Was schön war, Freitag/Samstag, 29./30. Mai 2020 – Duft und Klang

Den Freitag nur halbherzig an der Diss gearbeitet, irgendwie mehr Lust auf Kochen gehabt und das dann umgesetzt. Ich probierte das Rezept für Dan-Dan-Nudeln aus und schon der erste Zubereitungsschritt hat mich deutlich glücklicher gemacht, als Unterpunkte im Inhaltsverzeichnis zu korrigieren. Für das Gericht braucht man erstmal ein Chili-Öl, dazu wirft man eine Zimtstange, ein paar Sternanis, zwei Lorbeerblätter und ein paar Szechuanpfefferkörner in Öl und kocht alles auf, bis es duftet. Und so hing ich zehn Minuten über dem Herd und schnupperte, was mir ganz simpel Freude bereitete. Danach gießt man das aromatisierte Öl über Chilipulver und -flocken und das duftet dann auch, auch wenn ich bei Chili immer noch den Atem anhalte weil scharf und ich Memme.

Dann duftete auch noch die Sesamsauce, die ich herstellte, und als ich das ganze einen Tag später für F. und mich zum späten Frühstück erneut zubereitete, weil ich zuviel Nudelteig gemacht hatte, briet ich Schweinehack an und verfeinerte es mit Soja- und Hoisinsauce und auch das roch einfach gut.

Gestern duftete dann mein Darjeeling, der Wochenendtee statt des Ostfriesentees an Werktagen, und mein Kühlschrank riecht gerade nach Erdbeeren, und weil mein Basilikum und mein Thymian auf dem Balkon blühen, musste ich da auch meine Nase reinhalten und überhaupt duftet gerade alles und es ist herrlich.

Gestern verbrachte ich den halben Tag damit, Igor Levit bei seinem Mammutprojekt zuzuschauen und zuzuhören: 840 Mal hintereinander Eric Saties Vexation zu spielen. 20 Stunden waren dafür vorgesehen, der Mann erledigte das in fünfzehneinhalb. Er begann um 14 Uhr damit, sich an den Flügel zu setzen, vor ihm ein Riesenstapel Notenblätter, von denen er sich einen kleineren Packen auf den Notenständer legte, um dann Blatt für Blatt abzuspielen und diese danach auf den Fußboden zu werfen, zu legen, fallenzulassen. Die Blätter werden versteigert, der Erlös geht Kulturschaffenden zu. Dafür war die ganze Aktion überhaupt: um auf die derzeitige Situation von Künstler*innen hinzuweisen und sie zu unterstützen.

Ich habe nicht die ganzen 15 Stunden gesehen, zwischendurch musste ich mich über Augsburg aufregen, dann erwischte mich ein Nickerchen, schlimm, und ein, zwei Serienfolgen mussten auch geschaut werden. Aber ansonsten lief der Stream, bis ich nach Mitternacht ins Bett ging. Ich las nebenbei, kochte, wusch ab, aber meistens schaute ich Levit einfach zu und fand es unerwartet auf- und anregend.

Der Kopf konnte sich nicht ganz verselbständigen, obwohl die hypnotische Musik sich irgendwann so ins Gehirn gefräst hatte, dass ich sie immer noch höre, aber die Kameraführung ließ einen selten wirklich in Ruhe. Und ich fand das nicht schlimm, im Gegenteil, ich war fasziniert davon, wieviele Blicke auf einen Mann in einem Raum, in dem ein Flügel steht, möglich waren, ohne dass es langweilig wurde. Es fiel mir wirklich schwer, den Stream schließlich zu beenden und schlafen zu gehen und Levit gefühlt alleine zu lassen. Um 2 Uhr wurde ich davon wach, dass irgendein Witzbold an meiner Tür klingelte, woraufhin ich nochmal bis 3 Uhr Levit zuschaute, dieses Mal auf dem Handy im Bett.

Holger Schulze hörte fast komplett zu, bis auf die letzten Stunden, und twitterte. Diese Sätze fand ich besonders schön: „Die Musik erfüllte tatsächlich unser Haus als Möbelmusik, als die berühmte “musique d’ameublement”, von der ihr Komponist stets geträumt hatte. / Das offene, driftende tonale Zentrum dieses Stückes – das alles andere als atonal ist, wie es dennoch manchmal heisst – trug dazu bei. Es prädeterminierte nicht die Raum- oder Situationswahrnehmung durch fixe Akkordschritte und Motivarbeit. / Es legte sich tatsächlich als zarter Nebel, als sanfter Filter, als begleitender Duft über diesen Spätnachmittag, durch die Zimmer unseres bescheidenen Hauses.“

Auch Ines Häufler hörte länger zu: „Am Anfang dachte ich übrigens „Come on, was hat die arbeitslose freie Orchestermusikerin davon, dass du dich 20 Stunden quälst?“, denn es geht ja darum, auf die verzweifelte Situation der Kulturschaffenden aufmerksam zu machen. Aber jetzt kommt mir vor: Das Stück ist perfekt. / Also auf der künstlerischen Ebene, finde ich. Die endlose Wiederholung, die aus sich heraus zu nichts zu führen scheint. Die Töne, die zwischen Hoffnung/Harmonie und Verzweiflung/Dissonanzen wechseln. Die Mühe, die Töne immer wieder aufs Neue aus dem Instrument herauszuholen.“

Das fiel mir auch auf: dass das immer gleiche Stück eben nicht immer gleich klingt. Die Unterschiede in der Lautstärke waren wahrzunehmen, ich ahne auch, dass das Tempo nicht immer dasselbe war. Die letzten Minuten schaute ich mir nochmal im Stream an, und da wurde Levit sehr leise und sehr langsam anstatt das Ding einfach runterzubrettern, um endlich, endlich fertigzuwerden.

Dafür, dass wir im Moment nicht in Konzerte kommen, kriege ich doch ganz schön viel Kultur mit und damit die Gelegenheit, mich mit mir selbst und meiner Wahrnehmung von irgendetwas auseinanderzusetzen. Danke dafür.

Dan-Dan-Nudeln mit Sesam-Chili-Sauce

Das Rezept ist eine Variante dieser Zubereitung eines Masterchef-Australia-Kandidaten (vermutlich nur mit VPN außerhalb von Australien zu erreichen). Der Kandidat hatte das ganze mit Pak Choi zubereitet, ich hatte mehr Lust auf anderes Zeug. Nudeln, Hackfleisch und Sauce sind aber nach seiner Anleitung entstanden und auch von mir Scharf-Memme als sehr angenehm empfunden worden. Das war so angenehm, dass ich beim Servieren noch drei Teelöffel von dem frisch erstellten Chili-Öl über das Essen gegeben habe, dann ist es wenigstens latent scharf.

Für vier Personen.

Für die Dan-Dan-Nudeln
280 g Mehl, Type 405, mit
ca. 150 ml Wasser und
ein bisschen Salz mischen. Zu einem geschmeidigen Teig kneten – daher das Wasser lieber nach und nach und nicht auf einmal zugeben, notfalls nachjustieren –, zu einer Kugel rollen, in eine Schüssel geben, abdecken und für mindestens 20 Minuten ruhen lassen.

Für das Chili-Öl in einem kleinen Topf
250 ml Pflanzenöl (bei mir Sonnenblume) mit
1 Zimtstange,
3 Sternanis,
2 Lorbeerblättern und
2 EL Szechuanpfeffer, ungemahlen, für ungefähr zehn Minuten leicht köcheln lassen, bis das Öl duftet. Die Temperatur erhöhen und zwei Minuten kochen. Dann durch ein feines Sieb in eine hitzebeständige Schüssel kippen (kochendes Öl, Kinnings, Vorsicht), in der sich
2 EL Chiliflocken,
1 EL Chilipulver und
ein bisschen Salz befindet. Alles gut umrühren und beiseite stellen.

Für die Chili-Sesam-Sauce
60 ml helle Sojasauce mit
60 ml Hühnerbrühe,
40 g Tahini,
2 Knoblauchzehen, fein gehackt,
2 TL Zucker und
1/4 TL chinesischem 5-Spice-Gewürz mischen.*
Zum Schluss
120 ml des gerade hergestellten Chili-Öls hinzugeben.

Für die Fleischeinlage (das ganze geht garantiert auch super mit Tofu)
3 EL neutrales Öl (bei mir Erdnuss) erhitzen und
450 g Schweinehack bei mittlerer Hitze anbraten. (Bei mir die Hälfte.)
Wenn das Hack gebräunt ist,
1,5 EL Hoisinsauce,
1 EL Shaoxing-Wein (bei mir ein Schluck Süßwein),
2 TL dunkle Sojasauce und
1 TL 5-Spice-Gewürz* dazugeben. Weiterbraten, bis die Flüssigkeit verkocht ist, beiseitestellen.

Den Nudelteig nach der Ruhezeit in vier Teile teilen und in der Pastamaschine zu Nudeln verwandeln. Ich habe den Teig nur bis Stärke 4 von 7 ausgerollt, das war schon arg dünn. Gelernt: chinesischer Nudelteig ohne Ei fühlt sich anders an als italienischer Nudelteig mit Ei. Nudeln in reichlich Salzwasser al dente kochen, das dauert nur wenige Minuten. Nebenbei die ganzen Beilagen, auf die ihr Lust habt, fertigstellen, bei mir Mohrrüben und Brokkoli, einfach nur kurz blanchiert.

Zum Servieren einen ordentlichen Klecks Sauce in den Teller geben, darauf die Nudeln, darauf die Beilagen. Weitere Sauce und auch gerne, wie oben erwähnt, noch das Chiliöl separat servieren. Erdnüsse, Frühlingszwiebeln und Koriander drüber schaden auch nie.

Ich weiß gar nicht, warum ich das versuche, niedlich anzurichten: alles zusammengerührt ist deutlich ansprechender. Für mich jedenfalls.

Gestern mittag gab’s den ersten Versuch ohne Hack und mit Ei. Geht auch.

* Wer kein 5-Spice-Gewürz im Schrank hat, hat vielleicht folgendes:
2 EL Fenchelsamen,
2 TL Szechuanpfeffer, ungemahlen,
1,5 TL Nelken, ungemahlen,
1 Zimtstange und
6 Sternanis. Alles zermörsern, fertig ist das 5-Spice-Gewürz.

