Was schön war, Dienstag, 8. August 2017 – Kein Aua, dann Yay und *schmatz*

Morgens war ich beim Zahnarzt. Das macht ja eigentlich nie Spaß und ist dazu auch noch teuer (eine super Kombination), aber trotzdem kam ich mit einem sehr positiven Gefühl aus der Praxis. Ich fühlte mich sehr umsorgt und als Patientin wahrgenommen, man achtete auf mich und legte keine fünf Kilo Instrumente auf meinem Brustkorb ab (wann hat diese Unsitte eigentlich angefangen?), und außerdem hatte ich zum ersten Mal eine Art Sabberlätzchen aus Stoff oder Zellulose unter dem Kofferdamm, was dafür sorgte, dass ich mich nicht über zwei Stunden lang vollsabberte und dummschwitzte. Und weh getan hat es auch nicht. Schmerzfreieste Spritze ever! Und die Zahnreinigung vor ein paar Wochen war auch prima. Vielleicht habe ich hier einen Glücksgriff gemacht. (Ich bin einfach in die Praxis reinmarschiert, an der ich beim Einkaufen immer vorbeikomme.)

Nachmittags schickte ich eine Mail an meinen Dozenten aus dem Rosenheim-Seminar mit der Bitte um einen Gesprächstermin: „Vielleicht schon mein Gesprächsthema vorweg: Es geht um eine mögliche Promotion bei Ihnen.“ Eine Stunde später kam die Antwort, dass ein Gespräch gerade schlecht sei wegen Urlaub, Dienstreisen und Zeug, und mitten in den ganzen Erklärungen, wann ich ihn wieder erreichen könnte, stand der Satz: „Diss passt.“

Abends ein ergoogeltes Rezept nachgekocht, weil ich noch Champignons und eine Avocado hatte, die dringend wegmussten. Das war schmackhaft, könnte aber deutlich mehr Chili vertragen.

Was schön war, Montag, 7. August 2017 – Onward

Morgens mit einer Bloggerin/Texterin/Yogineuse (dafür gibt es bestimmt ein besseres Wort, aber ich mag Yogineuse) zum Kaffee getroffen, um mir ein paar Tipps für die Münchner Agenturlandschaft geben zu lassen. Ich habe als festangestellte Texterin nur in Hamburg, als freie nur in Hamburg, Berlin und Stuttgart gearbeitet und daher in München kaum Werberkontakte. Das Treffen war schön mittendrin zwischen Plaudern und Professionalität, das hätte ich gerne öfter.

In diesem Zusammenhang: Die Grönersche wäre dann wieder für längere Buchungen zu haben, nicht mehr nur für hier mal nen Tag, da mal nen Tag wie in den letzten fünf Jahren. Jetzt wo ich kein enggetaktetes Semester mehr habe und mir die Zeit besser einteilen kann, fliege ich auch gerne wieder für ein paar Wochen woanders hin. Meine Spezialität ist weiterhin die Verkaufsliteratur, aber Klassik und dieses Interweb kann ich natürlich auch. Say hi!

Normale Temperaturen, also irgendwo um 20 Grad und nicht um 30. Ich kann mich darüber ja ewig freuen. Stupid summer.

Lange mit Mama telefoniert. Ich wollte ihr stolz von der Note für die Masterarbeit erzählen, die ich ihr ausgedruckt hatte zukommen lassen, und erfuhr, dass sie diese gerade an den Nachbarn ausgeliehen hat, den das Thema auch interessiert. So kriegt man also wissenschaftliche Texte an die Leute.

F. ist braungebrannt aus Wacken zurück. Kuschelentzug beendet.

Was schön war, die vielen letzten Tage

Als ich zur Synagogenbesichtigung fuhr, erwischte ich den besten Busfahrer Münchens. Wenn ich die Wahl habe zwischen Bus und allen anderen öffentlichen Verkehrsmitteln, nehme ich alle anderen öffentlichen Verkehrsmittel. U-Bahn und Tram sind für meinen Rücken und meine persönliche Bequemlichkeit besser, weil sie nicht so ruckelig-zuckelig fahren und sich nicht beim Aufenthalt an der Haltestelle zu einer Seite neigen. Außerdem ist die Chance auf einen Sitzplatz größer, weil sie einfach mehr Platz bieten. Aber der Bus fährt halt viele kleine Ecken an, die nicht von den schönen Schienenfahrzeugen bedient werden, also fuhr ich Bus.

