What Anke Ate in 2012

(2011, 2010)

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.“

Ich wünsche euch allen ein friedliches, fröhliches, besinnliches, schönes, gesegnetes Weihnachtsfest. Danke fürs Lesen.

He, Bologna, listen up

Herr Buddenbohm lässt sich von Sohn I erklären, was Kunst ist. Die Definition werde ich versuchen, in einer Hausarbeit unterzubringen.

„Sohn I findet Kunst spannend. Mit fünf Jahren weiß man schon genug darüber, um Kategorien von Kunst im Alltag zu erkennen. Ich habe mit ihm und seinen Freunden über Kunst gesprochen, das war sehr erhellend. Es gibt, nach diesem Expertengremium jedenfalls, drei Kategorien von Kunst, die verblüffend klar definiert sind: Kunst, Dings und Deko.“

Frau Paradise studiert ebenfalls wieder nach längerer Pause und vergleicht. In diesen Sätzen habe ich mich sehr wiedergefunden:

„Nicht daß ich denke, ich wäre soviel schlauer als die anderen Studenten (dann hätte ich ja schon längst fertig sein müssen mit meinem Studium), eines bin ich sicherlich: Dankbarer. Das mag jetzt pathetisch klingen, aber den meisten ist wohl wirklich nicht bewußt, was für eine Riesenchance ihr Studium für sie bedeutet, wieviel Zeit einem praktisch geschenkt wird, zum Lernen und Finden und ja, auch Suchen.“

Der „geschenkten Zeit“ muss ich allerdings kurz widersprechen. Den Aspekt habe ich in meinem Vergleich vergessen: dass neben mir 20-Jährige sitzen, die schon im ersten Semester darüber nachdenken, ob sie nach dem Bachelor noch einen Master dranhängen, denn der Bachelor zähle ja gar nicht als „richtiges“ Studium. Ob sie jemals einen Job bekämen, wenn sie durch die anstehenden Klausuren fielen. Ob sie noch eine dritte, vierte, fünfte Sprache lernen müssten. Ob ihre Praktikumswahl ihre Berufschancen beeinflusse. Und welche Kurse sie am sinnvollsten miteinander kombinieren könnten.

Und dabei blutet mir immer das Herz: dass sie von Anfang an darauf gedrillt werden, möglichst schnell produktiv zu denken. Anstatt sich die Zeit nehmen zu können, sich mal umzugucken. Sich als Kunstgeschichtsstudi zur Abwechslung in Theologie- oder Philosophievorlesungen zu setzen. Oder im eigenen Fach in Kurse zu gehen, für die man keinen Schein (bzw. ECTS-Punkte) erwerben will, sondern weil einen das Thema interessiert.

Ich kann sie allerdings alle verstehen, denn ich persönlich bin überrascht davon, wie straff getaktet das Bachelorstudium ist, wie wenig Wahlmöglichkeiten man hat und wie irrsinnig viel Wissen jede Woche über uns ausgekippt wird – und wir müssen es doof auswendig lernen. In meinen Kursen schreibe ich gerade mal eine Hausarbeit sowie ein wissenschaftliches Protokoll, in denen ich selbständig denken darf – ansonsten warten drei Klausuren auf mich, in denen ich größtenteils per Multiple Choice geprüft werde, ob ich mir auch ja gemerkt habe, wann St. Michael in Hildesheim gebaut wurde oder wann Mozart den Figaro komponierte.

