lateinisch verkündet, wer diese Tür schon geöffnet und geschlossen hat, sondern auch an der bildnerischen Darstellung des Jesus’.

Denn der gute Mann hat nicht, wie in alten Darstellungen üblich, die Wundmale in der Hand, sondern im Handgelenk, weil wir inzwischen glauben, dass bei Kreuzigungen die Nägel durch die Gelenke geschlagen wurden.

Und wer bisher bei meinen Rom-Erzählungen mitgelesen hat, weiß auch, was das hier ist:

Genau: ein Papstwappen. Wir erinnern uns? Die gekreuzten Schlüssel und die Mitra? Richtig. In diesem Fall gehört dazu noch ein M, das steht für Maria, und damit wissen wir, dass dieses Wappen Papst Johannes Paul II. gehört. Der hat im Jahre 2000 die Tür auch noch geöffnet.

Die Kirche besteht aus gefühlt 17 Baustilen; das ist auch das Besondere an ihr, denn anstatt den alten Kram abzureißen, hat man einfach jahrhundertelang übereinander und nebeneinander rumgebaut. Das heißt, wir haben einen Turm, der nicht so recht zum Portal passt, und zwei seitliche Anbauten, die aussehen wie Bürogebäude, und irgendwo dahinten ist noch eine Kuppel, die in Mode kam, als der Petersdom erbaut wurde, und dann schwebt über unseren Köpfen eine Kassettendecke, die vom Pantheon inspiriert wurde. Innen ist alles goldig und an den Betstühlen stehen verschiedene Sprachen, damit man als Tourist_in weiß, in welchen man gehen muss, wenn man auf deutsch, englisch oder spanisch beichten möchte. Netter Service. Ebenso netter Service: Laut des Reiseleiters ist Santa Maria Maggiore die einzige Kirche, in der seit Jahrhunderten jeden Tag eine Messe gelesen wird. (Ich habe mir leider nicht notiert, wann die Jungs damit angefangen haben.)

Mein persönliches Highlight war das Grab von Bernini, das auf Höhe des Hochaltars liegt, also einen richtig guten Platz hat. Ach, Gianninoschnuffel. Vor zwei Tagen wusste ich nicht mal, dass es dich gibt, und jetzt bin ich ein Groupie und verwackele aufgeregt deine Grabplatte.

Circa zehn Fußminuten entfernt liegt unser nächstes Ziel: Santa Prassede. Bei der Wikipedia finden sich sehr hübsche Fotos, die meine mal wieder locker übertreffen, und da könnt ihr auch alles nachlesen, was wir mündlich zu hören bekommen haben. Wobei ich geistig nur noch an Wurst gedacht habe, als der Reiseleiter meinte, die beiden Damen Praxedis und Schwesterlein, denen die Kirche geweiht ist, hätten in großen Kesseln das Blut christlicher Märtyrer gesammelt.

Wenn Sie sich bitte mal die Wikibilder angucken möchten? Da sieht man nämlich prima die Kassettendecke und den Kosmatenfußboden. Und vor allem ein Mosaik, das ich auch fotografiert habe –

–, weil mich daran dieses Detail so fasziniert hat. Es zeigt statt des gewohnten runden Heiligenscheins einen eckigen, was bedeutet, dass die betreffende Person noch lebt.

Nochmal zehn Fußminuten weg und laut Reiseleiter eine total hässliche Kirche: San Pietro in Vincoli. Sooo hässlich fand ich sie nicht, aber nach den schönen Decken und Fußböden, die wir schon gesehen hatten, war sie relativ schlicht. Der Grund, weswegen wir sie trotzdem dringend angucken mussten, ist das Grabmal von Papst Julius II. Das ist der Kerl, der den Petersdom in Auftrag gegeben hat, also nicht unbedingt eine kleine Nummer. Und deswegen fragte er auch einen Bildhauer von gewissem Ruf, ihm ein Grabmal zu meißeln, nämlich den Herrn Michelangelo. Es ist bis heute nicht klar, wie genau das Grabmal hätte aussehen sollen, aber man geht von haufenweise großen Statuen und Zeug aus. Blöderweise starb der Papst, als Michel gerade eine einzige Figur komplett fertiggestellt hatte. Die Nachfolger wollten nicht so recht mit der Bezahlung rausrücken, weswegen Michel einen Gang runterschaltete und nicht mehr ganz so eifrig am Marmor rumklöppelte, was dazu führte, dass er 50 Jahre später starb und es weiterhin nur eine Figur gab. Und die steht in der hässlichen Kirche – inmitten eines noch hässlicheren Grabmals.

Der Moses von Michelangelo ist wieder eine der Figuren, vor der man stundenlang rumstehen könnte, so lebendig sieht sie aus. Und so füchterlich wütend! Kein Wunder: Sie zeigt Moses direkt nach dem Abstieg vom Berg Sinai, wo er die zehn Gebote empfing, nur um nach den ganzen Mühen am Fuße des Berges zu sehen, wie wenig sich irgendwer für Regeln und Gebote interessierte. (Hat sich ja nicht großartig was geändert.) Deswegen verzieht er seine Stirn, deswegen puckern seine Adern unter der Haut, und deswegen sieht er aus, als würde er sich gleich erheben und die ganze Menschheit mal so richtig zusammenfalten.

Und über diesem gleich explodierenden Moses liegt – liegt! – ein Papst wie eine Bikininixe beim Sports-Illustrated-Shooting und guckt gelangweilt in der Gegend rum. Neben und unter ihm warten noch vier weitere Marmormenschen auf den Bus, aber eigentlich ist alles egal. Das ganze Grabmal sieht so schräg aus, als ob sich jemand einen riesigen Witz mit dem ollen Julius hätte erlauben wollen.

Nebenbei lief in der Kirche die ganze Zeit „Kuschelklassik für Kirchen“ über Lautsprecher, Händel, Bach, you know. Schnell zum Mittagessen in Richtung Kolosseum gehen und den Frust über das vergeigte Grabmahl mit dem belanglosesten Tomatensalat aller Zeiten bekämpfen.

Ein kleiner Verdauungsspaziergang führte uns zur meiner Meinung nach spannendsten Kirche des Tages: San Clemente, denn sie ist quasi drei Gebäude auf einmal. Über den Resten einer römischen Münzprägestelle wurde im 4. Jahrhundert eine kleine Kirche gebaut, die irgendwann einstürzte, worauf man auf ihren Resten um 1100 die nächste Kirche baute – und die kann man heute noch sehen. Aber dafür muss man erstmal einen guten Meter vom heutigen Straßenniveau runtersteigen, um dann wieder drei Stufen hochzuklettern, denn eine Kirche liegt immer höher als der Boden.

