Tagebuch Dienstag, 4. Dezember 2018 – Rahmenladen

Vormittags am Schreibtisch gesessen, gearbeitet, was man halt so macht. Auf verschiedenen Jobs rumgepuzzelt, Orgakram erledigt, alles kaum erwähnenswert. Über die Abschiedsmail meiner Steuerberaterin gerührt gewesen.

Um kurz nach 14 Uhr machte ich mich dann auf einen Weg, den ich mir schon ewig vorgenommen hatte: Ich wollte meine Alugrafie von Leo von Welden rahmen lassen. Leser*innen, die schon länger dabei sind, erinnern sich: Ich habe über den Maler ein, zwei Hausarbeiten während des Masterstudiums geschrieben, die dann zusammengefasst zu einem Katalogbeitrag wurden. Nach der einjährigen Recherche, bei der ich des Öfteren bei der Künstlertochter vorbeischaute, die von Weldens Erbe verwaltet, schenkte mir die Dame drei Werke, die ich mir selbst aussuchen durfte. Von dem Angebot war ich ziemlich überfordert, weil ich nach meinem Rumwühlen in den Grafikschränken und dem Durchstöbern der Regale, in denen die farbigen Bilder standen, viel zu viel gesehen hatte, was mir gefallen hätte. Also griff ich recht schnell zu den Werken, die mir typisch für ihn erschienen.

Die Alugrafie zeigt ein christliches Motiv, mit dem er in den 1920er Jahren seine Arbeit begonnen hatte. Ich datiere das Werk aber eher in die späten 50er, noch eher in die frühen 60er, als er wieder zum religiösen Themenkreis zurückgefunden hatte, nachdem er den in der NS-Zeit vernachlässigt hatte. Das zweite Bild, das ich mitnahm, hat ebenfalls christliche Anmutungen: vier langgestreckte Gestalten in bunten, langen Gewändern, zwei Männer, zwei Frauen, ein Mann macht eine Segensgeste, alle stehen in einem nicht definierten farbigen Raum. Diese langgestreckten Figuren sind typisch für sein Spätwerk, daher wollte ich auch davon gerne etwas mitnehmen. Das dritte Bild ist ein Stillleben mit zwei Fischen, das schon gerahmt war und seit dem Umzug in meiner Küche hängt. Das wollte mir die Künstlertochter ausreden, das sei doch nix, hier, diese Katze wäre doch viel toller. Ich widersprach liebevoll und nahm die Fische mit.

Die farbigen Christen lehnen hinter mir im Arbeitszimmer an der Wand, und ich weiß noch nicht, ob ich die kleine Tafel rahmen lassen möchte. Eigentlich mag ich sie in ihrer Rauheit so ganz gerne, aber sie geht im doch recht dunklen Zimmer schon etwas unter. Die Alugrafie wollte ich aber auf jeden Fall rahmen lassen, denn das feine Blatt sollte nicht länger in einer Mappe rumliegen.

Ich googelte nach Menschen, die Bilder einrahmen, in meiner Nähe, fand eine kleine Werkstatt fünf Minuten von mir entfernt und ging genau dort hin, nachdem ich es wochenlang vor mir hergeschoben hatte. Die Beratung war sehr ausführlich und sympathisch: „Hören Sie auf Ihr Bauchgefühl! Sie haben eine Vorstellung von Passepartout und Rahmen, das zeige ich Ihnen auch gerne, aber wenn Ihnen etwas anderes gefällt, dann hören Sie da einfach drauf.“ Genau das tat ich, und so habe ich hoffentlich nächste Woche eine Alugrafie auf mittelgrauem Karton statt Passepartout, weil man so den ungeraden unteren Rand des Blattes sehen kann, was ich sehr mag. Das ganze bekommt einen recht breiten, silbernen Rahmen, womit ich auch nicht gerechnet hatte.

Die … äh … wie nennt man denn Rahmerinnen? Okay, anders: Die Werkstattbesitzerin legte mir weißen, grauen und schwarzen Karton unter das Blatt, damit ich die Unterschiede sehen konnte. Dann verschiedene Grautöne. Dann die Rahmen: zuerst einen weißen, den ich mir vorgestellt hatte, der aber nun mit dem ausgewählten Grau total doof aussah. Schwarz krachte auch zu sehr rein, und so landete ich auch hier bei Grau. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, nicht noch mehr Grau in meine Wohnung zu bringen, da ist schon so viel, aber das sah wirklich am besten aus: Das Bild kam zu seinem Recht, der Rahmen ging nicht unter, sondern lenkte den Blick, die farbige Pappe unterstützte anstatt zu verdrängen. Aber dann meinte sie, Silber könne sie sich auch gut vorstellen. Ich schaute zweifelnd, sie legte ein, zwei Rahmen hin, ich korrigierte meine Flunschfresse zu „Ach, stimmt, sieht wirklich gut aus“, mochte aber die jeweiligen Rahmen in ihrer Gestalt noch nicht, dann kam ein weiterer, der leicht antikisiert aussah und ich wusste: Das isses. Wir probierten noch ein bisschen weiter, aber mein Bauch hatte sich schon entschieden.

