Was schön war, Sonntag bis Dienstag, 10. bis 12. September 2017 – Ruhetage

Letzte Woche meldete sich mein Kreislauf mit ein bisschen Rumwimmern. Ich ignorierte das gekonnt wie ich seit Wochen ignoriere, einfach mal weniger tun zu können und kurz durchzuschnaufen und auf fette fünf Jahre Studium zurückzublicken, denn ich musste ja schließlich nach Abgabe der Masterarbeit Bewerbungen schreiben, Akquise machen, Promotionszeug zusammensammeln, über die Dissertation nachdenken, dann waren auch endlich die ganzen Arzttermine dran, die ich während der MA-Arbeit geschoben hatte und so weiter und so’n Zeug. Letzte Woche dachte mein Körper sich dann aber endlich: ICH MÖCHTE MAL KURZ EINE PAUSE HABEN, DAS IST OKAY, DAS DARFST DU JETZT, ECHT! Und so wimmerte mein Kreislauf und ich nutze Wärmflaschen und Pfefferminztee, musste aber natürlich trotzdem zu einem Vorstellungsgespräch, in einen Biergarten und in ein Fußballstadion. Aber ab Sonntag fuhr ich bewusst alles runter, trank weiterhin Tee, verabredete mich Montag zu einem entspannten Frühstück am eigenen Küchentisch, denn die beste Freundin war halt noch in der Stadt, ließ das Diss-Thema ruhen und versuchte, mal nichts zu denken und mir über nichts Sorgen zu machen. (Haha.)

Das musste anscheinend mal sein, und das tat auch sehr gut, einfach mal nur an die Decke zu gucken. Der Kreislauf ist wieder okay, und mein Bauch hat auch eine Entscheidung nach dem enervierenden Diss-Gespräch letzte Woche getroffen. Die lasse ich jetzt auch ein paar Tage rumliegen und an die Decke gucken und dann machen wir uns gaaanz laaangsam auf den Weg zum Doktorhut. Aber heute ist auch noch Ruhetag.

Was schön war, Samstag, 9. September 2017 – Quellenangaben

F. und ich setzten uns mittags in charmanter Begleitung in den Zug nach Augsburg, um das Spiel gegen den 1. FC Köln anzuschauen. Ich mach’s mal kurz: Der FCA gewann mit 3:0, und alle Tore schoss Alfred Finnbogason, dessen Name mein neues Trikot ziert.

Ich fühlte mich schon länger im Stadion unterdressed, so nur mit Schal bzw. im Sommer nicht mal damit, daher musste jetzt endlich ein Trikot her. Eigentlich wollte ich es ohne Spielernamen haben, aber wenn man den weglässt, steht auch der Vereinsname nicht auf der Rückseite, was ich völlig blöd finde. Also musste ich mich für einen der Herren entscheiden und wählte mithilfe von F., der alle Namen der Mannschaft runterbetete, den Herrn Finnbogason. Den hatte ich sogar schon mal außerhalb von Augsburg spielen sehen, nämlich beim EM-Qualifikationsspiel der Niederlande gegen Island, bei dem wir 2015 in Amsterdam waren. Und natürlich hatte ich deswegen auch so ein bisschen Island bei der EM im letzten Jahr die Däumchen gedrückt. Hu!

Was ich neben dem Spiel noch spannend fand: Ein Tweet, den ich beim Einlauf der beiden Mannschaften gemacht hatte, ging ziemlich steil und ist bis heute über einhundertmal retweetet worden – von Fans vieler unterschiedlicher Mannschaften, soweit das anhand der Twitter-Bio erkennbar ist, aus den Ligen 1 bis 4. Der DFB hat es anscheinend geschafft, diverse Kurven so richtig anzupissen; die Proteste laufen seit Wochen. In Minute 50 des Spiels kam es zum bereits von den anderen Spieltagen und aus anderen Stadien bekannten Wechselgesang zwischen den beiden Fankurven: „Scheiß-DFB!“

Wenn ihr das Foto anklickt, erkennt ihr auf den Spruchbändern nicht nur die Texte, sondern auch, in rot, die Medien, aus denen die Texte stammen, denn es sind Zitate. Dank dieser Quellenangaben kann ich euch hier eine kleine Leseliste hinstellen, die verdeutlicht, worum es den Fans geht. Danke, FCA-Nordwand.