In der Kirche findet sich noch das sogenannte Schola Cantorum, ein abgetrennter Bereich, zu dem nur die Kurie Zutritt hatte, und der sich mitten in der Kirche vor dem Altar befindet. In späterer Zeit wurde der Unterschied von Kirchenmenschen zum Rest der Welt dadurch symbolisiert, indem man den Altarraum höher legte als die übrige Kirche.

Wir gehen jetzt allerdings nicht nach oben, sondern nach unten. Denn freundlicherweise sind durch Ausgrabungen sowohl die Kirche aus dem 4. Jahrhundert als auch die römische Münzprägestelle zu besichtigen. Eine Treppe führt uns ungefähr fünf Meter unter die Oberfläche, wo es riecht wie bei meiner Oma im Keller. Wir sehen die üblichen zusammengeklauten antiken Säulen, sogar ein paar Wandmalereien sind noch zu erkennen, und vor allem eine Gedenktafel zu Ehren des Kyrill von Saloniki, dem wir die kyrillische Schrift verdanken. Die Wandmalereien erzählen die Geschichte von Clemens I., dem die Kirche geweiht ist. Der Legende nach wurde er zum Tode verurteilt und mit einem Anker am Körper im Schwarzen Meer versenkt. Deswegen ist neben dem Fisch und Christusmonogramm auch der Anker ein Hinweis auf den christlichen Glauben.

Direkt neben der Gedenktafel geht es nochmal ein paar Jahrhunderte runter. Diesmal wird es nicht nur noch etwas muffiger, sondern: Man hört Wasser. Wir können durch mehrere Räume gehen, deren Böden teilweise mit einfachem Stäbchenmuster verziert sind. Riesige Steinquader zeigen, welche Wände Außenmauern waren. Ein sehr schmaler Gang, ich schätze 50 Zentimeter breit, trennt zwei Häuser voneinander, was ich mal wieder sehr anschaulich finde. So haben sich also Menschen vor 2000 Jahren gefühlt, wenn sie ihre Nachbarn besucht haben. Und immer noch hört man Wasser. In einem Raum können wir es schließlich sehen: Durch ein kleines Fenster guckt man in eine Rinne, durch die schnell kristallklares Wasser fließt (leider zu weit weg, um die Hand reinzuhalten und zu kosten). Man weiß nicht genau, woher die Leitung kommt und wo sie hinführt, aber sie könnte eine der Leitungen gewesen sein, die Nero anlegen ließ. Ich finde mal wieder alles ganz großartig: Die Zeit, die hier sichtbar wird, die Antike, die ich anfassen kann.

Wir klettern zwei Jahrtausende nach oben und werden in der Kirche von einer Pilgergruppe empfangen, die gerade singt. Die Zeit reicht leider nicht, um lange stehenzubleiben, denn wir haben ja NOCH EINE KIRCHE vor uns. In Rom stehen geschätzt 700 von den Dingern rum, und unser Reiseleiter meint, gerade in der Altstadt gibt es kaum eine Stelle, von der man keine Kirche sieht, ganz egal, wo man geht oder steht. Wir gehen. Unser Ziel: San Giovanni in Laterano.

Heilige Tür, Bischofskirche von Rom, riesengroß, von innen viel Gold und der üblich hübsche Fußboden und: Die Kirche ist fünfschiffig. Das kannte ich noch nicht. Außerdem habe ich noch einen weiteren Architekten bzw. Bildhauer kennengelernt: Francesco Borromini. Weitaus mehr als die Kirche hat mich der Kreuzgang beeindruckt, der einfach wunderschön und sommerlich-lauschig wie ein gemalter Italienurlaub aussah, vor allem, wenn man gerade aus der üblichen Marmorgoldmasse rauskam. Nichts gegen Marmor und Gold, aber allmählich hat’s gereicht. Wahrscheinlich gefiel mir San Clemente deswegen auch so gut, weil wir da das Marmorgold relativ schnell abhandelten und dann in die Antike kletterten. Nach der Lateransbasilika haben wir dafür anderen beim Klettern zugesehen: Die katholische Kirche ließ sich anscheinend ne Menge einfallen, um Leuten den Weg in den Himmel zu verkürzen. Einer davon war: Steig die Heilige Treppe auf Knien hinauf, und der Weg ist frei. Das machen viele Gläubige noch heute, und wir Touris gucken uns das an und achten auf die Taschendieb_innen im Gewühl rund um die Treppe.

Abends stand ein Essen in einem kleinen Restaurant auf dem Plan, das sich in Trastevere befindet, dem ehemaligen Arbeiterviertel von Rom. Heute sieht es aus, als würde an jeder Ecke ein Reiseprospekt geshootet – ich habe selten so viele rotkarierte Tischdecken, flackernde Kerzen und funkelnde Weingläser gesehen wie hier. Zudem steht an jeder Ecke eine kleine Kapelle, und die meisten machen sogar nette Musik. Mitten in Trastevere steht – wie kann es anders sein – noch eine Kirche, und obwohl unser Reiseleiter launig meinte, wir spazieren nur ein bisschen durchs Viertel und gehen dann essen, konnte er es natürlich nicht lassen, uns auch noch durch Santa Maria in Trastevere zu scheuchen. Ich habe mir zu dieser Kirche nichts notiert, ich war hungrig und müde und wollte irgendwo viel Wein trinken. Das taten wir im Restaurant dann auch: Zu meinen ersten – und garantiert nicht letzten – Spaghetti cacio e pepe und einem Saltimbocca (Gruppenbestellung, ich konnte es mir nicht aussuchen) genossen wir einen Rotwein und hörten einem weiblichen Gemeindemitglied von Sant’Egidio zu, das uns etwas über die Gemeinschaft und das Restaurant erzählte. Darin arbeiten behinderte und nicht-behinderte Menschen zusammen. Außerdem erwähnte sie, dass gleich ein Abendgebet stattfinden würde – in Santa Maria in Trastevere, ob wir die Kirche kennen würden?