Dieser Fahrer, den ich seit Wochen nicht vergessen kann, lenkte den Bus butterweichst um jede Kurve, bremste kaum spürbar und fuhr auch so wieder an, kein ruckelig-zuckelig. Außerdem bilde ich mir ein, dass die Haltestellenansagen die perfekte Lautstärke und die Klimaanlage die optimale Temperatur hatten, aber das kann auch nachträgliche Einbildung sein. Wer auch immer am 9. Juli so gegen 11.15 Uhr den 154er in Richtung Bruno-Walter-Ring gefahren ist – danke, Mann.

Ich freue mich immer noch über den Kaiserschmarrn. Wer mein Blog schon länger liest, bekommt eventuell den Eindruck, dass ich gut kochen könnte. Kann ich nicht. Ich kann manchmal gut kochen, und Pfannkuchen sind mein Endgegner. Deswegen gibt’s im Blog auch Rezepte für Bananen-Pfannkuchen, Buttermilch-Pfannkuchen und jetzt eben Kaiserschmarrn. Dieses total einfache Gericht kriege ich nur mit exakten Zutaten hin, während ich bei den angeblich so zickigen Macarons lustig aus dem Handgelenk Eischnee in Mandelmehl einrühre.

Rumlaufen.

Ich habe schon beim Familienbesuch gemerkt, dass es mir deutlich leichter fällt, längere Strecken zu Fuß zu gehen, seit ich regelmäßig walke. Und auch beim Documenta-Wochenende in Kassel habe ich freudig festgestellt, dass mir Wege keine Mühe mehr machen. Was allerdings immer noch doof ist, sind Treppen und Steigungen.

Im langen Eintrag zu meinem rechten Fuß erwähnte ich meine Fußheberschwäche. Das bedeutet, ich kann nicht mehr auf Zehenspitzen stehen. Wenn ihr mal drauf achtet: Beim Treppensteigen bewegt man sich eigentlich nur auf den Zehenspitzen. Da die bei mir nicht mehr funktionieren, mache ich irgendwas anderes, und ich kann nicht mal beschreiben, was ich genau mache.

Das ist auch nervig an diesen Einschränkungen oder körperlichen Andersartigkeiten: Neulich habe ich bei Freunden meinen rechten Schuh nicht mehr anbekommen, weil ich meinen Schuhlöffel vergessen hatte, und ich konnte schlicht nicht erklären, warum das nicht geht, obwohl ich den Schuh fast komplett aufgeknotet hatte. Ich sehe, was mein linker Fuß tut, um in den Schuh zu schlüpfen, aber ich kann es rechts trotzdem nicht reproduzieren.

Genauso geht es mir beim Treppensteigen. Ich ahne, dass ich rechts irgendwie aus dem Oberschenkel und dem unteren Rücken arbeite, und ich bin immer dankbar für ein Treppengeländer, an dem ich mich ein bisschen hochziehen kann. Aber generell gehöre ich zu den Menschen, die auch für ein Stockwerk den Fahrstuhl oder die Rolltreppe nehmen, weil es mich schlicht ungebührlich anstrengt, eine Treppe hochzukommen. Das hat natürlich auch was mit dem Gewicht zu tun, schon klar, aber ich war vor der OP genauso dick und da war Treppensteigen lästig, aber machbar. Jetzt ist es mehr als lästig. Wenn ich nach zwei Stockwerken im Hauptgebäude der LMU erstmal zwei Minuten Luft holen muss, ist das nicht in Ordnung. (Okay, das Gebäude ist aus dem 19. Jahrhundert, ein Stockwerk überwindet gefühlt acht Meter Höhenunterschied.) Anfangs habe ich noch gedacht, sei nicht so eine Memme, kletter und schwitz halt und hol dann Luft. In den letzten Semestern bin ich stattdessen irre Umwege gegangen, um einen Fahrstuhl zu finden. Falls ihr also mal dicke Menschen seht, die für kleine Strecken den Lift nehmen – es könnte andere Gründe als Faulheit haben. (Auch hier ahne ich, dass bei schlanken Menschen niemand drüber nachdenkt, wenn sie genau das gleiche tun.)

Warum ich jetzt davon anfange? Weil Kassel quasi nur aus Hügeln besteht. Das ging da nie mal hundert Meter einfach nur in einer Höhenlage geradeaus. Man kletterte dauernd Hügel hoch oder ging sie runter. Für gesunde Füße ist das wahrscheinlich eine hübsche Abwechslung, und so hässlich nachkriegsverbaut wie mir Kassel vorkam, sind die Hügelchen auch echt malerisch und damit eine Aufwertung des Stadtbildes, aber meine Güte, habe ich geflucht und geschwitzt. Trotzdem: Zwischen dem Fluchen und während des Schwitzens habe ich mich mehrfach darüber gefreut, dass mir die wenigen Meter, die ich nicht klettern musste, nichts mehr ausmachen. Wer hätte es gedacht: Man kann sich Kondition anspazieren.

