Tagebuch Donnerstag, 30. Mai 2019 – Feiertach

Ausgeschlafen. (Bis halb acht.) Auf den Morgenkaffee verzichtet, weil F. und ich frühstücken gehen wollten. Daraus wurde dann eher ein Spätstück, weswegen ich im Victorian House auch erstmal mit schlechtem Gewissen einen Milchkaffee orderte. Aber dann direkt danach ein Kännchen Keemun-Tee, den ich noch nicht kannte. Sehr wohlschmeckend, gerne wieder. Dazu Eggs Benedict, für die ich zuhause meist zu faul oder zu memmig bin – Rührei ist gelingsicherer.

Danach spazierten wir in der Gegend rum, bestaunten alte Villen, schlenderten am Nymphenburger Kanal entlang, lernten, dass Schwaneneier graubraun wie Kartoffeln aussehen und dass Schwäne gänzlich unbeeindruckt von Menschentrauben sind, die ihnen beim Nestbau von einer Brücke aus zusehen. Ich bestaunte Blässhühner beim Tauchen (und lernte eben beim Verlinken, dass sie nicht „Blesshühner“ geschrieben werden), während F. Scherze latergramte. Wir sahen Fische in diversen Größen und rieten ihre Art, wovon wir beide keine Ahnung haben, ich verglich sie halt mit den Pixelfischen, die ich aus Hay Day kenne. (Karpfen?)

Danach ließen wir uns mit der Tram wieder in die Innenstadt transportieren und genossen noch ein Bio-Eis, das meiner Meinung nach aber in der Konsistenz nicht mit Ballabeni mithalten konnte (aber lecker Salzkaramell und Kaffee!).

Danach wartete ich auf meinen Bus und besah Menschen, die Autos besahen.

Den späten Nachmittag verbrachten wir getrennt, ich las und guckte MasterChef Australia, dann kam F. wieder vorbei, wir gönnten uns einen kleinen Rosé-Champagner und entzifferten gemeinsam das französische Etikett. Dabei gelernt, dass robe nicht nur Kleid heißt, sondern beim Wein die Farbe bezeichnet.

Wäre gefüllt attraktiver als Bild gewesen, aber man kommt ja zu nix.

Äußerst entspannt gemeinsam eingeschlafen.

Tagebuch Mittwoch, 29. Mai 2019 – Wieder was gelernt

Es regnete zwar ein bisschen, aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, endlich mal wieder mit dem Rad ins ZI zu fahren und nicht die U-Bahn zu nehmen. Ich glaube, mein Po ist über den Winter vollkommen verweichlicht – mein Sattel kam mir noch nie so hart vor! Und Kopfsteinpflaster ist die Hölle! Aber: OMG RADFAHREN SO AWESOME! Hatte ich ganz vergessen, wie schnell man überall hinkommt. Und wie fies aufmerksam man sein muss, um überall hinzukommen. Zuviele Autotüren, zu viele Fußgänger, die nicht kapieren, dass dieses huckelige Handtuch da links von ihnen ein Radweg ist. *hust*

Den Vormittag verbrachte ich dann mit den Jahren 1935 bis 1937 und den Werken, die Protzen in diesen drei Jahren ausstellte. Neben diversen Münchner Katalogen fand ich noch einen aus Berlin (wir haben ja quasi ALLES!), aber einen weiteren Berliner fand ich so gar nicht, auch nicht in anderen Bibliotheken oder in der Fachliteratur, was mich sehr stutzig machte. Soweit zu gehen zu behaupten, dass diese sehr bekannte Ausstellung gar nicht stattgefunden hat, will ich natürlich nicht, aber das verwirrt mich jetzt doch sehr. Freitag wird weitergesucht, heute geht ja feiertagsmäßig nichts.

Einschub. F. so vor ein paar Tagen: „Donnerstag ist Feiertag.“ Ich so: „Den haben wir im Norden auch!“ F. so: „Ich sag’s dir lieber einmal zu oft.“ Isser nicht goldig? Einschub Ende.

Und weil er so goldig ist, schicke ich ihm immer Bilder von der Irschenberg-Auffahrt, der meiner Meinung nach meistgemalten und meistfotografierten Ansicht der Reichsautobahn (hier von Wolf Panizza). Ich finde das Ding todschick, in jeder Perspektive, in jeder Ausführung, aber F. ist nur genervt: „DA STEHT MAN IMMER IM STAU! DU UND DEIN SCHEISS-IRSCHENBERG, WIR FAHREN DA JETZT HIN, DANN HAT DAS EIN ENDE!“ Gnihi.

Nach fast fünf Stunden war ich noch nicht mal mit 1937 fertig, denn um den größten Brocken, die Große Deutsche Kunstausstellung, drückte ich mich, obwohl da nur zwei Bilder von ihm hingen. Aber mein Kopf hatte keine Lust mehr, ich setzte mich wieder aufs Fahrrad. (Aua!)

Ich radelte zur Stabi, wo noch ein Buch im Lesesaal auf mich wartete, das ich völlig vergessen hatte. Netterweise schreibt die Stabi einem Mails, wenn man Bücher zurückgeben muss, und so erfuhr ich, dass dort seit Wochen was für mich lag. Natürlich ein Buch für das Autobahnkapitel, das ich brav und diszipliniert hintenan gestellt hatte, weil ich erstmal Biografie und Ausstellungen fertig kriegen will.

Ich zückte meinen neuen Bibliotheksausweis und ging zu Regal 40 im Lesesaal. Im Regal 40 hatte ich unten bei der Abholung für Bücher außer Haus schon einiges für mich gefunden, musste hier nun aber feststellen, dass nichts für mich da war. Ich guckte verwirrt nochmal in mein altes Regal (miss you, 32!), weil ich dachte, vielleicht hatte ich das noch auf die alte Karte ausgeliehen, aber da lag auch nichts. Wie ein Erstsemester schlich ich zur Information, wo man mir, wie wahrscheinlich schon 20.000 anderen erklärte: Nee, für den Lesesaal gilt diese Nummer hier auf dem Ausweis, das ist das gleiche Regal wie in der Unibibliothek, ja, Sie haben jetzt in der Stabi zwei Regalnummern. Auf diese sinnlose Idee war ich nicht gekommen, aber nun gut: Regal 19 it is. … Wo zum Teufel ist Regal 19? … Ach, da hinten geht das noch weiter? … Hallooooo? … Ein Lämpchen flackerte über mir auf, als ich in den Tiefen des Magazins verschwand und endlich vor Regal 19 stand, wo auch das Buch mit meinem Ausleihzettel lag.

Ich las ein bisschen NS-Propaganda, was man halt so macht, fand ein paar schöne Zitate, klappte das Buch zu und gab es zurück.

Nach Hause geradelt (aua!), eingekauft und dann ein bisschen spazierengegangen. Ich habe in den letzten Tagen anscheinend wieder dauernd doof und unaufmerksam gesessen, dann tun mir die Knie weh, und ich muss gehen, denn wenn ich gehe, tun mir netterweise die Knie nicht weh. Mir wäre es lieber, wenn mir die Knie nicht weh tun, indem ich auf der Couch rumliege, aber man kann ja nicht alles haben.

Dem Lieblingsgrab auf dem Alten Nordfriedhof mal wieder einen Besuch abgestattet.

Und dann wieder was gelernt, was ich natürlich total uneigennützig weitergebe. Ein paar Meter neben diesem Grab ist folgendes, wo Münchner Künstler anderen Malern anscheinend eine Gedenktafel gestiftet haben:

Die linke Figur trägt einen Schild mit drei weiteren Schilden drauf:

Und genau die hatte ich in den letzten Monaten dauernd gesehen. Hier zum Beispiel:

Oder hier:

Das Titelbild des letzten Katalogs hat übrigens der ausgebildete Gebrauchsgrafiker Protzen gestaltet.

Erst gestern, als ich die Gedenktafel sah, fiel mir das Motiv auf. Ich googelte nach dem Spaziergang zuhause nach, weil ich dachte, vielleicht wäre das so ein München-Ding, aber nein: Die drei Schilde sind ein uraltes Wappen für die Malerzunft. Und schon habt ihr wieder ein bisschen Smalltalkfutter für die nächste Party.

Nebenbei mag ich es sehr gern, dass die kleine Figur nicht ganz zentral auf ihrem Podest steht, sondern leicht nach links verschoben, damit der Schild theoretisch noch in den vorhandenen Raum passt – was er aber dann doch nicht tut und den Rahmen leicht überragt.

Den Feierabend mit einem Kilo Kirschen verbracht und den ersten Folgen Six Feet Under. Das Ding ist schon von 2001? Jessas. Aber: sehr gut gealtert! Kann man noch hervorragend gucken.

Tagebuch Montag/Dienstag, 27./28. Mai 2019 – Wissenschaft vor Datenschutz?

Montag sollten mal wieder Kundenkorrekturen kommen, die aber nicht kamen. Ins ZI war ich deshalb vorsorglich nicht gefahren, denn da lese ich mich ja bekanntlich immer stundenlang fest. Daher saß ich eh am Schreibtisch und beschäftigte mich einfach mal mit dem ganzen Papierkram, den ich von meinen Eltern mitbekommen habe, der jetzt mein Job ist und nicht mehr ihrer. Ich konnte es verhindern, mit Menschen zu telefonieren, sondern schrieb Mails, die zügig beantwortet wurden. So kann ich arbeiten.

Auch am Dienstag kamen keine Korrekturen, und so guckte ich einfach mal auf der Seite der Stadtverwaltung nach, wie das denn neuerdings mit der Online-Terminvereinbarung bei Behörden läuft.

Vom Herrn Protzen besitze ich, wie bereits mal erwähnt, ein selbst angelegtes Werkverzeichnis – aber nur als Scan einer 40 Jahre alten Kopie. Die Kopie liegt entweder bei den Pinakotheken oder im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, wo die Bayerische Staatsgemäldesammlung 2017 einen Teil ihres Archivs hingeschafft hat, damit es öffentlich zugänglich ist. Dafür danke! Mich interessieren aus dem Bestand natürlich vor allem die Unterlagen zu den Überweisungen aus Staatsbesitz, denn da dürfte auch noch was über Protzen zu finden sein.

