Was schön war, Sonntag, 28. November 2021 – Erster Advent

Ich mag die Adventssonntage, dann ist meine Instagram-Timeline immer voller Kerzen. Meinen eigenen Kranz habe ich natürlich auch hergezeigt.

Zeitungen nachgelesen, die ich in der Woche nicht geschafft hatte. Mittagsschläfchen gehalten. In den fallenden Schnee geschaut und mich über meine Balkonbepflanzung gefreut. Ich hatte vor ein paar Wochen der ewigen Insta-Werbung von Plantbox nachgegeben und meine vertrockneten Kräuter gegen die vorgefertigte Bepflanzung namens Pink Berry eingetauscht. Sie gefällt mir außerordentlich gut, auch wenn ich mich beim Vermessen meines Balkonkastens verschätzt habe. „Ach, das wird schon passen“ – schreibt mir das irgendwann auf den Grabstein, unter dem meine krumme und schiefe Urne liegt.

(Hier müssen Sie sich drei verschiedene Fotos der Plantbox auf meinem Balkon vorstellen, die alle doof sind, weil auf dem neuen Mac der Uralt-Photoshop nicht mehr läuft und ich mich gerade mit Gimp anfreunde, aber noch fremdele. Deswegen steht dieser Eintrag auch erst jetzt hier und nicht schon vor einer Stunde.)

Nachmittags kam F. zum Adventskaffee bzw. Adventsostfriesentee vorbei, weil wir zweimal die Date Night nicht einhalten konnten. Es gab Marmorkuchen vom Samstag.

Weiter Dinge über Martinu gelesen, immer schön.

Abends Knoblauch-Chili-Nudeln à la Hot Thai Kitchen gemacht.

Auf dem Sofa eingeschlafen, ins Bett umgezogen. Sehr ruhiger Tag.

Was schön war, Samstag, 27. November 2021 – Brötchen und Bohuslav

Morgens beim Brantner: „Die Semmeln sind heute kleiner als sonst, ich pack dir einfach eine mehr ein, ja?“

Das neue MacBook überzeugt bisher auch durch seinen Ton, auf den ich gar nicht vorbereitet war. Nach neun Jahren Piepsigkeit aus den „Lautsprechern“ des MacBook Air erschrecke ich mich immer noch kurz, wenn gewohnte Serienintros plötzlich Bass, nee, BASS haben. Sehr schön.

Eine meiner sinnvollen Beschäftigungen während der ersten fünf Lockdownchens bzw. der Zeit der freiwilligen Kontaktreduktion war das Anschauen des gesamten Marvel-Universums auf Disney+. Gestern kam der neueste Film dazu: Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings. Hier ein schöner Twitter-Thread als eine Art Sekundärliteratur dazu. Für mich besonders spannend waren die Übersetzungen der chinesisch gesprochenen Dialoge, die ich natürlich nur als englische Untertitel hatte. Der Satz der Mutter, dass sie sehr stolz auf ihren Sohn sei, klang für mich völlig normal, aber anscheinend sagt die Dame eher, dass er der Stolz seiner Mutter sei. Nah dran, aber doch eine andere Implikation. Diese Antwort kam aus diesem Tweet, der als Antwort unter einem von Simu Liu auftauchte, dem Hauptdarsteller von Shang-Chi.

Abends las ich erneut die Biografie von Bohuslav Martinů von F. James Rybka, die ich vor längerer Zeit schon einmal aus der Stabi geholt, aber nicht beendet hatte; Kurzfassung: elend übel geschrieben. Dieses Mal sah ich knurrend über den Stil hinweg, weil ich von diesem Komponisten anscheinend nicht loskomme und mehr über ihn und seine Werkentwicklung wissen möchte.

Wir befinden uns in den 1920er Jahren, Martinů ist von Prag nach Paris umgezogen und komponiert sich etwas von seinen tschechischen Wurzeln weg. Ich las interessiert von einem Stück namens Halftime (1924), zu dem er von „excited spectators at a football match“ inspiriert worden war. „It is considered one of his pivotal works, unlike anything he had ever written before. This piece may be the first for his use of the piano obbligato, an instrumentation that became like his signature in many future compositions. In Halftime, honking horns, loudspeakers, whistles, and sirens pierce the nineteenth-century Romanticism in a grating way. In this work, the rhythm is liberated from the dictates of the bar line, and the brass and winds predominate, similar to Stravinsky yet with a distinctly different coloring.“

Zitat: F. James Rybka: Bohuslav Martinů. The Compulsion to Compose, Lanham/Maryland 2011, S. 48.

Was schön war, Freitag, 26. November 2021 – So weit die Füßchen tragen

Zu Schneefall aufgewacht. Nee, Moment, nochmal: ZU SCHNEEFALL AUFGEWACHT ACH WATT SCHÖN!

Kaffee gemacht und über den Balkon ins Weiße geschaut. Zum wiederholten Male gedacht, dass die Anschaffung der Espressomaschine eine meiner besseren Ideen war.

Den Vormittag verbrachte ich am Rechner, wo ich an meinen ersten Wikipedia-Einträgen arbeitete. Die existieren bisher nur als Word-Dokument und ich muss für beide (mehr sind es noch nicht) auch noch in eine Bibliothek, daher wird das noch dauern, bis sie mal online sind. Aber das hat Spaß gemacht, Kunstgeschichte und das Interweb zu verbinden. Und: Es ist gar nicht so einfach, einen Lexikonartikel zu formulieren. Wieder was gelernt.

Zu dieser Tätigkeit inspirierte mich ein Online-Seminar, das vor gut zwei Wochen stattgefunden hatte; wer ein paar Splitter nachvollziehen will, guckt sich den Hashtag #kuwiki2021 auf Twitter an. Ich scheue mich inzwischen sehr, von Dingen zu reden, die gut an der Corona-Pandemie sind, aber ich hoffe sehr, dass Online- oder Hybrid-Veranstaltungen weiterhin die Regel bleiben, auch wenn wir alle theoretisch wieder entspannt in Zügen oder Flugzeugen sitzen können. Die Möglichkeit, niedrigschwellig und kostengünstig an Veranstaltungen teilzunehmen, finde ich inzwischen sehr wichtig, auch wenn ich auf meiner ersten anständigen KG-Konferenz Anfang Oktober auch verstanden habe, wie wichtig es für das eigene Netzwerk sein kann, persönlich vor Ort zu sein.

Ein letztes Weihnachtsgeschenk kam gestern per DPD. Von mir aus können wir jetzt bis zum 24. Dezember vorspulen. Oder nee, eigentlich bis zum 24. Februar, wenn wir, laut Spahn, alle geimpft, genesen oder ähem sind und alles wieder supi ist.

Ich kann nicht mehr so richtig mit dieser Pandemie. Ich schreibe hier mal wieder bewusst gegen die Verzweiflung an. Auch auf Twitter erliege ich wieder dem Doom-Posting, ich muss dagegen ansteuern.

Die Biokiste ließ bis gegen 15 Uhr auf sich warten. Gleich nachdem ich den Salat in den Kühlschrank und das Obst in die dafür vorgesehene Silberschale auf dem Küchentisch verräumt hatte, machte ich mich zu Fuß auf den Weg in die Stabi. Dorthin radele ich normalerweise, aber bei den vollen Krankenhäusern habe ich ernsthaft Gedankengänge wie „Wenn ich jetzt auf schneenassem Laub stürze, kann sich niemand um meine gebrochene Schulter kümmern.“ Gleichzeitig denke ich: „Im Bus zur Bib sind bestimmt wieder Pimmelnasen.“ Also ging ich wenigstens den Hinweg, und das war sehr schön. Nicht so viele Leute unterwegs wie befürchtet, und ich kam gut und entspannt voran.

In der Stabi war ich vor drei? vier? Wochen das letzte Mal, um Bücher abzuholen. Damals (damals, ha!) galt noch 3G oder ähnlich, der Herr am Eingang guckte flüchtig auf meine Corona-App und winkte mich durch. Das hat sich in der Zwischenzeit geändert: Gestern wurde mein Impfzertifikat gescannt und der Ausweis kontrolliert. Und das vom freundlichsten Menschen aller Zeiten, der sich sehr darüber freute, dass ich da war und mir eine gute Zeit wünschte. Die hätte ich auch gerne im Lesesaal verbracht, wenn da nicht dieses Virus wäre.