Das kenne ich aus dem Magisterstudium ganz anders. Ja, das hat länger gedauert. Ja, man konnte da sehr viel rumschlumpfen. Aber ja, verdammt, man konnte davon auch sehr viel mitnehmen. Das Bachelorstudium ist für mich die kapitalistische Variante von Wissenserwerb – es kommt eher auf den Erwerb als auf das Wissen an. Und das bedauere ich persönlich an jedem Unitag sehr. Ich als Luxusstudentin, die das aus Spaß an der Freud macht, ziehe natürlich trotzdem noch viel aus jeder Stunde, aber ich ahne, dass das für die Erststudierenden mit viel weniger Freude und stattdessen mit viel mehr Leistungsdruck verbunden ist. Daher kann ich jede/n verstehen, der oder die sich die Rosinen rauspickt, die am wenigsten Arbeit machen, denn hey, die machen immer noch genug Arbeit. Mir erscheint das Bachelorstudium als eine sehr blöde Verschlimmbesserung des Systems Universität, aber vielleicht trauere ich auch nur dem langsameren Tempo des Magisters hinterher. Ich frage mich allerdings aus meiner Warte der älteren Dame, die schon einiges an Kollegen und Kolleginnen in verschiedenen Jobs mitgekriegt hat, ob ich wirklich mit hektisch fertiggewordenen Karrierestudis arbeiten möchte oder eher mit Menschen, die die Zeit hatten, sich selbst und ihre Fähigkeiten und Vorlieben entdecken zu können. Die sind nämlich im alltäglichen Umgang weitaus entspannter. Und wissen meistens auch mehr, aber das mag mein persönliches Vorurteil sein.

Voll schön

Ein sonniges Dankeschön …

… an Konstantin, der mich mit Seth Godins The Icarus Deception überraschte. Das Buch stand nicht auf meinem Wunschzettel, weil mein Kopf im Moment so gar nicht im Online-Marketing steckt, aber vielleicht ist das eine ganz hübsche Ablenkung. Und hübsch schreiben kann der Herr Godin ja. Vielen Dank für das Päckchen, ich habe mich sehr gefreut.

Ehrenrunde

Vor kurzem bekam ich interessante Leserpost:

„Ich lese ja gern Ihr Uni-Journal mit. So viel Begeisterung, das freut mich.

Was mich wundert: Es fällt kein Wort zum Erststudium. Dabei würden mich ein paar Vergleiche dazu interessieren. Gibt es noch Mikrofiche? Was war früher Ihre Motivation im Unterschied (?) zu heute? Ich weiß, Ihr Blog ist kein Wunschkonzert, aber falls Sie ein paar Gedanken dazu einstreuen würden, freue ich mich.“

Ich erwähnte bereits, dass ich mein Federmäppchen wieder rausgekramt habe, aber in dem Eintrag verglich ich eher das bequeme Agenturleben mit dem Nomadendasein des Studierenden. Innerlich vergleiche ich allerdings ungefähr alle fünf Minuten, wie sich das, was ich gerade tue, im Erststudium anders angefühlt hat als jetzt.

Mikrofiche

Früher waren Bibliotheken eher nervige Aufenthaltsorte für mich, weil man sich durch meterweise Karteikästen wühlen musste, an deren Systematik ich mich allerdings nicht erinnere. So oft war ich auch nicht in der Landesbibliothek in Hannover, wo ich mich theoretisch um Historisches hätte kümmern müssen. In der Bibliothek des englischen Seminars war ich öfter, aber auch dort habe ich eher selten etwas gesucht und noch weniger etwas gefunden. Mit Mikrofiche kam ich nur einmal in Berührung und konnte kaum glauben, was für ein alberner Quatsch das war. Aber damals war ich 22, fand alles albern und Quatsch und habe deswegen nicht würdigen können, dass das Zeug ganz praktisch war. Ich weiß noch, dass kurz bevor ich das letzte Mal an der Uni gesehen wurde, die Buchsuche per Internet möglich wurde; das muss so um 1996 rum gewesen sein.

Heute sitze ich mit Begeisterung in der Bibliothek der Kunstgeschichte, nachdem ich schon von zuhause geguckt habe, wo die Bücher stehen, die ich brauche. Sobald ich da bin, streife ich noch ein bisschen durch die Regale, denn irgendwas steht ja immer in der Nähe, in das man auch mal reingucken kann. Ich genieße die Ruhe, die vorhandenen Steckdosen, die ausreichenden Arbeitsplätze und sogar die halbwegs bequemen Stühle. Online kann ich nicht nur den Bestand der diversen Münchener Bibliotheken durchsuchen, sondern viele weitere kunsthistorische Bestände, die uns im Technikkurs beigebracht wurden. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass es irgendwie alles gibt, auch wenn ich noch nicht alles gefunden habe. Mit Zeitschriftenartikeln stehe ich noch etwas auf Kriegsfuß (bzw. die Onlinesuche mit mir), aber auch da komme ich noch hin. Und wenn alles nichts hilft, mache ich etwas, was ich früher nie gemacht habe: Ich frage. Fragen mag uncool sein, aber hey, es bringt dich lustigerweise weiter. Bis jetzt war noch niemand pampig, und manchmal fragen dich auch Leute, wenn sie dich suchend vor den Regalen stehen sehen, ob sie dir helfen können. Überhaupt finde ich die gesamte Atmosphäre an der LMU (zumindest in meinen Fächern) sehr schnuffig. Das hätte ich vor 20 Jahren ja auch nie zugegeben.