„Korruption ist weiterhin ein Kernkonzept“, Deutschlandfunk, 11.3.2017

„Der Fußball macht sich selbst kaputt“, Die Zeit, 9.5.2017

Gewerkschaft rechnet mit 7000 Toten bis zur WM, Die Welt, 18.12.2015

Beim DFB geht es zu wie in einer Bananenrepublik, Die Welt, 22.10.2015

Den Tagesschau-Link habe ich nicht finden können, aber es geht um die WM-Vergabe nach Deutschland 2006; hier andere Links der Tagesschau.

DFB soll Hinweise auf Korruption vertuscht haben, Süddeutsche Zeitung, 27.1.2016

DFB soll Hinweise auf Korruption vertuscht haben, Die Zeit, 28.1.2016 (bezieht sich auf den SZ-Artikel)

Beim letzten Plakat bin ich mir nicht sicher, ich tippe auf Kaiser der Korruption, die tageszeitung, 14.9.2016.

Neben all den genannten Kritikpunkten nervt es mich persönlich zunehmend, dass man als Stadiongängerin nur noch TV-Kulisse ist – und sein soll. Die Kurven sollen Stimmung machen und hübsche, kamerafreundliche Choreos produzieren, aber ansonsten bitte die Klappe halten. Falls etwas nicht genehm ist, werden gerne Kollektivstrafen ausgesprochen, die manchmal schwer nachzuvollziehen sind. Und selbst wenn es nachvollziehbar ist, dass Strafen ausgesprochen werden müssen (Flaschenwürfe auf Gästefans oder ähnliches gehen selbstverständlich überhaupt nicht), dann ist die Sperrung einer ganzen Kurve für 25.000 Fans, von denen sich vielleicht zehn daneben benommen haben, schlicht überdimensioniert.

Was mich auch nervt, ist die hysterische Berichterstattung über derartige Vorfälle. Ich habe mich noch nie in einem Stadion unsicher gefühlt, und ich bin ein totaler Schisser bei Menschenmengen. Jetzt am Samstag sind wir mit einer Hochschwangeren ins Stadion gegangen, die sich im 8. Monat nur wegen ihres Bäuchleins ausnahmsweise für einen Sitzplatz entschieden hatte, ansonsten hätte sie wie immer in der Kurve gestanden. Nein, Pyro braucht kein Mensch, ja, das Zeug ist gefährlich, und jeder, der den Scheiß wirft, darf gerne rausfliegen. Aber wenn man manche Berichte liest, könnte man glauben, in den Stadien wäre jede*r Zuschauer*in quasi konstant gefährdet, und irgendwelche Ultras hätten 70.000 in ihrer Gewalt. Das ist schlicht Quatsch. In Augsburg gibt es einen ganzen Familienblock, der auch immer gut gefüllt ist; neben mir auf der Gegengerade saß ein Opa mit seinem geschätzt dreijährigen Enkel auf dem Schoß, und auch in der Allianz-Arena sehe ich dauernd Eltern mit kleinen Kindern. Und trotzdem hält sich das Gerücht, dass alle Menschen, die zum Fußball gehen, entweder dauerbesoffene Asos mit kurzer Lunte oder stets in Gefahr sind.

Nochmal zur TV-Kulisse. Wie egal dem DFB die Fans sind, die sich teilweise auf lange Auswärtsfahrten machen, zeigen die neuen Anstoßzeiten. Ein Bundesligaspiel am Montagabend ist kompletter Quatsch für jeden Fan, der danach noch irgendwie nach Hause muss, wenn er oder sie Pech hat, durch die halbe Republik. (Ja, ich weiß, in der 2. Liga gibt es diese Zeit schon länger, und auch dort finde ich sie dämlich.) In dieser Saison gibt es erstmals in der 1. Liga bis zu sieben Anstoßzeiten. Bisher wurde Freitags um 20.30, Samstag um 15.30 und 18.30 und am Sonntag um 15.30 und 17.30 Uhr angestoßen. Nun kommen noch einige Spiele am Sonntag um 13.30 dazu – hey, Prime Time in Asien – und eben die Montagsspiele (nicht an jedem Spieltag). Mir fällt kein anderer Grund für diese weiteren Termine ein als: noch mehr Möglichkeiten, Werbung zu schalten. Der Fernsehzuschauer ist dem DFB gefühlt wichtiger als die ganzen Stadiongänger*innen, und das kotzt mich an. Daher kann ich so ziemlich jeden Protest verstehen.