Ob da auch die Werkverzeichniskopie liegt, weiß ich noch nicht; die gehört zu einem Aktenbestand zur Gedächtnisausstellung für den Herrn und seine Frau Henny Kundmüller-Protzen, die beide 1976 von der Staatsgemäldesammlung und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus ausgerichtet bekommen haben als Gegenleistung für den Erhalt des Nachlasses, der direkt nach der Ausstellung zackig ins Kunstarchiv abgeschoben wurde.

Aber erstmal würde mich interessieren, ob der Mann Erben hat, die eventuell nun das Werkverzeichnis besitzen. Denn wie Scans von Kopien halt sind: So irre leserlich sind sie nicht. Die meisten Werktitel kann ich entziffern, weil ich die Fotoalben der Gemälde habe, die ebenfalls mit Titeln beschriftet sind, aber viele Anmerkungen, Kürzel oder Ziffern sind teilweise schwer lesbar oder zuzuordnen. Manchmal ergeben sie sich aus dem Zusammenhang: So basteltete ich letzte Woche an einigen Ausstellungen rum und konnte nun Bilder einem Ort und einer Zeit zuordnen. Und wenn ein Bild mit „Gr. Mü“ bezeichnet wurde, weiß ich jetzt, dass das die „Große Münchner Kunstausstellung“ ist und das „Glp“ mir zeigt, dass dieses Bild im Glaspalast gehangen hat. Beim Brand 1931 verlor Protzen acht Bilder, auch diese Werke sind gekennzeichnet: „verbrannt Glaspalast 1931“.

Aber wo das Originalheft ist, weiß ich eben nicht, und daher hoffe ich auf Erben. Ich hatte im Internet schon rausgefunden, dass man eine „erweiterte Melderegisterauskunft“ beantragen kann, auch online. Aber da würde ich nicht mehr erfahren als das, was ich schon weiß. Also dachte ich mir, fährste doch einfach im Bürgerbüro vorbei und fragst nach, wo du die Infos herkriegst, die eine Melderegisterauskunft übertreffen. Dazu machte ich, wie vor fünf Absätzen angedeutet, um halb neun einen Termin für zehn Uhr, frühstückte entspannt und setzte mich in die U-Bahn. Ich wusste durch die Rückmeldung der Stadt auch gleich, wo ich warten musste, suchte die entsprechende Wartezone, die gut ausgeschildert war und guckte auf den Monitor, auf dem die Wartenummern aufgerufen wurden. Ich hatte 305, auf dem Bildschirm erschien gerade, um zehn vor zehn, die 130, was mich etwas verwirrte. Erst nachdem ich länger den lustigen Zahlen zugeschaut hatte, merkte ich, dass die Nummer nicht in aufsteigender Reihenfolge angezeigt wurden, sondern vermutlich so, wie sie vergeben wurden: manche online, manche hier vor Ort. Das verwirrte etwas, weil ich nicht mehr abschätzen konnte, wie lange denn die Wartezeit betragen würde, weil ich nie wusste, welche Zahl als nächstes kam, aber: Um fünf nach zehn leuchtete mein Nümmerchen auf. Gutes Zeitmanagement.

Die freundliche Dame sagte mir, sie dürfe mir nicht mehr sagen als vorgesehen, aber vielleicht wüsste die Auskunftsgruppe mehr? Ich wusste nicht, was das war, ließ mir aber den Weg beschreiben, bedankte mich und suchte. Nachdem ich schon in der Nebenstraße war und es stärker zu regnen begann, knickte ich ein und ging wieder ins Hauptgebäude zum Informationsschalter. Die zwei Angestellten konnten mit dem Namen „Auskunftsgruppe“ auch nichts anfangen, fragten aber, worum es denn ging, ich erzählte vom gesuchten Herrn, woraufhin sie mich ins Standesamt schickten, immerhin schon mit der Ansage, sie wüssten nicht, ob ich auskunftsberechtigt wäre. Im Standesamt fragte ich wieder an der Information, welcher Raum denn für mich zuständig sein könnte, wurde irgendwo hingeschickt, wo mir wiederum zwei Menschen sagten, dass sie mir diese Info leider nicht geben könnten, nur das, was als erweiterte Melderegisterauskunft da wäre. Weil Datenschutz. Aber wissen Sie was, fragen Sie doch mal oben bei der Urkundenausstellung, vielleicht können die was machen. Also drei Stockwerke hoch, Wartenummer ziehen, und dann stand ich vor der einsilbigsten städtischen Angestellten ever, die mir im Prinzip sagte, dass ich Angehörige sein müsste, um rauszufinden, ob der Herr Angehörige habe. Äh. Nun. Ich hatte gehofft, dass berechtigtes wissenschaftliches Interesse den Datenschutz aushebeln würde, aber nö. Auch mein Angebot, mit einem Schreiben der Uni wiederzukommen, wo bestätigt würde, dass ich keine verwirrte Nazistalkerin wäre, sondern eine reizende, neugierige Doktorandin, wurde schmallippig abgelehnt. Mist.

Wie gut, dass es Twitter gibt, wo einem noch sinnvolle Tipps gegeben werden. Denn bevor ich ernsthaft selbst zur Adresse der Protzens fahre, gucke, wer heute in diesem Haus wohnt und einen höflichen Brief in den Kasten schmeiße, in dem die Frage steht, ob die jetzigen Bewohner vielleicht einen der früheren kennen würden oder wüssten, wo sich sein Erbe befindet, frage ich erstmal Twitter. Deswegen werde ich (vermutlich) heute in der Stabi sitzen und alte Adressbücher durchblättern, die dort rumstehen, wie ich seit gestern weiß.

Ganz nach vorn

Der Spielbeobachter hat sich angeguckt, wie Union Berlin den Aufstieg in die erste Bundesliga schaffte. Also mehr oder weniger angeguckt.

„Beste Heimmannschaft der zweiten Liga. Beste Defensive der zweiten Liga. Nur elf popelige Tore kassiert zu Hause, da muss der Gomez Mario erst mal dran vorbei. Und wir haben Rafał. Der kann allen Gegnern den Ball vom Fuß zaubern, nur mit der Kraft seiner Augen. Und seinen Mitspielern brennt er die Angst weg, auch mit seinem Blick.

Die Gedanken in den Köpfen sind ein wild zuckendes Hin und Her, zu flüchtig um sie zu artikulieren, eben noch bei der Packung, die gleich kommen wird, jetzt schon beim gloriosen Triumph, der auf uns wartet, als wir das Stadion betreten. Früher als sonst, wir können es nicht abwarten, wir wollen da jetzt hin, lasst das Spiel endlich beginnen, wir platzen sonst. Es ist nicht weniger als ein medizinischer Notfall, dass dieses verdammte Spiel sofort beginnt und sofort beendet wird, wie auch immer.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 25./26. Juli 2019 – Wochenende

Die letzten beiden Wochenenden war ich in der alten Heimat, um meiner Familie etwas unter die Arme zu greifen und das Väterchen im Krankenhaus zu besuchen. Dieses Wochenende war ich müde von allem und konnte mich daher am Samstag erst am späten Nachmittag dazu durchringen, ein seit Monaten geplantes großes Fest zu besuchen. Im Nachhinein war ich sehr froh, mich aufgerafft zu haben, denn ich hatte den besten Tisch des Abends. Logisch. (Es gab Widerrede.)

Mit den zwei charmanten Herren neben mir fand ich endlich Menschen, die den Schlingensief-Parsifal in Bayreuth genauso doof fanden wie ich. Ansonsten wurden am Tisch erstmal die Vereinspräferenzen geklärt – Bayern, Augsburg, einmal HSV, aber der Herr kam in Tracht, war also offensichtlich assimiliert und rollte auch nur müde mit den Augen, als man ihn auf seinen Verein ansprach. Dann wurden diverse Toralarme auf den Handys aktiviert, damit man mitkriege, wie hoch Leipzig im DFB-Pokal-Finale gegen Bayern bitte verlieren möge. Das klappte ganz hervorragend. (3:0.)

Irgendwann wurde die kleine Kapelle, die uns beim genüsslichen Buffetleeräumen begleitete, von einem DJ abgelöst, wir gingen von der Empore mit den Tischen nach unten ins geräumige Foyer, ich rauchte die erste Zigarette des Jahres – so selten wie ich auf Feierlichkeiten gehe, wird es vermutlich auch die einzige bleiben – und genoss im Laufe des Abends drei Cosmopolitans. Ich schnackte mit diversen Menschen, die ich aus dem Interweb kannte oder die mich lasen und mich nun ansprachen. Fangirls begrüßt, selbst Fangirl gewesen, immer lustig mit uns Blogfuzzis. Über die Rente gesprochen, wie’s Hamburg so geht, Fragen nach meinem Vater beantwortet, auch mit Menschen geredet, die ich noch nicht kannte, alles nett und unaufgeregt, man musste an keinen peinlichen Spielchen teilnehmen oder mies getimten Gruppenaktivitäten, jeder konnte einfach sein Ding machen, wie entspannend das war im Gegensatz zu vielen durchchoreografierten Hochzeiten.

Um kurz nach Mitternacht war ich dann durch mit Reden und Trinken und Rumstehen, verabschiedete mich von den fünf Menschen, in deren Traube ich gerade stand und ging schnell und still nach Hause.

Nebenbei: tollste Location! Ich wusste gar nicht, dass man die privat anmieten kann, ich kannte die bisher nur als einen Ort, an dem ich mal einem Vortrag über die digitale Vermessung von ägyptischen Ruinen zugehört hatte.

