Tagebuch Mittwoch, 19. Dezember 2018 – Sinnieren über den „Spiegel“

Die Tücken des täglichen Bloggens, bei dem man immer das Datum vom gestrigen Tag angibt und das mich in den vergangenen Jahren gefühlt über tausendmal aus dem getippten „gestern“ – wenn ich einen Eintrag am Abend des betreffenden Tags vorschreibe – ein „vorgestern“ hat machen lassen, haben auch Vorteile: Ich habe erst gestern (gestern!) gemerkt, dass ich irgendwann im Dezember angefangen habe, das Datum des Blogeintrags, aber nicht das tagesaktuelle an meinem Adventskalender zu öffnen. Weswegen ich gestern (gestern!) zwei Türen leerfuttern konnte.

Den ganzen Tag vor Büchern oder Amazon Primes Videothek rumgehangen; ich bin im House-Rewatch in der sechsten Staffel angekommen. Hat sich gut gehalten, die Serie, ich stolpere aber, wie schon zur Erstausstrahlung, sehr über die vielen, höflich ausgedrückt, politisch unkorrekten Äußerungen der Hauptfigur, die mir damals schon als unangenehm aufstießen und die ich heute als schlicht arschig und betriebsblind empfinde.

Nach 100 Keksdekoriervideos in meiner Facebook-Timeline habe auch ich endlich das Rezept für Royal Icing ergoogelt (ein Eiweiß auf 250 Gramm Puderzucker), anstatt wie sonst üblich einfach aus Zitronensaft und Puderzucker nach Augenmaß Zuckerguss anzurühren. In den Videos kam es mir so vor, als ob die feine Umrisslinie arg schwierig werden würde, das Ausfüllen („flooding“) mit flüssigerem Guss aber babyeinfach.

Nun ja.

Weihnachten, die Freddy-Krüger-Edition.

Was mich den ganzen Tag im Hinterkopf beschäftigte, war die Story im Spiegel, der einen Journalisten entlassen musste, nachdem ein Kollege den Rest der Redaktion darauf aufmerksam gemacht hatte, dass viele Details an dessen Reportagen nicht stimmen bzw. einige vielleicht sogar komplett erfunden worden waren.

Der Redakteur Ullrich Fichtner berichtet in einer langen Reportage – äh, was? – über den Fall:

„An “Jaegers Grenze” wird [der später entlassene Claas] Relotius scheitern. Es ist der eine gefälschte Text zu viel, weil er diesmal einen Co-Autor hat, der seinen “Quatsch” nicht mitmacht, der Alarm schlägt und bald Fakten gegen die Fiktionen sammelt. Juan Moreno ist dieser Co-Autor, seit 2007 als Reporter für den SPIEGEL in aller Welt unterwegs. Im Streit mit und über Relotius riskiert Moreno seinen eigenen Job, zwischenzeitlich recherchiert er dem Kollegen, verzweifelt, auf eigene Kosten hinterher. Drei, vier Wochen lang geht Moreno durch die Hölle, weil Kolleginnen und Vorgesetzte in Hamburg seine Vorwürfe anfangs gar nicht glauben können. Relotius? Ein Fälscher? Der bescheidene Claas? Ausgerechnet?

Es wird im SPIEGEL noch Ende November, Anfang Dezember für möglich gehalten, dass Moreno in diesem Spiel der eigentliche Halunke ist und Relotius das Opfer einer üblen Verleumdung. Geschickt pariert Relotius alle Angriffe, alle gut recherchierten Beweise Morenos. Immer wieder findet er Mittel, Zweifel zu säen, Vorwürfe plausibel zu entkräften, die Wahrheit mit allen Mitteln zu seinen Gunsten zu verdrehen. Bis es irgendwann doch nicht mehr geht. Bis er endgültig nicht mehr schlafen kann, gejagt von der Angst vor Entdeckung. Relotius bricht ein, vergangene Woche, als ihn seine Vorgesetzte Özlem Gezer, Vizechefin des SPIEGEL-Gesellschaftsressorts, zur Rede stellt und ihm auf den Kopf zusagt, dass sie ihm nicht mehr glaubt. Am Donnerstag dann setzt er sich hin mit seinen Ressortleitern, mit einem Chefredakteur, und macht reinen Tisch, oder jedenfalls das, was er dafür hält.“

Das Stück ist sehr lesenswert, weil es recht genau berichtet, was passiert ist. Es macht mich aber trotzdem fassungslos, dass der Spiegel in genau dem gleichen Stil mit Relotius abrechnet, anders kann man das nicht nennen, der dazu geführt hat, dass letzterer munter fabulieren konnte. Das sah meine Timeline gestern ähnlich; die Kulturwissenschaftlerin Hanna Engelmeier schrieb:

„Ein wenig eigentümlich kommt mir vor, daß Fichtner hier diesen Fall als Anlaß nimmt, selbst eine “verdammt gute Geschichte” zu schreiben. Vielleicht hätte eine nüchterne Mitteilung mit den wichtigsten Details auch gereicht. Diese Dauerverwertung ist doch Kern des Problems.“

Der Spiegel hat, ganz internetkompatibel, auch noch eine kurze FAQ online gestellt, falls man sich die Reportage eben nicht durchlesen möchte.

Stefan Niggemeier, der selbst kurz beim Spiegel gearbeitet hat, nahm Fichtners Reportage auseinander. Leider nur hinter einer Paywall, aber schon die Einleitung ist lesenswert, weil sie verdeutlich, dass das Problem hausgemacht ist:

„Als ich für den „Spiegel“ gearbeitet habe, vor sechs, sieben Jahren, hatte das Gesellschaftsressort den Ruf, es im Zweifel nicht zu übertreiben mit der Wahrheitsliebe. Gemeint waren damit sicher keine Fälschungen und Erfindungen, aber Verdichtungen, Zuspitzungen, kreative Freiheiten. Die Unterstellung lautete: Das wichtigste Ziel sei es, die bestmögliche, dichteste, begeisterndste Geschichte zu erzählen, nicht unbedingt die genaueste.

Da war etwa ein Artikel über ein Stadion in Kabul, in dem Ende der neunziger Jahre die Taliban Menschen hinrichteten, und 2012 wieder Fußballspiele stattfanden. Ein Artikel, der den ganzen Wandel des Landes in einen einzigen Ort zu konzentrieren schien.

Die Geschichte hatte den kleinen Haken, dass es sich nicht um dasselbe Feld handelt. Der Ort der Hinrichtungen und der Ort des Fußballspiels sind nicht weit voneinander entfernt und gehören zum selben Komplex. Aber es ist nicht derselbe Platz.

Das wäre ein unwichtiges Detail, wenn der Text nicht genau dieses unwichtige Detail explizit zum zentralen Punkt der Geschichte gemacht hätte, der sie ganz besonders aufregend macht:

„Dasselbe Stadion, dasselbe Feld, gedacht für dasselbe Spiel. Damals Tod, heute unbändiges Leben.“

Blöd, wenn eine Leserin merkt, dass das nicht stimmt. Aber auch dank solcher Verdichtungen werden aus Reportagen im besten Fall Preisreportagen.“

Dazu passend der Tweet der Journalistin Andrea Diener (von ihrem anonymen Account (?), daher kein Link), die gestern auf das alte Zitat von Hans Magnus Enzensberger verwies, nach dem der Spiegel kein Nachrichtenmagazin sei, wie es im hauseigenen Untertitel heißt, sondern ein Story-Magazin:

„Während die Nachricht im allgemeinen für Unterhaltungszwecke ungeeignet und kein Genuß-, sondern ein Orientierungsmittel ist, stellt die Story ganz andere Bedingungen: Sie muß Anfang und Ende haben, sie bedarf einer Handlung und vor allem eines Helden.” Und: “Die Story ist eine degenerierte epische Form; sie fingiert Handlung, Zusammenhang ästhetische Kontinuität. Dementsprechend muss sich ihr Verfasser als Erzähler aufführen, als allgegenwärtiger Dämon, dem nichts verborgen bleibt und der jederzeit, wie nur ein Cervantes ins Herz des Don Quijote, ins Herz seiner Helden blicken kann.”

Genau dieses Storytelling hat mich jahrelang fasziniert. Ich habe den Spiegel in den 80ern und Anfang der 90er Jahre regelmäßig, so ziemlich wöchentlich gelesen. Die Jahrgänge 1989/90 standen ewig in Pappschubern auf dem Dachboden meiner Eltern und durften nicht weggeschmissen werden wegen des historischen Inhalts. Inzwischen weiß ich erstens, dass ich das alles auch in einer Bibliothek nachlesen kann und zweitens, dass auch der Spiegel nur mit Wasser kocht. Als ich Anfang der 2000er Jahre für eine Story über die damals noch neuen Weblogs angefragt wurde, lehnte ich ab, weil ich keine Lust hatte, in genau dieser Erzählweise verwurstet zu werden. Ich unterstellte auch gleich eine gewisse Agenda („diese seltsamen Exhibitionisten im Interweb“) und lehnte mit dieser Unterstellung meine Teilnahme ab. Die damalige Autorin meinte zwar, das seien Vorurteile, aber die erschienene Geschichte hat mich sehr bestätigt. Wir sind hier alle irre und breiten das auch noch groß aus, alles ganz schlimm.

Es war für mich ein einschneidendes Erlebnis zu merken, dass auch der heilige Spiegel von Menschen geschrieben wird, die von ihren Themen manchmal keine Ahnung haben, aber immer eine Agenda. Wenn’s normal läuft, kommen dann Artikel dabei heraus, die sich auch so lesen, wenn’s schlecht läuft, sowas wie die Reportagen von Relotius – dessen Name mir bis gestern übrigens kein Begriff war, weil ich den Spiegel eben nicht mehr lese außer wenn mich Geschichten anspringen wie das Interview mit Okwui Enwezor. Seit einer unglaublich miesen, vorurteilsbelastenen Story über das Dicksein fasse ich auch die Zeit nicht mehr an, well done, dünne Menschen, die Dicke doof finden.

Generell hadere ich seit Jahren mit wöchentlichen Magazinen, die ich ebenso jahrelang genau deswegen gelesen habe: weil sie wöchentlich und damit mit etwas Abstand zum Geschehen erschienen und mir so die Möglichkeit einer Einordnung bieten konnten. Inzwischen bin ich mit einer aktuelleren Tageszeitung besser bedient, auch wenn die natürlich genauso eine Agenda hat; nicht umsonst lesen sich die FAZ und die taz zum gleichen Sachverhalt sehr unterschiedlich. Genau deswegen musste jetzt auch mein FAZ-Abo dran glauben – nach über einem Jahr konservativem Politikteil muss ich mein Hirn mal wieder mit Seife auswaschen und werde auf die Süddeutsche umschwenken, die ich nie durchlesen werde, weil sie viel zu dick ist.

Auf die Beschleunigung im Nachrichtenwesen wies vor Kurzem die sehr gute Doku zur New York Times hin, wo der Chefredakteur sinngemäß meinte: Wenn früher am Vormittag etwas passiert sei, wussten alle, dass man darüber morgen etwas in der Zeitung lesen wird. Heute klickt man sofort ins Internet und erwartet alle 20 Minuten ein Update.

Ich ahne, dass nicht nur die Spiegel-Kultur des Geschichtenerzählens, sondern auch unser Hunger nach immer neuen Geschichten dazu beigetragen hat, dass Dinge verkürzt oder verfälscht werden. Es ärgert mich, dass es Leser*innen sein müssen, die das aufklären, weil es ihnen halt auffällt. Eine der Storys von Relotius über eine Trump-wählende Kleinstadt in den USA widerlegten zwei Bewohner dieser Stadt selbst, angefangen beim Ortsschild am Eingang, das der Reporter schon falsch beschrieb, bis hin zu seltsamen Details, die niemand braucht:

„Perhaps the oddest fiction in a list of many is Relotius’ depiction of Bremseth as someone who “would like to marry soon…but he has not yet been in a serious relationship with a woman. He has also never been to the ocean.”

We can attest that Bremseth has indeed been to the ocean, by his account, “many times” and is currently happily involved in a multi-year, cohabitational relationship with a woman named Amber. In fact, here’s a picture of the two of them in front of, all things, an ocean.“

Stefan Niggemeier verlinkte heute morgen auf den Text „Die Verniedlichung der Welt“ von Claudius Seidl von 2010 über die hübschen Reportagen, die gerne Literatur wären, was auch ein Teil des Problems ist – Journalist*innen, die gerne etwas anderes wären. Auch in Werbeagenturen laufen viele Texter*innen rum, die glauben, dass in ihnen der große Roman des 21. Jahrhunderts schlummert, und ebenso viele Grafiker*innen, die meinen, sie seien Picasso. Vielleicht sollte einfach jede*r wieder seinen Job machen.

„”Eine schöne Geschichte”, so muss man sich das wohl vorstellen, sagt ein Juror zum anderen, wenn sie diese Reportage aus der “Zeit” preisen, über den Serienkiller und den Kommissar, dem der Killer all seine Verbrechen gesteht, die Reportage also, welche im Winter den sogenannten Reporterpreis gewann – und offenbar mag sich keiner eingestehen, dass eine Ästhetik, die alles erklären, begründen, einsortieren kann, eine Ästhetik, die also zugleich alles Unverstandene und Unversöhnte, alles Unerklärliche und Unsagbare ausschließt, eine Ästhetik, in der wirklich jedes Phänomen den Begriff findet, der wie ein Deckel darauf passt, dass so etwas die Ästhetik von bemalten Tellern und selbstgetöpfertem Regalschmuck ist.

So harmlos.

Toll geschrieben, denkt man sich, wenn man das Kanzlerinnenporträt aus dem “Spiegel” liest, das am Freitagabend für den Kisch-Preis nominiert war, und es liest sich ja sehr flüssig bis zu dem Moment, in dem es dem Leser auffällt, dass der Autor sich die Freiheit nimmt, in nahezu jeden Kopf, der im Weg herumsteht, hineinzukriechen und von dort drinnen zu berichten, wie es sich so denkt und fühlt in diesem Kopf. Das, ein äußerst populäres Verfahren in der Preisträger- und Nominiertenprosa der vergangenen fünf, sechs Jahre, sieht auf den ersten Blick so aus wie echte Literatur. Und ist noch nicht einmal seriöser Journalismus. Wenn schon die Schlagzeile “Regierung will Steuern senken” ungenau ist, weil wir Journalisten nicht wissen können, was die Regierung wirklich will; wir wissen nur, was sie sagt, dass sie wolle – dann ist die Behauptung, einer wisse, was ein anderer denke, ein Bluff und eine Hochstapelei. Und wenn es Literatur wäre, dann wäre es trivial. Richtige Literatur versagt es sich, die Gedanken sämtlicher Figuren zu lesen.

