Was schön war, Donnerstag, 23. August 2018 – Rührung

Als ich am Dienstag meinen Blogeintrag mit meinem Wohnungsglück veröffentlichte, meldeten sich sofort einige Leute, die Umzugshilfe anboten. Das rührte mich sehr, ich lehnte aber immer mit den Worten ab: „Das lasse ich Profis machen.“ Mit denen war ich nämlich äußerst entspannt von Hamburg nach München gezogen, und auch den zweiten Teil des Umzugs (restliche Kisten und Möbel zu meinen Eltern) hatten sie perfekt erledigt. Die verlinkte Firma hat übrigens auch gerade Kais Umzug durchgeführt, und der Herr, der vorher bei ihm vorbeischaute, um zu überprüfen, ob die Angaben zur Umzugsgutmenge auch halbwegs stimmten, konnte sich noch an meinen Umzug erinnern und ließ mich grüßen. Süß.

Am Mittwoch hatte ich mir einen Kostenvoranschlag von einer Münchner Firma geben lassen, die ebenfalls hervorragende Wertungen online hat und die mir empfohlen wurde. Ich war sehr erstaunt, dass dieser Umzug ein Stockwerk tiefer im gleichen Haus fast doppelt so teuer werden sollte als der von Hamburg nach München – abzüglich der Fahrtkosten natürlich, die damals den größten Posten ausgemacht hatten. Daher rang ich doch sehr mit der Beauftragung und dachte abends, ob ich vielleicht doch auf die freundlichen Angebote zurückkommen sollte. Packen wollte ich eh wieder selbst, aber schleppen will ich auf keinen Fall, auch nicht nur ein Stockwerk. Lampen, Kissen, meine Espressomaschine, das geht alles, aber 60 Kisten und die Möbel – nope. Also fragte ich kleinlaut F., der eh von Anfang an meinte, er hätte da schon drei, vier Leute, die er fragen könnte, denen er bei Umzügen geholfen habe. Die sagten auch sofort zu, zwei weitere, denen ich eigentlich abgesagt hatte, auch, und dann kam noch jemand um die Ecke, mit dem ich auch nicht gerechnet hatte. Eigentlich hatte ich mit gar keinen Angeboten gerechnet, denn wer bietet schon freiwillig Hilfe bei fieser Arbeit an? Ich war äußerst gerührt davon, dass Menschen, mit denen ich dreimal im Jahr in ein Fußballstadion gehe, von sich aus sagen, ja klar schleppe ich dir zwei Tonnen Zeug an meinem freien Tag. Menschen. Doch toll. (Ja, das gilt euch. Ich weiß, dass ihr mitlest. Ihr kriegt aber auch noch weinerliche Dankes-Mails – und den durchgetakteten Plan, zackzack! MIT GRUNDRISS UND ARBEITSANWEISUNGEN!)

Die Arbeit lief etwas besser als am Tag vorher. Nach dem späten Feierabend vorgestern begann mein Tag gestern früh, denn ich wollte bis 9 ein paar Dinge abgeliefert haben, weswegen ich ab 7 am Schreibtisch saß. Wer früher aufsteht, kriegt früher Kaffee! Wieder was gelernt.

Nachmittags besuchten mich meine Verwalter mit einer eventuellen Nachmieterin. Mir wurde nahegelegt, die Wohnung vorzeigbar zu gestalten, was sie natürlich immer ist (halbwegs). Durchgeputzt hatte ich allerdings nicht; bei 30 Grad geht meine Putzlust total gegen Null. Die junge Dame war interessiert, guckte aus meinen jeweiligen Fenstern, freute sich – wie ich mich damals – über ein verhältnismäßig riesiges Bad (in weiß, MISS YOU ALREADY) und die Abstellkammer, ich besprach noch Dinge mit den Verwaltern, dann gingen alle und ich begann meine Abendbrotvorbereitungen. Dabei entdeckte ich einen Faux-pas, bei dem ich nachträglich gerne die junge Dame gefragt hätte, ob er ihr aufgefallen war.

Mittags gab’s bei mir nämlich leckeres Rührei mit Tomaten und Champignons, und ich toastete mir zwei Scheiben Brot dazu. Für das Instagrambild legte ich aber nur eine Scheibe auf den Teller und ging nach dem Fotografieren in der Küche entspannt aufs Sofa. Ihr ahnt, was passiert ist: Bei der Besichtigung steckte noch eine Scheibe Toast im Toaster, und ich habe keine Ahnung, was das für einen Eindruck macht. Ist aber auch egal, ist nicht mein Problem. Die Scheibe esse ich gerade zum Frühstück, denn zum Abendbrot – asiatisch angehauchtes Rindfleisch – passte sie nicht so recht.

(Social Media wird uns alle ruinieren.)

Was den Blick verstellt

In der gestrigen FAZ stand ein interessanter Buchausschnitt aus Warum es kein islamisches Mittelalter gab: Das Erbe der Antike und der Orient von Thomas Bauer. Ich zitiere faul: „Halb Spätantike, halb Aufbruch: Wenn man die Geschichte Europas in einen weitgefassten Kulturraum einbetten will, der auch den Orient einschließt, sollte man sich vom Begriff des Mittelalters verabschieden. Ein Gastbeitrag.“

„Bleibt die Frage, wie die Epoche nach dem Ende der formativen Periode der ausgehenden Spätantike im elften Jahrhundert zu nennen ist. Dazu ist es aber nötig, zu fragen, wann wiederum diese Epoche zu Ende geht, eine Frage, die wesentlich schwerer zu beantworten ist, als es auf den ersten Blick aussieht.

Prinzipiell kommen zwei Antworten in Frage. Das erste mögliche Datum für eine Epochengrenze nach 1050 ist der Zeitraum um das Jahr 1500, mit dem man auch konventionell das „Mittelalter“ enden lässt. Tatsächlich gibt es eine Häufung wichtiger historischer Daten um diese Zeit. Um nur die bekanntesten zu nennen: 1453 erobern die Osmanen Konstantinopel, 1492 bricht Kolumbus zu seiner ersten Entdeckungsfahrt Richtung Amerika auf. Im selben Jahr fällt Granada, das letzte islamische Königreich auf der Iberischen Halbinsel. 1501 treten die Safawiden die Herrschaft über Iran an, wenig später entsteht östlich davon das Mogulreich. 1517 erobern die Osmanen das Mamlukenreich, im selben Jahr veröffentlicht Martin Luther seine 95 Thesen.

Allerdings gibt es auch Einwände gegen eine Epochenzäsur um 1500. Ein wichtiger Einspruch kommt von Jacques Le Goff, der in seinem Buch „Geschichte ohne Epochen“ etwa darauf hinweist, dass sich die Entdeckung Amerikas erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wirklich spürbar in Europa bemerkbar machte. Le Goffs Einspruch gegen eine Epochengrenze um 1500 liegt auf der hier verfolgten Linie, nicht spektakuläre Ereignisse, die eine langfristige Entwicklung einleiten, zur Epochengrenze zu machen, sondern eine solche Grenze erst dann zu ziehen, wenn diese Auswirkungen allgemein geworden sind. So betrachtet lassen sich auch einige der übrigen genannten Ereignisse relativieren. Der Fall Granadas etwa ist nur der letzte Akt einer langen Entwicklung und überdies vor allem von regionalgeschichtlicher (wenngleich von hoher symbolischer) Bedeutung, das Oströmische Reich hatte ebenfalls lange zuvor seine alte Bedeutung eingebüßt, und Luthers Thesen – ein Einzelereignis im Laufe einer langen Reformationsgeschichte – entfalteten ihre Wirkung erst allmählich.

Andererseits machte sich die Eroberung Granadas für die jüdische und muslimische Bevölkerung der Iberischen Halbinsel, die zwangsbekehrt oder vertrieben wurde, doch sehr unmittelbar bemerkbar. Auch für die Bevölkerung Irans war der Herrschaftsantritt der Safawiden mehr als nur ein Dynastiewechsel, verfolgten diese doch, anders als ihre diversen sunnitischen oder schiitischen Vorgänger, eine offensiv proschiitische Religionspolitik. Kurz nach 1500 hatten sich drei Großreiche der islamischen Welt konsolidiert: das Mogulreich im Osten, das der Osmanen im Westen und dazwischen das der Safawiden. Dass sich diese Konstellation auch auf Alltag, Kunst und Kultur auswirkte, steht außer Zweifel. Ganz übergehen lässt sich die Zeit um 1500 also nicht, wenn man über Epochengrenzen nachdenkt.“

Tagebuch, Mittwoch, 22. August 2018 – Anstrengend

Ein in jeder Hinsicht herausfordernder Tag. Mehrere Jobs gleichzeitig auf dem Tisch, kenne ich ja, das scheint die Regel zu sein, wenn einer was will, wollen alle was, weswegen ich erst gegen 21 Uhr vom Schreibtisch wegkam, weil ich nicht mehr denken konnte. Zwischendurch mehrere Kontakte per Telefon oder Internet, von denen zwei mich etwas aufwühlten, was gestern echt nicht so richtig in meinen Arbeitstag passte, andere hingegen waren sehr nett, andere meh. Eine bunte Tüte, aber mein Problem war hauptsächlich, dass ich es nicht schaffte, mir irgendwann mal eine Denkpause zu gönnen, auch mittags nicht, wo ich ja gerne den Rechner zuklappe und Zeitung lese oder schnell was koche. Gestern konnte ich quasi erst nach der ganzen Arbeit und Aufregung ein bisschen Zeit für mich freischaufeln. So musste ich ein paar Bücher in der Unibibliothek abgeben und anstatt wie für den Hinweg den Bus zu nehmen (Bücherschleppen ist doof), ging ich den Rückweg zu Fuß. Auf mein Fahrrad hatte ich keine Lust, weil ich da hätte sitzen müssen und das hatte ich schon den ganzen Tag gemacht. Also gönnte ich mir einen kleinen Spaziergang, wenn schon sonst nichts ging. Weil der Tag so lang war, schafften F. und ich es auch nicht, uns zu sehen, was gestern ganz nett gewesen wäre nach dem durchwachsenen Tag. Und dann konnte ich natürlich vor lauter Zeug im Kopf nicht schlafen. Anstrengend, das alles.

