Tagebuch Dienstag, 2. Oktober 2018 – Familienausflug, zweiter Teil

F. und ich führten vorgestern die Familie auf meiner Seite durch Augsburg, gestern war dann natürlich München dran, wenn man schon mal in der Gegend ist. Ich hatte eigentlich einen kleinen Stadtspaziergang geplant, eventuell ein Museum (die Damen waren daran sehr interessiert), aber die Gang wollte etwas länger ausschlafen und kam daher erst um 11 in der Landeshauptstadt an. Deswegen zogen wir den eigentlich zweiten Tagesordnungspunkt vor: die Mittagswiesn. Bei unserem Seniorentempo hätte der Spaziergang zu lange gedauert, um noch ein halbwegs entspanntes Oktoberfesterlebnis zu genießen, denn der Übergang von der schnuffigen Mittagswiesn zum üblichen Trubel geht recht schnell. Meine Schwiegerschwägerin (oder wie immer das korrekte Verwandschaftsverhältnis lautet) freute sich total: „Alle meine Freundinnen kriegen immer Postkarten von mir von Schlössern und Museen und Kunst – und jetzt bekommen sie eine vom Oktoberfest! Das hätten die mir nie zugetraut!“

Beim letzten Elternbesuch hatte ich festgestellt, dass man mit manchen Senioren etwas anders durch die Stadt gehen muss, daher war ich ein bisschen nervös vor der U-Bahn-Haltestelle Theresienwiese, weil die in den 16 Tagen Festzeit immer und dauernd und gnadenlos überfüllt ist. Die Damen und Herren meisterten das aber alles prima, und so konnten wir fast durch den Haupteingang gehen, den ich natürlich wie immer verfehlte, weil ich sonst von der U-Bahn-Station Goethestraße komme, um eben nicht durch den Haupteingang zu müssen. Wir erwischten den Eingang, der 100 Meter vom großen Torbogen und dem Denkmal für das Attentat entfernt ist, aber ich konnte ihn immerhin noch zeigen, als wir von der Schaustellerstraße in die Wirtsbudenstraße wechselten. Alleine dass es mehrere Straßen gibt, war schon beeindruckend für die Gang, genau wie die Größe der Zelte sowie die Dauer des Aufbaus. Wir fanden auch sofort einen Andenkenstand, der Postkarten und Briefmarken hatte – darauf hatte ich noch nie geachtet, kann jetzt aber sagen: Gibt es.

Eigentlich wollten wir einmal über das ganze Gelände bummeln, um dann zur Oidn Wiesn zu gehen, wo ich es etwas ruhiger finde, aber ich hatte wohl einmal zu oft das Augustinerzelt erwähnt, denn da wollten jetzt alle rein. Wir verteilten uns auf zwei Tische, hatten auch nur ein ausgesprochenes Arschloch am Tisch, über das ich mich den ganzen Tag sinnlos ärgerte, aber der Rest der Oktifestneulinge fand das alles äußerst spannend, guckte sozialforschend in der Gegend rum, orderte Brezn und Weißwurst und war anscheinend zufrieden. Die älteren Herrschaften kamen mit einem bayerischen Ehepaar ins Gespräch und tranken auch brav eine Maß (also zwei zu viert, glaube ich), meine Schwester blieb alkoholfrei, während ihr Mann, F. und ich jeder eine Maß genossen. Sanft angebiert schlenderten wir nach zwei Stunden über den Rest des Geländes, zeigten Brauereipferde, sprachen über die sechs Münchner Brauereien, die auf der Festwiese ausschenken dürfen und brachten auch sonst noch diverse Oktoberfesttrivia an.

Meine Eltern wollten gerne meine neue Wohnung sehen, ich protestierte sinnlos, dass ich gerade erst eingezogen sei, noch nicht eine Lampe hinge und es auch überhaupt nicht aufgeräumt sei, aber das war natürlich allen egal. F. holte Kuchen bei Hildegard (die Dame ist, glaube ich, inzwischen verstorben, aber mindestens pensioniert, aber man geht halt immer noch zu Hildegard), während ich Kaffee in der French Press zubereitete und Tee in Omis Teekanne. Ich wusste, wo alles war! Ich hatte Kaffee und Tee im Haus! Aber nur sechs Stühle, weswegen ich meinen Bürodrehstuhl in die Küche schob und F. sich einen Thron aus Spezikisten bastelte. F. so: „Das sind die meisten Menschen in deiner Wohnung, seit du in München lebst.“ Und damit hatte der Mann sogar recht, ich Einsiedlerkrebs.

Entspannt und gestärkt brachen wir dann endlich zum Stadtbummel auf, der im Prinzip der gleiche war, den ich Papa, Schwesterherz und ihrem Mann vor anderthalb Jahren schon einmal erzählt hatte. Dieses Mal blieben wir etwas länger in der Abgusssammlung, die wir uns letztes Mal geschenkt hatten; durch das Ding renne ich immer durch, wenn ich in die Bibliothek im ZI will. Mein Schwager konnte sich noch an den Sitz des israelischen Konsulats erinnern, über den ich mich ja bekanntlich dauernd und anscheinend auch im Beisein von Verwandten freue, denn das Konsulat liegt souverän in Sichtweite des ehemaligen Führerbaus. Wir gingen auch kurz in die Alte Pinakothek, in der ich das herrliche Treppenhaus von Hans Döllgast vorzeigen konnte, was letztes Jahr noch Baustelle war bzw. wegen der Sanierung nur zur Hälfte geöffnet.

Und dann war es schon wieder Zeit zum Essen, wie das nur immer passiert. Wir kehrten natürlich in den Georgenhof ein, denn auch an den konnte sich die Familie noch als „äußerst wohlschmeckend“ erinnern. Die älteren Herren fochten kurz das Bezahlen aus, wie das halt so ist, dann machte sich F. auf den Weg in die Allianz-Arena, wo Bayern Champions League spielte, während ich die Bande wieder zum Bahnhof begleitete und sie mit Hilfe des Schwagers auch in den richtigen Zug bekam. Die Herrschaften fanden alles ganz toll, wie sie uns mehrfach versicherten, was mich sehr freute, weil es mir alles total improvisiert und zerstückelt vorgekommen war, aber wenn man Gast ist, nimmt man ja eh alles anders auf als als Gastgeber*in.

Ich ließ den Abwasch für heute stehen, schlief beim Stream des Fußballspiels schon auf dem Sofa ein und wechselte in der Halbzeit ins Bett.