Das vermisse ich wirklich: spontan in eine Bibliothek zu fahren, um nur mal eben schnell was nachzugucken, und dann fünf Stunden versacken, weil um mich herum so viel spannende Dinge stehen. So nahm ich fünf dicke Bücher über den Nationalsozialismus mit nach Hause und derart schwer bepackt musste es dann eben der Bus sein, wo natürlich eine junge Dame gerade mit ihrer Mutter diskutierte, welche der teuren Winterjacken es denn sein sollte, und natürlich saß die Maske unterm Kind, weil sie auch noch zwischendurch trinken musste. Niemand im Bus hatte Lust auf Diskussionen, aber ich stieg trotzdem zwei Stationen zu früh aus, scheiß auf die schweren Bücher. Die gute Laune, die mir der Stabi-Einlass verschafft hatte, wollte ich mir nicht von Fräulein „Wolfskin sieht aber so billig aus“ verderben lassen.

Mein Weg führte mich an einem kleinen Blumenladen vorbei, und aus einer spontanen Laune erstand ich dort einen Adventskranz, der vor dem Geschäft stand. Dort bekam ich den Tipp, den Kranz bei Temperaturen leicht unter Null ruhig gut abgedeckt auf dem Balkon zu lagern, auch in den Wochen der Adventszeit. Und zwischendurch schön mit Wasser besprühen. Das wusstet ihr vermutlich alle schon, aber mir hatte das noch niemand gesagt. Auch darüber habe ich mich gefreut: Tipps für lau von Menschen, die Ahnung haben und ihr Wissen teilen wollen. Hier einen geistigen Schlenker zur Wikipedia schlagen.

Eine Avocado und eine Tomate aus der Kiste mit einer Schalotte und Koriander zu Guacamole verarbeitet, das gute Brantner-Brot in Knoblauchöl angeröstet, Postelein aus der Kiste mit dem letzten Rest Eichblatt und Radicchio von letzter Woche vermischt, Festessen. Danach die vorletzte Mandarine. Die können also auch schmecken! Was schön war, ist und vermutlich noch lange bleiben wird: Biokiste. Was die für einen Unterschied macht! Ich bin immer noch fassungslos, wie lange ich eher mieses Obst und Gemüse gegessen habe. Das hatte finanzielle Gründe, aber trotzdem. Ich habe ja auch keinen Wein für fünf Euro gekauft, weil der günstiger ist. Bei dem wusste ich, dass man für fünf Euro nur Schrott kriegt. Wieso glaubte ich dann, dass es bei Gemüse anders ist? (Pandemie Brain.)

Abends gab’s das BR-Benefizkonzert mit Mahlers 9. Sinfonie. Und danach schlug mir Spotify die Pianistin Di Xiao und ihr Album mit Werken weiblicher Komponisten vor; dabei lernte ich Cécile Chaminade, Mélanie Bonis, Maria Szymanowska und Cecilia McDowall kennen, immerhin Clara Schumann kannte ich.

Das war ein schöner Tagesabschluss. Leider keine Date Night, aus Gründen, wird heute hoffentlich nachgeholt.

Und dann beim, natürlich, Doom Scrollen im Bett noch mitbekommen, dass Stephen Sondheim gestorben ist. Das erste Lied, das ich in meiner ersten Gesangsstunde singen durfte, war „Send in the clowns“. Dafür habe ich mal den betreffenden Eintrag aus dem alten Blog ins CMS kopiert: 7. September 2004, Anke geht singen.

Tagebuch Mittwoch, 24. November 2021 – Neuer Rechner

Erster Blogeintrag vom neuen Macbook Pro. Das gute alte Macbook Air von 2012 wird langsam leergeräumt. Gestern brachte mir UPS das wagenkalte Paketchen, ich öffnete es, bewunderte das schicke Stück Technik, und ging dann erstmal zur Packstation, wo ein Adapter auf mich wartete, damit ich meine externe Festplatte mit USB-Anschluss auch an das schicke Stück Technik ohne USB-Anschluss andocken konnte. Das Migrieren ging problemlos, und nach fünf Stunden konnte ich erstmals vernünftig am neuen Rechner rumklicken.

Meine Mails waren nicht mitgekommen, die lud ich ordnerweise in die Dropbox hoch und wieder runter und musste sie notgedrungen alle nochmal anklicken bzw. über sie rüberscrollen bzw. sie überfliegen, um den „HEY, NEUE MAIL“-Punkt am jeweiligen Mailcluster wegzukriegen, der mich sonst wahnsinnig gemacht hätte. Es wird vermutlich eine Möglichkeit geben, alles als gelesen zu markieren, aber danach zu googeln, fiel mir eben erst beim Tippen ein. Und so überflog ich gestern nochmal mein gesamtes Studium plus die Zeit nach der Dissertationsabgabe und war danach etwas wehmütig. Mit dem Air gehen halt auch alle Hausarbeiten, die Bachelor- und die Masterarbeit und der Buchtext, den ihr euch nächstes Jahr aus der wissenschaftlichen Bibliothek eurer Wahl holen könnt.

Für eine Migrierungsfrage rief ich Kai an, den Ex-Kerl, und wir telefonierten ein bisschen. Das war schön.

Der neue Rechner heißt wie meine beiden Omas hießen, das ist auch schön. Mach’s gut, Gomez, du bist jetzt raus.

Tagebuch Montag, 22. November 2021 – Erholen von der Erholung

Ich brauche immer mindestens einen Tag, um mir den Norden aus den Knochen zu schlafen bzw. rauszukochen und der war gestern.

Blöderweise konnte ich nicht ausschlafen, da die gute Hausverwaltung mir für 8 Uhr morgens einen Monteur angekündigt hatte, der sich meines gerissenen Riemens der Außenjalousie annehmen wollte. Seit Beginn der Pandemie war praktisch nur F. mal länger in meinen heiligen Räumen, einmal, wenn ich mich richtig erinnere, unser Podcastmitstreiter, und irgendwann wurden mal die Heizkörper und Rauchmelder überprüft, aber das dauerte nur fünf Minuten. Gestern war der Herr aber eine gute Stunde beschäftigt – immerhin mit Maske reingekommen und danach sofort die Fenster aufgerissen, was natürlich auch damit zu tun hatte, dass er an den Außenrolladen ranwollte. Wie praktisch. Der Herr durfte auch meine Toilette benutzen, während ich ein Zimmer weiter weg am Rechner saß, die ganze Zeit mit FFP2-Maske. Sobald er gegangen war, setzte bei mir die totale Übersprungshandlung ein, ich riss alle Wohnungsfenster groß auf, die bisher gekippt waren, desinfizierte so ziemlich alles, was der Herr angefasst haben könnte und trug die Maske noch mindestens eine Stunde, also bis kurz vor dem Erfrierungstod. Ich kam mir völlig bescheuert vor, betrachte aber auch heute noch Tür- und Fenstergriffe misstrauisch und finde mich total überspannt. Danke, Corona, du verdammte Nervensäge. Als ob ich nicht schon anstrengend genug wäre.

Aber immerhin musste ich nicht vor die Tür, bis auf den kurzen Gang zum Briefkasten, um die Zeitung zu holen. Denn: Meine freitägliche Biokiste war netterweise von meiner Nachbarin entgegengenommen worden. Ich hatte ihr als Dankeschön für das nutzlose Runterscheuchen vor dem Levit-Konzert zwei Äpfel aus meiner Kiste an die Tür gehängt. Die haben ihr so gut geschmeckt, dass sie seitdem auch Kisten-Abonnentin ist, und daher konnte meine Kiste einfach an sie geliefert werden, während ich noch im Norden war. Die stand dann Sonntag, als ich ankam, vor meiner Tür, und gestern wurden daraus ein paar Mohrrüben zu Ofenmohrrüben. Bei Masterchef hatte ich gerade ein kleines Kartoffeltörtchen gesehen, das wurde spontan nachgekocht: Einfach Kartoffelbrei mit Schalotten und wer mag noch einem Eigelb (bei mir ohne) in einen Servierring quetschen und in Butter braten. Bei mir lagen noch ein paar Thymianzweige und Knoblauchzehen in der Butter.