Und genau das ist das Problem mit den Preisträgerreportagen: Sie wollen Literatur sein, sie weigern sich aber, das Kleingedruckte zur Kenntnis zu nehmen. Keine Selbstreflexion, kein Bewusstsein davon, dass es jenseits der Sätze das Unsagbare geben könnte, jenseits der Psychologie das Unerklärte. Eine Geschichte hat einen Anfang, und am Schluss laufen alle Stränge des Erzählens wieder zusammen. Ein Abgrund heißt Abgrund, und wer hineinschaut, sieht, wie das Schicksal mit Playmobilfiguren spielt. So ein Preisträgertext geht mit dem Serienkiller zum Kaffeetrinken und mit der Kanzlerin zum Schwimmen im See, und Gedanken, die man lesen kann, tun keinem richtig weh.

Aber weh tun soll es auch nicht. Hauptsache, die Leser gucken betroffen. Oder wenigstens die Juroren von Reportagepreisen.“

Tagebuch Dienstag, 18. Dezember 2018 – Bake the pain away

Füchterlich geschlafen. Mehrfach aus einem unangenehmen Alptraum aufgewacht, der gefühlt sofort wieder einsetzte, als ich wieder eingeschlafen war.

Eigentlich wartete ich seit Montag auf eine Ansage, wie es mit einer Broschüre weitergehen soll, die noch in diesem Jahr gedruckt werden möchte, aber es kam nichts. So saß ich Dienstag morgen zwar brav pünktlich am Schreibtisch, hatte aber nichts zu tun, weswegen ich meinen alljährlichen Jahresrückblickseintrag überarbeitete. Der liegt spätestens ab Mai in meinen Entwürfen und wird das Jahr über ergänzt, ehe ich wieder alles vergesse.

Die Frage nach dem meiner Meinung nach besten Buch des Jahres habe ich vor einigen Jahren unterteilt in Fiktion, Sachbuch und Comic. Für die ersten beiden Kategorien stehen die Sieger schon fest, außer ich finde jetzt noch was völlig Irres, aber mir fiel zum wiederholten Mal unangenehm auf, dass ich in diesem Jahr keinen einzigen Comic gelesen hatte. Spirou in Berlin von Flix liegt zwar auf der Wunschliste, aber irgendwie wollte ich ihn noch nicht kaufen. Gestern fiel mir dann allerdings total schlau ein: Hey, du hast fünf Bibliotheksausweise in deinem Portemonnaie – vielleicht leihst du dir mal wieder was, du Hirn?

Spirou ist in den Zweigstellen der Münchner Stadtbibliothek so gut wie überall ausgeliehen (well done, Munich!), aber ich kannte das große Graphic-Novel-Regal in der Filiale am Gasteig ja, wo immer was steht, was ich noch nicht kenne. U-Bahn zum Bahnhof, Umstieg in die S-Bahn, zwei Rolltreppen rauf, Jacke an der Garderobe abgegeben – ich vergesse immer, ob man für die Schließfächer innen Geld braucht oder nicht, vermutlich, egal, man darf sogar Jacke und Rucksack mit reinnehmen, jedenfalls war das die letzten Male so. Das könnte sich aber geändert haben, denn anscheinend war ich recht lange nicht in der Stadtbibliothek, wie ich beim Ausleihvorgang feststellte, als ich angezeigt bekam, dass mein Benutzerausweis abgelaufen war. Schockschwerenot! Zum Serviceschalter gegangen, zehn Euro bezahlt (ich bekomme auch als Doktorandin noch Studierendenermäßigung, wie man mir freundlich mitteilte) und dann wieder mit dem Ausweis an die Selbstausleihterminals. Von denen bin ich immer wieder beeindruckt, weil sie totale Zauberei sind. Oder mit RFID-Chips arbeiten, was wahrscheinlicher ist. Man hält den Ausweis an den Bildschirm, und sobald man erkannt ist, verbucht das System selbständig alles, was auf dem Tisch vor dem Bildschirm rumliegt. Man muss es nicht mal an irgendwelche Lesegeräte halten, nur ablegen und wie durch Zauberhand (ich bleibe bei dieser Interpretation) erscheinen die Titel auf dem Screen, die man jetzt froh und glücklich nach Hause tragen und für vier Wochen behalten darf.

Ich las gestern schon Ein Sommer am See von Mariko und Jillian Tamaki (Tina Hohl, Übers.), der mir sehr gut gefiel. Ich mochte die Coming-of-age-Geschichte der zwei weiblichen Hauptdarstellerinnen, die im Alter ein paar Jahre auseinanderliegen und so schön den Sprung von der Kindlichkeit zur Teenagerin verdeutlichen, sowohl vom Tonfall als auch von den Zeichnungen her sehr. Auch die Übersetzung ist mir sehr positiv aufgefallen.

Der zweite Comic konnte mich überraschen, wobei ich mich fragte, warum er das konnte: Es geht um eine ältere Dame aus Israel, die nach über 60 Jahren wieder in ihr altes Heimatland Polen zurückreist, um ein Erbe anzutreten, das ihr wegen der NS-Zeit verwehrt geblieben war. Oder auch nicht, das erfährt man im Laufe der Story. Ich habe bisher nur über Reparationsforderungen an Deutschland nachgedacht, aber noch nie an die an andere Länder. Wieder was gelernt. Das Erbe wurde von Rutu Modon geschrieben und gezeichnet (Gundula Schiffer, Übers.), wobei mir die Story besser gefiel als ihre Bebilderung.

Und zack, gleich zwei Anwärter auf die Lücke im Fragebogen erlesen.

Auch nachmittags kam keine Arbeit auf den Tisch, weswegen ich eine Runde aka fünf Bleche Kekse buk. Das übliche Mürbeteigrezept, was immer funktioniert. Gestern anscheinend besonders gut, denn mir schmeckten die Plätzchen (Feingeist F. besteht auf dem Wort „Plätzchen“ für Kekse) auch ohne jede Deko aus Zuckerguss oder Schokolade, wie ich nach fünf dekorierten feststellte.

Mit der zweiten Kanne Tee des Tages aufs Sofa gegangen und weitergelesen, dazu noch ofenwarme Kekse geknabbert.

Abends kam dann F. mit der rituellen Lieferung an heißgeräuchertem Lachs vorbei. Das essen wir seit drei Jahren in der Weihnachtszeit, weil F. einen super Lieferanten hat, der nicht massenhaft produziert, weswegen ich mich immer sehr freue, mitessen zu können. Der Lachs ist recht fest und gut, aber nicht übermäßig gewürzt, zerfällt beim Anschneiden und schmeckt mit Kartoffelgratin fast noch besser als ohne. Da ich gestern trotz einem Kilo verzehrten Keksen noch hungrig war, fiel mir das obligatorische Foto erst beim Essen ein. Dass ich einen dunkleren Teller hätte verwenden sollen, damit das Gelb und das Pink der Speisen besser rauskommt, erst beim Abwaschen.

Das Augsburg-Spiel lief nebenbei auf dem Laptop, aber wir konnten uns trotzdem standesgemäß über alles aufregen. Immerhin einen Punkt aus Berlin mitgenommen, der im Abstiegskampf nicht unwillkommen ist.

Und endlich mal ergoogelt, was überhaupt „heiß geräuchert“ bedeutet.

Gemeinsam eingeschlafen, durch äußerst unangenehme Regelschmerzen wieder wach geworden (also eine von uns beiden). Der Scheiß könnte auch allmählich mal vorbeisein. Je älter ich werde, desto schmerzhafter wird dieses dusselige Rumgeblute. Mit Wärmflasche auf dem Bauch wieder eingeschlafen.

Tagebuch Montag, 17. Dezember 2018 – Kann weg

Den Vormittag über Zeug erledigt (Brot kaufen, Geschenkpapier kaufen, Geschenke einpacken, Geschenke dekorativ unter den Weihnachtsbaum legen, auch wenn sie nicht für mich sind, sieht aber hübsch aus), über Mittag gearbeitet (und mich gefragt, wann in der Agentur, die mich anrief, wohl Mittagspause gemacht wird – anscheinend nicht um 13.30 Uhr), nachmittags dann versumpft. Traurig gewesen, aus Gründen und aus Nicht-Gründen, dann Schrott gegessen, obwohl ich weiß, dass ich dann noch trauriger werde, war gestern egal, erst abends wurde ich dann wütend auf mich, was meistens reicht, damit ich keinen Schrott mehr esse, aber da ging’s mir körperlich schon schlecht genug, also ab ins Bett, den Tag in die Tonne kloppen und sich sicher sein, dass mich heute Essen wieder glücklich machen wird, das anstrengende Ding, das.

Schön, dass ich im vergangenen Jahr nicht so viele solcher Tage hatte. Das zu merken, war dann doch okay.

Tagebuch Sonntag, 16. Dezember 2018 – Zirbelzauber

Wie gestern schon erwähnt, war ich nach dem kleinen Asthmaanfall körperlich etwas angeschlagen. Die Option 1 war nun, einfach den ganzen Tag auf dem Sofa zu verbringen – geht immer. Option 2 war frische Luft, eventuell etwas glühwein- und bratwurstduftschwer. Denn eigentlich wollten F. und ich noch dringend auf den Augschburger Christkindlesmarkt (ich muss jedesmal googeln, ob der sich wirklich so schreibt, Süddeutschland, ey). Der einzige Ausweichtermin wäre der nächste Sonntag, wo wir eh in der Stadt sind für das letzte Heimspiel des FCA in diesem Jahr, aber mit Fußballklamotten renne ich ungern durch die Gegend, und nach drei Glühwein müsste ich auch dauernd aufs Stadionklo – das übrigens immer hervorragend sauber ist, mir geht’s eher um das ewige Trepperauf, Trepperunter und das Anstehen wie auf allen Damenklos dieser Welt. In diesem Zusammenhang: Alle männlichen Wildpinkler, die ernsthaft in Sichtweite des Stadions noch mal eben in die Büsche gehen – was stimmt bei eurer Kinderstube nicht, ihr Deppen?

Jetzt rege ich mich schon wieder auf, dabei wollte ich doch schreiben, dass wir uns spontan gestern zu einem Besuch des Weihnachtsmarkts entschieden. Dieses Mal war ich für den Kauf des Bayerntickets zuständig, das sonst immer F. besorgt. Am Automaten sprach mich ein Tourist an, der zum Marienplatz wollte; wir diskutierten Ticketoptionen, ich wies ihm den Weg durch das Auswahlmenü am Automaten, dann hatte der Mann seinen Fahrausweis und wollte nun wissen, wie er zu S-Bahn käme – woraufhin ich ernsthaft passen musste, weil ich am Hauptbahnhof noch nie in die S-Bahn, sondern immer nur in die U-Bahn gestiegen bin. Natürlich habe ich den Bahnhof schon mal als Umstiegsstation für die S-Bahn benutzt, aber eben noch nie als Startpunkt. Daher konnte ich dem gut gelaunten Herrn nur die Anweisung „Follow the green S signs“ geben und ihn zum ersten Hinweisschild schicken. Ich bin mir sicher, der Mann findet das. Andererseits meinte er, er wäre gerade vom Flughafen mit der S-Bahn gekommen, die eigentlich bis zum Marienplatz fährt. Hm.

Die Zugfahrt nach Augschburg verlief ereignislos, wenn auch etwas weniger plauderig als sonst, denn mein Begleiter war hangry; er hatte noch nicht gefrühstückt und ein hungriger F. ist ein nöliger F. Deswegen ging der erste Gang dann auch schnurstracks zum Bosnastand. Was eine Bosna ist, habe ich erst hier im Süden gelernt und fühlte mich in Wien am Würstlstand total wissend. Mir reicht weiterhin eine Bratwurst, aber auf dem Christkindlesmarkt muss es eben eine Bosna sein. Hier auch noch mal ein geistiger Schlenker: Käsekrainer, geh sterben. Du bist eklig.

Mit einem deutlich besser gelaunten F. ging es dann zu Horscht an den Weinpunschstand. F. schwört auf diesen einen Stand, ich habe in Augsburg noch keinen anderen Glühwein getrunken, wobei Horscht auf der Website des Marktes seine Getränke auch als Bier- und Weinpunsch anpreist. Meine drug of choice ist dort der Zirbelzauber (das gelbe Gläschen), über dessen Namen ich immer lästern muss, bevor ich ihn dann genussvoll wegschlürfe. Die Augschburger und ihre Zirbelnuss sind für mich immer ein Quell großen Grinsens. Ich höre schon wieder F.: „DAS IST EINE ALTE RÖMISCHE DEKORATIONSFORM, DAS IST ANTIK! WAS HAT HANNOVER AUSSER DEM BLÖDEN PFERD DENN SO, NA, NA?“ – „WIR STELLEN DAS DING IMMERHIN NICHT ACHT METER HOCH AUFS RATHAUS!“

Ein weiteres Argument für den Besuch beim Horscht ist der unverstellte Blick aufs eben schon brüllend angesprochene Rathaus (mit der Zirbelnuss oben drauf). Man steht nicht mitten in den ganzen Buden und den vielen Leuten, sondern ein winziges bisschen abseits in der Steingasse, aber kann dafür über die ganzen Lichterketten weggucken und das Gebäude bestaunen. Das mache ich jedesmal, wenn ich da bin, denn ich komme einfach nicht darüber weg, wie irrwitzig viel Geld Augsburg in der Renaissance gehabt haben muss, um sich diesen Trumm in die Stadt zu stellen (*hust* Fugger *hust*). Das Gebäude war bis 1917, laut Wikipedia, das höchste Gebäude in Deutschland, und es ist auch heute noch, wo wir doofe Bürotürme gewöhnt sind, äußerst beeindruckend. Klar kenne ich genug mittelalterliche Rathäuser – hier bitte mal kurz die Geschichte dieses Bautyps nachlesen – und die sind auch schon nicht winzig, hallo Lübeck, aber keins steht so selbstbewusst, so frei und so aufsehenerregend präsent in der Gegend rum. Ich komme da nie drüber hinweg und staune jedesmal, wenn ich es wiedersehe, obwohl ich es nun wirklich schon oft gesehen habe. Hier der weinpunschselige Blick von Horschtens Büdchen, wo es nicht ganz so überwältigend aussieht, aber dafür habe ich die Alphornbläser im Bild gehabt. Die kenne ich von norddeutschen Weihnachtsmärkten ja auch nicht so unbedingt. Ein Gruß an alle dörflichen Posaunenchöre!