Was schön war, Montag, 21. August 2018 – Der Schlüssel zum Luftschloss

Seit fast sechs Jahren wohne ich jetzt in München in meiner Einzimmerwohnung mit Wohnküche aka Wohnschlafzimmer plus Küche mit Arbeitsecke. Als ich hierherzog, sollte das nur eine Zweitwohnung sein; ich kaufte bei Ikea ein Bett, einen Sessel, ein Regal, einen Küchentisch, einen Bürocontainer und eine Art halbe Küchenzeile aus Edelstahl, um ein bisschen mehr Arbeitsfläche zu haben (die von Anfang an eher Abstellfläche wurde). Meine eigentlichen Habseligkeiten lagen schön in Hamburg in unserer Riesenwohnung.

Als Kai und ich uns 2015 trennten, wurde aus dem Zweitwohnsitz der einzige Wohnsitz, und ich musste meinen Krempel, der sich bequem in 120 qm Altbau breitgemacht hatte, auf 44 qm Neubau quetschen. Was natürlich nicht funktionierte; bis heute steht Zeug bei meinen Eltern und noch ein winziges bisschen bei Kai. In München wurde das Ikeabett auseinandergebaut und in den Keller gezerrt, damit mein Monstersofa (bestes Sofa ever, ich will nie wieder ein anderes) und eine Schlafcouch als Bettersatz Platz hatten. Das eine Regal wanderte in den kleinen Flur und wurde Abstellfläche, und im Wohnzimmer fanden stattdessen sechs Billys mit Aufsätzen ihre neue Heimat. Seitdem schaue ich verliebt auf diese Bücherwand, denn das war ein Punkt auf meiner Bucket List: irgendwann eine Wohnung zu haben, in der ich eine komplette Wand mit Büchern vollstelle, von Wand zu Wand, vom Boden bis zur Decke.

Auch deswegen mag ich meine kleine Wohnung; zudem hat man sie sehr schnell durchgeputzt, und ich verlege in ihr nie irgendwas, weil ich schlicht keinen Platz habe, um es zu verlegen. Aber so nach und nach gingen mir immer mehr Dinge auf den Zeiger. Solange ich ganz alleine hier war bzw. nur ab und zu mal der ehemalige Mitbewohner (auf dessen Sofa ich die ersten zwei Monate in München gewohnt hatte) auf ein Bier vorbeischaute, war der Tisch in der Küche immer ein Schreibtisch und halt ab und zu ein Esstisch. Ich esse seit Jahren am liebsten auf dem Sofa, den Teller irgendwie auf den Knien, außer wenn ich mir Spargel mache, den esse ich brav am Tisch. Aber das hat schon seinen Grund, warum ich gerne Dinge zubereite, die man in einen und aus einem tiefen Teller schaufeln kann. Neuerdings (jetzt auch schon drei Jahre, hui) habe ich aber nun F. an meiner Seite, der sehr gerne an meinem Tisch sitzt und sich bekochen lässt bzw. mit dem ich hier gerne eine Flasche Wein köpfe. Deswegen muss ich dauernd meine Bücher für die Uni oder meine Unterlagen für die Werbung oder meinen Steuerkram oder ähnliches wegräumen. Und weil ich keinen Platz habe, liegt das Zeug dann auf dem Drucker, der auf dem Bürocontainer steht, oder auf der Heizung, oder hinter mir in einem der zwei Bonde-Regale, die auch aus Hamburg hierhergewandert sind. Nie hat irgendwas, mit dem ich arbeite, einen festen Platz, und das nervt. Ich bin keine Strickmutti, die nebenbei was für Etsy bastelt, ich arbeite hier, wenn’s gut läuft, 40 Stunden die Woche wie an einem Agenturschreibtisch. Daher hätte ich gerne einen anständigen Arbeitsplatz, an dem alles da liegt, wo ich es haben will und wo sich Arbeit nach etwas Wertzuschätzendem anfühlt und nicht wie irgendwas, was ich halbherzig runterhusche, bevor ich den Tisch für Männe decke.

Dann: das Schlafsofa. Ich hasse es, das Ding aufzubauen, und nach fast 20 Jahren ist die Matratze auch echt nicht mehr die beste. Deswegen werfen wir immer zwei normale Matratzen oben drauf, die tagsüber hochkant hinter dem zusammengeklappten Schlafsofa an der Wand lehnen. Ich sehe das schon gar nicht mehr, aber es nervt trotzdem. Ich hätte gerne mal wieder ein Bett, in das ich abends einfach reinfallen kann anstatt es erst herstellen zu müssen.

Kurz: Ich quengele seit Monaten, dass ich wirklich gerne mal wieder ein Schlaf- und ein Arbeitszimmer hätte. Und weil meine Textertätigkeit in diesem Jahr richtig gut läuft, so als ob ich nie studiert hätte, begann ich vor einiger Zeit, spaßeshalber in den Immobilienportalen nach einer neuen Wohnung zu schauen. Das ließ ich aber meist sofort wieder bleiben. Wenn Sie mögen, können Sie ja mal nach drei Zimmern auf mindestens 60 qm in der Maxvorstadt schauen, dann wissen Sie, warum ich das wieder ließ. Da werden Summen abgerufen, die wirklich nicht mehr feierlich sind. Ich guckte also kurz, ließ es wieder, quengelte, guckte wieder, ließ es wieder, quengelte. Außerdem wollte ich nicht aus diesem Viertel raus, am liebsten wollte ich gar nicht aus diesem Haus raus, und einer meiner Standardsätze in den letzten Monaten zu F. war: „Wenn hier irgendwas im Haus frei wird, zieh ich da rein.“

Und so ging ich vor zwei Wochen auf meinen üblichen Samstagseinkauf und sah, dass direkt im Stockwerk unter mir jemand auszog. Ich wollte nicht so dreist in die Wohnung schauen und auch den armen schleppenden Kerlen nicht im Weg stehen, aber ich konnte mir natürlich ausrechnen, dass das mindestens zwei, vermutlich sogar drei Zimmer waren, die da schräg unter mir frei wurden.

Den Rest des Wochenendes schickte ich Stoßgebete zum Himmel, dass das bitte drei Zimmer sein mögen und rief montags um eine Minute nach neun Uhr den Verwalter an, dem man deutlich anhörte, dass er gerne erstmal reingekommen wäre und einen Kaffee getrunken hätte. Trotzdem beantwortete er mir brav meine hektischen Fragen: „Ja, die Wohnung ist frei, noch nicht wieder vermietet. … Drei Zimmer. … 82 Quadratmeter.“ Und dann kam die Miete, und wenn Sie brav in den Immoportalen geguckt haben, dann hätten Sie jetzt genauso nach Luft geschnappt wie ich, nämlich: SO WENIG? Also natürlich immer noch eine irrwitzig hohe Zahl, aber für diese Lage in München … geschenkt will ich nicht sagen, aber ich hatte mit 300 mehr gerechnet. Und so bat ich dringendst um einen Besichtigungstermin und stellte im Kopf schon die Möbel um.

Die Besichtigung war dann eine Woche später und ich war … ein winziges bisschen enttäuscht. Muss ich leider zugeben. Bis jetzt wusste ich bei jeder Wohnung, in die ich zur Besichtigung reinkam, sofort, ja, die isses oder nee, die isses nicht. Bei dieser sagte mein Bauch: Hase, ich weiß nicht so recht.

Das ließ ich mir natürlich nicht anmerken, fand alles pflichtschuldig toll und sagte, dass ich die Wohnung haben möchte, denn hey, drei Zimmer in meinem Haus und bezahlbar? Was ist daran nicht super?

Genau das wusste ich nicht. Ich wusste nicht, warum mein Kopf brav sagte, natürlich nimmst du die, bist du irre, die ist genau das, was du gesucht hast. Aber mein Bauch nöckelte rum und kam mit solchen Sachen wie „Aber die hat keine Abstellkammer, alle meine Wohnungen hatten Abstellkammern“ oder „Ach, Balkon brauch ich gar nicht so dringend, hatte ich noch nie, vermisse ich gar nicht“ oder „Meine geliebte Bücherregalwand – das Balkonzimmer ist so doof geschnitten, dass ich keine ganze Bücherwand mehr habe, und die liebe ich doch so“ oder „Das Bad hat so komische hellblaue Dekofliesen“ und wenn ich meinem Bauch nicht irgendwann gesagt hätte, er solle die Klappe halten, hätte er sich noch darüber beschwert, dass der Briefkasten nicht so schön hängt wie mein jetziger und der Kellerraum vermutlich weiter weg ist.