Aber: Es gibt Anzeichen, dass der DFB sich auf die Fans zubewegt: Präsident Grindel signalisierte in einem offenen Brief, dass er auf Kollektivstrafen verzichten will. Klingt erstmal gut, aber ich glaube immer noch nicht an einen großen Gesinnungswandel. Ich denke, dass der DFB schlicht sein schönes, sauberes Produkt in Gefahr sieht.

Tagebuch, Dienstag bis Freitag, 5. bis 8. September 2017

Was nicht so schön war:

– ein Termin bei meiner Hausärztin, die seit Jahren an meinen Schilddrüsenwerten rumdoktert. Bei mir wurde vor Ewigkeiten Hashimoto diagnostiziert, und seitdem ich Schilddrüsenhormone nehme, geht es mir weitaus besser als jemals zuvor. Bis dahin dachte ich, ich sei halt lethargisch, müde, undiszipliniert und traurig. Bis ich begann, Medikamente zu nehmen, und auf einmal war ich dermaßen besser gelaunt, dass ich mich kaum wiedererkannte. Dass sich mein Leben in den letzten Jahren derart drastisch verändert hat und ich – was viel wichtiger ist – damit klarkomme, liegt meiner Meinung nach auch an den Hormonen.

Trotzdem sind meine Schilddrüsenwerte gerade nicht so okay und mein Stoffwechsel ist seit Monaten total im Keller – O-Ton Ärztin: „Selbst wenn Sie gar nichts essen, würden Sie nicht abnehmen.“ Das will ich ja auch gar nicht, weswegen es mich wahnsinnig macht, dass die Dame neuerdings trotzdem davon anfängt, obwohl das ja, laut ihren eigenen Worten, kaum bis gar nicht möglich ist. Eigentlich fühle ich mich seit Jahren bei ihr wohl, weil sie mich mit dem Thema in Ruhe lässt, aber diese Woche wollte sie mir irgendwelche Ergänzungsprodukte verschreiben, die „slim“ oder sowas im Titel hatten, was mich sehr überrumpelt hat. Online schaffe ich es, jede Diskussion um richtige oder falsche Ernährung oder was irgendwer sich jetzt gerade darunter vorstellt, weiträumig zu umgehen und blocke und mute auch sehr freigiebig bei Dickenwitzen und Clean-Eating-Scheiß. Offline wirft mich sowas doch immer noch sehr aus der Bahn, wie ich feststellen musste.

– ein Termin bei meiner Masterprüferin, deren Gutachten mich zwar sehr gefreut hat, die aber sehr lange mit mir mein Diss-Thema (bei einem anderen Dozenten) auseinandergenommen hat. Eigentlich war das ein 10-Minuten-Termin, aber ich kam erst nach einer Stunde wieder aus dem Raum mit einem sehr großen Fragezeichen über dem Kopf. Sie hatte ein paar schlimme Killer-Argumente gegen meine bisherige Idee, dafür aber auch eine tolle neue Fragestellung. Darüber grübele ich seit Dienstag und weiß gerade nicht so recht, was ich machen soll. Außer mich vier Wochen in der ZI-Bibliothek einzuschließen, worauf es vermutlich ab Montag hinauslaufen wird.

Ich fand es sehr spannend, wie mich verschiedene Dozent*innen wahrnehmen. Sie kennt mich, laut Eigenaussage, als jemand, die sich nicht mit gängigen Forschungsmeinungen zufrieden gibt, sondern immer nach Gegenargumenten sucht, um dann zu einer eigenständigen, neuen Meinung zu kommen; ich lese halt keine zwei Kataloge, sondern 20 und pflüge durch die ganze Bibliothek, um zu meinem Schluss zu kommen. Sie kennt mich auch als jemand, die sich eher mit zeitgenössischer Kunst beschäftigt. Mein Doktorvater kennt mich hingegen als jemand, die nicht nur eine Quelle auswertet, sondern fünf, und nicht nur in einem Archiv sucht, sondern in zehn; er kennt mich als jemand, die gerne mit Originalen arbeitet und eben in der NS-Kunst zuhause ist. Ich wusste selbst nicht, dass ich diese zwei Seelen habe, aber sobald die Dozentin dieses Thema erwähnte, fiel mir auf, dass das absolut richtig ist.