Gegen 18 Uhr waren wir wieder in München, beide irgendwie erledigter als gedacht, weswegen sich unsere Wege trennten und jeder für sich den Abend verbrachte. Ich besiegte mein Spiegelei-Trauma und zauberte mir ein wunderbar festes Eiweiß mit perfekt flüssigem Dotter, das ich sogar heile aus der Pfanne bekam und war sehr zufrieden mit dem Tag.

Tagebuch Samstag, 15. Dezember 2018 – Überstürzter Aufbruch

Früh aufgestanden (bzw. netterweise von alleine aufgewacht), um einen Kuchen zu backen, den ich nachmittags frisch zu einer Familienweihnachtsfeier schleppen wollte. Ich hatte mich im Vorfeld für den Nougat-Orangen-Gugelhupf entschieden, weil ich wusste, dass er sich schnell machen lässt und wunderbar schmeckt. Aus F.s WhatsApp-Gruppe wusste ich außerdem, was die anderen mitbrachten, daher passte er ganz gut.

Als er ausgekühlt war, legte ich zu dem in Alufolie eingewickelten Kuchen in der inzwischen gewaschenen Gugelhupfform (die einfachste Transportmöglichkeit) noch einen Servierteller sowie ein kleines Sieb und eine Schachtel Puderzucker. Ich nahm an, dass die Gastgeberin für 30 Leute froh sein würde, wenn man sie nicht um sowas bitten müsste, und so war’s auch. Eigentlich wollte ich auch noch meine Reibe und eine Orange mitnehmen, um zusätzlich zur Puderzuckerdeko noch Zesten auf den Kuchen zu reiben, aber die vergaß ich in der ersten Aufbruchshektik des Tages.

F. und ging stiegen in die U-Bahn, dann am Sendlinger Tor erstmal in die falsche, was uns an der Implerstraße auffiel, als die Ansage meinte, das hier wäre die letzte Umsteigemöglichkeit zur U3, in der wir uns wähnten. Wir waren aber in der U6 und konnte so noch umsteigen. Danke, Ansage. Mit dem neuen Jingle, der seit dem Fahrplanwechsel vor ein paar Tagen die Stationsansagen einleitet, hadere ich aber noch.

An der vereinbarten Haltestelle sammelte uns F.s Mutter im Auto ein und wir fuhren irgendwo in die Umgebung, ich weiß immer noch nicht, wo irgendwas in München ist. Das fiel mir neulich schon mal auf: Ich bin in München nie selbst und regelmäßig Auto gefahren; mit dem Fahrrad lege ich doch eher Kurzstrecken zurück, und sonst sitze ich in öffentlichen Verkehrsmitteln. Das heißt, ich musste mir noch nie wirklich Ziele erfahren bzw. Strecken kennen, die über meinen kleinen Fahrradradius hinausgehen. Der weiteste Weg ging, glaube ich, mal zur Arena raus, das sind 12 Kilometer. In der Stadt länger Fahrrad zu fahren, ist leider auch in der selbsternannten Radlhauptstadt (hier lachen bitte alle Münsteraner*innen mal herzlich) nicht so richtig toll, angenehm und/oder sicher, weswegen ich dafür dann eben die Öffis nutze. Aber vielleicht nehme ich mir das mal für den nächsten Frühling vor: Rad in die S-Bahn, rausfahren und radelnd wieder in die Stadt rein, um sie ein bisschen besser kennenzulernen. (Oder ich sitze weiter auf dem Sofa und kenne nix, das ist auch super.)

Die Feier war schön, die Menschen freundlich – ich bin ja immer noch die neue Exotin, der man nette Fragen stellt –, alle Kuchen top, der Empfangssekt vom Feinsten, abends gab’s dann Schweinebraten mit perfekter Kruste (mein nächstes Ziel!) und einen wunderbaren Rotwein. Ich hatte allerdings schon den ganzen Nachmittag mit meiner laufenden Nase zu kämpfen. Natürlich hatte ich vorher gefragt, ob die Gastgeberin Haustiere hätte, was verneint wurde. So dachte ich, okay, dann hat halt wer anders Haustiere und dementsprechend Haare an den Klamotten, das lässt sich nicht vermeiden. Ich schneuzte also vor mich hin und achete auf meine Atmung, der es aber gut ging. Bis kurz nach dem Abendessen, als plötzlich eine Katze im Raum stand. Und dazu auch noch eine total hübsche, ganz schwarz, wohlgenährt und superelegant. Ich ließ sie einmal durch den Raum gehen, guckte, wie’s mir ging, erst ging’s gut, aber dann merkte ich doch, dass ich mal dringend zum Asthmaspray greifen sollte. Ich googelte kurz nach Verbindungen mit Öffis, da wäre sogar noch eine gewesen, die ich locker geschafft hätte, denn jetzt wollte ich doch sehr an die frische Luft, aber natürlich brach dann doch die halbe Familie auf, als ich meinte, ich würde jetzt schnellstmöglich loswollen bzw. -müssen. Ich zog mir kaum die Stiefel richtig an, weil ich im unteren Stockwerk, wo Jacken und Schuhe waren, ich aber den ganzen Nachmittag nicht hingemusst hatte, noch schlechter Luft bekam – da war die Katze nämlich schon länger unterwegs gewesen, die sonst eigentlich Freigänger ist. So stand ich extrem überstürzt mit offenen Stiefeln, aber viel frischer Luft in den Lungen, herrlich! vor der Haustür, während alle anderen sich länger verabschiedeten. Ich nahm nochmal Spray, und im Auto war ich dann völlig erschöpft. Die Atemnot war so überraschend gekommen und der Aufbruch dann, in meinem Fall, so hektisch, dass ich mich anscheinend total aufgeregt hatte, ohne es mitzubekommen. Ich schleppte mich dann von der U-Bahn nur noch nach Hause, warf die Klamotten in die Waschmaschine, duschte kurz und fiel sofort ins Bett.

Heute bin ich total matschig, aber nicht so angenehm matschig wie nach einem Sporttag oder einer gewollten Anstrengung, sondern einfach nur angeschlagen. Blöde hübsche Katze. Wegen dir ist mir der Nachtisch entgangen, der bestimmt auch super gewesen wäre!

PetitsMO

Das Musée d’Orsay hat eine neue zusätzliche Website erstellt, laut ihrem Tweet für Kinder. Oder für Menschen wie mich, die nicht so gut Französisch sprechen. Oder für Menschen, die sich Kunst mal auf eine sehr einfache und spielerische Weise nähern wollen. Bitte mal rüberklicken da, ist sehr schick gemacht.

Kulenkampffs Schuhe

Falls jemand von euch den ausgezeichneten Film im Sommer verpasst hat – er ist jetzt wieder in der Mediathek. Ich bloggte im August darüber.

(via meine halbe Timeline)

Tagebuch Freitag, 14. Dezember 2018 – Weihnachtsbaum gekauft

Pünktlich am Schreibtisch gesessen, aber eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass nichts mehr kommt. Falsch gedacht, um kurz vor 11 trudelte noch eine Textanfrage rein, an die ich mich gleich setzen konnte. Vorher hatte ich meinen Arbeitsplatz schon hochprofessionell in Weihnachtsstimmung versetzt.

Die kleinen Kugeln habe ich vor 100 Jahren mal bei Ikea gekauft und sie hingen nie an irgendeinem Baum. Aus nicht nachvollziehbarer emotionaler Verbundenheit und weil sie in der Weihnachtskiste quasi null Platz wegnehmen, habe ich sie nie weggeschmissen. Das kam mir endlich in diesem Jahr zugute: Die kleinen goldenen Kugeln lagen schon auf meinem Adventskranzteller, und jetzt durften auch die roten mal an die frische Luft.

Nachdem der kurze Textjob erledigt war, konnte ich mein Mittagspausenvorhaben erledigen: einen Weihnachtsbaum kaufen. Ich kaufe den seit Jahren beim gleichen Stand, weil der an der Nähe einer Bushaltestelle liegt; so kriege ich meinen Baum nach Hause, ohne ihn kilometerweit tragen zu müssen. Der bairisch plaudernde Herr erzählte mir bestimmt was total Wichtiges, aber ich verstand wie immer so gut wie nichts, außer dass der Baum aus Dänemark kam und das Plastiknetz dieses Jahr einen Euro kosten würde. Ist mir recht. Dann sägte er mit einer Playmobilkettensäge – die war so winzig, ich wusste nicht, dass es so kleine Kettensägen gibt! Die hätte vermutlich in meine Handtasche gepasst – noch einen Zentimeter vom Baumstamm ab, damit ich einen sauberen, glatten Stumpf hätte. Dankeschön.

Zuhause angekommen stellte ich den Baum in die Bibliothek und ließ ihm ein bisschen Zeit zum Eingewöhnen. Eigentlich schmücke ich meinen Baum immer erst einen Tag vor Heiligabend – bei uns zuhause wurde der erst am Heiligabend selbst geschmückt, früh morgens, wenn wir Kinder es eh nicht mehr im Bett ausgehalten haben –, aber in diesem Jahr hatte ich Lust auf mehr Zeit mit meinem Baum. Wie ich inzwischen weiß, ist das völlig okay, den geschmückten Baum in Bayern (Süddeutschland generell?) bis zum Dreikönigstag am 6. Januar rumstehen zu lassen. Das bringe ich bis heute nicht über mein norddeutsches Herz: Spätestens Silvester kommt er weg. Daher nehme ich mir die Tage, die mir eigentlich am Ende der Baumzeit zustehen, einfach jetzt.

Dieses Jahr ist er passend zur neuen Wohnung in blau und gold geschmückt. Ich hatte mir am Anfang meiner Münchner Zeit mal grüne Kugeln gekauft, die zu meiner damaligen Wohnung passten – die passen jetzt lustigerweise auch noch. Willkommen für die nächsten zwei Wochen in meinem Heim, blaugrüngoldenes Bäumchen.

Abends stellte ich mich wieder an den Herd, ich hatte ein bisschen Tiefkühlfisch auftauen lassen. Und so wie ich vor einigen Tagen vom Blockhouse Abschied genommen habe, weil mir die Steaks nicht mehr gut genug geschmeckt haben, um für sie Geld ausgeben zu wollen, tat ich das gestern von TK-Fisch. Obwohl ich ihn vernünftig gewürzt hatte, gefiel er mir weder in der Optik noch im Geschmach mehr so recht, und ich werde mich dann mal auf die Suche nach einem Fischhändler machen müssen.

Mit dem Rest des zu schnell fotografierten Tellers bei fiesem Küchenlicht war ich größtenteils zufrieden: In Zwiebeln in allen Formen könnte ich mich reinlegen und in Erbsen auch. Das Püree hätte ich allerdings gerne noch feiner gehabt; ich habe es schon durchs Sieb gestrichen, aber ich glaube, nächstes Mal nehme ich das ganz feine Sieb. Vielleicht kriege ich dann auch endlich mal diesen schönen Strich hin, den ich auf professionellen Tellern so gerne mag. Also: Püree auf den Teller, Esslöffelunterseite rein und nach unten ziehen. Dabei sollte es weniger stückig aussehen als bei mir und vor allem etwas gleichmäßiger, nicht so ein Klops oben und ein dünnes Ende unten. Ich übe das weiter.

Dafür war das Kartoffelgratin wie immer ein Traum, aber dabei kann man ja eigentlich auch nichts falsch machen. Dazu gab’s den restlichen Tempranillo vom Mittwoch.

Relativ früh im Bett gewesen, leider alleine, aber dann doch noch zwei Stunden gelesen. Ich mag so ruhige Tagesausklänge sehr.

Der beste Polo-Spieler der Welt reitet auf Klonen

Die Überschrift sagt alles. Ich war trotzdem erstaunt. Über Dolly, das rumstehende Schaf, denke ich gar nicht mehr nach, aber die Pferdeklone haben mich dann doch irgendwie unangenehm berührt.

„Adolfo Cambiaso wusste im Dezember 2006 sofort, dass etwas Schlimmes passiert war. Er hatte gespürt, wie das Bein des Pferdes unter ihm nachgegeben hatte. Er sprang aus dem Sattel und vergrub das Gesicht in den Händen. Dann sagte er: «Tut alles, um dieses Pferd zu retten.» Damals wusste er nicht, was «alles» bedeuten sollte. […]

«Ich hatte einen Geistesblitz, kurz bevor wir ihn einschläferten. Ich dachte: Vielleicht können wir ihn irgendwann klonen.» Er habe den Tierarzt aufgefordert, ein Stück der Haut des Hengstes abzuschneiden und einzufrieren. Später erzählte Cambiaso den Brüdern, den Eltern und seiner Frau, was er getan hatte. Und dass er vorhabe, den Hengst zu klonen. Sie raunten: «Adolfo, du spinnst.» […]

Das Pferd Cuartetera B02 ist inzwischen acht Jahre alt. Es steht im Stall von Cambiasos Ranch – Box an Box mit sieben anderen Klonen von Cuartetera. Alle haben ein dunkelbraunes Fell und haben eine Nummer von 1 bis 9. «Sie brauchen keinen eigenen Namen», sagt Cambiaso, «sie sind Cuartetera.»

Die Stuten sehen sich ähnlich, aber es gibt Unterschiede. So, wie es auch bei eineiigen Zwillingen Differenzen gibt. B02 hat einen weissen Fleck auf der Stirn, B06 in der Box daneben hat zwei. Die Stuten sind zwei von 120 Klonen, die auf der Ranch bisher zur Welt gekommen sind – viele wurden im Auftrag von Kunden geklont. Die Klone unterscheiden sich auch im Charakter.