Beim Vorbereiten der Karotten freute ich mich über eine Idee, die ich vor wenigen Wochen gehabt hatte. Meine Gewürze liegen fürchterlich ungeordnet durcheinander in einer Kiste. Ich habe kein Regal oder eine große Schublade und fieserweise keinen Platz für irre kluge und ästhetisch ausgewogene Dosensammlungen, alles liegt halt in der Box, die ich komplett durchwühlen muss, um Chilipulver oder Zimt oder die vermutlich lose rumfliegenden Sternanisnupsis zu finden. Aber jetzt nicht mehr, denn ich habe die Gewürze neuerdings thematisch in kleineren Boxen versammelt und kann diese einzeln aus der großen Box heben. Und so brauchte ich nicht nach drei Döschen oder Gläschen zu suchen, sondern nur nach der orientalisch-indischen-Ottolenghi-Box, um mit einem Griff Koriander, Kreuzkümmel und Kurkuma zu haben. Es hätte auch die italienische-Kräuter-Box werden können oder die asiatisch-scharfe oder die süße mit Vanille, Zimt und eben den Sternchen. Das ist schön, wenn Zeugs funktioniert. Oma Gröner kauft jetzt weiterhin Mövenpickeis, nur um an die Boxen zu kommen. Ich werde wie meine Mutter enden, mit achthundert leeren Dosen in einem Kellerabteil.

Ach, und noch was hat funkioniert: Ich habe mich jahrelang nicht getraut, Omas Geschirr mit dem Goldrand in den Geschirrspüler zu stellen. Das 60er-Jahre-Geschirr, wie oben auf dem Foto zu sehen, ist mir aber schon diverse Mal in knuffig-szenigen Kneipen oder Bistros aufgefallen, und irgendwie glaube ich, dass kein Gastrobetrieb Geschirr verwenden würde, das nicht maschinell gespült werden kann. Also wagte ich gestern den Test und stellte den Teller, von Kartoffelkuchen und Möhren befreit, in den Geschirrspüler. Heute morgen konnte ich feststellen: Goldrand ist noch vollständig dran. Zweiter Gedanke: 20 Jahre nutzlos mit der Hand gespült, ich Honk. Aber Omis Blümchengeschirr kann bestimmt nicht in die Maschine! Jedenfalls probiere ich das nicht aus.

Tagebuch 16. bis 21. November 2021 – Nordwoche

Mein Mütterchen in eine Arztpraxis gefahren und sie wieder nach Hause chauffiert. Pflasterwechsel durchgeführt. Ihr geht’s gut, das ist schön.

Am Dienstag abend F. vom Bahnhof des alten Heimatdörfchens abgeholt, der sich auch ein paar Tage im Norden erholen wollte. Das hat für ihn vermutlich besser geklappt als für mich; ich war doch eher eingeplant für Dinge, von denen ich vorher nichts wusste, und daher zwischendurch arg angespannt. F. brachte unser Lieblingsbrot als Gastgeschenk für Mütterchen und Schwesterchen mit und seine Kamera. Eigentlich steht dieser Blogeintrag hier auch nur, weil ich mit dem supertollen Vogelhäuschen in Fachwerkoptik angeben möchte, das mein Schwager schon vor längerer Zeit gebaut hatte und das auf der elterlichen Terrasse sehr erfreut.

Man kann das ganze Häuschen von der Grundplatte abnehmen und sie so säubern. Man kann außerdem ein Türchen öffnen, wenn man gerade keine Lust auf Saubermachen hat und nur einen Becher Körnerzeug einstreuen will. Durch das Türchen passen Arm und Hand, aber in geschlossenem Zustand keine dicke Amsel oder Taube. Elstern können sich bei Bedarf dünn machen, aber meisten finden sie es zu anstrengend, und der Meisenknödel hängt ja auch total einfach zugänglich nebenan. Im Häuschen tummeln sich Meisen und ein paar arme Rotkehlchen, die von allen verscheucht werden. Ich lernte von F. und dem Mütterchen noch, wie ein Kleiber aussieht und ein Buchfink. Die Fotos sind von F.

Am Mittwochabend fuhren F. und ich per S-Bahn nach Hannover und besuchten das Jante. Es galt 2G, ich war drittgeimpft, und wir fühlten uns sofort wie zuhause. Das Essen war das spannendste, was wir in diesem Jahr hatten, was ein fieser Vergleich ist, weil wir nicht oft essen waren, die Pandemie, Sie kennen das, Sie sind ja dabei. Aber da gab es Geschmackskombinationen, die sich mir sofort erschlossen, und andere, über die ich immer noch nachdenke wie Jakobsmuscheln mit frischen roten Johannisbeeren. Tolle Weinbegleitung, toller Service, bequeme Stühle – leider nicht selbstverständlich in Sterneläden –, rundum ein wirklich schöner Abend, der einen die Pandemie, Sie kennen das usw., fast vergessen ließ. Das war mal nötig und schön und ich werde noch lange davon zehren.

Am Donnerstag und am Samstag besuchte ich Papa im Pflegeheim, in dem er seit August lebt. Man musste Fiebermessen, sich die Hände desinfizieren, einen Kontaktbogen ausfüllen, und weil es mein erster Besuch war, wurde auch mein Impfzertifikat geprüft. Die Dame am Empfang fragte, wie es mir nach der Drittimpfung ergangen war, ihre wäre morgen, und ich konnte berichten, dass ich bis auf ein Ziepen an der Einstichstelle null, also wirklich null Nebenwirkungen gespürt hätte. Das hat sie gefreut.

Am Freitagabend kamen Schwester und Schwager zu uns und wir tranken zu viel Sekt, am Samstag gingen F. und ich zu ihnen und wir aßen zu viel griechisches Essen. Beides hervorragend und ebenfalls dringend nötig.

Am Sonntag ging unser Zug wieder nach München, wobei wir tagelang darüber scherzten, wie bescheuert wir sind, aus einem Quasi-Niedriginzidenzgebiet in ein Hochrisikogebiet zu fahren, bei dem ich stündlich auf neue Ausgangssperren und Lockdownnachrichten warte. Es ist mir inzwischen alles recht, führt die Impfung verpflichtend ein, macht alles zu und dann alles wieder auf, ich mag nicht mehr. Und ich brauche ein Vogelhäuschen für meinen Balkon, das hilft kurzzeitig sehr.

Tagebuch Montag, 15. November 2021 – Hammerklaviersonate

Ich habe den halben Tag im Zug nach Norden verbracht, frisch getestet und drittgeimpft, an mir sollen die Inzidenzzahlen nicht liegen. Dort hörte ich wie immer den Beethoven-Podcast mit Igor Levit, den ich seltsamerweise wirklich nur auf diesen Fahrten höre. Inzwischen bin ich in den 32 Folgen bei der 29. angelangt, wo es um die Hammerklaviersonate geht, hier von Levit eingespielt. Dort kam folgender Dialog, den ich sehr passend fand, leicht editiert:

„Es ist anders als alles vorhergegangene. Steig ein, lass dich drauf ein […] ohne Blessuren gehen wir hier nicht raus. Niemand geht aus der Hammerklaviersonate ohne Blessuren raus. Wer das schafft, mit dem habe ich Mitleid. […]

Es ist so schwer. So viel man zu diesem Stück sagen muss, sagen sollte und sagen und zeigen kann – es ist eigentlich zu viel für ein Gespräch, für ein Konzert, für ein Hörerlebnis, für einen Podcast – es ist zu viel. Ich kann an diesem Stück ziemlich gut mein grundsätzliches Problem mit Musikvermittlung herleiten. Zum Beispiel mein Problem mit Konzerteinführungen.“ Levit erzählt von einem Fugenthema im vierten Satz in der Sonate, das irgendwann im zweiten Teil eines Konzerts gespielt wird, nachdem die Einführung um 18.30 Uhr war, das Konzert begann um 19.30 Uhr, gegen 20.30 Uhr gab’s die Pausenhäppchen und einen Sekt, und dann irgendwann um 21.30 Uhr kommt diese Fugenstelle, die in zehn Sekunden vorbei ist: „Drei Stunden vorher wird erzählt, da irgendwann im vierten Satz gibt’s eine perfekte Umkehrung des Fugenthemas, am besten schreibe ich es noch ins Programmheft. Wer erinnert sich denn daran? Ich [als Pianist] habe keine Zeit darüber nachzudenken, du [als Zuhörerin] hast gar keine Zeit, darüber nachzudenken, das ist eine Überforderung. Das kannst du danach lesen. Ich hab ein Problem damit, weil es mir als Hörer nichts Gewinnbringendes gibt. Das Problem in diesem Stück – und die Chance in der Hörrezeption – ist: Es ist zu viel. Ich bin überfordert. Ich [als Pianist] selbst sogar. Aber die Chance ist: Du kannst die Leute einfach an der Hand packen und sagen: Tauch ein, jetzt wird’s brutal.“