F. diskutierte mit mir alles brav aus und hatte hervorragende Gegenvorschläge, der gute Mann. „Da waren zwei Wandschränke und der eine ist auf jeden Fall tief genug für Staubsauger und Wäscheständer“ und „Aber auf dem Balkon kannst du endlich Kräuter züchten!“ und „Dann mach doch das Balkonzimmer zum Arbeitszimmer und das Zimmer nach vorne raus zur Bibliothek, dann hast du wieder die schöne Bücherwand“ und „Scheiß auf das Bad, echt jetzt mal, da ist man nicht lange genug drin, um sich über Dekofliesen aufzuregen“. Ich sollte erwähnen, dass ich in Hamburg einem Tischler 1400 Euro in die Hand gedrückt habe, damit er mir eine Badeinrichtung maßschneidert, weil ich die Ikea-Schränke nicht mehr sehen konnte.

Und so war der Bauch noch nicht überzeugt, und F. meinte schließlich, ich möge doch bitte die Hamburger Damen anrufen, vielleicht hätten die noch was Schlaues zu sagen. Das tat ich dann auch, und eine von beiden meinte, dass ich vielleicht deshalb mit dem Umzug hadere, weil ich gar nicht auf ihn vorbereitet war. Eigentlich hatte ich mich in meiner kleinen Quengelwohnung eingerichtet, weil es eben nicht anders geht. Und zudem lief seit Jahren endlich mal alles ruhig vor sich hin. Studium ist durch, Diss holpert zwar, läuft aber auch, Beziehung passt, Werbung passt, die wilden fünf Jahre sind rum. Endlich wieder langer ruhiger Fluss. Und dann kommt da auf einmal so ein Umzug!

Dann meinte sie noch etwas, bei dem mir erst in diesem Moment klar wurde, dass sie damit recht hatte: „Du trauerst immer noch den 120 qm in Hamburg hinterher, aber die wirst du in München nicht wiederfinden (und nicht bezahlen können). Und du kannst noch 50 andere Wohnungen angucken wie Kerle bei Tinder und immer wieder wegswipen, weil keine so ist wie die in Hamburg, aber die ist halt durch. Hör auf die neue Wohnung: „Ich bin nicht perfekt – aber ich bin da. Und du kannst entspannt in mich reinziehen und mich total hübsch machen.““

Das klang sehr schlau. Am nächsten Morgen rief ich wieder beim Verwalter an und erwartete, dass jetzt die übliche Leier käme von wegen „Wir haben noch andere Interessenten, wir gucken mal“, aber stattdessen kam: „Wir kennen uns ja schon gut. Dann kommen Sie doch nächste Woche rum, um den Mietvertrag zu unterschreiben.“ Und das war dann das. Auf Wiedersehen, Zweitwohnsitz, Studibutze und „Geht halt nicht anders“-Wohnung.

Passenderweise zog Kai ausgerechnet an diesem Tag auch endlich aus unserer ehemals gemeinsamen Wohnung aus. Er postete sie in leerem Zustand, ich verabschiedete mich ein weiteres Mal, und jetzt ist dieser Lebensabschnitt wirklich endgültig vorbei.

Seit letzter Woche fiepse ich panisch, dann freue ich mich, dann denke ich an den Kontostand – meine neue Miete ist mehr als doppelt so hoch als meine jetzige –, aber dann denke ich an ARBEITSZIMMER UND SCHLAFZIMMER UND BIBLIOTHEK UND WOHNKÜCHE SCHEISS AUF DAS BAD und freue mich endlich richtig. Gestern unterschrieb ich den Mietvertrag, worüber ich spontan gar nicht jubeln konnte, weil ich direkt danach noch einen Kundentermin hatte (yay, Geld für die neue Miete verdienen), aber abends köpfte ich dann alleine ein Fläschchen Le 7 und stieß auf mein Glück an. Das wird der kürzeste Umzug ever, und ich ignoriere einfach noch ein bisschen, dass ich hier mit 42 Bücherkisten angerückt kam, die jetzt alle wieder gepackt werden wollen.

Als ich vor knapp sechs Jahren in diese Wohnung zog, bestellte ich drei Zwölferkisten Le 7, meinen geliebten roten Blubberschaumwein. Gestern leerte ich die fünftletzte Flasche. Bis zum Umzug trinke ich noch drei, und mit der allerletzten taufe ich dann die neue Wohnung. Ich mag solche Abschlüsse gern.

Andererseits hätte ich in meiner neuen Küche endlich Platz für meine Weinregale, die noch im Keller stehen. Vielleicht trage ich auch noch drei Flaschen die eine Treppe runter.

Was schön war, Montag, 20. August 2018 – Kalte Füße

Ich krabbelte weiter aus dem Dissertationsloch, indem ich endlich mal wieder ins ZI ging. Bzw. fuhr, ich nahm die U-Bahn und nicht das Rad. So irrwitzig heiß ist es nicht mehr, ich trug aber weiterhin Sandalen statt meiner üblichen Sneaker. Das merkte ich vor allem daran, dass ich im herrlich klimatisierten Lesesaal ernsthaft kalte Füße bekam.

Ansonsten las ich viel über die Ausstellungspolitik der Bundesrepublik, gerade was NS-Kunst angeht, lungerte in den ersten kunsthistorischen Abhandlungen rum, die nach 1945 verfasst wurden, als man diese Kunst noch mit sehr spitzen Fingern, wenn überhaupt, angefasst hat. Das hat sich lustigerweise nicht großartig geändert, weswegen da eben immer noch viel zu forschen ist – das wollte einfach niemand machen. Je länger ich auf den Kram gucke, desto mehr weiß ich auch, warum. Wieder arge Grossberg-Vermissung, aber gleichzeitig eine totale Bockigkeit auf die Erben. Die hätten eine dermaßen wohlwollende Diss gekriegt von einem totalen Groupie, ABER NEIN. Mpf.

Am frühen Nachmittag begann mein Magen zu knurren, was immer das Zeichen für den Aufbruch ist. Beim Schließfachaufräumen begegnete ich einer ehemaligen Kommilitonin, die die interessante Angewohnheit hat, dir in zehn atemlosen Minuten zu erzählen, was sie gerade alles macht, um sich dann blitzschnell zu verabschieden, bevor du auch nur ein Wort dazwischenquetschen kannst. So weiß ich jetzt, dass auch sie ihren Master inzwischen in der Tasche hat, bei wem, über welches Thema, mit welcher Endnote (ich so innerlich: Ich war besser, Schätzelein, but nice try), was sie alles dafür gemacht hat, wie zufrieden ihr Prof war, dass sie sich aber trotzdem gegen eine Promotion entschieden habe (die Dame ist noch älter als ich), sondern stattdessen einfach mit dem nächsten Bachelor angefangen hat. Das fand ich dann doch ziemlich klasse. Es ist bei ihr Geschichte geworden, und sie stöhnte über die ungewohnte Quellenarbeit. Um die drückt sich die Kunstgeschichte ganz gerne, weswegen ich sehr dankbar über mein Nebenfach Geschichte war; ich sage immer gerne, dass ich das wissenschaftliche Arbeiten deutlich gründlicher im Geschichts- als im Kunstgeschichtsstudium gelernt habe.

Abschließend meinte sie noch, und auch das fand ich sehr lustig: „Nach dem MA-Abschluss bin ich erstmal zwei Monate durch Italien gefahren, um mir endlich alles anzugucken, worüber ich fünf Jahre lang geschrieben habe.“ Das erinnerte mich nämlich an einen meiner Dozenten, bei dem ich es leider nie in ein Seminar geschafft habe, sondern nur seine Vorlesungen genießen konnte. Bei seinem Steckenpferd, der altniederländischen Malerei, entschuldigte er sich bei einem Bild von ungefähr 800 im Semester auf der PowerPoint-Folie – über dieses Bild könne er nur das sagen, was er gelesen habe, das habe er selbst noch nie gesehen. Und ich kleines Drittsemester wurde sehr ehrfürchtig.

In diesem Zusammenhang lege ich vor allem den Berliner*innen mal wieder die Gemäldegalerie ans Herz: Die altniederländische Abteilung machte gefühlt ein Viertel unserer Bilder aus. Ihr habt da wirkliche Schätze an der Wand hängen.

Der Hunger nach dem ZI wurde mit Wokgemüse ohne Wok gestillt. Ich habe immer noch keinen, aber buntes Gemüse mit Nudeln und Sojasauce ist halt Wokgemüse.

Abends sah ich dann F. mal wieder, der den ganzen Sonntag unterwegs war, um dem FCA beim Siegen zugugucken (in der Nähe von Siegen, ba-dumm tss). Ich konnte auch endlich das, Achtung, neues Wort gelernt: match-worn Trikot bewundern, das Felix Götze ins Publikum geschmissen hatte und das sich F. sichern konnte. Dafür gibt er dem Überreicher erstens Bier für alle Heimspiele in dieser Saison aus und spendet zusätzlich noch ein bisschen an In Safe Hands, der Stiftung von Andreas Luthe.

