reinstoff, das zweite Mal

Der erste Besuch liegt ein Jahr zurück; inzwischen hat das reinstoff einen zweiten Stern bekommen, und ich behaupte von mir, ich hätte einen Hauch mehr Ahnung von gutem Essen und gutem Wein. Beste Voraussetzungen also, um einen tollen Abend zu haben. Ich nehme die Pointe vorweg: hatten wir. Ich nehme allerdings noch was vorweg: Das schöne, klare, weiße Licht, das wir im letzten Jahr hatten, ist leider einer gelblichen Raumbeleuchtung gewichen. Das macht den Laden zwar etwas heimeliger, meine iPhone-Bilder allerdings sehr fies. Netterweise hat mir Herr Knüwer einige seiner Bilder überlassen, die deutlich schicker sind. Und noch was: Ich habe mir keine Notizen gemacht, was für den Blogeintrag sehr, sehr doof ist. Insofern ist das hier keine angemessene Kritik, sondern eher ein Merkzettel für mich, damit ich noch in drei Wochen weiß, was ich gegessen und getrunken habe.


(Foto: Thomas Knüwer)

Wir starteten mit einem Rieslingsekt, um uns die Wartezeit bis zu den Vorspeisen zu verkürzen. Die bestanden aus, copypaste von der Speisekarte:

„Eisblume und Vinaigrette“ – genauer gesagt ein bisschen Sorbet (?) mit säuerlich-frischer Vinaigrette. Schöner Reinkommer.

„Cracker“ – mit Rhabarbergelee. Weder süß noch salzig, aber herrlich. Zuerst knistert, dann schmeichelt es.

„Aubergine und Miso im Umschlag“ – kleine Gemüsewürfel in Esspapier. Mein Kommentar an dem Abend: die erste Aubergine, die nach was schmeckt.

„Eingelegter Hering, traditionell“ – genau so.


(Foto: Thomas Knüwer)

Der Gruß aus der Küche war ein „Lammburger“ – genauer gesagt, ein grünes Macaron, das mit einem winzigen Salatblatt und Lammfleisch belegt war, serviert an einem Klecks Senfdressing auf knitterigem Pergamentpapier. Den Burger in die Hand genommen, durch den Senf gezogen, in einem glückseligen Haps verspeist und mit den Fingern noch den Rest Dressing vom Pergament gerettet.

Dann ging es an die Hauptgänge, zu denen Stevan, Thomas, zwei weitere Menschen, von denen ich nicht weiß, ob sie genannt werden möchten, mit denen man aber einen sehr netten Abend verbringen kann, und ich die Weinreise orderten. Also zu jedem Gang ein Glas passenden Wein. Inzwischen bin ich so weit, dass ich an den Weinen fast mehr Spaß habe als am Essen, weswegen es mich noch mehr ärgert, mir keine Notizen gemacht zu haben.

„Morchel ,Royale’ mit Pinienkernen, Zwiebelbouillon und Verjus 8“, dazu gab es einen Amontillado V.R.O.S, Bodegas Tradicion, Jerez. Kein Foto, und der Gang wurde von den Erinnerungen an die folgenden leider in die hinterste Hirnecke gedrückt. War garantiert toll.

„Garnelen aus der Normandie, Buschbohne, Seemoos und Aioli“, dazu einen Riesling R „Monzinger Halenberg“, Emrich-Schönleber von der Nahe, 2008. Wie ich schon twitterte: der beste Riesling, den ich je getrunken habe. Bitte kauft ihn mir nicht weg, ich muss ihn dringend noch mal trinken. Garnelen und ich werden wohl nie richtig dicke Freund_innen, aber die hier waren (erwartungsgemäß) ausgezeichnet. Vor allem das grüne Sößchen hatte es mir angetan, und ich musste mich sehr zusammenreißen, nicht den Teller zu kippen und den Rest auszutrinken.

Wieder ohne Foto: „Ei, geschmortes Huhn, Johannisbeerblätter und verflüssigte Kräuter“, dazu einen Manzoni Blanc de Plana, Vigna Dogarina, Veneto, 2008. Das nächste kleine Wunderwerk aus verschiedenen Texturen, die für mich so spannend waren, dass ich den Geschmack fast vergessen hätte. Knusprig, flüssig, eine Beilage, die zuerst spröde und dann schmelzig im Mund war, dazu das weiche Ei – herrlich. Der Wein dazu war ebenso komplex: viel Frucht, viel Ooomph.

„Gänseleberterrine, Erd- und grüne Mandel“, dazu einen Cantocuerdas Moscatel, Bernebaleva, Vinos de Madrid, 2009. Bei dem Wein jauchzte ich peinlicherweise ein bisschen auf, was den schnuckigen Sommelier aber nicht aus dem Konzept brachte. Seit Frau Cucina Casalinga mir einen Moscato kredenzte und ich im trific grundsätzlich den Gelben Muskateller vom Pollerhof anhimmele, will ich mich in die Richtung fortbilden. Der hier war eine gute Fortbildung – so eine von der Sorte, wo ich schon bei der ersten Nase weiß, dass ich davon gerne eine Kiste nach Hause tragen wollen würde. Lieblich, aber mit genug Muckis, um gegen die Gänseleber anstinken zu können. Bei der Beschreibung dachte ich, das wird ein feister Angebergang mit nem vorsichtigen Wein dazu. Stattdessen machte sich der Moscatel im Mund breit, während die Gänseleber fein vor sich hinschmolz und die grünen Mandeln charmante Akzente setzten. Ach, und das Brot! Fluffigst.