Etwas weiter hinten im Stall steht B09, den Kopf zur Wand gedreht. Hühner wuseln um ihre Beine. «Sie ist die Beste, hat schon viele Preise gewonnen», sagt Cambiaso. Auf dem Spielfeld sei immer auf B09 Verlass, abseits davon sei sie ein nervöses Pferd – im Gegensatz zu den anderen Klonen. Um sie zu beruhigen, haben die Stallburschen Hühner zu ihr in die Box gesetzt. Seither sei sie ausgeglichener, sagt Cambiaso. Die Reihe der Cuertetera-Klone ist nicht komplett. Eine Stute fehlt. B08 ist vor zwei Jahren gestorben. Woran, ist unklar.“

(via @heinzkamke)

Trump Kicks Away Obama Traditions Even at the Dinner Table

Die Koch- und Essgewohnheiten im Weißen Haus faszinieren mich schon länger. 2009 las ich eine Art Biografie von Walter Scheib, der ab 1994 für die Clintons und anfänglich auch für die Bushs gekocht hatte. Danach verfolgte ich etwas missmutig Michelle Obamas „Let’s Move“-Kampagne, damit Kinder bloß nicht dick würden, mochte aber die Idee des Gemüsegartens auf dem Rasen des Weißen Hauses. Was aus ihm geworden ist, steht auch in diesem Artikel. Wobei ich die Headline latent doof finde, denn auch Bill Clinton war nicht unbedingt ein Gourmet. Muss man ja auch nicht sein als Politiker*in.

„His first meal as commander in chief was an overcooked steak with ketchup, which set off a minor freakout among food critics. Local restaurants waited in vain to serve a new president, who they soon discovered prefers burgers and the White House meatloaf at home.

Of the myriad Obama administration policies and practices that have been upturned by Mr. Trump, his approach to dining and nutrition is clearly not the most significant. But it has left a notable mark on the culture of the White House and the nation’s capital.

Gone are the days of local chefs parading through the East Wing, running cooking demonstrations on the South Lawn or making sweet potato agnolotti for a White House state dinner. A culinary diplomacy program at the State Department has been closed. Beyond the White House gates, Trump administration officials have increasingly found themselves in the cross hairs of liberal rage while dining out.“

Nützliche Katastrophen

Die Goldenen Zitronen haben ihr neues Video in der Hamburger Kunsthalle gedreht. Bei 1:04 ist mein geliebter Leibl kurz als Detail zu sehen.

Tagebuch Donnerstag, 13. Dezember 2018 – PostIdent

Gearbeitet, einen Termin gehabt, online nach Zeug gesucht, Zeug gefunden, das dann dazu führte, dass ich einen Videochat mit einer Postmitarbeiterin (?) auf meinem iPhone führte, die so meinen Personalausweis abfotografieren konnte. Ich lebe in der Zukunft.

Mittags den restlichen Salat vom Vorabend gegessen und Weißbrot in die restliche Majo gestippt. Abends Brot in der Pfanne angeröstet und mit der übriggebliebenen Salsa verspeist. Reste essen ist super.

Samin Nosrat Believes in You. (Even If You Oversalt.)

Das Interview mit meiner neuen Lieblingsköchin sagt ziemlich viel über sie und ihre Art, uns etwas beizubringen. Und warum es so viel Spaß gemacht hat, ihre Serie anzuschauen – obwohl ich das Buch deutlich lieber mag.

„Q: You’ve talked about how you’d wanted to do a television show because it’s the most efficient way of reaching the most people with your message. Now that it’s been out a few months, has that panned out?

A: Yes. It’s beyond anything I could have imagined. Also, not to be too much of a Netflix fan, but I think there’s TV, and then there’s Netflix. The penetration is bananas. How far it goes; how many different countries. I have had to shut down emotionally, a little bit. [Rustling noise.] Now I’m just eating chocolate someone sent me, sorry. It’s sitting there, and I couldn’t resist it. But it’s really salty! [Laughs.]

I get so many messages, so many emails. Any way you think a person would try to reach me, they have. Even in New York, when I’m on the subway, people stop me. Everywhere I go, and everywhere I don’t go, I’m getting messages. But to me, I think some of the most beautiful and the most exciting and heartwarming [feedback] is when I go on Instagram and I just see how many people are making buttermilk chicken. All I wanted was for people to cook and feel empowered to cook.“

„Empowerment“ hat inzwischen einen doofen Klang, aber ja, genau das ist auch bei mir angekommen: Stell dich an den Herd und mach einfach. Und wenn’s nicht perfekt ist, ist es auch okay. Und wenn’s nicht okay ist, versuch’s nochmal.

„Q: The reason I thought it was interesting was because the message of your show is so explicitly democratic. But you also make a beautiful-looking meal in a beautiful-looking space. There’s an aspirational aspect to it.

A: [I]n Berkeley, when we were shooting, that’s not my house. That kitchen’s not my kitchen. But the house is ten times bigger than my little apartment. That kitchen’s way bigger, and at first, I insisted that we shoot in my own house, in my own little kitchen, but the entire crew couldn’t even fit in here. We had to scrap that and rent a house that had a big enough kitchen to shoot in. The whole time we were in that fancy house, I was so uncomfortable that I kept making jokes on camera about how it wasn’t my house, and if it were my house, I would do this, and if it were my house, I would do this. I made the director promise me to keep some of that in. I was just like, I can’t let people think that this is my house, because my whole message is you don’t need the fancy stuff to do this.

On the other hand, I also like reading the glossy magazines. I also really loved watching Chef’s Table because it was so cinematic and beautiful. That was a huge inspiration for me. I feel like Chef’s Table paved a path for what I understood to be possible in food TV. I had never seen food TV made in such an incredibly cinematic way before. […]

Yet, I am also — not upset, but let’s say bothered, and always aware that everyone doesn’t have access to that. I had to decide a long time ago that my message was not going to be “local, organic, and seasonal.” That wasn’t going to be how I wrote my book and talked about my show. It’s why when we went to the grocery store, we didn’t shoot in the organic section, because I feel like my thing is just get people to cook. Get people to see the value in cooking. That it doesn’t have to be that complicated. Maybe eventually they’ll make their way to the organic section. Maybe eventually, they’ll make their way to the farmer’s market. Maybe when they’re in search of the beautiful strawberry, they’ll figure out a way to get to that farmer. But that doesn’t need to be what I pound over people’s heads at this time.“

Dann erzählt sie noch, wie man sich dem perfekten Spiegelei annähert, was ich bisher noch nie hingekriegt habe, aber mein nächstes Projekt sein wird, und zum Abschluss erwähnt sie das, was ich auch schon mal beschrieben habe: wie wichtig es ist, mal andere Menschen als weiße, schlanke Kerle zu sehen, die über Essen reden.

„It’s not my life dream, nor has it ever been, to be a television star, so it’s not what I envision in the long run is going to be the arc of my career. I do think it will be fun to do another one, but also I want to learn more about producing. I have felt very moved, since I have started to get so much more attention in the last couple months, that now the pressure’s on me and the clock is ticking for me to bring up others who have not been welcome in this space before. Part of what’s so interesting and also heartbreaking about the warm reception and the many think pieces and the many kind things, I think, is that it demonstrates the hunger. I’m sorry for the pun! But people want to see more than just the same kind of travel show hosts, or the same kind of food show host. They want to see people who look different and come from different backgrounds. I don’t want to be the only one, and that means it’s on me to speak up. It’s on me to suggest these other people. It’s on me to bring opportunity. A big part of that for me is going to be learning more about how to produce so that I have more power and more say. I look forward to doing that. I really look forward to opening the door for other people.“

(Danke an F. für den Hinweis. Der gute Mann Herzemoji)

Mein toter Schwager

Kein Gute-Laune-Longread zum Abschluss, aber einen sehr lesenswerten. Klaus Raab schreibt über den Bruder seiner Frau, der Ende der 1980er Jahre als junger Mensch verstarb und fragt sich: „Was bleibt von einem Menschen, dessen Leben zu Ende war, bevor er es leben konnte?“ Ich fand die Antworten sehr spannend, die seine Familie, Freund*innen und Lebensbegleiter*innen geben. Ich glaube, die Essenz ist bereits der eben zitierte Untertitel: Er hatte einen Anfang, ein paar Ideen, eine Ahnung davon, was er vielleicht werden will, wer er ist, wer er werden möchte, aber nie die Chance, es umzusetzen. Wenn ich mich daran erinnere, wie ich mit Anfang 20 war – ich bin heute eine andere. Vermutlich nicht in allem, aber es hat seinen Grund, warum ich nie wieder 20 oder auch 30 sein will; ich fühle mich mit knapp 50 weitaus besser und deutlich mehr in mir zuhause als früher.

Es fällt mir schwer, ein Zitat aus dem Artikel auszusuchen, weil ich ihn in seiner Gesamtheit und seinem Lesefluss sehr gut finde, daher kriegt ihr einen Ausschnitt vom Anfang:

„Zum ersten Mal von Rüdiger hörte ich an dem Tag, an dem ich nach der Arbeit mit seiner Schwester Jutta verabredet war.

«Hast du Geschwister?», fragte sie. Ich hielt das für Small Talk.

«Zwei», sagte ich, «und du?»

«Ich habe einen Bruder, aber er lebt nicht mehr.»

Im Grunde gehörte er von diesem Moment an zu meiner Geschichte. […]

Seit mehr als elf Jahren sind sie und ich ein Paar. Wir haben Kinder, wir tragen Ringe, wir suchen gemeinsam Waschmaschinen aus und einigen uns auf Wandfarben und Urlaubsorte. Meine alte Weltkarte ist nun auch ihre; ihre grosse, gerahmte Fotografie des zeternden John McEnroe betrachte ich auch als meine.

Aber es gab immer wieder Momente, in denen sich ihr früheres Leben über die Gegenwart stülpte.

An Tagen, deren Datum ich mir lange nicht merken konnte, fuhr sie durchs halbe Land, damit ihre Eltern an seinem Geburts- und Todestag nicht allein wären. […]

Irgendwann begann unsere Tochter, mich nach ihm zu fragen, da war sie drei. Als wir bei einem Spaziergang an einem Friedhof vorbeikamen, sagte sie, in so etwas wohne auch Mamas Bruder. Wir gingen hinein, sie balancierte auf der steinernen Einfassung eines Grabs und wollte wissen, ob die Leute, die hier wohnten, keine Möbel hätten. Warum Rüdiger schon gestorben sei. Warum ich nichts von ihm erzählen könne, ihrem Onkel. Das fragte ich mich auch. So begann meine Suche.

Wenig später sitze ich mit seinem Vater im Arbeitszimmer und schaue mit ihm das dunkelgrüne Fotoalbum an. Wer war Rüdiger?“

(via dem Morgennewsletter vom Krautreporter)

Tagebuch Mittwoch, 12. Dezember 2018 – Schöner Alltag

Gemeinsam aufgewacht. Den ganzen Tag am Schreibtisch verbracht und konzentriert gearbeitet. Mich dabei über guten Tee, die schöne Sternenlichterkette im Fenster, das winzige Weihnachtsbäumchen auf dem Tisch (Gastgeschenk vom Samstag) und viele Ideen gefreut. Davon hätte ich heute gerne nochmal dasselbe. Das gemeinsame Aufwachen hat schon mal geklappt. Gib alles, Universum!

In der Mittagspause meine Alugrafie von Leo von Welden vom Rahmen abgeholt. Ich beschrieb letzte Woche das ausführliche und kenntnisreiche Beratungsgespräch, und jetzt wo ich den Welden gerahmt vor mir sehe, kann ich den Laden sehr weiterempfehlen: Das war die winzige Werkstatt Bild & Rahmen in der Schleißheimer Straße (keine Website, daher die eher unaussagekräftige Yelp-Seite).

Gestern war es schon zu dunkel, um es anständig an der Wand zu fotografieren, an der es demnächst hängt, deswegen steht es hier auf einem Stuhl im Flur und kriegt künstliches Licht ab. Das Hintergrundpapier ist dunkelgrau, nicht schwarz, was das Schwarz der Alugrafie noch dunkler wirken lässt, und ich bin wirklich froh über die Rahmenwahl. Der ist zwar brandneu, sieht aber nicht so aus, und das passt gut zum Stil des Bildes. Auch dass man die nicht gerade untere Kante sieht, weil die Rahmerin mir ein Passepartout ausgeredet hat, gefällt mir außerordentlich gut. Ich habe für die Arbeit mit Material und allem 159 Euro bezahlt und finde das sehr gerechtfertigt.

Ich wartete den ganzen Tag auf ein DHL-Paket, das nicht in eine Packstation geliefert werden konnte. Erst als ich um 19 Uhr fettglänzend am Herd stand, klingelte es. Dafür dass der Lieferant vermutlich schon sehr lange unterwegs war, hatte er bemerkenswert gute Laune. Dankeschön!

Abends hatte sich F. zum gemeinsamen Essen angekündigt. Inzwischen habe ich mich in Salz. Fett. Säure. Hitze weiter vorgearbeitet – okay, und ein bisschen vorgeblättert – und halte mich seit einigen Tagen an die simple Regel: Vertrau deinen Kocherfahrungen mehr als Minutenangaben in Rezepten. Außerdem hatte ich von Samin Nosrat auch in ihrer Netflix-Serie gelernt: Fleisch ewig früh salzen.

Ich dachte gestern über bayerische Küche nach und dann über spanische, weil mir F. das Kochbuch Basque von José Pizarro geschenkt hatte. Im bayerischen Kochbuch fand ich, dass man Fleisch auch mal fünf Minuten vor dem Braten salzen könne, während Nosrat dafür plädiert, es einen Tag früher zu salzen als es in die Pfanne kommen soll. Ich kaufte zwei Rumpsteaks mit ordentlichem Fettrand und salzte sie, direkt nachdem ich wieder zuhause war, gut zwei Stunden, bevor ich sie braten wollte. So konnte ich beobachten, dass das Fleisch dunkler wurde bzw. sein Rotton ging ins Burgunderrot über, wo er vorher frisch rot, fleischigrot halt gewesen war. Die Oberfläche wurde glänzender und weniger definiert. Ich weiß noch nicht genau, welche chemische Reaktion da stattgefunden hat, aber das Endergebnis überzeugte mich sehr vom frühen Salzen.

Das Rezept in Basque wollte T-Bone-Steak, aber daran traue ich mich noch nicht heran. Überhaupt habe ich mich ewig nicht mehr an kurzgebratenes Rindfleisch gewagt, weil ich in den letzten Jahren diverse Stücke ruiniert hatte. Egal ob ich nach Gefühl oder Minutenangaben kochte und briet, egal wie oft ich bei Masterchef sehen konnte, was Köche und Köchinnen mit Steaks machen, damit sie gut werden – ich selbst habe noch nie ein gutes hinbekommen. Meist waren sie zu durch und schmeckten nach nichts. Gut, letzteres kann am Fleisch selbst gelegen haben. Erst seit ich ein bisschen darauf achte, was ich so in mich hineinwerfe, gebe ich ordentliches Geld für ordentliches Fleisch aus. Aber Steaks habe ich, wie gesagt, ewig nicht mehr gemacht, weil ich davon ausgegangen bin, das Geld zum Fenster rauszuschmeißen, weil ich das Fleisch nicht vernünftig braten kann.