„Ist das nicht fast eine religiöse Frage? Es gibt Texte, Hervorbringungen, Phänomene, die sich erst in der wiederholten Rezeption überhaupt öffnen können. Musik ist so schrecklich und so brutal in ihrem Vorübergehen, dass es ja Leute gibt wie Rudolf Kolisch, die gesagt haben, das ideale Musikerlebnis ist das lesende, denn die Stellen in ihrer komplexen Verwobenheit können wir beim Lesen immer wieder abtasten wie ein Gemälde, als wäre es tatsächlich etwas Visuelles. Tatsächlich ist aber dieses Vorübergehen und ständig etwas Verpassen und ständig in die eigene Unsicherheit geworfen zu werfen, eigentlich das, was die Musik so unverzichtbar macht: eine Demutsübung. Hier ist etwas, da muss ich mich anstrengen.“

„Deswegen liebe ich dich, weil du gerade was gesagt hast, von dem ich mir wünschen würde, man würde es vor Konzerten mal hören: Das ist jetzt die essentielle Information über das, was dir geschehen wird. Es ist nicht die essentielle Information, sich mit erhobenem Zeigefinger hinzustellen und zu sagen, hier kommt eine Fugenumkehrung. […] Wichtig zu wissen ist das, was du eben gesagt hast: das ständige Geworfenwerden in die eigene Unsicherheit.“

„Aber es gibt ja eine Ordnung, es ist ja zivilatorisch etwas ganz Großartiges. Es gibt von Harnoncourt ein schönes Bild. Er meinte, Brahms habe so komponiert wie die gotischen Baumeister, die selbst Stellen, die nie ein irdisches Wesen sehen würde, mit Skulpturen verziert haben. Dieses Wissen, es gibt Codes, sichtbar und unsichtbar. Es gibt ganz viel Ordnung in diesem Werk, die wir beim ersten Mal wahrnehmen, aber wir wissen auch, es gibt noch so viel mehr.“

Das nicke ich alles total unwissend ab. Hört die Hammerklaviersonate, es macht den Tag besser.

Tagebuch Donnerstag, 11. November 2021 – Umbruch und Abriss

Schreibtischtag. Ersten Umbruch durchkorrigiert – ging dann doch mit den Fehlern, fühlte sich beim Lesen schlimmer an. An den Verlag zurückgeschickt.

Keine Lust zum Kochen gehabt, Käsebrote über den Tag verteilt, viel Tee getrunken. Abends per Zoom einem Seminar zu Wikipedia und Kunstgeschichte zugehört, das heute und morgen noch weitergeht.

Bei der Jalousie in der Bibliothek (aka Wohnzimmer) bemerkt, dass sich ein paar Fäden am Riemen lösen, mit dem man das Ding raufzieht oder liebevoll und leise herunterlässt, um den Nachbarn keinen Herzinfarkt zu bescheren. Da sollte ich wohl mal die Verwaltung anrufen, ehe sich das verschlimmert.

Heute morgen war ich schon um halb sieben hellwach und wollte die Jalousien hochziehen. Raten Sie, was passiert ist. Gerade kleinlaut mit der Verwaltung telefoniert und innerlich alle Nachbarn um Verzeihung gebeten, die vermutlich um halb sieben ebenfalls hellwach waren, gezwungenermaßen.

Tagebuch Mittwoch, 10. November 2021 – „Things fall apart“

Weiterhin Korrektur gelesen. Den Textteil habe ich erneut niedergerungen, jetzt kommt der große Anhang, bei dem ich mich immer zu Konzentration zwingen muss. Dafür habe ich aber bisher recht wenige Fehler gefunden, slow clap. Ein winziger Thread:

Seit Kurzem nutze ich auf Twitter übrigens Alt or not, eine Erweiterung, die bei mir in Chrome dafür sorgt, dass ich nicht vergesse, Alt-Text, also Bildbeschreibungen für meine angehängten Fotos zu erstellen. Bei den Antworten habe ich das hier schmählich vergessen.

Gestern ausgelesen: Things Fall Apart von Chinua Achebe. Ich klaue mal aus der Wikipedia:

„Achebe gilt als der Begründer der modernen nigerianischen Literatur und weltweit als einer der herausragenden englischsprachigen Schriftsteller. Seine Werke wurden in rund 50 Sprachen übersetzt. Dabei entwickelte er einen eigenen Stil, der auf der Erzähltradition seiner Heimat aufbaut. Er verzichtete bewusst auf europäische Literaturkonventionen, verarbeitete jedoch nigerianische Erzählungen in seinen Romanen. Nach seinen eigenen Worten „sollte jede gute Geschichte, jeder gute Roman, eine Botschaft enthalten, einen Zweck haben“.

Sein erster Roman ‚Things Fall Apart‘ gilt heute als Meilenstein der afrikanischen Literatur. Das rund 200 Seiten umfassende Werk erschien 1958 auf Englisch in London. Darin erzählt Achebe die Geschichte der nigerianischen Igbo in den 1890er Jahren. Der Bildungsroman schildert in realistischer Erzählweise im ersten Teil Wirtschaft, Kultur, Traditionen, Religion und Geschlechterverhältnisse einer Dorfgemeinschaft. In einem zweiten und dritten Teil werden die Auswirkungen der neuen christlichen und kolonialistischen Einflüsse auf das Dorfleben dargestellt.

1975 kritisierte er in einer Rede an der Universität von Massachusetts das Bild Afrikas in der Erzählung ‚Herz der Finsternis‘ von Joseph Conrad und erntete zunächst viel Kritik. Später wurde diese Kritik weitgehend als legitim anerkannt und als Wasserscheide in der postkolonialen Rezeption von Conrad gewürdigt.“

Das werde ich wohl als nächstes lesen. Oder als übernächstes, denn gestern Abend begann ich mit Andreas PlatthausLyonel Feininger: Porträt eines Lebens. Aus dem Klappentext lernte ich, dass Platthaus kein Kunsthistoriker ist, was mich sehr überraschte – ich habe die FAZ auch wegen seiner in meinen Augen hervorragenden Ausstellungsrezensionen wieder abonniert. Ich ahne, dass es damit zusammenhängt, dass er nicht so viel schwafelt, wozu mein Fach manchmal neigt, wie F. es immer so liebevoll ausdrückt, der kleine Naturwissenschaftler. Ich kann ihm leider nicht widersprechen.

Falls ihr „Things Fall Apart“ auf Deutsch lesen möchtet – es gibt eine Neuübersetzung von 2012, die ich allerdings nicht beurteilen kann. Ich ahne aber, dass sie das Ursprungsmaterial etwas sensibler behandelt hat als die Erstübersetzung aus den 1950er Jahren.

Tagebuch Dienstag, 9. November 2021 – Die nächsten 80 Seiten

Weiter im Buch korrigiert, weiter gejammert, dass da immer noch Fehler sind, mich aber gleichzeitig, wie bereits gestern erwähnt, über so ziemlich jede Seite gefreut, weil sich jemand einen Kopf ums Layout gemacht hat. Viele Zitate enden wie durch Zauberei genau am Seitenende, ich habe sehr selten Übergänge von Zeile zu Zeile gefunden, bei denen ich stutzte – „7 Münchner Maler“ war einer davon, da hing die 7 in einer Zeile, während der Rest schon in der nächsten war, sowas merke ich halt an. Wenn die Seite sonst super aussieht, mit einer Zusatznotiz wie „Wenn die Seite nach der Änderung blöd umbricht, bitte lassen“. Ansonsten gucke ich immer, wie ein anderer Zeilenumbruch sich auswirken würde, aber ich kenne von meinen Werbegrafiker*innen zumindest vom Zuschauen die ganzen tollen Spationierungstricks, die sie so draufhaben und von denen ich als Word-Benutzerin nur träume.

