November-Journal, 17. bis 19. November 2012

Freitag

Beim temporären Mitbewohner klar Schiff gemacht, alles, was ging verpackt, mich selbst bepackt, in die neue Wohnung gefahren, ausgepackt. Internet eingerichtet. Ich habe meinem WLAN den gleichen Namen wie unserem WLAN in Hamburg gegeben. Nach Hause geflogen.

Abends mit zwei Kolleginnen beim Italiener gewesen und gestrahlt. Auf dem Nachhauseweg noch einen Kollegen getroffen und weiter gestrahlt. Immer die gleiche Antwort auf die gleiche Frage, wie’s denn so sei mit dem Studium: „Genau so, wie ich es mir erhofft hatte, nur noch toller.“

Samstag

Eingekauft, für Geld gearbeitet (Datenbank befüllen), keine Lust auf das Nürnberg-Spiel gehabt, wie immer bei der Konferenz eingeschlafen, mies getippt. Dafür erstmals in diesem Jahr „I’m a celebrity, get me out of here!“ geguckt und sehr gemocht, auch wie immer. Am Kerl festgehalten, so lange es ging.

Sonntag

Für Geld gearbeitet (weiterhin Datenbank befüllt). Danach fürs Seelenheil gearbeitet (weiterhin Referat vorbereitet, das ich Dienstag in einer Woche halten werde). Am Kerl festgehalten, so lange es ging und ab dem Nachmittag abschiedsschmerzig geworden. Wochenenden bis Weihnachten und dann bis Semesterende gezählt. Diffuse Sehnsucht nach München gehabt und deswegen sofort schlechtes Gewissen gekriegt. Anywhere but here.

Der Rest von Hamburg – Hoheluft

(An diesem Eintrag ist Herr Buddenbohm Schuld. Eins, zwei.)

Als ich 1999 von Hannover nach Hamburg zog, um Werbetextpraktikantin zu werden, war es mir egal, wo ich wohnte. Vor Twitter und in der Wild-West-Phase des Internets hatte ich immerhin herausgefunden, dass man westlich der Alster und nördlich der Elbe wohnen sollte, um zu den cool people zu gehören, und das wollen wir Werber ja alle. Also schaute ich im Hamburger Abendblatt nach Wohnungen, guckte mir eine an, sagte dem Vermieter, dass ich sie gerne haben wollte, mein Väterchen bürgte für mich, und schon hatte ich die Wohnung. Die lag in Altona-Nord, ganz in der Nähe des Bahnhofs, und sie war großartig, wenn man vom Nachbarn absah, der gerne morgens um 4 anfing, die Begleitstimme zu seinen Bluesplatten zu geben. Oder das, was er für die Begleistimme hielt. Anfangs trat ich gegen die Wand, dann entdeckte ich Ohropax und lebte weiter in Altona vor mich hin.

Bis ich eines Tages im firmeneigenen Intranet eine Wohnung ins Eimsbüttel entdeckte. Sie war einen Hauch größer, und weil ich inzwischen keine Praktikantin mehr war, sondern ausgewachsene Texterin, konnte ich dieses Mal auch selber die Miete zahlen. Ich sagte der Vermieterin, dass ich die Wohnung gerne hätte, und schon hatte ich sie. Eimsbüttel also, immer noch westlich der Alster und nördlich der Elbe. Ein bisschen schicker als Altona-Nord und vor allem: mit scheinbar stummen Nachbarn. Ich habe nicht mal auf dem Land in der Nähe von Hannover so ruhig gewohnt wie in dieser Wohnung, obwohl die Osterstraße quasi vor meiner Haustür lag.

Kurz vor dem Umzug lernte ich den Kerl kennen. Der lebte verwegen in Hoheluft-West, knapp zwei Kilometer nördlich von mir. Der Kerl war und ist überzeugter Fußgänger und streift gerne durch alle Stadtviertel, die ihm unterkommen. Dabei nutzt er seltsame Seitenstraßen, die ich nicht mal auf dem Stadtplan finde, aber er kommt immer wieder nach Hause. Ich selber ging brav die große Gärtnerstraße entlang, die mit dreimal Abbiegen direkt von mir zu ihm führte. Dabei musste ich die Hoheluftchaussee überqueren, die bis heute mit einem seltsamen Fluch belegt ist.

Die nördliche Straßenseite floriert und ist voller gut gehender Geschäfte; Buchläden, Bäcker, Floristen, Apotheken, ein Supermarkt, ein Bioladen, ein Geschäft für Schokolade, ein vietnamesisches Restaurant. Wenn man ein paar Meter weiter nördlich von der Hoheluftchaussee weggeht, entdeckt man den Straßenbahnring, wo sich ein hochpreisiges Möbelgeschäft, ein wundervoller Buchladen, eine Werbeagentur und ein Küchentempel abwechseln.

Auf der südlichen Straßenseite dagegen: Untergangsstimmung. Die Läden wechseln im Jahrestakt die Besitzer, und die, die noch da sind, sind Imbisse oder Billoshops. Alles andere tauscht sich ständig aus oder steht ewig leer. Dieses Phänomen beobachtete auch der Kerl vor Jahren schon und schrieb im November 2003 einen Blogeintrag darüber. Dieser Blogeintrag war der erste, bei dem ich dachte, dem Mann würdest du gerne mal die Zunge in den Hals stecken einen Döner an der Hoheluftchaussee ausgeben.

Seit Januar 2004 bezeichnen wir uns als Pärchen, und im Oktober 2006 zogen wir zusammen. Ich guckte mir drei Wohnungen an, aus denen ich bereits nach zwei Sekunden wieder rausgehen wollte, und betrat dann die vierte. Direkt an der Gärtnerstraße, die ich schon hunderte Male zum Kerl spaziert war. Ich sagte dem Vermieter, dass wir die Wohnung gerne hätten, und schon hatten wir sie. Der Kerl zog knapp einen Kilometer nach Süden und ich knapp einen Kilometer nach Norden – nach Hoheluft-West, dem Stadtteil der schwärmerischen Liebe. Und der mit der seltsamsten Straße Hamburgs.

