Mein schönster Ferientag (mit schlechten Bildern!)

(Zu den Klängen der Ouvertüre öffnet sich langsam der Vorhang.)

Das ist es also: das Festspielhaus in Bayreuth, das zehn Monate im Jahr leer steht, bis dann Scharen von Wagnerianern in die Stadt einfallen, die überzogenen Hotelpreise zahlen und zum Grünen Hügel pilgern. Der ist übrigens während der Aufführung für den Verkehr gesperrt; das heißt, man kann in der Pause entweder an den vielen Fressständen Champagner für 9 Euro das Glas schlürfen oder eine Laugenbrezel für moderate 1,50 futtern (my drug of choice) oder eben den Hügel, auf dem das Haus steht, rauf- und runterflanieren, ohne von Autos belästigt zu werden. Es ist trotz der knapp 2000 Zuschauer sehr ruhig, und so muss man beim Lästern über anderer Leute Abendgarderobe wirklich die Stimme senken. (Ich selbst war in einen rubinroten Anzug gewandet und brauchte daher keine Angst vor Schmähungen zu haben. Aber die ältere Dame in riesiggeblümt auf lila mit Halsschmuck, der ihr fast bis zu den Ohren gestapelt war, hat garantiert nicht nur von meiner Mama und mir was abgekriegt.)

Seitenansicht. Der fachkundige Besucher achtet sofort auf den Herrn links im Vordergrund mit der blauen Tüte, denn in ihr verbergen sich Kissen für die Folterstühle im Festspielhaus. Für die grandiose Akustik wurde nämlich auf standesgemäße Plüschsesselchen verzichtet. Man platziert seinen Hintern stattdessen für sechs sehr lange Stunden Tristan und Isolde auf Stühlen, die ihren Namen kaum verdienen. „Holzbrettchen mit Folterlehne“ wäre angebrachter. Beim Parsifal habe ich nölig vor mich hingelitten, einen Abend später beim Tristan war ich schlauer und hab mir ein T-Shirt mitgenommen, das ich über die Rückenlehne gehängt habe, so dass mir der verdammte Querbalken nicht endgültig die Wirbelsäule ruiniert. Mein Hintern ist netterweise gepolstert genug, daher brauchte ich nicht auf meiner Jacke zu sitzen.

So sehen die Quälgeister aus. Beachten Sie auch hier das professionelle Sitzkissen, das auf einen schon mal dagewesenen Gast schließen lässt. Und den Holzfußboden, der so richtig schön in Schwingung gerät, wenn nach der Aufführung das Füßetrampeln losgeht – im Falle des Gefallens natürlich. Ansonsten ist das Bayreuther Publikum recht hartherzig und buht auch gerne und ausdauernd.

Der Innenraum des Festspielhauses ist noch weitestgehend wie damals zu Richards Zeiten. Eigentlich darf man nicht fotografieren, und daher habe ich nur einmal scheu in der Gegend rumgeblitzt, und auch nur, als ich gesehen habe, dass andere das auch tun (Masse und Macht). Oben sieht man die Seite des Zuschauerraums. Zwischen den Säulen befinden sich die verschiedenen Türen zum Parkett, das amphittheatergleich nach oben geht. Wenn man nicht genau in der Mitte sitzt und die Frau vor einem zwei Dosen Haarspray für ihre Frisur benutzt hat, kann man überall gut sehen. Und wenn man in der Mitte sitzt mit der Haarspraydame vor einem, ist es praktisch, eine aufopferungsbereite Mutter dabeizuhaben, die den Tristan schon kennt und sowieso gerne in der Oper die Augen zumacht und daher bereitwillig den Platz mit einem tauscht.

Hinter dem Parkett gibt es noch zwei (glaube ich, können auch drei sein) Ränge mit ner Menge weitere Säulen, die für eine besondere Preiskategorie in Bayreuth sorgen: die Hörplätze, auf denen man – genau: nur hören, aber überhaupt nichts sehen kann. Spottbillig und genauso schnell weg wie alle anderen Karten.

Die Pausen dauern eine ganze Stunde, weswegen man für alles außer dem Holländer mit seinen popeligen zweieinhalb Stunden Spieldauer den halben Tag für den Opernbesuch planen muss. Unsere beiden Aufführungen gingen jeweils um 16 Uhr los, und kurz nach 22 Uhr war die Sache dann durch. Das Ende der Pausen wird nicht nur durch einen Gong innen im Gebäude angekündigt, sondern für die Gäste, die draußen stehen, spielen ein paar Bläser jeweils ein Motiv aus dem folgenden Akt: 15 Minuten vor Beginn einmal, zehn Minuten vorher zweimal, und fünf Minuten vorher war ich immer schon drin, denn wir haben beide Male fast in der Mitte gesessen, und ich HASSE die Leute im Opernhaus oder im Kino, die in der Mitte sitzen und stets als letzte kommen. Also bin ich brav gewesen, habe die Jungs nie dreimal tröten gehört, sondern war immer schon auf meinem Plätzchen, so dass ich mich an niemandem vorbeidrängeln musste.

Der Balkon, auf dem die Musiker stehen, ist oben im ersten Bild auch zentral zu sehen. Davor versammeln sich schon die Zuhörer. Nicht nur Festspielbesucher übrigens; da war auch ne Menge Volk dabei, das einfach mal so vorbeikommt und die Viertelstunde stehen bleibt und guckt. Außerdem sieht man nicht nur bei Beginn der Aufführungen, sondern auch in beiden Pausen die üblichen Unentwegten, die doch noch auf eine Karte hoffen. Zurzeit muss man, soweit ich weiß, sieben bis zehn Jahre auf eine Karte warten. An der Kasse zu fragen, ist daher ziemlich aussichtslos, aber es stehen bei jeder Aufführung Fans vor dem Festspielhaus, die doch noch darauf hoffen, dass irgendjemand nach einem Akt keine Lust mehr hat. Die meisten sind in Abendgarderobe da; der Herr unten war eine Ausnahme. Aber den konnte ich halt fotografieren.

Und das wären die Karten gewesen, die er gekriegt hätte, hier abgebildet mit dem überdimensionieren Programm, das gleich mit Tragetasche zusammen verkauft wurde, so dass viele Besucher in der Pause nicht nur ihre Kissen geschleppt haben, sondern auch die Programmtüte und das Handtäschchen und dazu noch irgendwie das Schampusglas.

Lesen Sie morgen, ob ich Schlingensiefs Parsifal wirklich so doof fand wie ich im Vorfeld dachte und ob mir mein erster Tristan auf der Bühne gefallen hat.

(Der Vorhang fällt schnell.)

Eine Antwort:

  1. fr. gröner das ist sensationell. alle jahre wieder die pressehappen und das übliche nasengerümpfe, aber heute kann ich zum ersten mal behaupten, einen eindruck hüh gewonnen zu haben.