Tagebuch Mittwoch, 27. Mai 2020 – Aufgeräumt

Als ich gestern ins Bett ging, dachte ich: Der Tag hat sich so aufgeräumt angefühlt. Nicht normal oder wie früher oder irgendwie ging so, sondern so, als wäre alles da, wo es hingehört. Ich kann es nicht weiter erklären; vielleicht spielt mein Gehirn auch gerade Assoziationsblaster, um mich nicht seltsam werden zu lassen, keine Ahnung.

Vor dem Wecker wach gewesen, den gestrigen Blogeintrag hatte ich schon vorgestern formuliert, den musste ich also nur noch flugs Korrektur lesen und publizieren. Flat White und Orangensaft, wobei ich jetzt in der Rückschau merke, dass da der Tag eigentlich schon nicht aufgeräumt anfing. Ich trug in der linken Hand mein Kännchen mit aufgeschäumter Milch und rechts meine Tasse mit Espresso, als ich kurz vergaß, wie heiß das verdammte Kännchen wird, wenn man kochend heißes Wasser in die Milch sprudelt, ich berührte es doof, erschrak, bewegte beide Hände, Milch und Kaffee schwappten auf Fußboden und Spüle, ich nölte, putzte, war dann aber glücklich, dass noch genug Inhalt für ein Frühstück übrig geblieben war und vergaß das ganze bis eben.

Ins ZI geradelt und dort festgestellt, dass im Gegensatz zu letzter Woche die ganzen von uns Benutzerinnen angelegten Handapparate aufgeräumt wurden. Man stellt, wenn man sich so einen Apparat anlegt, bis zu sieben Bücher ins Regal und versieht das kleine Eckchen mit einem Reiter, auf dem der eigene Name und das Abstelldatum stehen. Nach einer Woche wird das Zeug weggeräumt. Als ich letzte Woche, also eine Woche nach Öffnung der Bibliothek, ans Regal trat, um meinen Stapel abzulegen, sah ich, dass noch alle Handapparate von März im Regal standen, bevor das Institut geschlossen wurde. Gestern waren sie nicht mehr da.

Ich arbeitete konzentriert vor mich hin, blätterte durch eine dicke Enzyklopädie von Kunst zwischen 1933 und 1945, las in einem Ausstellungskatalog über München in den 1920er-Jahren, scannte ein paar Autobahnbilder, fand Zeug, fand anderes nicht und war um 12.30 Uhr durch. Bis 13 Uhr lohnte sich sich nicht, noch etwas anzufangen, also Feierabend vor Ort.

Ich radelte zu Rossmann, um ein paar Rossmanndinge einzukaufen, dann fuhr ich in die Unibibliothek, wo zwei Bücher auf mich warteten, dann brauchte ich total dringend Erdbeeren und kaufte die in einem engen Supermarkt, den ich seit Monaten vermieden habe, der aber nun schön auf dem Weg lag. Gestern wollte ich keinen Umweg radeln, weil ich hungrig war und ich vergessen hatte, mich einzucremen, um richtig entspannt in der Sonne Fahrrad zu fahren.

Vielleicht war das ein Teil des Aufgeräumten: Seit dem Beginn der Ausgangsbeschränkungen hatte ich mir angewöhnt, a) wirklich nur das zu besorgen, was sein musste und b) eben nicht launig von hier nach da zu hüpfen, um möglichst viele menschliche Kontakte mitzunehmen. Ich bleibe auch weiterhin so weit es geht zuhause. Gestern war, wenn ich mich richtig erinnere, so ziemlich der erste Tag, an dem ich so hin- und herfuhr, wie ich es gewöhnt war, als ich mir noch keinen Kopf um Infektionsträger*innen machen musste.

Ein paar Tortellini, die ich mal aus überschüssigem Pastateig gemacht und vorgestern aufgetaut hatte, mit einer schnellen Tomatensauce als Snack genossen. Abends gab’s noch Tofu mit Reis, Brokkoli und Erdnüssen. Die tägliche Folge Masterchef, dann ein Nickerchen, Genius bei der Spelling Bee, dann weiter am Schreibtisch. Abends gab’s Augsburg gegen Paderborn. (Klassiker! *hust*)

F. und ich hatten überlegt, uns gestern zu treffen, aber er wollte den Start von SpaceX gucken und ich Fuppes. Um 22.28 Uhr kam eine SMS von ihm: „Yay, der Raketenstart wurde wegen schlechten Wetters abgebrochen.“ Ich antwortete: „Yay, ich habe ein 0:0 gesehen.“ Learning from mistakes: nächstes Mal Pärchenkram statt Fernsehfrust.

@fuxbooks rief auf Instagram vor ein paar Tagen den Hashtag #moodbooks ins Leben, ich wurde durch @ninialagrande auf ihn aufmerksam. Idee: Bücher zu stapeln, die die derzeitige Stimmung wiederspiegeln. Ich veröffentlichte den deutschen Stapel gestern schon auf Instagram, den ich aber fürs Blog einen Hauch editierte, und stapelte noch schnell einen auf Englisch.


Beim Verlinken eben sah ich, dass man nur vier Bücher nehmen sollte. Mpf. Neu stapeln werde ich nicht, alles schon wieder weggeräumt, und ich mag den Gedankenfluss durch die Titel, aber:

– Keine Ahnung, Irre, Wir sind Gefangene, Remix
– We’re in trouble, Invisible monsters, Anywhere but here, Across the river and into the trees

Tagebuch Dienstag, 26. Mai 2020 – Corona mit Verzögerung

Vor sechs Wochen begann die diesjährige Staffel Masterchef Australia. Ich dachte bis zu diesem Jahr, dass die komplette Staffel abgedreht und dann erst ausgestrahlt wird, aber ich lernte, dass dem nicht so ist: Im Vorfeld der ersten Folge 2020 wurde berichtet, dass noch gedreht wird, inzwischen aber alle brav Abstand halten und sich dauernd die Hände desinfizieren. In den letzten Wochen, als wir alle vor den Bildschirmen das schon taten, war das für mich sehr schön mitanzusehen, dass die Kandidat*innen sich, wie in jeder Staffel, ständig in den Armen liegen oder abklatschen und in engsten Küchenräumen miteinander arbeiten. Das hat nun ein Ende. Gestern (bzw. am Montag in Australien) lief die erste Folge, wo die Kandidaten länger Zeit für ihre Aufgaben bekamen, damit sie sich Handschuhe anziehen konnten für die Küchenarbeiten, Hände desinfizieren, nicht mehr alle gleichzeitig in die Vorratsräume rennen etc. Die Aufgabe war eine Team Challenge, und es hat mir fast das Herz gebrochen – was mich selbst überrascht hat –, als die einzelnen Team-Teilnehmer*innen sich nach dem Sieg nicht umarmten, sondern sich irgendwie, selbst noch überfordert, aus zwei Metern Entfernung zuwinkten oder in der Luft angedeutet abklatschten. Ich warte seit Wochen darauf, dass die Sendung anders aussieht als ich es gewohnt bin und liebe, aber das war doch schmerzhafter als ich dachte. Vielleicht weil es eine kleine coronafreie Insel war, auf der alles noch so ist wie ich es kenne.

Gestern war wieder mal der Wochentag, an dem ich meinen Sauerteigansatz auffrische, also einen winzigen Teil abnehme, den mit Vollkornmehl und Wasser verrühre, schön im Warmen gehen lasse und ihn dann wieder in den Kühlschrank stelle für eine Woche. Normalerweise kippe ich den Rest weg, was mir aber immer mehr auf den Zeiger ging. Ich erinnerte mich an einen Artikel aus dem New Yorker, in dem ein Pfannkuchenrezept aus Ansatzresten und Olivenöl (!) stand. Leicht verändert und nachgekocht – und ein hervorragendes Mittagessen gehabt.

Ich gab Schnittlauch in den Teig und mixte mir einen Dipp aus Frischkäse, Knoblauch und Harissa zusammen und werde das vermutlich nächsten Dienstag wieder machen.

Der Artikel beschreibt übrigens schön, wie unverwüstlich diese verdammten Ansätze sind.

„Every Saturday, we had sourdough olive-oil pancakes. Time passed. My son outgrew his dairy allergy. We started going to a bakery for croissants every Friday and to the farmers’ market for donuts on Saturdays. I didn’t feed the starter for a year. By the time I remembered it, wedged into a sticky corner in the back of the fridge, it had shrunk to a tan, slouching inch of sludge, with an equal amount of moss-green liquid on top of it. My father-in-law said to pour off the moss and feed the starter for a few days.

Three days later, we were back on sourdough pancakes.“

Solange ich nicht Futterfernsehen sah oder in der Küche stand, saß ich am Schreibtisch und baute meine Diss um. Zum ersten Mal hatte ich alle Autobahn-Kapitel und -Abschnitte auf einem Haufen, was der Sinn des Umbaus war. Zum ersten Mal las ich alles am Stück durch anstatt wie bisher quer durch die ganze Arbeit verstreut, was ich nicht mehr wollte. Und zum ersten Mal stellte ich fest, dass genau dieses Verstreute meine Arbeit davor rettet, unfassbar langweilig zu sein. Ich weiß, dass ich diese Texte jetzt alle ungefähr achtzigmal gelesen habe und auswendig kann, aber meine Güte, 120 Seiten zu Autobahngemälden am Stück gehen echt nicht. Man schaltet irgendwann geistig ab.

Gut, dass ich den Umbau gemacht habe, gut, dass ich es gelesen habe – jetzt kann ich das wegschmeißen und wieder die alte Struktur nutzen. Die fand mein Doktorvater ja auch wunderbar und ich finde das jetzt auch. Nebenbei sind mir noch kleinere Änderungen eingefallen, die weiterhin funktionieren, die mache ich jetzt und dann kann ich das Baby allmählich loslassen.

Abends noch einen neuen Mundschutz genäht, wieder aus meinem Lieblingsstoff. Ich hatte keinen blauen Zwirn, aber Hot Pink geht ja immer. Die Naht sitzt unterhalb des Nasenbügels, der hält sonst nicht. Wieder sehr entspannt und zufrieden beim Nähen gewesen, bis auf die drei Male, die ich mir, wie immer, brutal eine Stecknadel in den Finger rammte. Ich glaube, ich hätte jetzt wirklich gerne eine Nähmaschine, aber die in meiner Preisklasse, die ich mir schon vor Wochen ausgeguckt hatte, ist gerade nirgends zu kriegen. Warte ich halt noch ein bisschen.

