Abenteuerurlaub in Oberfranken

Der Plan für mein wundervolles Opernwochenende in Bayreuth vor gut einer Woche: morgens einstündiger Flug von Hamburg nach Nürnberg, einstündige Zugfahrt von Nürnberg nach Bayreuth, am Bahnhof noch ein Brötchen kaufen, Taxi ins Hotel, bisschen was essen (denn ich frühstücke seit Längerem nur noch einen Cappuccino), bisschen schlafen, langsam für die Oper aufdotzen, um 15 Uhr den Hotelshuttle zum Festspielhaus besteigen, entspannt und weihevoll ankommen, ab 16 Uhr „Parsifal“ genießen, ab 22.30 Uhr viel trinken.

Ja, mach nur einen Plan.

Ich bin eisenharte Lufthansa-Fliegerin, bei anderen Lines gucke ich gar nicht, die sind doof (aus einem mir nicht mehr nachvollziehbaren Grund, aber da war bestimmt mal was – UND JETZT IST DA AUCH WIEDER WAS). Meine geliebte Fluglinie bot allerdings als einzigen Flug am Samstag nur einen an, der bereits um 8 Uhr morgens in Nürnberg landete. Da siegte die innere Schlafmütze – ich buchte misstrauisch Air Berlin, die gegen 10 landen sollte, packte mein Köfferchen und wollte es morgens abgeben.

8 Uhr, Hamburg

Schalterdame so (fröhlich): Ah, nach München?

Ich so (häh?): Nee, nach Nürnberg.

Schalterdame so (fröhlich): Nee, nach München. Der Nürnbergflug wurde gestrichen. Sie fliegen um 9.35 nach München, und von dort bringt Sie ein Busshuttle nach Nürnberg.

Ich so (HÄH?!?): …

Schalterdame so (fröhlich): Guten Flug!

Ich so … innerlich am Rechnen: über eine Stunde später abfliegen, in München längere Wartezeit aufs Gepäck als am Zwergflughafen Nürnberg, zwei Stunden extrem ungeplante Busfahrt, eventuell noch Wartezeit am Bahnhof (Zug fährt einmal pro Stunde), eine Stunde Fahrt bis Bayreuth … ich twitterte sehr pissig, guckte spaßeshalber auf bahn.de, ob ich es mit dem Zug schneller schaffte (natürlich nicht), rief panisch einen Freund in München an, der UNFASSBARERWEISE noch schlief und meine Hysterie daher jetzt auf der Mailbox hat (bitte löschen) und ahnte allmählich, dass ich mir einen Mietwagen nehmen müsste, um halbwegs rechtzeitig in Bayreuth zu sein. Denn wie es sich für ein anständiges Opernhaus gehört: Wenn der Akt angefangen hat, kommt keiner mehr rein.

Generell ist Mietwagen ja eine schöne Option. Mein persönliches Problem damit ist: Ich bin seit anderthalb Jahren kein Auto mehr gefahren. Mein wundervoller Fast-Oldtimer hat nämlich so fiese Sitze bzw. einen so tiefen Einstieg, dass mein Rücken irgendwann die Kombi aus altem Auto und langen Stunden in der Agentur nicht mehr so großartig fand. Deswegen begann ich, vermehrt Öffis zu benutzen und stellte überrascht fest: Ich kann viel mehr lesen, ich stehe nicht mehr im Stau (und wenn, kann ich dabei lesen), ich kriege mehr Bewegung, muss gerade mal 20 Minuten früher aufstehen, um rechtzeitig bei der Arbeit zu sein, komme auch sonst überall hin und kann überhaupt viel mehr lesen. Irgendwann vermisste ich mein Auto überhaupt nicht mehr, vergaß diese Option der Fortbewegung völlig und hatte vor allem keine Rückenschmerzen mehr. Wenn ich mit Kollegen unterwegs war, wurden Züge gebucht oder ich verkroch mich auf den Beifahrersitz (ein Superplatz zum Rausgucken oder ZUM LESEN). So erklärt sich jedenfalls mein Panikanruf beim Kumpel: Ich wollte schlicht nicht Auto fahren, weil ich es a) schon sehr lange nicht mehr gemacht hatte und b) wusste, dass ich noch sechs Stunden im Festspielhaus auf den unbequemsten und rückenfeindlichsten Stühlen der Welt zubringen würde, weswegen ich mein Kreuz vorher nicht übermäßig belasten wollte.

Aber das war jetzt egal. Ich wurde gegen meinen Willen nach München geflogen (steckt euch euer Schokoherz sonstwohin) und musste irgendwie nach Bayreuth. Also: Mietwagen. Hilft ja nix. Jemand twitterte: „Doch, das hilft super.“ Stimmt. (Ja, im Nachhinein ist mir das etwas peinlich, meinen Kumpel mit der Bitte geweckt zu haben, mich doch mal eben 250 Kilometer in der Gegend rumzufahren. Ihr müsst das verstehen: Es ist BAYREUTH.)

11.30 Uhr, München

Schalterdame so (fröhlich): Was kann ich für Sie tun?

Ich so (hektisch): ICHBRAUCHEINAUTOMITNAVI!

Schalterdame so (fröhlich): Golfklasse?

Ich so (SEH ICH SO AUS?): Wenn’s geht, einen Audi. Irgendeinen. Darf gerne größer sein.

Schalterdame so (fröhlich): Hab ich leider keinen einzigen da. Wie wär’s mit nem 1er BMW?

Ich so (SPRECH ICH SPANISCH?): Najut.

Wenn ich schon ungeplant Geld raushaue, dann wenigstens für ein schönes Auto und keinen ollen Ford. Insofern: 1er geht. Gebucht, noch ein Brötchen gekauft (denn mein geplanter Bäckereibesuch in Bayreuth am Bahnhof fiel ja flach und allmählich wurde ich hungrig), Koffer ins Parkhaus gezerrt, Auto gesucht, Koffer in den Kofferraum gewuchtet, eingestiegen.

Ich so im Parkhaus: *navisuch*

Ich so wieder am Schalter (hektisch): DAISTKEINNAVI!

Schalterdame so (fröhlich): Oh, stimmt, das ist mobil, habe ich vergessen. Ich hol’s mal schnell.

Ich so: *fingernägelkau*

Schalterdame so (fröhlich): Bitteschön. Das nächste Mal können Sie auch unser Servicetelefon im Parkhaus nutzen, dann hätten wir Ihnen ein Gerät gebracht.

Ich so: Alles klar. (Innerlich: DAS NÄCHSTE MAL GIBST DU MIR DAS DING GLEICH!)

Navitäschchen unter den Arm, Koffer ins Parkhaus gezerrt, Koffer in den Kofferraum gewuchtet, eingestiegen.

Ich so im Parkhaus: *navikonfigurier* Wie, “GPS is off”? Hm. Liegt bestimmt am Parkhaus. Geht bestimmt, wenn ich auf der Autobahn bin. Hab jetzt eh keine Zeit mehr.

12.30 Uhr, A9 bei München, der Moment, in dem ich eigentlich im Hotel in Bayreuth gewesen wäre

Den Weg bis nach Ingolstadt finde ich auch ohne Navi, daher wusste ich immerhin, auf welche Autobahn ich musste. Sobald es ging, fuhr ich rechts ran, um das widerspenstige Navi einzustellen. Keine Chance. Die Adresse konnte ich eingeben, aber es dachte ständig, ich sei schon in Bayreuth, wo es mich minutenlang durch einen Kreisverkehr zum Hotel schicken wollte. Ich quälte mich durch sämtlich Untermenüs, klickte alles an, was ging, klickte es wieder weg, googelte zwischenzeitig mit dem iPhone die Bedienungsanleitung … und warf das Navi schließlich sehr laut fluchend auf den Rücksitz, um wieder Gas zu geben.

Dummerweise nicht lange.

13 Uhr, A9, immer noch ziemlich nah an München

Der erste Moment, in dem ich wirklich dachte, das war’s, das schaffst du nicht mehr. 250 Kilometer vor dir, gefühlte 2 hinter dir. Meine gesamte Blogleserschaft wird sicherlich meinem Aufruf Folge leisten und sich brav den „Parsifal“ anschauen, alle meine Twitter-Follower werden Opernpartys schmeißen und sich vor Fernsehern und in Kinos zusammenrotten, alle, alle, alle werden dieses Ding sehen – nur ich nicht, weil ich im Stau stehe und heule. Denn das tat ich jetzt wirklich, weil ich mich seit Monaten auf diese Aufführung gefreut hatte und nun wirklich glaubte, sie nicht mehr zu schaffen.

Was mir den Glauben an die Menschheit wiedergab: die Schilder entlang des Staus. Denn die sagten – mit freundlichen Smileys untermalt –, wie viele Kilometer Stop-and-go noch vor einem lagen. Keeping the hope alive! Sobald ich das Ende erreicht hatte, beschleunigte mein kleines Auto wieder auf 180, das iDrive ließ sich blind bedienen (in den Audi-Katalogen schreibe ich zum MMI immer was von „intuitiv“), die Musik war mitsingfähig, und das Tollste war: Mein Rücken zickte nicht. Ich war 200 Kilometer hin- und hergerissen zwischen panischem Heulen und – verdammt gut gelauntem FUCK YEAH 180. Ich hatte wirklich vergessen, wie großartig Autofahren ist.

Um kurz vor 14 Uhr war ich fast in Bayreuth, nachdem mich die hervorragende und hiermit gepriesene deutsche Autobahn-Ausschilderung auch ohne Navi dorthin gelotst hatte. Mein zwischenzeitiger Plan – notfalls fahre ich im Mietwagen bis zum Kassenhäuschen und gehe im durchgeschwitzten Shirt, in Turnschuhen und ungeschminkt in eines der begehrtesten Opernhäuser der Welt, verdammt noch mal – löste sich in Wohlgefallen auf. Um 14.30 Uhr war ich eingecheckt im Hotel, das netterweise direkt an der Autobahnabfahrt lag, was ich von der Reservierungsbestätigung erfuhr, die ich Sichthüllenkasper brav ausgedruckt auf dem Beifahrersitz liegen hatte. Spießigkeit rules! Technik sucks!