Miteinander

Ich alter Soziopath fand Studieren damals fürchterlich, weil man mit Menschen zusammenarbeiten musste. Wahrscheinlich bin ich deswegen Texterin geworden, weil man da einsam in der Ecke sitzen und vor sich hinschreiben kann. Gut, ab und zu muss man in Meetings was sagen, aber eigentlich komme ich morgens in die Agentur, tippe vor mich hin und gehe nach neun Stunden wieder nach Hause. In einer Agentur hatte ich mal ein Zweierbüro mit jemandem, der genauso drauf war wie ich. Wir haben Tage nebeneinander verbracht, ohne mehr als „Moin“ und „Tschüss“ zu sagen. Herrlich.

Für mich war es immer eine Strafe, mit jemandem zusammen ein Referat zu erarbeiten. Das habe ich schon beim allerersten gemerkt – ich weiß sogar noch das Thema, es ging um Anne Bradstreet, eine der ersten Schriftstellerinnen in den englischen Kolonien in Amerika. Wir waren zu viert, und natürlich hatte jeder eine andere Meinung, die eine hat weitaus mehr vorbereitet als die andere, und zum Schluss passte nichts zusammen. Einen Schein gab’s trotzdem, aber seitdem habe ich mich um Gruppenarbeit immer gedrückt, so weit es ging.

Ich weiß noch nicht, ob es überhaupt noch Gruppenarbeit gibt; in diesem Semester wurschtelt jeder vor sich hin. So schreiben wir Klausuren, halten Einzelreferate, schreiben Hausarbeiten und/oder wissenschaftliche Protokolle. Ich persönlich mag das sehr, weil ich schlicht besser alleine arbeite. Aber selbst wenn eine Gemeinschaftsaufgabe auf mich zukäme, würde ich mit ihr wahrscheinlich besser klarkommen als damals: weil es für mich um viel weniger geht. Oder um andere Dinge. Ich komme beim Punkt „Motivation“ noch mal darauf zurück.

Als ich vor wenigen Wochen anfing zu studieren, wollte ich eigentlich als einsame Wölfin durch die drei Jahre schwimmen. Ich merke allerdings jetzt schon, dass mir Menschen fehlen, die sich für das Gleiche begeistern wie ich. Meine Freund_innen halten meine Schwärmerei über gotische Kathedralen oder Beethovens Klaviertrios mehr oder weniger taktvoll durch, aber ich ahne, dass sie geistig manchmal schlicht abschalten, wenn ich anfange zu monologisieren. (Daher landet das meiste auch im Blog. Irgendwem muss ich das ja alles an den Kopf werfen.) Und so gucke ich jetzt aktiv rum, mit wem ich denn vielleicht mal einen Kaffee trinken gehen wollen würde. Einige meiner Kommiliton_innen haben mich schon angesprochen, zum Beispiel nach meinem Memling-Referat, was wohl ganz gut angekommen ist. Oder sie setzen sich aktiv neben mich und quatschen mich zu. Und anstatt wie sonst möglichst schnell mein Taschenbuch aus dem Rucksack zu ziehen, um meine Nase darin zu versenken, mache ich Smalltalk – und genieße es sogar. Weil es eben Menschen sind, die sich für das Gleiche interessieren wie ich.

Das war mir damals ziemlich egal, aber damals wusste ich ja nicht mal selbst, was mich interessiert. Ich wusste auch nicht, warum ich Anglistik und Geschichte studiere.