Was schön war:

– die Reaktion von F., als ich ihm das Gespräch mit der Dozentin mailte, auch um für mich selbst alle Punkte festzuhalten:

– ein gutes Vorstellungsgespräch in einer kleinen, netten Agentur gehabt. Ich hatte seit 2004 kein Vorstellungsgespräch mehr und war ein paar Tage lang nervöser als nötig. Das verflog aber, sobald ich im Konfi saß und sich alles wieder vertraut nach Werbung angefühlt hat. Im Gegensatz zu Kunstgeschichte weiß ich da nämlich, was ich kann und dass ich gut bin.

– auf dem Nachhauseweg einen Blick auf die Isar geworfen und mir erstmals überlegt, ob ich mich mit den Lauftights mal hierher trauen oder weiterhin geschützt hinter Friedhofsmauern rumwalken sollte. Dicke Menschen beim Sport irritieren einige Idioten sehr, und ich möchte einfach keine Scheißsprüche abkriegen. Aber am Fluss langlaufen! Das wäre so schön!

– Vorfreude auf die Wiesn mit Stargast am Tisch!

– einen Abend im Lieblingsbiergarten mit der besten Freundin aus Hamburg und ihrer Frau, die sehr spontan in München auftauchten. Gelernt, dass es 0,33-l-Bierkrüge gibt, was ich sofort instagrammen und twittern musste. Seitdem weiß ich, dass man diese Form „Rentnerhalbe“ nennt. In Bayern – oder München, was weiß denn ich, ich lerne das ja alles immer noch – bestellt man eine Halbe (ich) oder Hoibe (Menschen, die baierisch sprechen, also nicht ich, NIEMALS ICH), wenn man 0,5 haben will.

Eben auf Twitter nannte jemand das Krüglein ein Degustationsglas. Sehr gelacht.

Masterarbeit „Auseinandersetzung und Aneignung. NS-Thematik im Frühwerk von Anselm Kiefer und Markus Lüpertz“

Da ist das gute Stück endlich. Ich habe gestern das Gutachten eingesehen, das mich sehr gefreut hat, wie natürlich auch die Note; ich erwähnte die 1,0 ja bereits. Jetzt mit Abstand fallen mir natürlich wieder tausend Sachen ein, die ich noch hätte erwähnen können, aber ach, die olle Wissenschaft ist ja nie fertig.

Ich mag die Arbeit trotzdem immer noch sehr – vielleicht liest sie ja sogar der/die eine oder andere unter euch. Deswegen steht sie hier nämlich. Das Abbildungsverzeichnis steht hier, dann müsst ihr nicht dauernd wild rumscrollen.

Ich wünsche viel Spaß – oder: viele Erkenntnisse – beim Lesen.

Was schön war, Montag, 4. September 2017

Mein kluges Köpfchen für dumm verkaufen.

Wenn ich tagsüber nicht aus dem Haus muss, also am eigenen Schreibtisch arbeite, hole ich morgens immer die FAZ aus dem Briefkasten, aus dem ich sie sonst ziehe, wenn ich halt raus muss, ins ZI, in die Bibliothek usw. Das heißt, ich schlüpfe nach dem Duschen nicht in meine üblichen In-den-Tag-starten-Klamotten, in denen ich frühstücke, blogge und rumlungere, bevor ich aus dem Haus gehe, also die Hose mit dem Gummizug und die Shirts, in denen ich nicht mehr gesehen werden will, die aber so herrlich bequem und schlumpfig sind. Dazu: keine Socken, kein BH. Statt nun in diesem sehr privaten Aufzug auf dem Sofa Kaffee zu trinken, ziehe ich an Home-Office-Tagen die Jeans an, ein anständiges Oberteil, Socken und Schuhe (kein BH, soviel Luxus muss sein) und stapfe nach unten, um meine Zeitung zu holen. Da ich fünf Stockwerke überwinden muss und ich somit die Chance habe, gefühlt 40 Leuten begegnen zu können, möchte ich wenigstens halbwegs vorzeigbar aussehen. Wenn ich mit der Zeitung wieder in der Wohnung bin, wird die Ausgehklamotte mit der Rumschlumpfklamotte vertauscht und es geht mit Kaffee – und Zeitung – aufs Sofa.