Weniger Raubkunst in der Sammlung Gurlitt als erwartet

Warum ich mache, was ich mache. Ich zitiere aus dem Artikel:

„Man hat sich wissenschaftlich bemüht, und die Quellenlage ist schlecht. Es ist schlecht möglich, alle Papiere, die zu erbringen wären, tatsächlich zu bekommen. Man muss sich einfach vorstellen, was das für Bedingungen waren, unter denen die Verkäufe stattgefunden haben. Händler, die in der Zeit agiert haben, haben sehr gerne die Spuren verschleiert und wollten die Quellen obskur lassen.“

Deswegen quietsche ich so rum, wenn ich in Archiven etwas finde. Deswegen ist auch eine Arbeit über einen heute zu recht vergessenen Künstler wichtig: weil sie Quellen versammelt, an die andere anlegen können. Weil sie Grundlagenforschung erledigt, die schon vor 20, 40, 60 Jahren hätte erledigt werden müssen. Weil sie Licht in die dunkle Ecke der deutschen Kunstgeschichte bringt und weil sie sich mit dem Schmuddelkram beschäftigt, mit dem sich leider nur wenige beschäftigen wollen. Und weil es einfacher wird, sich mit den Opfern zu befassen, wenn wir mehr über die Täter wissen.

Andrea Baresel-Brand vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste Magdeburg reißt im Interview mit dem MDR die Bandbreite des Systems Kunst im NS an, weswegen ich das alles so spannend finde:

„Auf jeden Fall haben wir da an viele Punkte rühren können. Verbunden ist auch das Thema Benelux, also Niederlande, Belgien. Einer Person sind wir nachgegangen, wo wir dann am Ende die Identität klären konnten. Das war ein Niederländer, der aber für die Abwehr dann als Agent gearbeitet hat und auch mal versucht hat, Kunst zu handeln. Und das sagt auch etwas über den Kunstmarkt vielleicht.

Aber gar nicht mal nur die klassischen Kunsthändler haben sich dort getummelt, sondern es sind auch viele Laien oder interessierte Laien eingesprungen, weil sie gesehen haben, hier ist etwas zu holen. Hier ist Geld. Hier ist der Markt. Hier sind Menschen, die ihr Hab und Gut veräußern, um zu überleben, um über den Krieg zu kommen. Das ist eine unglaublich wilde Zeit gewesen.

Und wir haben natürlich viel gelernt, auch über die Exportpraktiken. Der NS-Staat war ja, auch wenn er Besatzer war, im Ausland sehr akribisch in der Verwaltung. Man musste Exportgenehmigungen einholen. Wir haben aber auch gesehen, wie Dinge manchmal verschleppt wurden. Dass aber gleichzeitig französische Kunstexperten vom Hôtel Drouot – das ist so der Kunst-Umschlagplatz gewesen – sich sozusagen verwandt haben bei den behördlichen Stellen, dass ein Hildebrand Gurlitt beispielsweise Kunstwerke mitnehmen kann. Und wenn keine Spedition zur Verfügung stand, dann hat es auch mal der Botschafter im Gepäck mitgenommen oder andere offizielle Menschen. Also, das sind ganz viele Wege, die wir aber heute mitunter gar nicht im Detail werden aufklären können, weil es natürlich Dinge sind, die schon historisch verschleiert worden sind.

Und ein Wort vielleicht noch, was uns auch neugierig gemacht hat (das war halt nicht die Aufgabe dieser Projekte, wir sollten ja Einzelwerke aufklären, aber es ist eben so viel daraus entstanden): Das ist auch der Blick in das Nachkriegsdeutschland, wo man sich dann gegenseitig Persilscheine gegeben hat, wo die Netzwerke weiter getragen haben. Und da schauen wir in dem Buch auch noch mal ein bisschen über den Zaun sozusagen, in die Nachkriegszeit.“

Tagebuch Montag, 25. Mai 2020 – Gröner, mit K

Viel zu früh wach gewesen, die Aufregung! Endlich wieder ins große Hauptstaatsarchiv, für das ich letzte Woche einen Platz im Lesesaal beantragt hatte und nun auf fünf Akten wartete. In dreien wollte ich schlicht etwas nachschlagen, was mir in meinen eigenen Fußnoten als irgendwie halbgarer Beleg (aka „mies formuliert“) aufgefallen war, zwei waren neu. In denen fand ich auch ein paar Informationen, die ich an die Diss anlegen konnte, aber die anderen Akten, die ich haben wollte, lagen nicht für mich am Platz. Das ist neu seit der Öffnung: Man holt sich den Berg Papier nicht mehr an der Ausgabe, sondern bekommt per Mail einen Platz im Lesesaal zugewiesen für einen bestimmten Zeitraum (bei mir 8.30 bis 12 Uhr), und an diesem Platz liegt dann schon alles. Ich wunderte mich kurz, dass eben nicht alles da war, arbeite durch, was da war und fragte dann, brav hinter der am Boden aufgeklebten gelben Schwelle, den Archivar, der im Schwellenbereich keine Plastikscheibe vor sich hatte, ob ich noch auf die Akten vom Haus der Deutschen Kunst hoffen könnte, die noch fehlten. Er guckte nochmal im Regal nach, erinnerte mich daran, dass die Akten aus der Abteilung V gerne mal etwas länger bräuchten, die kämen vermutlich noch, ich hätte ja auch noch Zeit.

So setzte ich mich, weiterhin mit Mundschutz, den man hier die ganze Zeit tragen muss, auch wenn man bewegungslos am eigenen Platz sitzt, an einen Anhang für die Diss, an dem sich seit Tagen bastelte und fuhr außerdem fort, das komplette Dokument großflächig umzubauen. Damit kam ich gut voran, aber so gegen 11.30 Uhr dachte ich, fragste vielleicht doch nochmal nach. (Normalerweise kommen die Nachzügler so gegen 10, 10.30 Uhr.) Der Archivar hatte keine Neuigkeiten, meinte aber, er riefe da mal an. Das tat er, und jetzt weiß ich auch, warum man hinter der gelben Schwelle stehen muss und da keine Scheibe vor einem ist: Hinter der Scheibe versteht man die Leute kaum noch, vor allem mit Mundschutz.

Ich ging wieder an den Platz und tippte bis kurz vor 12, denn das war ja eigentlich mein Endzeitpunkt, als der Archivar neben mir stand und mir die zwei fehlenden Akten gab: Jemand hatte meinen Nachnamen mit K geschrieben, die Akten wurden dort einsortiert und deswegen hatte sie bis eben niemand gefunden. Netterweise durfte ich sitzenbleiben – jedenfalls theoretisch. Ich wurde an einen anderen Tisch gelotst, der anscheinend ab 13 Uhr nicht vergeben war; meiner war es, der wurde nun desinfiziert, um mich herum wurde auch geputzt, aber ein paar Menschlein blieben mit mir sitzen. Erst zuhause sah ich auf der Website, dass diese Einschränkungen (nur bis 12, dann wieder ab 13 Uhr) anscheinend seit gestern aufgehoben waren. Ich freute mich trotzdem, dass ich nicht vertrieben wurde, schlug nach, was ich nachschlagen wollte und war um 12.30 Uhr fertig. Und durch die Zwangspause war ich auch mit Anhang und Umbau sehr gut vorangekommen. Corona und mein irre komplizierter Nachname sorgen dafür, dass ich verdammt nochmal meinen Text bearbeite und nicht noch mehr Zeug anlege, was ich ja gerne mache, wenn ich in Archiven sitze.

Den seit zwei Tagen in meiner Küche hängenden Geruch von thailändischer Krabbenpaste mit Bratkartoffeln in Butter vertrieben.

Heute beim Newsletter der Washington Post den Begriff „Jakarta Method“ gelernt. Hier der Newsletter, vermutlich hinter der Paywall, hier der Verfasser eines Buchs zum Thema, vermutlich nicht hinter der Paywall. Es geht um die von den USA gebilligten Massaker in Indonesien 1965/66, von denen ich bisher nichts wusste.

Erbfeindschaft – ein Klischee

Hedwig Richter rezensiert in der SZ das Buch Verfeindung und Verflechtung. Deutschland und Frankreich 1870–1918 von Mareike König und Élise Julien. Gleich mal auf die Leihliste setzen.

„Dabei bietet das Buch drei grundsätzliche Einsichten. Zunächst zeigt es einmal mehr, dass das Kaiserreich nicht als Vorgeschichte des Nationalsozialismus taugt. Eine Historiografie, die überall schon den Faschismus dräuen sieht, wird weder der Vielfalt der Gesellschaft in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg gerecht noch der Komplexität der NS-Geschichte. Die Autorinnen zeigen etwa, wie schwierig es ist, ein Phänomen wie den Antisemitismus zu vergleichen. Bei der genauen Durchsicht der Forschung kommen sie zu dem Ergebnis, dass sich der Antisemitismus in beide Gesellschaften tief hineingefressen hatte.

Zweitens zeigt der Text die Unzulänglichkeit und auch die Eitelkeiten rein national orientierter Historiografie. Ein beachtlich großer Teil der Entwicklungen hatte weit weniger mit dem nationalen Befinden zu tun, als man – gefangen in nationalen Denkmustern – gemeinhin vermutet. […]

Und doch offenbart die transnationale Geschichte zugleich, wie wichtig Nation als analytische Bezugsgröße ist – trotz aller parallelen Entwicklungen. […] Die vergleichende nationale Geschichte kann offenlegen, woher die Denkmuster kommen – dass sie konstruiert und prinzipiell überwindbar sind. So sind viele Französinnen und Franzosen, Gelbwesten und streikende Bauern von der fixen Idee beherrscht, zur Revolution geboren zu sein und ihren Regierungen mit Verachtung begegnen zu müssen […]. In Deutschland wiederum beklagen momentan während der Corona-Pandemie viele der Einschränkungsgegner den deutschen Untertanengeist, der gar nicht anders könne, als zu gehorchen und sich nach Merkels Willen die Hände zu waschen.“

Tagebuch Sonntag, 24. Mai 2020 – Fuppes, Diss, Hörtipps

Ausgeschlafen, rumgelungert, ein bisschen an der Diss gearbeitet. Dann den Sieg von Augsburg über Schalke geguckt und weiterhin festgestellt, dass ich Spiele ohne Zuschauer problemlos gucken kann. Wenn ich ignoriere, wie sinnlos die ganze Idee der Fortführung der Spiele ist, während wir Nicht-Fußballprofis verzweifelt Abstand halten und Masken tragen.