Musikwissenschaft

Als ich 1989 Abitur gemacht habe, wusste ich, dass ich danach studiere. Ich wusste nicht warum und was, aber ich wusste, dass. Ich kann heute überhaupt nicht mehr nachvollziehen, warum ich eine Lehre nicht mal in Betracht gezogen habe, aber so war’s eben. Ich studierte – und hatte keine Ahnung warum. Weswegen die Fächer eigentlich egal waren und die Menschen um mich rum auch. Ich war hier, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hätte hingehen sollen.

Das ist heute sehr anders. Ich weiß inzwischen, was ich kann, ich habe lange genug damit mein Geld verdient, ich verdiene (in weitaus geringerem Maß) damit immer noch Geld, und ich bin auch nicht auf der Suche nach einer zweiten Karriere. Wobei: Sag niemals nie. Was ich außerdem weiß: was mir Spaß macht. Was mich erfüllt. Ich weiß, wie sehr mich Bilder und Musik berühren, und genau deswegen habe ich mich für diese Fächer und damit für die Uni München entschieden. Weil es mich erfüllt. Zumindest hatte ich das gehofft, und auch wenn zehn Wochen eine recht kurze Zeit sind, um schon ein Fazit zu ziehen, wage ich es trotzdem: Diese Hoffnung hat sich aber sowas von übererfüllt. Ich sitze in pickepackevollen Seminaren und es ist mir total egal, weil ich trotz wenig Platz viel Neues erfahre. Ich quetsche mich in volle U-Bahnen und Busse, lerne (wahrscheinlich) viel zu viel Kram auswendig, den ich nie gefragt werde, ich lese Bücher, die ich vermutlich nicht brauchen werde, aber sie sind halt da und ich hab halt Zeit. Kurz: Ich mache so viel, weil es mir sinnvoll vorkommt.

Kaum eine Autoheadline hat mir in den letzten Jahren das Gefühl vermitteln können, das ich habe, wenn mir ein Akkord klar wird oder ich den Wandaufbau einer romanischen Basilika runterbeten kann. In finanzieller Hinsicht ist dieses Studium eine der dämlichsten Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Aus emotionaler Sicht eine der besten.

Motivation

Ich muss keine Karriere mehr machen. Ich muss an der Uni keine Netzwerke knüpfen, keine Freundschaften schließen, und ich muss hier auch nicht den Mann fürs Leben finden. Alles, was ich hier mache, mache ich nicht, weil ich glaube, das irgendwann wieder wissen zu müssen. Oder weil es mich beruflich weiterbringt. Oder weil ich mit dieser Kurswahl die Weichen für mein restliches Leben stelle. Oder weil ich schlicht nicht weiß, was ich sonst machen sollte, so wie ich das eben vor 20 Jahren nicht wusste.

Ich mache das nicht, weil ich einen Plan habe. Ich mache das, weil ich keinen habe. Ich mache das nicht für den Rest meines Lebens. Ich mache das für mich.

< quote >

„Wie durchgreifend der Wandel von romanischer zu gotischer Skulptur ist, zeigen die gattungsgeschichtlichen Veränderungen. Ist die ältere Bildhauerei im Prinzip Relief und damit flächenmäßig der Architektur verhaftet, so tritt mit der Gotik als Neuerung die Rundfigur, die Statue, auf. (…)

Das Auftreten der Statue in der Gotik schafft aber auch ein ganz neues Verhältnis zum Betrachter. Seit der griechisch-römischen Antike ist Statue eine Form des Bildwerks, das dem Betrachter Einfühlung, Mitfühlen, Mitleben erlaubt, sie verbürgt lebendige Gegenwart, sie antwortet. Nach der Konfrontation des romanischen Reliefs führt die gotische Statue erstmalig in das europäische Bilden einen Anthropomorphismus ein, eine Menschlichkeit, deren Auslotung für Jahrhunderte das zentrale Anliegen der bildnerischen Imagination wurde. (…)