Dieser Blogeintrag, der gleich mehrere Stellen hat, die ich auf dem Bildschirm mit Textmarker anstreichen wollte. „[R]elativ genau wissen, wo man sich befindet, die eigenen Koordinaten kennen, die Maße, den Standort. Näher als früher.“ „Es ist noch so weit bis geradeaus.“ „Die Stadt im Zustand der Überforderung, in dem sie sich eingerichtet hat, dass sie gar nicht mehr weiß, wie es ist, nicht immer einen halben Schritt zu weit zu gehen.“ „Selbst nach dem Weltuntergang würde er kleine Aufkleber auf die Trümmer kleben, die erzählen, was das mal war und wohin es gehört.“

Und die Wahlhelfer*innen-Schulung für die Bundestagswahl, von der ich lieber nichts ausplaudere, weil ich nicht weiß, was davon alles bitte nicht verbloggt werden sollte. Ich fühle mich jetzt aber gut gewappnet fürs Ehrenamt.

Die Schulung war auch deshalb schön, weil eine große Befürchtung von mir sehr schnell zerstreut wurde. Am Tag der Schulung waren es in München mal wieder 30 Grad, wie fast die ganze letzte Woche. Der Raum lag im obersten Stockwerk, hatte drei Glaswände und natürlich riss sofort jemand ein Fenster auf, damit auch ja (heiße) Luft reinkommt. Ich sah mich schon dreieinhalb Stunden lang leiden, aber: Die Haustechnik fuhr automatisch immer dort Rolläden runter, wo die Sonne draufschien und stellte andere an, die noch Licht, aber kaum Hitze reinließen. Und: Ich saß auf einem Platz, der die ganze Zeit einen winzigen Luftzug hatte; nie so ventilatorstark, dass er nervte, aber stets spürbar genug, um mich frisch und entspannt zu halten.

Was die Schulung mir auch mal wieder beibrachte und das war nicht schön: Die Leute, die am wenigsten Ahnung haben, reißen am lautesten die Klappe auf und sind meistens Kerle. In meinem Wahllokal sind wir laut Benachrichtigung sechs Frauen und ein Mann; ich hoffe also auf das Beste.

„Und, Anke, wie war so dein zehntes Semester?“

Es war das letzte, und das war mir immer bewusst.

(Erstes, zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes, siebtes, achtes, neuntes Semester.)

Ich habe gelernt, dass ich Bibliotheken sehr sinnlose Gefühle entgegenbringe. An der Historicumsbibliothek vorbeizuradeln, in die man nur als Studi darf und das bin ich ja bald nicht mehr, fühlte sich immer an, als würde man an der Wohnung eines Ex-Freundes vorbeifahren: sehnsuchtsvoll und gleichzeitig scheiße. Und wenn ich drin saß, habe ich einen seltsamen Besitzerstolz entwickelt und es genossen, dass die ollen BWLer und Mediziner*innen an der Pforte abgewiesen wurden, denn ab einer bestimmten Belegung dürfen nur noch gewisse Fakultäten rein. Geht woanders lernen, ihr Un-Geistis! THIS! IS! SPARTA!

(Memo to me: vielleicht doch irgendwann mal erwachsen werden. So geistig.)

Ich habe gelernt, dass ein Seminar mit wenigen Teilnehmerinnen äußerst produktiv ist. In meinem Oberseminar saßen nur die Prüflinge meiner Dozentin, drei BAs und vier MAs, wenn ich mich richtig erinnere, und wir stellten dem Plenum unsere Arbeit bzw. den Plan dafür vor. Danach gab nicht nur die Dozentin Feedback, sondern auch der Kurs, und weil wir nur so wenige waren, hat auch jede mal was gesagt. Ansonsten sitzt man gerne mit 25 Leuten in einem Raum und es reden immer die fünf gleichen. Ich fand es schön, zum Ende nochmal eine andere Art der Diskussion mitzukriegen. Die Kritik an meinem Plan war sehr sinnvoll, und die sechs Themen meiner Mitprüflinge habe ich mir auch gerne angehört.

Ich habe gelernt, wie wichtig und gut es ist, einen intellektuellen Sparringspartner zu haben. Auch wenn er dein Forschungsgebiet immer als „Nazischeiß“ bezeichnet.