Nach einer kleinen Abstimmung zogen wir also geschlossen wieder dahin, wo wir vor einer Stunde hergekommen waren und, tolle Idee, holten uns Kopfhörer und Funkis ab, denn der Gottesdienst wurde simultan übersetzt. Ich weiß nicht, in wieviele Sprachen, aber ich schätze, gut die Hälfte der Besucher_innen der recht gut gefüllten Kirche hatte Kopfhörer auf. Als die ersten Gesänge anfingen, schnappte ich mir ein Gesangsbüchlein und blätterte suchend umher – ich kann weder Italienisch noch kenne ich die katholische Liturgie, aber netterweise tippte mich jemand von hinten an, zeigte mir die richtige Stelle, und so konnte ich mitsingen. Großartig andere Texte als wir haben „die anderen“ auch nicht; ich glaube jedenfalls, dass das da unten alles Heilige waren, die sich unser erbarmen sollen. Oder uns vergeben sollen, ich bin zu faul zum Googeln.

Die Lesung aus der Bibel war, ehrlich gesagt, ziemlich fürchterlich in der Übersetzung, weil mir der getragene – oder zumindest bewusste – Tonfall des Priesters fehlte. Es klang recht hektisch und abgelesen, weswegen ich schnell den Kopfhörer abnahm und einfach so zuhörte, ohne irgendetwas zu verstehen. Die Predigt danach habe ich mir wieder übersetzen lassen, aber mir haben die vielen gesungenen Einlagen am meisten bedeutet. Das war wieder einer der besonderen Momente; Einkehr, Dankbarkeit, Freude, Gemeinschaft – und ein halber Liter Rotwein im Kopf und draußen das frühlingshafte Rom. Ich meine: Rom! Wie soll man da nicht aus vollem Halse singen.

Donnerstag, 19. Mai

Der vierte Tag in Rom. Am Montagabend dachte ich noch, die Woche überleben meine Füße nicht und so viel kann’s hier doch gar nicht zum Angucken geben, und jetzt ist es Donnerstag, und ich ahne, dass ein Leben nicht reicht, um alles anzugucken, was hier in 2000 Jahren hingebaut wurde, die Füße meckern mich zwar an, aber ich ignoriere sie, und überhaupt: Morgen ist schon der letzte Tag? WIR SIND DOCH GERADE ERST ANGEKOMMEN!

Zum Trost stehen heute die Vatikanischen Museen und eine Weinprobe auf dem Programm. Erst die Arbeit, dann der Suff. Wir traben um acht Uhr in Richtung Petersdom (die Strecke kann ich auswendig) und gehen entspannt an der Schlange vorbei, die jetzt schon fünfzig Meter lang ist, obwohl die Museen erst in einer Stunde öffnen. Deswegen ist es auch noch nicht so voll wie in Versailles, wo ich kaum den Fußboden gesehen habe geschweige denn irgendwas anderes, aber als richtig leer kann man den Laden auch nicht bezeichnen, denn ab acht dürfen alle Gruppen rein, die reserviert haben.

Wir versammeln uns erstmal im Hof, wo mehrere Schautafeln stehen, auf denen die Sixtinische Kapelle abgebildet ist, die unseren Rundgang beschließen wird. In der Kapelle darf nämlich nicht gesprochen werden, weshalb alle Reiseleiter_innen ihren Schäfchen das Meisterwerk an den Tafeln im Hof erklären.

Nochmal eine Ode an den Reiseleiter: Da steht man eben vor Schautafeln und guckt sich zum Beispiel das abgenudelte Bild mit Adam und Gott und dem Funken an – und zum ersten Mal sieht man es anders, weil der Mann einem was erzählt, was man eben nicht wusste. Nämlich dass diese Darstellung von der Erschaffung des Menschen damals eine kleine Revolution war. Bisher wurde immer Gott dargestellt, wie er Adam Leben einhauchte – nix mit Fingerzeig oder so. Diese Idee war ganz neu und musste erstmal vom Papst abgenickt werden, bevor Michelangelo sie an die Decke malen durfte. Durfte er.

Oder die Szene mit der Arche, bei der man das steigende Wasser sieht. Bisher entschieden sich die Maler immer für das Davor oder Danach – also entweder die geöffnete Arche, auf die die Tiere strömen oder nur die Arche, die gemütlich über das glatte Meer schippert. Michelangelo zeigt dagegen die Tsunami-Variante: Man sieht die Arche, auf die sich noch panisch Tiere retten, im Vordergrund steigt das Wasser, einige Menschen sind auf eine kleine Insel geflüchtet und klettern auf Bäume, aber man sieht ihnen an, dass sie wissen, dass dieser Tag ihr letzter sein wird. Eine schreckliche Situation, sehr ungewohnt für so etwas Erbauliches wie die Privatkapelle des Papstes.

Oder die Seitenwand, an der ein riesiges Gemälde den Weg zu Himmel und Hölle aufzeigt. Mittendrin sehen wir Jesus als Weltherrscher, und um ihn herum fahren Menschen ins Paradies auf oder enden im Fegefeuer. Auch hier entschied sich Michelangelo für Action statt salbungsvollem Gekuschel. Die Menschen, denen der Weg in den Himmel offensteht, schweben nicht mit Harfenklängen hinauf, sondern werden, wie das der Tod eben macht, brutal aus dem Leben gerissen. Sie werden nach oben gezerrt und geschleift, ein Mann hängt gequält am Arm eines anderen, fast so, als ob er das Paradies vielleicht doch gegen das irdische Jammertal eintauschen wollen würde. Und: Im Paradies herrscht eine ähnlich bedrückende Enge wie in der Hölle. Auch nicht unbedingt eine gemütliche Vorstellung für das Jenseits.

Ich war schon von dem Vortrag so beeindruckt, dass ich das Ding kaum noch in echt sehen wollte. Aber bis dahin war der Weg ja auch noch lang. Erstmal ein paar Statuen angucken. Als erstes: den Apoll von Belvedere.

Mein blödes Foto wird ihm nicht ganz gerecht. Von der Statue schwärmte schon Goethe, und wenn man davor steht, weiß man auch warum. Sie fühlt sich ganz anders an als die üblichen Kerle mit ihren Rüstungen oder Speeren. Apoll ist weniger muskulös, sehr grazil und vor allem: raumgreifend. Er wirkt nicht kriegerisch, sondern wohlwollend. Und er steht da eben nicht einfach rum, sondern nimmt den ganzen Raum um sich herum in Beschlag. Ich kann es schwer beschreiben, aber man kann sich ihm nicht entziehen. (Deswegen verzeihe ich ihm auch den Baumstamm, an dem er lehnt.)

Direkt nebenan: die Laokoon-Gruppe.