„Blauleng, Tomatensaft, Austernkraut und Muscheln“, dazu ein Sotorrondero, Jimenez Landi, Mentrida, 2009. Der Gang, bei dem selbst der Koch am Tisch fragen musste, was bitte ein Blauleng sei. Der Racker ist ein Fisch, der angeblich ein bisschen nach Forelle schmeckt. Kann ich nicht beurteilen, war aber – natürlich – sehr gut. Zartes und gleichzeitig kräftiges Fleisch, dazu die ansatzweise zähen Muscheln, was ich als positiv empfand; sie rutschten nicht so uninspiriert weg, sondern ergänzten den Fisch um eine zusätzliche Textur. Mit dem Wein musste ich mich erst anfreunden: Die Nase zuckte vom Glas weg – Rauch! Also nicht nur ein bisschen Holz irgendwo hinten in den Nasenflügeln, sondern wirklich so, als ob man den Kopf in einen Kamin steckt. Sobald ich aber einen Bissen vom Essen nahm, verschwand der Kamin, und aus allem wurde eine wunderbare Einheit. Hach, Wein!

„Berliner Weiße ,eiskalt’ und Löwenzahnlimonade“, genauer gesagt, ein Schlückchen Dandelion & Burdock. Ein köstliches Sorbet mit Himbeerpüree und einer mit dem Skalpell zerteilten Himbeere zum Magenaufräumen. Über die Löwenzahnlimo war man sich am Tisch nicht ganz so einig: sehr süß, und ich hatte seltsame Zahnarzterinnerungen, weiß der Geier woher. Aber das Himbeerpüree hätte ich geheiratet. Und ich habe Klee gegessen.

„Wald und Wiese: Kronenstück vom Kalb, Salatspitzen, Knollenkerbel“, dazu ein Dominio de Atauta, Ribera del Duero, 2009. Der Gang, der uns am meisten beeindruckte. Schon optisch ein Volltreffer, aber das ist ja fast albern zu erwähnen, und ich streue wirklich zutiefst traurig Aschenberge auf mein Haupt wegen des miesen Bilds. Dann der erste Bissen: Das Fleisch wurde bei Niedrigtemperatur gegart; außen war es lieblichbraun, innen vollständig rosa. Und ich meine: rosa. Sämtliche Stücke hatten die gleiche Struktur und Farbe und steckten voller Kraft und Anmut. Wo wir bisher das gesamte Essen durchgequatscht hatten, war auf einmal Ruhe am Tisch. Fünf Menschen, die sich andächtig mehreren kleinen Stücken Fleisch widmeten, dem bissfesten Spargel, den luftigen Kräutern, der konzentriert-aromatischen Sauce, die alle mit Brot auftunkten, weil es schlicht ein Sakrileg gewesen wäre, auch nur einen Tropfen davon zu verschwenden. Dazu ein tiefroter, vollfruchtiger Wein, an den ich aber kaum eine Erinnerung habe. An das begeisterte Schweigen um so mehr.

Das Dessert für Herrn Knüwer war „asiatisches Müsli und geeiste Zuckererbse“, wir anderen ließen uns „Emmental Grand Cru, Sauerklee und Kernobst“ schmecken. Dazu hatten wir einen Chardonnay R, Ökonomierrat Rebholz, Pfalz, den ich mal wieder nicht als Chardonnay erkannt hätte (dass ich jemals Chardonnay erkennen würde, hatte mir Vinoroma eigentlich auch schon ausgetrieben). Ich gackere zwar immer noch ein bisschen über die Kombination Käsename + Grand Cru (hey, es ist Käse!), aber auch dieser Gang hat mich sehr glücklich gemacht. Erstens sah er aus wie ein Kandinsky zum Essen – ich unterstelle der Küche, den Teller mit Geodreiecken rechtwinklig ausgerichtet zu haben –, und zweitens gab es neben den Obststücken ein Früchtebrot, das so dermaßen allen anderen Klötzen dieses Namens, die man zu Weihnachten kriegt, in den Arsch tritt wie es fester kaum geht. Das war quasi nur Luft mit einem Sauerteighauch und Fruchtsüße. SO. GEHT. FRÜCHTEBROT.


(Foto: Thomas Knüwer)

Die Rausschmeißer nach den acht Gängen waren „Erfrischungsstäbchen“, die ähnlich wie die Billovariante schmeckten, aber kunstfertig handgedrechselt aussahen, weswegen Stevan anfing, darüber nachzudenken, wie man die wohl herstellt. „Kaffeesahne karamellisiert“ war ein dekonstruierter Milchkaffee – das Stichwort „Milchmädchen“ fiel; mich erinnerte es an einen mit Gold überzogenen Starbuckssirupkaffee, und ich hätte gerne viel mehr davon gehabt. Der „Energieriegel“ war ein dünnes Segel aus Nüssen, bei dem ich mich fragte, ob die Küchencrew Yoga macht, um so ruhige Hände zu haben, die man braucht, um diesen Hauch zusammenzubauen. Und das „Schokokissen und Kümmel“ war Luft mit würziger Schokolade ummantelt.

Ein letztes Knacken im Mund, ein wehmütiger Blick auf die leergegessenen Platten und ausgetrunkenen Gläser. Zum Abschluss noch ein Espresso und ein Nussbrand, von dem ich mir blöderweise die Marke nicht erfragt habe, denn es war der erste Schnaps, der so mild war, dass er dazu verführt, deutlich mehr als 2 cl davon zu trinken. Wenn ich mich richtig erinnere – und irgendwann war ich, wie beim letzten Mal, nicht mehr fähig, klar zu denken, weil ich in Glückshormonen badete –, haben wir fast fünf Stunden für das Festmahl gebraucht. Ich war danach weder angetrunken noch überfressen, sondern hätte gerne gleich für den nächsten Tag wieder einen Tisch gebucht.

Ehe ihr fragt: mit Trinkgeld 275 Euro. Jeden Cent wert. Logisch.