Wenn ich morgens allerdings walken gehe, kann ich meinen Kopf immer davon überzeugen, dass er diesen ganzen Aufwand gar nicht betreiben musste. Ich musste nicht die anständigen Klamotten anziehen, um runterzugehen, denn ich bin ja schon unten, wie praktisch, da kann ich gleich die Zeitung mitnehmen. Ich freue mich ernsthaft beim Walken darüber, die Zeitung nicht extra aus dem Briefkasten holen zu müssen. Dass ich dafür eine Stunde durch die Gegend stratze, scheint mein Kopf als weniger nervig zu empfinden, als noch vor dem Frühstück eine Jeans anziehen zu müssen. Vielleicht liegt es daran, dass meine Sportklamotten ähnlich bequem sind wie meine Schlumpfklamotten.

Unsere Hofkatze.

Seit ich hier wohne, lungert im Hof meist irgendeine Katze rum. Früher war es eine kleine graue mit längerem Pelz, die aber sehr mager war und eines Tages nicht mehr wiederkam. Seit einigen Monaten sehe ich eine deutlich feistere weiße Katze mit roten Flecken, die zunächst etwas scheu in der Hofecke saß, dann gerne mal mitten drin, und inzwischen maunzt sie einen an, wenn man es wagt, an ihr vorbeizugehen, ohne sie zu streicheln. Ich ahne, dass sie zu irgendwem im Haus gehört, aber ich weiß es nicht. Ich bin ihr neulich mehrere Male im Treppenhaus begegnet, das jetzt anscheinend auch zu ihrem Revier gehört, und einmal saß sie im Fahrradkeller fest, als ich mein Rad holte. Ich achtete darauf, dass sie draußen war, bevor ich die Tür wieder schloss und sah ihr zu, wie sie durch die weit auseinanderstehenden Gitterstäbe des Hoftors auf die Straße lief.

Vorgestern sah ich sie aus einer Hofeinfahrt gegenüber kommen. Sie lief auf dem Radweg direkt an den parkenden Autos entlang; wir hatten den gleichen Weg, daher ging ich ihr solange es ging hinterher und achtete darauf, wie sie sich bewegte. Nach dem Radweg bog sie auf den Fußweg, wo sie immer an den Häuserwänden langlief. Irgendwann verschwand sie in einer Einfahrt.

Und gestern begegnete ich ihr, als ich eine Mülltüte in einem unserer zwei Container entsorgen wollte. Ich öffnete vorsichtig den einen, während sie oben auf dem zweiten thronte und mir zusah. Ich entfernte mich ein wenig, um sie nicht zu stören, woraufhin sie vom Container aufs Garagendach sprang und dort oben herumspazierte. Seitdem bin ich der Meinung, dass sie eine Reinkarnation der roten Zora ist, die ihr Revier auskundschaftet, sich aber brav an Verkehrsregeln und Umgangsformen hält.

Ein Lob vom Prüfungsamt.

Vormittags war ich mal wieder im Promotionsbüro des Prüfungsamtes, um die Unterlagen für eine Promotionszusage abzugeben. Die werden jetzt durchgesehen, dann kriege ich hoffentlich die Zusage, und mit der kann ich mich dann in der Studierendenkanzlei einschreiben, um weiterhin mein geliebtes Semesterticket zu haben. Der wichtigste Grund für eine Promotion. Ist klar.

Ich hatte mich auf unserer Website natürlich brav informiert, was man alles anschleppen musste, stand nun mit einem Berg an Originalen und Kopien im Büro und fragte die betreuende Dame, was sie denn als erstes haben möchte.

„Erstmal den Antrag auf Annahme zur Promotion.“

„Hab ich da.“

„Dann die Betreuungszusage.“

„Hab ich.“

„Dann ihr Bachelor- und ihr Masterzeugnis.“

Ich zeigte die Originale vor und gab die Kopien ab, die als „gesehen“ oder ähnlich gestempelt wurden.

„Dann das Führungszeugnis.“

Original, Kopie, Stempel.

„Dann den Lebenslauf.“

Den hatte ich zwar auch zweimal ausgedruckt, aber das war natürlich überflüssig. Sie nahm einen Ausdruck, ich unterschrieb ihn.

„Und zum Schluss den Personalausweis. Haben Sie den auch kopiert?“

„Äh, nee. Dürfen Sie aber gerne.“

Dame kopierte.