Tagebuch, Sonntag, 19. August 2018 – Backtag

Vormittags weiter den Samstag erstandenen Spiegel gelesen; das ist gar nicht schlecht, das habe ich schon sehr lange nicht mehr gemacht. Ich erinnere mich noch an die Zeit, in der das Magazin Pflichtlektüre war. Den Jahrgang 1989 habe ich ewig aufgehoben, Wende und so, direkte Geschichte. Irgendwann fiel mir auf, dass ich da nie wieder reingucken werde und auch niemanden habe, an den ich den Papierberg vererben werde, also bat ich meinen Papa, den Kram vom Dachboden zu holen und wegzuwerfen. So wie ich ihn kenne, ist er immer noch da. „Vielleicht überlegst du dir das nochmal anders! Wir haben ja Platz.“

Spontan Lust gehabt, mal wieder Macarons zu backen. Laut meinem Blog habe ich das seit Dezember 2010 nicht mehr gemacht. Nachdem ich 20 Minuten Puderzucker und gemahlene Mandeln mühsam durch ein feines Sieb gestrichen hatte, wusste ich auch wieder, warum. Das Ergebnis war nur so halb zufriedenstellend: Die Macarons hatten keine Füßchen, waren viel zu groß (weil ich vergessen hatte, dass man nur winzige Kreise aufs Blech spritzen soll, weil sie irre auseinanderlaufen) und die Farbgebung durch rote Lebensmittelfarbe sorgte für die Optik „Leberwurst“ statt des geplanten „Roséchampagner“. Auch die Füllung aus Earl-Grey-Ganache war irgendwie bröselig statt feincremig. Aber geschmeckt haben sie prima.

Ein paar Folgen Jane the Virgin geguckt. Hm. Anfangs fand ich es reizvoll, die Idee einer Telenovela auf eine 45-minütige Serie anzuwenden, aber so richtig mag ich es nach drei, vier Folgen dann auch nicht mehr. Hm. Ich glaube, ich habe Netflix durchgespielt. Ich meine, ich habe Freitag allen Ernstes Pretty Woman angeklickt, weil ich IRGENDWAS gucken wollte.

Mich über den Erstrundensieg des FC Augsburg im DFB-Pokal gefreut. Und über viele begeisterte DMs von F., der dafür morgens um sieben losgefahren ist und nach Mitternacht wieder zuhause war. Aus mir wird vermutlich keine Auswärtsfahrerin mehr, viel zu anstrengend.

Abends Pizzabrot gebacken. Einen schönen Teig produziert, ihn liebevoll zu einem Fladen auseinandergezogen, wie immer das einmalige Gefühl genossen, elastischen, straffen, kühlweichen Hefeteig unter den Fingern zu haben – und dann die Köstlichkeit drei Minuten zu lange im Ofen gelassen. Das war alles knuspriger als ich es haben wollte. Aber ich stinke heute morgen noch nach Knoblauchbutter. War also ein halber Erfolg.

Tagebuch Freitag/Samstag, 17./18. August 2018 – Raus da

Freitag buddelte ich mich erfolgreich aus dem Dissertationsmotivationsloch heraus, indem ich mich brav an den Schreibtisch setzte und endlich mal die Bibliotheksbücher durcharbeitete, die hier seit Wochen liegen und die ich immer nur verlängere anstatt reinzugucken. Das tat gut, den Kopf wieder sinnvoll zu beschäftigen anstatt Herrn Grossberg nachzutrauern oder Netflix leerzugucken. Die Uni-Sommerferien sind anscheinend vorbei.

Abends wieder bei F. vom Balkon runtergeguckt. Mit einigen Dingen, die mich seit einer Woche stressen und dann freuen und dann wieder stressen und dann wieder freuen, meinen Frieden gemacht. Der Mann holte Pizza, und damit wird ja eh immer alles gut.

Der Samstagvormittag fühlte sich dann fast wie zusammenwohnen an, weil ich nicht nach Hause ging, um meinen Tag mit Kaffee und Lektüre zu beginnen, sondern stattdessen die Tram zum Stachus nahm, um dort mein derzeitiges Lieblingsbrot zu kaufen (zu heiß zum Selberbacken) und meine Drogen bei Starbucks zu holen, um dann weiter bei F. rumzulungern, weil der Mann gerade nicht allein sein wollte. War mir sehr recht.

Den neuen Spiegel nahm ich auch mit, weil ich ein Interview mit Okwui Enwezor darin entdeckte, dem gerade zurückgetretenen Direktor vom Haus der Kunst. Die Postwar-Ausstellung, die er mitkuratierte, gehört mit zum Besten, das ich je gesehen habe, und ich trauere dem Mann sehr hinterher. Auch auf diese Ausstellung nahm Enwezor Bezug, als er meinte:

„Enwezor: Das Haus der Kunst hat – und das schon seit Jahrzehnten – ein strukturelles Defizit. Das Geld reicht nicht, die Einrichtung ist chronisch unterfinanziert, es fehlen Mitarbeiter. Man wollte nicht viel investieren, aber eine große Wirkung erzielen. Das ist das eine.

Spiegel: Was ist das andere?

Enwezor: Womöglich passte unsere inhaltliche Ausrichtung nicht ins heutige politische Klima. Wir haben uns wirklich dem Dialog verpflichtet gefühlt, natürlich bedeutete das auch, dass wir nicht nur Blockbuster veranstaltet haben. „Postwar“, unsere Ausstellung zur Nachkriegszeit, hat neue Maßstäbe gesetzt.

Spiegel: Sie haben darin bekannte und weniger bekannte Künstler aus der gesamten Welt zusammengebracht und gezeigt, dass der kulturelle Fortschritt seit 1945 nicht nur im Westen stattgefunden hat. Das war eine weitreichende Neubewertung der jüngeren Kunstgeschichte, Sie erhielten international viel Lob. Aber der große Besucherandrang blieb aus.

Enwezor: Nicht alles lässt sich auf Erfolge an der Museumskasse reduzieren. Manchmal ist der Zugewinn, den eine Institution erhält, kein finanzieller. Wissen Sie, was erstaunlich ist?

Spiegel: Was?

Enwezor: Etliche unserer Ausstellungen sind, nachdem sie hier zu sehen waren, von anderen Museen übernommen worden. Unsere Ausstellung mit den Skulpturen von Louise Bourgeois [Fehlfarben-Podcast dazu] reiste nach Russland, Dänemark und Spanien. In Moskau und im dänischen Humlebaek kamen so um die 200.000 Besucher, in Bilbao sogar 600.000. In München, dem Ausgangsort, aber waren es weniger als 80.000 gewesen. Unsere Ausstellungen haben eine internationale Strahlkraft, nur warum sind sie woanders populärer als hier?

Spiegel: Ist München kein guter Ort mehr für die zeitgenössische Kunst? Auch in der Münchner Theaterszene haben es experimentierfreudige Leute schwer. Matthias Lilienthal, Intendant der Kammerspiele, verlässt die Stadt.

Enwezor: Die Leute behaupten oft, sie würden sich für zeitgenössische Kunst interessieren. Aber zeitgenössische Kunst ist etwas Toughes und Herausforderndes, nichts Eingängiges, und das gefällt nicht jedem. Hier wird immer noch über die wirklich großartige Ai-Weiwei-Ausstellung gesprochen, die 2009 im Haus der Kunst eröffnet wurde, also einige Jahre bevor ich kam. Aber wenn sie die Popularität in Besucherzahlen messen wollen, muss ich sie enttäuschen, es kamen nur 100.000 Leute.“

(Der Spiegel 34 (2018), S. 115/116.)

Ich habe schon länger keinen gedruckten Spiegel mehr in der Hand gehabt. Ganz schön dünn geworden, das Ding. Und keine wirklich langen Artikel mehr außer der Titelstory? Und neue Headline-Typo. UND FÜNF EURO ZEHN? Aber immerhin noch einen schönen Artikel über ein Buch über Wein und seine Bedeutung in der bundesrepublikanischen Politik gefunden. Über diesen Absatz musste ich sehr lachen:

„Beim allerersten Staatsbesuch der jungen Bundesrepublik war sie [die Qualität der angebotenen Weine] eher mäßig. Was Bundespräsident Theodor Heuss unter dem „Pathos der Nüchternheit“ verstand, erfuhr der Kaiser von Äthiopien, als er im November 1954 nach Bonn reiste. Wein aus guten Lagen, aber schlechten Jahrgängen, und ein Sekt, „Söhnlein Rheingold“, zu dessen Gunsten nur vorgebracht werden konnte, dass der Kaiser 1875 angeordnet hatte, alle Kriegsschiffe der Marine fortan damit zu taufen.“

(Der Spiegel 34 (2018), S. 30.)

Kalte Pizza ist das beste Frühstück, basta, keine Diskussion.

Nachmittags alleine DFB-Pokal geguckt, weil der Mann zum Grillen eingeladen war (ich auch, aber ich wollte nicht mit). Sehr belustigt dabei zugesehen, wie das kleine niedersächsische Drochtersen-Assel aus der vierten Liga den großen FC Bayern anstrengte, der nur so gerade mit 1:0 gewinnen konnte. In der Vorberichterstattung meinte der Kapitän der Truppe: „Ziel ist es, weniger Gegentore zu kriegen als der HSV.“ Das hat ziemlich gut geklappt.

Abends einen Riesenberg Caesar Salad vertilgt. Seit einiger Zeit hadere ich mit den Anchovis, die ins Dressing kommen. Ich esse die Viecher schon, aber ich arbeite extrem ungern mit ihnen. Das Ölig-Glitschige macht mir nichts aus, aber diese gefühlten Widerhaken, die mich pieksen, wenn ich sie zerschneide, finde ich sehr unangenehm, und ich denke dann zu lange über mein Essen nach, als dass es mir danach schmeckt. Also lasse ich sie neuerdings weg. Ja, dann fehlt diese herbsalzige Komponente, aber ganz ehrlich: knackiger Salat, frisch gehobelter Parmesan, heiße Knoblauchcroutons – da reicht auch ein Dressing aus Crème fraîche, Senf und Zitronensaft, das schmeckt auch so geil.