Herr F., die alte Feiernase, blieb natürlich länger, daher schlief ich allein, was aber auch schön war. Entspannt und spät erwacht, die restliche Samstagszeitung gelesen und dann nur noch die Nase in einem Buch oder auf meiner digitalen Farm gehabt.

Am frühen Nachmittag was gekocht, nachdem ich morgens nur den üblichen Kaffee hatte, und auf Insta einen Kommentar bekommen, der garantiert lustig gemeint war, der mich aber total auf dem falschen Fuß erwischte. Anscheinend fasst mich alles an, was irgendwie darauf anspielt, was ich esse, wann ich esse, wieviel ich esse und warum. Stundenlang überlegt, das Bild zu löschen, damit auch der Kommentar verschwindet, dann beschlossen, es stehenzulassen. Darüber nachgedacht, keine Essensfotos mehr zu posten, damit diese Gefahr gleich gebannt ist, aber ich mag gerade die Essensbilder so gerne, weil sie mir selbst zeigen, was sich ändert. Betrübt darüber gewesen, dass Essen anscheinend noch immer nicht unproblematisch ist, obwohl es doch schon so viel besser geworden ist und ich es mir schon lange als Genuss zugestehe. Es bleibt kompliziert.

Tagebuch Freitag, 24. Mai 2019 – Melancholie

Netflix gekündigt, Amazon Prime gekündigt. Ich nutze beide Services längst nicht in dem Umfang wie noch vor einem Jahr, daher: weg damit.

Endlich mal wieder mein Rad geputzt und anständig aufgepumpt. Hier ist seit Wochen Fahrradwetter (nicht zu heiß, nicht zu kalt) und ich sitze immer noch im Bus. Ab heute nicht mehr.

Franzbrötchen gebacken (hab ich als Self-Care verbrämt). Geschmacklich super, optisch immer noch fürchterlich wie bei allen bisherigen Versuchen auch. Ich werde die Teiglinge beim nächsten Mal brutal plattdrücken, um nicht wieder eine Art Zimtschnecke zu produzieren. Aber immerhin habe ich endlich ein Rezept gefunden, bei dem die Butter-Zimt-Zucker-Menge hervorragend gepasst hat.

Den ganzen Tag traurig gewesen. Erst abends im Biergarten wieder etwas bessere Laune bekommen.

Tagebuch Donnerstag, 23. Mai 2019 – Stadtarchiv

Da das Stadtarchiv Freitags leider geschlossen hat, musste mein einziger Tag, an dem ich eigentlich in Uni-Vorlesungen sitze, dran glauben: Gestern ging ich dementsprechend ins Archiv und nicht in den Hörsaal. Schade drum. Dann aber auch wieder nicht, denn ich fand, wie immer, unerwartetes Zeug und dazu auch noch Zeug, das ich gesucht hatte.

Ich hatte mir nur vier Archivalien rauslegen lassen, und bei dreien wusste ich nicht so genau, was da kam. Eine war dann auch nur ein einzelnes Foto, das ich zwar brav irgendwie beschrieb, von dem ich aber jetzt schon weiß, dass ich nicht brauchen werde. Eine zweite Mappe beinhaltete eine äußerst geringe Zahl von Zeitungsartikeln zu einer Künstlervereinigung, in der Herr Protzen Mitglied gewesen war, aber das kann ich auch ziemlich vernachlässigen.

Dafür waren die anderen beiden Volltreffer. Die dicke Zeitungsartikelsammlung zum Künstlerbund München, vormals Feldgrauer Künstlerbund, weil direkt nach dem 1. Weltkrieg gegründet, gab irre viel her, auch was die inneren Vorgänge im Verein anging. Die zweite Akte war ein Vorgang aus dem Kulturamt, der ein Darlehen an diesen Künstlerbund beschreibt und den ich mit Genuss gelesen habe. Keine Ahnung, ob ich davon mehr als drei Zeilen oder auch nur eine Fußnote brauche, aber ich hatte viel Spaß mit den ungelenken Formulierungen und lernte dazu auch noch ein paar Namen von städtischen Beamten, die mir in anderen Zusammenhängen schon untergekommen waren.

Gnadenlos sieben Stunden durchgelesen und getippt, dann zu Fuß nach Hause gegangen und über Avocado und Brot hergefallen. Weiterhin Ibuprofen, weil’s angeblich Entzündungen hemmt. Davon habe ich in den vergangenen fünf Wochen zwar nicht viel gemerkt, aber ich werf’s trotzdem brav ein, weil mein Zahnarzt das so möchte.

Ich habe momentan keine tollen Links ins Interweb für euch, weil ich gerade nicht so viel online bin. Ändert sich garantiert wieder.

Tagebuch Mittwoch, 22. Mai 2019 – Bällebad und Gackerflash

Gemeinsam aufgewacht, neues Lieblingsduschgel genossen, einen hübschen, aber ungelenken Farn auf den Flat White gegossen, entspannt in den Tag gekommen.

Ab kurz nach 9 saß ich im ZI und wie immer, wenn ich dort sitze, vergesse ich die Zeit, die Welt und dass ich Hunger habe. Also bis gegen 15 Uhr, dann kann ich letzteres meist nicht mehr ignorieren. Wie schon des Öfteren gesagt: Das ZI ist mein Bällebad.

So langsam verfestigt sich die Struktur, die ich mir für die Diss überlegt habe. Ich wusste, dass ich noch einiges umschmeißen würde, sobald aus der Struktur ein Text wird, und genau damit fing ich gestern an. Vorgestern lautete meine Reihenfolge noch: Einleitung, Biografie, Ausstellungsbeteiligungen, Bildbesprechung einzelner Werke Protzens. Dann kommt der ganze Autobahnsumms und dann geht’s in die Bundesrepublik, wo eben dieser Autobahnsumms als Beispiel für ganz schlimmes Zeug an der Wand hing, was ich anprangern will. Wie genau meine Arbeit derzeit heißt, könnt ihr demnächst hier lesen, da müsste das irgendwann im Juni stehen. Ich brülle dann schon.

Am biografischen Kapitel hatte ich die letzten Wochen vom heimischen Schreibtisch aus gearbeitet, weil ich im Kunstarchiv Nürnberg wirklich eine Menge Dokumente abfotografiert hatte, an denen ich mich jetzt langhangele. Einige Daten hatte ich aus Protzens Spruchkammerbogen, wo er zum Beispiel Vereinsmitgliedschaften angab (diese Quelle ist natürlich mit Vorsicht zu genießen). Von diesen Vereinen ließ ich mir im Stadtarchiv Pressesammlungen rauslegen und konnte so teilweise abgleichen. Bei manchen Einträgen im Bogen merkte ich auch, dass der Herr da vielleicht ein bisschen geschummelt hatte, wer hätte es gedacht. Andere konnte ich hingegen nicht verifizieren, ihm aber auch keine Falschaussage nachweisen, weil ich noch keine Quellen oder Belege dafür oder dagegen gefunden hatte. In meine Fußnoten tippe ich derzeit wild Literaturtipps oder Dinge, die ich nachschlagen möchte, wenn ich nicht mehr am heimischen Schreibtisch sitze, und gestern war dazu mal wieder Gelegenheit.

Im ZI sammelte ich erstmal die ganzen Bücher und Zeitschriften zusammen, die mir vielleicht weiterhelfen, um biografische Details abzuklären. Das klappte mal mehr, mal weniger, aber wie immer, wenn man Zeug vor der Nase hat, stößt man auf Dinge, die man gar nicht gesucht hat. So habe ich schöne Zitate für die Selbstdarstellung der einzelnen Kunstvereine gefunden bzw. ihre politische Ausrichtung oder auch Künstlernamen, die mir bereits begegnet waren, die ich aber noch nirgendwo hinstecken konnte.

Dann begann ich mit dem Ausstellungskapitel, an dem ich zeigen will, dass Protzen kein ganz kleines Licht in der Kunstszene Münchens war – aber eben auch kein so großes, wie die Ausstellungspolitik der Bundesrepublik aus ihm gemacht hat. Ich habe immer noch keine Ahnung, ob mir diese These um die Ohren fliegt, aber ich erinnere mich gerne an einen Satz von F.s Doktorvater: When you know what you’re doing more than half of the time, it’s not research. Also suchte ich mir alle Ausstellungskataloge zusammen, die wir aus München ab circa 1925 im Regal stehen haben und blätterte.

Viele von Protzens Ausstellungen, jedenfalls zwischen 1933 und 45, kannte ich schon aus diesem hervorragenden Standardwerk, in dem man faul Namen oder Ausstellungsorte nachschlagen kann. Und natürlich gibt es ein paar Einträge zu Protzen in den einschlägigen Lexika, aber man weiß ja nie, und blättern ist super. Außerdem wird im Papenbrock/Saure nicht vermerkt, welches Werk genau ausgestellt wurde; es wird nur gesagt, der Mann oder die Frau hat in, Beispiel, München in der Sommerausstellung der Münchener Künstler-Genossenschaft 1933 zwei Bilder gehabt. Aber welche das waren, steht da nicht. Dafür muss man dann in den Katalog gucken, und wenn man Glück hat, sind die Werke sogar abgebildet – sind sie meistens nicht; wie ihr an obigem Bild seht, waren Ausstellungskataloge lange Zeit nicht die 300-seitigen farbigen Prachtbände wie heute, sondern nur eine postkartengroße Sammlung von Namen und wenigen schwarzweiß gedruckten Seiten. Titel wie „Stilleben“ helfen auch nicht wirklich weiter, selbst wenn man das vom Künstler selbst angelegte Werkverzeichnis hat – nur als Scan einer Kopie von den Pinakotheken, aber immerhin, wo das Original ist, weiß ich immer noch nicht und es macht mich IRRE! Jedenfalls riet ich gestern lustig in der Gegend rum, ob mit „Stilleben“ jetzt „Kaktus und Vase“ gemeint ist oder „Aloe und Äpfel“, versah halt beide Bilder mit ihren Maßen, dem Entstehungsjahr, der Werkverzeichnisnummer, dem eventuellen Alternativtitel, sowohl im Werkverzeichnis als auch in den Fotoalben der Werke, die ich im Nachlass gefunden hatte. Dann verargumentierte ich alles brav, legte einen Katalog weg und nahm mir den nächsten.