„Gut. Dann schicken wir Ihnen die Promotionsberechtigung zu. Danke für die gute Vorbereitung. Schönen Tag noch.“

„Danke gleichfalls.“

Ich hatte sicherheitshalber noch alle Transcripts of Records dabei, meine Studienverläufe aus Bremen und Hannover aus den 1990ern, die ich für die legendäre Immatrikulation gebraucht hatte, und sogar noch mein Abizeugnis, DENN MAN WEISS JA NIE, aber die brauchte ich netterweise nicht. Trotzdem: Sichthüllen-Mentalität wins again.

Was schön war, Freitag bis Sonntag, 1. bis 3. September 2017 – Runterkommen

Wie angespannt ich vor dem ersten offiziellen Gespräch mit dem Doktorvater war, merkte ich erst Freitag, als ich nach komatösem Schlaf erwachte. Der September begann mit deutlich kühlerem Wetter, was mir außerordentlich gut gefiel. In meiner quietschbunten Regenjacke machte ich mich zur Villa Stuck auf, um mir eine Ausstellung über Willy Fleckhaus anzuschauen.

Ich zückte am Eingang wie immer meinen Studentenausweis und bat um Ermäßigung, als die Dame an der Kasse meinte, ich käme als Kunstgeschichtsstudentin umsonst in die Villa Stuck. Das war mir neu, und auch auf der Website steht davon nichts, aber zu diesem freundlichen Angebot sagte ich natürlich nicht nein, schloss Jacke und Rucksack im Untergeschoss ein und fuhr mit dem Fahrstuhl in den 2. Stock, wo die Ausstellung begann und wo man mir freundlich sagte, dass ich ohne Blitz gerne fotografieren dürfe.

Den ersten Raum habe ich schon wieder vergessen; ich hielt mich am längsten im zweiten auf. Dort lagen in einer Vitrine in der Mitte mehrere Ausgaben der twen und ein paar Photokina-Kataloge. An den Wänden hingen aufgezogene Doppelseiten, teils mit einleitendem Text, vor allem zu den Fotografen, die die twen ebenso wie Fleckhaus’ Gestaltung mitprägten. Von der Fotografin Christa Peters war leider nichts zu sehen, wenn ich richtig geguckt habe. Mir haben vor allem die Bilder von Will McBride gefallen, die auch noch 50 Jahre später in jedem Magazin gut aussehen würden. Oder in der Werbung; im dritten Raum hing eine Reportrage über Jugendliche am Strand, und bei so ziemlich jedem Bild suchte ich das Calvin-Klein- oder das Ralph-Lauren-Logo.

Mit den Texten der twen hatte ich allerdings deutlich mehr Schwierigkeiten, und das wäre auch mein erster Kritikpunkt an der Ausstellung. Ich hätte mir eine bessere Einordnung und Kontextualisierung gewünscht. Wie beeindruckend modern die Gestaltung der twen war, wäre noch eindrücklicher, wenn man ein paar Vergleichsseiten aus anderen Medien gesehen hätte. Und wenn man auf die progressive Themensetzung verweist (Juden in Deutschland in den 1960er Jahren, Homosexualität etc.), dann hätte ich mich über eine Einordnung der ganzen peinlichen Machoscheiße gewünscht, die einem aus jeder Doppelseite entgegentroff. Die Art, wie über Frauen geschrieben wurde und wie sie fotografisch in Szene gesetzt wurden, entsprach sicher dem Zeitgeist, aber da hätte ich mir eine Abgrenzung gewünscht. So stehen Peinlichkeiten wie „Die Sextigerin aus Finnland“ über ein Bond-Girl (ich meine Ursula Andress, aber die ist Schweizerin) und „Die renovierte Romy“ über Romy Schneiders neue Beziehung gleichauf mit fortschrittlichen Themen, ohne das klar gemacht wird, dass eben auch altmodisch-patriarchalischer Rotz im Blatt zu finden war, auch wenn er für damalige Verhältnisse supi-locker formuliert war.