Im Bett bei ausgeschaltetem Licht auf dem Smartphone einen Artikel darüber gelesen, dass Lesen auf dem Smartphone bei ausgeschaltetem Licht eventuell ganz böse ist. (Gerade eben beim Linkgoogeln einen weiteren Artikel gefunden, der mich wieder beruhigt hat.)

Tagebuch, Donnerstag, 16. August 2018 – Innerer Jekyll und Hyde

Morgens einen Text abgegeben, mit dem ich eigentlich zufrieden war. Der Kontakt zum Kunden leider nicht so, ich korrigierte, hatte aber anscheinend einige Korrekturwünsche fehlinterpretiert, weswegen ich noch weitere Schleifen drehen musste. Erst um kurz vor 21 Uhr war Feierabend und ich ein bisschen konsterniert.

Generell den Tag über entweder traurig oder schlecht gelaunt gewesen. Diverse Entscheidungen angezweifelt. Oder wie es F. ausdrückte: „Du machst dir wieder selbst einen Knoten ins Hirn.“ Ja, das klingt nach mir.

In der Mittagspause bei 27 Grad ein paar Besorgungen gemacht. Bei diesen Temperaturen hätte ich im letzten Sommer alles online geordert und wäre nicht vor dem Ventilator weggegangen. Nach den vergangenen Wochen kamen mir die 27 Grad fast lauschig vor und ich stutzte über mich selber, als ich dachte, ach, das ist ja recht angenehm draußen. Hat die Hitze doch ihr Gutes gehabt: Sie hat meine derzeitige Temperaturtoleranzgrenze ein bisschen nach oben verschoben. Muss ich trotzdem nicht weiter haben. Bitte Wetter auf 20 Grad runterfahren, danke.

Den durchwachsenen Tag bei F. auf dem Balkon äußerst undurchwachsen ausklingen lassen. Das ist immer nett da, mit dem weiten Ausblick über Münchens Kirchtürme und meist einer schönen Flasche Wein auf dem Tisch. Der einzige Nachteil ist das benachbarte italienische Restaurant, von dem es stets herrlich hochduftet, weswegen ich immer zu viele Chips essen muss. Logisch.

Tagebuch, Mittwoch, 15. August 2018 – Kein Feiertag

Im Gegensatz zum Dienstag, wo ich was zu feiern hatte und wo dementsprechend persönlicher Feiertag war, war gestern offizieller Feiertag in den katholischen Gegenden in Bayern (also auch in München), aber ich saß am Schreibtisch und tippte für Geld, weil jemand im Norden auf meine Texte wartet anstatt frei zu haben. Also eher weniger Feier-, sondern ein normaler Arbeitstag. Auch gut.

In den letzten Jahren hat sich mein Portfolio etwas erweitert. Wo ich früher ziemlich ausschließlich für die Autoindustrie tätig war, habe ich heute vermehrt Kunden aus anderen Branchen. Das ist lustig, weil ich mich so dauernd mit Themen beschäftige, über die ich manchmal noch nie nachgedacht habe. Manchmal sind es netterweise auch Themen, über die ich dauernd nachdenke wie Kaffee oder Tee, und ich will so dringend einmal für Schokolade Werbung machen, aber das hat bisher noch nicht geklappt. Außerdem kommen neuerdings eher kleinere Firmen oder Auftraggeber auf mich zu, was mir auch sehr gut gefällt, weil die linke Hand meist weiß, was die rechte tut. Das ist bei riesigen Kunden manchmal eher nicht der Fall. Oder es gibt zu viele Menschen, die eine Meinung zum Text haben. Abstimmungen gehen schneller, weil eben nicht fünf Abteilungen drei Sätze abnicken müssen, Korrekturschleifen sind kleiner, der Job eher erledigt.

Was mir bei meinen geistigen Ausflügen in die Welt der Kommunalverwaltung, der Windenergie oder der Dachziegelproduktion aufgefallen ist: Auch hier lege ich gerne Wissensbröckchen an Wissensbröckchen. Das kannte ich etwas anders aus der Automobilbranche, wo mein neues Wissen (aus einem neuen Briefing) mein altes Wissen (die tausend Kataloge, die ich schon geschrieben hatte) ergänzte. Hier kommt bei jedem Job ein neuer Aspekt dazu, der aber, warum auch immer, meine geistige Landkarte von Deutschland und seiner Industrie, seinem Handwerk, seiner Firmenkultur in kleinen Schritten vervollständigt. Ich lerne viel über interne Abläufe, bekomme aber auch mit, wer eigentlich was so macht an unserem Industriestandort. Ich lerne Branchen kennen, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, und manchmal ergeben sich Überschneidungen – in der Arbeitsweise, in der Auftragsvergabe, in der Zusammenarbeit mit anderen Branchen. Es fühlt sich alles praktischer an, obwohl ich genau das gleiche mache wie früher – ich sitze an meinem Schreibtisch und tippe, ich schreinere weder Küchenzeilen noch erschließe ich Neubaugebiete. Aber irgendwie fühlt es sich mehr nach sinnvoller Arbeit an als früher, weil ich über Produkte schreibe, deren Nutzen sich mir inzwischen besser erschließt als der Nutzen eines Autos, das dringend 250 fahren muss, drei Tonnen wiegt und so groß ist wie früher ein Kleinbus.

Ich ahne inzwischen auch, warum mir die Wissenschaft so viel Spaß gemacht hat: weil ich auch hier die innere Landkarte der Kunstgeschichte mit jedem Seminar vervollständige. Klar ist feministische Performancekunst der 1970er Jahre was anderes als altniederländische Malerei, aber beides bewegt sich in einem bestimmten Bezugsrahmen. Und je mehr ich über das eine weiß, desto mehr fällt mir auch beim anderen auf.

Weiterhin Dissertationsmotivationsloch. Verdammt.

Die innere Anspannung der letzten Woche fiel gestern völlig ab, ich war um 22 Uhr komplett bettschwer. Mein Kopf aber noch nicht, und auf einmal hinterfragte ich wieder alles. Erst gegen 2 (glaube ich) eingeschlafen.

Tagebuch, Dienstag, 14. August 2018 – Feiertag

Gleich am Morgen eine Nachricht bekommen, die meinen Bauch jubeln ließ, was mich sehr beruhigte, denn dem Kopf war das schon klar, aber der Bauch musste noch nachziehen. Das Luftschloss ist kein Luftschloss mehr, aber bis ich das nächste Woche schriftlich habe, halte ich noch meine Klappe.

Den ganzen Tag am Schreibtisch verbracht. In der Mittagspause die neue Folge von Better Call Saul geguckt. Das Vorstellungsgespräch im Kopierladen! So großartiges … ich wollte gerade „Fernsehen“ schreiben, aber das ist es ja gar nicht. Großartiger Streaming-Inhalt?

Die morgendliche Nachricht musste gebührend gefeiert werden. F. und ich gingen ins Walter & Benjamin, dessen Name der tollste Name für eine Weinbar überhaupt ist. Ich war bis jetzt zwei- oder dreimal da, aber so richtig, ganz, vollständig, total hatte mich der Laden nie überzeugt. Er war immer nett, aber eben nicht so nett, dass ich dringend wieder hinwollen würde. Gestern war aber alles richtig, ganz, vollständig, total in Ordnung. Wir saßen draußen, schauten im Gärtnerplatzviertel rum, ich freute mich über jede Tram, die vorbeifuhr, wir genossen vier Gänge, von denen zwei richtig toll, einer sehr gut und einer okay war, aber der okaye war nur deshalb okay, weil ich Kalbsnierchen nicht so richtig spannend finde. Dazu hatten wir drei Weißweine und zum Dessert einen blubberigen Lambrusco, den ich bisher nur aus der korbumwickelten Literflasche kannte. Der hier war fast ein Schaumwein und passte ganz hervorragend zum Nachtisch aus Kürbiskernbiskuit, -creme und halt Kürbiskernen plus einer Nocke Brombeereis. Das würde ich gerne nachbasteln, das war toll.

Wir saßen gut, unterhielten uns gut, das Essen war gut, die Temperaturen genau richtig, ich mochte den Anblick aus kleinen Holztischchen, vielen Gläsern, schönem Geschirr und steifen Servietten, die Gespräche von den Nachbartischen, die man nicht verstand, die aber eine schöne Atmosphäre zauberten, die Stadt machte Feierabend und wurde langsamer und ruhiger, und wenn der Typ nebenan nicht irgendwann einen Zigarillo entzündet hätte, wäre alles perfekt gewesen. Das hatte ich völlig verdrängt, dass man in Lokalen draußen noch rauchen darf. In meinem Kopf gehen Essen und Rauchen gar nicht mehr zusammen, obwohl ich immer noch, trotz inzwischen jahrelangem Nichtraucherdasein, manchmal beim abendlichen Espresso denke, ach, jetzt ne Kippe. Kaffee und Zigarette zusammen sind nämlich super.

Gemeinsam eingeschlafen. Ich freue mich darüber immer noch sehr. Jedesmal.

Tagebuch, Montag, 13. August 2018 – Ein Herz für Hamburch

Jetzt wo der Espresso langsam wird, verlassen mich meine Milchschäumfähigkeiten. Irgendwas ist ja immer.