14.55 Uhr, Bayreuth

Bis 14.55 Uhr schaffte ich es zwar nicht, mein Brötchen zu verzehren, aber dafür blitzzuduschen, mir ein bisschen Farbe ins Gesicht und ein paar vorzeigbare Klamotten auf den Leib zu werfen und stand quasi bei Abfahrt am Shuttlebus, wo ich auch endlich meine Mama zu Gesicht bekam, die schon händeringend auf mich wartete. Schließlich hatte sie vier Euro für die Shuttlefahrt gelöhnt, und das wäre doch sehr doof, wenn ich das jetzt verfallen ließe. In meinem Kopf ploppte die Mietwagenrechnung für zwei Tage auf, und ich lächelte sphinxhaft, während ich versuchte, meinen hektischen Blutdruck unter Kontrolle zu kriegen. Ich war noch nie so unentspannt vor einer Opernaufführung, was das Gesamterlebnis wirklich schmälert. Es ist eben kein Kinofilm, den man sich mal nebenbei reintut, es ist – für mich – immer noch etwas Besonderes, ganz gleich wie oft ich das Stück schon gesehen habe oder wie oft ich schon in diesem betreffenden Opernhaus war. Und das ist auch der Grund, warum ich immer noch pissig auf Air Berlin bin. Dass ein Flugzeug mal ausfallen kann – geschenkt. Aber ein Bayreuth-Erlebnis kriegt man, wenn man Glück hat, eben nur alle fünf bis sieben Jahre. Und das habt ihr mir versaut. (Ja, die Irrationalität dieser Bemerkung ist mir bewusst, aber ihr müsst das verstehen: Es ist BAYREUTH.)

Der erste Akt im „Parsifal“ ist der längste; in den Applaus nach zwei Stunden mischte sich mein unüberhörbares Magenknurren, dem aber in der einstündigen Pause abgeholfen wurde. Stilecht mit Brezn und Obazda, auch wenn beides eher so meh war. Dafür war der Riesling umso besser, die Gesellschaft äußerst charmant, und nach weiteren zwei Akten bzw. gut drei Stunden schlug ich mir den Bauch noch im Hotelrestaurant voll.

Blöder Nebeneffekt: Ich will ein neues Auto haben und wieder 180 fahren. Vielleicht kann Air Berlin mir da als winzige Wiedergutmachung bei der Anzahlung etwas unter die Arme greifen. Ich nähme auch ne Bayreuth-Karte für nächstes Jahr. Aber dann fliege ich wieder mit dem Kranich.

(Respect your inner Schnulzenphilipp!)

Ein extrem grinsendes und total sprachloses Dankeschön …

… an Kathrin. So sah ihr riesiges, flaches Paket von außen aus:

Diese Nachricht klebte am Inhalt:

Und das war drin:

♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥ ♥

(Mein erstes Einzugsgeschenk für München!!einsELF!)

Frau Gröner trifft eine Entscheidung. Oder doch nicht. Oder doch. Ach, frag mich in zehn Minuten noch mal.

Als die Zusage aus Dresden eintraf, stand ich, wie beschrieben, schreiend in der Küche, weil ich davon ausging, dass das die einzige Zusage bliebe. Ich sah auf bahn.de, dass ich in vier Stunden und für nicht viel Geld nach Hause kommen könnte, suchte im Internet nach Wohnungen, war begeistert über die Preise und die Aussicht, demnächst jeden Tag den Zwinger und die Semperoper sehen zu können und vielleicht öfter als bisher auch mal reinzugehen.

Dann kam die Zusage aus München – und stürzte mich in eine tiefe Sinnkrise. Denn von allen Orten, an denen ich mich beworben hatte, war München natürlich der dämlichste: wahnwitzig weit weg von Hamburg und wahnwitzig teuer. Aber: München hat eine Fächerkombi, die die anderen Unis nicht haben. Wo ich in Hamburg, Dresden und Berlin Kunstgeschichte mit dem Nebenfach Geschichte studiert hätte, könnte ich in München das Nebenfach Kunst, Musik, Theater wählen (mit dem Hauptfach Kunstgeschichte also zum Beispiel Musikwissenschaft). Aber: wahnwitzig weit weg von Hamburg und wahnwitzig teuer. Aber: Musik und Theater. Aber: wahnwitzig … (ad infinitum)

Der Brief aus München kam am Freitag abend, weswegen ich in Bayreuth von Samstag bis Montag nur am Grübeln war – wenn ich nicht gerade in der Oper vor mich hinentspannte. Und gerade dieses Erlebnis ließ mich immer mehr in Richtung München kippen. Weil Musik eben glücklich macht. Weil die Beschäftigung mit ihr glücklich macht. Auch wenn sie an Orten stattfindet, die wahnwitzig weit weg und so weiter.

Ich hatte mich also quasi schon entschieden, als am Mittwoch eine E-Mail aufploppte. Die Universität Hamburg würde sich auch total freuen, mich als Studentin begrüßen zu dürfen. Und damit ging in meinem Kopf der Stress wieder los. Ja, Geschichte ist vielleicht nicht ganz so toll wie Musik und Theater, aber MEINE WOHNUNG MEIN KERL MEIN JOB. Alles da. Ich muss nicht umziehen, ich muss nicht mein ganzes Geld, das nicht mehr mein ganzes ist, sondern höchstens noch mein halbes von dem, was ich jetzt verdiene, für Flüge und doppelte Wohnungen rauswerfen, nein, ich bleibe einfach da, wo ich jetzt bin.

He, Moment.

„Ich bleibe einfach da, wo ich jetzt bin“ war genau der Satz, der mich irritierte. Denn genau das will ich ja nicht, zumindest was meine Bildung und persönliche Entwicklung angeht. Aber natürlich hat das Hierbleiben auch Vorteile, wovon der größte „keine Wochenendbeziehung“ ist. Und so drehte mein Kopf sich lustig weiter, zwei Engelchen prügelten sich ihre Harfen um die Ohren und brüllten abwechselnd „HAMBURCH!“ oder „MINGA!“, ich entschied mich für eine Stadt, nur um mich zehn Minuten später wieder für die andere zu entscheiden und wusste irgendwann wirklich nicht mehr wohin. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Und dann ging ich singen.

Die erste Frage meiner Gesangslehrerin ist immer „Wie geht’s?“, worauf sie wirklich eine Antwort haben will. Ich kippte in 30 hysterischen Sekunden meinen derzeitigen Geisteszustand auf sie runter, und sie legte mir ein neues Lied auf den Notenständer, denn mit neuen Dingen kann man mich prima ablenken. Jedenfalls klappt das sonst ganz gut. Dieses Mal nicht, ich war hibbelig, knautschte an den hohen Noten rum und war überhaupt so unentspannt wie lange nicht mehr. Auch die große Les-Mis-Dramaschnulze On My Own, bei der ich sonst leidenschaftlich rumleide, konnte mich nicht locker machen.

Und dann nahm meine Lehrerin die Hände vom Klavier, drehte sich um und fragte: „Auf was freust du dich eigentlich am meisten beim Studium?“ Ich sagte: „Ich freue mich darauf, in einem Hörsaal zu sitzen, in dem mir jemand 90 Minuten lang Dinge erzählt, die ich noch nie gehört habe. Ich freue mich aufs Lernen.“ Und sie sagte: „Dann singen wir jetzt Yentl.“

„The more I live – the more I learn.
The more I learn, the more I realize
The less I know.
Each step I take – (Papa, I’ve a voice now!)
Each page I turn – (Papa, I’ve a choice now!)
Each mile I travel only means
The more I have to go.

What’s wrong with wanting more?
If you can fly – then soar!
With all there is – why settle for just a piece of sky?

Papa, I can hear you …
Papa, I can see you …
Papa, I can feel you …
Papa, watch me fly!“

Ich liebe dieses Lied. Ich liebe seine Botschaft. Und genau das hat mir gestern völlig das Genick gebrochen. Die ersten Zeilen gingen wunderbar, aber beim Teil, wo es ums Lernen und Wissen und Mehr-Wollen geht, war alles vorbei. Wo ich sonst gerne mal ein bisschen zu schniefen anfange, wenn mich Lieder emotional erwischen, brachen hier alle Dämme und ich heulte wie früher in der Therapie. Aber danach war Ruhe. Im Kopf, im Herz, die Engel kloppten sich nicht mehr, und ich wusste: München. Weil ich lernen will. Alles andere funktioniert schon irgendwie. Geld kommt immer irgendwo her, meine Agentur will mich sowieso weiter beschäftigen, eine Wohnung habe ich auch schon in Aussicht, und die freundliche Lufthansa bringt mich in einer Stunde zum Mann meines Herzens.

München, watch me fly.

Bayreuth 2012, „Der Fliegende Holländer“

Neben dem Parsifal, der mich fast genauso umgehauen hat wie beim ersten Mal, stand in diesem Jahr noch Der Fliegende Holländer auf dem Bayreuth-Programm meiner werten Frau Mama und mir. Im Vorfeld hatte ich eher mäßige bis miese Kritiken gelesen; direkt nach der Radioübertragung der Premiere sprach eine Kritikerin von „Rumstehtheater“ (ein wundervolles Wort). Ich war also nicht sonderlich enthusiastisch, was die Inszenierung anging, freute mich aber trotzdem sehr auf die Aufführung, denn der Holländer ist schon ein feines Stückchen romantischer Musik. Ich mag ihn sehr.

Die Story steht auf der Wikipedia, wenn Sie sich da mal kurz rüberbemühen würden? Und Bilder der Aufführung finden Sie hier oder ein bisschen größer hier.

Der Holländer bietet weitaus weniger Spielraum für die Interpretation als andere Wagner-Opern, denen man wunderbar wilde Gesellschaftsentwürfe überstülpen kann. Aber ein bisschen geht eben doch, um das Werk für heute relevant zu machen: zum Beispiel die Liebesgeschichte zwischen Senta und dem Holländer. Wobei man selbst die noch aufdröseln kann: Senta wird gerne als hysterisches Weib dargestellt, die sich für irgendeinen hergelaufenen Fredel opfert. Auch der Holländer selbst gibt gerne mal den Verfluchten, der für sowas Irdisches wie Zuneigung gar keine Zeit hat. Weitere Motive: die Geldgier Dalands. Untergeordnet (habe ich jedenfalls noch nie als Hauptmotiv irgendwo auf einer Bühne gesehen) die vergebene Liebe von Erik zu Senta, die ihm quasi sagt, he, lass uns Freunde bleiben, was verständlicherweise nicht so supi bei ihm ankommt. Auch mit der Natur könnte man was machen oder den verfluchten Seelen der holländischen Mannschaft. Regisseur Jan Philipp Gloger hat sich die Liebesgeschichte rausgepickt, und damit hatten viele Kritiken ein Problem, weil es so belanglos sei. Ich habe mich den ganzen Abend gefragt, wo bitteschön denn die Liebe belanglos ist, aber das mag meine persönliche Einstellung sein.