Ein wagnerianisches Dankeschön …

… an Elke, die mich mit Christian Thielemanns Mein Leben mit Wagner überrascht hat. Über das Buch freue ich mich besonders, weil es mich seit Wochen in den Fingern juckte, es selbst zu kaufen. Perfekte Auswahl vom Wunschzettel! Dummerweise wird es noch ein bisschen auf mich warten müssen, denn ich hatte naiverweise den Arbeitsaufwand unterschätzt, den die Uni von mir verlangt. Mein monatlicher Bücherrückblick wird wahrscheinlich nur aus der Beethoven-Biografie bestehen, die ich gerade lese; ansonsten könnte ich noch auf stapelweise kopierte Handapparate verweisen, aber das zählt ja nicht. Wie auch immer: Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr darüber gefreut.

November-Journal, 15. und 16.11.2012

Mittwoch

Der lange Uni-Tag. Erster Kurs immer noch der, auf den ich mich am meisten freue: die Musikgeschichte 1700–1830. Die letzten beiden Male hatten wir die Frage „Was ist Musik?“ auf zwei Arten beantwortet: einmal ist sie die Nachahmung der Natur (wir erinnern uns: das Zeitalter des Rationalismus, Musik bildet die Natur bzw. menschliche Regungen nach und folgt dabei strengen Regeln); dann hatten wir das Zeitalter der Empfindsamkeit, wo Fantasie und Improvisation höher geschätzt wurden als die bis eben gültigen Regeln. Musik sollte bewegen und die Gefühle des Komponisten hörbar machen. Das 18. Jahrhundert, das kleine Chamäleon, hat aber noch eine weitere Richtung zu bieten: die romantische Musikästhetik. Musik ist nach ihr „eine abgesonderte Welt für sich“ (Ludwig Tieck, ja, der mit der Shakespeare-Übersetzung).

Wo vorher die Vokalmusik wegen ihrer leichteren Verständlichkeit geschätzt wurde, gilt nun die Instrumentalmusik als höherwertig. Dabei ist die romantische Ästhetik ein rein deutsches Phänomen; viele deutsche Dichter befassten sich mit Musiktheorie, der schon genannte Tieck zum Beispiel oder E.T.A. Hoffmann (der auch komponierte), Friedrich Schlegel (der andere mit der Shakespeare-Übersetzung) oder Jean Paul. Ganz vorneweg war Wilhelm Heinrich Wackenroder, dessen „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ schon im Titel eine gewisse Schwärmerei erkennen lassen. Für ihn war Instrumentalmusik „die wunderbarste aller Künste“ und er schrieb ihr eine „göttliche Qualität“ zu. Was eben noch bemängelt wurde – die Unverständlichkeit der Instrumentalmusik – war auf einmal ihre Stärke; sie galt als Indiz für die metaphysische Qualität der Töne, sie war ein „Medium göttlicher Offenbarung“, die „höchste Stufe der Erhabenheit“. Musik ermöglicht den Kontakt mit der Irrealität und den eigenen Träumen – da stören Worte nur. Selbst die Flüchtigkeit eines musikalischen Erlebnisses wurde auf einmal geschätzt: Genau wie Wolken und Wind war es himmlischen Ursprungs.

E.T.A Hoffmann regte an, die ollen Opern doch mit einer herrlichen Symphonie zu beenden; dieser Vorschlag wurde allerdings nicht umgesetzt. Aber: Es gab in den Jahrzehnten danach durchaus Komponisten, die die Oper nicht mehr mit Worten enden ließen, sondern nach den letzten Sätzen ein bisschen Instrumentalmusik anboten. Der Dozent meinte: „Ich spiele Ihnen mal ein Beispiel eines solchen Schlusses vor“, legte eine CD ein, drückte auf Play – und ich kämpfte mit den Tränen. Es war der Schluss der „Götterdämmerung“, der mich auch im Opernhaus jedesmal fertig macht, aber da habe ich vier Stunden Zeit, mich darauf vorzubereiten. Hier wurde ich in meine Lieblingsmusik geschmissen und war so ergriffen wie selten. Als die drei Minuten verklungen waren, fragte der Dozent: „Das kennen Sie, oder?“, worauf der halbe Kurs gelangweilt murmelte: „Götterdämmerung.“ Die kennen das! Die sind 20 und kennen das! An mein Herz, Jugend von heute!

In der Kunstgeschichte 500 bis 1500 sind wir gerade in der Gotik. Der Dozent quengelte mal wieder, dass wir durch die neue Studienordnung für nix mehr Zeit hätten, weswegen die Gotik nur lausige zwei Sitzungen bekäme. Jetzt, wo ich mit ihm virtuell durch die unfassbaren Kathedralen von Laon, Chartres, Reims und Amiens spaziert bin, quengele ich auch.

Der Dozent erwähnte das schöne Wort „Turmwut“, weil in der Gotik gerne mal auf alles Türmchen gesetzt wurde, und ballerte uns, wie jede Woche, mit Fachausdrücken voll, die ich mir allmählich mal auf Karteikarten schreiben und auswendig lernen sollte. Das klingt dann ungefähr so: „Ein dreischiffiges Lang- und Querhaus in Kreuzstruktur, fünfschiffiger Chor mit doppeltem Umgang und Kapellenkranz, über dem Arkadengeschoss das Triforium mit vier Fenstern – wir sagen trotzdem TRIforium dazu –, Lanzettenfenster im Obergaden, polygone Dienste um die Säulen, runde Dienste um die Pfeiler.“ Und ich nickte und guckte auf die Folien vorne und war verknallt in die französischen Baumeister, die vor 800 Jahren so viel filigrane Schönheit in die Gegend gebaut haben.

Abends mit @fehlpass und dem temporären Mitbewohner das Hollandspiel geguckt und es in jeder Sekunde bereut. Immerhin gab’s Flips und Bier. Für unsere Verhältnisse total früh im Bett gewesen und erstaunlich wenig Alkohol getrunken. (Meine Leber freut sich sehr auf die eigene Wohnung. Der Rest ist hin- und hergerissen. Es ist halt doch ganz schön gemütlich hier, und es bringt einem dauernd jemand gekühlte Getränke. Womit wir wieder bei Punkt 1 wären: Meine Leber freut sich sehr auf die eigene Wohnung.)

