2020 revisited

(2019, 2018, 2017, 2016, 2015, 2014, 2013, 2012, 2011, 2010, 2009, 2008, 2007, 2006, 2005, 2004, 2003.)

1. Der hirnrissigste Plan?

Eine Dissertation zu beenden, obwohl meine Ersparnisse aufgebraucht sind und Jobs für mich, die sich seit Beginn des Studiums ein bisschen aus der Werbung zurückgezogen hat, seit Corona noch spärlicher gesät sind als eh schon.

2. Die gefährlichste Unternehmung?

Während einer globalen Pandemie Zug zu fahren. Glaube ich jedenfalls. Laut aller Studien, die auf Twitter rumgehen und die ich alle wissbegierig und voller confirmation bias lese, steckt man sich ja quasi nirgends an. Wissen wir irgendwas?

3. Die teuerste Anschaffung?

Eine Nähmaschine für 150 Euro sowie diverse Zugtickets in den Norden, aber die wurden vom Mütterlein gesponsert. Eigentlich war meine Miete die teuerste Anschaffung, aber seit mein Konto leer ist, wird auch die vom Mütterlein in diesem Drecksjahr gesponsert sowie von Leihgaben von Freund und Ex-Freund. Hey, wenn man schon im letzten Jahr eher mies verdient hat, aber dachte, ach, das wird 2020 alles besser, aber es dann nicht eintraf, dann kann man in München auch nicht mal eben in eine günstigere Wohnung umziehen, weil sich die Vermieter*innen hier die Leute mit guten Gehaltszetteln aussuchen können. Ich war in diesem Jahr nicht so richtig gut auf diese Stadt zu sprechen – und konnte sie mir nicht mal auf dem Oktoberfest schöntrinken!

Nebenbei: nochmal danke für alle eure Spenden, die werden gerade nicht für Quatsch ausgegeben. Okay, ein Schokoladenpaket aus Wien habe ich mir gegönnt, aber das musste wirklich sein.

4. Das leckerste Essen?

Wir hatten Ende Oktober noch einen Tisch im Tantris, der eigentlich für März reserviert war. Wie wir inzwischen wissen, war das der vorletzte Abend, an dem noch Hans Haas für die Küche verantwortlich war, der zum Jahresende in den Ruhestand gehen wollte und nun seit November nicht mehr kochen durfte. Das war schön, dort noch einmal sehr klassisch essen gehen zu können, auch wenn es zwei Gläser Wein gekostet hat, bis ich nicht mehr flach atmete und mir dauernd die Maske aufsetzen wollte.

Nach der Diss-Abgabe trauten wir uns im Juli ins Broeding, und ein paar Mal nutzten wir zum Jahresende das Menü, das man sich für zuhause abholen konnte. Wie immer sehr gut; ich hoffe, der Laden übersteht diese Scheiße, er würde mir sehr fehlen. (Die Auswärtsmahlzeiten wurden und werden derzeit komplett von F. übernommen, danke dafür!)

Heute abend werden wir nochmal groß tafeln, denn einer unserer Lieblingsköche, Tohru Nakamura, für den wir zwei vergebliche Reservierungen hatten, bietet ebenfalls ein Außer-Haus-Menü an. Es kommt zu spät für diesen Fragebogen, aber ich ahne, dass die diversen Einzelteile und der Glüh-Sake episch werden, gleich nochmal die Zubereitungstipps anschauen.

Für meine Heimkoch-Ambitionen entdeckte ich in diesem Jahr die schärfere und genauer die thailändische Küche, die mich verlässlich sehr glücklich macht.

5. Das beeindruckendste Buch?

Sachbuch:
Kurz vor Jahresschluss beendet: Die Weimarer Republik: Krisenjahre der Klassischen Moderne von Detlev Peukert. Über jeden Absatz in diesem Buch kann man zehn weitere schreiben, aber für einen Überblick ist das kleine Büchlein erstaunlich gründlich.

Ebenfalls toll, weil quasi reine Quellenkunde: Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus von Stephan Malinowski. Liest sich eher nicht nebenbei weg, habe ich trotzdem verschlungen.

Halbherzig empfehle ich Das Buch Alice: Wie die Nazis das Kochbuch meiner Großmutter raubten von Karina Urbach weiter – das war teilweise für mich perfekt, teilweise waren es mir zuviele Nebenschauplätze. Trotzdem: mit Gewinn gelesen.