Das Ausmaß des historischen Wandels vom romanischen zum gotischen Bildwerk wird erst im erweitertem historischen Kontext sichtbar. Die Kathedrale, die neue Heimstatt der monumentalen Skulptur, ist die Amtskirche des Bischofs. Die Bilder der Kathedrale wenden sich nicht an Mönche, auch nicht an durchreisende Pilger, sie wenden sich an das Laienvolk schlechthin. Noch wichtiger als der Übergang der Auftraggeberschaft von Kloster zu Bischof ist die neue Organisation der Werkenden als Bauhütte, die die Bildwerke nicht nur materiell ausführt, sondern im weiteren Verlauf auch die eigentliche Verfügung über sie bekommt. Der menschliche Zug der Gotik ist geschichtlich gesehen das in der westlichen Kirche zu Bedeutung gelangende Laientum – anfänglich in der Form des christlich-adeligen Ritters, dann des Höflings und schließlich des Bürgers. (…) die romanische Skulptur ist als Ganzes das großartige Schlussbild des ersten europäischen Jahrtausends. Auf dieser Höhe des Monumentalen setzt das neue Äon ein, das nicht mehr unter dem Zeichen des Gottes und des Dämons, sondern unter dem des Menschen selbst stehen wird.“

Aus: Rupprecht, Bernhard, Romanische Skulptur in Frankreich, München 1975

Fernsehtipp (eher Onlinetipp)

Gestern abend gab’s auf arte Die Kathedrale, eine Dokumentation über das Straßburger Münster, die ich leider verpasst habe. Netterweise ist die Sendung bereits auf arte+7 zu finden und ich lege sie euch hiermit dringend ans Herz. Die nachgestellten Szenen aus dem Mittelalter sind zwar ein bisschen Laienschauspieltruppe, aber das lässt sich verschmerzen, denn es gibt genügend andere Stimmen. Wir hören Architekt_innen, Kunsthistoriker_innen und Steinmetze, die sich mit dem Münster beschäftigen und sehr nachvollziehbar erklären, warum es so großartig ist und auch nach 500 Jahren begeistert. Alleine für die Szene, in der ein alter Bauplan erklärt wird, lohnt sich die Sendung. Danke an @probek für den Hinweis.

DIY-Adventskalender

Jetzt wo alle schon fleißig beim Türchenöffnen sind, kann ich ja noch auf einen Adventskalender hinweisen: den DIY-Kalender des Frankfurter Museum für Kommunikation. Seit September ist die Ausstellung in Dortmund zu sehen. Und ganz im Sinne ihrer Idee – selber machen, Baby – finden sich im Adventskalender eben auch Dinge, die man selber basteln, nähen, kochen kann. Ich bin morgen mit meinem Stollenrezept nach Bäcker Süpke dort zu finden, das ich in diesem Jahr leider nicht selbst verbacken habe. Nächstes Jahr wieder, dann ist die Erstsemesterpanik vor den Klausuren hoffentlich verschwunden und ich kann mich wieder hemmungslos dem Müßiggang am Herd widmen.

Ein dreifaches Dankeschön …

… an Maria, die mich gleich mit mehreren Büchern überrascht hat. So freue ich mich sehr über Thomas Manns Tonio Kröger/Mario und der Zauberer und noch mehr über Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, Band 1, dessen Stil mir beim Reinlesen sehr gefallen hat (hier steht etwas mehr über das Werk). Das dritte Buch ist Sven Friedrichs Richard Wagners Opern: Ein musikalischer Werkführer; Friedrich ist Direktor des Richard-Wagner-Museums in Bayreuth und hält dort seit einiger Zeit die Einführungsvorträge zu den Opern während der Festspiele. Ich habe ihn erst zweimal gehört, mag aber seine Art, das musikalische Werk in den künstlerisch-historischen Zusammenhang zu setzen und damit auch gleich die Inszenierungen zu erklären. Vielen Dank für das große Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Ein bedauerndes Dankeschön …

… an Dörthe, die mich mit Simon Borowiaks Schade um den schönen Sex überrascht hat. Von Herrn Borowiak hatte ich Wer Wem Wen: Eine Sommerbeichte gelesen und mochte es gerne, und dann empfahl mir, ich glaube, Frau Diener, dieses Buch. Kommt auf dem großen Bücherstapel weit nach oben. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Ein künstlerisches Dankeschön …