Donnerstag

Vom Stromausfall nix gemerkt, vom iPhone geweckt worden, wir hatten Strom, das einzige, was ich noch mitbekommen habe, waren die brechend vollen U-Bahnen um 9.30 Uhr in Richtung Uni. Das war aber wider Erwarten sehr amüsant, weil wir einen klasse Fahrer hatten, der „meine“ vier Stationen fast komplett durchgequatscht hat (bitte entschuldigen Sie die fürchterliche bairische Transkription, für Verbesserungsvorschläge wäre ich sehr aufgeschlossen): „Jetzt rückts amoi zusamm, dann kimma auch alle nei. … Erst aussteign lossn, dann nei mit eana … nah, jetzt fahrn ma los, wir nehmen auch keine blonden Frauen mehr mit … jetzt lossts amma den Rollstuhlfahrer nei … kimmats hier nach vorn, do ist noch Platz, die lächeln auch alle …“ Beim Aussteigen zeigten viele Mitfahrende dem Fahrer den Daumen nach oben oder bedankten sich für den Spaß, den sie hatten.

In der ersten Vorlesung „Die Messe in der Renaissance“ schaffte es der Dozent allen Ernstes, in 15 Minuten einen gedanklichen Bogen von der Messe zu Musik in Computerspielen zu schlagen, Stichwort Gebrauchsmusik. Ich kann das nicht wiedergeben, ich habe beim faszinierten Zuhören das Mitschreiben vergessen. Und ich kann endlich diesen seltsamen „Mittelalter-Klang“ (ja, ich weiß, die Renaissance ist nicht das Mittelalter, aber fast) benennen, also den Tonabstand, den ich immer mit dieser Zeit da ganz früher verbinde: Es ist die olle Quarte, die langweilige Tante.

Bei den „Skulpturen der Romanik“ gab’s dieses Mal endlich was Nachvollziehbares, nicht wie sonst ein hysterisches Springen von Kirche zu Kirche, um ein Kapitell hier und ein Tympanon da anzugucken. Das hat mir diese Vorlesung bis jetzt jedenfalls eher madig gemacht; ich schreibe hektisch mit, weil der Dozent seine Folien nicht rausrückt und habe einen Riesenbildband gekauft, um jetzt stumpf Bilder auswendig zu lernen, die eventuell in der Klausur drankommen könnten. (Mir fällt keine andere Art ein, mich vorzubereiten.) Mir fehlt aber die Begeisterung, die bis jetzt alle anderen Dozierenden in mir wecken konnten – vielleicht weil sie besser einordnen, weil sie aufzeigen, was so toll an den Dingen ist, die sie uns nahebringen. Diese Vorlesung ist ein nicht enden wollender Diavortrag, und er ist nicht besonders gut.

Dieses Mal hat’s aber funktioniert: Wir blieben in Cluny bzw. St-Madeleine in Vézelay, wo wir wunderschöne Kapitelle zu sehen bekamen, die eben keine Einzelmeister waren, sondern in sich einen geschlossenen Zyklus bildeten. Wenn Sie sich das bitte mal selbst in der Wikipedia durchlesen möchten? Vor allem die „mystische Mühle“ fand ich großartig. Zum ersten Mal habe ich die Schönheit der romanischen Skulptur nachvollziehen können – aber vielleicht klappt das auch nur, weil ich in anderen Kursen inzwischen was über die Ottonen und die Karolinger gelernt habe und nun weiß, woher die Romanik ihre Formen bezieht.

Telekom-Mensch beim Anschließen des Routers zugeguckt. Konnte danach trotzdem kein W-LAN in meiner leeren Wohnung einrichten, weil ich den Adapter für das Netzkabel vergessen hatte. Das MacBook Air ist so wunderschön und ich liebe es sehr, aber diese nicht vorhandenen Anschlüsse machen mich fertig.

Der temporäre Mitbewohner guckte sich die Jahreshauptversammlung des FC Bayern vor Ort an; ich ließ mich als Schönwetterfan beschimpfen, aß Brezn, lungerte auf dem Sofa rum, guckte Serien und checkte bei der Lufthansa ein. Ab nach Hause.

November-Journal, 14.11.2012

Mein einziger Dienstagskurs beginnt um 12 Uhr. (Jaha, ich weiß, 12 Uhr, das ist dann, wenn in der Agentur langsam das mittägliche Magenknurren beginnt.) Mein Wecker klingelt jeden Tag um 8; den Luxus gönne ich mir, ihn von 7 vorzustellen, an dem er zu Agenturzeiten immer geklingelt hat. Das heißt, eigentlich bin ich um spätestens 9.15 Uhr geduscht, geschminkt, abgefrühstückt und zu allem bereit – außer das MacBook spielt gerade Serien, die Decke ist so schön warm und ich muss ja erst um 12 in der Uni sein. Anstatt also um 10 in der Bibliothek zu sitzen, guckte ich „Castle“ und „How I Met Your Mother“, dem ich immer zubrülle, please meet her fast, I can’t stand this show anymore, what happened, I used to love you so much, and stop making your fucking fatty jokes, assholes. Dann entschlummerte ich noch mal, denn die Decke ist so schön warm und ich muss ja erst um 12 in der Uni sein. Da ich aber erst um kurz nach 11 wieder wach wurde, war ich erst um 12.14 in der Uni, eigentlich hatte man schon halb angefangen mit dem Porträtkurs, und die schönen Sitzplätze waren auch weg, aber gut, sitze ich halt hinten neben den beiden Blondchen, die lieber quatschen als zuhören.

Ein junger Mann hielt ein Referat über Jan van Eycks Rolin-Madonna, das eher konfus war, mir aber aufzeigte, wie ich mein eigenes Referat strukturieren sollte, das ich in zwei Wochen halte.

Den Probelauf habe ich schon hinter mir, denn nach der Uni saß ich noch vier Stunden in der Bibliothek und las und las und las; danach ging ich in meine Wohnung und wartete auf den temporären Mitbewohner, der die montäglichen Ikea-Einkäufe noch im Kofferraum spazierenfuhr. Ich wartete etwas länger als erwartet, und als ich keine Lust mehr hatte, Twitter zu lesen oder auf dem iPhone Sudoku zu spielen, erzählte ich meinem leeren Schlafzimmer einfach etwas über Hans Memling und seine Andachts-Diptychen. Dabei bemerkte ich, dass ich meinen Referatstoff schon ziemlich gut drauf habe, was mich sehr gefreut hat. Mein Schlafzimmer bestimmt auch.

Den Abend verbrachte ich mit dem temporären Mitbewohner und Herrn Knüwer, der gerade ein paar Tage in München ist. Wir hörten auf eine Empfehlung von Cucina Casalinga, die mir den ältesten Italiener Münchens ans Herz legte, die Osteria Italiana. Kann man machen. Sehr gut sogar.