Nach dem Fußball auf Netflix die neue Staffel von Selling Sunset begonnen, das ich selbstverständlich rein aus architektonischem Interesse gucke. Nochmal an die Diss gesetzt und weiter gekürzt und umgebaut. Herr Levit gab gestern wieder ein Konzert, aber das verpasste ich, weil ich mit F. facetimte. Also holte ich ein bisschen Bach nach, während ich ein weiteres Mal Nasi Lemak zubereitete. Dieses Mal mit einem halben Teelöffel Tamarindenkonzentrat. Entweder das Zeug pulverisiert jede Schärfe oder ich habe die einzigen Chilis gekauft, die null scharf sind. Mpf.

Zwischendurch Feedback vom Doktorvater aufs (alte) Inhaltsverzeichnis gekriegt; Vati ist zufrieden, auch mit der Länge der Arbeit von 350 Seiten („Stressen Sie sich nicht“). Ein paar Fragen hatte er, die sich aber alle erledigt hätten, wenn er schon mein neues Inhaltsverzeichnis vor sich gehabt hätte. Das beruhigt sehr. Für ihn wäre auch eine Abgabe im August in Ordnung, die Disputatio wäre im November, wie ich gestern auf unserer Website sah. Jetzt muss noch die Zweitprüferin Ja sagen und dann könnte dieses Jahr eventuell noch gut enden.

Ich höre im Bad immer Deutschlandfunk. Am Mittwochabend klickte ich in eine Sendung über Viktor Ullmann, der 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Ich kannte den Komponisten vorher nicht, und beim unwissenden Reinhören hätte ich bei der Musik auf die 1950er-Jahre getippt. Hier 45 Minuten zum Nachhören.

Nochmal Deutschlandfunk, deutlich länger. Ich zitiere: „37 Audiokassetten hat [Wolfgang Siebeck] in den 80er-Jahren, teils noch während der Mahlzeiten mit Restaurantkritiken und für Reisebeobachtungen besprochen. Die Aufnahmen muten an wie Live-Reportagen – obwohl Siebeck sie allein für den Privatgebrauch machte, zur Vorbereitung seiner Zeitungstexte. Ein Jahr vor seinem Tod vermachte Siebeck diese Kassetten dem Autor und Regisseur Ulrich Gerhardt. Aus dem Material entstanden schließlich, begleitet durch die Dramaturgin Stefanie Hoster, vier Audio-Collagen für das Hörspiel im Deutschlandfunk Kultur. Drei dieser Collagen sind in dieser Langen Nacht zu hören.“

Auch in diese Sendung zappte ich zufällig und blieb dann 20 Minuten auf dem Badewannenrand sitzen, weil es so herrlich war, Siebeck beim Meckern über Salatdressing, Portionsgrößen und faule Kellner zuzuhören. Hier die drei Stunden.

My Stupid Quarantine Body

„Gravity seems to have grown stronger during the pandemic, pulling at my face and every other saggable thing on my body. My mouth is so used to being compressed into a tight angry line that I’m afraid it might be stuck this way. I have more and weirder gray hairs. The awareness of my body is only heightened when I go out into the world. On trips to the grocery store or bike rides, I’m acutely conscious of how much space I take up, and how clumsily I move through that space. Wearing a mask, I can’t even deploy my well-worn apologetic grin. I wear a mask because we should all really be wearing a mask, but, on a semiotic level, I don’t know if it reads as “responsible citizen trying to protect you from my mouth rain” or “scared, entitled, white woman.” I don’t know how to make a case for my presence in this world at all.“

Tagebuch Samstag, 23. Mai 2020 – Nicht scharf, aber okay

Am Freitag sabberte ich wie an jedem Wochentag beim Masterchef-Australia-Gucken meinen Rechner voll. Manchmal versuche ich sofort, Dinge nachzukochen, meistens genügt mir das Zuschauen und Lernen. Dieses Mal wollte ich kochen. Das hier.


(Screenshot)

Das ist Nasi Lemak, eine traditionelle Speise aus Malaysia. Generell wird bei Masterchef Australia sehr gerne und viel aus ganz Asien gekocht, woran ich mich aber so gut wie nie versuche, weil mir diese Küche sehr fremd ist. Ich gehe kaum asiatisch essen, wenn man vom europäisierten China-Imbiss absieht. F. hat früher gerne was vom vietnamesischen Imbiss um die Ecke was mitgebracht, aber das war auch eher München als Mekongdelta. Malaysisch hatte ich noch nie gegessen und generell bin ich überhaupt kein Fan von Schärfe, aber das sah großartig aus. (Schlüsselreiz Gurke. Alles mit Gurke ist super.)

Also radelte ich Samstag gegen 10 zu einem Asiashop, in dem ich noch nie war, der mir aber von der Größe her vielversprechend aussah, wenn ich mal an ihm vorbeikam. Da ich so gut wie nie asiatisch koche, habe ich überhaupt keinen Überblick über die Zutaten und suchte gestern vermutlich etwas länger als die anderen Kunden. Aber ich fand alles, sogar die Pandanblätter, die den Kokosreis beduften sollten, aber nicht irre fehlen, wenn sie nicht dabei sind (sagten mehrere Rezepte, die ich im Internet querlas).

Vermutlich lag es auch an der Aufgabe, warum mir das Essen so sympathisch war: Die beiden Kontrahentinnen sollten ihr ganz persönliches Comfort Food zubereiten, und Poh erzählte, dass sie dieses Essen als Kind quasi jeden Tag in ihrer Schulpause aß und es deswegen eine elementare Kindheitserinnerung sei.

Ich orientierte mich am Rezept vom Foodfreak; von diesem Blog hatte ich schon öfter und immer erfolgreich etwas nachgekocht; mein Standard-Apfelkuchenrezept ist von dort. Zusätzlich freute ich mich an diesen beiden Rezepten und machte so ein Mittelding. Jedenfalls versuchte ich das, denn erstmal musste ich die Produkte verstehen, die ich da eingekauft hatte. Ich hatte noch nie mit Pandanblättern, Tamarindenpaste oder Belacan gekocht, und vermutlich hätte ich etwas aufmerksamer auf die Packungstexte gucken sollen. Aber das merkte ich erst beim Kochen.

Ich setzte den Kokosreis auf und legte ein verknotetes Pandanblatt hinein, was sich schon mal irre professionell anfühlte. Als ich nach dem Aufkochen den Deckel meines Topfs anhob (no Reiskocher here), duftete es herrlich, und vermutlich werde ich die Hälfte der Kokosmilchdose, die gestern übrig blieb, heute erneut mit Reis und Blatt ansetzen, weil es großartig geschmeckt hat.

Während der Reis vor sich hindämpfte, frittierte ich eine Handvoll getrocknete Anchovis (was es alles gibt!), danach hackte ich Schalotten und satte acht rote Chilis, warf die Krabbenpaste in Kokosöl, zerdrückte sie, staunte über den mir völlig unbekannten Duft (auch ein guter Corona-Check, dieses Essen), gab Schalotten und Chilis aus dem Blitzhacker dazu – und musste dringend mein T-Shirt vor die Nase ziehen, denn OMG SCHARF! Nächstes Mal gleich einen der schicken Mundschutze von der Türklinke nehmen, Hase. Das briet ein bisschen vor sich hin, und dann kam eine Mischung aus Wasser, Zucker, Salz und Tamarindenpaste dazu. Die hatte ich vorher angerührt, wobei ich etwas über die Paste verwirrt war. Eigentlich sollten vier Esslöffel in das Sambal. Aus der Masterchef-Sendung hatte ich das alles sehr feurig-rot in Erinnerung – aber diese Paste war tiefschwarz. Ich nahm nur drei Esslöffel und produzierte im Endeffekt einen sehr dunklen Schlotz, der aber verdammt gut roch, wenn auch ein bisschen sehr süßlich.

Zum Abschluss röstete ich ein paar Erdnüsse, noch ein paar Anchovis, denn die ersten kamen ins Sambal, briet ein Spiegelei (ich möchte nur selten gekochte Eier), stürzte mein Reisschüsselchen auf den Teller und gab ein winziges bisschen Sambal oben drauf, sehr ängstlich ob der Schärfe.

Die dann nicht da war. Wie ich inzwischen weiß, hatte ich aus den vier möglichen Versionen von Tamarindenpaste im Laden anscheinend ein Konzentrat erwischt, und mit drei Esslöffeln killte das wirklich alle Chilis. Gut zu wissen, aber: Das war nicht ganz das erhoffte Ergebnis. Es schmeckte trotzdem sehr gut und war ein prima Frühstück, und mein Mund zwirbelte auch noch ein paar Minütchen angenehm vor sich hin, aber das muss ich dringend mit weniger Tamarinde noch einmal machen. Ich hab ja jetzt auch alles im Haus!

Den Rest des Tages vor Serien verbracht, Diss in Ruhe gelassen, rumgelungert. Guter Samstag.

Abends top Sonnenuntergang, gerne wieder.

Tagebuch Mittwoch bis Freitag, 20. bis 22. Mai 2020 – Bürgerbüro, Deutsches Museum und NEW DISS ORDER

Seit ein, zwei Wochen gucke ich auf mein Inhaltsverzeichnis und hadere. Es kommt mir irre langweilig vor, und wenn ich nicht wüsste, was sich hinter den Kapiteln und Kapitelabschnitten verbirgt, würde ich denken, die Arbeit bestünde aus einer Aufzählung von Ausstellungen. Dass ich an so gut wie jede Ausstellung noch etwas angedockt habe – die NSV, die „Grille“, Mustersiedlung Ramersdorf – kapiert man erst bei Lesen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass der Punkt, den ich machen will – kann Protzen als typischer oder untypischer systemkonform arbeitender Künstler im NS gelten –, erst im letzten Kapitel überhaupt klar wird. Also wenn man nur das Inhaltsverzeichnis liest. Und da ich selbst schon in genug Dissertationen reingeguckt habe, um zu forschen, ob da was für mich und meine Arbeit drinsteckt, weiß ich, wie wichtig ein cleveres Inhaltsverzeichnis ist.