Update zu einem Job gekriegt. „Hast du dafür in den nächsten Tagen Zeit?“

„Mittwoch ist eh Feiertag, da habe ich bergeweise Zeit.“

„Wasn fürn Feiertag?“

„Irgendwas bayerisches.“

„Hä? Wo bist du denn?“

„München.“

„Haha, ich dachte, du säßest in Hamburg.“

Luftschlossbesichtigung ging in die nächste Runde und schickte mein Gehirn auf viel zu viele Reisen auf einmal. Wie gut, dass es Freundinnen in Hamburg gibt, die Stichworte wie „Ich bin nicht super, aber ich bin okay“ und „Tinder“ in den Raum werfen, um das Gehirn wieder auf Spur zu kriegen. (Nein, das hat alles nichts mit den Herren der Schöpfung zu tun, aber das passte wirklich gut.) Also auf in die nächste Runde.

Aus mehlig kochenden Kartoffeln kann man keine guten Bratkartoffeln machen. Wer hätte es gedacht. (Wieder blind eingekauft.)

„Hier gilt: Jeder für sich, Scheiße für alle. Das hier ist der Dschungel.“

(Fiston Mwanza Mujila (Katharina Meyer/Lena Müller (Übers.): Tram 83, Wien 2016, S. 105 von 190, eBook.)

Tagebuch, Sonntag, 12. August 2018 – Riesenzopf

Kopf und Bauch streiten sich um das Luftschloss. Vorgestern hatte der Kopf recht, gestern der Bauch, heute morgen weiß ich gar nichts mehr.

Gelesen, am Handy und iPad rumgedaddelt, mir überlegt, mit F. nach Augsburg zum Testspiel des FCA zu fahren, mich aber dagegen entschieden; Testspiele sind mir egal. Auf der Website nachgeguckt, wann die Damen des FCB anfangen zu spielen – ich habe noch nie Frauenbundesliga geguckt, kann man ja auch mal machen, wenn man es schon vor der Haustür hat.

Wieder zwei Folgen Chef’s Table geguckt und totale Lust auf Rumköcheln bekommen. In meinem Lieblingskochbuch gelesen und mir vorgenommen, daraus endlich mal mehr zu machen als die üblichen Klassiker. Vielleicht mal gnadenlos zehn Post-its blind im Buch verteilen und ebenso gnadenlos nachkochen? Abends mit diesem Gedanken nochmal den Film Julie & Julia begonnen; kannte ich natürlich, kann man aber auch mehrfach schauen.

Einen Hefezopf angesetzt, den ich erstmals mit der Hand geknetet habe. Das war aber keine Absicht, sondern das Ergebnis meines hitzegeplagten Spatzenhirns. Ich habe keine Küchenmaschine, weswegen ich vor schweren Teigen noch zurückschrecke. Den Teig für den Zopf schaffe ich aber so gerade mit den Rührstäben meines Handmixers. Gestern griff ich wie üblich ohne nachzudenken in meine Schublade, in der der Mixer und seine Aufsätze liegen, schraubte ebenso gedankenlos die Stäbe ein und begann zu mixen. Im Nu hatte sich der Teig bis zum Mixer emporgefressen und ich konnte diesen gerade noch abschalten, bevor der Teig ins Mixerinnere vordringen konnte. Hm. Das war mir noch nie passiert, und den Zopf habe ich schon sehr oft gebacken (weil äußerst wohlschmeckend). Stäbe wieder reingeschraubt, Mixer angeschaltet – der gleiche Effekt. Weil mir die Butter allmählich wegzulaufen drohte, griff ich einfach mit den Händen in die Schüssel und knetete, bis mir der Teig so vorkam, wie ich ihn kenne. Ich bedeckte die Schüssel mit einem Tuch und ließ den Teig gehen. In der Zeit wusch ich die bereits benutzten Gegenstände ab und verräumte sie auch gleich wieder. Und erst als ich die Rührstäbe wieder in die Schublade legen wollte, fiel mir auf: Ich hatte gar nicht mit den Rührstäben gearbeitet! Die lagen nämlich in der Lade, während ich die Quirle in der Hand hatte. (Augenrollemoji.)

Nach der Ruhezeit teilte ich den Teig in drei Teile und ließ auch diese kurz ruhen. Danach rollte ich aus ihnen Stränge, die ich zum Zopf flechten wollte. Ich weiß nicht, ob es an meinem derzeitigen Netflix-Konsum liegt, aber ich behandelte den Teig deutlich vorsichtiger als sonst, wo ich eher rustikal mit ihm umgehe. Das scheint ein ungewollter Nebeneffekt davon zu sein, wenn man ständig Menschen zuschaut, die mit Pinzetten winzige Zutaten in Zeitlupe verarbeiten und daraus wunderschönes Essen zaubern.

Mein Zopf war nicht unbedingt wunderschön, aber dafür größer als jeder, den ich bisher produziert hatte. Gleiche Mengen wie sonst, gefühlt ein Drittel mehr Endprodukt. Ist mir recht. *mampf*

Abends mit F. den Supercup zwischen Bayern und Frankfurt geguckt. Endlich wieder anständiger Fußball nach dem ollen WM-Geholze! Bundesliga kann dann gerne losgehen. (Noch fast zwei Wochen!)

Tagebuch Freitag/Samstag, 10./11. August 2018 – Drinnen und draußen

Freitag hockte ich in einem tiefen Motivationsloch, das mich sehr überraschte, aber Menschen mit Doktortitel in meiner Umgebung so gar nicht. Nach der doofen Nachricht, dass ich keinen Einblick in den Grossberg-Nachlass bekomme, hatte ich das Mittwoch total motiviert umschifft, indem ich meine bisherige Forschung neu strukturierte (immerhin im Kopf). Auch Donnerstag war ich noch der Meinung, alles kein Thema, sehr schade, ja, aber nichts zu machen, dann eben ein anderes Ziel. Aber Freitag saß ich nur noch mutlos vor meinen Dokumenten und war sehr traurig darüber, dass ich mich zwar hobbymäßig weiter mit Grossberg beschäftigen könne, die Wissenschaft aber gerade von den Erben ausgesperrt wird. Das hat der Herr nicht verdient, ganz im Gegenteil. Von mir aus könnte jedes Jahr über ihn eine Diss erscheinen, so toll ist sein Zeug. Leider nicht von mir, und daran knabberte ich jetzt doch.

(Feuchtgebiete-Triggerwarnung für den nächsten Absatz:)

Abends ging ich zu F. und merkte beim Fußweg, dass er mir sehr schwer fiel. Die Hitze, die Ozonbelastung, weiß ich alles, aber trotzdem bin ich immer sofort sehr besorgt, wenn ich das Gefühl habe, dass meine brav erworbene Alltagskondition wieder nachlässt. Beim letzten Badaufenthalt vor der Nachtruhe wurde mir immerhin klar, warum ich den ganzen Tag so traurig und körperlich so matschig gewesen war: Die Tage kamen mal wieder. Die letzte Periode war herrliche 67 Tage her gewesen, und ich war daher auf diese überhaupt nicht vorbereitet, die kam aus dem Nichts, wo sie sich jahrelang immer brav drei Tage vorher angekündigt hatte. Mein Zyklus ist in den letzten zwei Jahren unregelmäßiger geworden, es vergehen durchaus zwei, drei Mal im Jahr zwei Monate, bis ich mal wieder rumblute. Ich ahne langsam, dass sich hier eine körperliche Veränderung abspielt, gegen die ich so gar nichts einzuwenden habe.

Die innerliche Reaktion ist allerdings nach über 35 Jahren Menstruation und sexueller Aktivität bei nicht-vorhandenem Kinderwunsch immer noch die gleiche: „Yay, meine Tage sind da! … Nerv, meine Tage sind da.“

Endlich mal wieder gemeinsam eingeschlafen, weil es endlich mal wieder Temperaturen gab, bei denen man einen warmen Menschen neben sich dulden will.

Samstagmorgen gemeinsam gefrühstückt, was wir sehr selten machen, weil unsere morgendlichen Vorlieben etwas auseinandergehen und auch die jeweilige Küchenausstattung sehr auf unsere individuellen Neigungen zugeschnitten ist. F. besorgte vom Lieblingsfranzosen Milchkaffee für mich und Brioche für uns beide, dazu noch herrliche Blätterteigkleinigkeiten, die Frau Mama hatte Sohnemann frische Brombeermarmelade mitgegeben, und so spachtelten wir uns in ein ausgiebiges Vormittagskoma.

(Alleine für diese Zwischenüberschrift auf der Website – und die Tüten – ist Dompierre eben der Lieblingsfranzose.)

Gegen 13 Uhr sahen wir uns schon wieder, als wir uns in den Bus setzten, um Espressobohnen zu kaufen. F. hatte mir vor einiger Zeit zwei Kaffeesorten aus einer örtlichen Rösterei geschenkt, von denen eine meine absolute Lieblingssorte geworden ist. Von der war nur noch ein guter Esslöffel in der Tüte, und bevor ich den Sonntagmorgen weinend in der Küche stehen müsste, wollten wir Nachschub besorgen.