So fand ich ein Werk, das noch nirgends in der Literatur verzeichnet war, und ebenso eine Ausstellung, die noch keiner auf dem Plan gehabt hatte, ha! Bei einigen Werken musste ich eine kleine Beschreibung anfügen, um sie in den Kontext einzubetten, wobei mir einfiel, dass meine Struktur vielleicht doch nicht so clever war. Deswegen kommt jetzt nach der Biografie ein Überblick über Protzens Schaffen, und erst, wenn man ein paar Bilder kennt, erzähle ich, wo die mal hingen. Oder seine 500 anderen. Mal sehen, wie lange diese Struktur hält.

Nach sechs Stunden Blättern und Finden und „Ha!“ sagen und Schreiben trug ich 30 Kataloge ins Rückgabefach, zog die neuen Dokumente auf einen Stick, schob sie gleichzeitig in die Cloud und machte Feierabend.


Meine Fußnoten sind inzwischen bunt: rot heißt „nochmal checken, verifizieren oder eine bessere Quelle finden“, grün ist ein Hinweis, den ich vielleicht mal irgendwann in den Text schieben werde. Manchmal markiere ich auch Dinge gelb, das sind dann Bücher, die ich noch nicht kenne, in denen aber vielleicht noch was für mich zu finden ist. Die hatte ich aber gestern alle abgearbeitet, deswegen ist nichts Gelbes im Screenshot.

Wenn ich hungrig bin, will ich nicht kochen, dann will ich nur essen. Late Lunch daher Sandwich mit Salat, Hähnchenbrust, Käse und drei Schichten Gurken.

Neue Folge The Bold Type, neue Folge Bless This Mess, neue Folge Masterchef Australia, wo gestern Ottolenghi zu Gast war. Das war so niedlich, die ganzen Foodies zu Groupies werden zu sehen: „OMG IT’S YOTAAAAAM!”

Danach nickte ich auf dem Sofa ein, hatte mein Handy aber kongenial direkt neben dem Öhrchen liegen und stand daher sehr senkrecht, als es klingelte. Dem Lektorgirl verzeihe ich das aber, vor allem, weil ich während des Telefonats einen so lauten Gackerflash bekam, dass ich darauf wartete, dass besorgte (oder genervte) Nachbarn an der Tür klingelten.

Apropos Nachbarn: Meine Ex-Nachbarin und jetzt die Dame von schräg über mir legte mir gestern einen Strauß Pfingstrosen vor die Tür, worüber ich mich außerordentlich gefreut habe.

Tagebuch Dienstag, 21. Mai 2018 – Briefwahl

Um 5 Uhr morgens scheint es geregnet zu haben; ich musste die Zeitung erstmal über den Küchenstühlen trocknen, bevor sie lesbar war.

Einen kleinen Job erledigt und dann mein Wochenende nachgeholt, was aus Rumliegen, Seriengucken und Dem-Regen-Zuhören bestand.

Weil ich durch die Situation mit meinem Vater letzte Woche noch nicht wusste (und so ganz sicher immer noch nicht weiß), ob ich Sonntag in München sein werde, habe ich erstmals in meinem Leben Briefwahlunterlagen angefordert. Die lagen gestern in meinem Briefkasten und ich musste mir erstmal durchlesen, welcher Umschlag zu was gehört.

Vor ein paar Tagen erfuhr ich beim morgendlichen Radiohören im Bad, dass die Zahl der Briefwähler*innen seit Jahren steigt, bei der letzten Bundestagswahl lag sie schon bei fast 30 Prozent. Warum das ein Problem sein soll, wie es im Beitrag anklang, erschließt sich mir aber nicht: Die Briefstimmen werden wie alle anderen auch erst am Wahltag gezählt; dass sich die Wahl, wie im verlinkten Artikel angesprochen, über mehrere Wochen erstreckt, sehe ich daher nicht.

Ich gehe trotzdem lieber im Wahllokal wählen. Ich mag diese deutlich aktivere Ausübung meines demokratischen Rechts, indem ich irgendwo hingehen und den Umschlag selbst in eine extra für mich dorthin gebrachte Urne einwerfen muss anstatt am Schreibtisch zuhause auf einem Zettel rumzumalen und ihn dann in den gleichen Briefkasten zu schmeißen, in dem auch meine profanen Rechnungen landen. Eine Wahl ist etwas Besonderes, und so soll es sich für mich auch anfühlen.

Trotzdem bin ich natürlich dankbar dafür, dass ich dieses Recht auch anders ausüben kann.

Der hoffentlich letzte Zahnarzttermin für den kleinen Molar verlief ereignislos. Die Playlist, die letztes Mal für mich erklang, lief dieses Mal leider nicht. Die Zahnarzthelfer hatten schon den Kofferdam angelegt und alles für den Arzt vorbereitet, als ihnen einfiel, dass sich mich nach meinen Musikwünschen fragen könnten. Ich mag bei Ärzt*innen eigentlich nie Musik, aber wenn man mich schon fragt? Weil ich nicht mehr sprechen konnte, deutete ich mit beiden Armen die Bewegung an, die man beim Geigespielen macht, was auch sofort verstanden wurde. „Klassik!“ … „Geht auch Klavier?“ Ich nickte und hörte dann einer Stunde Chill Out Piano für Einkaufszentren zu, was aber eigentlich ganz nett war.

Den Abend mit F. und einer Flasche Schaumwein verbracht. Schmerzfreiheit wird neuerdings gefeiert.

Gemeinsam eingeschlafen.

Gestern abend im Badradio zufällig reingeschaltet und dann per Smartphone im Bett zuende gehört, weil jemand anders ins Bad wollte: Asiatische Musiker. Vorurteile, Chancen, Widersprüche vom Deutschlandfunk. Ich copypaste mal den Teasertext zur Sendung: „Asiatische Musiker könnten keine deutschen Lieder singen, finden manche Professoren. Andere loben die eiserne Disziplin der Studierenden aus China, Japan oder Südkorea, die an deutsche Musikhochschulen kommen, um sich künstlerisch weiterzuentwickeln. Eine Sendung über Kulturenclash, Inspirationsquellen und neue Klassikmärkte.“ Hier kann man sich die 40 Minuten anhören.

Tagebuch Freitag bis Montag, 17. bis 20. Mai 2019 – Krankenbesuch

Der Starbucks-Barista am Münchner Hauptbahnhof goss mir ein Herzchen auf den Irgendwas Latte, obwohl noch ein Deckel auf den Becher kam.

Im Zug entdeckte ich den geschätzten Herrn Doktorvater in einer Fußnote der hervorragenden Speer-Biografie von Magnus Brechtken. War ja klar.

Das Buch möchte ich euch dringend ans Herz legen. Keine Angst vor der Dicke des Werks: Von den 900 Seiten sind 300 Fußnoten, Quellen- und Literaturangaben; mein babywissenschaftliches Herz lacht. Die restlichen 600 Seiten reißt man runter wie geschnitten Brot: stets informativ und mit 1000 Quellen unterfüttert, aber immer sehr gut lesbar und verständlich. Ich habe viel gelernt, nicht nur über das „Dritte Reich“ und einen weiteren Bereich, der in die Kunst desselben hineinreicht, sondern noch mehr über die junge Bundesrepublik und ihren Umgang mit der Vergangenheit. Auch wenn euch Architektur nicht die Bohne interessiert – lest einfach mal rein.

Ich sitze seit ein paar Wochen in der Vorlesung von Herrn Brechtken und kann daher berichten: Der Mann schreibt wie er spricht und umgekehrt. Toll.

Als Profinutzerin von öffentlichen Verkehrsmitteln hatte ich natürlich noch ein weiteres Buch im Gepäck, als ich irgendwo zwischen Kassel und Göttingen mit dem Speer durch war. Jetzt lese ich gerade »Wehvolles Erbe«: Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann. Die Einleitung war etwas zäh, ich hoffe, es geht flüssiger weiter. Und mit weniger latent zweideutigen Sätzen: Wenn Vaget von der „ästhetischen Kluft“ zwischen Hitler und der Partei schreibt, habe ich sofort wieder die Theorie im Kopf, dass Hitler eigentlich ein Einzeltäter war und das ganze deutsche Volk fies getäuscht wurde. Was natürlich Blödsinn ist. An dieser hübschen Entschuldigung hat Speer übrigens auch einen nicht kleinen Anteil.

Auf der S-Bahn-Fahrt von Hannover in die alte Heimat wie immer geguckt, wo früher der Bahnhof im Wohnort der Großeltern war, der für die S-Bahn verlegt wurde. Ich finde die Stelle nicht mehr wieder.

In Krankenhäusern werden auch Glücksschweine beschriftet.

Mein Vater erkennt uns alle.

Die blöden Zahnschmerzen waren wieder da, nachdem sie immerhin einen Tag weg waren (Montag). Ob ich Ibu nehme oder nicht, scheint inzwischen egal zu sein. Samstag abend nötigte mich das Mütterlein, den Notdienst anzurufen, obwohl ich die am Freitag getestete Methode (Ibu plus Rotwein!) vorgezogen hätte. Weil sich der Zahn anscheinend einfach nicht beruhigen will, hatte ich in letzter Zeit des Öfteren mein Lieblingszitat aus Im Dutzend billiger im Ohr: „Reißt mir das Zeug mit einem stumpfen Schuhlöffel raus!“ Im Originalzitat geht es um die Mandeln der Kinder, die sich anstellen, und der Vater möchte zeigen, wie mannhaft man das alles aushalten kann, wenn ich mich richtig erinnere.