November-Journal, 13.11.2012

Profitipp: Wer sonntags in die Unibibliothek geht, kann montags entspannt Serien gucken. Habe ich den ganzen Vormittag gemacht und bin dann einkaufen gegangen, meine Wohnung weiter darauf vorbereiten, dass ab nächste Woche endlich jemand in ihr wohnt.

Zunächst das Wichtigste: Weingläser und Teekanne. Beim Kaufhof am Marienplatz erstanden, in die Wohnung geschleppt, dann zum benachbarten Karstadt an der Schleißheimer Straße gegangen. Schneidbrett, Waage, Messbecher, Nudelholz, Plastikschüsseln, Teigschaber, Suppenkelle, Tupperdosen, was man halt so braucht. Innerlich Frau Lu verflucht – früher hätte meine Küchenausstattung aus einem Rost, Backpapier und einem Karton für die leeren Pizzaschacheln bestanden, heute denke ich ernsthaft darüber nach, ob ich noch eine Nudelmaschine und einen Zestenreißer brauche. Was natürlich in Hamburg vorhanden ist, weswegen es mir schwerfällt, es noch einmal zu kaufen. Zwei Nudelmaschinen braucht wirklich niemand.

Danach vom temporären Mitbewohner ein weiteres Mal zu Ikea chauffiert worden, um endgültig die Küche vollzustellen. Abends gab’s Carnage auf DVD, den ich okay, aber nicht total toll fand.

November-Journal, 12.11.2012

Morgens die totale Streberin gemacht und für vier Stunden im Lesesaal der Zentralbibliothek verschwunden. Alleine zwei Stunden über Beethovens Klaviertrio Op. 1 gebrütet. Nachdem wir in der letzten Stunde den ersten Satz durchgekaut haben, kommen nächstes Mal die letzten drei Sätze dran. Ich suchte also nach der Grundtonart, Variationen, Imitationen, lustigen Akkordfolgen, die mir irgendwas sagen wollen – und nach und nach war das ganze Notengewirr kein Notengewirr mehr, sondern eine verdammt clevere Ansammlung von Tonfolgen, die mich sogar in Schriftform begeistern konnten, ohne dass ich sie höre. Nebeneffekt: Ich höre jetzt auch bei Popsongs genauer hin und suche Wiederholungen, Terzen, Synkopen. Der temporäre Mitbewohner meint: „Du hast deine Unschuld verloren.“ Ich meine: Das ist alles sehr aufregend.

Danach zu meiner Wohnung gefahren und die Saturn-Einkäufe von vorgestern aus ihren Pappkartons befreit. Der temporäre Mitbewohner war von der Hochgeschwindigkeit entsetzt, mit der ich durch den Elektromarkt sprintete: Die Nespresso-Maschine hatte ich mir vorher ausgesucht, der Rest war Spontankauf. „Du musst doch vergleichen, dich informieren, Testberichte lesen …“ (ab hier habe ich nicht mehr zugehört.) Ich kaufe, was mir gefällt. Von einem Staubsauger erwarte ich, dass er staubsaugt. Das werden wohl alle Geräte können, die da vor mir stehen, und wenn er noch halbwegs okay aussieht und kein Monatsgehalt kostet, passt das. In nicht einmal 45 Minuten waren wir wieder draußen. Der Mitbewohner hatte Schnappatmung und ich ein befriedigtes „Keine Zeit für Quatsch verschwenden“-Gesicht.

Meine Eltern angerufen, die immer noch etwas zögerlich auf meinen München-Enthusiasmus reagieren. „Aber du hast doch so einen guten Job.“ Ja, Mama. „Du brauchst das doch gar nicht.“ Nein, Mama. „Und was das kostet!“ Wem sagst du das, Mama. Sie versuchen sich für mich zu freuen, aber so ganz haut das nicht hin.

Die beiden haben quasi ihr ganzes Leben lang gearbeitet, weswegen es für sie schwer nachzuvollziehen ist, wie jemand freiwillig einen Job ruhen lässt, bei dem man mehr verdient als es die beiden jemals hinbekommen haben. Ich war aber sehr gerührt davon, dass mein Papa mich während des ganzen Immatrikulationsstresses anrief und mir sehr lange seine Laufbahn beschrieb, während der er auch mal den Wunsch verspürt habe, sich zu verändern, etwas anderes zu machen. Hat er aber nie, und im Nachhinein war das auch die richtige Entscheidung. Dagegen konnte ich natürlich nicht anstinken, denn außer „Ich mach das, weil ich das gerade will“ habe ich argumentativ nicht viel zu bieten. Wobei ich als Wohlstandskind ja eh nix zu bieten habe, was gegen die Kriegsgeneration anstinken kann. Ich weiß sehr wohl, was meine Eltern geleistet haben – abgesehen von so cleveren Ideen wie die zehnjährige Anke in eine Wagner-Oper oder in eine Ausstellung über ägyptische Kunst zu schleppen –, und das sage ich ihnen auch. Aber umgekehrt hadern sie noch etwas damit, dass ich mich auf einmal mit Dingen „hauptberuflich“ beschäftigen will, die doch eher für die Freizeit da sind. (Stichwort „brotlose Kunst“.)

November-Journal, 11.11.2012

Morgens Saturn leergekauft: Staubsauger, Wasserkocher, Nespresso-Maschine – jajaja –, Stabmixer, Docking Station fürs iPhone zum Beschallen der Küche, Radiowecker zum Beschallen des Badezimmers und damit ich morgens nicht rumtrödele, was ich im Bad sehr gerne mache, Sie kennen das, kurz vor der Arbeit noch mal schnell ein Musical durchsingen; und einen DruckerKopiererScanner. Mit Kabeln und Papier und Mehrfachsteckdosen und ich glaube, das war’s.

Danach Lebensmittel eingekauft, was nicht ganz so einfach war, weil eine Demo auf eine Gegendemo traf und viele nette Menschen in schicken Uniformen uns den Weg weiträumig absperrten. Trotzdem irgendwie durchgekommen, ein verspätetes Weißwurstfrühstück eingenommen, und dann haben wir uns auf den Weg in die Allianz-Arena gemacht. Ich hatte keine Karte, hoffte aber auf den Schwarzmarkt nette Menschen mit Karten in Stadionnähe. Diese Menschen waren allerdings extrem spärlich verteilt – das kenne ich von so gut wie allen Champions-League-Spielen anders –, weswegen ich traurig den Rückweg antrat und schon am U-Bahnhof war, als mein Handy klingelte. Der temporäre Mitbewohner (mit Dauerkarte) hatte direkt vor dem Stadion noch zwei nette Menschen mit Karten getroffen, die ihre 60-Euro-Karte allen Ernstes für 50 Euro loswerden wollten. Anstatt in die gerade einfahrende U-Bahn zu klettern, spurtete ich den Kilometer zur Arena zurück, nahm die Karte in Empfang und schleppte mich über gefühlte zehn Stockwerke in den Oberrang, von wo die Sicht weitaus besser ist als es das verschwommene iPhone-Foto wiedergeben kann. Aber gucken Sie mal, wie schön das Rot der Außenhaut in die oberen Aufgänge scheint.