Nochmal Rosenkohl und Kartoffeln mit Misobutter gegessen, Rosenkohl ist immer noch nicht aufgebraucht. Heute werde ich ihn zu Pesto verwandeln, dann müsste die Tüte leer sein.

Nichts an Impf-Neben- oder -nachwirkungen zu spüren. Keine Kopfschmerzen, keine Mattigkeit, alles normal.

Gerne gelesen: „BioNTech sorgt für Geldregen.“

„Der kometenhafte Aufstieg des Mainzer Impfstoffherstellers BioNTech sorgt bei der Stadt für einen nie gekannten Geldregen. Statt mit einem Haushaltsminus von 36 Millionen Euro rechnen die Oberen der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt alleine für dieses Jahr mit einem Überschuss von sage und schreibe einer Milliarde und neunzig Millionen Euro. Im nächsten Jahr sollen es noch einmal fast eine halbe Milliarde Euro werden. „Damit bietet sich Mainz eine historische Chance“, sagt Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD). Für den grünen Finanzbürgermeister Günter Beck ist die neue Ausgangslage schlicht „historisch“. Den genauen Anteil der BioNTech-Gewerbesteuern nennt die Stadt nicht, aber er dürfte fast doppelt so hoch liegen wie das gesamte Gewerbesteueraufkommen aller Mainzer Unternehmen. Dank des Erfolges seines Covid-Impfstoffes hat BioNTech alleine im ersten Halbjahr 3,9 Milliarden Euro verdient.“

Der Rest des Artikels befasst sich mit den Dingen, die von der Gewerbesteuer bezahlt werden könnten, zum Beispiel Schulden. Es sollen sich weitere Biotechfirmen ansiedeln, schön im Zusammenspiel mit Uni und anderen Forschungseinrichtungen, es könnten bis zu 5000 Arbeitsplätze entstehen, man könnte den Pensionsfond neu aufstellen. Böse, böse Pharmaindustrie. Aber: Nicht übermütig werden:

„Mainz will dauerhaft nicht von BioNTech abhängig sein, das ist ebenfalls Teil der neuen Strategie. Die Gewerbesteuern sollen sich auf mehr und neue Schultern verteilen. Fälle, in denen der Haushalt einer Stadt wesentlich an einer Firma hängt, gibt es bis heute in Hülle und Fülle, einige Firmen tragen sogar den Ort im Namen, wie Boehringer Ingelheim oder B.Braun Melsungen. Sindelfingen hatte einst im Überschwang der Gewerbemillionen von Daimler sogar Zebrastreifen aus Carrara-Marmor verlegt.“

Nicht so gerne gelesen, aber dann doch, weil wichtig: Was geschah am 9. November 1938 in Niedersachsen?

„Begonnen wurde das Projekt im Jahr 2018 anlässlich des 80. Jahrestages der Novemberpogrome aus einem Praxisseminar am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover in Kooperation mit der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten. Zahlreiche Initiativen, Gedenkstätten und Einzelpersonen aus vielen Teilen Niedersachsens haben sich inzwischen dem Gemeinschaftsprojekt angeschlossen. Viele Forscher_innen und Stadtarchivare halfen mit Hinweisen. Entstanden ist eine Website, an der bisher über 100 engagierte Menschen – überwiegend ehrenamtlich – mitgearbeitet haben. Ihnen allen ist ebenso herzlich zu danken wie den zahlreichen Archiven und Privatpersonen, die Dokumente und Fotos zur Verfügung gestellt haben, von denen einige bislang unveröffentlicht waren.

Das Projekt ist auf Mitmachen und Weiterarbeit angelegt. Zu manchen Orten gibt es bislang nur Kurztexte. An anderen Orten bleibt manches ungeklärt. Vielleicht ist auch das eine oder andere Detail in unseren Texten noch überarbeitungsbedürftig, oder es lässt sich präzisieren. Manches bislang unbekannte Foto liegt noch – in seinem Wert unerkannt – in einem Schuhkarton auf dem Dachboden. Wer Infos oder Fotos hat, wer bislang nur mit einem Kurztext oder gar nicht aufgeführte Orte ausführlich vorstellen möchte: Jede und jeder ist willkommen, an dem Projekt mit- und weiterzuarbeiten.“

Via Jens-Christian Wagner.

Tagebuch Montag, 8. November 2021 – Booster Babe

Das Mütterchen wird nächste Woche operiert (eigentlich nichts Wildes), und deswegen werde ich im Zug sitzen und ein paar Tage im Norden sein. Dort werde ich auch Papa wiedersehen, der seit August in einem Pflegeheim lebt, wo ich ihn noch nicht besucht habe. Beides macht mich angemessen nervös, aber noch nervöser machen mich die Inzidenzen, die, total überraschend, damit konnte wirklich niemand rechnen, echt jetzt, seit Wochen durch die Decke gehen und diesen Winter – trotz vorhandenem Impfstoff – vermutlich ähnlich fürchterlich machen werden wie den letzten. I am Jack’s richtig schlechte Laune.

Meine Zweitimpfung war am 20. Mai, ganz schaffe ich es nicht, nach punktgenauem Ablauf der sechs Monate wieder in München zu sein, aber man kann sich ja schon mal um einen Termin im Impfzentrum kümmern. Also klickte ich gestern auf die Seite, auf der meine Daten auch noch vorhanden waren – und warum auch immer, suchte ich kein Datum, sondern guckte einfach, was passierte, wenn ich die Schaltfläche „Nächstmöglicher Termin“ anklicke. Und die sagte zu meiner Überraschung: kannst in vier Stunden vorbeikommen, Hase.

Ich überlegte laut auf Twitter, ob ich das machen sollte, denn eigentlich wäre ich noch nicht dran, aber (siehe oben: schlechte Laune) EIGENTLICH KÖNNTEN AUCH SCHON ALLE GEIMPFT SEIN, aber nein. Was mich wirklich wütend macht: Die Menschen, die lautstark rumquengeln, dass hier Grundrechte außer Kraft gesetzt werden (weil du ne Maske tragen musst? Echt jetzt?), sind diejenigen, wegen derer wir alle Einschränkungen hinnehmen. Daher war ich bockig und so klickte ich auf „Termin annehmen“.

Danach war nicht mehr wirklich an konzentrierte Arbeit zu denken, aber immerhin: Das Buch ist halb durchkorrigiert und ich darf verraten: Es wird wunderschön. Ich freute mich quasi auf jeder fünften Seite über irgendeine kluge Layout-Entscheidung und werde jubilierende Mails an die Produktion schreiben. Und dann vorsichtig auf die 100 Korrekturen hinweisen.

Ich nahm wie immer zwei U-Bahnen zu früh, stieg professionell in den Bus und war dann gespannt, wie sich das Impfzentrum seit Mai verändert hatte. Es gibt keine zwei Eingänge mehr für Erst- und Zweitimpfung, man geht einfach durch, es gibt nur noch eine Halle, nicht mehr eine für die Anmeldung und eine für die Impfung. Die Anmeldung ist jetzt nämlich auch hier – und man muss erstmal sehr lange anstehen. Natürlich hat das Impfzentrum personell sehr abgebaut, WIR SIND JA QUASI SCHON ALLE GEIMPFT, NICHT WAHR, aber dass ich 40 Minuten in der Schlange stand, war dann doch unerwartet und mein Termin im Prinzip egal, weil ich ihn nie pünktlich geschafft hätte, auch mit fünf U-Bahnen zu früh nicht.

Ich hatte den Anamnesebogen vom RKI wieder vorher ausgefüllt, musste aber trotzdem nochmal alle Fragen beantworten. Ich wurde natürlich auch gefragt, warum ich jetzt schon hier sei, ich erklärte, der freundliche junge Mann meinte, er könne das nicht entscheiden, würde mich aber zu den Impfkabinen durchschicken, wenn der Arzt oder die Ärztin das abnicke, könnte ich geimpft werden. Deal.