Ähnlich faszinierend wie Apoll, weil die Statue so unglaublich lebendig wirkt, obwohl sie einen Todeskampf zeigt. Laokoon versucht, sich und seine Söhne vor einer Schlange zu retten, aber es wird ihm nicht gelingen. Hat nichts mit der Sixtinischen Kapelle zu tun, aber auch hier gucken wir uns wieder einen fürchterlichen Moment an. Vielleicht zieht es uns deshalb so in den Bann.

Der rechte Arm des Laokoon war lange Zeit verschollen, und man glaubte, er sei lang ausgestreckt, was der olle Besserwisser Michelangelo stets angezweifelt hatte. Er meinte, der Arm müsste verschränkt sein (was er auch ist), denn dann ist der Kopf der höchste Punkt der Statue und nicht der Arm. Außerdem bilden so Kopf – Schulter – Schulter – Kopf eine schöne Linie.

Ich persönlich konnte mich an den Füßen nicht sattsehen, warum auch immer.

Auf unserem weiteren Weg kamen wir am Torso von Belvedere vorbei, von dessen Bauchnabel der Reiseleiter nicht müde wurde zu schwärmen; an einem riesigen Becken, das wohl mal zu Neros persönlichen Geplantsche gehauen wurde; der gestern erwähnten Gartenzwergsammlung und dann an dieser Statue:

Sie ist eine der wenigen, bei der die Augen erhalten sind. In der Antike waren die ganzen Statuen nämlich nicht weiß, wie wir sie kennen, sondern bunt bemalt, und sie hatten Augen.

Ein ewig langer Gang war mit alten Wandteppichen geschmückt, an denen wir wortlos vorbeischlenderten und dabei diverse asiatische Tourist_innen fast umrannten; im nächsten Saal warteten Landkarten, für die ich gerne etwas mehr Zeit gehabt hätte, aber noch toller war die Decke in dem Saal. Sie war so unfassbar reich geschmückt und verziert und goldig und bunt, dass daneben der Spiegelsaal von Versailles (bis jetzt meine Blaupause für Wow!) wie eine Barbiewohnung aus den 80ern aussieht. Ich glaube, das ist der zweite Raum in meinem Leben, in den ich reingekommen bin und wirklich Wow! gesagt habe. Außerdem bin ich fassungslos stehengeblieben, was eine blöde Idee ist, weil dir sofort jemand in die Hacken läuft. Es wurde allmählich voller.

Kurz vor der Sixtinischen Kapelle kommen die Stanzen des Raffael, vier Zimmer, die von Raffael und seiner Schule ausgemalt wurden. Auch hier kann ich kaum sagen, wie sehr es mich beeindruckt hat, diese Wandgemälde zu sehen. Bisher habe ich Raffael immer irgendwie puttig-plüschig in Erinnerung gehabt, ihn aber nie mit dieser Farbgewalt und Raffinesse in Verbindung gebracht, die einige der Bilder der Stanzen haben.

Im zweiten Zimmer, der Stanza di Eliodoro, haben mich zwei Details fasziniert. Die beiden Wände haben jeweils ein Fenster in der Mitte, um das Raffael sehr geschickt „rumgemalt“ hat. Die eine Wand zeigt eine Kirchenszene mit Altar, und wie wir ja gestern gelernt haben, führen zum Altar Stufen hinauf. Das Fenster ist quasi eine perspektivisch korrekte Trennung der beiden Altarseiten; auf der einen gehen Menschen die Stufen hinauf, auf der anderen wieder hinunter. (Fast wie im Comic.) Auch auf der gegenüberliegenden Seite wird eine Geschichte erzählt: Hier ist es Petrus im Gefängnis, der befreit werden soll. Auf der linken Seite werden die Wachen überwältigt, in der Mitte sehen wir den gefangenen Petrus, und auf der rechten führt ein Engel den nun befreiten Petrus über die bewusstlosen Wachen hinweg.

Ich fand den Unterschied zwischen Michelangelos und Raffaels Bildern so faszinierend, vor allem, weil die beiden gleichzeitig an ihren Großprojekten gearbeitet haben. Während Michelangelo viel mehr Wert auf die Menschen und ihre beweglichen Körper legte, auf seltsame Verdrehungen und Muskeln, stand für Raffael die Bildkomposition im Vordergrund. Seine Menschen sind keine Idealtypen, sondern „normale“ Gestalten, die weitaus weniger entrückt aussehen. Vielleicht sind sie deshalb nahbarer; ich persönlich wäre gerne noch viel länger bei ihnen geblieben.

Ein kurzer Abschied von Raffael, der sich in einem Zimmer selbst porträtierte; er ist der Typ, der uns anschaut –

–, dann sprinteten wir durch die moderne Kunst, für die ich auch gerne nochmal wiederkommen würde, und dann standen wir am Fuß einer Treppe, die uns endlich in die Sixtinische Kapelle leiten würde. Inzwischen waren anscheinend alle Gruppen hier angekommen. Mehrere Aufseher deuteten wiederholt auf die dutzendweise rumstehenden Schilder mit Piktogrammen – nicht sprechen, nicht fotografieren –, und dann schoben wir uns gemeinsam über die Türschwelle. Hier ein Foto. (Haha.)

Ich gucke mal wieder auf meine Füße, während ich den Raum betrete, und noch bevor ich wieder nach oben schauen kann, höre ich den ersten Aufseher in der Kapelle: “Don’t stop. Keep walking.” Daher kam ich nicht dazu, wow! zu sagen, aber das soll ich ja eh nicht. Nach zehn Schritten, in denen ich nur die Masse um mich herum wahrnehme, gucke ich endlich nach oben. Weit nach oben. Die Decke mit dem Gemälde ist doch weiter weg als ich dachte, und ich kann kaum etwas erkennen. Hinter mir höre ich nochmals die Aufseher: “Shhhhh! No photo! Quiet!”, was relativ sinnlos ist, denn anscheinend sagen alle wow!, wenn sie reinkommen und hören auch nicht mehr damit auf. Einige Blitzmerker aus unserer Reisegruppe unterhalten sich ernsthaft darüber, warum man sich hier nicht unterhalten soll, während ich mir einen freien Platz in der Mitte der Kapelle suche, um stehenzubleiben und zu gucken. So. Das ist sie also. Die Sixtinische Kapelle. Erfüllt von vielsprachigem Gemurmel und den blaffenden Anweisungen Shhhh, no photo und quiet. Neben mir fotografiert ein Trottel auch noch mit Blitz, worauf zwei Sekunden später ein Aufseher neben ihm steht – “You go!” – und ihn gnadenlos zum Ausgang zerrt. Was natürlich wieder Gemurmel der Umstehenden zur Folge hat. Ich glaube, als Aufseher in der Kapelle muss man abends ne Menge meditieren oder Egoshooter spielen, um nicht irgendwann mit einem Flammenwerfer zur Arbeit zu kommen.