Das Caffé Fausto liegt in meiner Auffassung am Arsch der Heide, und es hat quasi keine Laufkundschaft. Trotzdem war recht gut besucht, obwohl jetzt am Wochenende nicht die üblichen Büromenschen der Krämermühle, in der sich das Café befindet, da waren. Wir saßen draußen und guckten eine Stunde lang einem stetigen Strom von Menschen zu, der zu Fuß, per Rad oder Auto kam, um Kaffeebohnen zu kaufen. Die meisten hatten die Kilotüten im Arm, als sie wieder gingen. Das fand ich schon spannend, dass hier anscheinend ein Produkt hergestellt wird, für das Leute Umwege in Kauf nehmen, denn hier ist nichts nebenan, wo man noch die üblichen Erledigungen abfiedeln könnte, Supermarkt, Post, Apotheke, Zeug halt, zu dem man öfter muss. Hierher fährt oder geht man nur für den Kaffee. If you build it, they will come.

Und abends sahen wir uns dann zum dritten Mal, denn wir wollten ins Takumi, um Ramen zu essen. Draußen herrschten 23 Grad, die selbst ich Wärme-Meckerliese als angenehm empfand nach den zwei Wochen 30 Grad. Im kleinen Lokal selbst waren es dann gefühlt aber wieder 30, die Luft stand, und die Belegschaft gab Fächer aus, die auch flächendeckend genutzt wurden. Mir lief der Schweiß schon ohne Mahlzeit den Nacken herunter, aber als dann die heiße Nudelsuppe vor mir stand, war alles vorbei. Es schmeckte großartig, aber ich sah nach dem Essen wie nach einem Saunabesuch aus. Aber das war’s natürlich wert.

Auf dem Nachhauseweg kamen mir wieder die Luftschlösser ins Gehege, über die ich seit letztem Montag nachdenke und belasteten mich kurz, aber das löste sich im Laufe der Nacht wieder auf. Mal sehen, wie es auf dieser Baustelle weitergeht, über die ich hier weiterhin nur kryptische – und damit für die geneigte Leserin total nervige – Andeutungen machen möchte.

Gestern war der Todestag von Hans Memling, und der schöne Rubens-Twitter-Account würdigte das natürlich. Wir sprachen gerade im Podcast über den Herrn, über den ich meine erste Hausarbeit im Studium geschrieben habe, unter anderem über dieses Bild.

Tagebuch, Donnerstag, 9. August 2018 – Keine Angst mehr vor Wespen!

Wie schon seit Tagen oder gefühlten Wochen morgens irgendwann zwischen 5 und 6 aufgewacht, weil da auf einmal ein kühler Luftzug durchs Fenster kam. Sofort aufgestanden, alle Fenster aufgerissen, wieder ins Bett gegangen und das Internet leergelesen anstatt was Vernünftiges zu machen.

Das Einersieb bei meiner Espressomaschine ausprobiert und komplett miese Brühe produziert. Wo ich doch vorgestern erstmals, trotz wirklich mangelhafter Mühle, mit dem Zweiersieb etwas erschaffen hatte, was meinen Geschmacksvorlieben schon äußerst nah kam. Aber da ist noch eine Menge Spielraum. Erstmal zwanzig Kilo Bohnen kaufen für die weiteren Versuchsreihen.

Die Maschine ist so wunderschön, ich freue mich jeden Morgen, wenn ich sie einschalte. Sie ist aber gleichzeitig wie die Raumkapsel in Gravity mit der russischen Bedienungsanleitung – im Prinzip weiß ich, was ich machen muss, aber es fühlt sich trotzdem nach totalem Trial and Error an. Aber weil die Maschine so schön ist, macht jeder Versuch Spaß. Und ich habe endlich wieder anständig vorgewärmte Tassen! #diekleinendinge

Vormittags vor der ganz großen Hitze (34 Grad abends) zur Post gegangen und ein Päckchen abgeholt. Dann auf den alten Nordfriedhof gegangen, mich auf eine Bank gesetzt und gelesen. Vielleicht lag es an meinem pinkfarbenen Shirt, vielleicht an meiner Schweißproduktion, vielleich auch am Buch, aber eine Wespe schien großes Interesse an mir zu haben.

Vor Jahren war ich eine der Nervensägen, die sofort hysterisch vom Café- oder Biergartentisch aufsprangen, wenn sich eine Wespe näherte. Ich bin immer noch kein Fan von ihnen, aber inzwischen schaffe ich es, meine Maß mit einem Buch abzudecken und die Viecher irgendwie zu ignorieren. Beim Essen nerven sie mich allerdings immer noch, daher mache ich das wirklich lieber in Innenräumen. Vor kurzem las ich irgendwo (Quelle: Internet), dass einen Wespen nur so nah umkreisen, weil sie so schlecht sehen. Die wollen einen nur kennenlernen und haben dazu noch ihre Brille vergessen! Damit kann ich lustigerweise viel besser umgehen als wenn ich davon ausgehe, dass die fiesen Möpps nichts besseres zu tun haben als mich zu stechen. Und so saß ich gestern halbwegs (immerhin) entspannt weiter beim Lesen, als eine Wespe um mich herumflog und sich schließlich sogar auf mein Bein setzte. Früher wäre es bis dahin gar nicht gekommen, weil ich längst schreiend und ärmchenwedelnd 500 Meter weiter weg gewesen wäre. Ich war ein bisschen stolz auf mich, so erwachsen und so.

Ein Tweet, über den ich seit vier Wochen grinse:

Wieder eine Folge Chef’s Table geguckt (ja, ich bin spät dran, ich weiß), dieses Mal über die drei Jungs von El Celler de Can Roca in Girona, genauer gesagt über Jordi Roca, den Patisseriechef. Relativ zu Anfang der Sendung konnte man ihm dabei zuschauen, wie er ein Dessert namens „Blumen aus Girona“ zubereitete, das mich ernsthaft zu Tränen rührte – und ich habe es nicht einmal gegessen! Ich habe leider kein Foto gefunden, daher hier ein Screenshot aus der Folge. Eine Skyline aus Zucker, mit Blumen und Pulver verziert, dahinter nochmal die Skyline als Schatten aus Schokolade, wenn ich das richtig gesehen habe. Ein kleines Wunderwerk.

Nach den schon angesprochenen 34 Grad fielen die Temperaturen endlich mal wieder auf ein menschenwürdiges Maß. Dazu begann es gestern anständig zu regnen und ich riss alle Fenster auf, warf eine Decke auf mein weißes Sofa, damit es nicht nass wurde und genoss mit F. eine Portion Nudelsalat, die ich eigentlich für den Biergarten vorbereitet hatte. Dazu tranken wir zwei Augustiner, die im Februar und Mai abgelaufen waren. Ich scheine echt nicht mehr viel Bier zu trinken. Waren auch meine letzten beiden Flaschen in der Wohnung.

Was schön war, Mittwoch, 8. August 2018 – Erinnerungen

Tagsüber in Wolkenschlössern rumgehangen. Sollte ich nicht, weiß ich auch, konnte ich meinem Kopf aber nicht klarmachen. Also habe ich ihm nachgegeben und viel Spaß gehabt. Mal sehen, ob der bleibt.

Viel gelesen, allerdings nichts für die Diss. Ein bisschen pflichtschuldig rumbibliografiert, aber eigentlich habe ich mir innerlich immer noch Urlaub gegeben, bis diese verdammte Hitze endlich aufhört. Also bis morgen.

Abends ein Buch in die Unibibliothek gebracht und zwar mit dem Fahrrad. Eigentlich mag ich die klimatisierten Busse ja sehr, aber ich dachte, Fahrtwind wäre vermutlich noch besser. War er auch. Und wenn ich eh schon auf dem Rad war, konnte ich beim liebsten Burgerladen vorbeifahren und mir was Nettes zum Abendessen mitnehmen (kalt wird das Zeug derzeit ja nicht, selbst mit Fahrtwind). Ich genoss zuhause vor dem Ventilator einen Giggly Burger mit leckeren Balsamicozwiebeln sowie Pommes mit Limettenmajo. Dabei sah ich eine Folge von Chef’s Table über Nancy Silverton, die sich an ihren Auftritt bei Julia Child erinnerte. Sie servierte ihr ein heißes Dessert, bei dem Child zu weinen begann – und Silverton dachte: „I burned Julia Child!“ Die Szene finde ich nicht online, aber immerhin den Clip zur Child-Sendung. Hashtag Futterglück.

Und zu später Stunde saß ich dann quasi mal wieder vor dem Fernseher, den ich ja nicht habe, weil ich kaum noch deutsches Fernsehen schaue; ich saß also vor dem Laptop und genoss den Dokumentarfilm Kulenkampffs Schuhe, der auch in der Mediathek zu finden ist. Im Tagesspiegel steht eine sehr gute Besprechung.

Es geht in der Dokumentation um die Zeit der 50er bis 70er Jahre, in denen sich das deutsche Publikum unter anderem von den Herren Kulenkampff, Rosenthal und Alexander unterhalten lässt und erstmal das Wirtschaftswunder genießt, anstatt sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Eine Szene, die so nebenbei abgehandelt wird, führt diese Verdrängung recht deutlich vor Augen: Hans Rosenthal sitzt bei Joachim Fuchsberger in dessen Talkshow und erzählt, wie er sich zur NS-Zeit in einer Berliner Laube versteckt hatte. Er bechreibt, wie er unter einem Sofa lag, während darauf Menschen saßen, die ihn das Leben hätten kosten können, und wie er einen Hustenreiz zu unterdrücken versucht. Die Kamera schwenkt ins Publikum, wo Menschen über diesen Satz lachen. Ich bin mir sicher, dass viele das aus Verlegenheit taten oder weil man eine derartige Szene aus komischen Filmen kennt, die immer gut ausgehen, aber trotzdem schaute ich recht fassungslos zum Laptop und fragte mich, ob einer dieser Menschen im Publikum einer der Sofasitzer hätte sein können. Da wird eine lebensbedrohliche Situation zur Unterhaltung; Rosenthal erzählt es auch ernst, nicht auf eine erleichternde Pointe aus, aber die Menschen lachen trotzdem.

