Bücher September 2011

Jasper Fforde – Thursday Next 3: The Well of Lost Plots

Bisheriger Liebling in der Next-Reihe. Dieses Mal bewegen wir uns nämlich nicht dauernd zwischen Realität und Bücherwelt hin und her, sondern bleiben in den Druckwerken. Das ist unsagbar komisch und liebevoll ausformuliert, auch wenn man beim Lesen die gleiche Taktik anwenden muss wie bei Zeitreise-Episoden von Star Trek: nicht zu lange über die Logik in allem nachdenken, sonst macht’s keinen Spaß mehr. Meine Lieblingsszene war die Therapiesession mit allen Hauptfiguren aus Wuthering Heights (das Buch musste ich sofort durchlesen, sobald die erste Erwähnung bei Plots auftauchte, weswegen ich es viel besser zu würdigen wusste), wo alle sich über Heathcliff auskotzen, während der den Dicken macht – nur um dann wimmernd um Gnade zu winseln, als ihn jemand erledigen will, wogegen keiner seiner Mitprotagonisten was einzuwenden hätte. Wundervoll.

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Philipp Lahm – Der feine Unterschied: Wie man heute Spitzenfußballer wird

Meine erste Fußballbiografie, daher habe ich keinerlei Vergleichsmöglichkeiten. Vielleicht fand ich das Buch deshalb recht ordentlich. Gut, über den Stil können wir ein bisschen quengeln, der war mir ein bisschen zu mirdochegal, und wenn man länger drüber nachdenkt, erfährt man auch kaum Neues, aber das bisschen, was mir neu war, fand ich dann doch recht spannend. Die winzigen Ausschnitte, die ein gewissen Boulevardblatt in gewohnter Manier hervorragend aus dem Zusammenhang riss, taugen wirklich nur ohne ihren Buchrahmen zum Skandälchen; im Ganzen gelesen steht da eben: Bei Völler wurde eher wenig trainiert, Magath ist ein Diktator, und Klinsmann ist nicht unbedingt ein Taktiguru. Also eigentlich nix, was man nicht schon mal irgendwo gehört hätte, und im bereits erwähnten Zusammenhang auch ziemlich höflich formuliert. Was ich spannend fand: wie sich Lahm während seiner langen Verletzungspausen immer wieder motivieren konnte. Und natürlich seine Rechtfertigung, den Medien den kleinen Finger zu reichen, bevor sie dir die Hand abfressen, die sich jetzt vielleicht ein bisschen erledigt hat.

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Ralph Bollmann – Walküre in Detmold: Eine Entdeckungsreise durch die deutsche Provinz

Das Buch erwähnte ich hier und hier bereits liebevoll, und ich möchte es euch einfach nochmal ans Herz legen.

Suzanne Collins – The Hunger Games 1

Die ersten 30 Seiten fand ich richtig, richtig anstrengend, weil die Prämisse so fürchterlich ist, dass ich das Buch überhaupt nicht mehr weiterlesen wollte. Die Grundidee: Ein zukünftiger, diktatorisch ausgerichteter Staat ist in zwölf Distrikte eingeteilt, die feste Aufgaben haben. In einem wird Bergbau betrieben, ein anderer hat die besten Voraussetzungen für Ackerbau, in einem dritten wird Schmuck hergestellt. Der Bergbaudistrikt ist der ärmste, weswegen dort so ziemlich jeder hungert. Und das wird recht plastisch und ausführlich beschrieben. Mein Problem damit ist ein sehr seltsames, und ich nehme an, das liegt an meinem Buch, dass ich über sowas überhaupt nachdenke, aber: Ich habe von The Hunger Games erst erfahren, als ich hörte, dass endlich eine Besetzung für den Kinofilm gefunden wurde. Schien ein großes Ding zu sein, muss ich also sofort lesen, ich will ja schließlich mitreden können. Und als ich die Beschreibung der drahtigen, weiblichen Hauptfigur las, musste ich nur daran denken, dass bestimmt jemand sehr Dünnes gecastet wurde (zu Recht, passt ja zur Story), sie aber bestimmt trotzdem fantastisch aussehen wird (ist ja Hollywood) und dass jetzt schon die ganzen kranken Ana-Mädels darauf warten, ihre Desktops mit dem Foto von Jennifer Lawrence zu bestücken.