Nach dem Spiel müde, aber zufrieden (2:0) Hähnchen (yay!) mit Kartoffelpüree (nay!) vom Lindwurmstüberl geholt, bei der Sportschau verzehrt, danach versucht, Tinker, Tailor, Soldier, Spy zu gucken, was ich nach 30 Minuten quengelnd unterband („Laaaangweiliiiig!“), woraufhin Charade im DVD-Player landete, was weitaus mehr Spaß machte.

“You’re blocking my view.”
“Which view would you prefer?”
“The one you’re blocking.”

November-Journal, 10.11.2012

Das mit dem Tweets-Einbinden wie gestern ist super. Ich muss gar nichts mehr bloggen, ich zitiere mich einfach selbst.

Der Tag begann in St. Joseph, das ich peinlicherweise als „Josephskirche“ auf Foursquare angelegt habe. Ich gehe gerne in Kirchen, ganz egal ob es mir gut oder schlecht geht, ich mag die Ruhe und die Zeit, in der ich mich kurz besinnen kann. Die Kirche gestern bestand quasi nur aus Ruhe, denn ich war ganz alleine und konnte so alle Bilder und Skulpturen und den Altar angucken und eine Kerze für 80 Cent (süß) anzünden. Aber das Gefühl der Besinnung stellte sich nicht sofort ein wie sonst, sobald ich eine Kirche betrete. Stattdessen:

„Das 1. Mal, das ich in eine Kirche komme und denke, einschiffiger Longitudinalbau, Tonnengewölbe, Pfeilerarkaden, Apsis.“

Ich hatte es nicht einmal darauf angelegt, zu gucken, was in den vier Wochen Uni schon hängengeblieben ist; das ploppte einfach so auf, als ich meinen Blick schweifen ließ. Like!

Danach schlenderte ich zur Bibliothek der Kunstgeschichte, denn in drei Wochen steht mein erstes Referat an OMG! und zwar zum Thema Hans Memling, genauer gesagt, lese ich gerade alles zu seinem Andachts-Diptychon des Maarten van Nieuwenhove. Sie können sich das Bild und ein paar lausige Stichworte dazu im Internet angucken.

Meine Pfandmünze für die Bibliotheksschließfächer ist übrigens das 2-Euro-Stück mit dem Hamburger Michel drauf.

Ich versank in meinen Bücherstapel, blätterte hierhin und dorthin, tippte eifrig Stichworte ins MacBook und vertiefte mich, vom Bild ausgehend, in Andachts-Diptychen anderer Maler, in Ehepaarporträts, in die Funktion von Diptypchen überhaupt und fand alles ganz großartig. Je länger ich mir Bilder von Memling anschaute, desto mehr wollte ich in die Alte Pinakothek, in der mindestens ein Memling hängt und die netterweise direkt um die Ecke ist, aber die Öffnungszeiten kollidierten etwas mit meinem Getippe. Denn wie ich in der Werbung gelernt habe: Never leave a hot keyboard. Wenn du im Fluss bist, geh nicht aus ihm raus. Aber trotzdem hat mir die Pinakothek den Tag versüßt mit diesem Satz auf ihrer Homepage:

„Freien Eintritt haben Studenten der Kunst, Kunstgeschichte, Kunstwissenschaften und Kunstpädagogik.“ #Pinakothek, my love“

Abends wurde ich turnusmäßig vom temporären Mitbewohner bekocht (der Mann macht einen Killersalat aus Avocados, Tomaten, roten Zwiebeln, Thunfisch und – Zitronen), und dann versackten wir vor Highlander. Den kann man wirklich immer noch gucken. It’s a kind of magic.

November-Journal, 7. bis 9.11.2012

Dienstag

Porträtkurs. Clevere Idee von Menschen, sich dem christlichen Bilderverbot zu widersetzen („Du sollst dir kein Bildnis machen yada-yada-yada“, weswegen Porträts seit der Christianisierung ein totales No-go in Mitteleuropa sind): Man stiftet der Kirche einen Batzen Geld oder ein Landgut oder gleich ne Kirche und kriegt dafür zunächst eine Urkunde. Dann eine Inschrift, vielleicht am Altar. Dann ein winziges Bildnis, auch am Altar. Und irgendwann sind wir beim sogenannten Stifterbild, in dem der Stifter sich mit kirchlichen Würdenträgern oder sogar Herrn Jesus persönlich im Bild befindet.

Wir hörten von Kaiser Justitian und seiner Gattin Theodora, die Mitte des 6. Jahrhunderts vermutlich als erste in einem Stifterbild erscheinen, und von Papst Pascalis, der sich mal eben in der Apsis von Santa Prassede neben Jesus und ein paar Heilige gestellt hat. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht rumzuquietschen, denn diese Kirche hatten wir auf unserer Romreise besichtigt (18. Mai), und der Papst hat genau diesen lustigen blauen eckigen Heiligenschein, der mir damals schon aufgefallen ist (nicht an ihm). Wie toll. Dann kamen noch andere tolle Bilder und dann ein ganz tolles – bzw. ein tolles Kunstwerk, nämlich der Genter Altar von Jan van Eyck.

Der wurde von Jodocus Vijd und seiner Gattin gestiftet bzw. die beiden sind unter anderem zu sehen, und zwar knien sie neben zwei Heiligen. Das Besondere: Die Heiligen sind als Skulptur dargestellt, was van Eycks sehr früher Beitrag zum Paragone ist, dem Wettstreit, ob Bildhauerei oder Malerei nun die tollere Kunst sei. Wenn ich mich richtig erinnere, sind beide gleich toll, aber jetzt beim Aufschreiben bin ich mir nicht mehr sicher. Egal. Toller Altar.