Mittwoch begann ich dann sehr grobschlächtig, die komplette Diss umzubauen. Jetzt wo ich einmal alles brav chronologisch runtergeschrieben habe und auch nur noch ein Abschnitt fehlt, für den ich in ein Archiv muss, habe ich einen guten Überblick darüber, was denn wirklich wichtig ist für meine Forschungsfrage. Natürlich wird beim Umbau einiges wegfallen, an dem ich lange gearbeitet habe, aber: Jetzt fliegt es erstmal raus. Wieder reinholen geht ja immer. Ich bastele derzeit also neue Sinneinheiten statt chronologischer Blöcke und verpasse allem aussagekräftigere Überschriften. An diesem Vorhaben tüftelte ich jetzt seit drei Tagen und bisher fühlt sich das ganz hervorragend an.

Am Mittwoch morgen radelte ich ins Bürgerbüro. Mein Perso ist seit Anfang April nicht mehr gültig, und auch wenn ich wegen Corona gerade keine gemeinen Bußgelder zahlen müsste, habe ich doch gerne ein gültiges Ausweisdokument. Außerdem brauche ich für die Abgabe der Diss ein polizeiliches Führungszeugnis, für das man nicht ins Bürgerbüro muss, das kann man selbst beantragen – aber man braucht ein gültiges Ausweisdokument. Also machte ich mich darauf gefasst, zum normalen Perso noch einen vorläufigen zu beantragen, damit ich nicht auf den neuen warten musste, denn wenn ich das tue, wird die Zeit für das Führungszeugnis zu knapp. (Es ist kompliziert.)

Vor dem Bürgerbüro steht jetzt jemand, der kontrolliert, ob man einen Termin hat, den man online vereinbaren kann, was auch schon vor Corona möglich war. Man wird auch gebeten, nicht ewig früher im Warteraum zu sein, sondern vielleicht einfach hier vor der Tür an der frischen Luft zu warten. Wenn man reingeht, muss man allerdings die Türen selbst öffnen, und einen Desinfektionsspender habe ich auch nicht gesehen, aber gut.

Vor dem Warteraum hatte ich etwas Bedenken, denn der ist recht groß und immer voll. Nicht dieses Mal. Von den sonst geschätzt zehn Stuhlreihen wurden fünf entfernt, und bei diesen fünf war pro Reihe nur ein Platz frei, auf dem Rest lagen Absperrbänder. Auf die könnte man sich notfalls draufsetzen, Schilder wiesen auf den bitte einzuhaltenden Abstand hin. Außerdem wurden offensichtlich weitaus weniger Termine als sonst vergeben, so dass es gar nicht zu vielen Wartenden kam. Ich teilte mir den Raum mit vier weiteren Menschen, wartete zehn Minuten und durfte dann in ein Büro eintreten.

Dort saßen Mitarbeitende mit Mundschutz, und man saß ihnen nicht mehr direkt am Schreibtisch gegenüber, sondern quasi an der Längsseite, also etwas weiter entfernt. Dort wartete ein Tablet, auf dem man Dinge nachlesen, abnicken oder unterzeichnen konnte. Einzig meine Unterschrift für den neuen Perso musste ich auf Papier erledigen, das mir die freundliche Beamtin mit langem Arm hinlegte. Freundlich wie immer, möchte ich mal erwähnen, bis auf eine zugeknöpfte Standesbeamtin (Forschung! Nichts anderes!) habe ich hier immer nur nette und geduldige Ansprechpartner gehabt. So auch Mittwoch: Auf meine Frage, ob ich einen vorläufigen Ausweis fürs Führungszeugnis bräuchte, meinte die Dame, ach, das beantrage ich gleich für Sie mit. So einfach kann’s sein. Normalerweise muss man die Gebühren in einem anderen Raum bezahlen und kommt dann mit dem Beleg wieder, aber das wurde anscheinend umgestellt: „Das sehe ich hier auf meinem Rechner, ob Sie bezahlt haben. Schönen Tag!“

Nach Hause geradelt und dabei bewusst, wie schon auf der Hinfahrt, über den Königsplatz gefahren. Denn wenn irgendwas seit acht Jahren, die ich jetzt fast in München bin, immer gleich ist, dann: Es geht mir immer besser, wenn ich über den Königsplatz radele.

Beim Radeln gemerkt: Abstand halten ist auf den engen Radwegen nicht möglich und beim Warten an der Ampel stellt sich *immer* jemand neben dich. Oder fährt in die Lücke rein, die du zum Vordermensch gelassen hast. Den Hinweg zum Bürgerbüro fuhr ich ohne Mundschutz, den Rückweg dann mit. Ist vermutlich egal, ich fühle mich aber besser mit.

Zuhause erstmal Frühstück.

Donnerstag war Diss-Umbau-Tag. Sonst nix gemacht. Als Pausenfutter weiter Orphan Black geguckt, die Serie kannte ich wirklich noch nicht. Ist damals irgendwie an mir vorbeigegangen.

Gestern hatte ich vormittags einen Slot in der Bibliothek des Deutschen Museums. Dort muss man sich nun vor dem Besuch anmelden und die Bestätigung an der Pforte vorzeigen, auf der schon eine Platznummer steht. Ich hatte die 12, und wenn ich richtig im Lesesaal geguckt habe, dürften es nur noch so um die 20 Plätze sein.

Man kann nicht mehr einfach ein Schließfach wählen, um Jacke und Zeug einzuschließen, sondern bekommt einen Schlüssel, mit dem man sein Fach öffnet (wie im Bundesarchiv, wie ich gerührt bemerkte). Im Fach steht schon ein Korb, und ich ahne, dass mit dieser simplen Methode nachvollzogen werden kann, welche Fächer, Körbe und Schlüssel man mittags desinfizieren muss. Es gibt draußen am Gebäude und innen Bodenbeschriftungen, wo man bitte rein- und rausgehen sollte, und alle Mitarbeitenden in der Bib sitzen hinter Plastikscheiben. Deswegen kann man seine Bücher auch nicht mehr in einem schönen Stapel abgeben, sondern schiebt sie einzeln unter der Scheibe durch.

Ich beschäftigte mich gestern mit einigen Jahrgängen Zeitschriften, einmal Die Straße, in der ich ein paar Ausstellungen nachvollziehen konnte, die mir in der Sekundärliteratur nur launig und ohne Beleg vor die Füße geworfen wurden. Dann Deutsche Technik, in der ich weitere Belege erhoffte und auch fand. Im Bundesarchiv hatte ich eine Vorlage für eine Pressemitteilung zur Ausstellung „Die Straße“ (München 1934) gefunden, auf der ein Verteiler abgedruckt wurde – lauter lustige Titel, die die Bibliothek des Deutschen Museums natürlich alle hat, die Gute! Dafür hatte ich gestern keine Zeit, aber ich wurde auch so ein bisschen fündig. Irre viel Neues gab es nicht, halt eher Belege, und so hatte ich Zeit, Anzeigen zu vertwittern, aus denen ich blöderweise keinen Thread gemacht habe. (1, 2, 3, 4. Und eine neue, deprimierende Rubrik, die Ende 1940 in der Straße auftauchte.)

Nach Hause geradelt. Dabei eine andere Brücke gewählt, über die die Fahrt begann. Das war schön. (Das Deutsche Museum IST GROSS.)

Nachmittags weiter die Diss umgebaut. Schwesterchen schickte ein Foto des neuen Hochbeets im Garten der Eltern, woraufhin ich mit meinen Tomaten auf der Fensterbank und dem Salat im Blumenkasten konterte. Ich habe noch nie irgendwas ausgesät und bin völlig hingerissen von den kleinen Pflänzchen. Vermutlich werden die Vögel mir den Salat klauen und aus den Fenstertöpfen kommen zwei Cherrytomaten, aber die werden super.


Abends mit F. auf dem Balkon ein bisschen Weißwein genossen. Gemeinsam eingeschlafen. Darüber freue ich mich derzeit noch mehr als sonst, weil ich es wochenlang nicht hatte. Überhaupt fallen mir Dinge auf, über oder auf die ich mich freue, die ich ewig als selbstverständlich hingenommen habe, weil ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass sie irgendwann einmal nicht möglich sein könnten. So was wie ein Bierchen in der Lieblingskneipe zu trinken. Leuten ohne Mundschutz gegenüberstehen. In eine Kirche gehen (den Impuls hatte ich recht früh, traue mich aber gerade gar nicht, wegen des Singens, ausgerechnet). Ein Konzerterlebnis teilen. Den eigenen Lebensgefährten küssen. Gemeinsam einschlafen.

Tagebuch Dienstag, 19. Mai 2020 – Vor einem Jahr

Gestern morgen wollte ich beim Karstadt um die Ecke biometrische Passbilder machen lassen – das war der nächste Fotofix, den mir das Internet verriet, zu dem ich radeln konnte, ohne verschwitzt zu sein. Dort war allerdings der Fotodrucker im Eimer. Ich radelte wieder nach Hause und guckte mir die anderen Möglichkeiten an, denn die hatte ich mir natürlich nicht gemerkt.

Fahrrad wieder aus dem Keller gezerrt, in das ich es zehn Minuten zuvor geistesabwesend abgestellt hatte, zum nächstgelegenen dm geradelt, bei dem man sich angeblich von freundlichen Angestellten fotografieren lassen kann. Den Service kannte ich gar nicht. Auf der dm-Website stand, dass es durch Corona eventuell zu lokalen Änderungen kommen könnte und so war es dann auch. Die wirklich freundliche Angestellte meinte, sie könnten derzeit den Mindestabstand nicht gewährleisten, daher keine Fotos.

Dieses Mal hatte ich mir netterweise noch ein paar Alternativen gemerkt und radelte weiter zum Stachus, wo ich in der Nähe des S-Bahn-Eingangs einen Fotoautomaten fand und sogar halbwegs unverschwitzte Bildchen bekam, wofür ich allerdings minutenlang mit den Augen rollen musste, weil man die blöde Sprachführung nicht vorklicken konnte und ihr hilflos ausgeliefert war. (Beinahe vergessen, den Mundschutz abzunehmen.) Gut, dass München so ein Dorf ist, man kommt überall mit dem Rad schnell hin.