Ich bin irgendwann in der Mitte von Ron Chernows Biografie von Alexander Hamilton hängengeblieben, aber bis dahin war sie sehr gut lesbar und aufschlussreich. Jetzt gerade möchte ich andere Dinge lesen. Zum Beispiel Demokratie: Eine deutsche Affäre von Hedwig Richter; das habe ich erst vorgestern angefangen, daher schaffe ich es nicht mehr zum Jahresende, aber auf den ersten 100 Seiten konnte ich schon wild mit dem Bleistift interessante Dinge anstreichen.

Fiktion:
Ganz weit vorne ein Klassiker: Radetzkymarsch von Joseph Roth. Eine herrliche Sprache, die allerdings fiese Wien-Sehnsucht erzeugte.

Neu entdeckt habe ich Tessa Hadley, deren Late in the Day (auf Deutsch Zwei und zwei) mir ebenfalls wegen der unaufgeregten Sprache und der distanzierten Erzählerinnenstimme sehr gefallen hat.

In zwei Tagen durchgelesen, muss mir also gefallen haben: The Queen’s Gambit von Walter Trevis. Und beim Kracht-Groupie müssen natürlich auch Die Toten auf die Liste.

6. Der ergreifendste Film?

Ich schaue kaum noch Filme, hänge dafür aber ewig vor Serien rum. Baby Yoda aka „The Mandalorian“ hat mich überraschenderweise gekriegt, aber das war vermutlich nicht die beste Serie. Ich kann mich gerade an nichts erinnern, alles verschwimmt, es ist egal, es laufen meist Folgen im Hintergrund rum, die ich schon zwanzigmal gesehen habe, Friends, How I Met Your Mother, Gilmore Girls, alles, was nett ist und mich nicht aufregt. Ich habe allerdings interessiert Star Trek: Discovery entdeckt. Nach Voyager kam aus der Star-Trek-Ecke nichts mehr, was mich fesseln konnte, aber die Serie gefällt mir trotz ihrer überfrachteten – und teilweise bescheuerten – Storylines gut. Endlich hat mal jemand Geld für anständige Special Effects in die Hand genommen.

7. Die beste CD? Der beste Download?

Nach dem Beethoven-Podcast mit Igor Levit höre ich nach jeder Folge seine Einspielung der besprochenen Klaviersonate durch, aber ich bin noch nicht fertig, weil ich den Podcast nur im Zug höre. Ich bin weiterhin großer Fan der Spotify-Klassiklisten von Gabriel Yoran. Heißt: Ich zahle für Spotify Premium, habe in diesem Jahr aber sonst nichts käuflich erworben, was Musik angeht.

8. Das schönste Konzert?

Die ersten drei Beethoven-Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern im Gasteig im März. Eigentlich sollten alle neun gespielt werden; ich hatte nur eine Karte für den ersten Abend, F. für alle vier Tage, aber die letzten beiden Abende bzw. die Sinfonien 6 bis 9 wurden wegen der Pandemie nicht mehr aufgeführt. F. trauert darüber heute noch, vermutlich sehr zu recht.

Weitere wichtige und schöne Konzerte: alle auf Twitter von Igor Levit, durch den ich „The People United Will Never Be Defeated“ kennengelernt habe. Jede Aufführung war ein großes Geschenk, für das ich sehr dankbar war und bin.

9. Die tollste Ausstellung?

Gleich zwei: die Gobelin-Ausstellung „Fäden der Moderne“ in der Kunsthalle sowie „Innenleben“ von Henrike Naumann im Haus der Kunst. Praktischerweise beide im selben Podcast besprochen bzw. verbloggt. Durch die Ausstellung im Haus der Kunst lernte ich auch Njideka Akunyili Crosby kennen, von der ich gerne etwas an der Wand hätte.

Normalerweise illustriere ich den Fragebogen mit mehreren Fotos, die eine Auswahl meiner Eintrittskarten zeigen, die ich über das Jahr sammele. Dieses Mal reicht ein Foto, wobei die Karte vom Gasteig fehlt, warum auch immer. Ich war noch in einem weiteren Konzert, wo ich allerdings in der Pause gehen musste, weil ich sonst eingeschlafen wäre, was nicht an der Musik lag, sondern am stickigen Raum und meiner persönlichen Befindlichkeit. Ansonsten fehlen die üblichen Fußballtickets, die Oktoberfestbändchen und ein paar Museen außerhalb von München. Das fiel dieses Jahr alles flach. Wie so vieles, daher außer Konkurrenz und ohne dass danach gefragt wurde mein Lieblingstweet des Jahres:

10. Die meiste Zeit verbracht mit …?

Wie letztes Jahr: der Dissertation (plus, neu in diesem Jahr, der Verteidigung derselben), am Schreibtisch, in Archiven, in Bibliotheken. Neu dazugekommen: Job- und Zukunftspanik.