Aber für diese Gedankengänge kann das arme Buch ja nix. Worum es eigentlich geht: Einmal im Jahr werden ein Mädchen und ein Junge aus jedem Distrikt ausgelost, die in einer jeweils wechselnden Arena so lange gegeneinander kämpfen, bis nur noch eine oder einer übrigbleibt. Das ganze Land muss sich diese Hunger Games anschauen, um sich daran zu erinnern, dass der Staat die Macht hat, seine Kinder gegeneinander aufzuhetzen und daraus auch noch ein schönes Spektakel zu machen. Das Buch ist ziemlich spannend und clever geschrieben und ich habe mich brav von seinen kleinen Taschenspielertricks beeindrucken lassen (jetzt weinen! jetzt entsetzt sein!). Es gibt noch zwei weitere Bände, und die werde ich wohl auch lesen. Ich will ja schließlich mitreden können.

Harriet Brown (Hrsg.) – Feed Me!: Writers Dish About Food, Eating, Weight, and Body Image

Sehr schöne Sammlung von Essays, die sich mit Essen, Körper, natürlich Diäten, Magersucht, Kontrolle und Selbstdisziplin beschäftigten, aber netterweise auch mit Genuss, dem glücklichen Dicksein oder dem irgendwann gefundenen Gewicht, das eben passt. Viele verschiedene Stimmen, viele verschiedene Stile; manches konnte ich nur sehr schwer lesen, anderes habe ich geliebt.

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Hanns-Josef Ortheil – Agenten

Das Buch erschien bereits 1989, und damals hätte ich es wahrscheinlich ignoriert. Heute liest es sich wie ein sehr seltsames Porträt einer sehr seltsamen Ära. Es geht nicht um Geheimdienste, sondern um Lokaljournalismus, Protegés, welche Hand wäscht welche zu welchem Preis und das alles im Wiesbaden der 80er Jahre. Hat mich nicht so umgehauen wie Ortheils andere Werke, hat mir aber immer noch gut gefallen. (Als Kind der 80er sowieso.)

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Susann Sitzler – Bauchgefühle: Mein Körper und sein wahres Gewicht

Sitzler zitiert aus so ziemlich den gleichen Studien wie ich, daher habe ich, was Daten und Zahlen angeht, nicht viel Neues erfahren können. Aber ich mochte ihren Stil sehr gerne. Auch sie bleibt recht persönlich, trotzdem klingt Bauchgefühle ganz anders als die Deern. Was einige Leser_innen an meinem Buch vermisst haben, ist das Thema „Wie wird man eigentlich so dick“? Ich habe das bewusst ausgespart, weil mir das heute schlicht und einfach egal ist. Ich bin so wie ich bin, und damit gehe ich jetzt um. Sitzler zeigt Möglichkeiten auf, wie Essen zum Trost werden kann, zur Betäubung, zu einem Gefühl von Sicherheit in einer Welt, in der alles um uns herum sich ständig ändert. Außerdem befasst sie sich eher mit der Wahrnehmung von Dicksein – wie geht die Gesellschaft damit um; gibt es ein „richtiges“ Dicksein; wieso feiern wir nicht, dass wir endlich alle genug zu essen haben, sondern kasteien uns inmitten von Überfluss?

Ich habe im Buch so ziemlich auf jeder Seite schlaue Sätze und Gedanken unterstrichen und lege es euch hiermit sehr ans Herz. Auch wer die Deern schon gelesen hat – Bauchgefühle erweitert mein launiges Kumpelbuch um eine sehr schöne philosophische Note.

Artemis Gounaki – Wenn jede Diät versagt: Wie ich 70 Kilo abgenommen habe

Als ich Artemis das erste Mal als Vocal Coach bei Popstars sah, war mein erster Gedanke: „Cool, endlich mal ne dicke Frau im Fernsehen.“ Und dann auch noch eine, die augenscheinlich viel Kraft und Selbstbewusstsein und Können mitbrachte. Ich fand sie großartig.

Und dann kriegt man Jahre später ihr Buch in die Hand und fragt sich, warum diese Frau es für nötig gehalten hat, sich ein Magenband einsetzen zu lassen, um von ihren damals 139 Kilo runterzukommen. Das Buch klingt wie sie; wenn man ihre Stimme im Ohr hat, fühlt es sich an, als ob sie einem persönlich ihre Geschichte erzählt. Und die ist einerseits verständlich – und andererseits hat sie mir das Herz gebrochen.