Wenn man den ganzen Quatsch um sich rum ausblendet, kann man aber endlich mal gucken. Die hohe Decke mit den vielen Einzelbildern ist wirklich zu weit weg. Wenn ich nicht wüsste, dass Gott über mir Adam seinen Finger entgegenstreckt, würde ich es nicht erkennen. Trotzdem kann ich die frisch restaurierte Farbigkeit genießen, die schiere Größe, und trotz des Gemurmels die seltsam erhabene Stimmung. Man spürt, dass man gerade etwas Besonderes sieht. Ich erkenne ein knalliges Orange, ein helles Gelb von verschiedenen Gewändern, ich bewundere die vielen Blautöne, und schließlich setze ich mich auf die lange Bank, die an der Wand langgeht und gucke einfach nach oben. Ich nehme kein besonderes Bild mit, sondern ein Gefühl, das ich nicht in Worte fassen kann. Und das knallige Orange.

(Die Stanzen und die Kapelle zum Selberangucken.)

Aus der Kapelle stolpert man wieder in den Petersdom, den wir uns aber nicht nochmal angucken wollen. Wir haben zwei Stunden frei, bevor uns ein Bus – ein Bus! wir müssen nicht mehr laufen, wobei eher das Rumstehen allmählich die Füße tötet – in die Katakomben bringt. Der Kerl und ich suchen uns eine winzige Trattoria, in der keine offensichtlichen Touris sitzen; ich esse endlich Pizza, und obwohl ich ahne, dass sie tiefgekühlt war, fand ich sie fantastisch. Zurück ins Hotel, duschen, abtrocknen, wieder anziehen, ab zum Bus.

Die Katakomben liegen etwas außerhalb von Rom und dienten den ersten christlichen Gemeinden als Friedhof. Wobei das jetzt nach lauschigen Gräbern unter immergrünen Bäumen klingt. Stattdessen klettern wir in ein Labyrinth aus dunkelgrauem Tuffstein. Es ist nicht so düster und eng und klaustrophobisch wie ich erwartet hatte, aber trotzdem würde ich es nicht unbedingt als gemütlich bezeichnen. Wir haben die Calixtus-Katakomben besichtigt, in die man gruppenweise, nach Sprache geordnet, eingelassen wird. Man kommt also an, wartet, bis genügend deutschsprachige Menschlein da sind, und dann rattert der Führer oder die Führerin einen Vortrag runter: 20 Kilometer Gänge. 500.000 Gräber, davon 45% Kindergräber. Über 100 Jahre Ausgrabungsdauer. Was sie einem nicht erzählt: Die Luft in den Katakomben ist weitaus besser als ich dachte, denn man sieht ab und zu den Himmel am Ende der langen Luftschächte. Außerdem kann man noch einige Wandmalereien erkennen, aber im Prinzip guckt man sich 20 Minuten lang Tuffsteinwände mit Löchern drin an.

Wir klettern wieder nach oben und steigen in den Bus, denn nun beginnt der entspannte Teil des Tages: ein Besuch in Frascati auf dem Weingut Casale Marchese. Ich habe in den ersten Rom-Tagen, wo immer es ging, Frascati zum Essen bestellt und hatte jedesmal das Gefühl, die Flasche käme direkt aus dem Supermarktregal. Der Wein war ziemlich geradaus und flach, blubberte manchmal ein bisschen, war aber nie etwas, an das ich mich lange erinnern wollte. Ich stellte mich geistig auf etwas Besseres ein, als der Busfahrer dem Reiseleiter zurief, dass er gerne einen Umweg über die Via Appia Antica machen könne. Ich verstand natürlich nur „Via Appia Antica“ und fing sofort an, hysterisch zu fiepsen, denn das habe ich bedauert, seit ich die Reise gebucht habe: keine Via Appia im Programm. Der Rest des Busses fiepste auch, und so hielten wir spontan und ungeplant an einer Straße an, die plötzlich von modernem Asphalt in riesige, graue, glatte Steine überging. In den Ritzen zwischen ihnen hatte sich Kies und Schotter gesammelt, und alles zusammen war eine einzige Ruckelpiste.

Das scheint aber kein italienisches Auto zu stören, denn die wenigen Karren, die sich vom „Hier bitte nicht langfahren, außer du bist ein Krankenwagen“-Schild nicht beeindrucken lassen, bremsen nur minimal ab, bevor sie ihr Fahrwerk mit der Folterstraße quälen. Die Straße verbindet einen noblen Vorort mit einer Verbindungsstraße zu Rom, wenn ich mir das richtig gemerkt habe, und ehe man einen Schlenker fährt, macht man eben die Antike platt. War mir egal, ich trocknete mal wieder Tränchen, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte. Aber genau wie das Kolosseum schleppe ich diese Straße schon so lange mit mir rum, dass ich es kaum glauben kann, sie selbst zu sehen. Beziehungsweise kann ich es kaum glauben, auf den gleichen Steinen rumzulaufen, auf denen vielleicht Caesar mal rumgelaufen ist. Wobei der wohl eher im Streitwagen gefahren ist, denn die Via Appia diente vor allem dazu, die Truppen schnellstmöglich aus der Stadt zu kriegen.

Nach zehn Minuten ist die allgemeine Rührung vorbei, und die Fahrt geht weiter. Es wird sehr hügelig, viel grüner, wir kommen an einem See vorbei, an den ewig langen Resten des einzig gut erhaltenen Aquädukts (FIEPS!) und an der päpstlichen Sommerresidenz, bevor der Bus durch das winzige Frascati schaukelt und ich alle Sinne auf Wein einstelle. Uns wurde vom Gutsbesitzer erklärt, wie sie Wein und Oliven anbauen und was alles so für antike Steine auf ihren Grundstücken gefunden wurden. Unter anderem war ein Teil des Guts früher eine Station, an der Pferde gewechselt wurden bzw. man Rast machen konnte, weil hier eine frische Wasserquelle sprudelte. Aus der Zeit ist noch ein Brunnen erhalten – und ein paar unanständige Gravuren in den Steinen um den Brunnen. Mit dem Satz „Sie stehen gerade auf einem Phallussymbol“ habe ich jedenfalls nicht gerechnet.