Das erste Bild spielt eigentlich in einer Bucht, in der Dalands Mannschaft anlegt und in der schließlich das Schiff des Holländers auftaucht. In Bayreuth sehen wir dagegen das Innere eines Rechners – Lichtblitze symbolisieren Datenströme, Zahlen rattern fast unaufhörlich nach oben, keine Atempause, die Kohle wird gemacht. Daland und der Steuermann sitzen in einem kleinen Ruderbötchen, das ich ein bisschen inkonsequent fand, denn es war die einzige maritime Andeutung im ganzen Stück. Einen Konferenzraum oder eine Flughafenlounge hätte ich stimmiger gefunden. Denn Daland ist ein Seniorchef, der Steuermann sein Kronprinz, was er unter anderem dadurch zeigt, dass er Dalands Gesten versucht zu imitieren, ihm ständig unterwürfig zustimmt und überhaupt den Speichellecker vor dem Herrn gibt. Benjamin Bruns hat mir außerordentlich gut gefallen; sein heller Tenor war strahlend klar und sein komödiantisches Timing hervorragend. Ich habe selten so viel in einer Wagner-Oper gelacht.

Die Firma, in der Daland und der Steuermann arbeiten, produziert ein großartiges Produkt: Ventilatoren, die auch noch einen großartigen Namen haben: N1-H1L oder: nihil (nichts). Die sehen wir im zweiten Akt, dessen Bühnenbild leider nicht an die Brillanz des ersten Akts rankommt. Es ist das Innere der Produktionsstätte, und die Mädchen, die eigentlich an Spinnrädern sitzen, verpacken hier im Gleichtakt die Ventilatoren. Ein Pärchen wickelt das Kabel auf, ein anderes klebt ein Siegel auf, die dritte Gruppe packt das Gerät in einen Karton, die vierte klebt diesen zu – und eine letzte Gruppe fährt die Kartons von der Bühne, während fast im gleichen Augenblick eine andere Gruppe Nachschub anliefert. Das ganze wirkt irritierend perfekt, alle haben ihre ewig gleichen Arbeitsschritte verinnerlicht, genau wie Daland und der Steuermann ihre kapitalistische Rolle nicht mehr hinterfragen, sondern sie besinnungslos ausfüllen.

Ganz anders der Holländer und sein verfluchtes Team: Sie sind schon gekennzeichnet vom ewigen Streben nach Gold, vom ewigen Hamsterrad. Ihre Haut ist durch schwarze Geschwüre verunstaltet; es sieht fast so aus, als ob ihre roboterhafte Seite, die keine Gefühle kennt, sondern nur das Geld, durch ihre menschliche Hülle durchbricht. Wenn sie nicht bald erlöst werden, werden sie an ihrer sinnlosen, unmenschlichen Arbeit zugrunde gehen.

Die Schätze, mit denen der Holländer Daland davon überzeugt, ihm seine Tochter zur Frau zu geben, sind in einem typischen Businesskaspertrolley, den er ständig mit sich führt. Und wo Daland, der Steuermann und die norwegische Mannschaft den Geschäftsquatsch total dufte finden und sich überbieten mit Beckerfäusten, Victory-Zeichen und dem albernen Kollegenabklatschen (körperlos umarmen, jeweils zweimal auf die Schulter klopfen, schnell wieder trennen, bevor es schwul aussieht), wirkt der Holländer die ganze Zeit nur gequält und verzweifelt. Er bewegt sich langsam statt stakkatoartig schnell wie die anderen, er lächelt nie, er versucht, seinen Arm aufzuritzen, um zu bluten und vielleicht so etwas zu spüren, was ihm im Businessalltag abhanden gekommen ist – erfolglos. Auch die Statistinnen, die ihn umschwirren – eine Sekretärin, eine Wellness-Tante, eine Prostituierte – können ihn nicht begeistern. Bis er Senta erblickt.

Diese hat inzwischen den fleißigen Bienchen ihre Ballade vorgesungen – und dabei sogar Mary erreicht, die in fast jeder Inszenierung sehr stiefmütterlich wegkommt. Natürlich gibt ihre Rolle das vor; sie ist die Aufpasserin und spinnt als einzige weiter, während die Mädels sich kurz ablenken lassen. Eine muss es ja machen, und wir haben schließlich ein Produkt zu verschiffen. Hier darf sie etwas ausbrechen: Eben noch mit streng zurückgekämmten Haaren und perfekt als Geschäftsfrau kostümiert, löst sie im Laufe der Ballade ihre Haare, nimmt ihre Brille ab und wagt es sogar, einen Knopf ihrer Bluse zu öffnen, so sinnlich und begeisternd erzählt Senta vom verfluchten Holländer, der die Treue einer Frau benötigt, um endlich sterben zu können.

Die Fabrik, in der sich alles abspielt, besteht aus einer Reihe Pappkartons, und es wird sehr simpel klargemacht, dass Senta nicht in diese Welt passt. Anstatt ihre Kartons als Verpackungsmaterial für ein Produkt zu nutzen, das zu nichts anderem nutze ist, Luft, Nichts, zu verwirbeln, hat sie sich aus Kartons eine kleine Burg gebaut, sich Flügel aus Pappe gebastelt, eine Holländerfigur (statt des eigentlich vorgesehenen Bildes, das sie ansingt), eine Fackel. Sie ist außerdem der einzige Farbklecks im gedeckten Businessgraublau mit ihrem leuchtend roten Kleid und den rot bemalten Accessoires. Das kann man alles albern und kindisch finden – mich hat es berührt, weil es eben so schlicht war.

Noch mehr berührt hat mich die Story zwischen dem Holländer und Senta. Die beiden dürfen sich bei ihrem ersten Treffen gerne dramatisch gegenüberstehen, und selbst in den Augenblicken, in denen Senta ihm Treue schwört und ihm damit ihre Liebe gesteht, gibt’s selten mehr als Händchenhalten, weil sich beide ja des großen Moments bewusst sind. Sehr geehrter Herr Holländer, ich biete Ihnen an, Sie zu erlösen – das ist nett, vielen Dank, sehr gerne. Hier wird stattdessen gelacht und geknutscht und sich gefreut, und der Funke zwischen den beiden ist bis zu den Zuschauern gesprungen. (Jedenfalls bis zu mir.) Das kann auch an der wundervollen Adrianne Pieczonka gelegen haben, deren Sopran für mich sehr modern klang, ich habe leider kein besseres Wort. Ihre Ballade war keine Ballade, sondern eine Liebeserklärung, ihr Duett war nicht hysterisch-schwelgerisch, sondern schlicht verliebt und glücklich. Und deswegen verzeihe ich der Inszenierung auch das Rumstehen, denn das taten die Figuren wirklich sehr oft – wenn sie nicht knutschten oder Ventilatoren verpackten oder sich mit Beckerfäusten aufputschten, noch mehr Geld zu machen.

Der Holländer wurde von Samuel Youn gesungen, der nur wenige Tage vor der Premiere einspringen musste. Er wirkte leider des Öfteren noch unbeweglicher als die anderen, aber ich ahne, dass das schlicht mit fehlender Probezeit zu tun hat. Stimmlich mag ich ihn sehr gerne, auch wenn ich mir bei ihm etwas mehr Drama, Baby! wünschen würde, was seine darstellerischen Qualitäten angeht.

Im dritten Akt kamen dann endlich die beiden Mannschaften mit meinem Lieblingschor aller Lieblingschöre; es gibt für mich keinen schöneren Opernmoment als diesen, wenn sich gefühlt 60 Männer und 30 Frauen aus voller Kehle ansingen. Die Mannschaft des Holländer war kurz schon im ersten Akt zu sehen, wo sie ein herrliches Gegenbild zu den Victory-Deppen in ihren hellgrauen Anzügen boten – sie tragen dunkle Anzüge, haben alle den obligatorischen Starbucks-Becher in der Hand und sehen äußert genervt aus. Hier tauchen sie ganz plötzlich aus dem Bühnenhintergrund auf und singen die Norweger richtig schön in Grund und Boden.

Natürlich ist Kapitalismuskritik keine ganz neue Idee, ich erinnere mich an eine Aufführung der Deutschen Oper in Berlin, wo quasi die gleiche Grundidee genutzt wurde und alles in einem herrlichen Schlussbild in einem Trading Room voller Nutten und Koks endete. Hier war diese Idee für mich aber eher die Tapete, im Vordergrund stand die Liebe zwischen Holländer und Senta, die hier netterweise mal wenig von aufopfern, leiden, erlösen hat, sondern schlicht sagt: Die beiden gehören zusammen, fertig. Trotzdem hat das Geschäft des letzte, sehr clevere Wort. Nachdem Senta sich umbringt, um den Holländer zu erlösen, vereinen sich die beiden für immer in einer innigen Umarmung. Der Vorhang fällt, das Orchester spielt die letzten Takte, wir haben alle was gelernt – da öffnet sich der Vorhang noch einmal, und wo eben das Plakat für den Ventilator N1-H1L hing, hängt nur eins, das den Holländer und Senta in ihrer letzten Pose zeigt. Darunter steht 3T3R-N4L, eternal (ewig), und auf ewig werden die beiden jetzt als Spieluhr (?) ihr Dasein fristen, während Daland weiter Geld zählt und der Steuermann seine Mannschaft anfeuert, noch schneller zu arbeiten.

Dem Rest des Publikums gefiel es anscheinend genau wie mir (wobei der Regisseur nur bei der Premiere auf die Bühne kommt, in der wir nicht saßen, weswegen er auch nicht ausgebuht werden konnte). Musikalisch war es wunderschön; ich kann mich bei Thielemann nie entscheiden, ob ich alles glattgebügelt-mainstreamig finde oder eben wunderschön. Dieses Mal war ich mir sicher: wunderschön. Straff und äußerst zügig durchdirigiert – wir waren nach gerade einmal 2.15 Stunden fertig –, aber trotzdem noch genug Zeit für die großen Balladen vom Holländer und von Senta. Dirigent und Orchester bekamen dann auch den verdienten Jubelsturm. Schade, dass die Musiker_innen nicht auch auf die Bühne kamen wie beim Parsifal (machen sie eigentlich nur bei der letzten Aufführung der Spielzeit), denn durch den verdeckten Orchestergraben sieht man sie eben gar nicht und kann sie nur stellvertretend durch den Dirigenten beklatschen. Wo ich so gerne persönlich allen Streicher_innen zu verstehen gegeben hätte, dass ich das Meer noch nie so haben tosen hören.