Ich habe (wieder) gelernt, dass ich mit langen Texten sehr gut klarkomme. In der Werbung schrieb ich schon lieber Kataloge als Anzeigen, und als ich nach der Abgabe der Masterarbeit twitterte oder bloggte: „So einen langen Text habe ich noch nie geschrieben“, fiel mir ein, dass ich schon ein Buch verfasst hatte. Ähem. Mein Leben hat inzwischen wirklich sehr andere Prioritäten.

Ich habe bei der Arbeit erfreut festgestellt, dass es inzwischen relativ intuitiv geht, alles, was ich besprechen will, in sinnvolle Einheiten zu teilen. Ich beginne immer mit einer völlig ungeordneten Stoffsammlung, in die ich alles reintippe, was mir einfällt oder was ich zitieren will, alles, worüber ich beim Lesen stolpere, alles, was auch nur irgendwie mit meiner Frage zu tun hat (oder Fragen, die ihr ähnlich sind). Manchmal – oder eigentlich meistens – verändert sich die Frage auch, je mehr ich über ein Gebiet weiß.

Irgendwann merke ich, dass sich thematische Blöcke bilden lassen, also bilde ich sie, indem ich wild Textmassen verschiebe oder gleich in verschiedene Dokumente lege. Ich kann mich an diesen Blöcken entlanghangeln und zack, fertig, Supernote. (Ich verkürze meinen Arbeitsprozess sehr.) Dass diese Arbeitsweise, die ich seit dem ersten Semester praktiziere, auch für eine Masterarbeit taugt, hat mich gefreut.

Ich glaube, diese und die beiden Arbeiten aus dem neunten Semester waren die ersten, bei denen ich von Anfang an wusste, dass sie gut und rund werden. Sonst kam bei mir immer irgendwann die blöde Panik, nur Stuss zu schreiben. Gut, bei manchen Unterpunkten in der MA-Arbeit kam dieses Gefühl auch und aus den Textteilen, die ich gelöscht habe, kann man wahrscheinlich eine BA-Arbeit zusammenklöppeln, aber selbst wenn ich mal wieder haderte, wusste ich: Ich lass das jetzt liegen, guck da morgen nochmal drauf und dann fällt mir ein, was ich machen muss. Und so war es auch.

In diesem Zusammenhang: Ich kann auf die Frage „Bist du mit deiner Arbeit zufrieden?“ endlich ohne wenn und aber mit „Ja“ antworten. Mit der Kiefer-Hausarbeit war ich auch schon sehr glücklich, mit Leo im Prinzip auch, aber nach der Masterarbeit hatte ich zum ersten Mal das Gefühl: Ja, das ist sehr gut geworden.

(Lektorgirl am Telefon: „DASS ICH DAS NOCH ERLEBEN DARF!“)

Ich habe auch in diesem Semester wieder gelernt, dass ich nichts lieber tue als zu lernen. Jedes Buch, jeder Aufsatz, jedes Kunstwerk erweitert meinen Horizont, und ich habe nichts in meinem Leben, das mich ähnlich glücklich macht. Ja, F., ja, Wein, ja, München, aber wenn das alles weg wäre, wären da immer noch die Bücher, das ganze Wissen von Generationen von Forscher*innen, auf dem ich aufbauen kann. Es ist immer noch unglaublich befriedigend für mich, Zusammenhänge zu sehen, wo ich vor drei, vier Semestern noch keine gesehen hätte, und es ist ebenso befriedigend, genau das zu wissen. Zu wissen, dass ich mehr weiß, aber auch zu wissen, dass es da draußen noch so viel mehr gibt, was ich mir anlesen kann, was ich entdecken kann, was ich in Archiven aufspüren kann, Daten, Zeitläufte, Biografien.

Das Semester begann ziemlich übergangslos, denn die Bearbeitungszeit für die Masterarbeit startete schon im Februar – da war das Wintersemester noch nicht mal rum. In dem musste ich noch zwei Hausarbeiten schreiben, und dann bastelte ich noch aus meinen zwei Leo-von-Welden-Arbeiten, die insgesamt ungefähr 120.000 Zeichen hatten, einen Katalogbeitrag, der circa 25.000 haben sollte. (Er hat jetzt mit Fußnoten knapp 40.000, auf Wunsch des Dozenten.) Als das alles fertig war, gönnte ich mir ein paar Tage Pause und begann dann, mich auf Kiefer, Lüpertz und die Geschichte der jungen Bundesrepublik zu stürzen. So ziemlich alles, was ich las, konnte ich im Kopf an irgendwas anlegen, was ich in den Semestern zuvor, vor allem im Masterstudium, gelernt hatte, was mir großen Spaß gemacht hat.