… an Asta, von der ich Post in meine Packstation bekam. Das Buch Funkkolleg Kunst. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen, das sie mir schickte, kannte ich bisher noch nicht, freue mich aber sehr darüber. Im Klappentext steht unter anderem, dass „die Kunst im Laufe der Geschichte auf Grund der unterschiedlichsten Rahmenbedingungen ihr Wesen und ihre Individualität verändert hat, ja dass ihre Eigenart nur erkannt werden kann, wenn zugleich deutlich wird, was ihr abgefordert wurde und wie sie darauf reagiert hat.“

Einige der Autorennamen sind mir im Studium schon untergekommen, zum Beispiel Hans Belting, den ich bereits in meinem Memling-Referat zitierte, oder Willibald Sauerländer, auf dessen Buchbeitrag über die Kathedralenfassade ich schon sehr gespannt bin. Vielen Dank für die schöne Überraschung, ich habe mich sehr gefreut.

Ein animalisches Dankeschön …

… an Sylvia, die mich mit Monika Marons Animal triste überrascht hat. Ich weiß gar nicht mehr, wer mir dieses Buch empfohlen hat – ich habe von Frau Maron bisher nichts gelesen und freue mich daher sehr auf die Lektüre. Vielen Dank für die nette Überraschung!

Drei Minuten Mozart

Ich quengele ja gerne darüber, dass mir Mozart-Opern so richtig auf den Keks gehen. Half aber nichts – gestern musste ich mich in Musikwissenschaft mit ihnen befassen. Oder wie mein Professor so schön sagte: „Passend zum Heiratsdatum 12.12.12 beschäftigen wir uns heute mit der Hochzeit des Figaro.“ Ich will nicht sagen, dass ich nach 90 Minuten bekehrt bin, aber mein Genöle, dass Mozart bloß Ohrenplüsch ist, lasse ich jetzt lieber mal bleiben.

Wenn Sie mal kurz die Noten der ersten Szene aufschlagen würden? Ich warte.

Alle wieder da? Gut.

In der Opera buffa geht es nicht mehr ganz so streng zu wie in der Opera seria, wo jede Handlung nur im Rezitativ stattfindet und die Arien die Aktion keinen Deut voranbringen. Jetzt darf auch per Gesang kundgetan werden, was gerade so abgeht. Außerdem hat der Adel keine so große Rolle mehr. In der Oper seria waren alle ernstzunehmenden Partien Adlige, und das Volk diente, wenn es überhaupt vorkam, als comic relief. Prof: „Der Adel war schließlich nichts, worüber man lachen sollte. Dass das heute nicht mehr so ist, sehen wir am Fall zu Guttenberg.“*

Insofern ist der Figaro bemerkenswert, weil wir erstens Bürgerliche auf der Bühne haben, davon gleich zwei – und die singen relativ schnell gemeinsam. Anstatt dass wir erst mal in einem Rezitativ oder einer Solo-Arie gesagt bekommen, worum es hier geht und wer das da vorne überhaupt ist, geht’s gleich los und zwar mit einem Duett. Wir hören mal zu.

Das Vorspiel dauert schlanke 18 Takte (bis Seite 16, dritter Takt), man hört deutlich, wo es zu Ende ist – und eigentlich der Sänger beginnen müsste. Macht er aber nicht. Der Gute misst stattdessen irgendwas auf dem Boden aus und lässt das Orchester noch fünf Schläge weiterspielen – erst dann sagt er sein erstes Wort, und das lautet ausgerechnet „cinque“ (fünf). Und als ob das nicht schon hübsch genug wäre, bilden die beiden Silben dieses Wortes beim Singen eine Quinte. Spätestens hier fächelte ich mir Luft zu, weil ich so viel Cleverness einfach charmant finde.