Bundesligafragebogen 2012/13

(Fragebogen 2011/12, der noch voll naiv-niedlicher Unsachkenntnis steckt – okay, ist nicht viel besser geworden. Via Pleitegeiger.)

Ich folge zwei Vereinen, weiß vom kleineren aber deutlich weniger als vom großen. Daher beantworte ich einige Fragen für beide Vereine, andere nur für den Vizemeister. (Scheißwort.)

Dein Verein heißt:

Bayern München (Fan, Mitglied, diverse Schals, Gomez-Trikot). Und weil ich als Hamburgerin nicht dauernd nach München fliegen kann/will, gehe ich in der Heimatstadt noch zu Altona 93 – nur Fan, aber immerhin mit Schal. Ich kann mir bis heute nur zwei Spielernamen merken, aber ich arbeite daran. (Go, 5! Go, 18!)

Wie lautet das offizielle Saisonziel, sofern es bekannt ist?

Bayern: Meister, DFB-Pokal-Sieger, Champions-League-Gewinn.

Altona 93: einfach hübsch mitspielen.

Wie lautet DEIN Saisonziel für deinen Verein oder deine Vereine?

Bayern: Ich habe keine Lust mehr auf la bestia Biene Maja. Ich will die Meisterschale. Also, wenn uns endlich mal was einfällt, was wir gegen Dortmund machen können, so auf dem Platz so. (Nein, Supercup zählt nicht.)

Der DFB-Pokal ist mir ziemlich wurst, aber nice to have.

Und nach der elenden, ELENDEN Niederlage im Finale dahoam würde ich mich unfassbar freuen, wenn wir im Mai 2013 in London Chelsea vom Platz prügeln. (A girl can dream.)

Altona 93: Nach dem perfekten Mittelfeldplatz Nummer 9 in der letzten Saison wäre ich für ein paar Plätze weiter oben dankbar. Wobei das eigentlich egal ist, denn der Verein will sowieso nicht in die Regionalliga Nord aufsteigen. Das hat finanzielle Gründe, und ich bedauere das sehr. Hier, nehmt meine neun Euro Eintrittsgeld für jedes Heimspiel! Ich würde auch auf zehn aufrunden! Ach, komm, ZWÖLF!

(Ein Flug nach München kostet mehr als die Dauerkarte für Altona.)

Welchen Spieler hätte deine Mannschaft in der Pause lieber nicht abgegeben?

Ich trauere Olic hinterher, und ich hätte mir für Petersen gewünscht, dass er mehr Spielzeit bekommt.

Welchen Spieler hätte deine Mannschaft besser verkaufen sollen?

Ich kann mit Herrn Tymoschtschuk nicht so richtig viel anfangen, aber wenn ich mir unsere derzeitige Verletztenliste angucke, ist es vielleicht nicht so schlecht, noch jemanden zu haben, der außer im Tor überall spielen kann. Wenn auch nicht auf einem Niveau, das ich mir für einen Bayern-Spieler wünsche.

Wen hätte deine Mannschaft diese Saison lieber NICHT gekauft?

Als Gomez-Fangirl habe ich natürlich Angst vor Mandzukic – wehe, er klaut meinem Herzblatt den Stammplatz. Aber auch hier: Der Mann mit den schönsten Haaren der Mannschaft ist verletzt, dann muss eben der Mann mit dem hässlichsten Tattoo der Mannschaft ran.

Wer von den neuen Spielern wird deiner Mannschaft am besten helfen?

Ich freue mich auf Shaqiri, den kleinen Kampfkeks. Auch ihm traue ich zu, auf diversen Positionen zu spielen, wenn es sein muss. Und ich traue ihm zu, zu rennen, bis er umfällt.

Wie wirst du in dieser Saison deine Mannschaft unterstützen?

Bayern: In der letzten Saison hatte ich sehr viel Kartenglück für die Champions League. Bis auf das Finale habe ich jedes Spiel in der Allianz-Arena gesehen, und ich hätte nichts dagegen, wenn das dieses Jahr wieder so wäre.

Außerdem versuche ich, zu einigen Auswärtsspielen der Bundesliga zu kommen, und ich habe natürlich brav eine Kartenanfrage für einige BL-Spiele in der Arena gestellt. Bei Bayern kann man die Tickets ja nicht einfach kaufen, sondern muss nach ihnen fragen und hoffen, dass man welche kriegt. Schauen wir mal.

Weiterhin twittere ich während der Spiele, die ich auf dem Sofa verfolge, gehe ab und zu im Bayern-Shirt zur Arbeit, kaufe teures Merchandising und bade mit der singenden Ente.

Altona 93: Obwohl hier selbst die Reise zu Auswärtsspielen meist nicht länger als 20 Kilometer weit ist, beschränke ich mich auf die Sonntagnachmittage auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn. Guter Name, gutes Bier, gute Wurst. Könnte ein bisschen voller sein, die Tribüne. Kommt vorbei!

Wie findest du das neue Trikot Deiner Mannschaft?

Bayern: Über das Auswärtstrikot breite ich den vollgekotzten Mantel des Schweigens. Das Heimtrikot ist, so weit ich das erkennen kann, das gleiche wie in der letzten Saison, und das gefällt mir sehr gut.

Altona: Auch hier nervt das Auswärtstrikot. Wir sind nicht babyblau!

Welcher Stürmer wird die Torjägerkanone holen?

Der Mann mit den schönsten Haaren der Mannschaft.

Welcher Trainer wird als erstes gefeuert?

Ich weiß nicht, wie lange der HSV Herrn Fink noch gibt; ich sehe keine wirkliche Besserung (wobei ein Nichtabstieg ja schon mal super ist *hust*). Außerdem habe ich irgendwie ein schlechtes Gefühl bei Herrn Tuchel, aber wahrscheinlich völlig unbegründet.

Welche Mannschaft wird das erste Tor der Saison schießen?

Die schwatzgelben Nervensägen.

Welche Mannschaften SOLLTEN absteigen?

DORTMUND! (Kidding.) Mir gingen nur Köln und Kaiserslautern so richtig auf den Zeiger, und die sind in der letzten Saison abgestiegen. Daher bin ich momentan wunschlos glücklich. Ich glaube, dass es Düsseldorf und Freiburg erwischen könnte.

Welche Mannschaft wird Meister?

Wir, verdammt.

Wenn du nicht im Stadion bist, wo wirst du die Spiele sehen?

Bayern: Auf meinem Sofa mit der Twitter-Timeline im Anschlag. Nebenan guckt der Kerl die Konferenz.

Altona 93: gar nicht, was nicht an mir liegt, sondern an diesen unverschämten TV-Macher_innen, die keine Oberliga Hamburg zeigen!!1elf!

Wie sehr vermisst du die Bundesliga auf einer Skala von 1 bis 10 – wobei bei 1 so ziemlich keine Träne nach der Bundesliga verdrückt wird und 10 quasi bedeutet, dass du ernste Entzugserscheinungen hast?

In der letzten Spielpause hatte ich große Entzugserscheinungen, dieses Mal gab’s ja immerhin die Europameisterschaft. Im Nachhinein habe ich aber gemerkt, dass eine schöne, lange Pause ganz nett gewesen wäre, um den 19. Mai zu verdauen. Wie sehr, habe ich erst bei der Niederlage der deutschen Mannschaft gegen Italien gemerkt, die mir interessanterweise ziemlich egal war, während ich im Mai in München gelitten habe wie ein Hund. Deswegen habe ich fast Angst vor dem Saisonbeginn, weil ich inzwischen weiß, wie weh Fußball tun kann. (Ich warte auf die ersten Twitter-Kommentare, dass ich das als Bayernfan eben nicht weiß.)

Die ganzen quatschigen Testspiele und Ligacups konnte ich alle nicht länger als zehn Minuten ertragen, vielleicht auch, weil ich eine ähnlich konfuse Mannschaft gesehen habe wie im letzten Drittel der vergangenen Saison. Ich wünsche mir die Souveränität, die der FC Bayern haben sollte, zurück – dann würde ich die Frage mit 9 beantworten. Momentan bin ich bei einer erschöpften 5.

Wird es eine spannende Saison für Deine Mannschaft?

Bayern: Hoffentlich nicht. Ich bin alt und will meine Ruhe. Tabellenführer vom ersten Spieltag an und dann das Ding souverän nach Hause holen. (Haha.)

Altona 93: Logisch. In dieser knuffigen Spielklasse kann alles passieren. Also noch mehr als in den anderen Spielklassen.

School’s Out

Für meine Immatrikulation muss ich die Kopie meines Abiturzeugnisses amtlich beglaubigen lassen. Für die Bewerbung um den Studienplatz für Kunstgeschichte brauchte ich nur das Datum der „Erlangung der Hochschulreife“ (Deutsch, my love), daher ignorierte ich meine ganzen Kursnoten der Oberstufe total und guckte eben nur nach dem Datum. Ich war schon stolz darauf, überhaupt zu wissen, wo mein Abiturzeugnis liegt, denn das schleppe ich seit 1989 von Wohnung zu Wohnung.

Für die Beglaubigung muss ich es aber komplett kopieren, und deswegen guckte ich doch mal, was ich so vor 23 Jahren gemacht habe. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass ich Kunst in der 13. Klasse komplett abgewählt hatte.

Dafür hatte ich 13 Punkte in Sport. Ich.

So viel zum Thema „Fürs Leben lernen“.