Wenn ich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte saß und dessen Bibliothek leerlas, dachte ich über nichts anderes nach. Sobald ich danach allerdings wieder nach Hause radelte oder zu anderen Bibliotheken, war mein hauptsächlicher Gedanke: Und was mache ich, wenn die Masterarbeit durch ist?

Es hat bis nach der Abgabe gedauert, bis mir das wirklich klargeworden ist. Ich habe schon während der Arbeit hektisch ein paar Bewerbungen losgeschickt, auf die ich vermutlich keine Reaktion bekommen werde, und inzwischen weiß ich auch, dass das okay ist. Mein Doktorvater weiß noch nichts davon, dass er mein Doktorvater sein soll, denn ich bin noch nicht ganz fertig mit einem halbwegs schlüssigen Exposé für eine Dissertation. Ich möchte mich weiterhin in der Zeit bewegen, in der ich mich seit ein paar Semestern wissenschaftlich zuhause fühle: in der NS-Zeit sowie der jungen Bundesrepublik. Ich will auf jeden Fall noch die junge DDR dazunehmen, von der ich sehr wenig weiß, und eventuell noch die Weimarer Republik, aber das wird sich vermutlich erst im Laufe der Dissertation herausstellen. Ach ja, ich werde dann wohl eine Dissertation schreiben. Davon erzähle ich zwar gefühlt dauernd, aber so richtig, endgültig, jetzt echt habe ich mich erst in den letzten Wochen dafür entschieden. Davor war es eine theoretische Möglichkeit; jetzt, wo ich immerhin schon die Note der Masterarbeit habe und damit weiß, das Studium ist durch, ich habe alles bestanden, ist es mehr. Es ist jetzt ein Plan.

Die folgenden Absätze schrieb ich am Ende des ersten Semesters. Ich freue mich sehr, dass ich nach zehn Semestern noch genau das gleiche empfinde:

Ich habe gelernt, wie gerne ich lerne.

Die häufigste Frage, die ich von meinen Kollegen und Freundinnen in den letzten Monaten gehört habe, war: „Ist es so, wie du es dir vorgestellt hast?“

Und meine Antwort war nach einer Woche die gleiche wie jetzt nach vier Monaten: „Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe. Nur noch viel toller.“

Ein strahlendes Dankeschön …

… an Eva, die mich mit Kate Moores The Radium Girls: The Dark Story of America’s Shining Women überraschte. Das Element Radium habe ich (geistig) im Hinterkopf, seit ich Die Ordnung der Stoffe: Ein Streifzug durch die Welt der chemischen Elemente gelesen hatte, über das ich hier und hier kurz schrieb. Ich hatte die armen verstrahlten Damen, die Zifferblätter mit Radium bemalten, damit diese im Dunkeln leuchten, schon wieder vergessen, bis mir die NY Times ein Interview mit der Autorin in die Timeline spülte, die von den vielen Originaldokumenten berichtete, die anscheinend erstmals so großflächig ausgewertet wurden. Und da ich ja seit einigen Semestern ein großer Fan von Originaldokumenten bin, klang das wie ein Buch, das ich gerne lesen würde. Vielen Dank für das Geschenk und die Widmung, ich habe mich sehr gefreut.

Kaiserschmarrn

Kaiserschmarrn-Rezepte habe ich schon diverse ausprobiert, aber es war nie eins darunter, das so fantastisch schmeckt wie die Versionen, die man hier in Bayern in Gasthöfen und Restaurants kriegt. Gut, ich ahne, dass in denen zwei Pfund Butter und Zucker sind sowie Rosinen, die nicht nur in Rum, sondern noch in diversen anderen herrlichen Schnäpsen getränkt sind, um die Esserin völlig willenlos zu machen. Ich erinnerte mich gestern aber: Hey, du hast doch das bayerischste Kochbuch aller bayerischen Kochbücher – vielleicht guckst du da einfach mal rein anstatt weiter wild rumzugoogeln? Hab ich gemacht. Und dann fürstlich getafelt: Der Schmarrn hat genau die richtige Konsistenz zwischen fest und fluffig, und ich war überrascht, wie süß er trotz recht wenig Zucker war. Ich habe jetzt ein Kaiserschmarrn-Rezept!

Für zwei Personen. Auf dem Bild ist davon ungefähr ein Viertel abgebildet; ich wollte nicht ganz so verfressen aussehen.

40 g Rosinen in
1 EL braunen Rum einweichen. Ich habe die Mischung eine halbe Stunde stehen gelassen.