Zweiter Kritikpunkt: die Hängung. Im dritten Raum erklang Jazzmusik, was mir sehr gefiel, und an den Wänden hingen diverse Seiten, die einen guten Überblick über das gestalterische Schaffen von Fleckhaus gaben. Aber: Sie hingen teilweise auf Kniehöhe, so dass man ohne Rückenschmerzen kaum etwas lesen konnte. Ich weiß, es geht um die Grafik, aber trotzdem: Wenn ihr schon was aufhängt, warum dann nicht so, dass man es in Gänze betrachten kann? Den Artikel über den „lustigen Nationalsozialisten Gottfried Benn“ hätte ich gerne gelesen.

Im vierten Raum konnte ich mich wieder davon überzeugen, dass die 70er Jahre fürchterlich hässlich waren, und auch drei weitere Staffeln Mad Men hätten mich nicht vom Gegenteil überzeugen können. Dann geht man eine Treppe hinunter, guckt auf ein paar Plakate, biegt um die Ecke und sieht dann das, weswegen ich in die Ausstellung wollte: die edition suhrkamp, von Fleckhaus 1963 gestaltet. 48 aufeinanderfolgende Bände folgen dem Farbspektrum des Regenbogens, ab Band 49 geht alles wieder von vorn los. Das Titeldesign wurde erst 2004 leicht verändert, die Farbigkeit blieb.

Hier gefiel mir der Ehrenplatz, den diese Buchreihe bekommen hatte – eine kleine Nische ganz für sich alleine. Gegenüber in der Vitrine lagen Suhrkamp-Taschenbücher, die Fleckhaus ebenfalls gestaltete, und ich lernte, dass er bewusst Titelblatt und Titelschrift in nah beieinander liegenden Farbtönen gewählt hatte, also blaues Cover mit dunkelblauer Schrift etc. Jeder, der schon mal ein Suhrkamp-Buch gekauft hat, müsste wissen, was ich meine. Diese Gestaltung wurde irgendwann aufgegeben; mein liebstes Suhrkamp im Regal ist Rainald Goetz’ Irre: ein violettes Cover mit neongelber Schrift.

Am FAZ-Magazin marschierte ich recht schnell vorbei, das kannte ich noch selbst aus den 80ern, während ich es schon spannend fand, die twen mal ausführlicher anschauen zu können. Wenn nur das Lesen nicht so anstrengend gewesen wäre.

Wer durch die Ausstellung laufen möchte, muss sich beeilen, sie ist nur noch bis zum 10. September zu sehen.

Am Samstag genoss ich es sehr, lange neben F. zu schlafen. Abends gingen wir auf eine Geburtstagsfeier, auf der ich über NS-Kunst reden konnte, Cold Brew und Bayern München. F. blieb länger, während ich durch die kühle Dunkelheit zum Bus ging, der zeitgleich mit mir an der Haltestelle ankam. Am Olympia-Einkaufszentrum stieg ich in die Bahn, am Scheidplatz in die nächste und freute mich wie so oft über einen funktionierenden Nahverkehr.

Das fiel mir schon neulich auf, als mein Vater, meine Schwester und ihr Mann mich besuchten, die auf dem Land fast ausschließlich im Auto, manchmal auf dem Rad, unterwegs sind. Für sie war das fürchterlich umständlich, dieses ewige zu einer Haltestelle gehen, warten, umsteigen, zum Ziel gehen, während es für mich total entspannend ist, weil ich passiver Verkehrsteilnehmer bin, mich andere schnell und bequem irgendwo hinchauffieren, ich auf dem Weg lesen kann anstatt im Stau zu stehen und sogar viel Bier trinken darf. Ich mag die Öffis; ich habe in fünf Jahren München ein Auto nur zweimal vermisst – als ich für größere Anschaffungen zu Ikea wollte.

Am Sonntag erholte ich mich von den vielen Menschen auf der Party (15! Mit Kindern!) und genoss das Alleinsein. Ich schlief lange, las viel, ließ uralte Grey’s-Anatomy-Folgen nebenbei laufen, aß ein paar Salamibrote und guckte stumm und zufrieden aus dem Fenster.

Abends kam eine Mail des Kurators unserer Ausstellung in Rosenheim, und ich konnte zum ersten Mal alle Wand- und Objekttexte lesen – also nicht nur meine, sondern alle im Zusammenhang. Ich fand den roten Faden sehr stringent und die Texte sehr informativ. Das wird gut. Ich würde mich freuen, wenn der/die eine oder andere von euch Zeit für diese Ausstellung hätte. Man muss sich nicht mal für NS-Kunst interessieren, es reicht schon, ein paar lokale Künstler interessant zu finden. (Wir haben nur eine einzige Frau in der Ausstellung.)