Ein Nebeneffekt des Buchs von Nosrat ist, mir selber wieder zu trauen, eher auf Erfahrungswerte zu setzen, auf Geruch und Optik, auf die gute alte Fingerprobe beim Steak und nicht auf meinen iPhone-Timer. Also gab ich anständig Geld aus, salzte die dicken Steaks und ließ sie dann bei Raumtemperatur rumliegen, während ich eine Salsa zubereitete, die Basque dazu vorschlug. Dazu eine Schalotte in richtig viel Olivenöl sanft anbraten, dann zwei gehackte Knoblauchzehen dazu, 300 g grob gehackte Cherrytomaten, 6 Anchovis (einfach so, wie sie sind) und die abgeriebene Schale einer Zitrone. Die Kochanweisung dazu lautete, ganz im Sinne von Nosrat: so lange braten, bis die Tomaten weich, aber noch nicht matschig sind und die Anchovis zerfallen. Ich wusste gar nicht, dass Anchovis in der Hitze zerfallen, aber Überraschung, genau das taten sie. Ich kostete brav mehrfach die Salsa und salzte nur wenig nach, weil das die Anchovis schon gut erledigt hatten, und freute mich über den irre frischen Kick durch die Zitrone. Erst abends am Tisch fiel mir auf, dass die Salsa von Pizarro alles verband, was Nosrat predigt: Salz, Fett, Säure und Hitze.

Aus Nosrats Buch hatte ich auch gelernt: Wenn du keinen Profigrill zuhause hast, aber eine richtig heiße Pfanne brauchst – wie für Steaks zum Beispiel –, dann stell sie doch einfach in den heißen Ofen, bevor du sie auf den Herd packst. Genau das tat ich. Ich habe immer noch keine gusseiserne Pfanne, weil ich ja immer dachte, die brauche ich nur für Steaks und die kann ich ja nicht, aber die kommt jetzt sofort auf den Weihnachtswunschzettel. Gestern nutzte ich wie immer meine Edelstahlpfanne, Hauptsache, nichts Beschichtetes, soviel wusste ich auch schon. Der Ofen lief auf 200 Grad, die Pfanne blieb 15 Minuten drin, ich legte die Ofenhandschuhe sehr, sehr sichtbar in meine Augenlinie, um sie bloß nicht zu vergessen, wenn die Pfanne auf dem Herd stand, schloss die Küchentür, öffnete das Küchenfenster sehr weit, warf die Abzugshaube an und betete zu den Rauchmeldergöttern, mich zu verschonen. Ich salzte das Fleisch noch einmal, kein Pfeffer, Sonnenblumenöl in die Pfanne, das quasi sofort zu rauchen begann, ich wartete trotzdem noch ein winziges bisschen, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass es echt in Millisekundenschnelle heiß genug für das Fleisch war, ich probierte es mit einem Holzstäbchen, das sofort Blasen warf und ergab mich in mein Schicksal: Fleisch in die Pfanne! Ahoi!

Man konnte der Maillard-Reaktion quasi zugucken! Es roch von Anfang an deutlich anders als sonst: kräftiger, fleischiger, würziger, aber nicht verbrannt oder rauchig. Ich guckte nicht auf die Uhr, sondern auf die Oberfläche des Fleischs. Als ich der Meinung war, ich könnte es wenden, tat ich genau das, freute mich über eine herrliche Unterseite, guckte dem Fleisch weiter zu, wagte es irgendwann, den Finger aufs Fleisch zu drücken, um zu prüfen, ob es medium war, meinte medium zu spüren, und stellte die Pfanne in den weiterhin auf 200 Grad bullernden Ofen.

Währenddessen schraubte ich einen Tempranillo auf und ließ F. schon mal das Salatdressing kosten. Natürlich hatte ich wieder eine Majo gemacht und das Caesar-Dressing, weil ich dachte, wenn in der Salsa Anchovis und Zitrone drin sind, dann passt das Dressing zum grünen Salat ja super. Tat es auch. Gestern brauchte ich allerdings vier Versuche für die Majo; das erste Mal letzte Woche war anscheinend pures Anfängerglück. Gestern verbanden sich Eigelb und Öl zunächst nicht, die Majo blieb viel zu flüssig. Keine Ahnung, ob man das noch hätte retten können, aber ich stellte die Schüssel weg, nahm eine neue, schlug ein neues Eigelb auf und gab Öl dazu. Das klappte ganz gut, dann kippte ich zuviel Öl auf einmal zur Masse und sofort geronn alles. Aber ich hatte ja schon gelernt: Das kriegt man wieder hin! Die dritte Schüssel aus dem Schrank geholt, einen halben Teelöffel sehr heißes Wasser dazu, die kaputte Majo tropfenweise dazugeben und schlagen, bis der Arm abfällt! Das klappte so gut, dass ich auch hier plötzlich zu viel Masse dazugab, worauf wieder alles geronn. Die vierte Schüssel aus dem Schrank geholt, alles nochmal, mein rechter Arm ist inzwischen doppelt so dick wie mein linker, aber ich hatte endlich perfekt cremige Majo, die ich mit Zitrone, Essig, Anchovis, Parmesan, Knoblauch und Worcestersauce abschmeckte. Sie brauchte kein Extrasalz mehr, weil ich mich inzwischen traue, von allem anderen Salzigen genug in die Fett-Ei-Mischung zu werfen.

Das Steak war meiner Meinung nach fertig, keine Ahnung, wie lange es im Ofen gewesen war, darauf könnte ich vielleicht beim nächsten Mal achten; nun hob ich es aus der Pfanne und ließ es zehn Minuten lang rumliegen. Nach der Ruhezeit kam es mit Salat und Salsa auf den Teller, ich fotografierte, ohne wirklich auf Winkel und Bildausschnitt zu achten, denn OMG Hunger! und schnitt das Fleisch an. Eine herrliche Kruste, nicht zu fest, nicht zu nachgiebig. Das Fleisch war ein winziges bisschen über Medium drüber, aber noch deutlich rosa, und es schmeckte herrlich. F. meinte, das sei das beste Steak, was er je außerhalb eines Restaurants aus einer Pfanne und nicht vom Grill gegessen habe und nein, das liegt nicht daran, dass der Mann mich toll findet! Glaube ich jedenfalls, ich wollte nicht nachfragen, sondern nur stumm mein Fleisch genießen. Die Salsa dazu war hervorragend, die kann ich hiermit auch locker weiterempfehlen. Stelle ich mir zu Fisch fast noch besser vor. Sogar der Fettrand, den ich vorher eingeschnitten hatte, war knusprig geworden, wie beim guten alten bayerischen Schweinebraten! Very happy Anke.

F. guckte noch das Bayernspiel auf meinem Laptop, ich räumte die Küche wieder in einen menschenwürdigen Zustand und fiel dann sehr müde ins Bett. Eigentlich nur ein normaler Alltag, Arbeiten, Einkaufen, Kochen, aber er hatte sich sehr gut und rund und voll angefühlt.

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Tagebuch Dienstag, 11. Dezember 2018 – Odyssee im Osten

Morgens entsetzt festgestellt, dass mein 500-g-Paket Lieblingstee, den ich letztes Mal online geordert hatte, weil ich ihn in meiner näheren Umgebung nicht mehr gefunden hatte, arg zur Neige geht. Das Päckchen hatte ich doch gefühlt erst vor einer Woche angefangen? Es dürften wohl eher drei Wochen gewesen sein. Im letzten Jahr war ich von jetzt auf gleich dem Nilgiri-Tee verfallen, dann war ich wieder kurz auf Earl Grey umgeschwenkt, aber vor gefühlt einer Woche erinnerte ich mich, hey, du hast doch noch den guten Bünting Grünpack, der passt jetzt hervorragend in die Temperaturen. Und schon sind 500 g weggetrunken.

Den Vormittag auf Layouts vom Kunden gewartet, die nicht kamen. Dann halt Wäsche gemacht und Zeug von der To-Do-Liste weggearbeitet. Nebenbei weiter über meinen Lieblings-Ostfriesentee nachgedacht.

In Hamburg hatte ich den nie getrunken, da war er mir vermutlich nicht mal aufgefallen, was daran liegen könnte, dass ich in Hamburg viel weniger Tee getrunken habe. Das begann eigentlich erst im Studium, dass ich mir zum Lernen oder Lesen am Schreibtisch eine Kanne kochte (in der Klausurenphase ergänzt um einen vitamin- und nährstoffreichen Keksteller). Irgendwann trank ich dauernd Tee, im Sommer weniger als in den anderen Jahreszeiten, aber: Ich war jetzt anscheinend Teetrinkerin.

Den Grünpack fand ich in Tengelmann, der 200 Meter von meiner Haustür weg ist, weswegen ich da quasi dauernd einkaufe. Irgendwann war er nicht mehr im Sortiment, dann wurde aus Tengelmann Edeka und ich hoffte, dass er wieder reinkommen würde, was er aber nicht tat. Ich guckte in den großen Warenhäusern wie Karstadt und Kaufhof, die ja gerne seltsames Zeug in ihren Fressabteilungen haben, aber auch dort fand ich ihn nicht. Ich ergoogelte mir eine Pressemitteilung von 2014, in der erwähnt wurde, dass dieser Tee in München unter anderem bei Edeka und Rewe zu finden sei. Aber anscheinend nicht in den Filialen, in denen ich mich rumtrieb. Ich bat auf Twitter um Hilfe.

Einige Verfolger*innen boten mir an, Tee bei sich vor der Haustür zu kaufen und mir zu schicken, was ich dankend ablehnte, denn genau das wollte ich ja nicht. Ich wollte keinen Paketboten für mich etwas liefern lassen, was ich auch selbst einkaufen könnte. So altmodisch offline. Da aber anscheinend niemand spontan seinen Supermarkt parat hatte, googelte ich nach „größter Edeka München“ und fand einen Laden, von dem ich nicht wusste, ob er nun wirklich der größte war, aber 2.300 qm Verkaufsfläche klang schon mal ordentlich. Wenn der den Tee nicht hätte, dann könnte ich ja immer noch online bestellen.

Ich fuhr mit der U-Bahn zum Hauptbahnhof, von dort mit der S-Bahn zum Leuchtenbergring, lernte dort an einer Fassade, dass die ersten öffentlichen Verkehrsmittel in München 1861 zwei Pferdefuhrwerke gewesen waren. Ich habe die Gedenkfassade nicht fotografiert, daher kann es sein, dass ich mir nur die halbe Wahrheit gemerkt habe; Google spuckt aus, dass 1876 die erste Pferdetram durch München fuhr. Direkt gegenüber der Fassade lag der Supermarkt, in den ich noch frohgemut stapfte. Schon nach wenigen Metern stand ich vor dem längsten Teeregal, an das ich mich erinnern kann. Ich habe es nicht fotografiert, weil ein freundlicher Mitarbeiter gerade Waren einräumte, aber das dürften so um die acht Meter gewesen sein. Das halbe Dallmayr-Sortiment war da, jede Teekanne-Packung, Meßmer bis zum Abwinken, die Hausmarken, das Biosortiment, diverse englische Tees und ganz zum Schluss die fancy Tees, die vielleicht eher wegen der schicken Verpackung gekauft werden. Aber: kein Bünting. Ich frage den einräumenden Herren, der meinte, der Name sei ihm noch nie untergekommen, aber vielleicht hätte der dm nebenan ja was, die hätten auch ein großes Sortiment. Grinsend stand ich dann zwei Minuten später im Drogeriemarkt vor einem Teegal, das nicht mal einen Meter maß, wo natürlich auch kein Bünting zu finden war. Das fand ich im Nachhinein aber sehr putzig, dass der Mann vom Acht-Meter-Regal das hier als großes Sortiment bezeichnete. Ich kaufte einen Fleckentferner und twitterte mein Leid.

Als ich an der Bushaltestelle nach Hause saß, meinte jemand, ich könne es ja nochmal bei Kaufland versuchen. Der Laden war auch in der Pressemitteilung erwähnt worden. Ich googelte – und fand eine Filiale in der Nähe. Die MVV-App bot mir eine Station per Bus und dann eine per Tram an, aber ich dachte mir, die anderthalb Kilometer kann ich auch zu Fuß gehen, gleich mal die neuen Stiefel einlaufen.

Es waren dann doch eher zwei Tramstationen, aber so konnte ich mir ein bisschen die total unattraktive Gegend anschauen und dann den ebenfalls unattraktiven Supermarkt, der natürlich auch keinen Bünting hatte. Das Teeregal war geschätzt nicht mal zwei Meter lang und ich war verstimmt.

Aber immerhin konnte ich so mit der Tram in die Nähe meines Heims zurückfahren, wo ich dann nochmal umsteigen müsste. Ich stand schon an der Station, als ich spaßeshalber erneut die MVV-App anwarf, die mich auf die U-Bahn-Station Josephsburg hinwies, die nur 300 Meter von mir wegsei und die mich ohne Umsteigen nach Hause bringen könnte. Den Namen hatte ich noch nie gehört, so weit war ich die U2 noch nie in den Osten gefahren. Ich kam mir vor wie ein Kind, das zum ersten Mal alleine zur Schule gehen darf, bestieg ehrfürchtig die U-Bahn und las 13 Stationen lang in meinem Buch, das ich natürlich mitgeschleppt hatte.

Nach über zwei Stunden war ich wieder zuhause und bestellte etwas nölig online meinen Tee. Aber weil jetzt wieder Nachschub in Sicht war, kochte ich mir gleich die zweite Kanne des Tages. Und abends kamen dann auch noch die Layouts, die ich heute volltexten werde.

Gestern twitterte @GillyBerlin einen Werbespot, der gnadenlos Weihnachten gewinnt, weil er eben keine schnulzige Story erzählt.

Die Konkurrenz (?) hat übrigens einen ähnlichen Spot.

The Cloying Fantasia of “The Marvelous Mrs. Maisel”

Endlich sagt es mal jemand (und natürlich ist es meine liebste TV-Kritikerin Emily Nussbaum): Mrs. Maisel ist nerviger Kram. Ja, hübsch, aber trotzdem nervig.