1 dicken EL Butter zerlassen. (25 Gramm, wenn ihr abwiegen wollt.)

2 Eier trennen und das Eiweiß zu sehr steifem Eischnee schlagen.

120 g Mehl mit
220 ml Milch,
den 2 Eigelb und der Butter vermischen, dann die Rumrosinen und zum Schluss vorsichtig den Eischnee unterheben.

Alles in eine gefettete Pfanne geben und bei mittlerer Hitze ausbacken. Ich habe ein Talent dafür, die Unterseite von Pfannkuchen und ähnlichem schwarz werden zu lassen, während die Oberseite noch roh ist, daher habe ich auf die Pfanne einen Deckel gesetzt und nach ca. fünf Minuten mal reingeguckt. Das hat hervorragend gepasst, ich konnte den Schmarrn fast komplett wenden; wenn er zerbricht, ist es egal, denn er wird ja eh zerpflückt. Nach dem Wenden habe ich ein wenig Zucker auf die Oberfläche gestreut, den Deckel wieder aufgesetzt und den Schmarrn weitere fünf Minuten gebacken. Am besten einfach ab und zu reinschauen, damit er nicht zu dunkel wird.

Zum Schluss in mundgerechte Stücke zerreißen und mit Puderzucker bestreut servieren. Bei mir gehört zwingend Apfelmus dazu, schön aus dem Supermarktglas; das mag ich ernsthaft lieber als mein selbstgekochtes.

Was schön war, Sonntag, 30. Juli 2017 – Documenta, Tag 3

Am zweiten Tag hatte ich leider nicht so viel geschafft wie F., der sich neben unseren gemeinsam besuchten Stätten noch die Documenta-Halle sowie das Fridericianum anschaute. Aber am Sonntag konnten wir gemeinsam alles gucken, was ich sehr genossen habe.

Wir begannen im Museum für Sepulkralkultur, das ich immer noch nicht fehlerfrei aussprechen kann. Das Gebäude an sich gefiel mir in seiner Durchlässigkeit sehr gut, und wir schauten uns nicht nur die Documenta-Objekte an, sondern auch, was sonst noch im Museum ausgestellt war. Im Erdgeschoss mochte ich besonders die stehenden und hängenden Holzobjekte von Agim Çavdarbasha, vor allem mit dem weiten Blick über die Stadt, den die großen Fensterflächen ermöglichen. Nix mit geschlossenem White Cube und stiller Betrachtung in der Einöde; hier entstand eine schöne Spannung zwischen Objekt und Umgebung, und ich konnte wieder meinem Materialfetischismus frönen. Alles, was anders ist als Farbe auf Leinwand, hat bei mir schon gewonnen. Wobei ich natürlich auch nichts gegen Farbe auf Leinwand habe.

Ich mochte auch die Fotozusammenstellung von Prinz Gholam, der alte archäologische Aufnahmen von antiken Ruinen mit nur wenig oder gar nicht bekleideten Jungen kombinierte. Das war irritierend und ästhetisch zugleich und hat mich darüber nachdenken lassen, wie sich unser Sinn für Angemessenes und Nacktheit verändert.

In einem Schaukasten entdeckte ich entsetzt Medaillen, die für das Lynchen von Schwarzen vergeben wurden, und von deren Existenz ich bisher nichts gewusst hatte. Ich kann dieses Werk trotz Katalogs nicht zuordnen, daher weiß ich nicht, ob es zum normalen Bestand des Hauses gehört. Direkt nebenan lagen im Schaukasten noch Materialien zu einer Audio- und Videoinstallation von Terre Thaemlitz. Von ihr schauten wir uns den Anfang an und sprachen über zerrissene Selbstbilder und Selbstfindung. Die ganzen 58 Minuten wollten wir aus Zeitgründen nicht anschauen, aber wenn wir noch einen Tag mehr gehabt hätten, hätten wir das gemacht.

Lois Weinberger: Die Erde halten/Holding the earth (2010).

Im Untergeschoss schauten wir uns dann den normalen Bestand des Museums an und lernten viel über Beräbniskultur. Manche Details wollte ich allerdings gar nicht wissen. Vor dem Filmkabinett von Terre Thaemlitz hing ein Hinweis, dass der Film erst ab 18 ist und dass Kinder vielleicht davon verstört werden. Diesen Hinweis hätte ich mir für zartbesaitete Knappfünfzigjährige im Untergeschoss gewünscht. Ich habe die historische Aufarbeitung von Friedhofskultur allerdings sehr gerne nachgelesen und angeschaut, denn seit letzter Woche bin ich ja quasi fit, was das 19. Jahrhundert angeht. Das war sehr schön, das jetzt einbetten zu können in den Barock und das 20. Jahrhundert.