Den Rest des Abends habe ich mit wohliger guter Laune zugeschüttet; sowohl der Weiß- als auch der Rotwein, den wir genossen, war wunderbar, dazu wurden immer neue Platten mit Porchetta, Schinken, Salami, Pecorino und Bruschetta aufgetragen, die Luft war warm, die Konversation entspannt, und überhaupt war das Leben gerade mal wieder ganz, ganz großartig. Was war nochmal Hamburg?

Freitag, 20. Mai

Allmählich finde ich mich rund ums Hotel und in der Altstadt zurecht – da sind wir ja auch oft genug durchgelaufen. Der Kerl und ich haben einen Supermarkt entdeckt, bei dessen Obst- und Gemüseauswahl ich regelmäßig in Tränen ausbreche und wo wir uns mit Wasser eindecken (und italienischem Süßkram, ist klar). Das Sonnencremeauftragen klappt inzwischen aus dem Handgelenk, nachdem ich natürlich völlig vergessen hatte, welche mit auf die Reise zu nehmen. Weswegen ich krebsrot in eine Apotheke stolperte, selbständig „latte solare“ im Regal fand und dann den peinlichen Gang an die Theke antrat, um nach einer Wund- und Heilsalbe zu fragen. Brauchte ich nicht, ein Blick auf Nase und Arme reichte, und die freundliche Bedienung gab mir ein lustiges Spray, mit dem ich mich zwei Tage lang großzügig einnebelte (nachdem ich für 18 Euro pro Tag im Internet den Beipackzettel gefunden und mit Google übersetzt hatte). Meine Fotobegeisterung, die noch nie eine war, lässt immer mehr nach, und heute werde ich gerade ein Bild beim Gruppenrumlaufen machen und das mit dem iPhone anstatt mit der Kamera. Aber heute steht eh nur noch ein halber Tag Programm für mich an, denn während der Rest der Gruppe sich nachmittags die Villa Adriana bei Tivoli anschaut und ein gemeinsames Abschlussdinner hat, werde ich eine Weinverkostung bei vinoroma mitmachen und danach mit Hande und ihrem Mann im All’Oro essen, worauf ich mich schon die ganze Woche freue.

Aber erstmal schlüpfe ich wieder in die bequemen Sneakers, an denen ich deutlich als Touri zu erkennen bin. Gut, das könnte auch an der Baseballkappe (Sonnenbrand!) und der Kamera liegen. Heute abend, auf dem Weg zu Hande, werde ich erfreut feststellen, dass man sich auch als Fußgänger_in in den römischen Verkehr werfen kann – solange man nicht wie ein_e Tourist_in aussieht. Wo bis jetzt alle Autos an uns vorbeigebraust sind, traue ich mich abends, wo ich etwas eleganter unterwegs war, einfach auf die Straße zu gehen, so wie unser Reiseleiter uns das erzählt hat. „Die halten schon an, aber erst, wenn Sie losgehen.“ So wurde es gemacht: Kurz gucken, wie weit die Autos noch weg sind, und auch wenn ich in Deutschland nie über große Straßen gehe, solange ich keinen Zebrastreifen oder eine Ampel zur Verstärkung dabei habe, hier mache ich es einfach – und es funktioniert. (Sonst würdet ihr diese Zeilen hier auch nicht lesen.) Alle halten an, man kriegt keine unfreundlichen Blicke, und alles ist gut. (Trotzdem gewöhnungsbedürftig.) Ich mag die Momente, in denen man das Gefühl hat, die Stadt erstmals im Griff zu haben. Wie beim Oystercard-Aufladen in London, beim ersten Einkauf in Paris, beim Tanken in Fort Wayne. Läuft.

Unser heutiger Vormittag ist schon fast ein Abschied von der Stadt. Wir bummeln nochmal zur Piazza Navona, wo ich meinen geliebten Vier-Ströme-Brunnen von Bernini mit deutlich weniger Touris bewundern kann. Wir gehen nochmal kurz ins Pantheon, wo ich diesmal die Kraft habe, zum Grab von Raffael zu schlendern. Beim ersten Besuch am Montag waren meine Füße froh über jeden Schritt, den sie nicht mehr machen mussten, jetzt gehe ich hin und freue mich über die Inschrift. Wikipedia: „Die Inschrift des Grabmals, ein Distichon von Pietro Bembo lautet: „Ille hic est Raphael, timuit quo sospite vinci, rerum magna parens et moriente mori.“ („Dieser hier ist Raffael, von dem, solange er lebte, die große Mutter aller Dinge (nämlich die Natur) fürchtete, übertroffen zu werden, und als er aber starb, dass sie zugleich mit ihm stürbe.“)“

Wir genießen den besten Espresso, den ich je getrunken habe, im Sant’Eustachio, lassen uns beim Spazierengehen den Unterschied zwischen carabinieri und polizia erklären (die einen sind Staatsangestellte, die anderen städtisch) und landen irgendwann beim Trevi-Brunnen. Er ist überraschenderweise riesengroß (Ironie, Ironie), aber ausnahmsweise nicht ganz so überlaufen wie erwartet. Ich kann sehr entspannt an den Brunnenrand gehen und die obligatorische Münze reinwerfen, mit rechts über die linke Schulter und ohne der Münze nachzuschauen. Ich werde also wiederkommen. Das hatte ich mir allerdings eh schon vorgenommen, dafür hätt’s den Brunnen nicht gebraucht.

Nach dem Brunnen gehen wir zur Spanischen Treppe, die mir als einziger Besichtigungspunkt wirklich egal war. Ich habe nicht mal ein Foto gemacht, vielleicht auch, weil hier noch mehr von den fliegenden Händler_innen unterwegs waren als sonst. Immerhin haben sie mir einen guten Einblick in die derzeitige Nutzlosproduktpalette aus Asien gegeben. An allen Touripunkten vorhanden: eine Plastikpistole, die infernalischen Lärm à la Monoklingeltöne von 1998 produziert und gleichzeitig – Seifenblasen macht. Ja, darauf muss man erstmal kommen, meine Damen und Herren. In der Häufigkeitsskala auf Platz 2: kleine Gummitierchen, die man auf den Boden werfen kann und die sich dort in eine Pfütze verwandeln, bevor sie sich terminatormäßig wieder zu einem Gummitier zurechtmorphen. Wenn sie auch noch Lärm und Seifenblasen hätten machen können, hätte ich sie gekauft. Total unorigineller dritter Platz: Markenhandtaschenimitate, Plastikrosen und Regenschirmhüte.