„Last year, “The Marvelous Mrs. Maisel” was a boffo hit for Amazon and for its top-hatted creator, Amy Sherman-Palladino. The series swept the Emmys. It sent shivers of delight up the spines of vintage-shoppers everywhere. Lusciously art-directed, from Midge’s classic six to her kitten heels, the production landed at an ideal moment, tapping into a desperation—particularly among women—for something sweet and inspiring. No more “Handmaid’s Tale,” no more pussy-grabbing. “Mrs. Maisel” offered a bright-pink escape hatch from 2017.

I craved such an escape myself—but I was also mystified by the show’s reception, because the first season struck me as both treacly and exhausting. This was true despite its having a premise that was so far up my alley it was practically chopping onions in my kitchen: a Jewish girl does standup comedy in the late nineteen-fifties in New York, when Joan Rivers first rose to fame. And, in fact, the show’s heroine, played by Rachel Brosnahan, is—exactly like Rivers was—a college-educated rich girl in her twenties, who is forced to move back home after her marriage blows up. When Midge enters show biz, her shtick, just like Rivers’s was, is to dress for a date, in a black dress and pearls, then free-associate truths about women’s lives. As with Rivers, the radical “sick” comic Lenny Bruce is Midge’s inspiration—and, in the show, Bruce (Luke Kirby) becomes her mentor. (In real life, after Rivers once bombed, Bruce left her a note: “You’re right, they’re wrong.” She kept it in her bra, for luck.) […]

Many people found this fantasy invigorating. For me, it felt grating, and not just in terms of verisimilitude—the verbal anachronisms (“totally”), the sitcom clams (“Good talk!”), the cloying Disneyfication of Midge’s Jewish family—but in its central psychology. In “The Marvelous Mrs. Maisel,” sexism exists. But it never gets inside Midge. Her marvellousness comes from the fact that she’s immune, a self-adoring alpha whose routines feel like feminist ted talks, with some “fucks” thrown in. Brosnahan delivers them with moxie, but they’re rarely funny. They’re also the opposite of Rivers’s act, which relied on the tension between looking pretty and calling herself a dog—provoking taboo laughs from the revelation that even this nice girl felt like a loser, desperate, unfuckable.“

Tagebuch Montag, 10. Dezember 2018 – Mall Walking

Da meckert man zuerst ewig über das aufdringliche Verkaufspersonal im Einzelhandel, das einen nie in Ruhe gucken lässt, dann kauft man nur noch online, weil die Auswahl größer ist und einen niemand nervt, und dann sitzt man plötzlich nach gefühlt zehn Jahren Abstinenz wieder in einem Schuhladen und wundert sich, dass sich niemand um einen kümmert. Das haben wir ja schön hingekriegt.

Meine halbhohen Winterstiefel zum Schnüren sind arg in die Jahre gekommen und zudem ziemlich schwer. Da mein doofer rechter Fuß aber ohne Hilfe schon nicht in Stiefeletten reinkomt – ich kann diese komische gewundene Reinschlüpfbewegung nicht machen – und mein dicker Körper gefühlt an den Waden am meisten Fett angelegt hat, sind Winterschuhe meine persönliche Einkaufshölle. Stiefel sind seit Jahren komplett raus aus den genannten Gründen. Stiefeletten habe ich oft genug anprobiert (also nachdem ich sie im Interweb bestellt hatte) und nölig zurückgeschickt, weil der Reißverschluss nicht mit meinen Waden klarkommt oder mein Fuß nicht mit allem und ach es ist ein Kreuz und daher habe ich dieses Problemfeld so lange wie möglich ignoriert. In normalen Wintern muss ich eh nie so lange vor die Tür, dass mir die alten Stiefel wirklich Stress machen; ich brauche kein Schuhwerk für die Alpen bei Tiefschnee, ich brauche nur irgendwas, mit dem ich an der Bushaltestelle nicht friere. Beim letzten Stadionbesuch habe ich allerdings missmutig festgestellt, dass das Futter meiner alten Stiefel anscheinend jetzt wirklich die Arbeit eingestellt hat, mir wurde trotz Thermosocken etwas kalt an den Füßen. Also: neue Winterschuhe.

Online wurde ich nirgends fündig, auch weil ich online schlicht nicht sehen kann, ob die Schäfte weit genug sind. An den hübschen Modelwaden haben sie immer noch gefühlt zehn Zentimeter Spiel, an meinen sieht das erfahrungsgemäß sehr anders aus. Natürlich gibt es Stiefel mit weiten Schäften oder Fußbetten, aber deren Auswahl ist noch winziger als die von anderen Schuhen. Und nach drei, vier Jahren sinnlosem Zurückschicken habe ich mich jetzt in mein Schicksal gefügt, Schuhe anscheinend wirklich anprobieren zu müssen, bevor ich sie kaufe. Außer Sneaker, weswegen ich die weiter online kaufe, noch nie was zurückschicken musste und immer gerne trage.

Ich wühlte mich also durch einige Websites von Schuhgeschäften, die ich in München finden könnte. Meist war die Auswahl akzeptabel, einige hatten sogar einen Storefinder, bei dem man nachschauen konnte, ob das gewählte Paar in der gewählten Größe in einem Laden in der Nähe vorhanden ist, was ich ziemlich nett fand. Dafür stehen auf Websites aber auch scheußliche Dinge wie: „Egal zu welchem Anlass, ein neues Paar Schuhe von [Firma] lässt Frauenherzen höher schlagen und auch das Damenschuhe kaufen soll schon das eine oder andere Glücksgefühl in einer Frau ausgelöst haben .“ (Interpunktion wie im Original), was mich in dem Wunsch bestärkte, in dem Laden schon mal nicht einkaufen zu wollen. Ich wollte nun aber auch nicht die ganze Kaufingerstraße runterlatschen, vor allem, weil da gerade Weihnachtsmarktbuden rumstehen, und deswegen entschied ich mich für das Olympia-Einkaufszentrum. Das ist in meinen Augen eher etwas schraddelig, aber immerhin stehen einem keine Glühweinnasen im Weg.

Ich hatte online nachgeschaut, wo die Geschäfte waren, in die ich gehen wollte/musste, kletterte in eine U-Bahn, stieg einmal um, musste 30 Meter frische Luft zwischen U-Bahn-Ausgang und Mall-Eingang überwinden und befand mich dann in der klimatisierten – vulgo: zu warmen – Einkaufspassage. Den ersten Laden fand ich auch sofort, wollte aber eigentlich zunächst im anderen nachschauen. Den fand ich allerdings nicht da, wo ich ihn mir gemerkt hatte. Netterweise stehen überall große Touchscreens rum, an denen man suchen kann, wo welcher Store ist, aber ich hatte irgendwie Lust, ein bisschen rumzulaufen. Es war nicht sehr voll, und so latschte ich sinnlos an Läden und Fressbuden vorbei und erinnerte mich an meinen ersten USA-Urlaub, wo Karl und ich auch sinnlos durch eine Mall gegangen waren, einfach weil er mir das Mall Walking zeigen wollte, was ich damals genauso seltsam fand wie heute. Als ich in Berlin gebucht war (2008/2009), lief ich ab und zu durchs Alexa, aber das war mir immer zu eng und zu voll. Nach kurzer Zeit fand ich den zweiten Laden, drehte aber noch eine Runde, ging dann zu ihm zurück – und fand nichts, was mir irgendwie hübsch vorkam oder passend oder bezahlbar. Ich wühlte gut zehn Minuten durch alle Regale, war auch irgendwann bei den Herrenschuhen (soll ja auch Männer mit kleinen Füßen geben) und spätestens da hätte ich gedacht, dass mich mal jemand anspricht, aber nichts. Ich habe auch nicht irre viel Personal gesehen, vielleicht sind Verkaufsgespräche auch gar nicht mehr en vogue.

Ich ging zum zweiten Laden, wo noch weniger Personal unterwegs war; ich sah nur jemanden an der Kasse und eine Dame, die Kartons in Regale räumte, bis ihr ein weiterer Kollege recht atemlos zu Hilfe kam. Es war kurz nach 11 Uhr, und er erzählte, dass er wegen des Streiks erst jetzt hatte kommen können. Ach stimmt, da war ja was. Lag es daran, dass gestern so wenig los war? Ich ging auch hier von allen unbehelligt durch die Regale und fand bei der zweiten Runde endlich ein Paar, bei dem ich nicht sofort zurückzuckte. Es hatte nicht die Farbe, die ich haben wollte, aber: Die halbhohen Stiefel konnte ich weit genug aufschnüren, um problemlos, also mit Hilfe eines Schuhanziehers, hineinzuschlüpfen, und durch die Schürsenkel hatte ich auch genug Spielraum für meine Waden und musste nicht mit einem Reißverschluss kämpfen. Warm schien ihr Futter auch zu sein und gut rumlaufen konnte ich auf zehn Metern Ladenfläche auch. Okay, dann habe ich jetzt halt blaue Stiefel statt schwarze. Mir ist Kleidung immer noch bemerkenswert egal.

Nicht mal an der Kasse musste ich meinen Standardsatz „Nein, ich brauche wirklich kein Imprägnierspray dazu“ aufsagen, aber immerhin hatte ich da menschlichen Kontakt. Und beim Verlassen des Ladens wurde mir vom atemlosen Kollegen auch noch ein schöner Tag gewünscht. Der hatte ein paar Minuten vorher einer Kundin die Auskunft gegeben, sie möge in ein paar Tagen doch nochmal vorbeischauen, vielleicht sei ihr gewünschtes Paar Schuhe dann in ihrer Größe da, auf die Bestellungen hätten sie leider keinen Einfluss. Das kommt mir arg seltsam vor, dass die Filiale der Kette nicht selbst entscheidet, was sie ordert. Ist das so? Haben wir mit unseren Onlinekäufen Offlinekäufe noch schwieriger gemacht als sie es eh schon waren, weil jetzt vielleicht nur noch im Laden steht, was auch online gut weggeht? Keine Ahnung.

Auf dem Nachhauseweg Bücher im Buchladen bestellt. Immerhin da habe ich mein Einkaufsverhalten schon vor Längerem geändert.

Ich kann mit beiden Listen nur bedingt etwas anfangen, aber vielleicht ja ihr: 15 Books to Read by Black Female American Writers (NYT Magazine) und Das sind die besten Wirtschaftsbücher von Frauen (Handelsblatt). #frauenlesen

Tagebuch Sonntag, 9. Dezember 2018 – Vormittags-, Mittags-, Nachmittagsschlaf

Den Morgen vergammelten wir gemeinsam im Bett, bis F. leider los musste. Ich räumte den Rest der Samstagabendfeier auf oder weg, spülte ein paar Gläser nach, die dem Geschirrspüler anscheinend zu anstrengend gewesen waren, schüttelte die Tischdecke auf dem Balkon aus und machte aus dem Esszimmer wieder ein Arbeitszimmer.

Dann nahm ich mir vor, auf dem Sofa zu lesen, nickte aber quasi weg, sobald mein Hintern eine weiche Unterlage hatte. Nachmittags arbeitete ich ein bisschen, genoss den kleinen Rest der Kürbissuppe von vorgestern und dachte, dann geh ich halt jetzt lesen – und schlief wieder ein. Abends wollte ich dann die Salatreste verputzen, die noch ohne Dressing rumstanden. Dazu wollte ich mir wieder eine Mayonnaise anrühren, denn das hatte ich ja jetzt perfekt drauf.

Etwas später als gedacht, aber mit totalem Lerneffekt, genoss ich dann mal wieder Caesar Salad. Zum Lesen hatte ich jetzt keine Lust mehr, also gammelte ich vor Amazon Primes Videoladen rum und ging zeitig ins Bett, wo ich noch anderthalb Seiten schaffte, bevor mir die Augen zufielen.

Aber jetzt kann ich endlich ein Zitat aus dem zweiten Kapitel meiner derzeitigen Lektüre anbringen, über das ich seit Tagen grinse, weil es so spezifisch ist: „Als junger Wissenschaftler hatte [Sigmund] Freud sich ganz der experimentellen, empirischen Arbeit gewidmet. Sein Spezialgebiet waren die Hoden von Aalen.“

(Aus: Philipp Blom: Der taumelnde Kontinent: Europa 1900–1914, München 2009, S. 74.)

Es war noch nie so aufregend, einfach und billig, einen Einstieg in die klassische Musik zu finden

Gabriel Yoran schreibt darüber, wie er als Kind nölig den Klavierunterricht aufgegeben hat und sich als Erwachsener nun Klassik per Streaming neu erschließt. Das ganze ist eine Serie bei den Krautreportern, dieser Artikel ist (heute noch?) kostenlos zum Anfixen lesbar. Hat bei mir funktioniert, ich habe mir mal einen Probemonat gegönnt.

„Ist Klassik nicht das, was einem schon als Kind im Musikunterricht ausgetrieben wird? Peter und der Wolf, Peter und der Wolf, noch ein Peter, noch ein Wolf. Klassik ist auf jeden Fall das, wo man nicht weiß, ob man klatschen darf oder nicht. Klassikkonzerte sind schweineteuer, und die Musik ist völlig überholt. Außerdem hab ich keine passenden Klamotten. Und dies sind nur einige wenige der Ressentiments, auf die ich gestoßen bin, als ich mich für diesen Beitrag umgehört habe.

Die Klassikszene ist nicht ganz unschuldig an dieser Wahrnehmung, aber elitäres Gehabe ist kein Spezialproblem der Klassik. Frag mal jemanden, der sich damit auskennt, ob dies oder das noch Hip-Hop ist oder schon Pop, der wird dir auch was erzählen. Die Grenzen zwischen den Genres werden überall streng bewacht. Das Kennergehabe ist im Techno mindestens so schlimm wie in der Klassik, und die Türpolitik ist im Berghain strenger als in der Philharmonie.