Beim Stichwort „Paragone“ höre ich sofort die Stimme unsere Dozentin, die glaubt, wir seien alle im 8. Semester, denn sie sagt ständig „Kennen Sie ja, wissen Sie ja alles“, und wir gucken verstohlen um ums rum und schütteln vorsichtig die Köpfchen.

Danach zum Telekom-Laden, um Internet zu bestellen. Danach zu Ikea, um Möbel zu bestellen. Danach zum temporären Mitbwohner, der mit einem Festessen aufwartete. Wobei ich bei Muscheln immer so nach zehn Stück das Gefühl habe, reicht jetzt mit meinen Verwandten (Sternzeichen Fisch), da setzt dann immer ein leichter Widerwille gegen das Zeug ein. But look how pretty.

Mittwoch

Erste Vorlesung Musikgeschichte, mein Lieblingskurs. Ein begeisterter Professor, der zwischendurch singt und Noten an die Wand wirft und Tonbeispiele raushaut – oder schwungvoll die Abdeckung vom Flügel auffächert als wär’s ein Musketier-Mantel, sich ans Instrument setzt und mal eben vom Blatt ein bisschen Bach spielt. Nein, der andere Bach.

In Kunstgeschichte lernte ich, die riesengroße Monsterabtei von Cluny zu vermissen, die ich nie gesehen habe und auch nie sehen werde, weil nur noch klägliche Reste davon rumstehen. Die zur Vorlesung gehörige Übung musste ich leider ausfallen lassen, weil ich sonst nicht rechtzeitig ins Stadion gekommen wäre.

Danach in charmanter Viererrunde am Küchentisch bei den traditionellen White Russians versackt.

Donnerstag

Nie wieder White Russians. Sehr müde gewesen, natürlich brav zur Uni gegangen, denn die Messe der Renaissance wartete. Und mit ihr Introitus, Kyrie, Gloria, Oratio, Graduale, Alleluja, Credo, Sanctus, Agnus Dei und Ite Missa Est. Und noch ein paar weitere lustige Vokabeln, die mich kurz seufzen ließen, dass ich nicht katholisch bin, denn dann wäre ich mit dem Kram vielleicht halbwegs groß geworden. Nach ein paar Klangproben ging ich beseelt zu den Skulpturen der Romanik, dem einzigen Kurs, mit dem ich etwas auf Kriegsfuß stehe, denn der Dozent hat ein recht einschläferndes Timbre. Der Raum war abgedunkelt. Es war warm. Ich war müde. Und für eine Sekunde gab ich mich Morpheus’ Armen hin und merkte, dass ich im Sitz runterrutsche. Danach waren meine Augen Clockwork-Orange-weit offen, ich änderte alle zehn Sekunden meine Position, um bloß nicht noch mal einzunicken und freute mich sehr auf die frische Luft im Innenhof vor dem nächsten Kurs.

Der war dann Beethovens Klaviertrios, die wir in diesem Semester analysieren. Zu gestern sollten wir uns das Op. 1 in Es-Dur zu Gemüte führen. Ich habe Stunden am Küchentisch inmitten von vielen Fachbüchern, Ausdrucken und Google verbracht, um mich 200 Takten Musik zu widmen, denn blöderweise ist dieser Kurs ein Vertiefungskurs. Das hatte ich in der Hektik OMG BEETHOVEN! total übersehen, und jetzt sitze ich in einer kleinen Runde von Fünfsemestern und stelle Fragen wie: „Was ist denn eigentlich ein Klaviertrio?“ In den letzten zwei Wochen habe ich mir viel erkämpft und daher jetzt das Gefühl, 200 Vokabeln auswendig zu wissen – aber keinen einzigen Satz sagen zu können.

Umso spannender war die gestrige Sitzung. Natürlich wurde ich gefragt, was ich denn so zu bieten hätte, denn ich bin mit meinen minderbemittelten Ausführungen immer ein guter Ausgangspunkt. Diesmal konnte ich immerhin triumphierend zeigen, wo das erste Thema anfängt, wo das zweite und dass das zweite total schnafte auf der Dominante beginnt, wie es sich für einen anständigen Sonatensatz gehört (die Trios von Beethoven sind im Sonatensatz geschrieben). Mein Lieblingswort von gestern war „Mannheimer Rakete“, was ich dringend im nächsten Small-Talk unterbringen will. Und ich habe mich noch mehr in den Dozenten verknallt:

November-Journal, 6.11.2012

Am Terminal 2, Hamburg:

Ja, Mensch, Typ im Apricot-Hemd, da hast du dich so schön professionell vorgedrängelt, um quick zu boarden, und jetzt stehst du doch mit uns allen im Finger und musst warten. Wer hätte es gedacht.

In der S8 Richtung München:

Ja, Mensch, Typ im Anzug und mit keckem Mützchen auf, da hast du dich so schön professionell auf drei Sitze verteilt UND die Beine übereinandergeschlagen und so auch noch den niedlichen Versuch gestartet, einen vierten Platz zu blockieren, und jetzt setz ich mich trotzdem da hin. Wer hätte es gedacht.

(Pappnasen sind pappnasig.)

Wohnungsübergabe. Zum gefühlt hundertsten Mal in München gedacht, hossa, jetzt bist du echt in München. Auf 44 Quadratmetern in der Maxvorstadt, um genau zu sein. Ein Zimmer – das wird das Schlafzimmer, logisch –, fast genauso große Wohnküche – da kommt meine total innovative Küchentisch/Arbeitstisch-Kombi hin plus der Drucker, den ich nicht im Schlafzimmer haben will –, Bad mit Badewanne und: eine Abstellkammer bzw. ein begehbarer Kleiderschrank. Schon mit Böden und Kleiderstange drin. Der temporäre Mitbewohner hat drei Wochen lang Witze darüber gemacht, dass ich Wohnungen ohne Abstellkammer oder wenigstens Stauraum sofort verworfen habe, aber für mich ist das wirklich ein K.O.-Kriterium, wenn ich in einer 1-Zimmer-Wohnung (nach der hatte ich ja gesucht) ständig meinen Staubsauger sehen muss, weil er nirgends zu verstecken ist. Jetzt hat er ein prima Plätzchen. Wobei: Ich muss erstmal einen Staubsauger kaufen, den ich verstecken kann.