Der Notzahnarzt machte das, was in der letzten Zeit mehrere Ärzte gemacht haben: röntgen, irgendwas murmeln, das inzwischen mit einem Bluterguss versehene Zahnfleisch ärgern, um mir eine Spritze zu geben, am Zahn rumwursteln, Antibiotika verschreiben, gute Besserung wünschen. Damit kann ich ja leben, wenn auch sehr genervt.

(Einschub: Wer Zahnärzte oder die Behandlungen echt nicht abkann, sollte jetzt bis zu den nächsten Spiegelstrichen springen und sich was Schönes vorstellen.)

Samstag kam nämlich plötzlich eine Attacke auf die Entzündung unter dem Scheißzahn, auf die ich seelisch nicht vorbereitet gewesen war. Der Arzt meinte, er spüle das mal durch, und dann fuhr er vermutlich mit einer winzigen Spritze in meine Zahnfleischtaschen, die sich aber anfühlte wie eine glühende Mistgabel. Die Arzthelferin gab mir ihre Hand zum Festhalten, was ein bisschen geholfen hat, aber sobald das vorbei war, heulte ich los, weil es so scheiße verfickt nochmal dreckswehgetan hatte, und durfte danach kurz zu Atem kommen. Ich kriegte noch ein Rezept, glaube ich, dann wankte ich zur Tür, wo mein Mütterchen wartete, die mich hingefahren hatte, denn auf dem Dorf geht ohne Auto ja nichts.

Im Auto löste sich dann der Schock und ich gab tiefe, ursprüngliche Schmerzenslaute von mir, von denen ich nicht geahnt hatte, dass sie in mir waren bzw. ich sie produzieren kann. Als ich wieder denken konnte, wuchs meine Hochachtung vor gebärenden Frauen ins Unermessliche. Achtung, Dünnes-Eis-Vergleich: Ich ahne, wie Frauen nach einem Kind noch weitere in die Welt setzen können. Samstag war ich der Meinung, das seien die schlimmsten Schmerzen gewesen, die ich je gehabt hatte, Sonntag fehlten mir schon die Worte, um sie F. zu beschreiben. Ich kann mich netterweise auch nicht an den Bandscheibenvorfall von 2001 erinnern.

Zurück zum Fun Saturday: Das Mütterchen holte die Medikamente aus der Notapotheke, während ich im Auto wieder zu Atem kam, fuhr mich nach Hause, setzte mich an den Küchentisch, gab mir was zum Kühlen und tätschelte mir eine halbe Stunde lang den Rücken, dann ging’s wieder. Ich hatte aus der Apotheke ein paar Codein-Tabletten für die Nacht gehabt, aber vor dem Zeug habe ich zuviel Respekt, lauschte also eine weitere Nacht dem Pochen unter dem Backenzahn, schlief aber irgendwann ein.

Und seitdem bin ich schmerzfrei und der Zahn fühlt sich auch nicht mehr zu hoch an so wie in den letzten Tagen, als die Entzündung das Ding ernsthaft nach oben gedrückt hatte. Sagt zumindest mein Zahnarzt, der eigentlich bisher einen richtig guten Job gemacht hat, aber dieses Mal irgendwie nicht klarkommt. Ich würde mich freuen, wenn das mit dem „schmerzfrei“ jetzt so bliebe.

(STUMPFER SCHUHLÖFFEL!)

Hallo, Zahnarztphobiker*innen, wir reden jetzt wieder über flauschiges Zeug. Okay, eigentlich über Ex-flauschiges Zeug.

Grumpy Cat hat einen Nachruf in der New York Times bekommen. Miss you already, kleine Meckerschnute. We had fun once. It was awful.

Samstag gab’s auch noch Fußball. Sollte eigentlich egal sein bei den derzeitigen Umständen, war’s mir aber dann doch nicht. Ich habe den ganzen Winter lang Scheißspiele geguckt und gefroren und geflucht, dann will ich jetzt auch den letzten Spieltag sehen. Da meine Eltern kein Internet haben, durfte ich bei meiner Schwester auf dem Sofa den Laptop aufklappen. Ich verabschiedete mich innerlich von Franck Ribéry, wegen dem ich Bayern-Fan geworden war, rollte die Augen über all die Hass-Tweets – ja, er war ein Mistkerl auf dem Platz, aber er war UNSER Mistkerl – und fluchte mal wieder über Augsburg, die ernsthaft in Wolfsburg einszuacht untergingen. Klassenerhalt ist geschafft, aber meine Güte, ist das peinlich.

Mein Vater hatte in den letzten Tagen Geburtstag. Wir brachten Kaffee und Kuchen mit ins Krankenhaus, aßen und tranken aber dann doch alles alleine in der Besucherecke. Vaddern ließ sich zu ein paar Löffeln Spargel, Pilze und Reis überreden, einer Banane und einem Jogurt. Das Frikassee war das Krankenhausessen, und auf dem Zettel, der unter dem Teller lag, wo Patient und Mahlzeit verzeichnet sind, stand „HAPPY BIRTHDAY!“ Außerdem gab’s ein Stück Extrakuchen in Plastikfolie, von dem die Krankenschwester launig meinte, den hätte sie gebacken.

Papa war auf drei verschiedenen Stationen. Überall äußerst freundliche und geduldige Pfleger*innen, die uns hilflosen Hühnern alle Fragen beantworteten. Heute kommt mein Vater in die Reha und meine Mutter verteilt Trinkgeld im Haus. Ich habe ihr gesagt, dass sie bloß kein Merci mitgeben soll, jedenfalls habe ich Twitter und die ganzen Pflegeblogs so verstanden.

An alle, die sich angesprochen fühlen: Ihr seid großartig. Jedes ruhige Wort und jede Sekunde, die ihr für uns und Papa Zeit hattet, haben geholfen. Danke.

Ein Elternteil gefüttert, das andere bekocht.

Den letzten Abend mit F. bei Schwester und Schwager auf deren Terrasse verbracht, stumm ins dunkler werdende Grün geschaut, Element of Crime gehört. Der Kasten voll krauser Petersilie sah aus wie ein Bonsaigarten. Unerwartet entspannt gewesen und an mein Lindau-Gefühl gedacht. Vielleicht doch an den Stadtrand ziehen und Gemüse anpflanzen.

In meinem Koffer für die Rückreise lagen Dokumente, mit denen ich mich eigentlich noch ein paar Jahre gar nicht befassen wollte, ein halber Hefewürfel (Pizzateigreste vom Freitag) und zwei Kilo Rhabarber aus dem Garten meiner Eltern.

In München Regen, wie sich das gehört. Sag Bescheid, wenn du mich liebst.

Update

Mein Vater hatte letzte Woche eine Hirnblutung und ist Donnerstag operiert worden, weswegen ich ein paar Tage in der alten Heimat war. Sonntag war ich dann zweimal beim Notfallzahnarzt, weil ich die Schmerzen nicht mehr ausgehalten habe. Habe gerade nicht so viel Lust, mit dem Internet zu reden. (Keine Mails, bitte. Be right back.)

Tagebuch Mittwoch, 8. Mai 2019 – Hugo Helbing Lecture

Gearbeitet. Beim Zahnarzt gewesen. Frisches Brot mit Himbeermarmelade.

Abends bei der diesjährigen Hugo Helbing Lecture gewesen. Hugo Helbing war ein bekannter jüdischer Kunsthändler in München, der während der Reichspogromnacht so schwer verletzt wurde, dass er wenige Wochen danach verstarb. Sein Geschäft wurde „arisiert“, Adolf Weinmüller übernahm seine Firma. Die Auktionsbücher Weinmüllers sind bis heute die einzigen, die der Forschung zur Verfügung gestellt wurden; Julia Voss schrieb darüber 2014 in der FAZ und erläuterte den großen Wert dieser Unterlagen für die Provenienzforschung.

Die gestrige Lecture fand nicht im Zentralinstitut, sondern im NS-Dokumentationszentrum statt, wo sie aufgezeichnet wurde (ist noch nicht online). Michael Kauffmann sprach über „Refugee Art Dealers in England in the 1930s–40s“; sein Vater hatte die Helbing-Filiale in Frankfurt geführt, war mit ihm persönlich bekannt gewesen und emigrierte 1938 mit seiner Familie nach London. Er erzählte eher aus seinen Erinnerungen anstatt eine akademische Vorlesung zu halten, was aber durchaus spannend war, wenn auch für meine persönliche Forschung nicht so wirklich ergiebig. Aber mir wurde wieder einmal der Wert von Zeitzeugen klar. Nach dem Vortrag gab es Gelegenheit für Fragen. Eine davon war, ob im Kreis der Familie oder eben mit den vielen Händlern und Händlerinnen, die wir gerade kennengelernt hatten, das Deutsche Reich ein Thema war. Kauffmann meinte, nein, man sah sich nicht als Exilanten, die zurückkehren wollten, sondern als Geflüchtete, als refugees. Das Deutschland, an das man sich erinnerte, war das vor 1933, und das war verloren.

The Triumph of German Democracy

Passend zum Tag schrieb der Atlantic über den Erfolg des deutschen Grundgesetzes, nutzte aber dämlicherweise wieder eine falsche Formulierung, die von der angeblichen Grenzöffnung Angela Merkels. Ich fand die Betrachtung der Nachkriegszeit, auch mit Blick auf die DDR, aber durchaus lesenswert. (Der Satz fiel mir besonders auf, weil die Washington Post vor ein paar Tagen so schön korrekt „Nearly four years after German Chancellor Angela Merkel chose to leave the country’s borders open amid a vast influx of asylum seekers to Europe“ in einem Artikel über junge ausländische Auszubildende schrieb.) Hier der Atlantic:

„German society led the courts rather than the other way around, as so often in the United States. The constitutional idea drew its power from the complex workings of the German federal system, from the give-and-take of German parliamentary life, from a media culture that did champion dissenters and minorities, and from a public opinion that since 1949 has grown ever more self-confident and tolerant.