Eine letzte Kirche gönnen wir uns noch: Santa Maria del Popolo, die direkt an der, man ahnt es, Piazza del Popolo steht. Von der Kirche ist mir nicht mehr viel in Erinnerung geblieben, aber von zwei Gemälden, die in ihr hängen, umso mehr. Ich habe meine ersten beiden Caravaggios „in echt“ gesehen, nämlich „Die Kreuzigung des Petrus“ und „Die Bekehrung des Paulus“. Ich weiß nicht, ob die Bilder auf euren Monitoren besser aussehen als auf meinem, wo sie ziemlich matt wirken, denn in Wirklichkeit leuchten sie einem entgegen. In der Kirche herrscht ein relativ dämmriges Licht, und die Bilder werden nur leicht angestrahlt. Das Licht geht übrigens nach wenigen Minuten aus, und man muss es per Knopfdruck wieder anmachen. In einer anderen Kirche musste man für die anständige Beleuchtung sogar einen kleinen Obolus errichten. Und eine weitere „Innovation“ habe ich mir gemerkt: In einigen Kirchen kann man kein Teelicht bzw. keine Kerze mehr entzünden. Stattdessen wirft man Geld in einen Schlitz, und daraufhin beginnt eine elektrische Kerze für eine bestimmte Zeit zu brennen. Fand ich einerseits clever, andererseits total stimmungstötend.

Zurück zu den Caravaggios: Ich fühlte mich an mein altes Kunstbuch erinnert, in dem ich zum ersten Mal den „Mann mit dem Goldhelm“ gesehen habe. Das Kunstbuch weist auf den punktuellen Einsatz von Licht hin, und genau daran musste ich bei den Caravaggios denken: Die Motive an sich sind schon verstörend genug, aber erst durch den dramatischen Einsatz von Licht und Schatten erzielen sie ihre ganze Wirkung. Ich habe mehrmals auf den Lichtschalter gedrückt, um mir die Bilder anzuschauen, aber irgendwann musste ich leider gehen, weil der Bus für den Rest der Gruppe schon wartete.

Während der Kerl sich Villen anschaute, machte ich mich fein für die Weinverkostung. Lustigerweise wohnt Hande gerade fünf Minuten vom Hotel weg, weswegen ich gnadenlos zu früh da war. Wir plauderten entspannt in der Gegend rum – das ist ja fast immer so mit Menschen aus diesem Internet, die man vorher noch nie gesehen hat –, bis die weiteren Gäste eintrafen: ein irisch-englisches und ein texanisches Pärchen, weswegen die Verkostung auf Englisch ablief.

Ich erspare euch eine detailgenaue Wiedergabe von all den wunderbaren Dingen, die wir gelernt haben – stattdessen lege ich euch extremst einen Besuch bei vinoroma ans Herz. Das texanische Pärchen hatte noch nie eine Weinprobe mitgemacht, ich im Prinzip zweieinhalb, während die Briten sowas wohl öfter machen, aber das war alles egal. Ich glaube, jede_r von uns hat etwas mitgenommen, gelernt, neu entdeckt. Was sicher auch an der (Achtung, totale Lobhudelei) charmanten, gefühlt allwissenden und sehr sympathischen Art von Hande lag, uns davon zu überzeugen, dass italienische Weine der Kracher sind. Ich gebe zu, mit den roten hadere ich noch etwas – da liegt im Moment Frankreich vorn –, aber die weißen haben mir alle gut bis sehr gut geschmeckt. Meine Weißweinfavoriten stammen derzeit aus Österreich, was sicher daran liegt, dass „meine“ Weinhandlung um die Ecke mir eben gerne was daher empfiehlt und bis jetzt jedesmal richtig gelegen hat.

Für mich persönlich war der größte Aha-Moment des Abends, dass es manchmal eben nicht nur an der Rebsorte liegt, sondern am Ort des Anbaus, ob mir persönlich ein Wein schmeckt oder nicht. So waren die Weißweine aus Norditalien etwas spannungsarmer als die aus dem Süden – klar, da passiert im Boden oder klimatisch einfach mehr, Vulkangestein, längere Sonnendauer, eigentlich logisch, dass die Weine dort anders schmecken. Außerdem hatte ich wieder einen Pferdestallwein im Glas, weiß aber jetzt, dass das Schwefel ist, den ich so doof finde. Und ich kann nicht nur Nero d’Avola nicht blind vertrauen – das war ja meine Erkenntnis nach der Weinprobe mit Lu –, sondern auch der olle Chardonnay kann eine fiese Ratte sein.

Ich fand die Verkostung wirklich klasse, was auch an der Gruppe lag. Wir plauderten sehr entspannt und gut gelaunt über die Weine und unsere drei Länder; mir ist zum ersten Mal aufgefallen, dass wir in Deutschland die Leute gerne in Wein- oder Biertrinker unterteilen; wir haben der texanischen Lady ganz dringend Grappa ans Herz gelegt, als sie meinte, sie trinke gerne mal nen Scotch oder Wodka pur (“The kids. You know.”), und weil der Ire heute Geburtstag hatte, gab’s noch eine Flasche sehr schmackhaften Franciacorta als Goodie zum kosten, was Hande dazu nutzte, uns auch noch was über Champagnergärung zu erzählen. Hach!

Aber damit war der Tag noch nicht toll genug, denn jetzt fuhren Hande, ihr Mann und ich ins All’Oro, das seit Kurzem einen Michelin-Stern sein eigen nennt. Ich kann das zwar noch überhaupt nicht beurteilen, aber ich sach trotzdem mal: zu recht.

(Die folgenden Fotos sind unfassbar mies, weil ich sie nur per iPhone aufgenommen habe. In hübsch kann man sie zum Beispiel hier bewundern. Das war zwar nicht ganz unser Menü, aber mir blutet ein bisschen das Herz dabei, Werbung für diesen wirklich schönen Laden zu machen und dann so fürchterliche Fotos als einzigen Eindruck zu haben. Also mal rüberklicken da, bitte. Und ich ergoogele mir jetzt endlich Farbkorrektur-Tutorials für den ollen Photoshop.)

Alleine für den Brotkorb und das Olivenöl sollte man mal bei All’Oro vorbeischauen: Ich erinnere mich an vier bis fünf selbstgebackene Spezialitäten und ein sehr fruchtiges, hellgrünes Öl. Zum Menü hatten wir einen Weiß- und einen Rotwein, die ich mir beide leider nicht gemerkt habe. Wobei der rote der spaßige war, weil wir ihn mit Kühlmanschette bestellt haben und ihn so von Gang zu Gang immer ein bisschen kälter hatten. Das tat ihm extrem gut; wo er anfangs noch etwas vor sich hinflachte, war er zum Schluss ein Kracher.