In Takt 30 setzt dann Susanna ein und zwar mit einer Tonfolge, die in ihrer Verspieltheit an die flatternden Bänder ihres Hutes erinnert, den sie gerade vor dem Spiegel anprobiert. Sie bittet Figaro, ihn sich anzusehen, das heißt, sie spricht ihn an, woraufhin er seine Konzentration verliert und „aus dem Takt kommt“ – sein nächstes „cinque“ ist nur noch eine Quarte.

Als guter zukünftiger Ehemann weiß Figaro natürlich, was er zu sagen hat – „nein, du siehst in diesem Hut nicht dick aus“ – und so imitiert er brav ihre Melodie, nachdem er merkt, dass er mit dem Vermessen eh nicht weiterkommt. Sein erster Takt auf Seite 20 besteht aus genau den gleichen Noten, die auch Susanna schon im 5. Takt auf Seite 17 sang.

Der Prof meinte noch irgendwas von einer Dominante, mit der Figaro die Szene beschließt – quasi wie im Sonatensatz, wo das Seitenthema in der Dominante beginnt –, aber das finde ich nicht mehr wieder. Wir sind in G-Dur, sein „Seitenthema“ auf Seite 20 beginnt mit dem „Si“, aber das ist kein D (das wäre die Dominante von G), sondern ein A, wenn ich den ollen Bass-Schlüssel richtig lese. Hm.

(Edit: Post, Post, gleich zweimal Post mit zwei Theorien zur Dominante. Einmal von Stephan:

„der Anfangston des Seitenthemas (auf Seite 20 der Partitur) ist zwar ein a. Die Tonart ist jedoch D-Dur, wie man am Cis im Bass sehen kann, das in G-Dur ja nichts verloren hat. A-Dur ist es nicht, denn da müsste ein Gis vorkommen, was es nicht tut. Also: Der Prof hat schon recht.“

Und von Ulrike, die es anders, aber für mich genauso logisch erklärt:

„Ich habe mal kurz in der Partitur geblättert. Du hast richtig gelesen, das ist ein A, sogar A-Dur. A-Dur wäre die Dominante der Dominante (D) (man sagt auch Doppeldominante), kommt in G-Dur eigentlich gar nicht vor. Allerdings sieht es mir hier nach einer Transposition aus, also einem temporären Tonartwechsel von G-Dur nach D-Dur. Und in D-Dur ist A-Dur tatsächlich die Dominante.“

Dankeschön!)

In der Übung nach der Vorlesung haben wir dann die ersten fünf Minuten im Don Giovanni auseinandergenommen, für deren Handlung Wagner wahrscheinlich zwei Abende gebraucht hätte. Hat für mich immer noch den größeren Reiz, aber ich gebe zu, ich werde Mozart ab jetzt vielleicht etwas anders hören. Vielleicht am besten mit den Noten auf den Knien, bevor ich das sechste Mal in eine Mozart-Oper gehe und zum sechsten Mal genervt wieder rauskomme.

* Für diese Bemerkung hat der Prof, laut Eigenaussage, nach der Vorlesung von den Seniorenstudenten einen Satz heiße Ohren kassiert: Das sei ja völlig aufgeblasen worden, diese „Affäre“, der sei doch ein Guter, der habe doch kaum abgeschrieben, damit müsse sich der Prof doch bitte noch mal beschäftigen. Seufz.

Oh Boy

Oh Boy (D 2012, 88 min.)

Darsteller: Tom Schilling, Marc Hosemann, Friederike Kempter, Ulrich Noethen, Justus von Dohnányi, Michael Gwisdek
Kamera: Philipp Kirsamer
Musik: The Major Minors
Drehbuch: Jan Ole Gerster
Regie: Jan Ole Gerster

Trailer

Offizielle Website

Bei der ersten Einstellung dachte ich noch, uh, böser „Lost in Translation“-Rip-Off, als ich die halbbekleidete Dame mit dem Rücken zu mir im Bett liegen sah und sofort an Scarletts Hintern denken musste. Aber dieses Mal legt sich kein Bill Murray dazu, sondern Tom Schilling tut das Gegenteil: Er versucht sich davonzuschleichen, was ihm nicht gelingt. Die Dame erwacht, bittet ihn, sich doch noch mal zu setzen, die beiden plaudern schmerzhaft oberflächlich, bis er auf die Frage nach einem abendlichen Treffen erwidert, er habe noch zu tun. Worauf ihr liebevolles Lächeln erlischt und sie schnöde fragt, was er denn bitte zu tun habe.