It’s a sobering mirror image for Americans, who have arguably over-relied on judicial guardianship even as their local government has become less democratic, their political culture more polarized, their media system more reactionary and extreme, and their public opinion more authoritarian.

Much of the success of Germany’s democratic development depended on unique circumstances of time and place. “Economic miracles” like that which buoyed German democracy from 1950 to 1970 don’t come along every day. (If they did, we wouldn’t call them miracles.) The Cold War incubated German democracy, too. Democracy gained West Germany entry into NATO in 1955; democracy drew a sharp distinction between the freedom of western Germany and the police state in the Soviet-controlled eastern zone.

Yet there are nonunique lessons too—lessons applicable to less-extreme democratic transitions.

In his superb history of the postwar aftermath in the two divided Germanies, Jeffrey Herf attributes this insight to Konrad Adenauer, West Germany’s first chancellor: You could have democracy in post-Nazi Germany or justice in post-Nazi Germany, but not both.“

Ein amerikanisches Dankeschön …

… an Gabi, die mich mit Michelle Obamas Autobiografie Becoming überraschte. Ich bin auf Twitter immer erstaunt, wenn ich mal einen Tweet von Barack Obama in die Timeline gespült bekomme und dort die Replys lese: Die meisten klingen dramatisch nach “WE MISS YOU SO MUCH!”, obwohl Obama nicht unbedingt ein herausragender Präsident gewesen war. Aber im Vergleich zum derzeitigen Amtsinhaber ist er natürlich ein Abbild von Weitsicht, Diplomatie und Menschlichkeit.

Für Michelle Obama hege ich schlicht Sympathien, auch weil sie sich als schwarze Frau noch mehr Quatsch von den Medien anhören musste als die weißen First Ladys vor ihr – ich erinnere an den SKANDAL, als sie ein ärmelloses Kleid trug, obwohl bereits Eleanor Roosevelt das gleiche getan hatte. Und quasi dauernd Jackie Kennedy, aber das war natürlich etwas ganz anderes. *knurr* Ich finde ihre Let’s-Move-Kampagne zwar bis heute bescheuert, weil sie dicke Kinder eher stigmatisiert, anstatt sich generell für Obst, Gemüse und Bewegung für alle einzusetzen, aber alleine für die Auswahl ihres Porträts kriegt sie von mir alle Sympathiepunkte wieder zurück. Zu den Porträts pilgern übrigens gerade vermutliche alle, die Vermissungsreplys schreiben.

Deswegen wollte ich ihr Buch gerne lesen und das kann ich jetzt. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Wobei das Abholen ein kleines Abenteuer war. Vor mir war noch eine junge Frau, die ein Paket nach dem anderen aus den Fächern der Packstation entnahm. Ich stand an der u-förmigen Station ganz am Rand, um nicht so nah in ihren Tanzbereich zu kommen, direkt neben mir öffnete sich wieder ein Fach, sie entnahm etwas und ging wieder zum Display, um das nächste Päckchen anzufordern. Ein Türchen direkt neben mir öffnete sich erneut, ich dachte, es wäre das von eben gewesen, das nicht ganz verschlossen war, wollte der Dame den Weg ersparen und schloss es wieder – als sie meinte, äh, nein, das war ein anderes, da liegt noch was drin. Ich entschuldigte mich mehrfach, die Frau meinte, ach, ich geb’s einfach nochmal ein, mal sehen, ob’s klappt, und jetzt wissen wir beide, dass man einmal geöffnete Fächer alle nochmal öffnen kann. Puh.

Tagebuch, Mittwoch bis Montag, 1. bis 6. Mai 2019 – Sterne, Uni, Podcast, Hurz

Am Mittwoch letzter Woche führte mich der Herr F. zum Essen aus, in Geisels Werneckhof, der zwei hübsche Michelinsternchen hat. Das war alles ganz großartig, aber ich wollte gar nicht darüber bloggen, sondern es noch ein bisschen für mich behalten. Inzwischen will ich drüber bloggen, wenn auch nur kurz, weil ich mir keine Notizen gemacht habe.


Als Reinkommer ein bisschen Spargel in verschiedenen Aggregatszuständen. Da ich immer noch Zahnschmerzen hatte, musste ich nach einem Biss auf den sehr knackigen Spargel erstmal eine Schmerztablette nachlegen, aber diese Reservierung wollten wir gnadenlos nicht verfallen lassen.


Saibling mit Karotte, Feldsalat und Pistazie. Die niedlichen Kaviarkügelchen waren zu einer Art salzigem Bonbon verschweißt, was sehr lustig im Mund war.


Langustine, knusprige Sepiadekoschnörkel, Salat aus Brunnenkresse, Wasabi und Hijiki, einer Algenart. Ich weiß nicht mehr, was die Tupfer auf dem Meeresgetier waren, aber das war toll. Was übrigens auch toll war, aber nicht im Bild ist: die Weinbegleitung. Meine war recht ordentlich, aber es war kein Wein dabei, bei dem ich dachte, oh wowza. Der Herr F. hatte aber eine Sake-Begleitung gewählt, was ich für ein cleveres Angebot halte bei dieser japanisch-irgendwas-Fusionküche. Ich nippte auch brav an jedem Glas, aber an Sake muss ich mich erst rantrinken.


Glattbutt, Jakobsmuschel, Archischockenpüree und -stroh, schön gleichzeitig cremig und knusprig, Miso Pil Pil. War für mich der unspektakulärste Gang, aber wir verglichen eh die ganze Zeit mit Filippou und Tantris und den anderen Läden, in denen wir sternig gegessen hatten. Filippou hat irre Spaß gemacht, überraschte, nervte auch manchmal im guten Sinn, aber das hier war eher Zen: alles schmeckte unglaublich ausbalanciert, und das bei gefühlt jeweils 20 Zutaten auf dem Teller. Wir waren beeindruckt.


Mein Lieblingsgang: Schweinebauch mit Morcheln und Apfel, in der herrlichen Sauce war Liebstöckelöl, und ein frischer Sansho-Pfeffer hielt alles zusammen. Den Teller wollte ich gar nicht wieder hergeben, fast wie das Lamm im Villino. Hier ließ ich dann auch jedes Benehmen fahren: Wo ich sonst Sauce mit dem stets auf dem Tisch stehenden Brot auftunkte, wollte ich hier nur Sauce. Also nahm ich die Finger, wozu sind die sonst da.


Ozaki-Wagyu mit keine Ahnung, ich schwieg nur ehrfürchtig vor mich hin. War. Das. Gut. Alleine für dieses winzige, feine, hocharomatische Stück Fleisch würde ich da nochmal hinwollen. Okay, will ich eh, aber dafür so richtig. Außerdem bewunderte ich zum wiederholten Male die perfekte Nocke, hier aus Graupen. Ich habe mir schon hundert YouTube-Tutorials angeguckt, ich kriege keine Nocke hin. Gebt mir noch 100 Liter Eis, irgendwann wird das was.

Im Bild oben links ist übrigens ein Schüsselchen mit Schnittlauchöl, das ich gerne fassweise hätte mitnehmen wollen. Damit versaute ich mir jeden Nachhall jeden Ganges, denn sobald die Teller wegwaren, stippte ich wieder Brot in das Öl, weil’s so lecker war. Ein Teufelszeug.


Apropos Eis: Das hier war aus Mandel und dann war da noch Rhabarber und der frische Shiso (das Grünzeug) und ich war verzückt. Und es ist in der Sterneküche immer alles so HÜBSCH, ICH WILL DAS EIGENTLICH NIE ESSEN, WEIL OH SO PRETTY! Aber dann esse ich’s doch, wär ja Verschwendung.


Ich glaube, das war F.s Liebling: Unter der kupferfarbenen Hülle verbarg sich ein Gebäck aus Hojicha, einem Grüntee. Ich hatte nach „Himbeer“ nicht mehr zugehört, weil Himbeer auch super ist.


Der Abend begann übrigens damit, dass man in die Küche geführt wurde, wovon ich völlig überfordert war. Ich hatte kaum Zeit, mich richtig umzugucken, aber das sah so aus, als würde da quasi niemand kochen. Meine Küche ist schon chaotisch, wenn ich mir nur einen Kaffee mache.

Und nach dem dritten Gang wurden wir dann nochmal in eine andere Ecke des Restaurants geführt, aber das verrate ich nicht, die Überraschung will ich denjenigen, die vielleicht noch hingehen, nicht verderben. Aber wenn man zurück an den Tisch kommt, an dem der Service mal wieder die Servietten neu gefaltet hat, wozu er sich übrigens Handschuhe anzieht, klebt auf der Menükarte ein Aufkleber, über den nicht nur ich mich gefreut habe, weil es so ein kleines, liebevolles Detail ist.

Zum Abschied wird einem in die Jacke geholfen, ist klar, und dann sagt jemand: „Tohru wartet dann draußen auf Sie“, also der Koch, und ich noch so innerlich, haha, guter Witz, als ob der Mann nichts Besseres zu tun hat, aber hat er anscheinend nicht. So konnte ich immerhin noch „Danke für den außergewöhnlichen Abend“ piepsen. Hab ich auch mal einem Zwei-Sterne-Koch die Hand gegeben.

Donnerstag begann dann endlich das Semester für mich. Das hätte eigentlich schon vorletzte Woche angefangen, aber da musste ich ja zum Zahnarzt anstatt zur Kunstgeschichte.

Zunächst saß ich aber bei dem Mann in der Geschichtsvorlesung, dessen Speer-Biografie ich gerade begeistert lese. Herr Brechtken erzählte dem vollen Hörsaal etwas über die Problematik des Westens, auf alle anderen Erdteile zu gucken, begann damit, die politische Aufladung des Begriffs „Abendland“ aufzudröseln und kam irgendwie auf Max Weber und seine protestantische Ethik, Samuel Huntingtons Clash of Cultures und Francis Fukuyamas Ende der Geschichte.