Dennoch ist die Klassik kein Breitensport. Klassikhörer haben höhere Bildungsabschlüsse und verdienen im Schnitt mehr als der Durchschnitt. Der Zusammenhang ist relativ klar: Klassik hören kostet Zeit. Man kann es schlecht nebenher machen, zumindest nicht so richtig. Wer also kaum Freizeit hat, weil Arbeit und Familie einen voll in Anspruch nehmen, wer also keine Muße aufbringen kann, für den wird es schwer mit der Klassik.“

Im zweiten Teil seiner Serie (hinter der Paywall, glaube ich) hört Yoran dann auf mit der Theorie und verlinkt einen Zweiminüter von Chopin, den man sich bitte zweimal anhören soll. Warum, erklärt er auch:

„Denn wenn du einen etwas anderen Weg in die klassische Musik suchst, gibt es mehr Angebote denn je, zum Beispiel die Veranstaltungen professioneller Musikvermittler wie Arno Lücker. Lücker moderierte acht Jahre lang die Reihe „Zwei mal hören“ am Konzerthaus Berlin. Dort werden Stücke zwei Mal gespielt und dazwischen eine knappe halbe Stunde darüber gesprochen. Lücker sagt, man sieht dem Publikum die gesteigerte Intensität beim zweiten Mal Anhören förmlich an. Und genau darum geht es: die Intensität des Zuhörens zu vergrößern.“

Das war ein ganzer Sack voll Groschen, die bei mir gefallen sind. Klar kenne ich auch genug klassische Stücke, die ich mehrfach gehört habe und immer wieder höre, hauptsächlich Opern, jahrelang Wagner, inzwischen düfte Puccinis Turandot mein meistgehörtes Stück sein, vor allem der erste Akt mit seinen fetten Chören und der schönsten Arie aller Zeiten (das hier ist die Aufnahme, die in meinem iTunes-Ordner liegt). Aber auf die Idee, neue Stücke mehrfach zu hören, komme ich selten. Ganz schön doof, denn ich weiß aus der Malerei natürlich, dass sich ein Werk einem immer mehr öffnet oder sich erschließt, wenn man mehrfach draufguckt. Ich bin gespannt auf Yorans weitere Vorschläge.

Was schön war, Samstag, 8. Dezember 2018 – Für Gäste kochen

In den letzten Jahren hatte ich kaum Gäste. Ein paar Mal saßen Kommilitoninnen an meinem Küchentisch, um zu arbeiten, ein, zwei Mal lud ich enge Freunde ein, aber nie mehr als zwei auf einmal, weil sonst die Küche überfüllt gewesen wäre. Richtig gekocht, also richtig im Sinne von „drei Gänge und aufwärts“ habe ich nur für zwei Herren. Für F. schleifte ich sogar mal den Küchentisch in mein damals einziges Zimmer, weil ich es so doof fand, ihn in der Küche zu bewirten.

Küche ist Küche, Esszimmer ist Esszimmer. Alltags am Küchentisch rumlungern: hervorragend. Wenn Gäste da sind: suboptimal, vor allem weil selbst bei drei kleinen Gängen halt viel Zeug und Zutaten und Teller rumliegt und rumstehen, was nach Arbeit und nicht nach entspanntem Beisammensein aussieht. In meiner neuen Wohnung habe ich immer noch kein Esszimmer, aber wie ich gestern erfreut feststellen durfte: Mit einer Decke drüber sieht mein schlichter Schreibtisch plötzlich aus wie ein Esstisch. Und da Luise im Arbeitszimmer hängt, vier Stühle um den Tisch passen und da auch noch ein bequemes Sofa steht, hatte ich plötzlich ein temporäres, atmosphärisch hübsches Esszimmer.

Zu essen gab es drei vegetarische Gänge, von denen ich wusste, dass sie funktionieren und zusammenpassen. Die neue Küche und die neue Bewirtungssitation waren schon Unbekannte genug, da wollte ich wenigstens was auf dem Herd, im Ofen und im Kühlschrank haben, über das ich nicht viel nachdenken musste. Und es konnten auch alle Gäste alles mitessen, was ja generell eine gute Idee ist. Vorneweg gab’s meine geliebte Kürbissuppe, danach eine Ziegenkäsetarte mit karamellisiertem Knoblauch plus Salat dazu, und als Nachtisch Himbeer-Cantuccini-Parfait, das ich mal nicht in eine Kastenform gegossen hatte, sondern in lustige Silikonformen. Anrichten kann ich immer noch nicht, aber endlich habe ich mal diese Formen benutzt, die auch seit Jahren bei mir rumliegen.



Ich habe es sehr genossen, wieder etwas länger zu kochen und vorzubereiten. Beim Parfait nahm ich nicht wie sonst den Mixer, sondern mal brav den Schneebesen, genau wie vor ein paar Tagen bei der Mayonnaise und ich behaupte natürlich, dass die Konsistenz des fertigen Desserts besser war als vorher. Bei der Tarte verließ ich mich weniger auf die Minutenangaben im Rezept, sondern auf meine Erfahrung von den letzten Malen der Zubereitung und auf meine Sinne: Sieht es richtig aus? Duftet es so, wie es soll? Und: zwischendurch mal probieren. An die Suppe kam deutlich mehr Salz als sonst, die Tarte blieb länger im Ofen als sonst, und ich war mit allem sehr zufrieden.

Es war schön, wieder Zeit auf Dinge aufzuwenden, von denen ich ein bisschen Angst hatte, sie wären mir in der kleinen Wohnung entglitten. Ich war oft so genervt von dem wenigen Platz, den ich oben hatte, dass ich lieber eine Pizza orderte als sie selbst zu machen, obwohl das zeitlich ungefähr auf dasselbe rauskommt. Meiner Empfindung nach habe ich in der kleinen Wohnung seltener gekocht und auch weniger aufwendig als vorher in Hamburg, und ich befürchtete, dass mir der Spaß an der Sache irgendwie abhanden gekommen wäre. Diesen Gedanken kann ich jetzt beruhigt abhaken: Das war eine große Freude, wieder für mehr Personen als nur mich oder nur F. und mich zu kochen, selbst wenn wir nur zu viert waren und der größte Teil meines Geschirrs noch bei meinen Eltern liegt, was ich schmerzlich bei den kleinen Dessertellern gemerkt habe. Ich habe aber jeden Handgriff genossen, weil er mal wieder bewusst war, und mich über jeden gefreut, weil ich gemerkt habe, dass ich mich eben freue. Ich war den Abend über sehr entspannt, was natürlich auch an den charmanten Gästen gelegen hat, und wusch ebenso entspannt um ein Uhr morgens noch ab. Das hat sich anscheinend auch nicht geändert: Ich will morgens nicht in eine verdreckte Küche kommen.

Alles zusammen hat sich wieder ein bisschen wie das alte Leben angefühlt, nur in einer anderen Stadt und mit anderen Menschen und anderen Gesprächsthemen. Also das alte Leben in anders. Das war schön.

Tagebuch Freitag, 7. Dezember 2018 – Fusseltag

Zu lange im Bett geblieben, Blei in den Knochen, ich wollte nicht aufstehen.

Dann zu lange gebloggt. Also zu lange im Sinn von „Das passt jetzt eigentlich gar nicht mehr in meinen Zeitplan“. Aber das wollte ich dann doch mal wieder aufschreiben, wie glücklich Kochen und Essen machen.

Nun aber endlich: in Ruhe Kaffee trinken und losarbeiten. Da meldete sich F., der einen besonderen Mittagsplan hatte (aus Gründen, wie wir im Interweb sagen), was dazu führte, dass ich meinen Kaffee recht hastig (und viel zu spät) trank und um 11.30 Uhr im Block House saß, das erste Mal im Block House in München. Seit Jahren wollte ich da hin, weil ich es aus Hannover und Hamburg mit guten Erinnerungen verbinde. Das gestern war allerdings nix: Mein Steak verdiente seinen Namen nicht so recht, auch die Pommes hatte ich schon besser, das Knoblauchbrot ist allerdings immer top, das habe ich noch nie so hinbekommen, ich liebe es. Der Service war toll, man sitzt da gut, alles hübsch, aber als wir draußen waren, hatte ich das Gefühl, dass das mein Abschiedsessen von dem Laden war. Gibt bessere Steakhäuser. Seufz.

Für den Nachmittag hatte ich mir eine etwas ausgedehntere Einkaufstour vorgenommen (aus Gründen, wie wir usw.), aber wo ich jetzt schon mal draußen vor der Tür war, erledigte ich das halt sofort. Als kleiner Maulesel kam ich zurück, holte die Zeitung aus dem Briefkasten und warf sie, genau wie die der letzten Tage, gleich ins Altpapier, ich habe gerade keine Lust auf Zeitunglesen. Vielleicht doch das Abo kündigen?

Mit vier Stunden Verspätung saß ich dann endlich am Schreibtisch und arbeitete, bevor ich abends zu kochen begann, denn heute abend habe ich Gäste. Vielleicht weiß der eine Gast jetzt auch schon, was es zum Nachtisch gibt, denn das hatte ich natürlich vergessen, dass er auf Twitter mitliest, als ich mich kurz hysterisch auskotzen musste.

How Cory Booker’s “Baby Bond” Proposal Could Transform the Reparations Debate

Im Artikel geht es um den Demokraten Cory Booker, der vermutlich irgendwann mal Präsidentschaftskandidat wird. Irgendwo mittendrin verbarg sich aber eine Zahl, die mich fassungslos machte und die die systemische Ungleichheit zwischen Schwarz und Weiß in den USA unterstreicht:

„There was a deeper inequity that those programs could not touch, Booker went on, which was that “wealth disparities in our country are growing and growing,” and they are particularly acute between whites and blacks. The average black family has wealth of about seventeen thousand dollars, while the average white family has wealth of about a hundred and seventy thousand dollars, according to William Darity, a professor of public policy at Duke. During the Obama Administration, Darity concluded that his preferred remedy, direct reparations to African-Americans, was not politically feasible. So he and a colleague, Darrick Hamilton, of the New School, began modelling a proposal to provide a trust account to each American child. The idea had been kicking around in liberal policy circles for years—Gordon Brown implemented a version in the United Kingdom, and Hillary Clinton proposed one in a speech in September, 2016—but Darity and Hamilton wanted a “birthright endowment” big enough to begin to reduce the wealth gap and its adverse effects on African-Americans. They tilted it so that vast benefits would flow to the children of the poorest Americans, allowing them to pay for college or a new home, and only modest ones to the richest. They developed a program that could meaningfully change the distribution of wealth in the United States.“

17.000 im Vergleich zu 170.000. Es verdeutlicht, warum dieses geplante Startguthaben so einen Unterschied machen würde:

In the “baby bond” proposal that Booker announced as a bill this fall, the government would create a trust account containing a thousand dollars for each infant. Each year, the Treasury would add as much as two thousand dollars, depending on the child’s household income, so that by adulthood the children of the poorest families would have a nest egg of nearly fifty thousand dollars. The money could be withdrawn only to buy a house or to pay for higher education or professional training. Booker estimated the cost of the proposal at sixty billion dollars a year, and said that he planned to pay for it by, among other things, raising estate taxes back to their 2009 levels and then raising taxes on the largest inherited fortunes—those of more than eighty million dollars—further still. Democratic policy has long taxed the wealthy to pay for social programs (schools, health care, jobs training) that enable social ascent; Booker is proposing a more direct conversion of wealth of the rich into wealth for the poor. His plan is not as precisely targeted toward people of color as it might be: because the federal government cannot determine the value of the assets held by any given American family, the amount children receive is determined by their parents’ wages, a scale on which black families tend to appear better off than they actually are. Even so, Booker’s staff has calculated that the average white child would accrue about fifteen thousand dollars through the program, and the average black child would gain twenty-nine thousand dollars—making it the largest asset for most black families.“

Hear the Sounds of Wind on Mars, Recorded by NASA’s InSight Lander

Selbsterklärende Überschrift. Mal dem Mars lauschen. Ich finde es irrwitzig. Und die Geräusche unheimlich, vor allem die zweite Klangprobe.

Tagebuch Donnerstag, 6. Dezember 2018 – Krampus und Caesar Salad

Der Tag begann damit, dass ich überrascht und freudig feststellte, dass in meinen Sneakers an der Eingangstür ein Schokonikolaus steckte, der seinen Kumpel Krampus aus Wien mitgebracht hatte. Also eigentlich hatte F. beide aus Wien mitgebracht, der kleine Racker, und von mir unbemerkt in meinen Schuhen deponiert. Das war ein schöner Tagesanfang.

Gearbeitet, rumgepuzzelt, in Salz. Fett. Säure. Hitze. das Salz-Kapitel zuende gelesen, das ich vorgestern begonnen und in dem ich bereits mein Mittagessen für gestern gefunden hatte.

Caesar Salad ist mein absoluter Lieblingssalat. Ich glaube, ich habe kein Essen, auch wenn es noch so unfotogen ist, so oft geinstragrammt wie diesen Salat, weil er einfach immer gut ist, egal wie huschig ich ihn zubereite. Okay, eigentlich ist er eine Entschuldigung, um einen Berg Knoblauchcroutons zu essen, aber das behalten wir einfach mal für uns.

Im Salz-Kapitel tauchte nun genau dieser Salat als Lernvorlage auf: Man sollte an ihm bzw. seinem Dressing ausprobieren, wie man Salz schichtet, also wie man verschiedene salzige Zutaten zusammen verwendet und wie anders alles wird, je nachdem was man hinzufügt. An diesem Dressing sollte man auch Abschmecken üben.

Ich koche jetzt seit fast zehn Jahren halbwegs regelmäßig – oft genug reicht auch ein Sandwich zum Abendessen, das ist nicht Kochen –, aber ich habe immer noch das Gefühl, keine Intuition für die Sache entwickelt zu haben. Ich befolge Rezepte ziemlich sklavisch, weil ich meist nicht wüsste, was ich ändern sollte außer vielleicht Dinge wegzulassen, die ich nicht mag oder die ich gerade unnötig finde (meistens Fleisch). Ich behaupte, ich habe mir gewisse Grundfertigkeiten beigebracht, aber ich koche sehr oft das Gleiche, weil ich weiß, dass es funktioniert. Mir fehlt (noch?) die Fähigkeit, aus dem Gelernten etwas Neues zu machen. Also anders als an der Uni, wo einem auch niemand die Hausarbeiten schreibt, man aber die Grundfertigkeiten beigebracht bekommt (wo ist die Bibliothek, wie funktioniert sie, wie finde ich einen Aufsatz). Da habe ich recht schnell kapiert, wie ich aus Bauklötzen ein Haus bauen kann, vor allem, weil ich so viele andere Aufsätze lesen musste, um selber welche zu schreiben.