Danach den halben Tag weiter Kleinkram erledigt, gestern war irgendwie ungeplant „Getting the little stuff done“-Tag. Hefeteig aufgefrischt, Wäsche gewaschen, Bürokram weggeheftet, oberflächlich geputzt (also eher kosmetisch und für das eigene Gefühl, es erledigt zu haben, mir gerade egal), eingekauft, damit ich das nicht am Tag vor dem Feiertag machen muss.

Gestern trudelten außerdem einige Zusagen ein: Am Freitag darf ich in die Bibliothek des Deutschen Museums, am Montag ins Hauptstaatsarchiv. Alles immer nur einen halben Tag lang, dann wird durchgefeudelt wie im ZI oder was auch immer die Leute da machen, wenn das Publikum weg ist. Heute habe ich einen Termin beim Bürgerbüro, um den Personalausweis zu beantragen. Es ist komisch: Da hat man sich acht Wochen lang daran gewöhnt, keine Termine mehr zu haben, und jetzt fühle ich mich total gehetzt. Ja, ist Quatsch, weiß ich. Ich schlafe seit Tagen aber etwas schlechter, weil ich nachts daran denken muss, tagsüber nicht mehr alleine zu sein, sondern wieder unter Menschen, wenn auch mit (hoffentlich) Abstand und Mundschutz. Ich hatte gestern kurz überlegt, nach dem Fototermin noch in die Pinakothek der Moderne zu radeln, um Herrn Protzen mal wieder anzugucken, aber irgendwie wollte ich nur schnell wieder in die unansteckende Wohnung.

Flat White, Müsli mit Erdbeeren und Weintrauben, abends gnadenlos eine Riesenzwiebel zu Ringen frittiert. Eine halbe Augustiner-Flasche landete im Bierteig, die andere in mir. Home-Biergarten sozusagen.

Seinen Geburtstag vor einem Jahr verbrachte Papa im Krankenhaus. Ich konnte ihm gestern nur telefonisch gratulieren, weil ich gerade Angst vor Zugfahrten habe und natürlich meine Eltern nicht gefährden möchte, wenn ich aus diesem Seuchennest hier im Süden angereist komme. Darüber war ich sehr traurig. Eigentlich sollte gestern auch mein Mütterchen hier in München ankommen, damit wir morgen in Oberammergau die Passionspiele anschauen könnten, aber ach. Ich bin seit Wochen nicht mehr im Norden gewesen, um sie zu entlasten, und das hat mich auch traurig gemacht. Papa fragte, warum ich nicht persönlich gratuliere, woraufhin ich meinte, ich sei doch in München. Was ich da denn mache, wollte er wissen, und: Das ist ja nicht so weit, da kannst du doch kurz rumkommen. Dass F. in München wohnt, weiß er, und er weiß auch, dass wir zusammen in Augsburg Fußball gucken, aber dass auch ich in München wohne und wie weit es weg ist, kann sein Gehirn sich nicht mehr merken.

Tagebuch Freitag bis Montag, 15. bis 18. Mai 2020 – Kurz mal sehr müde

Ich brauchte ein bisschen Pause vom großen Internet (so nenne ich mein Blog, obwohl das weniger Leute lesen als meinen Twitter-Feed) und trieb mich nur beim blauen Vögelchen und Instagram rum. Jetzt geht’s grad wieder. Hello peeps!

Freitag und Samstag knüppelte ich das verdammte Abbildungsverzeichnis nieder. Ich habe jetzt eine schöne Liste mit schönen Quellen, alles brav ausformuliert und keine kryptischen Gröner-Kürzel mehr, und dazu habe ich jetzt einen dicken Ordner mit jpgs. Alles ist nummeriert, aber da ich ahne, dass ich noch fünf bis fünfzehn Bilder finden werde, die ich doch noch irgendwie reindengeln möchte und im Gegenzug sieben andere rauswerfen werde, fasse ich das InDesign-Dok noch nicht an, in das irgendwann Texte und Bilder reinkopiert werden. Aber ich könnte jetzt.

Um 18.32 Uhr am Samstag vertwitterte ich, dass dieses Werk natürlich mit Absicht die letzte Abbildung im Verzeichnis ist.

Sind aber dann doch noch zwei hinterhergekommen. Mist.

Die samstägliche Arbeit wurde durch – Fußballgucken unterbrochen, unglaublich! Die Bundesliga spielt wieder.

Mein Kopf sagt: Das ist total unverantwortlich, die Saison weiterspielen zu lassen. Angeblich hat der Fußball eine irre Vorbildfunktion. Die kann ich aber wirklich nicht erkennen: Wo wir in Biergärten jetzt zwei Meter Abstand halten müssen, eingeschweißtes Besteck bekommen und die Kellner nicht an die Tische gehen dürfen, machen wir ab jetzt jede Woche Gruppenkuscheln mit 22 Kerlen vor Kameras? Das erste Spiel wegen eines Covid-19-Verdachts in einer Mannschaft wurde schon abgesagt, und ich gebe dem Ganzen nicht mehr als zwei oder drei Spieltage. Die ganzen schlimmen, SCHLIMMEN Ultra-Gruppierungen haben von Anfang an gesagt, Weiterspielen sei Mist, es gab keine Fanansammlungen vor den Stadien, mit denen auch nur diejenigen gerechnet hatten, die Ultragruppen für GANZ SCHLIMM halten, und soweit ich weiß, gab es auch keine Partys, auf denen gemeinsam Sky angeworfen wurde. Alle waren vernünftig, nur die DFL nicht. Ich sollte das nicht unterstützen.

Mein Bauch sagt: FUPPES GUCKEN, WO-HOO!

Im Vorfeld wurde wild über die fehlende Stimmung bei Geisterspielen geschrieben, aber ganz ehrlich: Bei Altona 93 oder den Bayern-Damen hört sich das nicht viel anders an. Dreißig- bis siebzigtausend Leute sind halt lauter als 500 oder die momentan in Stadien zugelassenen 300 Leute. Ich fand das eigentlich ganz nett ohne Publikum: Die Herren unterließen jede dramatische Schauspieleinlage nach Schübserchen, keiner pöbelte den Schiedsrichter an, Pfiffe wurden hingenommen und es wurde, soweit ich das beim Spiel Augsburg gegen Wolfsburg mitbekommen habe, nicht diskutiert, nicht gemeckert, alle spielten halt einfach nur Fußball, und ich habe das durchaus gern gesehen.

Noch schöner ist es allerdings im Stadion, und dazu gehören dann anscheinend die ganzen publikumswirksamen Aktionen, auf die gerade verzichtet wird. Man kann nicht alles haben.

Die NY Times kommentierte einerseits pathetisch, zum Beispiel zu den Fans, die nun alleine oder in Kleinstgrüppchen zugucken: „[A]tomized and all but alone, a tribe still bound by its colors but unable to gather under its standard“, meinte aber auch sehr schön zur individuellen Verpflegung: „At least there was wurst.“

Sonntag verordnete ich mir Diss-Pause. Spaßeshalber guckte ich nochmal auf unserer Website nach, ob sich irgendwelche Termine geändert hatten. Hatten sie! Eigentlich wäre Ende Juni der nächstmögliche Termin zur Abgabe (Disputatio im November), dann Oktober, den ich vorsichtshalber angepeilt hatte (Disputatio im Februar 2021). Nun bin ich aber schon irre weit und stellte gestern erfreut fest, dass man sich zwar immer noch Ende Juni zur Abgabe anmelden, das fertige Ding aber erst im August ins Prüfungsamt schleppen muss – quasi als Ausgleich für die acht Wochen, in denen wir nicht in Bibliotheken arbeiten konnten. Das müsste ich jetzt wirklich schaffen. Wenn ich es vorher hinkriege, mir einen Personalausweis ausstellen zu lassen, der im April ablief, denn den brauche ich für das blöde Führungszeugnis, das eine anständige bayerische Hochschule von ihren zukünftigen Doctores sehen will, bevor sie den Titel kriegen. (Augenrollendes Emoji.) Aber wenn alle Götter sich jetzt mal mit mir zusammenreißen, dann könnte das mit dem Doktorhütchen noch in diesem Jahr klappen. Fände ich einen total fairen Ausgleich zu dem ganzen restlichen Rotz, den uns das Jahr 2020 gerade aufbürdet.

Außer meine Arbeit ist totaler Schrott, aber ich gehe mal davon aus, dass dem nicht so ist. Ich bin nun allerdings nach dem zweiten Korrekturdurchgang und dem dritten flüchtigen, bei dem ich eher auf die Bilder geachtet habe, in der Phase, in der ich alles hinterfrage: doch nochmal über die Gesamtstruktur nachdenken? Vielleicht andere Blöcke basteln? Sinnzusammenhänge größer machen? Den kompletten Teil zur Gebrauchsgrafik rauswerfen? Doch erst im Oktober abgeben?

Alberne Story, lustige Bilder: The Nelson-Atkins Museum Is Still Closed for Humans, But Three Sophisticated Penguins Just Got a Private Tour (and the Photos Are Adorable).

Foto: Gabe Hopkins.

Ansonsten verbrachte ich den Sonntag auf dem Sofa oder am Nähtisch, wie ich meinen Schreibtisch nenne, wenn ich ihn mit Fäden vollfussele. Mal wieder einen Mundschutz genäht, dieses Mal mit eingeschlagenen Seitenteilen, so dass ich keine fransigen Abschlüsse habe. Ist mit Abstand die ordentlichste Maske, die ich bisher gemacht habe, aber ich trage, warum auch immer, mein erste unordentliche hellblaue mit den Blümchen am liebsten.

Das war eine sehr schöne, fast meditative Arbeit, die mir viel Freude gemacht hat. Danach wollte ich dringend mal etwas anderes nähen.

Ich fühle mich jetzt gewappnet für den dreiteiligen Hosenanzug, in dem ich meine Disputatio halten werde. #lifegoals

Und gestern, gestern war ich dann endlich wieder im Bällebad. Die Bibliothek des ZI hatte bereits vor einer Woche geöffnet, aber ich saß ja noch am Abbildungsverrrrrrzeichnisssgrrr. Mistding. Kunstgeschichte wäre viel toller ohne diese ganzen doofen Bilder. Aber ich schweife ab. Bällebad!