Da ich ja nur aus Spaß in der Vorlesung sitze (wie im letzten Sommer bei den Eichhörnchen), kann ich entspannt zuhören und seinem Gedankengang folgen anstatt besinnungslos mitzuschreiben. Ich weiß, ich kann keinen Studi davon überzeugen, es anders zu machen, hätte ich vor dem Abschluss auch nicht, weil ich’s nicht geglaubt hätte und nachher habe ich mir DEN EINEN WICHTIGEN PUNKT für die Klausur nicht notiert, aber echt jetzt: Stift weglegen, zuhören, vielleicht ein paar Stichworte machen. Ist ernsthaft besser und man kriegt mehr mit. Zum Beispiel den schönen Schlenker zur Tagespolitik, denn der Untertitel der Vorlesung lautet „Vom Wert der Geschichte“, und Brechtken meinte, man könne jeden Morgen zwei beliebige Zeitungen aufschlagen und zwei Artikel rauspicken, an denen der Wert vom Wissen über die Historie sichtbar wird; letzten Donnerstag war es ein Artikel in der Welt, wo über das falsche Bild des Westens in islamischen Schulbüchern geklagt wurde (Bezahlschranke), und natürlich das Zeit-Interview mit Kevin Kühnert (auch Bezahlschranke, ihr Narren).

Nach der Vorlesung tat ich das, was ich schon seit diversen Semestern nicht mehr gemacht hatte: Ich stand im Gang am Fenster und löffelte einen Jogurt, weil ich in 30 Minuten die nächste Vorlesung hatte. Und wie ebenfalls vor diversen Semestern fand ich drei Tage später den Löffel im Rucksack, den ich natürlich vergessen hatte.

In der Beckmann-Vorlesung sprachen wir lange über die „Jungen Männer am Meer“, bitte selbst googeln, und ich sah erstmals eine Vorstudie dazu, die mir fast noch besser gefällt als das eigentliche Bild.


(1904 und damit hoffentlich gemeinfrei. Ich weiß inzwischen nicht mehr, was bei Abbildungen geht.)

Freitag saßen F. und ich in einem Konzert im Herkulessaal der Residenz. Ich hatte den perfekten Mittelplatz im Balkon und dachte gerade noch so an ein Foto, bevor sich Menschen direkt vor mich in die erste Reihe setzten. Immer schön ans Interweb denken!

Das bayerische Symphonieorchester spielte unter der Leitung von Peter Eötvös drei Werke von eben diesem Herrn. Das erste ging völlig an mir vorbei (Zahnschmerzen), das zweite gefiel mir dann gut (Alle vittime senza nome, 2016). Im Programmheft las ich nachträglich, dass das eine Art Requiem war für die vielen Menschen, die sinnloserweise im Mittelmeer ertrinken auf ihrer Flucht nach Europa. Das habe ich zwar nicht gehört, aber ich kann jetzt die leisen, fast suchenden Satzenden verstehen.

Beim dritten Stück, dem stotternden Oratorium Halleluja – Oratorium balbulum von 2015, dachte ich die ganze Zeit nur: Hurz. Ernsthaft. Das überstieg absolut meine geistigen Fähigkeiten, meine musikalischen Kenntnisse oder auch nur meinen Humor, und so saß ich seit Langem mal wieder in einem klassischen Konzert und dachte nur, was für ein Quatsch. Ich fühlte mich zwar wie eine Kulturbanausin, aber come on: Eine Textzeile lautete „Die Fleischbrühe der Kultur …“ und weiter habe ich nicht zugehört, weil da sämtliche Texterhirnzellen die Jalousien knallend runtergelassen hatten. Immerhin war F. auch nicht ganz so begeistert, weswegen ich mich danach nur noch halb banausig fühlte, aber nee. Das war nicht meins. Muss es ja aber auch nicht sein.

Samstag bastelte ich Ravioli und nahm mit den üblichen Mitstreitern unseren Podcast auf, Sonntag schauten F. und ich fassungslos und äußerst gelangweilt dem FCA zu, wie er bei Schalke ein schnarchiges 0:0 fabrizierte, woraufhin F., der eh bis 10 geschlafen hatte, gleich nochmal ins Bett ging, und ich zuhause den restlichen Nudelteig zu nochmal Ravioli verwandelte. Das Rezept dafür gab’s gestern.

Montag war halb Arbeit für Geld, halb Arbeit für die Diss, ich puschelte rum und freute mich, nach drei Wochen mal wieder auf der rechten Seite kauen zu können. Vielleicht wird das doch alles wieder schmerzlos. Gleich mal die nächste Sterne-Reservierung angehen.

In der gestrigen Masterchef-Australia-Folge fand die erste Elimination Challenge der Staffel statt. Drei Kandidatinnen mussten ein Dessert eines Spitzenkochs nachbauen, das ist das übliche Eliminationformat: angucken, probieren, nachkochen, so gut wie immer mit einem mehrseitigen Rezept. Beim Probieren passierte gestern etwas, was ich in der Sendung noch nicht gesehen hatte. Eine der Kandidatinnen ist Muslima, was im Einspielerfilm bildlich thematisiert wurde; sie hüllte sich in ein weites Gewand und betete, während sie im Offtext darüber sprach, wie sie sich auf Herausforderungen vorbereite. Und während die anderen beiden Kandidatinnen bei der Challenge mit ihren Gabeln in das präsentierte Dessert stocherten, holte einer der Juroren ohne großen Aufwand einen Extrateller unter dem Tisch hervor und meinte nur: „We’ve prepared one for you without alcohol.“ Es geht so einfach.

Ich kann sogar noch was anlegen: Dass gestern der Ramadan begonnen hatte, erfuhr ich vor allem auf Instagram. Dort folge ich ein paar Hashtags wie #germaninterior oder ähnlich, weil ich gerne anderer Leute aufgeräumte Wohnungen angucke, in denen malerisch dicke Decken auf Sofas drapiert werden oder kleinteiliger Dekoschnickschnack rumsteht. (Ich kann keine Tafeln, Leuchtkästen oder Tapeten mit englischen Sinnsprüchen mehr sehen!) Gestern sah ich dort diverse Küchen, in denen der Tisch schon gedeckt war, aber im Text meist sowas stand wie „Ich freue mich schon auf heute abend“, Hashtag #ramadan. Oder: Eine Mutter hatte ihren Kindern einen Ramadan-Kalender gebastelt, den ich noch gar nicht kannte. Wieder was gelernt.

Ricotta-Ravioli mit Bärlauchbutter

Total simples Rezept, das mir aber so gut gefallen hat, dass ich es verbloggen möchte. Ich hatte einfach nach „Ravioli Ricotta vegetarisch“ gegoogelt – und da kam unter anderem das hier. Kommt ins Repertoire, weil überraschend frisch, gut, schmackhaft.

Für drei Personen als Hauptspeise oder vier als Vorspeise. Bei mir sind 36 Ravioli rausgekommen und es blieb noch eine Handvoll Teig für eine Einzelportion Nudeln übrig. Netterweise hält sich der Teig im Kühlschrank ein paar Tage (vielleicht auch länger, aber das musste ich noch nie ausprobieren).

3 Eier mit
300 g Mehl, Type 405,
1/2 TL Salz und
1–2 EL Olivenöl mischen und zu einem geschmeidigen Teig verkneten. Falls der Teig zu hart ist, die Finger anfeuchten und weiterkneten. Das dauert durchaus so zehn Minuten, bis er sich verbindet und kein harter, bröseliger Klotz mehr ist. Nach dem Kneten zu einem dicken Rechteck formen, in Frischhaltefolie einschlagen und für mindestens eine halbe Stunde bei Zimmertemperatur rumliegen lassen. Der Teig wird durch die Ruhezeit noch weicher.

Für die Füllung
250 g Ricotta (eventuell abtropfen lassen) mit
1 Eigelb,
dem Abrieb einer halben Bio-Zitrone,
40 g frisch geriebenem Parmesan,
2–4 fein gehackten getrockneten oder eingelegten Tomaten und
2–4 Blätter fein gehacktem Bärlauch mischen. Mit
Muskat, Piment d’Espelette und Salz würzen.

Mir hat das Rezept am Samstagabend so gut geschmeckt, dass ich es Sonntag gleich noch mal zubereitet habe. Dabei habe ich Frischkäse statt Ricotta genommen und Eigelb, Muskat und Piment weggelassen. Was ich nur geschmeckt habe, war die tolle Zitrone sowie Tomate und Bärlauch. Schmeckt ebenfalls hervorragend und behält auch ohne Ei die Bindung.

Aus Teig und Füllung Ravioli zubereiten; ich habe so ein lustiges Brett, man kann aber auch einfach den Teig sehr dünn ausrollen und mit einem Glas Kreise ausstechen. Jeweils ein Teelöffelchen Füllung drauf und mit einer zweiten Lage Teig abdecken. In sprudelndem Salzwasser für zwei, drei Minuten kochen.

Für die Bärlauchbutter
50 g Butter bei hoher Hitze zu brauner Butter verwandeln. Also einfach erhitzen: Zunächst schäumt es und dann bräunt es blitzschnell und riecht herrlich nussig. Schnell umrühren, damit man den Bodensatz aufwirbelt und dann alles durch ein Sieb gießen, in dem ein Blatt Küchenkrepp liegt. Da bleiben dann die Schwebstoffe, und unter dem Sieb habt ihr wundervolle braune Butter.

In einem zweiten Topf nochmal
50 g Butter erwärmen,
2–3 EL (bei mir gnadenlos alles) der braunen Butter dazugeben,
1 EL Zitronensaft sowie kurz vor Schluss
25 g Bärlauch, in feine Streifen geschnitten.

Ich habe noch ein paar Stangen grünen Spargel in Olivenöl scharf angebraten und mit ein bisschen Zitronensaft gewürzt. Ravioli drüber, Butter drüber, Wein aufmachen, lecker.