Das „Hossa, jetzt bist du echt in München“-Gefühl wurde abends noch schlimmer, als der temporäre Mitbewohner sein Auto umbaute, um meinem ganzen Krempel nach dem ersten Ikea-Einkauf Platz zu machen. Denn anstatt unsere Hamburger Wohnung halb auszuräumen und hier wieder aufzubauen, kaufe ich lieber alles neu. Kommt preislich ungefähr auf dasselbe raus und ist weniger Nervkram. (Bis jetzt. Mal sehen, wie der Ikea-Einkaufs-, Liefer- und Aufbauservice funktioniert.)

Unsere Hamburger Wohnung ist neben Holztönen creme, rot und violett, die in München wird grau und grün. Damit ich weiß, wo das richtige Zuhause ist und wo das fast richtige.

Zwei schöne Mails an einem Tag. Ich zitiere die erste:

„Ich finde es faszinierend, daß du wieder zur Uni gehst. Ich glaube ich könnte das nicht und möchte dir gerne meine Bewunderung aussprechen! (…) Entfernungsbeziehung ist scheiße, auch das kann ich dir bestätigen. Es zeigt mir aber, wie sehr du dieses Studium brauchst.“

Dass mit dem „brauchen“ hatte ich so noch gar nicht gesehen, aber: Ja. Wenn ich das alles in Kauf nehme und dabei auch noch meine Ersparnisse auf den Kopf haue, dann ist das anscheinend mehr als nur etwas, was glücklich macht. Vielleicht ist es wirklich etwas, was sein muss.

Und die zweite:

„Übrigens wollte ich Ihnen schon lange mal sagen, dass Den-Blog-von-der-ollen-Gröner lesen, manchmal, also wenn man an so ins stille Zimmerchen kommt und nur sein Wurstbrot als Gesprächspartner zur Verfügung steht, schon sowas Vertrautes hat. Bisschen wie Heimkommen.“

Dankeschön.

November-Journal, 5.11.2012

So ziemlich den ganzen Tag brav damit zugebracht, die letzten beiden Uniwochen von der Kladde in anständige Word-Dokumente zu übertragen. Das wollte ich eigentlich jedes Wochenende machen, aber Donnerstag vor einer Woche rief mich eine nette Agentur aus Berlin an, ob ich total spontan ab Freitag bis eventuell Dienstag arbeiten könnte? Dafür müsste ich auch nicht nach Berlin kommen, von zuhause ginge auch. Ich überlegte kurz, wo gerade zuhause ist, überschlug meinen Stundenplan und wir klamüserten ein paar Arbeitstage aus, mit denen wir beide zufrieden waren. Im Endeffekt waren es drei statt fünf, was einerseits okay ist, weil der Widerwille gegen Autoheadlines immer stärker wird, je länger ich mich mit Beethoven und Botticelli beschäftige; andererseits würden fünf Arbeitstage sehr entspannt zwei Wohnungsmieten und ein paar Flüge bezahlen. (Okay, drei tun’s auch, aber ab und zu esse ich auch ganz gern was oder kaufe Bücher total wichtiges Unizeug.)

Daher dachte ich das komplette letzte Wochenende über Volkswagen nach und wurde dann Montag etwas unplanmäßig krank, weswegen das Übertragen noch ein paar Tage warten musste. Jetzt kann es nicht mehr warten, denn natürlich werde ich als unwissendes Erstsemester minütlich hibbeliger, was bloß in den Klausuren am Semesterende auf mich wartet und was ich dafür noch alles lernen muss. Ich hoffe, ich bin im zweiten Semester total abgeklärt. Andererseits mag ich meine großäugige Ahnungslosigkeit derzeit ganz gerne.

Fußball geguckt bzw. dabei eingeschlafen (alles wie immer). Koffer gepackt. Am Kerl festgehalten. Schon nach drei Wochen darüber genölt, dauernd von zuhause weg zu sein. Andererseits bin ich dafür bei Beethoven und Botticelli. Noch 13 Wochenenden bis zu den Semesterferien und davon sind zwei Weihnachten. Ein Klacks. (Mein neues Mantra: ein Klacks.)

November-Journal, 4.11.2012

Morgens hin- und hergerissen gewesen: Der geplante Fußballbesucher sagte nicht ganz unerwartet ab, ich saß mit zwei HSV-FCB-Karten rum und konnte mich nicht entscheiden. Alleine ins Stadion? Mit einem/r Unbekannten/r neben mir? Beide Karten raushauen? Einfach liegenlassen und spontan hinfahren – oder eben spontan verfallen lassen? Ein Elend. Schließlich siegte das innere Plüschtier, das nach zehn Tagen Trennung den Kerl gar nicht mehr loslassen wollte: Sofa und Kuscheln statt Stadion und Kreischen. Es dauerte dann auch nur fünf Minuten, bis die Karten eine neue Heimat gefunden hatten, was mich für die Dame sehr freut, die uns sicherlich würdig im Fanblock vertreten hat.

Steuer für Oktober gemacht. Meine Steuerberaterin wird mich für die ganzen winzigen Münchenfahrscheine so hassen. (Memo to me: Monatsticket kaufen.)

Den Anmeldeantrag für München ausgefüllt, in einen Briefumschlag gepackt und zusammen mit dem Steuerkram eingeworfen.

Danach Milchkaffee und Kuchen mit Frau @hammwanich, die mir von ihrer Hochzeitsreise berichtete, während ich von meinen Abenteuern in der Kunst und Musik erzählte. Unsere leuchtenden Äuglein dürften einander Konkurrenz gemacht haben.

Nicht dass ich mich über die Unlustigkeit meines temporären Mitbewohners in München beschweren möchte (ganz im Gegenteil), aber so wunderbare Sätze wie „Und ich sag noch: keine Babys in Garagen rumliegen lassen“ bringt eben nur der Kerl.

Jetzt weiß ich wieder, was an Wochenendbeziehungen nervt: alles.

November-Journal, 3.11.2012

Ich bin gerade drei Wochen in München und das nicht mal richtig, und ich renne schon wie eine Ehemalige durch Hamburg. „Ach guck, die Baustelle ist weitergewandert. Und der Buchladen hat umdekoriert.“

Nachmittags mit Holgi ein zweites Interview gemacht zum Thema Bloggen. Wobei wir eigentlich erstmal viel gelacht und viele Donuts gegessen haben, aber dann haben wir uns auch übers Bloggen unterhalten. Das ist für mich gerade recht weit weg – zum einen, weil es so selbstverständlich zu meinem Tag gehört, dass ich nicht mehr darüber nachdenke, zum anderen, weil ich gerade über so viele andere Dinge nachdenke.