Man kann fünf der noch 24 zur Verfügung stehenden Plätze online reservieren, aber die waren alle schon vergeben. Mir egal, hingeradelt. Mit dem neuen Hygienekonzept geht man nicht mehr einfach grüßend an der Gebäudepforte vorbei, sondern der Name wird eingetragen und man bekommt eine Nummer. Oben an der Bibliothekspforte, wo die jeweilige Besetzung nun hinter einer Plastikscheibe sitzt, wurde sonst nur der Ausweis angeschaut und der Name notiert, nun muss man den Ausweis abgeben, damit man mitzählen kann – genau wie unten –, wieviele Menschlein gerade in den Bibliotheksräumen sind.

Mein geliebter Lesesaal (von insgesamt drei) hat normalerweise 36 Plätze, jetzt hat er nur noch zwölf, ausgewiesen durch zwölf Stühle. Man muss überall einen Mundschutz tragen, außer wenn man an seinem Platz sitzt und die Nase in Bücher steckt. Ich fand das alles äußerst erträglich, habe mich aber durchaus dabei erwischt, nervös die Luft anzuhalten, als jemand hustete. Neulich habe ich im Hausfahrstuhl versucht, die ganze Fahrt nicht zu atmen und dabei festgestellt, dass unser Fahrstuhl a) eine Viertelstunde für fünf Stockwerke braucht und b) ich die Lunge eines ungeborenen Kindes besitze. Ich würde bei jeder Dschungelprüfung ertrinken, sobald man irgendwo tauchen müsste.

Ebenfalls neu: Zwischen 13 und 14 Uhr müssen alle aus der Bibliothek verschwinden, dann wird irgendwas großflächig desinfiziert und danach darf man wieder rein, muss sich aber eine neue Nummer holen. Ich hatte mir zuhause schon alle Buchsignaturen in mein Notizbuch geschrieben, das ich immer mit mir herumschleppe, wenn ich durch fünf Stockwerke Bücher irre, so dass ich gleich um Punkt 9 anfangen konnte zu arbeiten. (Wurde dann aus Gründen 9.08 Uhr. Ts.) Auch deswegen ist das Foto nicht so irre aussagekräftig, ich wollte nur meinen glücklichen Status auf Insta vermelden, aber keine Zeit verlieren, denn ich hatte ja keine Zeit, ich hatte ja nur vier Stunden BZW. NUR DREI UND ZWEIUNDFÜNFZIG MINUTEN OMG also hetzte ich durch die Säle und die Bücher … und war um 12.15 Uhr mit der Arbeit fertig. Mpf. Eigentlich toll, aber um etwas Neues anzufangen, war die Zeit zu kurz.

Also Feierabend vor Ort und Neustart am heimischen Schreibtisch. Vorher noch ein Buch in die UB zurückgebracht. Dabei festgestellt, dass mein Lieblingseingang derzeit nicht zugänglich ist. Es ist alles anders, aber so ein ganz winziges bisschen fühlte sich das in den letzten Tagen mit Fußball und ZI und Radeln mit einem Ziel wieder nach sehr viel mehr Normalität an als noch die ganze letzte Woche.

Traue mich trotzdem noch nicht in einen Biergarten, obwohl wir seit gestern dürften.

Der Community-Cast veranstaltete gestern ein Table Read, um Spenden zu sammeln. Das hat deutlich mehr Spaß gemacht als ich dachte. Der Testamentsvollstrecker wurde leider nicht von Walt Goggins gelesen wie in der Serie, aber der Ersatz war auch prima, denn der kannte die Story anscheinend vor dem Lesen nicht und verlor mehrfach die Fassung.

Schauen Sie doch mal bei Christian vorbei: In diesem Eintrag steckt eins meiner Lieblingsfotos des Herrn, der sehr viele schöne Fotos produziert, aber das hier fand ich ganz besonders schön.

Tagebuch Donnerstag, 14. Mai 2020 – Abbildungsverzeichnis Teil 2

Von morgens bis abends Bildchen gesucht, zurechtgeschnitten und sortiert abgelegt. Dazu das Abbildungsverzeichnis in Word vernünftig formuliert. Wenn das alles fertig ist, muss ich die Bildchen ins InDesign-Dok werfen und die Texte copypasten. Totale Vorfreude. Ich weiß schon, warum ich in der Werbung immer das Art-Department bedauert habe, das dauert alles so. irre. lange. und. dann. noch. länger. (Zzzzz.)

Aber nette Post vom Hauptschulblues, vielen Dank! Und es hat geregnet, das war auch schön. Ach, und ich habe eingekauft. Mein einziger wöchentlicher Ausgang.

Bin müde.

Tagebuch Mittwoch, 13. Mai 2020 – Abbildungsverzeichnis

Eine Schablone in InDesign gebastelt, die ich jetzt 100 Mal kopieren werde.

Anfangen, aus meinen diversen Ordnern, in denen ich diverse Bilder abgelegt habe, einen zu machen bzw. Bilder wild zu kopieren, umzubenennen und Dinge zu tun, damit ich die Schablone befüllen kann und sehe, wo noch Bilder fehlen. Mich selbst dafür gehasst, mir drei Jahre lang in jeder Bibliothek gesagt zu haben, nee, das Bild scannst du jetzt nicht ein, wer weiß, ob du es brauchst, das machst du nachher, wenn der Text steht. Für die nächste Diss merke ich mir: SOBALD ICH EIN BILD SEHE, WIRD ES GESCANNT. Nervscheiß.

Frustessen aufgetaute Zitronenschnecken. Immerhin.

Und abends schaute F. vorbei und blieb gleich da. Das war dann auch das beste am Tag.

Calvin and Hobbes and quarantine

Wir spielen gerade alle Calvinball.

„In Calvinball, Hobbes is often again the provider of order — but only the slightest veneer of it, a gentle ladling of rules. The rules change often, but there are still rules. Again, the feeling of our current peculiar moment echoes here: We have new rules, yes, but those rules feel like a crass facade, like draping a tea towel over a howling maelstrom. Sure, we still have work to do, homework to monitor, meetings to attend, but at least half the time we’re standing there like Calvin, holding in our sneezes to see if we can blow our shoes off. We’re all in a game of Calvinball, knowing that there are rules, but they are not the old rules, and they’re probably not even yesterday’s rules, because every day feels both somehow exactly the same (the game itself) and entirely different (for the rules have changed).“

Der Artbot für Public-Domain-Fotografien aus dem Met spülte mir diese Dame in die Timeline. Möchte ihre Jacke haben.

Tagebuch Dienstag, 12. Mai 2020 – Zweiter Korrekturgang und Smashed Potatoes

Zum zweiten Mal am Ende der Diss angekommen und dann doch zufrieden gewesen. Wie ich gestern schon schrieb: Hinten raus wird sie besser. Mpf. Okay, nochmal von vorn. Aber vorher werde ich den Abbildungsteil so weit wie möglich erstellen, um den Kopf wieder vom Text auszuklopfen. Beim zweiten Durchgang notierte ich nämlich endlich das Abbildungsverzeichnis. Beim Schreiben hatte ich hinter jedem Gemälde, bei dem es mir sinnvoll erschien, (Abb. x) eingefügt, ohne es aber irgendwo gesammelt zu notieren; wenn ich schreibe, dann schreibe ich, dann will ich nicht dauernd absetzen. Auch ein Grund, warum ich mich gegen ein Abfassen der Diss in LaTeX entschieden habe; das machte mich doch etwas irre, ständig Formatierungen im Text zu sehen.

Beim ersten Korrekturgang ging es mir schlicht darum zu merken, ob das alles Sinn ergibt und sich gut liest, beim zweiten sammelte ich nun die ganzen (Abb. x)-Anmerkungen und schrieb sie ins Abbildungsverzeichnis, weiterhin unnummeriert, weil ich nun auf einen Blick sehen konnte, ob alle annotierten Gemälde sinnvoll sind oder nicht. Sind sie leider, womit ich bei ungefähr 200 Bilddateien bin. Die muss ich netterweise nicht mitten in den Text einfügen – damit würde ich bei Word wahnsinnig werden, weil dieses Mistprogramm selten kapiert, wo Text und wo Bild hinsollen. Stattdessen kommt das alles schön nach hinten, jeweils zwei Bilder auf eine Seite, dicke Bildunterschrift, die ich schon fürs Verzeichnis notierte und die jetzt gecopypastet werden.

Nun stellt sich die Frage, mit welchem Programm ich diesen Abschnitt anfertige. Word hat mich gestern schon nach drei Bildern irre gemacht, wie zu erwarten gewesen war. In jeder bisherigen Arbeit hatte ich das Abbildungsverzeichnis halbwegs geschickt gemacht, indem ich nur ein Bild pro Seite nahm und dann einen gnadenlosen Seitenumbruch einfügte. Nicht dass Word das klaglos macht, aber bei, weiß ich nicht, 30 Bildern in der Masterarbeit ging das, ohne massenmordend durch die Maxvorstadt zu ziehen. Bei 200 geht das nicht, basta.

Ich hatte vor gut einem Jahr schon mal in LaTeX rumgefrickelt, weiß aber noch nicht, ob das ich das Dokument wiederbeleben möchte. Gucke ich mir heute in Ruhe an, gestern hatte ich dazu keine Lust. Da ich aber auch mit Pages und Keynote gestern wahnsinnig geworden bin und noch nicht ganz von InDesign überzeugt bin, weil ich das ähnlich selten nutze wie LaTeX, könnte es dann doch auf letzteres rauslaufen. Wir werden sehen. Da das Enddokument eh ein PDF wird, das an meine beiden Prüfer*innen geht, ist es wurscht, wie ich die Einzelteile erstelle.

Im eben verlinkten Blogeintrag steht übrigens noch was von einem Kapitel, das sich mit der Autobahnmalerei beschäftigt. Was habe ich beim Wiederlesen gelacht. Was ich aber schön fand: Der erste Satz im Exposé, der im dort verlinkten Twitterthread lesbar ist, ist jetzt der erste der Diss. Der war anscheinend von Anfang an gut.

Mittags gab’s Smashed Potatoes mit Schnittlauchöl und einer halbierten Knoblauchknolle aus dem Ofen. Die wollte ich weich braten und beim Essen rauslöffeln, aber diese Zubereitungsart ist vermutlich eher für jungen Knoblauch geeignet. So frickelte ich den Matsch in ein Schälchen und gab noch einen Klecks Butter dazu, auch gut.