Das fragt man sich eigentlich die ganze Zeit, während „Oh Boy“ läuft. Schilling spielt Niko, einen jungen Mann in Berlin, der sein Jurastudium abgebrochen hat und nun den Tag damit verbringt, eine Kaffeequelle aufzutun und sich von jedem in seiner Nähe Feuer zu erbitten (zuhause tut es der Toaster). Dazwischen trifft er Menschen: Familie, alte Freunde, uralte Bekannte und neue Gesichter. Und diese Begegnungen, in denen so viele Lebensentwürfe stecken, tragen den ganzen Film und retten ihn davor, einer der üblichen „Slacker in Berlin“-Filme zu sein.

Da ist sein Nachbar, der nach dem üblichen An-der-Tür-Geplänkel mit einer Enthüllung und einem Gefühlsausbruch überrascht, der einen zurückschrecken lässt – und ihn uns gleichzeitig näher bringt. Da ist sein Kumpel Matze, der über allem zu stehen scheint und mit seiner unerschütterlichen Gradlinigkeit einen ruhigen roten Faden in den Film bringt, der sonst vielleicht eine bloße Nummernrevue geworden wäre. Und da ist Nikos alte Schulfreundin Julika, die sich äußerlich verändert hat und innerlich noch genauso verletzt, zerrissen und unfassbar traurig ist. Gerade ihre Rolle hat mir aus persönlichen Gründen sehr gut gefallen; ich habe bei vielen ihrer Sätze den Atem angehalten, weil es sonst zu sehr weh getan hätte.

Auch Niko muss einiges an Schmerzen wegpacken: die Konfrontation mit einigen Staatsbeamten und mit der Familie, die, wie wir wahrscheinlich alle wissen, noch anstrengender sein kann. Sein Vater hat nach zwei Jahren endlich herausgefunden, dass er Nikos Nichtstun finanziert. Jedenfalls kommt es ihm so vor. Niko dagegen erwidert auf die Frage, was er die ganze Zeit gemacht habe, schlicht, überzeugend und ehrlich: Er habe über sich nachgedacht. Und in diesem einen Satz verbirgt sich die ganze Naivität, die ganze Hoffnung und die überbordende Zuversicht, dass alles so richtig ist und alles irgendwann gut sein wird. Im Moment sieht es zwar nicht so toll aus, ohne Freundin, ohne Geld und ohne Führerschein und dann gibt es auch in dieser ganzen verdammten Stadt keinen Kaffee … wobei: die Stadt. Berlin ist in „Oh Boy“ mehr als nur Kulisse, aber netterweise weniger als das vielbeschworene Lebensgefühl, das sich angeblich hinter diesen Postleitzahlen verbirgt. Obwohl der Film in schwarzweiß ist, scheint die Stadt zu strahlen. Sie ist eine einzige große Möglichkeit mit ihren S-Bahnen und Trams, die nie stillstehen, den tiefen Häuserschluchten, weiten Plätzen und den Menschen, Menschen, Menschen, die sich in ihr verteilen. Wen stört da eine fehlende EC-Karte.

„Oh Boy“ irrlichtert zwischen Komödie und Tragödie hin und her und er tut das mit bemerkenswerter Leichtigkeit und Konsequenz. Der letzte Mensch, den Niko nach einem langen, langen Tag trifft, fasst dann auch noch einmal alles zusammen, was die Menschheit ausmacht: Schrecken und Schönheit und es hört nie auf und es wird nie anders. Aber irgendwann kriegt Niko seinen Kaffee. Und die Stadt erwacht. Und alles wird gut.

Der Bechdel-Test:

1. Es müssen mindestens zwei Frauen mitspielen, die
2. miteinander reden
3. und zwar über etwas anderes als Männer.

Es spielen deutlich mehr Männer als Frauen eine tragende Rolle, und die wenigen Frauen, die dabei sind, reden nicht miteinander.

Test bestanden? So gar nicht.