Hinter der Anmeldung kam die nächste Schlange, dieses Mal zu den Impfstoffen, es gab nur noch die Mittel von Biontech und Moderna. Das konnte ich mir nicht aussuchen, versuchte es aber auch nicht, ich wollte nur irgendwas in den Arm. Laut irgendeiner Studie ist Moderna sogar einen Hauch besser nach zweimal Biontech als ein drittes Mal Comirnaty, aber egal, gib Impf. Ich stand also in der Biontech-Schlange, als mich ein weiterer Mitarbeiter ansprach, ob schon jemand meine Dokumente gecheckt hätte, ich verneinte, zeigte alles vor, und da fehlte doch tatsächlich der Aufklärungsbogen, den ich mir nicht ausgedruckt hatte. Der gute Mann besorgte einen, ich unterschrieb und durfte weiter in der Schlange bleiben. Er freute sich aber, dass ich den Anamnesebogen schon mitgebracht hätte, woraufhin ich meinte, ich sei ja nicht zum ersten Mal hier. Er so: „Und vermutlich nicht zum letzten.“

Dann kam auch schon die Kabine, wo eine weitere Mitarbeiterin auf mich wartete, die üblichen Dinge fragte und dann, warum ich schon hier sei und nicht erst in zwei Wochen. Ich erklärte, sie nickte, füllte alles aus, was ausgefüllt werden musste, klebte das Comirnaty-Schildchen in meinen Impfpass und meinte, der impfende Arzt käme gleich. Und dann musste ich doch heulen, worauf ich eigentlich seit der Erstimpfung gewartet hatte. Sie fragte, ob alles in Ordnung ist, ich meinte nur, dass ich Angst gehabt hätte, wieder weggeschickt zu werden, worauf sie schon den Kopf schüttelte. Ich bedankte mich für die vorgezogene Impfung, und sie meinte, das sei ja wohl selbstverständlich. Die SZ schrieb gestern ähnlich, dass niemand weggeschickt wird, der sich impfen lassen will, und im Nachhinein denke ich auch, dass meine Angst unbegründet gewesen ist, aber man weiß ja nie.

Tränchen getrocknet, da waren auch schon der Arzt und ein weiterer Mensch, der Arzt erklärte nochmal, der andere impfte, ich nickte zu allem, und dann war ich drittgeimpft und ruhte mich die üblichen 15 Minuten in der Wartehalle aus, die auch deutlich verkleinert wurde im Vergleich zu den beiden vorherigen Impfungen.

Die Kraft reichte noch dafür, ein paar Bücher aus der Stabi zu holen, wo ich noch mein Zweitimpfungszertifikat herzeigte, das für die neue scannte ich erst zuhause in die Corona-App ein. Auch hier wurde nicht gescannt, sonder nur draufgeguckt, kein Ausweis verlangt, und ich bin immer mehr genervt davon, wie egal die Schutzvorrichtungen zu sein scheinen, wird schon irgendwie gut gehen, nee, geht es eben nicht.

Heute morgen ziept die Einstichstelle etwas, ansonsten geht’s mir gut, ich habe tief und gut geschlafen. Die Erstimpfung war bei mir überhaupt kein Problem, die zweite legte mich für einen halben Tag mit Kopfschmerzen und Grippesymptomen flach, und jetzt gucke ich mal, was die dritte Dosis so mit mir macht. Auf jeden Fall fühle ich mich deutlich wohler als noch gestern morgen und kann mich nun endlich ein bisschen auf die Woche im Norden vorfreuen. Danke, Impfzentrum, wie immer ein angenehmer Aufenthalt. Ihr rockt.

Tagebuch Freitag bis Sonntag, 5. bis 7. November 2021 – Gut gegessen

Ich wollte nur kurz festhalten, was ich so Leckeres in den letzten Tagen gekocht habe. Los ging’s schon vor einer Woche mit Grünkohl, der frisch und kaum sandig in meiner Ökokiste lag. Kartoffeln dazu gekocht und kurz noch in Schmalz angebraten, ein kleines Stück Kasseler und zwei Kochwürste mit dem Kohl und Zwiebeln und ein bisschen Gemüsesuppe ein knappes Stündchen vor sich hinsimmern gelassen, fertig. Totales Kindheitslieblingsessen, damals noch mit Bregenwurst, heute mit irgendwas anderem, aber ja, da muss (noch) Fleisch ran. Wer Tipps für vegetarische Wurst hat, die zu Grünkohl passt, gerne per Twitter.

In der Kiste war auch wieder eine Aubergine; aus der letzten hatte ich Moussaka gemacht, die hier wurde nur in Mehl und Ei gewälzt und ausgebraten. In derselben Pfanne röstete ich auch zwei Scheibchen Brot und ein paar Blätter Radicchio durften auch blitzschnell ins Fett, dann kam alles übereinander und war sehr gut. Dazu gab’s Gurkensalat, weil ich gerade nichts lieber esse als Jogurt. Gurke esse ich immer, quasi zu allem außer Nutellabrot.

Zur freitäglichen Date Night kochte ich alleine, denn F. ist nicht so der große Rosenkohlfan. Bin ich eigentlich auch nicht, aber vielleicht kriege ich mich ja dazu. Das erste Rezept, das ich ausprobierte, war für einen Salat, der bei mir aber ein Nudeldressing wurde. Anstatt den Rosenkohl in der Sauce zu wälzen, mischte ich Spaghetti unter sie, ich war sehr hungrig nach dem Schreibtischtag, und gab das Gemüse erst mit Koriander und Minze dazu. Das Dressing war gut, aber so hundertpro hat es mich nicht überzeugt. Ich hatte den im Ofen gerösteten Rosenkohl ganz gelassen und nur von den äußeren Blättern befreit, vielleicht war es das Mundgefühl, das noch nervte.

Am Samstag buk ich den wunderbaren Nougat-Orangen-Kuchen von Katha, damit ich Sonntag am Schreibtisch keine schlechte Laune haben würde. Zwei Drittel des Rezepts reichen genau für die 20er-Kastenform. Der Überzug ist schlichte weiße Kuvertüre und keine Orangencreme, wie jemand auf Twitter mutmaßte, aber das werde ich beim nächsten Mal antesten.

Sonntagabend raspelte ich zwei kleine Süßkartoffeln (Biokiste) klein, mischte sie mit einem Ei und ein bisschen Kichererbsenmehl und buk Waffeln. Statt zwei halber hätte ich lieber eine ganze machen sollen, aber ich wusste selbst nicht, wie dieser eher brockige Teig und das Waffeleisen sich vertragen würden. Dazu gab’s einen Dip mit Chili und Koriander, den hatte ich ja noch da, und das war großartig, meine Küche duftet immer noch nach Sesam und Curry.

Gestern konnte der Rosenkohl mich dann überzeugen: Dieses Mal halbierte ich die dickeren Stücke und kochte ihn mit einer Kartoffel zusammen etwas vor, bevor ich ihn ein paar Minuten in Misobutter schwenkte. In einer zweiten Pfanne röstete ich Erdnusstofu und danach Zwiebeln und Zucchinischeibchen an, bevor alles ebenfalls in die Misobutter kam, und alles zusammen war ganz hervorragend und der Rosenkohl hatte das nussige Aroma, das ich eigentlich an ihm schätze.

Freitag traf das Weinpaket für den nächsten Podcast bei mir ein. Ich verrate das schon mal: Wir werden Rotweine von der Ahr trinken. Ich bemühte mich, Kisten zu finden, die nicht mehr ganz supermarkttauglich waren, um ein bisschen zu helfen. Könnt ihr auch.

Tagebuch Mittwoch/Donnerstag, 3./4. November 2021 – Schreibarbeit

Vorgestern nur für die Werbung, gestern dann auch in der Mittagspause und nach Feierabend für die hehre Kunst, denn: Der erste Umbruch für mein Buch ist da. Das heißt, ich sehe meinen Text zum ersten Mal im Satz, mit der richtigen Typo, mit den Abbildungen und vor allem mit den richtigen Seitenzahlen. 436 Stück, um genau zu sein. Ähem. Ich hatte anscheinend sehr viel zu sagen.