Abends noch zwei Folgen The Last Dance. Beim abendlichen Fertigmachen im Bad im Deutschlandfunk den Komponisten Ingolf Dahl kennengelernt und mir das Buch seines Schwiegersohns, The Lives of Ingolf Dahl, gemerkt. Als Tagesabschluss riet ich noch ein Bild auf Twitter richtig. Gut studiert!

Tagebuch Montag, 11. Mai 2020 – Sinnkrise

Dusche, Flat White, Masterchef Australia.

Am Schreibtisch erstmal eine Dissertation einer Kommilitonin gelesen, in der zwei Ausstellungen vorkamen, mit denen ich mich auch beschäftigt habe. Die Diss hatte einen anderen Forschungsschwerpunkt, aber natürlich hat sie mich trotzdem in eine kleine Sinnkrise geschmissen. Ich habe im Bundesarchiv anscheinend ein oder zwei Akten übersehen, die vielleicht interessant gewesen wären, aber jetzt komme ich gerade nicht hin, um sie mir auszuheben zu lassen. Und die Sprache der Diss klang für mich so viel besser als meine eigene. Immerhin vom zweiten Punkt konnte ich mich selbst entkriseln, indem ich mir stundenlang vorsagte: „In jedem Feedback auf jede wissenschaftliche Arbeit, die du in den letzten acht Jahren eingereicht hast, wurde deine Sprache gelobt. Scheint okay zu sein, verständlich zu schreiben.“

Aus dem zweiten Punkt konnte mich F. abends per Pep-Talk-DM holen: „Research never ends, it is never finished.“ Nicht alles, was irgendwo in Archiven rumliegt, muss in eine Arbeit. Ich habe genug, um meinen Punkt zu machen, und das weiß ich auch. Und ich weiß auch, dass ich Dinge gefunden habe, die in der von mir gelesenen Diss als „habe ich nicht finden können“ bezeichnet wurden (akademischer formuliert).

Beim Rausschmeißer von F. musste ich sehr lachen, weil ich gerne Witze darüber mache, dass ich eigentlich bei allen Dingen, die ich in der Diss anreiße, einen Aufsatz vom Doktorvater hätte zitieren können, weil der halt alles weiß und überall war: „Forschung ergänzt sich auf einem Gebiet. Wenn eine Person alles alleine rausfinden könnte, hätte euch [Doktorvater] nichts mehr übrig gelassen.“

Innere Danksagung wird immer länger.

Ansonsten emsig die Kapitel 1940 bis 1944 zum zweiten Mal korrigiert und im Abbildungsverzeichnis 100 Bilder ergänzt (grob geschätzt). Je weiter ich nach hinten in die Arbeit komme, desto besser gefällt sie mir. Ich ahne, dass ich im vorderen Teil nochmal den Rotstift ansetzen muss, wobei das Gefühl auch an der Sinnkrise gelegen haben könnte. Bin ansonsten doch recht zufrieden mit dem Brocken.

Zu essen gab es gestern in Etappen Püree aus weißen Bohnen und Karotten, die ich mit einem Berg Harissa und Knoblauch im Ofen weichgeschmort hatte. Dann wurde alles mit ein bisschen Minze, Olivenöl und Zitronensaft püriert. Harissa war super, vom Rest habe ich quasi nichts geschmeckt außer ab und zu ein bisschen frische Zitrone. Fürs nächste Mal merken: von allem mehr reinhauen oder gleich weglassen. Und immer mehr Salz als angegeben. Mehr mehr.

Igor Levit Is Like No Other Pianist

Wer den langen ZEIT-Podcast gehört hat, für den ist wenig neues Biografisches über Igor Levit dabei, aber für die Beschreibungen der musikalischen Entwicklung lohnt sich dieses Porträt aus dem New Yorker sehr. Ich fand an den Hauskonzerten sehr schön, dass Levit ein paar Sätze zur Einführung sprach, was meine innere musikalische Bibliothek sehr erweitern konnte. Alleine für The People United Will Never Be Defeated werde ich ihm noch länger dankbar sein.

Was ich auch durch die Hauskonzerte gelernt habe: dass ich mit Soloklavier was anfangen kann. Eigentlich bin ich mehr der Mensch für das 80-köpfige Wagner-Orchester, je mehr Klangfarbe, desto besser. Aber so auf Melodie und Begleitung und dem Verwischen von beiden zurückgeworfen zu werden wie es eben nur ein Soloinstrument wie das Klavier kann, war für mich sehr bereichernd. Daher auch hier: Danke.

„One day, Levit sent me a text saying, “Maybe for the first time do I understand what it means to speak of music as something life-keeping. It really keeps me alive. . . . I don’t care if it’s wrong or right, whatever B.S. that means, just as long as I can actually press down the black and white keys. I’ve never, never been freer than now. Never. And I am in tears half the day. Very, very dark. And yet. The existential must of music-making really becomes bigger and bigger by the minute.”

Concert pianists are often stereotyped as remote souls, apt to lose themselves in the palaces of sound they summon at the keyboard. Levit is emphatically not a loner. He has a global network of friends, and transmits countless e-mails, texts, emojis, and gifs every day. He is a cultural omnivore who is as likely to quote from Kendrick Lamar or “Simpsons” episodes as from Kafka or James Baldwin. Outfitted in a hoodie, a T-shirt, and jeans, he blends in easily with other guys on the streets of Berlin. His moderately hip image arouses suspicion in conservative corners of the classical-music world. “Just shut up and play,” he has heard people say, in several languages. From a more radical perch, the Berlin-based online magazine van has suggested that Levit is excessively self-dramatizing: “In the race for attention, Levit is a bit like Usain Bolt: he always seems effortlessly ahead.” […]

Levit introduced himself to the international public in an ostensibly conventional manner, with a recording of Beethoven. The Sony Classical label signed him in 2012, after he had attracted notice as a member of the BBC’s young-artist program. His first Sony project was nonetheless bold in concept, even brazen: where other début pianists might have stuck to the “Moonlight,” the “Appassionata,” or the “Waldstein,” Levit offered a two-disk set of Beethoven’s final five piano sonatas, including the titanic “Hammerklavier.”

To some, the gesture smacked of arrogance. He told me, “I know there is this attitude that you are supposed to wait until you are sixty-five and have seen life and the world and suffering before you approach late Beethoven. But I know thirteen-year-olds who know a level of suffering that these full-of-themselves, elegant mid-sixties artists have absolutely no fucking idea about. Give me a break! Anyway, that’s where I started, with late Beethoven. Matti really helped give me that attitude. He would say, ‘Just go do it. Just be a pianist. I will help you not to be an idiot.’”

Tagebuch Sonntag, 10. Mai 2020 – 1938/1939

Die Kapitel zu den Jahren 1938 und 1939 korrigiert und das Abbildungsverzeichnis dementsprechend aufgefüllt. Die Menge an Gemälden wird mir allmählich unheimlich, aber da muss ich jetzt erstmal durch. Und dann erledige ich zeitgleich mit dem dritten Korrekturgang der Diss den ersten dieses Verzeichnisses, in dem ich mich dann endgültig entscheide, was ich abbilde und was nicht. Ich ringe immer noch mit der Idee, im Juni abgeben zu können, aber ich ahne, dass das nichts wird. Auch weil ich dazu vermutlich einen gültigen Personalausweis brauche, der im April abgelaufen ist, aber momentan reizt mich wirklich überhaupt nichts daran, mich in die kleinen, ungelüfteten Warteräume des Einwohnermeldeamts zu begeben, in denen immer zu viele Menschen warten.

Viel Tee getrunken. Reste gegessen: eine aufgetaute Zitronenschnecke, die halbe gefüllte Paprika von vorgestern, eine Riesenschüssel Salat dazu.

Vor der Arbeit Saturday Night Live vom Samstag nachgeholt, dessen Akteur*innen darauf hoffen, dass das die letzte Ausgabe „from home“ gewesen ist. Ich drücke uns allen die Daumen, dass es im September, wenn die neuen Staffeln in den USA turnusgemäß anlaufen sollten, alle wieder gemeinsam arbeiten können. Gestern twitterte jemand, dass wir bitte aufhören sollten, Panik zu verbreiten (die ich durchaus in mir spüre), denn wir hätten genauso wenig Ahnung wie die ganzen Leute, die jetzt eng umschlungen draußen rumlaufen und über die wir uns aufregen. Es kann auch alles gut ausgehen. Ich möchte hoffen. Dieser Artikel hat mir allerdings wenig Hoffnung machen, mir aber immerhin die Angst vor Bibliotheken und Archiven etwas nehmen können, denn in denen sitzt man zwar in Räumen ohne große Lüftung zusammen, aber es halten alle die Klappe (heißt: keiner sprüht Viren in der Gegend rum).

Und SNL hat mir einen Satz mitgegeben, der mich den ganzen Tag lang erfreuen konnte. Es ging um die Vorwürfe von Tara Reade an Joe Biden: „This is a really good argument for a female president. You’ll never hear about Angela Merkel just grabbing some dude’s crotch. And if she did it would be with consent at a BDSM club in Düsseldorf.“

Nach der Arbeit die letzte Staffel Community im Schnelldurchlauf erledigt. Die war schlicht fürchterlich, und es ist wirklich herzzerreißend zu sehen, was aus den ersten drei genialen Staffeln schlussendlich wurde. Wir hätten alle mit Troy das sinkende Schiff verlassen sollen.

Aber immerhin gab es gute Musik in der letzten Folge, wenn man da auch den Text und das Video ignorieren sollte. Erstaunlich, dass noch Songs geschrieben werden, in denen der stoisch-schweigsame Männe sich aufmacht, um die Welt zu entdecken und dafür vom armen Mädel Abschied nehmen muss. Good riddance, Pappnase.

Den Abend damit gerettet, zwei weitere Folgen von The Last Dance zu gucken und erstaunt den spontanen Berufswunsch der Sportdokumentarfilmerin in mir entdeckt. Der Trailer gibt in seiner üblichen Vorschauhektik nicht das gute Tempo der Serie wieder. Ich verstehe 20 Jahre zu spät die Großartigkeit von Michael Jordan. Aber immerhin.