Es sind Kleinigkeiten, die mir auffallen und die Veränderungen zeigen. Das erste Mal, als der lange Uni-Mittwoch vor mir lag, überlegte ich mir, was alles in meinen Rucksack müsste, damit ich weder verhungere oder vor Durst umkomme. In der Agentur steht meine Müslidose an meinem Platz, im Agenturkühlschrank wartet die Milch, die Kaffeemaschine und ein Berg Wasserkisten sind den ganzen Tag für mich da, und meistens steht auch noch ein Korb Obst rum. Weitere Komfortfunktionen meines Arbeitsplatzes: In der Schreibtischschublade liegen meine Atemfrischkaugummis und meine Handcreme, bergeweise Stifte und Post-Its und mein geliebtes Moleskine. Das heißt, ich muss zuhause höchstens einen Apfel neben mein MacBook in den Rucksack packen – falls der Agenturobstkorb doch leer sein sollte – und der Tag kann losgehen.

In meinem Rucksack, der mich durch neun Stunden Uni begleitet, liegt ebenfalls ein Moleskine. Bei dem Tempo, in dem ich es vollschreibe, werde ich allerdings demnächst auf billige Imitate umsteigen müssen. (Nein, DIN-A4-Blöcke, womöglich noch kariert, sind keine Alternative. Ich bin zu alt für neue Schreibformate, ich mag DIN-A5 ohne jegliche Muster.) Daneben liegt eine Brotdose, in der sich ein geviertelter Apfel und ein paar Weintrauben befinden. Dazu ein Joghurt, um dessen Esswerkzeug sich gerade meine iPhone-Kopfhörer wickeln. Oder um die Dose mit den Kaugummis. Oder um die kleine Tube Handcreme. Ebenfalls im Rucksack: eine Flasche Wasser. Immerhin nur ein halber Liter, denn das Münchener Wasser ist so schmackhaft, dass ich es am Wasserhahn auf dem Uniklo nachfüllen kann.

Welches Utensil ich nach meinem Abi 1989 völlig vergessen hatte: Federmäppchen. Alleine das Wort! In den ersten Tagen habe ich, wie immer, wenn ich unterwegs bin und weiß, dass ich irgendwas was notieren muss, einen Kugelschreiber im Rucksack gehabt und fertig. Inzwischen habe ich mein altes Mäppchen wiedergefunden und trage nun zwei Kugelschreiber, einen Bleistift, einen Textmarker und einen Anspitzer mit mir rum. In meiner Brieftasche befinden sich neben meinem üblichen Kartenkram ein Bibliotheksausweis, ein Studentenausweis und eine Kopierkarte, auf der mal zehn Euro Guthaben waren, aber das verringert sich gefühlt beim Atmen.

Das Dusselige am Allesmitschleppen: Ich schleppe es abends meist wieder nach Hause, denn die 30 Minuten zwischen den vier Vorlesungen reichen kaum, um von einem Hörsaal zum nächsten zu kommen (große Uni ist groß und verteilt sich zudem auf mehrere Gebäude, von denen „meine“ Minimum sechs U-Bahn-Stationen voneinander entfernt sind) und sich dort einen Platz zu erkämpfen, der nicht am Rand oder in der letzten Reihe ist. Ich weigere mich, im Hörsaal zu essen – der ist zum Lernen da, findet Oma Gröner –, und deswegen muss ich das erledigen, bevor ich reingehe, aber dann sind eben schon alle Plätze weg und deswegen sitze ich hungrig im Hörsaal, kann dafür aber super sehen und hören (vor allem meinen knurrenden Magen). Ich spüre da noch Optimierungsbedarf, aber nur, wenn der Magen knurrt, denn sonst ist mir das alles egal, das Mitschleppen, das Hungrigsein, weil ich super sehe und super höre und alle zehn Minuten ein innerliches „Ach was?!“ à la Loriot von mir gebe, weil alles so spannend ist.

Holgi hat mir gestanden, dass er geistig auszoomt, sobald ich was Kulturelles schreibe. Ich frag ihn mal, ob er bis hierhin durchgehalten hat. PROFESSOR! PROFESSOR HASTIG!

November-Journal, 2.11.2012

Gestern war in Bayern Feiertag. Das merkte ich allerdings erst, als meine Dozent_innen letzte Woche alle sagten, wir sähen uns dann in zwei Wochen wieder. Der Rückflug nach Hamburg war natürlich längst gebucht, weswegen ich – totale Strafe! – NOCH LÄNGER in München bleiben musste. Da jammere ich jahrelang rum, dass die ollen Bayern so viele Feiertage haben, und jetzt hab ich sie selber und krieg sie nicht mal mit.

Leere Stadt, total ausgebuchter Flieger.

Seit ich vor zehn Tagen nach München geflogen bin, habe ich mich auf den Moment des Nachhausekommens gefreut, genauer gesagt, auf den Moment, in dem die Schiebetüren des Hamburger Flughafens sich für mich öffnen und ich den Kerl wiedersehe und, noch besser, ihn wieder hemmungslos angrabschen kann. Normalerweise checkt der Herr fast zeitgleich mit mir auf Foursquare ein, so dass ich ihn „sehe“, sobald ich im Flugzeug mein iPhone wieder aus dem Flugmodus hole. Dieses Mal sah ich ihn nicht und war schon mitten zwischen quengelig und traurig. Bis ich ihn dann sah, als sich die Schiebetüren öffneten und er sein Kerlgrinsen anmachte und ich anfing rumzuschniefen und er meinte, er habe extra geheim eingecheckt: Das gibt Punkte UND eine Überraschung. (Mistkerl, meiner.)

Eine lobenswerte Dozentin mailt uns immer ihre Unterlagen als pdf zu, damit wir nicht alle einzeln zum Handapparat pilgern und kopieren müssen. Nach drei Uni-Wochen haben sich ungefähr 100 PowerPoint-Folien angesammelt und das wollte ich meinem temporären Gastgeber und seinem Drucker nicht zumuten. Ich hatte mir fest vorgenommen, das sofort brav zuhause zu erledigen, zusammen mit der Steuer für Oktober, dem ersten Googeln, wie ich mein Internet in die Maxvorstadt kriege, wo ich meine Vitra-Stühle kaufe, wie der Einkaufs- und Aufbauservice von Ikea funktioniert, ach ja, und ein Back-up machen muss ich ja auch noch. Das Back-up habe ich geschafft, danach bin ich auf dem Sofa vom Kerl eingeschlafen, während er gearbeitet hat. Home sweet home.