Beim ersten Drüberschauen stellte ich fest, dass ein lustiger Automatismus aus aufeinanderfolgenden Zahlen ein f. oder ff. gemacht hat. Das ist im Register sehr sinnvoll, überall sonst im Text aber Quatsch. Ich möchte zum Beispiel auf die Abbildungen 16 und 17 hinten im Tafelteil hinweisen und nicht auf die Abbildung 16f., du honkiges Makro. Ich stolperte auch ein bisschen über die Ansage der Produktion, jetzt bitte keine Textänderungen mehr vorzunehmen. Äh … wann denn sonst? Jetzt sehe ich doch zum ersten Mal, ob alles passt oder irgendwo ein halbes Wort in einer neuen Zeile hängt, was fürchterlich ist und mich nicht schlafen lassen wird, bis ich weiter oben irgendwo was gekürzt habe, damit alles ordentlich aussieht. Diese Ansage wird brav im Hinterkopf behalten, aber im Prinzip ignoriert.

Beim vorletzten Korrekturgang merkte ich an, dass einige Bildtitel in Überschriften nicht kursiv waren, das wurde geändert, aber die Kommata zwischen den Bildtitel wurden ebenfalls so gesetzt. Das merkte ich an – bitte die nicht kursiv – und sehe nun, dass sie weiterhin kursiv sind. Dieses Mal googelte ich aber brav und stellte fest, dass sich das anscheinend so gehört (und nebenbei auch gut aussieht). Das kann man mir natürlich auch sagen, anstatt das im Hinterkopf zu behalten, aber zu ignorieren. Oh wait.

Außerdem sind mir unfassbarerweise natürlich immer noch Fehler aufgefallen, eine Werknummer ohne Nummer, also ein armes WV im Text ohne Zahl dahinter, und ja, natürlich habe ich in meinem finalen Dokument nachgeguckt, das an den Verlag ging, und an die zwei Korrekturdokumente, die ich seitdem hatte, und ja, natürlich ist auch da schon überall der Fehler drin und ich werde wahnsinnig.

Aber ansonsten ist alles super. Bisschen stressig grad vielleicht. Und in der Ökokiste war Rosenkohl, den ich vergessen habe, gegen Grünkohl einzutauschen, wegen Stress und so.

Weiter im Text.

Tagebuch Dienstag, 2. November 2021 – Autostudie

Ich las gestern aus Gründen mehrere Studien zur Autonutzung bzw. zum Kauf eines Neu- oder Gebrauchtfahrzeugs durch. Da waren durchaus spannende Einsichten für mich dabei, die jahrelang gern* Broschüren für die Autoindustrie verfasste, damit der Endkunde, wie es so schön heißt, was Hübsches zum Blättern auf dem Sofa hat. Viele Hersteller verzichten inzwischen auf dieses Werbemittel, weil die ganze Welt nur noch im Internet rumhängt. Das habe ich stets bedauert und immer wie eine Monstranz den Satz vor mir hergetragen: Aber wenn Leute 80.000 Euro für ein Auto ausgeben, dann wollen sie doch nicht nur einen Konfigurator im Internet angucken, dann wollen sie doch was Hübsches auf dem Sofa durchblättern. Wie mir mehrere Studien aus dem Jahr 2021 verraten, ist das leider falsch: Gerade Premiumkäufer und -käuferinnen recherchieren sogar länger und gründlicher im Internet als die Käufer und Käuferinnen im Großseriensegment.

(* Die Lektorin für den Job, auf dem ich gerade texte, streicht mir dauernd „gerne“ und macht „gern“ daraus. Noch nie darüber nachgedacht, dass eins ungebräuchlicher als das andere sein könnte. Duden.de ist gerade down, daher verlinke ich zum Deutschlernerblog.)

Zurück zum Autokauf. In dieser Aral-Studie von 2021 fand ich ebenfalls für mich spannende Fakten, die dieses Mal immerhin eine andere Monstranz von mir bestätigen konnten. Auf Seite 7 geht es um die Frage, ob sich die Befragten eher einen Neu- oder einen Gebrauchtwagen zulegen möchten. Dabei spielt der Wohnort eine große Rolle, ich zitiere: „22% der Autofahrenden aus dem städtischen Umfeld wollen sich einen Neuwagen zulegen. Bei Befragten mit Wohnsitz am Stadtrand sinkt dieser Anteil auf 16% und bei der Landbevölkerung sind es nur noch 8%. In ländlich geprägten Gebieten steht ein Gebrauchter mit einem Anteil von 10% sogar am häufigsten auf der Einkaufsliste.“ Und auf Seite 8, wo es um die Wunschmarke geht, hier im Zusammenhang mit Premium- oder Massensegment: „Die Wohnsituation als demografischer Unterscheidungsfaktor zeigt vor allem bei BMW und Ford große Unterschiede. Der typische BMW-Kaufende wohnt in der Stadt oder am Stadtrand (jeweils 13% Kaufinteresse), während bei der Landbevölkerung nur 5% diese Marke in Betracht ziehen. Dort hat Ford hingegen eine treue Klientel mit 11%.“

Beide Funde bestätigen meine Meinung, dass ein Autokauf in der Stadt oder am Stadtrand eine reine Luxus- und Bauchentscheidung ist, während man auf dem Land ein Auto schlicht braucht. Man braucht keins für 80.000, es muss auch nicht neu sein und es sollte vermutlich einen größeren Kofferraum haben als ein Roadster, aber man braucht es halt, weil man bei dem kaputtgesparten oder gar nicht erst existenten öffentlichen Nahverkehr schlicht sonst nirgends hinkommt, ich sehe es ja dauernd an meiner Mutter und Schwester. In der Stadt, wo man sich zu fast jeder Tages- und Nachtzeit in einen Bus oder eine U-Bahn setzen oder ein Taxi bezahlen kann, ohne im Schuldturm zu landen, ist ein Auto schlicht ein Lustkauf, der eher nicht aus Vernunftgründen gefällt wird. Wieder was gelernt. Zurück in die Funkhäuser (bzw. an den Schreibtisch).

Fehlfarben 28 – Heidi Bucher, „Metamorphosen“ / Tue Greenfort, „ALGA“

Unser letzter Podcast fand im Oktober 2020 statt, als wir alle dachten, so, jetzt noch durch den Winter und 2021 wird dann alles gut. Knurr. Inzidenzen und persönliche Umstände führten dazu, dass wir erst jetzt zur nächsten Aufnahme kamen: Wir schauten uns Heidi BuchersMetamorphosen“ im Haus der Kunst an sowie „ALGA“ von Tue Greenfort in der Eres-Stiftung. Dazu tranken wir Weine aus dem Burgund.

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 81 MB, 101 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:00. Blindverkostung Wein 1. Ich vergaß natürlich wieder das Foto zu Anfang, deswegen sind unsere liebevoll verklebten Weinetiketten hier schon sichtbar, weil ich das Foto erst nach der Aufnahme gemacht habe.

00.03:40. Unsere erste Ausstellung: „Metamorphosen“ von Heidi Bucher. Zur Einstimmung empfehlen ich diesen Sechsminüter mit der Kuratorin Jana Baumann (und nicht Hoffmann, wie ich im Podcast behaupte), der ziemlich gut beschreibt, worum es in der Ausstellung geht. Vor allem beginnt er mit einem Blick in den großen Saal des Hauses der Kunst, der gerne durch Stellwände unterteilt wird, um ihm genau diese Größe und Übermächtigkeit zu nehmen (wir erinnern uns: Das Ding wurde 1937 eröffnet). Nun liegen und hängen Latexhäute von Bucher in all ihrer Üppigkeit, unbegrenzt von Deckenhöhen und kleinen Räumen, in diesem Saal und man hat erstmal etwas zum Staunen.

Ich mag es sehr gern, wenn mich eine Ausstellung gleich zu Beginn hat. Im Haus der Kunst habe ich es mir im Erdgeschoss inzwischen angewöhnt, den ersten, kleinen Raum direkt hinter dem Mensch an der Tür, der die Eintrittskarte sehen will, nur flüchtig anzuschauen und stattdessen in den großen Saal dahinter zu gehen; den kleinen Raum nehme ich mir lieber am Schluss vor. Das passt hier ganz hervorragend, weil man eben erstmal Latexhäute in meterlang anstarren und sich dann in den Seitenräumen verlieren kann.