Kleine Opern-Erinnerung

Ich weiß, ich quengele euch des Öfteren die Ohren voll, ihr mögt euch doch bitte jetzt ganz dringend diese oder jene Oper angucken (auf Twitter noch mehr als hier im Blog), aber dieses eine Mal stellt euch vor, ich würde direkt vor euch stehen, Erpressertränchen in den Augen, flehendes Handwedeln, zittriges Stimmchen, das megafonverstärkt brüllt: „IHR MÜSST EUCH JETZT ECHT DIESE OPER ANGUCKEN!“

Denn DIESE OPER ist die tollste, die ich je gesehen habe. Beziehungsweise die Inszenierung. Ich spreche von Wagners Parsifal (halt, nicht gleich wegklicken, noch ein paar Zeilen, ERPRESSERTRÄNCHENMEGAFON!) in der Bayreuther Inszenierung von Stefan Herheim. Hier steht in aller Ausführlichkeit, wie ich das Werk im letzten Jahr erlebt habe. Und dabei ist diese Ausführlichkeit noch nicht mal ausreichend, denn von all dem Bühnenzauber, den Herheim auffährt, konnte ich mir gerade gefühlt die Hälfte merken. Die Aufführung hat mich nachhaltig beeindruckt, hört nicht auf, in meinem Kopf herumzuspuken, und wegen ihr bin ich nach Dresden gefahren, um Rusalka zu sehen und nach Berlin für Xerxes, die beide von Herheim inszeniert wurden. Beide sind ähnlich toll, aber nicht so unfassbar toll wie dieser Parsifal.

Ich bin überglücklich, dass ich das Ding noch mal live sehen darf, nämlich am Samstag, den 11. August. Also übermorgen. Mir graut es zwar schon wieder vor den verdammten Festspielstühlchen, aber was tut man nicht alles für die Kunst. Das Tolle: Ihr könnt die Oper ebenfalls am 11. August sehen. Entweder in wahrscheinlich höchst bequemen Kinosesseln oder, noch besser, auf dem eigenen Sofa, wo man in den sechs Stunden Aufführungsdauer diverse Flaschen Sekt leeren kann. Supertopcheckersender arte überträgt ab 17.15 Uhr einen Hauch zeitversetzt aus dem Festspielhaus (ich sitze bereits seit 16 Uhr da und rücke minütlich mein Kissen im Kreuz zurecht).

Wer Wagner nicht mag – soll es ja geben, unverständlicherweise –, kann von mir aus sogar den Ton ausmachen, denn die Bilder alleine reichen für einen guten Abend. Ich empfehle trotzdem, dem Ding mal eine Chance zu geben. Ja, Parsifal ist nicht unbedingt die nahbarste Oper von Wagner und auch nicht die kürzeste, aber meine Güte, jetzt reißt euch zusammen! Ich tu’s ja auch (FOLTERSTÜHLE!). Ernsthaft. Hört einmal auf mich und guckt euch das an. Eine größere Empfehlung habe ich derzeit nicht am Start. Und die vielen Versalien in diesem Text sollen ein dringender Hinweis sein, dass mir das Ding – und natürlich euer Kulturgenuss – wirklich am Herzen liegt.

Viel Spaß!

(MEIN RÜCKEN!)

„Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können …“

Und ich dachte noch, ein dünner Umschlag ist nie was Gutes. Aber dann war’s das doch.

Seit gut anderthalb Jahren gärt es in mir. Das fing in Rom mit Raffael und Michelangelo an, das ging mit Bayreuth weiter – das Wissen, dass das, was ich täglich tue, zwar gut und schön und ertragreich ist, aber es mich nicht mehr erfüllt. Erfüllt im Sinne von: mich herausfordert, mich zwingt, Neues zu wagen, mich in unbekannte Gefilde stürzt. Und gleichzeitig: mich beruhigt, mich erdet, mich glücklich macht. Ganz simple Anforderungen eben (haha).

Was die Arbeit angeht, gibt es bei mir ein Muster. Wann immer ich in einem Job alles erreicht hatte, was ging, wurde gekündigt. Der Sprung in die Selbstständigkeit veränderte meinen Job zwar nicht, aber das Gefühl, mit dem ich jeden Tag in eine Agentur ging. Das Gefühl, für mich zu arbeiten und nur für mich.

Was es allerdings nicht änderte, war die Tatsache, dass ich fachlich gesehen ziemlich auf der Stelle trat. Natürlich baut Audi dauernd neue Autos, die neue Kataloge brauchen, natürlich geht die technische Entwicklung stetig weiter, aber es bleiben eben Autos. Was ich jahrelang als beruhigend empfand – ich weiß, was ich tue –, war auf einmal beunruhigend: Ich weiß, verdammt noch mal, was ich tue. Jeden Tag, immer wieder. Und das fing im letzten Jahr an, mich sehr zu stören.

Ich will wieder etwas tun, von dem ich noch nicht weiß, wie es ausgeht. Ich will wieder lernen. Ich will mich wieder anstrengen. Und noch mal: Ich will wieder lernen.

Zunächst begann ich mit kleinen Veränderungen, die meinen Tag wieder spannender machen sollten: Ich nahm wieder Gesangsunterricht, ich trank viel Wein und merkte mir neue Geschmäcker und Düfte, ich pilgerte zu Fußballstadien, Museen und Opernhäusern, verliebte mich in eine neue Stadt und investierte viel in Bekanntschaften, aus denen tollerweise inzwischen Freundschaften geworden sind.

Das rettete mich durch viele Tage, aber es wurde mir immer klarer, dass nicht meine Freizeit eine Veränderung braucht, sondern meine Arbeitszeit.

Anfang des Jahres begann ich, mich in Jobbörsen umzusehen, die irgendwas mit der Oper zu tun haben, aber mir wurde relativ schnell klar, dass ich a) doch zu gerne Geld verdiene, als in diesem Bereich zu arbeiten und b) ich Oper lieber weiter als Zuschauerin wahrnehmen möchte anstatt hinter den Kulissen im Marketing oder in der PR. Mal abgesehen davon glaube ich, dass es im Theaterbetrieb noch mehr Irre gibt als in der Werbung, und die reichen mir schon.

Nachdem Musik als Glücklichmacher ausfiel, war ziemlich schnell klar, wohin die Reise gehen sollte: in die Kunst. Genauer gesagt, in die Kunstgeschichte.

Ich habe mich an vier Universitäten zum Studium der Kunstgeschichte beworben, ohne einen Hauch von Ahnung zu haben, was ich damit soll. Im Hinterkopf verbinde ich natürlich schon meine Fähigkeit zum hübschen Formulieren mit einem Abschluss in diesem wunderbaren Orchideenfach und sinniere über Dinge wie endlich mal lesbare Ausstellungskataloge, Audioguides, denen man gerne und fasziniert zuhört oder generell die Möglichkeit, Kunst nahbarer zu machen, indem man von diesem össeligen wissenschaftlichen Schreiben etwas runterkommt. Aber das ist, wie gesagt, alles im Hinterkopf. Im Vorderkopf steht schlicht der Wunsch, zu lernen.

Gestern war der oben erwähnte dünne Umschlag im Briefkasten. In ihm teilte mir das Immatrikulationsamt Dresden mit, dass ich gerne in ihrer schönen Stadt studieren dürfe, wenn ich das denn wolle. Ich warte noch auf drei andere Städte, die mir das bitte auch mitteilen sollen, auch wenn mir das schon sehr vermessen vorkommt. Ehrlich gesagt, habe ich mit keiner einzigen Zusage gerechnet, weswegen ich gestern schreiend in der Küche stand. Ich hatte schon ganz vergessen, wie sich das anfühlt, Post von Universitäten zu kriegen. Vor allem welche, auf die man wartet.

Wenn sich Hamburg fieserweise gegen mich entscheidet – die anderen beiden Städte waren eh nur auf Platz 3 und 4 der persönlichen Hitliste an Wunschstudienorten –, werde ich im Herbst zumindest tageweise nach Dresden ziehen. Denn den Kerl kriegen keine zehn Pferde aus der angeblich schönsten Stadt der Welt, und mal ehrlich, so eine klasse Wohnung finden wir auch nie wieder. Nebenbei würde ich auch gerne ein bisschen weiter über Autos schreiben, denn wie schon angemerkt: Geld verdienen ist schon toll.

Aber auch das ist erstmal in den Hinterkopf gerutscht. Vorne tanzt dafür ein hysterisches dickes Frauchen, das sich ständig selbst zubrüllt: FUCK YEAH ICH GEH WIEDER STUDIEREN! Abwechselnd mit: Ach du Scheiße, ich geh wieder studieren!

Vielleicht ist das nur eine Midlife-Crisis, die ich mit dem Erlangen eines Jodeldiploms bekämpfe. Vielleicht merke ich schon im ersten Semester, warum ich vor gefühlten hundert Jahren mein erstes Studium nicht abgeschlossen habe: weil mir Unis und Studierende auf den Zeiger gingen und ich Geldverdienen schon immer toll fand. Vielleicht finde ich eine Wochenendbeziehung zu anstrengend. Vielleicht geht mir Sächsisch (oder Berlinerisch oder Bayerisch) zu sehr auf die Nerven, um es mindestens drei Jahre fast täglich zu hören. Aber selbst wenn: Es ist eine Veränderung. Und genau die wollte ich haben.

FUCK YEAH ICH GEH WIEDER STUDIEREN!

Rote-Linsen-Walnuss-Bällchen

Oder auch: das Essen mit den vielen Bindestrichen. Jessica, von deren veganer Rezepteseite ich diesen Schmackofatz habe, serviert dazu Auberginenrisotto und Zucchini, bei mir war es schnöder Romanasalat mit einem Dressing, in dem sich auch Walnussöl tummelte, sowie Zitronenjogurt. Aber egal womit ihr die Bällchen verspeist – sie sind herrlich lecker. Und machen fies satt; die untere Menge reicht für zwei Personen.

200 g rote Linsen waschen.

1 Zwiebel, fein gehackt, sowie
1 Knoblauchzehe, fein gehackt, in
neutralem Öl anschwitzen. Die gewaschenen Linsen dazugeben, mit
400–500 ml Gemüsebrühe ablöschen und alles zu einem dicklichen Brei verkochen lassen. Notfalls noch ein bisschen Wasser oder Gemüsebrühe nachgießen.

Währenddessen
eine Handvoll glatte Petersilie und
eine Handvoll Walnüsse grob hacken. In einer Schüssel vermischen mit
100 g Mehl und
einem Schuss Zitronensaft.

Den Rote-Linsen-Brei ebenfalls in die Schüssel geben und mit
Kreuzkümmel,
Chilipulver,
Salz und Pfeffer anständig würzen.

Kurz abkühlen lassen, aus dem Teig Bällchen formen und in Öl braten. Wer mag, bestäubt die Bällchen noch mit Speisestärke, bevor sie in die Pfanne wandern.