Ich hatte erwartet, dass ich die üblichen Meinungen zum Dicksein kriege: Ich krieg keinen Kerl, ich hab keinen Job, keine Freunde, ich bin ungesund und sehe scheiße aus. Und stattdessen sind die ersten Seiten eine wundervolle Kampfansage an all diejenigen, die genau diese Spackomeinungen von Dicken haben. Artemis hat einen herausfordernden Job, ein großes Talent, anscheinend genug Freunde, die mit ihr gerne um die Häuser ziehen und mit ihr Ouzo trinken, und trotz ihres Umfangs hat sie Beziehungen. Sie schreibt sogar darüber, dass Sex mit hohem Gewicht genauso klasse sei wie mit geringem. (Danke dafür.) Und nach all diesen Statements habe ich mich gefragt, ja herrgott nochmal, wieso legst du dich dann auf den OP-Tisch und lebst für den Rest deines bis dahin anscheinend ziemlich guten Lebens von Spatzenportiönchen? Das schreibt sie natürlich auch, und genau das war der Satz, der mich fertiggemacht hat: „Es ist Zeit, mein Äußeres zu verändern, damit die Menschen endlich mein Inneres erkennen.“

Ich – kann – es – nicht – mehr – hören. Ich will es nicht mehr hören. Wenn die Welt meint, ich müsste ihr ein bestimmtes Äußeres bieten, damit sie mich ernstnimmt, dann kann sich diese Welt mal ganz gepflegt gehackt legen. Es gibt genug Menschen da draußen, die andere Menschen wahrnehmen und schätzen und lieben, ganz gleich wie dick der Hintern ist, auf dem sie sitzen.

Und das zweite „Argument“, das Artemis anbringt, ist auch klar: die Gesundheit. Man könnte ja irgendwann mal am Fett sterben. Genau diese Angst ist ein Lieblingsthema vieler Fat-Acceptance-Blogs, die das ganze „The Vague Future Health Threat“ nennen. Ich zitere den verlinkten Artikel:

„There is not a single study that proves that any weight loss method is effective long term, but many studies indicate that weight cycling (yo-yo dieting) is less healthy than being obese. Since diets have such an abysmal failure rate over statistically significant sample sizes, if I go on just 2 diets where I lose weight and gain it back (and I have a very high chance of doing just that both times), then I’ve likely damaged my current good health and endangered my future health on a roll of the dice that was obviously a losing bet from the beginning. The person VFHTing me is asking that I do something they can’t prove is possible, for a reason they can’t prove is valid, with a very high percentage that I’ll end up less healthy at the end. I’ll pass.“

Und das Unfassbare: Ihr Arzt erzählt ihr sogar, dass sie ab der OP ein Leben lang Patientin sei. Kontrollen, Nachuntersuchungen, ich ergänze im Geist: eventuelle Komplikationen blablabla. Im Klartext: Um einer eventuellen Gesundheitsgefahr auszuweichen, nimmt man als Magenbandpatient_in eine reale Gesundheitsgefahr in Kauf?

Doof, dass Artemis’ Buch jetzt diese Flak abkriegt, denn soweit ich weiß, geht’s ihr gut, und sie ist zufrieden mit ihrer Entscheidung, und dann ist das hervorragend für sie. Trotzdem finde ich es zum Kotzen, dass eine risikoreiche OP immer noch als „letztes Mittel“ für die armen, fetten Menschen rumgereicht wird als wär’s Manna. Artemis beschreibt netterweise auch, dass das Magenband alleine nicht reicht, um dünner zu werden, vor allem nicht um so viele Kilos wie sie: Sie isst nur noch 1.200 Kalorien am Tag und treibt mehrmals die Woche Sport. Klingt für mich wie jede andere beknackte Mangeldiät auch, nur dass sie nebenbei auch noch kotzt und Schmerzen hat, wenn sie es mal wagt, ein paar Pommes zu essen. Wie ich schon in der Deern schrieb: Wenn das der Preis ist, den du für eine Kleidergröße zahlen willst, dann mach das. Ich finde es fürchterlich.

Und nebenbei sah Artemis mit 139 Kilo fantastisch aus. Google it.
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