Vom Doktorvater erfuhr ich, dass unser Katalog ein Brocken mit fast 400 Seiten werden wird; auch auf den bin ich sehr gespannt. Und ich freue mich schon auf das Kolloquium am 4. Oktober im Zentralinstitut für Kunstgeschichte.

Was schön war, Montag bis Donnerstag, 28. bis 31. August 2017 – Bunte Tüte

Nach der letzten Physiositzung mit weichgeknetetem Nacken in der ZI-Bibliothek sitzen und über Dinge lesen, die rein gar nichts mit meinem Forschungsfeld zu tun haben. Ich bereitete den Blogeintrag über Audiences von Thomas Struth vor und schleppte bergeweise Literatur zum Künstler und zu Fotografie im Allgemeinen an den Platz. Ich habe es so genossen, lesen zu können, um nur für mich (und meine Blogleser*innen) etwas zu lernen. Sowohl Thema als auch Entstehungszeitpunkt als auch Medium sind ganz weit weg von dem, was ich in der Diss anfassen werde, daher hat sich das wie Freizeit angefühlt. Schlaue Freizeit.

In einem Teeladen die Nase in diverse große Tonnen mit losem, duftenden Tee halten. Flashbacks zu Teepartys aus den 80er Jahren. (Die norddeutsche weibliche Jugend wird sich erinnern.)

Der U-Bahn-Fahrer, der die Stationen mit einem bestimmten Artikel davor ansagte: „Der Bonner Platz … die Münchner Freiheit …“ Das klang sehr schön, weil es auf einmal weniger beliebig war, kein Irgendeinort mehr, sondern: die Münchner Freiheit.

Mal wieder so ein innerliches glücklich-sehnsüchtiges Ziehen im Bauch gehabt weil München. Diese Sehnsucht ist komisch, denn ich wohne ja jetzt hier, ich müsste gar nicht sehnsüchtig sein. Aber wenn ich zur Uni radele, vermisse ich den Nordfriedhof, und wenn ich da rumlaufe, vermisse ich die Ludwigstraße, und wenn ich die entlangfahre, vermisse ich den Biergarten, und wenn ich in dem sitze, vermisse ich die Pinakotheken. Dauernd vermisse ich was und dabei bin ich doch da. Ein gutes Vermissen. War anscheinend die richtige Entscheidung, hierher zu ziehen.

Die Klimaanlage beim Zahnarzt. Ich habe mich ernsthaft auf den Zahnarzt gefreut, weil ich wusste, da ist es kühl, während es draußen 30 Grad sind (und in meiner Wohnung nach Tagen der Hitze 26).

Morgens vor der Alten Pinakothek an der Bushaltestelle stehen und Leute anschauen, wie sie im Gras sitzen, joggen, walken, sich sonnen, auf Bänken sitzen und lesen, Hunde ausführen, Rollkoffer ziehen, in einem Stadtplan checken, ob sie hier richtig sind, einzeln und in Gruppen auf die Öffnung des Museums warten und dann langsam die Treppe hochgehen.

Im frisch bezogenen Bett liegen und lesen. Ein Evergreen des „Was schön war“.

Einen halbstündigen Termin mit dem Doktorvater haben, der eigenlich nur die Betreuungszusage unterschreiben sollte, aber dann kamen wir doch ins Reden und ich kam mit drei vollgeschriebenen Moleskine-Seiten und 500 guten Ideen nach 90 Minuten wieder aus seinem Büro. Auch deswegen wollte ich den Herrn als Betreuer haben – weil kurze Gespräche mit ihm immer positiv ausarten und er sein Wissen sehr freigiebig teilt.

Eine Mail vom DDR-Museum, das irgendwie meinen letzten Blogeintrag zu lesen bekommen hat, in dem ich Bildungslücken über die DDR offenbarte. Die Betriebsleiterin würde sich freuen, mir ihren neuen DDR-Führer zuschicken zu dürfen. Dankeschön!

Dem Regen zuhören, bei Temperaturen weit unter 30 Grad. Endlich ist der Sommer vorbei.

In zwei Tagen werde ich anfangen, Biergärten, langes Abendlicht, Balkonsitzen und F. in Cargoshorts zu vermissen.