Ein kaiserliches Dankeschön …

… an Charlotte, die mich mit Christopher Clarks Wilhelm II: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers überraschte. Auf das Buch hat mich Ellebil per Twitter aufmerksam gemacht, weil ich mit dem hochinteressanten, aber doch ewig ausführlichen Wilhelmbuch von John C. G. Röhl nur so halb zufrieden war. Da ich aber nicht mit der Thronbesteigung aufhören will – denn damit endete der erste Teil der drei Röhl-Bücher –, packte ich den Clark auf den Wunschzettel. Und wie durch Zauberei … ihr wisst schon. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Terrine, München

Frau Kaltmamsell bat mich in die Terrine in München, und da lasse ich mich natürlich nicht lange bitten. Ich war wieder zu faul zum Notieren, und das gelbliche Licht ist nicht besonders fotofreundlich, aber glauben Sie mir bitte: Das war große Klasse. Kann an der netten Begleitung gelegen haben, aber die Terrine verwies kurzfristig das reinstoff in Berlin in meiner Hitliste auf die Plätze. Inzwischen ist die weinselige Euphorie etwas verflogen. Wie gesagt, große Klasse, aber dann doch nicht ganz so irrwitzig toll wie das reinstoff.

(Edit: Nach der Veröffentlichung dieses Eintrags bekam ich eine freundliche Mail von Matthias, der die „Augenkrebsigkeit“ der Bilder bemängelte und sie mir bearbeitet noch mal schickte. Sie sehen deutlich besser aus als vorher, vielen Dank!)

Los ging’s mit einem Stück Melone, das in Rosenwasser mariniert wurde. Ein Hauch Pfeffer dran, ein kleiner frischer spitzer Haps. Dazu kredenzte der Sommelier einen Pinot-Noir-Rosé, dessen Namen ich leider nicht erfrug. Zur Melone war er toll, zum nächsten Häppchen auch, aber dann versagte er kläglich. Ich komme darauf zurück.

Der überaus wortgewandte Sommelier war übrigens geschätzt höchstens 20. Wahrscheinlich hat der Mann mit sieben angefangen, Wein zu trinken. Wir müssen ihn uns als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Nächster Spaß: Forellenkaviar, Waldmeister und Ingwerluft. Hach! Hier ging’s los mit den verschiedenen Texturen, über die ich mich persönlich bei jedem Gang am meisten freue. Das widerstandslose Zerplatzen der Kaviarkügelchen, der frisch-kühle Waldmeister, dazu ein Hauch kapriziöser Ingwer. Und der Rosé, der alles fruchtig zusammenhielt.

Eigentlich sollte jetzt das Chef’s Menu losgehen, aber die zuvorkommende Bedienung erwähnte, dass sie gerade total zufällig La-Perle-Blanche-Austern da hätten, ob’s welche sein dürften? Wir entschieden uns für jeweils zwei. So richtig mit Schale und Schlürfen habe ich erst einmal Austern gegessen, und die waren deutlich meerwassriger. Die hier waren sehr fein, einen Hauch salzig, aber auch deutlich größer, was bedeutete, dass ich ein bisschen kauen musste. Was ich bei Muscheln gerne vermeide, denn je länger ich den Kram im Mund habe, desto mehr fange ich an, über die seltsame Konsistenz nachzudenken. Deswegen muss ich die Viecher auch nicht dauernd haben, aber wenn ich schon so freundlich gefragt werde, sage ich natürlich nicht nein. Hier habe ich auch zum ersten Mal kapiert, dass die Zitrone, in Maßen drübergeträufelt, den Meergeschmack noch verstärkt anstatt alles in irgendwas zu verwandeln, was an Kloreinigerduft erinnert.

Dafür war der Rosé jetzt bockig: Nach einer Auster nahm ich einen Schluck und hatte auf einmal das Gefühl, auf brackigen Kieselsteinen rumzukauen. Die Fruchtigkeit vom Wein war weg genau wie die Meeresbrise der Auster.

Erster Gang: Donauwaller mit Navetten, Pfifferlingen und Zitronen-Nussbutter. Dass der Donauwaller wohl ein Fisch sein soll, konnten wir noch erraten, aber nach den Navetten haben wir gefragt: Das ist eine Form der Mairübe. Und, wie ich jetzt weiß, eine äußerst schmackhafte. Zart und knackig, der Fisch zart und bissfest, die Pfifferlinge zart und rauchig. Ein sehr liebevoller Reinkommer, der mir außerordentlich gut gefallen hat.

Dazu gabe’s einen Sauvingon Blanc „Animale Celeste“ 2011, der genauso liebevoll war. Ich rieche beim Sauvignon blanc immer schwarze Johannisbeere, Frau Kaltmamsell ergänzte um Ananas, und wir beide waren sehr glücklich und zufrieden.

Der zweite war mein liebster Gang des Abends: Seeteufel, Erbse, Toast-Avocado, grüne Mandel. Grüne Mandel hatte ich vor ein paar Monaten im reinstoff das erste Mal gegessen und war schwer beeindruckt (wobei der Grüne-Mandel-Gang da auch der Kracher war). „Toast-Avocado“ ist Restaurantdeutsch für „geröstete Avocado“, und Frau Kaltmamsell und ich sagten beide, dass man da auch mal selber hätte drauf kommen können. Mir hat an diesem Gang der Gesamteindruck am besten gefallen: alles war mild-fluffig-süßlich, und das scheint die Geschmacksrichtung zu sein, mit der man mich ins Bett kriegt.

Der Wein dazu war ein Anjou „La Lune“ 2010, der aus Chenin-Blanc-Trauben gekeltert wird. Er sorgte dafür, dass das Essen nicht in seiner eigenen Lieblichkeit erstarrte, sondern hielt frisch und kernig dagegen – natürlich ohne die milde Fluffigkeit zu ruinieren. Jetzt lag auch die Kaltmamsell im Bett.

Der dritte Gang: Schwarze-Bohnen-Essenz mit Ziegenkäseravioli und Tomate. Ich finde Essenz generell spannend, weil mein Kopf auf das ganze Gemüse wartet und ich bloß eine Flüssigkeit schlürfe. So auch hier: Die Erdigkeit der Bohnen, die einem elegant die Speiseröhre auskleidete, passte hervorragend zur Zickigkeit des Ziegenkäses, der von der säuerlichen Frische der Tomaten ergänzt wurde. Kein großer Aufreger, aber stimmig – und deutlich hübscher als das miese Foto. Entschuldigung.

Der Wein blieb der „La Lune“, mit dem wir immer noch sehr glücklich waren. Ich ahne, dass mein Agenturempfang demnächst wieder eine Kiste annehmen und mich nölig anrufen wird: „Hier ist schon wieder Alkohol für dich!“

Der vierte Gang war der unspektakulärste, aber wir brauchen ja auch nicht immer Feuerwerk: Foie Gras, Kirsche, schwarze Olive. Wie schon bei der grünen Mandel hatte ich reinstoff-Flashbacks, denn dort wurde eben diese Mandel mit Foie Gras kombiniert – für mich eine großartige Kombination. Hier war mir die Gänseleberpastete ein bisschen zu warm, und die Kombination mit der Kirsche erschien mir zwar halbwegs passend, aber doch einen Mikrometer daneben. Der Wein allerdings machte eine Menge wieder wett. Wo ich das Gefühl hatte, dass Kirsche und Foie Gras nur widerwillig miteinander auf dem Teller lagen, sorgte der Ramos Pinto Ruby Port dafür, dass sie sich in meinem Mund ganz hervorragend verstanden.

Der übliche Magenaufräumer: ein Sorbet. Ich glaube, Ingwer. Passt.

Der Hauptgang war, wie schon in der Küchenwerkstatt, Reh, genauer gesagt Poltinger Reh mit Mangold, Verjus und Brombeere. Ich liebe die Kombination von Wild mit Obst, wobei das Wild kaum nach Wild schmeckte (was, glaube ich, der Witz an Reh im Sommer ist anstatt zu Weihnachten). Sehr schöner Gang, ohne Höhen und Tiefen, aber dafür eben absolut ausgewogen.

Beim Wein ritt mich meine charmante Begleitung schön rein. Der Sommelier setzte gerade an, uns den 2004er Reserva „Finca de Ganuza“ schmackhaft zu machen, indem er darauf hinwies, dass er zu 90 Prozent aus Tempranillo bestehe, woraufhin Klatschbase Kaltmamsell rumpiepste: „Meine Freundin mag keinen Tempranillo.“ Ich zuckte schamhaft zusammen, beteuerte, der totale Fan von Tempranillo zu sein, dachte aber innerlich, es gibt Milliarden von Rotweinen, wieso muss es ewig der olle Tempranillo sein? Freund Sommelier bot mir sofort einen Ersatz an, aber so leicht kriegt man mich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Jungs und Mädels sich was bei der Zusammenstellung gedacht haben, und deswegen bestand ich fast auf dem verdammten Tempranillo. Der dann – natürlich – überraschend gut war. Erstmal (für mich) belanglos, weil ich die Traube eben belanglos finde, aber: Die zehn Prozent, die eben nicht von der Schnarchnase stammten, machten aus dem Wein etwas Besonderes. Sie bestanden zu fünf Prozent aus Graciano und jeweils zweieinhalb Prozent aus Viura und Malvasia. Ich konnte ihr Aroma überhaupt nicht festnageln, sondern faselte nur angetan vom Geist über dem Wasser, der meine Nase hochkletterte. (Ja, mir geht’s gut, danke.)

Laut ausgedruckter Speisenfolge, die ich mir nach dem Festessen erbat, kam jetzt das „Pre-Dessert“. Wieder ein schönes Wort für die interne Datenbank. Das Vorspeischen war eine Schokoladencreme plus Himbeersauce, und eins von beiden war mit Eukalyptus aromatisiert. Die Kombi Schokolade plus X gewinnt bei mir immer, Himbeeren sind super und Eukalyptus wird von Koalas gegessen – what’s not to love?

Der Abschluss war dann noch mal ein Kracher, der in meiner persönlichen Hitliste direkt hinter der erbsigen Avocado landete: Tannennadeleis (!), Rosenwasserpfirsich, Marzipanespuma. Frau Kaltmamsell meinte zu Recht, vor uns wäre nun kein Nadelbaum mehr sicher, denn das Eis war unglaublich gut. Mehr Frucht als Tannenbaum, sehr frisch, ein bisschen herb, aber eigentlich hat es nur grün geschmeckt. Wie grün halt so schmeckt. Dazu das weichgespülte Marzipan und die feinfruchtigen Pfirsiche – ich war begeistert. An den Wein erinnere ich ich in meiner Süßspeisenseligkeit nicht mehr, aber er war bestimmt genauso toll wie die anderen: ein 2010er Vouvray „Le Clos du Bourg“.