11. Die schönste Zeit verbracht mit …?

Wie letztes Jahr: der Dissertation, am Schreibtisch, in Archiven, in Bibliotheken.

Gleichauf damit: jede Zeit mit F., egal wo, egal wie. In diesem Jahr nur in Deutschland und bis auf einen gemeinsamen Ausflug in den Norden zu meinen Eltern nur in München.

12. Vorherrschendes Gefühl 2020?

WHAT THE FUCK, WELT?

13. 2020 zum ersten Mal getan?

Eine Dissertation eingereicht. Eine Dissertation verteidigt. Theoretisch einen Doktortitel bekommen; ich darf ihn erst tragen, wenn die Diss veröffentlicht ist, was 2021 passieren wird, gleich mal für den betreffenden Jahresendeintrag vormerken.

Monatelang in einer globalen Pandemie gelebt. Mund-Nasen-Schutze genäht. Zwei Kleidungsstücke genäht. Nur noch mit Maske vor die Tür gegangen. Einen Internetsportkurs abonniert. Salat vom Balkon geerntet. Zwei Sauerteige angesetzt. Eine Software namens Zoom kennengelernt. Einen Test auf ein Virus gemacht, zweimal durch die Nase. Dabei festgestellt, wie anders es sich anfühlt, wenn ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt das Stäbchen führt.

14. 2020 nach langer Zeit wieder getan?

Ein Vorstellungsgespräch gehabt, aus dem aber leider kein Job als Kunsthistorikerin wurde. Tagelang CNN geguckt. An einer Nähmaschine gesessen. Regelmäßig Sport gemacht. Die Eltern nicht zu Weihnachten gesehen – das könnte sogar eine Premiere gewesen sein, ich weiß es selbst nicht.

15. Drei Dinge, auf die ich gut hätte verzichten können?

Eine globale Pandemie. (ACH WAS?) Papas verschlechterter Zustand zum Jahresende. Job- und Zukunftspanik.

16. Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Papa davon, mir nachzusprechen: „Herzlichen Glückwunsch zum Doktortitel.“ Hat nicht funktioniert, ich probiere es nächstes Jahr wieder. Ich bin die erste in unserer Familie mit Doktortitel, dazu musste er vermutlich noch niemandem gratulieren, wahrscheinlich wusste er gar nicht, was ich von ihm wollte.

Andere Ãœberzeugungssache: nicht immer zu heulen, wenn ich von Papa blogge. Wobei: Vielleicht muss das so.

17. Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?

Zeit zu haben, monatlich in den Norden zu fahren und meiner Mutter wenigstens ein bisschen Arbeit abnehmen zu können. Mit einem Aussetzer von April bis Juli zur, wie ich dachte, Hoch-Zeit der Pandemie, die dann aber sogar die Talsohle war. Im September saß ich bei deutlich höheren Zahlen wieder im Zug. Im November konnte ich ihr einige emotional schwere Gänge abnehmen, dafür hat sie sich sehr oft bedankt, was mir schon fast peinlich war, weil sie mir in diesem Jahr ebenfalls viel geholfen hat. Auch deswegen bin ich traurig darüber, dass ich Weihnachten nicht bei ihr und Papa und SchwesterSchwager sein konnte. Ich bin sehr froh darüber, dass auch sie Mama sehr unterstützen, was für sie ein bisschen einfacher ist, weil sie nur einen Kilometer von ihr wegwohnen und nicht wie ich, danke, Google Maps, 648.

18. Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?

Ewiges, geduldiges Zureden, dass ich nicht doof bin, sondern eine hervorragend ausgebildete Kunsthistorikerin und dazu eine nur zeitweilig unterbeschäftigte Texterin. Ein Adventskalender aus der Lieblingsstadt. Ein Essen im Tantris. Und jede Paypal-Spende von den Leser*innen, das ist wie dauernd Weihnachten, wenn die Benachrichtigung aufpingt.

19. Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

„Frau Gröner, Sie haben bestanden.“

20. Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

„Danke.“

21. 2020 war mit einem Wort …?

Anstrengend.