Die Ausstellung arbeitet nicht chronologisch, Buchers älteste Werke sind an der Kopfseite des großen Saals zu sehen. Ich habe mich vom großen Saal nach rechts gewandt und dort die Haut des „Herrenzimmers“ bewundert, dem Arbeitszimmer ihres verstorbenen Vaters. Neben dem Ausstellungsstück, in das man hineingehen kann, ist ein Video zu sehen, das Bucher bei der Arbeit zeigt. Man sieht hier nicht, wie Bucher ihr Material auf die Wände, Türen und Fenster aufträgt, aber was dann mit ihr passiert, mit dieser Masse aus Textilien, Leim und Latex, die dann zu einer festen Haut wird, die Bucher mit großer Kraftanstrengung in einem Stück abzieht oder eher abreißt, abschlägt. Das ist kein einfaches Abziehen wie ein Stück Plastik von einem neuen Display, sondern ein Zerren, ein Drängen, fast ein Akt der Gewalt, der dort zu sehen ist. Bucher reißt manchmal an zwei Stellen gleichzeitig, diese Häutung ist kein linearer Akt, sondern ein Prozess, der mal hier, mal dort voranschreitet. Die Idee hinter den Häutungen: Haut als Barriere zwischen dem Innen und dem Außen, in der alles eingeschrieben ist. Wenn man sie entfernt, erfährt man mehr über das Darunter und auch über diesen Ideenträger. Florian brachte im Podcast die Idee an, dass es an Totenmasken erinnert, das Festhalten eines Zustands, der inzwischen vermutlich längst vergangen ist, aber noch als Geisterhaut existiert.

Ich mochte den Kontrast zwischen der filmischen Haut, die trotz fieser 80er-Jahre-Videoqualität frisch aussah, und dem braun-gelb-bernsteinfarben-schwarzen Fetzen in Architekturform, der neben mir im Museum hing. Es erinnerte mich – natürlich – an Eva Hesse, deren Latexarbeiten ich sehr mag und an denen mir immer der Prozess des Alters und Zerbrechens bewusst wird. Ihre Arbeiten sind gerade 50 Jahre alt und sehen älter aus als Pyramiden und Dome, weil sie aus blödem Plastik sind, das nun einmal nicht für die Ewigkeit gemacht ist.

In einem anderen Saal ist zu lesen, dass es nur noch zwei vollständige Räume aus Latexhaut von Bucher gibt und beide sind gerade im Haus der Kunst zu sehen. Im großen Saal liegen und hängen nur Fußböden, dieses Mal aus dem Haus ihrer Großeltern. Ich fand es faszinierend, Parkettholz und Fliesen (Keramik? Linoleum? Stein?) in Latex eingefasst zu sehen. Die Bernsteinfarbe bietet hier noch eine zweite Ebene: Genau wie Bernstein Leben in sich eingeschlossen und konserviert hat, konservieren Buchers Latexhäute das auch. Keine Fliegen und Muscheln, aber Zeitungsfetzen, die sich im alten Fußboden befanden, Farbreste von Türen, altmodische Formen von Türklinken und Ornamenten. Gleichzeitig erzeugen diese „Floor Skins“ einen seltsamen Gegensatz, der vermutlich erst Betrachter:innen aus unserer Zeit auffallen wird: Man wartet wie bei einem 3D-Architektur-Programm oder bei Minecraft die ganze Zeit darauf, dass die Häute sich wieder zu seinem Ganzen zusammensetzen.

Eine weitere Werkgruppe zeigt Häutungen von Holztüren auf Lanzarote, wo Bucher ihrer letzten Lebensjahre verbrachte. Türen erinnern an Louise Borgeoise, die mit diesem Material neue Räume schuf. Bucher nahm nicht die Tür mit, sondern nur ihren Abdruck, ihre Essenz? Ein bisschen Farbigkeit, viel Oberfläche. Der Wandtext nennt die Tür als eine Ahnung der nächsten Welt, die auf Bucher wartet, aber das war mir einen Hauch zu dick aufgetragen und eher retrospektiv gedacht. Die Türenhäute hatten eine andere stoffliche Qualität, sie sind auf Leinwand aufgespannt und wirken daher nicht so leblos und geisterhaft wie die anderen Häute, die keinen festen Untergrund haben.

Es gibt mehrere Videos von Bucher bei ihrer Arbeit; die Kuratorin erzählt, dass Buchers Idee gewesen war, die Filme neben ihren Werken zu zeigen, was ihr zur Lebzeiten nie vergönnt gewesen war. Das ärgert mich im Nachhinein sehr, denn gerade im Zusammenspiel mit den Videos bzw. deren Ton wirken die Werke noch stärker. Wie das „Audienzzimmer des Dr. Binswanger“ (1988), das zart und fein vor einem im Luftzug weht, während das Video das brutale Herunterreißen der Haut fast unangenehm laut wiedergibt. Der Prozess gehört meiner Meinung nach zum Werk, die Tätigkeit des Häutens gehört zur Haut.

Weitere Werke befassen sich mit einer Außenhaut von einem Portal und schließlich Häutungen von Menschen; netterweise trugen diese Shirts und Hosen, bevor sie mit Latexleim bestrichen wurden; nur eine Häutung von einem Mann ist zu sehen, dessen Brusthaare der Preis für die Kunst waren. Das fand ich fast ein bisschen aufdringlich, dass hier das banale Leben in so einem kleinen Detail sichtbar ist, während der Rest des Werks eben nur ahnen lässt, andeutet, sichtbar macht, aber eher auf Umwegen.

00.35:00. Zwischendurch mal der zweite Wein.

00.53:00. Unser Fazit: alle möglichen Daumen nach oben. Die Ausstellung läft noch bis zum 13. Februar und ihr solltet sie euch nicht entgehen lassen.

00.57:45. Der dritte Wein.

01.01:00. Die zweite Austellung: Tue Greenfort in der Eres-Stiftung, die noch bis zum 29. Januar 2022 läuft. ALGA befasst sich, der Titel lässt es erahnen, mit Algen. ALGA ist, laut Ausstellungstext, die erste größere Einzelausstellung Greenforts, der sich schon öfter mit dem Zusammenhang zwischen Kunst und Naturwissenschaft beschäftigte und den Blick auf die vertraute Natur durch seine Werke verändern will. „Größere Einzelausstellung“ ist dabei ein vorsichtiger Euphemismus, denn die Räume der Eres-Stiftung sind äußerst übersichtlich, so irre viel gab es nicht zu sehen.

Das war ein deutlicher Unterschied zu den vielen anderen Ausstellungen, die wir hier schon gerne angeschaut hatten, auch weil sie immer eine Wundertüte waren. Über ALGA waren wir auch alles andere als einer Meinung, aber, und auch deshalb mag ich den Podcast so gern, ich habe meine Meinung über die Ausstellung während der Diskussion geändert. Wir schweifen ein bisschen ab und sprechen generell darüber, ob Kunst nur in einem gewissen Kontext als Kunst zu erkennen ist, und ich konnte mal wieder meine geliebte Story über Joshua Bell anbringen, den Weltklassegeiger, den die Washington Post mit seiner Stradivari in eine U-Bahn-Station stellte, um herauszufinden, ob die Leute diese Kunst erkennen oder denken, och nee, schon wieder ein nerviger Musikant. (Spoiler: letzteres.) Hier die mit einem Pulitzer ausgezeichnete Story in der WaPo, hier eine etwas faule Zusammenfassung in der SZ.

01.33:00. Fazit: zwei halbherzige Daumen hoch, einer ganzherzig. Endlich mal ein bisschen Differenz am Tisch.

01.35:00. Wir lösen die Weine auf; die waren alle gut, aber die 1 wurde von uns allen auf den dritten Platz gesetzt, ich mochte die 2 am liebsten, Felix und Florian die 3.

Wein 1: Couvent des Jacobins, Weingut Louis Jadot, Pinot Noir, 2019, 13%, bei Belvini.de für 20 Euro.

Wein 2: Irancy Village, Weingut Maison de la Chapelle, Pinot Noir, 2019, 13,5%, bei Lobenbergs gute Weine für 20 Euro.

Wein 3: Irancy Les Beaux Monts, Weingut Maison de la Chapelle, Pinot Noir, 2018, 14%, bei Lobenbergs gute Weine für 29 Euro.