Terrine
Amalienstraße 89 (Amalienpassage)
80799 München

Geöffnet Montag bis Samstag ab 18.30 Uhr (Küche bis 22.30 Uhr) sowie Dienstag bis Freitag 12 bis 15 Uhr (Küche bis 14 Uhr).

Telefon: 089/28 17 80
E-Mail: geniessen@terrine.de

Twitterlieblinge Juli 2012

Ein sechsfaches Dankeschön …

… geht an Friedrike, die mich nicht mit einem, nicht mit zweien, nein, gleich mit fünf Büchern und einer DVD von meinem Wunschzettel bedachte. Ich bin ziemlich sprachlos und freue mir ein Loch in den Bauch, weil ich jetzt eine Biografie über Rainer Wernder Fassbinder sowie eine über Kronprinz Rudolf (aka Sissis Sohn) lesen kann. Und hinterher dann John Irvings In One Person, Annette Pehnts Mobbing und John Lanchesters Capital. Dazu schaue ich Majestät brauchen Sonne von Herrn Schamoni. Ich habe also viel zu tun, wische mir ein gerührtes Tränchen über eine derartige Freigebigkeit aus den Äuglein und sage noch mal vielen Dank. Ich habe mich offensichtlich sehr gefreut.

Bücher Juli 2012

Tom Hillenbrand – Teufelsfrucht: Ein kulinarischer Krimi

Schöne Location (Luxemburg), schöne Charaktere (die Hauptfigur ist ein beleibter Koch), schönes Setting (Sterneküche), schöner Stil, schönes Tempo … und dann leider ein total dick aufgetragenes Ende. Hat den Lesegenuss nicht wesentlich geschmälert, fand ich aber schade. Dafür lernt man ein paar Sätze Lëtzebuergesch und hat nach dem Buch ziemlichen Appetit auf regionale Küche mit vielen Kalorien drin, was ich als gutes Zeichen werte.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Liza Marklund – Olympisches Feuer

Las sich sehr entspannt weg und hat mir größtenteils gefallen, auch weil ich die Figur der Annika Bengtzon gerne mag, die sich zwischen Job und Familie zerreibt. Hier geht es um einen Sprengstoffanschlag auf das Olympiastadion in Stockholm, mit dem sich Bengtzons Zeitung herumplagt. Nebenbei muss sie als neue Chefin mit den üblichen Querelen klarkommen, die Untergebene so anzetteln. Aber auch hier: die dick aufgetragene Lösung zum Schluss auf dem Silbertablett. Und auch beim zweiten Marklund, den ich gelesen habe, gab es zwischen der eigentlichen Geschichte kleine Einschübe, die wahrscheinlich Atmosphäre vermitteln sollen, die ich aber zum zweiten Mal total bescheuert fand.

(Leseprobe bei amazon.de.)

John C. G. Röhl – Wilhelm II., Die Jugend des Kaisers 1859–1888

Wie ausführlich dieses Werk sich dem letzten deutschen Kaiser nähert, zeigt schon sein Umfang: Gut 800 Seiten – und es endet im Moment der Thronbesteigung. Zwei weitere Bände befassen sich mit dem „Aufbau der Persönlichen Monarchie 1888-1900“ und dem „Weg in den Abgrund 1900–1941“, aber die werde ich eher nicht mehr lesen. Was keinesfalls daran liegt, dass mir der erste Band nicht gefallen hätte, ganz im Gegenteil. Röhl zitiert ausführlichst aus Korrespondenzen und Tagebucheinträgen nicht nur der kaiserlichen Familie, sondern auch des Umfelds. Genau das hat bei mir aber irgendwann zum Querlesen verführt, denn so spannend ich die Kindheit und Jugend des Kaisers fand, sein Studium, den ersten, äußerst ungeschickten Umgang mit anderen Monarchen, sein Werben um die zukünftige Gattin und natürlich das ewige Spannungsfeld Familie – einige historische Vorfälle hätte ich mir gerne in Kurzfassung gegeben, da brauchte ich nicht jeden Notizzettel Waldersees (wobei ich Rudolfs Gelästere sehr gerne gelesen habe). So habe ich Ereignisse wie die lange Krankheitsgeschichte von Wilhelms Vater Friedrich III quergelesen und die Stoecker-Versammlung sowie die Battenbergs auch nur in der Wikipedia nachgeschlagen. Reicht. Denn den Hauptpunkt, den Röhl machen will – das Umfeld formt den Menschen –, hat man schon nach den ersten 200 Seiten kapiert. Alles danach untermauert seine These bzw. versucht es, was meiner Meinung nach auch nicht immer hingehauen hat.

Rainer Maria Rilke – Auguste Rodin

Hach! Und ein <3 hinterher! Rilke ist Rodin-Fanboy und beschreibt auf 140 Seiten diverse Skulpturen des Meisters. Und weil er Rilke ist, liest sich das ganze wunderwunderschön und nicht wie ein Kunstgeschichte-Proseminar „Was sehen wir denn so vor uns, meine Damen und Herren?“ So schreibt er über das Höllentor, in dem der Denker Platz nahm:

„Er fand die Gebärden der Urgötter, die Schönheit und Geschmeidigkeit der Tiere, den Taumel alter Tänze und die Bewegungen vergessener Gottesdienste seltsam verbunden mit den neuen Gebärden, die entstanden waren in der langen Zeit, während welcher die Kunst abgewendet war und allen diesen Offenbarungen blind. Diese neuen Gebärden waren ihm besonders interessant. Sie waren ungeduldig. Wie einer, der lange nach einem Gegenstand sucht, immer ratloser wird, zerstreuter und eiliger, und um sich herum eine Zerstörung schafft, eine Anhäufung von Dingen, die er aus ihrer Ordnung zieht, als wollte er sie zwingen mitzusuchen, so sind die Gebärden der Menschheit, die ihren Sinn nicht finden kann, ungeduldiger geworden, nervöser, rascher und hastiger. Und alle die durchwühlten Fragen des Daseins liegen um sie her.

Aber ihre Bewegungen sind zugleich auch wieder zögernder geworden. Sie haben nicht mehr die gymnastische und entschlossene Gradheit, mit der frühere, Menschen nach allem gegriffen haben. Sie gleichen nicht jenen Bewegungen, die in den alten Bildwerken aufbewahrt sind, den Gesten, bei denen nur der Ausgangspunkt und der Endpunkt wichtig war. Zwischen diese beiden einfachen Momente haben sich unzählige Übergänge eingeschoben, und es zeigte sich, dass gerade in diesen Zwischen-Zuständen das Leben des heutigen Menschen verging, sein Handeln und sein Nicht-handeln-Können. Das Ergreifen war anders geworden, das Winken, das Loslassen und das Halten. In allem war viel mehr Erfahrung und zugleich auch wieder mehr Unwissenheit; viel mehr Mutlosigkeit und ein fortwährendes Angehen gegen Widerstände; viel mehr Trauer um Verlorenes, viel mehr Abschätzung, Urteil, Erwägung und weniger Willkür.

Rodin schuf diese Gebärden. Er machte sie aus einer oder aus mehreren Gestalten, formte sie zu Dingen in seiner Art. Er gab Hunderten und Hunderten von Figuren, die nur ein wenig größer waren als seine Hände, das Leben aller Leidenschaften zu tragen, das Blühen aller Lüste und aller Laster Last. Er schuf Körper, die sich überall berührten und zusammenhielten wie ineinander verbissene Tiere, die als ein Ding in die Tiefe fallen; Leiber, die horchten wie Gesichter und ausholten wie Arme; Ketten von Leibern, Gewinde und Ranken, und schwere Trauben von Gestalten, in welche der Sünde Süße stieg aus den Wurzeln des Schmerzes. Gleich machtvoll und überlegen hat nur Lionardo Menschen zusammengefügt in seiner grandiosen Beschreibung des Weltuntergangs. Wie dort, gab es auch hier solche, die sich in den Abgrund warfen, um das große Weh vergessen zu können, und solche, die ihren Kindern die Köpfe zerschlugen, damit sie nicht hineinwüchsen in das große Weh.

Das Heer dieser Figuren war viel zu zahlreich geworden, um in den Rahmen und die Türflügel des Höllen-Tores hineinzupassen. Rodin wählte und wählte. Er schied alles aus, was zu einsam war, um sich der großen Gesamtheit zu unterwerfen, alles was nicht ganz notwendig war in diesem Zusammenhang. Er ließ die Gestalten und Gruppen selbst sich ihren Platz finden; er beobachtete das Leben des Volkes, das er geschaffen hatte, belauschte es und tat jedem seinen Willen. So erwuchs allmählich die Welt dieses Tores. Seine Fläche, an welche die plastischen Formen angefügt wurden, begann sich zu beleben; mit immer leiser werdenden Reliefs verhallte die Erregung der Figuren in die Fläche hinein. Im Rahmen ist von beiden Seiten ein Aufsteigen, ein Sich-empor-Ziehen und Hoch-Heben, in den Flügeln des Tores ein Fallen, Gleiten und Stürzen die herrschende Bewegung. Die Flügel treten ein wenig zurück, und ihr oberer Rand ist von dem vorspringenden Rand des Querrahmens noch durch eine ziemlich große Fläche getrennt.

Vor diese, in den still geschlossenen Raum, ist die Gestalt des Denkers gesetzt, des Mannes, der die ganze Größe und alle Schrecken dieses Schauspieles sieht, weil er es denkt. Er sitzt versunken und stumm, schwer von Bildern und Gedanken, und alle seine Kraft (die die Kraft eines Handelnden ist) denkt. Sein ganzer Leib ist Schädel geworden und alles Blut in seinen Adern Gehirn. Er ist der Mittelpunkt des Tores, obwohl noch über ihm auf der Höhe des Rahmens drei Männer stehen. Die Tiefe wirkt auf sie und formt sie aus der Ferne. Sie haben ihre Köpfe zusammengebogen, ihre drei Arme sind vorgestreckt, laufen zusammen und zeigen hinunter auf dieselbe Stelle, in denselben Abgrund, welcher sie niederzieht mit seiner Schwere. Der Denker aber muss sie in sich tragen.“

(Leseprobe bei amazon.de oder dem Link da oben folgen, der geht zum Volltext bei gutenberg.spiegel.)