Genauso habe ich eigentlich gewisse Grundlagen beim Kochen drauf, aber ich bekomme die Einzelteile noch nicht selbständig zu etwas Neuem gepuzzelt. Deswegen gucke ich so gerne Kochshows wie Masterchef, wo die Kandidat*innen beispielsweise eine Grundzutat vorgegeben bekommen und daraus was zaubern müssen. Ich bin jedesmal wieder davon erstaunt, was man alles aus, keine Ahnung, Tomaten machen kann außer Suppe, Salat und dem Klassiker „zwei Scheiben davon aufs Käsebrot“. Deswegen habe ich mich gestern so über die verkohlten Zwiebeln gefreut: Ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie bewusst anzubrennen, weil ich die Grundfertigkeit „mit starken Aromen arbeiten“ schlicht noch nicht drauf habe.

Auch von Masterchef gelernt habe ich solche simplen Dinge, über die alle geübten Köch*innen vermutlich gutmütig mit den Augen rollen, wie: Jedes Gericht sollte verschiedene Texturen haben oder unterschiedliche Aggregatzustände, damit der Mund sich nicht langweilt. Also knackig plus schmelzig. Oder fest und weich. Oder auch mild und scharf sowie heiß und kalt. Ich habe mal als Schreibtipp gelesen, sich seine Lieblingsbücher analytisch vornzunehmen, um herauszufinden, warum genau sie die Lieblingsbücher sind, damit man daran seine eigenen Geschichten orientieren kann. Das versuche ich seitdem auf meine Lieblingsgerichte anzuwenden: Warum schmecken mir manche Dinge besser als andere? Ich mag zwar die mummelige Gleichförmigkeit von Spaghetti Carbonara (gleiche Temperatur und Mundgefühl aller Zutaten, alles recht salzig), aber ich mag genauso die Wundertüte Salade niçoise (warm und kalt, weich und fest, Geschmäcker von mild bis salzig). Generell war ich erstaunt darüber, dass ich beim Nachdenken über Lieblingsgerichte doch eher an salzige als an süße dachte – vermutlich weil letztere einfach nur das sind: süß. (In diesem Zusammenhang: Hände weg von Schokolade, die ist perfekt so wie sie ist! Das Grauen von Chili-Schokolade!)

Zusammengefasst: Ich würde gerne etwas strukturierter meine Kochfähigkeiten ausbauen. Da ich körperlich keine Kochausbildung mehr hinkriege und ich auch keine Lust auf VHS-Kurse mehr habe, erhoffe ich mir von Büchern wie Salz. Fett. Säure. Hitze. ein bisschen mehr Grundwissen, das ich schlicht übersprungen habe beim Rezeptekochen, und damit verbunden mehr inneres Handwerkszeug, um nicht immer das Gleiche einzukaufen und daraus immer das Gleiche zu kochen.

Deswegen fand ich es reizvoll, einen Caesar Salad neu zu lernen, gerade weil ich den schon so oft gemacht habe – so konnte ich vergleichen. Es ging im Buch nicht darum, die Romamasalatblätter besonders schick zu schneiden oder wie man aus Brot Croutons macht, das habe ich so gemacht wie immer. Es ging stattdessen darum, das Dressing von Grund auf zu verstehen. Das Buch gibt keine Mengenangaben vor (wieviel Worcestersauce, wieviel Parmesan, wieviele Sardellen?), sondern sagt nur: Probier mal aus, davon was zur Majo zu geben. Dafür gab es eine Mengenangabe, die mir auch noch nicht bekannt war: 175 ml Öl auf ein Eigelb. Ich hatte gefühlt nur recht kleine Eier und benutzte daher erstmal 150 ml, aber das war zuwenig, wer hätte es gedacht. Mayonnaise habe ich bisher mit dem Pürierstab gemacht und mich auch da an Rezepte gehalten. Dieses Mal griff ich zu Schüssel und Schneebesen. Alleine das war toll, weil es sich danach angefühlt hat, Grundlagen zu erlernen. Erstmal die Basics verstehen, dann kannst du immer noch zum Zauberstab greifen.

Ich begann also mit dem Mise en Place (auch so eine schöne Grundfertigkeit), was auch im Buch beschrieben wird: Parmesan reiben, Sardellen zerdrücken, Knoblauch mit einer Prise Salz zerreiben, Salz in ein Gefäß schütten, aus dem man mit den Fingern salzen kann, Worcestersauce aufschrauben (das letzte fand ich besonders schnuffig). Für die Majo: eine Zitrone auspressen und Essig bereitstellen. Ich wunderte mich, dass kein Senf verlangt war und googelte erstmal nach: Nein, es muss kein Senf in eine Majo, aber der gibt von Anfang an etwas Säure und Schärfe dazu. Genau das wollte ich ja aber selbst in der Hand haben. Also: Senf wieder in den Kühlschrank stellen, aus dem ich ihn schon vor längerer Zeit geholt hatte, denn immerhin wusste ich schon, dass alle Grundzutaten die gleiche Temperatur haben sollten. Und da ich Eier und Öl nicht im Kühlschrank aufbewahre uswusf.

Ein Salztöpfchen habe ich mir schon vor längerer Zeit angewöhnt, die anderen Handgriffe kannte ich auch, wobei ich das Zerreiben des Knoblauchs mit meinem großen Kochmesser sehr genoss. Auch eine Sache, die bei mir ein bisschen gedauert hatte: mich an große, scharfe (teure) Messer ranzutrauen und nicht immer das kleine Supermarktmesser für alles zu benutzen.

Jetzt aber: ein Eigelb in eine breite Schüssel aufschlagen, das Sonnenblumenöl abmessen und in ein Gefäß umsiedeln, aus dem man kontrollierter gießen kann als aus der wabbeligen Plastikflasche. Aus einem feuchten Handtuch einen Ring basteln, auf dem die Schüssel fest steht (schon was gelernt!). Und dann ganz langsam Öl zum Ei geben und mit dem Schneebesen zügig verschlagen. Das ging besser und schneller als ich dachte! Als ich eine schöne Masse vor mir hatte, ging es ans Abschmecken. Zum ersten Mal schmeckte ich ungewürzte Majo, die quasi nur aus Mundgefühl besteht (Fett halt). Ich gab vorsichtig Zitronensaft hinzu und wusste sofort: Da geht noch was. Noch ein bisschen Saft für die Frische, dann ein bisschen Essig für eine kleine saure Schärfe. Und jetzt das Salz.

Zunächst gab ich den Knoblauch dazu und schmeckte seine ziepende Schärfe sowie das Salz, mit dem ich die Zehe verrieben hatte. Dann die Sardellen, die deutlich weniger fischig waren als ich sie erwartet hatte. Sie gaben der Masse eine gewisse fleischige Tiefe. Vor der Worcestersauce hatte ich vermutlich zuviel Respekt, mit der koche ich nie, das war die einzige Zutat, für die ich gestern einkaufen gehen musste, Rest war im Haus. Deswegen war ich bei ihr sehr memmig und habe sie auch nicht wirklich herausgeschmeckt. Nächstes Mal. Der Parmesan kam extrem geschmeidig und mit winzigen Salzspitzen dazu, und erst zum Schluss gab ich reines Tafelsalz in die Masse. Ich wollte noch ein bisschen mehr Parmesan und dann war ich zufrieden und von dieser simplen Tätigkeit schon sehr beeindruckt. Alleine bewusst zu merken, wie unterschiedlich salzig salzige Dinge schmecken, fand ich spannend und hoffentlich für die Zukunft hilfreich.

Der letzte Test aus dem Buch: ein Salatblatt durchs Dressing ziehen und gucken, ob alles zusammenpasst. Das passte so gut, dass ich gleich den ganzen Romanakopf in die Schüssel tunken wollte, aber ich beherrschte mich brav und zerschnitt den Kopf, während die Croutons in der Pfanne rumknisterten. Der fertige Salat war dann wie immer ein Genuss, und damit verbanne ich mein bisheriges Dressing aus Crème fraîche, Olivenöl und Zitronensaft nach Sibirien.

Die Mayonnaise steht da nur, damit ich mit ihrer perfekten Konsistenz angeben kann. In die habe ich abends einfach Weißbrot gestippt, so lecker war sie (die Majo, nicht die Konsistenz).

Tagebuch Mittwoch, 5. Dezember 2018 – Kochfreuden und ein salzigfettiges Dankeschön

(Zuerst sollten das hier zwei Posts werden, ein Rezept und ein Dankeschön, aber dann fiel mir auf, dass beides gut zusammenpasst. Du musst die Regeln (deines Blogs) kennen, um sie zu brechen. Alte Weisheit der amerikanischen Ureinwohner.)

Vormittags Zeug weggearbeitet, dann von jetzt auf gleich nichts mehr zu tun gehabt und eine neue Folge Masterchef – The Professionals geguckt. Dabei wieder an eine meiner Lieblingsgarnituren in englischsprachigen Kochshows der letzten Jahre gedacht: charred onions, also Zwiebelhälften, deren Ränder verbrannt sind. Sieht superschick aus, hatte ich noch nie gemacht. Jetzt war Zeit da, Mittag war auch schon rum, also ab an den Herd. Und das kam dabei raus:

Sieht unspektakulärer aus als es geschmeckt hat. Im Nachhinein überlege ich, ob ich einen dunkleren Teller hätte nehmen sollen, aber ich mochte gerade die Zartheit der Farben so gerne. Ich übe das auch nach zehn Jahren Kochen noch, dieses Anrichten und Ablichten.

In der Mitte: Pommes Anna. Die hatte gerade jemand bei Masterchef produziert, sonst hätte ich mein übliches schlotziges Gratin mit Sahne gemacht. Pommes Anna gehen ähnlich, aber mit Butter. Für eine Portion habe ich drei mittelgroße Kartoffeln geschält, 3 mm dünn gehobelt und dann brav mit einem Ausstecher alle Scheibchen in die gleiche Größe gebracht. (Wenn Sie das bitte würdigen könnten? Die Reste werfe ich mir übrigens gleich für ein Frühstücksrösti in die Pfanne.) Dann habe ich um die 50 g Butter so halb geklärt: Ich habe sie geschmolzen und den Schaum abgeschöpft, aber nicht mehr abgegossen (vergessen). In einer feuerfesten, gefetteten Form platzierte ich meinen schönen metallenen Servierring, in den ich die Kartoffelscheibchen stapelte: immer eine Schicht einlegen, ordentlich salzen, ein bisschen pfeffern und mit ein bisschen Butter beträufeln. Zum Schluss restliche Butter darüber geben und bei 200 Grad backen, bis die oberste Schicht gebräunt ist. Das waren bei mir ungefähr 25 Minuten. Und wenn ich auch noch den Ring gefettet hätte, hätte ich das schöne Türmchen vielleicht auch heile aus ihm heraus bekommen. Mpf.

Die grünen Tupfer sollten eigentlich Petersilienöl sein, auch schon tausendmal bei Masterchef gesehen, in allen Formaten aus allen Ländern (nur nicht beim deutschen, aber über den möchte ich eh nicht mehr reden). Dazu theoretisch einen Bund Petersilie grob hacken, mit dem Öl des Tages vermischen (bei mir Rapsöl) und pürieren. Danach durch ein feines Sieb oder ein Mulltuch abtropfen lassen, voilá, wunderschönes grünes, frisch schmeckendes Öl. Ich hatte aber keine Petersilie und war auch zu faul, das Haus zu verlassen, also wurde es der jetzt wirklich letzte Rest vom Spinat. Hat auch funktioniert.

Und schließlich die verkohlten Zwiebeln: Dazu (bei mir zwei recht kleine) Zwiebeln durch die Wurzelenden halbieren, so dass die einzelnen Schichten zusammengehalten werden. Die Papierhaut abziehen und in wenig Öl in einer richtig heißen Pfanne mit der Schnittfläche nach unten platzieren. Auf mittlere Hitze zurückschalten und zehn, fünfzehn Minuten braten, ohne sie anzurühren. Sie müssen verbrannt aussehen und dürfen auch so riechen. Danach in der Pfanne noch ein bisschen im Ofen schmoren lassen, damit sie weicher werden. Ich habe dazu schlicht die Zeit genutzt, in der sich der Ofen bis auf 200 Grad für die Pommes Anna aufgeheizt hatte, das war anscheinend okay. Etwas abkühlen lassen, das eine Wurzelende entfernen und die einzelnen Schichten auseinanderfalten. Die kommen einem schon fast entgegen, das geht sehr einfach.

Aus der Papierhaut wollte ich eigentlich Asche machen und sie dekorativ über den Teller streuen, aber ich habe meinen eigenen Bunsenbrennerfähigkeiten nicht so recht getraut und wollte meine schöne neue Wohnung nicht unnötig abfackeln.

Also gab es nur Kartoffeln mit Zwiebeln und Würzöl, und es schmeckte ausgezeichnet. Die milden, noch nicht zerfallenen Kartoffeln mit ihrer knusprigen Oberfläche, die noch knuspriger hätte sein können, nächstes Mal länger im Ofen lassen, und ihrer wundervollen Buttrigkeit. Dazu die noch bissfesten Zwiebeln, die alle Schärfe verloren hatten und nun süß und mild schmeckten, bis auf die kleine rauchigbitterkaramellige Seite. Und dazu das sehr frische Öl, was mich wirklich überrascht hat. Es ist schließlich immer noch Öl, aber das bisschen Grünzeug drin macht schon viel aus. Es fehlte ein bisschen Säure oder Schärfe, das war alles recht mild. Vielleicht nächstes Mal eine Chili ins Öl oder so.

Ich hatte gerade zufrieden den Teller weggestellt und mich über ein größtenteils gelungenes Gericht gefreut, als es an der Tür klingelte. Durch die Sprechanlage kam nicht das übliche mundfaule „Post“, sondern ein fast gesungenes „AMAZON-PAKEEET!“ Ich staunte: Ein Mensch in Amazon-Warnweste statt der gelbroten DHL-Uniform brachte mir ein Päckchen an die Wohnungstür. Darin lag Samin Nosrats Salz. Fett. Säure. Hitze., um das ich seit Monaten herumgeschlichen bin. Vielen Dank an Petra, ich habe mich außerordentlich gefreut, weil es gerade so schön in mein Kochhoch passte! Das Buch musste ich dann auch erst einmal komplett durchblättern, und es hatte schon nach wenigen Seiten im Salz-Kapitel gewonnen:

Schon beim extrem flüchtigen Drüberlesen bekam ich schlaue Dinge mit und freue mich sehr auf die vertiefende Lektüre. Und was ich daraus heute koche – ein Rezept, das ich eigentlich beherrsche, aber nun die Variante von Nosrat ausprobieren möchte –, weiß ich auch schon.