Ich musste mich selbst daran erinnern, dass ich sehr lange nicht wusste, das Rosenthal jüdischen Glaubens war; das war einfach nie ein Thema. Ich erinnerte mich auch daran, dass die Kulenkampff-Sendung Einer wird gewinnen bei uns Familienprogramm war. Meine Eltern mochten „Kuli“ sehr gerne, ich fand ihn einerseits charmant und andererseits total übergriffig und schleimig den weiblichen Kandidatinnen gegenüber. Beide Seiten kommen in den vielen Ausschnitten aus EWG im Film auch gut zur Geltung. Bis gestern hatte ich noch nie darüber nachgedacht, was eigentlich Kulenkampff zur NS-Zeit so gemacht hatte, er war für mich, so gut wird es im Film ausgedrückt, „ein Mann ohne Vergangenheit“ – wie es vermutlich die Mehrheit der Deutschen war, um irgendwie miteinander arbeiten zu können. Ich zitiere mal eine Fußnote aus meiner Masterarbeit, an die ich sofort denken musste: „Hermann Lübbe nennt dieses bewusste Beschweigen eine „nicht-symmetrische Diskretion“ zwischen NS-Tätern und Mitläufern sowie NS-Opfern. Für ihn war diese „Diskretion“ die einzige Möglichkeit, einen neuen, funktionierenden Staat zu errichten, in dem auch Tätern die Möglichkeit gegeben wurde, ihn aktiv mitzugestalten, vgl. Lübbe, Hermann: Vom Parteigenossen zum Bundesbürger. Über beschwiegene und historisierte Vergangenheiten, Paderborn 2007, S. 22. Diese Auslegung Lübbes ist bis heute umstritten, meint auch Norbert Frei, der in dieser Praxis eine „aktive Begünstigung der Täter“ sieht, vgl. Frei, Norbert: 1945 und wir. Das Dritte Reich im Bewusstsein der Deutschen, München 2005, S. 33.“

Auch über Peter Alexander hatte ich nie nachgedacht, der war für mich immer der Kellner aus dem Weißen Rößl, einen Film, den ich noch heute gerne sehe (und bei dem ich mitsinge). In der Dokumentation kommt er ein wenig zu kurz und dient fast nur als musikalische Einlage, die belegt, dass man auch über schreckliche Zeiten schwungvolle Lieder machen konnte. Ich frage mich seitdem, ob das Absicht oder Ignoranz war.

Die Autorin des Films Regina Schilling verknüpft diese Unterhaltungssendungen mit ihrer eigenen Familiengeschichte. Ihr Vater war in etwa der gleiche Jahrgang wie die drei Entertainer, die zu ihren Ersatzvätern wurden, als ihr Vater früh verstarb. Manchmal waren es mir zuviele alte Familienaufnahmen, wo ich lieber noch mehr über die Gesamtgesellschaft erfahren hätte, aber ich mochte diese persönliche Verknüpfung gerne. Genau wie die Schilderung ihrer kindlichen Unschuld, mit der Schilling diese Sendungen sah, bis sie auf einmal Andeutungen verstand, die ihr vorher durchgerutscht waren, und auch ihr klar wurde, dass Unterhaltung keine Auseinandersetzung ist. Oder sogar ihr Gegner.

Ich habe durch den Film wieder an meine eigene Kindheit denken müssen, an meine Eltern, an gemeinsame Fernsehabende, an das allmähliche Verstehen, dass meine Großeltern Teil der NS-Generation waren. Daran, dass ich trotz meiner Beschäftigung mit dieser Zeit über so viele Aspekte eben nicht nachdenke. Dass ich bis letzten Dezember nicht wusste, dass mein Opa bereits 1935 in der Wehrmacht war. Dass die fehlende Auseinandersetzung noch bis in meine Generation weitergeht – und heute von bestimmten politischen Parteien bewusst zurückgedrängt wird. Ich habe durch den Film auch Dinge über Horst Tappert, Robert Lembke und Kulis „Butler“ Martin Jente gelernt, die für mich auch Männer ohne Vergangenheit waren. Das hört anscheinend nicht auf.

Tagebuch, Sonntag bis Dienstag, 5. bis 7. August 2018 – Yay, nay, Serienkonsum

Derzeit treibe ich auch durch die Hitze sehr behäbig durch meine Tage. Am Samstag passierte aber etwas, das mich das ganze Wochenende elektrisierte und mich am Montag um eine Minute nach neun bei jemandem anrufen ließ, bevor viele andere es tun. Das war ein sehr vielversprechendes Telefonat und ihr müsst jetzt mal blind die Daumen drücken.

Gestern führte ich dann leider ein weitaus weniger erfreuliches Gespräch: Die Erb*innen von Carl Grossberg möchten sich nicht so gerne in die Karten bzw. mich in den Nachlass gucken lassen. Ich gehe auch hier nicht weiter ins Detail, aber ich bin nicht die erste, die eine Absage kriegt. Mein Gesprächspartner in einer Galerie, über die ich den Kontakt herzustellen versucht habe, wird nochmal nachfragen, machte mir aber nicht viel Hoffnung auf ein besseres Ergebnis.

Daher schrieb ich zügig eine Mail an den Doktorvater mit der Bitte um ein Gespräch, denn meine ursprüngliche Idee ist ohne einen Einblick in den Nachlass eher doof. Der Mann ist aber gerade in den wohlverdienten Sommerferien wie irgendwie die halbe Stadt. München im August ist fast so seltsam wie Paris im August – keiner mehr da. (Die kommen alle erst zum Oktoberfest wieder.)

Zurück zur Diss: Klar kann ich mich auch bei den bisherigen Quellen über Grossberg bedienen – gerade die eine Diss von 1990 beschreibt viele Dinge und Werke, die ich noch nicht kannte –, aber das kann’s ja auch nicht sein, da nur abzuschreiben. Aber: Ich kann meine Protzen-Recherchen auch in andere Zusammenhänge bringen, was mir bei der Referatsvorbereitung für die Korrekturfee aufgefallen ist. Aber wenn ich ehrlich sein darf, hatte ich mich des Öfteren nur deshalb so diszipliniert durch den banalen Protzen gewühlt, weil ich Naivling dachte, dass irgendwann mein geliebter Grossberg kommt.

(Habe ich jetzt etwa umsonst zwei Stunden lang gescannt? Für über 30 Euro? Ja, Anke, genau *das* ist jetzt dein Problem.)

Gestern regnete es in der Maxvorstadt für ungefähr eine Viertelstunde und ich behaupte, es kühlte sich auf 30 Grad ab.

Und wir hatten Stromausfall! Total aufregend! Ich wunderte mich ein paar Minuten, dass mein Handy, an dem ich gerade rumdaddelte, von W-LAN auf LTE umschaltete, dachte mir aber nichts dabei. (Das Internet. Ein ewiges Rätsel.) Erst als ich mir frische Eiswürfel holen wollte, fiel mir das fehlende Licht im Kühlschrank auf und dann die schwarze Routerbox. Ich guckte in meinen Sicherungskasten – jeder Schalter da, wo er sein sollte. Ich ging ins Treppenhaus und versuchte, das Licht anzuknipsen – nichts. Aha. Es ist also nicht nur meine Wohnung. Dann ging ich tapfer fünf Stockwerke nach unten – wegen des Stromausfalls wusste ich, dass ich sie auch wieder hochgehen musste anstatt den Fahrstuhl zu nehmen und wir wissen ja, wie doof Treppensteigen für meinen kleinen Klumpfuß ist – und guckte, wie es der Leuchtreklame des Getränkemarkts gegenüber ging. Die war auch aus, im Laden war kein Licht, die Jungs standen vor dem Laden und meinten, der Ekeda fünf Häuser weiter sei auch schon dicht, hier hätte gerade niemand Strom. Ich kletterte wieder nach oben und wollte gerade die Stadtwerke anrufen, als meine Routerbox lustig klickte und der Strom wieder da war.

Da habe ich dann auch sofort meine Powerbank wieder aufgeladen, die total leer war, und ich will mir jetzt eine Taschenlampe kaufen. (Den Sicherungskasten konnte ich noch mit der iPhone-Lampe beleuchten.)

Die neue Staffel von Orange is the New Black gefiel mir in ihrer Hoffnungslosigkeit und ihrem Zynismus, aber auch mit ihren teils neuen Allianzen sehr gut und ließ mich die beknackte letzte fast vergessen. Wobei ich Badison dauernd eine reinhauen wollte.

Die neue Folge von The Affair hat mich fertiggemacht. Hier eine wirklich gute Rezension, die aber komplett alles spoilert. Ich weise auf den dritt- und vorletzten Absatz hin, die für mich die Faszination für diese Serie sehr gut zusammenfassen.

Die neue Staffel von Better Call Saul fängt so gut an wie bisher alle Folgen waren, und ich weiß, ich wiederhole mich, aber von mir aus kann es noch fünf Staffeln dauern, bis aus Jimmy Saul wird. Ich mag das Tempo dieser Serie sehr gern.