Simon Schwartz – Packeis

Von Schwartz hatte ich schon drüben! gelesen, das mir gut gefallen hatte. Packeis packt (haha) noch ne Schippe aufs Gutgefallen drauf. Die Story alleine reichte schon, um mich zu begeistern: Es geht um die Nordpolexpeditionen von Robert Peary, die er über Jahre gemeinsam mit Matthew Henson unternahm. Das Besondere: Henson war schwarz, und es wird heute vermutet, dass er der erste Mensch war, der 1909 den geografischen Pol erreichte und nicht Peary. Das erste unwidersprochene Erreichen des Pols gelang Roald Amundsen 1926, aber darum geht’s in diesem Buch nicht. Stattdessen geht es um die Kultur der Inuit/Eskimos (ich bin mir bei der Bezeichnung nicht sicher), von denen einige zum ersten Mal einen Schwarzen zu Gesicht bekommen, es geht um den alltäglichen Rassismus in den USA um die Jahrhundertwende, und es wird nicht viel besser, wie eine zweite, eingewobene Storyline zeigt, die sich mit Henson in den 40er Jahren beschäftigt. Beide Geschichten verlaufen parallel, und gerade die grafische Verbindung zwischen den beiden hat mir ausnehmend gut gefallen.

(Leseprobe und Infos beim avant-Verlag)

Flix – Don Quijote

Fühlt sich an wie ein neuer Flix: Die knuffigen Grundformen seiner Figuren sind noch da, aber alles scheint mit einem Hauch Franquin überzogen zu sein – was mir persönlich sehr gut gefällt.

Wie schon beim Faust versetzt Flix einen literarischen Helden nicht nur in die Wirklichkeit, sondern auch in die Neuzeit, und das hat wieder genauso gut funktioniert. Was sogar noch besser funktioniert hat – deswegen auch der „neue“ Flix: Es ist nicht mehr ganz so brüllend komisch wie sein Tagebuch oder auch der Faust, in dem so ziemlich jede Serie an Panels mit einer Pointe aufhörte. Im Don Quijote hat er es geschafft, den melancholischen, poetischen, zärtlichen Ton des Originals mitzunehmen, ohne den Flix’schen Humor zu vergessen – er ist stattdessen eine Nuance runtergedreht, ein winziges bisschen weniger auf die Zwölf. Wobei auch Cervantes gerne mal die Humorholzhammer rausholte; die Szene, an die ich mich am deutlichsten erinnere, ist die, in der erst Don den armen Sancho ankotzt und dieser dann ihn. Die Szene hat Flix netterweise auch übernommen, wie natürlich auch die Windmühlen (hier: Windräder), Rozinante (ein Fahrrad statt eines Pferds), Dulcinea (da verrate ich mal nichts, aber ich erwähne gerne, dass ich ein paar kleine Tränchen vergossen habe) und natürlich Sancho, der sich, genau wie im Original, zum Ritter ausbilden lassen will. Auch wenn der Flix’sche Sancho einen anderen Ritter im Kopf hat als Cervantes.

Kurz gesagt: Wie immer bei Flix ein wundervolles Buch. Nur noch wundervoller.

(Das gesamte Werk zum Durchklicken auf faz.net, wo es zuerst erschien.)

Friedrich Ani – Süden und der Straßenbahntrinker

Durch das halbe Ouevre von Ani und meine Bewunderungsposts müsst ihr jetzt durch. Ihr könnt euch dafür bei Probek bedanken, der mir am Welttag des Buchs einen Band zukommen ließ, und der machte so süchtig, dass ich jetzt die ganze Süden-Reihe lese.

Kurzfassung Straßenbahn, copypaste vom Klappentext, der schön anreißt und nichts verrät: „Tabor Süden hat Urlaub, baut Überstunden ab und tut nichts, außer sich gelegentlich mit Sonja Feyerabend zu verabreden. Doch dann wird er überraschend ins Dezernat 11 gerufen: Dort nervt ein Mann alle Kommissare, und sie werden ihn nicht mehr los. Jeremias Holzapfel kam auf die Vermisstenstelle, um mitzuteilen, er sei wieder da. Kurios daran ist nur: Niemand hat ihn als vermisst gemeldet. Und so nimmt sich Süden dieses seltsamen Rückkehrers an – und tritt mit ihm eine Reise in eine schmerzhafte Vergangenheit an.“

(Leseprobe bei amazon.de.)

Friedrich Ani – Süden und das Geheimnis der Königin

Wieder copypaste: „In einem scheinbar leerstehenden Haus wird die Leiche eines Mannes gefunden, der hier unbemerkt gelebt hat und verhungert ist. Niemand meldet sich, als die Polizei der Öffentlichkeit seinen Namen und sein Bild präsentiert. Doch unter den wenigen Habseligkeiten des Mannes entdeckt die Kripo den Namen einer Frau, die seit mehr als zehn Jahren vermisst wird. Hauptkommissar Tabor Süden kramt die alte Akte heraus und beginnt erneut mit der Suche.“

(Leseprobe bei amazon.de.)

Friedrich Ani – Süden und die Frau mit dem harten Kleid

In der Frau geht es um einen Mann, der von seiner Schwester als vermisst gemeldet wird. Er rufe sie jedes Jahr zum Geburtstag an, nur dieses Mal nicht, es müsse etwas passiert sein.

Für alle drei Bücher gilt: Süden gräbt tiefer, redet länger, schweigt opulenter und zieht ganz eigene Schlüsse, was das Buch unwiderstehlich macht wie alle anderen auch mit seinen Figuren, die am Rand der Gesellschaft stehen und ihren Taten, die sie noch weiter raustreiben. Ich bin der Sprache Anis inzwischen völlig widerstandslos ausgeliefert, die mich gleichzeitig fertig macht und sie mich bewundern lässt. Over and out.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Annette Pehnt – Insel 34

Die namenlose Erzählerin ist seit ihrer Kindheit von einer von 34 Inseln fasziniert, die keinen Namen haben, sondern nur nummeriert vor der Küste rumliegen. Für alles gleichermaßen begabt, wie ihre Eltern nölig feststellen, entscheidet sie sich, bei einem verwelkten Professor Geografie, Völkerkunde und Dialektologie zu studieren, ihm Zitronentee zu kochen und sich zudem mit einem Hallodri sexuell zu vergnügen, weil dieser gerade da ist und nach Vanille und Zigaretten riecht. Mit stoischer Beharrlichkeit schafft sie es schließlich immerhin bis zur Insel 28, auf der sie lernt, Sackpfeife zu spielen, sich über die Postkarten in den Läden wundert, die niemand schreibt, und die Kinder vermisst, die hier anscheinend nicht existieren. Wenn Insel 34 ein Film wäre, wäre er eine Mischung aus Schultze gets the Blues und Little Miss Sunshine, nur unwiderstehlicher, spröder und viel besser formuliert. Ich fand’s großartig.

(Die Leseprobe ist ein Ausschnitt aus dem Buch, den Pehnt beim Bachmannpreis 2002 vorlas.)

Katharina Hagena – Der Geschmack von Apfelkernen

Apfelkerne beginnt mit dem Tod von Bertha, und zu ihrem Begräbnis kommen ihre drei Töchter plus erwachsener Enkelin Iris, die das Haus Berthas erbt, in dem sie bereits ihre Kindheit verbracht hat. Beim Umherwandeln in den Räumen und durch den Garten erinnert sie sich an ihre Familiengeschichte, erfährt von Nachbarn und alten Freunden weitere Details, und übrig bleibt ein flauschiges Sommerbuch, das mir teilweise sehr gut und teilweise überhaupt nicht gefallen hat. Ich mochte die Konzentration auf die weiblichen Figuren, obwohl ich sie teilweise arg klischeeig beschrieben fand; ich mochte die Atmosphäre aus Sommerhitze, duftenden Äpfeln in allen Verarbeitungszuständen, dem kleinen Ort der Handlung, einem See und die vielen hübschen Adjektive. Was ich komplett bescheuert fand, war die Story zwischen Iris und Max, den sie seit Kindertagen kennt. Was aus den beiden wird, weiß man nach fünf Dialogsätzen, und die sind so ungelenk formuliert, dass sie mich jedesmal aus der ansonsten angenehmen Grundstimmung rauskegelten.

(Leseprobe bei amazon.de.)

E. L. James – Fifty Shades of Grey (Kindle-Edition)
E. L. James – Fifty Shades Darker (Kindle-Edition)

Kindle, weil: Mit dem Zeug will man ja nicht gesehen werden. Twilight habe ich auch nur auf dem iPad gelesen, was es nicht besser gemacht hat – und genauso wenig hat der Kindle Shades besser gemacht. Wobei: Den ersten Teil fand ich gar nicht soooo doof, während ich beim zweiten Teil nach gut der Hälfte aus genervter Langeweile aufgegeben habe. Eher mitteldoof war der Rest, weil die Charaktere sich anfühlen, als hätte sich jemand fünf Minuten und nicht fünf Monate hingesetzt, um sie zu entwickeln. Mitteldoof, weil die Dialoge alle aus der Hölle sind, er sie direkt nach dem Orgasmus „Baby“ nennt (was mit einem „Yeah“ davor halt total billig rüberkommt) und mitteldoof, weil James sich schamhaft um ein paar Vokabeln drückt, die ich bei einem Softcoreporno erwarte. Sowas wie „vagina“. Oder „penis“. Stattdessen reden wir von „down there“ oder „his length“ (gnihihi) oder auch nur „him“, den sie in den Mund nimmt. Gut, wir haben keine Grotte der Leidenschaft, in die der Lustwurm züngelt, aber meine Güte, JETZT SAG’S SCHON, du olle Prusselise.

Nicht mitteldoof, sondern mittelgut fand ich dagegen die Sexszenen, auch wenn sie ohne anständiges Vokabular kamen und eher die alberne Kindergartenvariante von BDSM sind (soweit ich das beurteilen kann – also gar nicht), denn, das muss ich zugeben: Ich fand das durchaus anregend zu lesen.

Und damit haben wir nach über zehn züchtigen Jahren in diesem Blog auch endlich über mein Sexleben gesprochen. Das war’s. Ich hab nix mehr. Macht’s gut.

(Leseprobe Grey, Darker bei amazon.de.)

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