Der Gruß aus der Küche: Eine feine Sauce aus sehr geschmackvollen Tomaten, knusprigen Croutons und süßsauer eingelegter Zwiebel. Sehr frisch und leicht und trotzdem bleibt ein tiefer Eindruck zurück.

Schon beim ersten Gang wusste ich, dass ich dringend nochmal herkommen muss: Tiramisu aus Stockfisch, Schweinespeck („lardo“) und Kartoffelschaum. Herrlich gewürzt und eine ganz großartige Kombination. Der milde Fisch, der weiche Speck, alles in Cremeform – pures Mundglück.

Das erste Überraschungsei des Abends: Mezzalune, die mit Burrata gefüllt waren, mit Sardellen und Kirschtomaten. Der Burrata floss fast aus der Pasta und verband sich absolut stimmig mit Fisch und Gemüse und Nudeln. Und meinem üblichen „Mmmmhh“, das ich den ganzen Abend von mir gegeben habe.

Frau Gröners erste Artischocke. Ich traue mich nie so recht an das Zeug an – wie koch ich das? Was mach ich damit? Wie esse ich das überhaupt? Netterweise musste ich mich das hier alles nicht fragen. Überwältigend fand ich den Geschmack nicht, aber doch so spannend, dass ich demnächst gnadenlos Artischocken in Wasser werfe und einfach mal gucke, was so passiert.

Neben der Artischocke der eigentlich Hauptdarsteller: ein Stück Steinbutt, außen fritiert, innen noch roh, auf Zitronenzabaione und Paprikapulver. Die Kombination Zitrone-Paprika werde ich ebenfalls gnadenlos zu reproduzieren versuchen.

Das zweite Überraschungsei und mein Lieblingsgang: Safran-Cappeletti, die mit heißer Brühe (!) gefüllt waren, auf Parmesancreme. Kein Geschmack, den ich noch nicht kannte, aber das Gefühl beim Essen war so großartig unterhaltsam: Man nimmt die Cappeletti komplett in den Mund und zerknackt sie quasi. Der ganze Mund wird mit der würzigen Brühe geflutet, und die spült man entspannt mit ein bisschen Parmesancreme weg. Herrlich. Ach ja, und ich mag Safran.

Ochsenschwanz auf würzigem Irgendwas (im Zweifel immer Tomate). Die grünen Punkte sind Selleriegelee, von dem ich gerne deutlich mehr gehabt hätte, und über allem schwebte der Hauch von dunklem Kakao. Zweitliebster Gang, alleine für die Kombination aus Fleisch und Schokolade, die ich niemals probiert hätte, wenn sie nicht vor mir auf dem Teller gelegen hätte. Und nebenbei oh so großartig geschmeckt hat.

Der Zwischengang zum Magenaufräumen. Sehr schlicht und geradeaus: Melonensorbet, kandierte Limettenstreifen und Ananasstückchen. (Dass die Tischdecke gemustert war, habe ich übrigens erst auf diesen Fotos bemerkt.)

Der Nachtisch überlagert ja gerne alles andere, und dieses Dessert war keine Ausnahme. Wieder was zum Reinlegen und Gedichte darüber schreiben. Wir drei haben schon beim Speisekartenlesen gesabbert und ich mache genau das jetzt auch: Lavendel-Crème-brûlée mit Pfeffereiscreme. Ich bin eigentlich kein Fan von salzigen Eiscremes, genauso wenig wie von „kreativen“ Schokoladensorten. Ich will kein Basilikum im Eis und kein Rosmarin in meiner Lindt. Aber hier war der Pfeffer nur eine kleine Spitze, die perfekt der Crème brûlée etwas ihre Schwere genommen hat.

Zum Espresso noch ein paar kleine Aufmerksamkeiten: Minz-Lakritz-Macarons, Trüffel, irgendwelche Kekse mit Schokolade und winzige Erdbeertörtchen.

Bitte rollen Sie mich zum Taxi, aber rühren Sie meinen strahlenden Gesichtsausdruck nicht an. Und buchen Sie schon mal die nächste Reise für mich.

Ich hatte nicht erwartet, dass Rom mir so gut gefallen würde, gerade weil ich kein Wort Italienisch spreche. In London oder Amerika fühle ich mich recht schnell zuhause und wohl, in Frankreich immerhin, wenn der Kerl dabei ist (Monsieur ist Halbfranzos’), aber Rom hatte ich so gar nicht auf dem Plan. Ich war mir sicher, dass es mir zu laut sein würde, zu nervig, zu chaotisch (im Grunde meines Herzens bin ich nämlich Idealdeutsche – pünktlich, ordentlich, regelkonform), ich wollte eigentlich nur das Kolosseum angucken und wieder nach Hause fahren. Stattdessen gucke ich sehnsüchtig die Studiosus-Reisen in die Toskana an und kaufe Reiseerzählungen aus Rom. Na bravo.

Ich weiß nicht, ob es daran lag, endlich den Kopf mal wieder mit etwas anderem zu füttern als Körperquatsch und Autokatalogen. Es hat mir auf jeden Fall unglaublich gut getan, die beiden Themen kurz mal komplett zu vergessen und mich stattdessen auf alte Säulen und alte Bilder zu konzentrieren. Wie ich in einem der Rom-Einträge schon gesagt habe: Es erdet einfach ungemein, sich mal wieder bewusst zu machen, dass man nur ein Bausteinchen im großen Puzzle ist. Es befreit gleichzeitig, weil mir wieder klar wurde, dass das tägliche Hamsterrad nicht das Wichtigste im Leben ist, dass kein Autokatalog an Michelangelo rankommt, kein Buch an Bernini, und dass es viel sinnvoller ist, sich auf das Wichtige zu konzentrieren: blauer Himmel. Gutes Essen. Guter Wein. Spannende Menschen. Und das Gefühl, einen Gang runterzuschalten. Denn obwohl Rom all das war, was ich erwartet hatte – laut, nervig und chaotisch – war es gleichzeitig total entspannend. Klar, ich war im Urlaub, aber ich habe ein bisschen Romgefühl in die Agentur retten können. Ich hoffe, ich vergesse es nicht wieder.

Aber deswegen schreibt man ja Blogeinträge.