Am Ausgang des Museums steht übrigens unten an der Tür „Leben Sie wohl“, was ich für einen perfekten Rausschmeißer halte.

Eigentlich wollten wir danach in die Torwache, aber die Grimmwelt lag direkt nebenan. Gut, dass wir reingegangen sind – das war zumindest mein liebster Ausstellungsraum.

Ich hatte zwar keine Geduld für Roee Rosens The Blind Merchant, das F. sehr gut gefallen hat, aber ich las dafür die Schaukästen komplett durch, in denen Kinderbuchillustrationen von Tom Seidmann-Freud ausgestellt waren, der Nichte von Siegmund Freud. Ich fand die Entwicklung vom Jugendstil zu den neusachlichen Zeichnungen spannend, und natürlich war es auch hier wieder der Zeitkontext, der für mich interessant war. Ich blätterte auch in den ausgestellten Katalog zu Rosen hinein und fand sein Werk Live and Die as Eva Braun, das ich mir erstmal im Zentralinstitut für Kunstgeschichte erschließen werde.

Mein liebstes Werk auf der ganzen Documenta fand sich auch hier: das 30-minütige Video Lost and Found von Susan Hiller. Es besteht nur aus Ton; verschiedene Sprecher*innen unterhalten sich, lesen Statements, singen oder sagen das Alphabet auf – in ausgestorbenen, bedrohten oder wiederbelebten Sprachen. Ich wusste nicht, dass Maori schon ausgestorben war oder Hawaiianisch. Ich hätte auch nicht gedacht, welche hypnotische Wirkung es hat, Sprachen zuzuhören, die man nicht versteht und die meist recht unaufregende Dinge beschreiben. Immer noch im Ohr habe ich ein Lied auf Salish, das nur die Buchstaben des Alphabets singt; die Untertitel versuchten, die vielen Kehlkopf- und Zungenlaute mit einer Kombination aus anderen Buchstaben und Zeichen darzustellen, was mir sogar sinnhaft vorkam und gleichzeitig fremdartig-schön. Er steht dankenswerterweise auf YouTube, und jetzt bekomme ich es überhaupt nicht mehr aus dem Kopf.

In der Grimmwelt kann man übrigens im Falada prima Kaffee trinken. Ich empfehle den Iced Latte. Und Name und Logo sind auch toll.

Danach war aber die Torwache dran. Schon von außen ist sie als Objekt zu erkennen, denn sie ist mit unzähligen Jutesäcken verdeckt. Die Idee dahinter ist mir erst durch den Katalog klargeworden (Globalisierung, Imperialismus, Ausbeutung), aber mir reichte schon die irritierende Optik.

Im Inneren verguckte ich mich dann in einen albanischen Maler, den wir später am Tag noch in der Neuen Neuen Galerie (ja, die heißt so) wiedersahen: Edi Hila. Ich mag an seinen Bildern die Stille, die über ihnen zu liegen scheint; den Kontrast aus mittelformatigem, fast altmodischem Tafelbild und den modernen Formen bzw. der irrealen Architektur, die auf ihnen zu sehen ist. Mir gefiel auch die helle, blaugraue Farbigkeit, die mich an verblassende Polaroids erinnerte und an einen Buchtitel von Douglas Coupland, Polaroids from the Dead.

Edi Hila: Boulevard (2015), ein Bild von sechs, Öl auf Leinwand, unterschiedliche Maße.

Nebenan wurde die ruhige Stimmung dann radikal ruiniert: Hier waren Entwürfe zu einem Auschwitz-Denkmal von 1957 zu sehen. An dieser Ausschreibung hatte sich damals auch Joseph Beuys erfolglos beteiligt, wie ich aus den Recherchen zu meiner Masterarbeit gelernt hatte. Im Moment fallen mal wieder viele kleine Puzzleteilchen in meinem Kopf an seinen Platz. Vielleicht hat mir auch deswegen der letzte Documenta-Tag so gut gefallen.

Ich erwartete minütlich, keinen Platz mehr im Kopf zu haben und wollte im Hessischen Landesmuseum eigentlich Schluss machen, nur noch die wenigen Documenta-Exponate gucken und dann des Rest des Hauses mit altem Porzellan und Zeug. Aber dann beflügelte mich das doch alles, was ich dort so sah und so sprintete ich F. hinterher, der sich schon in Richtung Neue Neue Galerie aufgemacht hatte.