Fehlfarben 20 – Am I What You’re Looking For? // Little Boy’s Luminous Legacies

Letztes Mal zwei Ausstellungen in Versalien, dieses Mal zwei mit englischen Titeln. Wir geben uns echt Mühe für sowas. (Nein, tun wir nicht.)

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 88 MB, 110 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:10. Blindverkostung des ersten Weins. Wir trinken heute Rotweine aus Israel.

00.02:50. Die erste Ausstellung sind Fotografien, die im Amerikahaus München zu sehen sind. Endia Beal, Fotografin und Dozentin, inszeniert junge schwarze Frauen in ihrem Zuhause, aber vor einer Fototapete eines Büros (angeblich eine Aufnahme eines Büros, in dem sie selbst gearbeitet hat). Sie befragt die Frauen, die sich in selbstgewählten Outfits präsentieren, die sie als bürotauglich ansehen, zu ihrer Stellung im corporate America – was sie sich vorstellen oder wie sie es bereits erlebt haben. Am I What You’re Looking For?

Ich mochte an der Ausstellung, dass schwarze Frauen eine Stimme bekommen. Ich mochte auch die Grundidee, aber die einzelnen Aussagen haben mich teilweise fertiggemacht. Bei vielen Frauen ist zu lesen, dass sie sich der Hindernisse bewusst sind, die auf sie warten, aber damit muss man eben fertigwerden. Ich ahne, dass weiße Männer nicht unbedingt so in ihren ersten Job nach der Uni reingehen.

Neben den Fotos standen nur die Namen der Frauen, ihr Alter und eben ihr Statement. Eine Frau meinte, sie müsse sich halt den Normen anpassen, die von ihr erwartet werden. Klar, jede*r von uns passt sich im beruflichen Umfeld an (leider, will ich mir selbst auch des Öfteren zubrüllen). Aber die porträtierten Frauen sehen sich deutlich mehr angeblichen Normen – also Standards, die nicht von ihnen gesetzt wurden – gegenüber: Sie müssen zunächst den Normen entsprechen, die an sie als Frau gestellt werden, die von vornherein bescheuert sind. Ich musste an die ganzen Karriereratgeber denken, die Frauen eintrichtern: Um in einer Männerwelt voranzukommen, musst du dich wie ein Mann verhalten (Stichworte keine betont weibliche Kleidung, aber auch nicht wie ein Kerl, fester Händedruck, aber bloß nicht zu fest, in Meetings das Wort ergreifen, aber dann bitte nicht so bossy. Ihr wisst, was ich meine). Die zweite Norm ist generell die der Berufswelt, wozu eine Dame schlau meinte: “Dressing like a Republican isn’t going to make me something I’m not.” Aber gerade im Büro lauern die fiesen Kleiderfallen, über die jede Zeitung im Sommer atemlos berichten kann: Wieviel Bein ist noch bürotauglich? Wie tief darf der Ausschnitt sein? Darf man überhaupt etwas tragen, was einen Ausschnitt hat? Die Jungs werfen sich in einen Anzug und sind fein raus. Als Frau ist man im Zweireiher allerdings ein Mannweib oder, noch schlimmer, eine Karrierefrau, was auch immer das sein soll. Und die dritte Norm, die die Damen berücksichtigen, ist eine Untergruppe der Kategorie Frau, denn als nicht-weiße Frau gelten nochmal andere Spielregeln für dich, siehe natural hair. Ich persönlich wurde immer wahnsinniger vor den Bildern, weil ich bei fast allen dachte, wie haltet ihr das bloß aus. Ich bin schon gestresst von dem ganzen Anpassungsfirlefanz, aber wegen meiner Hautfarbe oder meiner Haartracht hat mich noch niemand angemault.

Einige Frauen sagten, ihnen seien die Hürden zu hoch, sie hätten sich bewusst gegen eine Karriere im corporate America entschieden. Andere wiesen darauf hin, dass viele Firmen eine neue Einstellungspolitik hätten, in der bevorzugt Minderheiten eingestellt wurden – der Bedarf für Vielfalt sei also offensichtlich da. Eine Frau erzählte, sie wäre bewusst zum marketing to minorities ausgewählt worden, was die Situation extrem bescheuert auf die Spitze treibt.

Viele Statements erinnerten mich schmerzlich an meine eigenen Zwanziger, in denen ich auch frohgemut dachte, Männer und Frauen sind gleichberechtigt, wir haben alle die gleichen Chancen, wenn ich gut genug bin, klappt das alles. Nur um dann – natürlich – zu merken, dass man manchmal nicht dagegen ankommt, wenn der weniger begabte Art Director befördert wird, weil er mit dem Chef gerne ein Bierchen trinkt, und nicht die Frau, die bis Mitternacht in der Agentur sitzt, um ihren Job nicht nur gut, sondern exzellent zu machen. (Ob das so sinnvoll ist, spielt hier keine Rolle.) Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir meine derzeitige Karrierestufe reicht, dass ich keine Kreativdirektorin werden will, sondern nur irgendwo in der Ecke sitzen und schreiben möchte, aber ich habe ernsthaft deswegen ein schlechtes Gewissen. Hätte ich den Schritt nicht wegen der Vorbildfunktion eifriger verfolgen müssen? Denn wie eine Dame in der Ausstellung so schön sagte: “Not a lot of people in power look like me.” Wir brauchen Vorbilder, wir brauchen Vorreiterinnen. Aber das wissen wir ja alle.

Auch das hat mich ein bisschen deprimiert: die hoffnungsvollen Statements, die noch an die eigene Stärke glauben, an den Bonus, den die eigenen Individualität der Firma bringen wird. Ich würde die Frauen gerne in 20 Jahren noch einmal vor die Businesstapete stellen und fragen, wie’s ihnen jetzt geht. Ich hoffe, besser als ich erwarte.

Fazit der ersten Ausstellung: natürlich eine Anguckempfehlung. Läuft noch bis zum 2. Juni, der Eintritt ist frei. Wir erwähnen im Gespräch einen VICE-Artikel über das Projekt (2016, nicht 2013, wie ich anfangs rumplappere) sowie meine Rezension zu Ibram X. Kendis Stamped from the Beginning.

00.48:00. Der zweite Wein.

00.50:35. Die zweite Ausstellung: Little Boy’s Luminous Legacies läuft in der Lothringer 13 und beschäftigt sich, der Titel lässt es erahnen, mit dem Atomzeitalter.

Wir erwähnten die Postwar-Ausstellung im Haus der Kunst, die eine für uns zunächst überraschende, aber dann sehr sinnvolle Zeiteinteilung schuf: Dort wurde mit der Stunde Null nicht der Sieg über den Faschismus bzw. Hitler-Deutschland bezeichnet, sondern der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki. Damit begann eine neue Zeitrechnung. Die Exponate dort waren ungleich stärker, was mir persönlich die Ausstellung in der Lothringer 13 etwas verleidete; sie kam mir etwas zahn- und ziellos vor, und ich weiß immer noch nicht so recht, was ich von ihr halten soll.

Wir sprachen längst nicht über alle Kunstwerke; mir hat ein Werk von Henrik Plenge Jakobsen am besten gefallen: „Manhattan Engineering District“, wo ein Diaprojektor 80 Bilder an die Wand warf, die im Laufe des Manhattan Projects entstanden waren. Sie haben keinen Zusammenhang und kein Narrativ, zeigen Menschen, Gebäude, Fahrzeuge, technische Apparaturen, die für mich auch für die Ostereierproduktion hätten sein können (der Physiker am Tisch verneinte). Ich mochte genau diese Zusammenhangslosigkeit, das Zufällige, Unscheinbare, das nur dadurch eine Bedeutung bekommt, weil man weiß, was das Manhattan-Projekt war.

Von Jakobsen war noch ein zweites Werk in der Ausstellung. In einer Vitrine lag ein Stück Trinitit, ein künstliches Glas, das beim Trinity Test im Juli 1945 durch die große Hitze entstand. Neben dem kleinen Klumpen lag strahlendes Uranit, und auf beide war ein Geigerzähler gerichtet, der an einen Laptop angeschlossen war, auf dessen Bildschirm anscheinend Strahlung angezeigt wurde, ich konnte mit den Maßeinheiten oder der Tabelle, die dort sichtbar war, nichts anfangen. Aber es war das einzige Ausstellungsstück, das mir sehr deutlich vor Augen führte, dass diese Strahlung da ist. Um mich herum waren Foto- und Filmprojekte, die sich mit Fukushima beschäftigten, die aber für mich so aussahen wie kleine Störungen in der Matrix, nichts Aufregendes. Der sich bewegende Graph auf dem Bildschirm hat mich eher überzeugt. Wir sprachen in der Aufnahme auch über die bewussten Euphemismen wie „Kernkraft“ statt „Atomkraft“, weil’s halt ungefährlicher klingt.

Fazit: auch hier drei Daumen nach oben, von mir eher nach der Diskussion entstanden. Als ich aus der Ausstellung rauskam, war ich nicht so überzeugt, nach unserem Gespräch schon. Ihr habt noch bis zum 9. Juni, mal selbst zu gucken, wie’s euch geht.

01.17:00. Der dritte Wein.

01.45:10. Wir lösen die Weine auf: Nummer 1 hat uns allen am besten geschmeckt, aber wir würden alle drei wieder kaufen.

Wein 1: Hommage 2016 von der Yaffo Winery, Cuvée aus Merlot und Syrah, 13,5%, koscher, für 24 Euro beim Partnerweingut Schaetzle. (Auf der isrealischen Website steht, dass der Wein zu 10% aus Merlot besteht, auf meiner Flasche stehen 40.)

Wein 2: Mount Hermon Red von der Golan Heights Winery, 2017, Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc, Petit Verdot und Malbec, 14%, koscher, für 11 Euro bei Karstadt.

Wein 3: Judean Hills von Tzora Wineyards, 2015, Cuvée aus Cabernet Sauvignon, Syrah, Petit Verdot und Merlot, 13,5%, koscher, für 35 Euro bei Lobenbergs gute Weine.