Zunächst freute ich mich mal wieder über Material: Nevin Aladağ nutzte florale und feine Muster, um daraus sechsseitige Keramikkacheln zu brennen, die aber nicht auf dem Boden lagen, sondern wie eine Gitterwand im Raum standen. Sie erinnerten mich an ein Raumelement, das ich in der osmanischen Architektur kennengelernt hatte: die vergitterten Fenster, die Licht und Luft ins Innere des Hauses lassen, die Bewohner*innen aber vor den Blicken von außen schützen. Sie bestehen eigentlich aus Holz, und ich mochte diese leichte Veränderung von Material, Aussehen und Funktion. Ich mag generell Dinge, die mir bekannt vorkommen, es aber gar nicht sind.

Von Naeem Mohaiemen lief im Obergeschoss der 90-minütige Film Two Meetings and a Funeral, der sich mit dem Non-Aligned Movement (NAM) und der Organisation of Islamic Cooperation (OIC) vor allem in den 1970er Jahren beschäftigt. Ich glaube, wir saßen 20 Minuten im Film, hatten aber auch hier schlicht keine Zeit, obwohl er viele spannende Interviews oder Original-TV-Ausschnitte zeigte. Ich fragte mich danach, wann Europa und/oder die USA Afrika als funktionierenden Kontinent aufgegeben haben und wie man das ändern könnte.

Máret Ánne Sara: Pile o’ Sápmi (2017), Vorhang aus Rentierschädeln und Metalldraht, Teil einer Installation aus unterschiedlichen Materialien.

Als Abschluss streiften wir durch die große Neue Neue Galerie. Auch hier wieder Materialspaß, Rentierschädel, Seife aus Kohle, Metallbarren. Mir gefiel die aus vielen Materialien bestehende Installation von Daniel García Andújar, The Disasters of War/Trojan Horse, die unter anderem Picassos Guernica in ein Puzzle zerlegte. In Ausschnitten sah ich mir den Film von Arin Rungjang an, der erzählt, dass sein Vater von deutschen Neonazis erschlagen wurde und dass der Berliner Führerbunker heute ein Parkplatz ist. Im Obergeschoss stand ich lange vor den grafisch-schlichten und eindrucksvollen Schwarzweißfotos von Ulrich Wüst, der unter anderem die DDR in ihren letzten Jahren und nach der Wende festgehalten hatte. An der Wand gegenüber hingen weitere Gemälde von Edi Hila, und auch sie hätte ich sofort alle mitnehmen wollen.

Daniel García Andújar, The Disasters of War/Trojan Horse (2017), Detail einer Installation aus verschiedenen Materialien.

Dieses Dinge-Mitnehmenwollen ließ mich mich selbst fragen, was ich stattdessen von der Documenta mitnehme. Zeitgenössische Kunst muss ich mir immer anders erarbeiten als ältere, die schon im Kanon verortet ist und wo mir Kataloge und Dozentinnen sagen, ja, das ist Kunst, das darfst du dir merken. Wenn etwas neu ist, muss ich erstmal gucken, ob ich das gelten lasse. Manchmal befürchte ich, genauso ignorant zu sein wie damals die Menschen Ende des 19. Jahrhunderts, die die Impressionisten als Schmierfinken bezeichnet haben. Bei vielen Dingen, die ich in den vergangenen Tagen sah, runzelte ich höchstens die Stirn oder ging gleich daran vorbei, und vielleicht habe ich die große Neuentdeckung von 2017 ignoriert, übersehen oder augenrollend links liegen gelassen, keine Ahnung. Gleichzeitig denke ich darüber nach, für wen diese Art Massenausstellung überhaupt gemacht ist. Gerade bei der irrwitzigen Entwicklung des Kunstmarkts, die dazu führt, dass nur wenige Menschen sich Kunst leisten können, frage ich mich, ob solche Ausstellungen nur noch Sammler und Kuratorinnen irgendwie weiterbringen und der Rest, so wie ich, zwar großäugig (oder gelangweilt) durch die Massen an Werken rennt, aber außer dem Klicken im Kopf nichts davon hat. Ist diese Ausstellung damit exkludierend, obwohl sie durch ihre Zugängigkeit und Preisgestaltung genau das nicht sein will? (Zu diesem Thema lese ich übrigens gerade Wolfang Ullrichs Siegerkunst.)

Ich glaube, ich nehme, wie üblich, eine Wertschätzung von Kunst mit, ganz egal ob sie mir nun gefällt oder nicht, ob sie mich verstört oder langweilt. Ich weiß zu schätzen, dass sie da ist. Ich glaube manchmal, das reicht auch schon.