Dann kam die beste Verkoofe, die ich je gesehen hatte. „Jetzt noch das Glas.“ Die Werkstattbesitzerin zog einen kleinen Kasten hervor, in dem zweimal dasselbe Blumenbild hinter Glas gefasst war. „Einmal normales und einmal entspiegeltes.“ Und ich machte mich erwartungsgemäß zum Klops: „Ist da echt Glas?“ „Sie dürfen gerne mal draufklopfen.“ Was ich tat, denn das entspiegelte Glas sah man wirklich überhaupt nicht. Ich glaubte es erst, als mein Finger daran stieß. Wie gesagt, beste Verkoofe, simples Verkaufsargument, clever aufbereitet, entspiegeltes Glas gekauft. Hätte ich eh genommen, aber die Präsentation musste ich doch sehr grinsend würdigen.

Spaßeshalber meinte meine Beraterin, wir könnten das Bild auch mal auf Rot legen, das würde sie einfach gerne mal sehen. Dann wollte ich es natürlich auch noch auf Blau sehen. War beides fürchterlich, aber es machte Spaß, die Veränderungen zu beobachten.

Als alles geregelt war, kamen wir ins Plaudern. Sie wollte mehr über Leo von Welden wissen, dessen Signatur sie nicht ganz hatte entziffern können, ich erzählte, sie fragte, wir waren schnell bei der Dissertation, bei NS-Kunst, bei den Pinakotheken, bei der derzeit laufenden Florenz-Ausstellung und der italienischen Renaissance und ich musste mir irgendwann selbst sagen, dass ich wieder an den Schreibtisch musste, sonst hätte ich noch eine Stunde weitergeplaudert. Mit solchen Begegnungen rechne ich olle Einsiedlerin ja nie, deswegen freuen sie mich umso mehr.

Wenn die Rahmung jetzt so gut wird wie das Verkaufsgespräch, bin ich sehr zufrieden. (Preis passte auch.)

Weitere Arbeit erledigt, zwischendurch das Probedessert für Samstag vorbereitet, wo ich meine ersten offiziellen Gäste in dieser Wohnung erwarte, denn jetzt habe ich ja auf einmal Platz für Gäste. Also mehr als einen Küchentisch für vier Leute. Es ist eins meiner Lieblingsdesserts, das ich in den letzten Jahren aber nie zubereiten konnte, weil ich kein Gefrierfach hatte, in dem Sahne-Ei-Zucker-Masse zu Eis oder Parfait wird. Jetzt habe ich sowas wieder, wollte es aber trotzdem vorher mal ausprobieren.

Das führte dazu, dass ich F., der abends vorbeischaute, gleich ein schönes Dessert vorsetzen konnte, wenn auch in schlampiger Ausführung, weil ich nicht wirklich auf Optik geachtet hatte, sondern nur wissen wollte, ob das Zeug denn verdammt nochmal fest wird. Wird es, yay! Kühlschrankliebe!

Gemeinsam eingeschlafen.

‘Working Girl’ Turns 30: On-Set Romances and Secrets of the Staten Island Ferry Revealed in Juicy Oral History

(Total beknackter Titel, bitte trotzdem lesen.)

Working Girl (Die Waffen der Frauen) ist einer meiner Lieblingsfilme. Fieses 80er-Jahre-Kino, aber ich finde ihn immer wieder herrlich. Umso mehr freute ich mich über diese Erzählungen vom Set, die teilweise sogar auf genau die Szenen anspielen, die mir beim ersten Anschauen aufgefallen waren. Zum Beispiel die Szene, in der Tess (Melanie Griffith) auf ihrem Weg zur Arbeit in Businessklamotten und Turnschuhen durch Manhattan geht, bevor sie im Büro in Pumps schlüpft.

„[Producer Doug] WICK: Then, one day in 1985 or early ’86, while walking in lower Manhattan, I saw a woman who from the ankles up was very chic, but she was wearing tennis shoes. In those days, that wasn’t fashionable. I talked to Kevin about doing a story about those girls — the outsider with a face pressed against the glass longing for all of those shiny things inside the jewel of Manhattan.

[Screenwriter Kevin] WADE: Back then, I spent a lot of time on a bicycle riding around New York. There was an abandoned roadway I would get on in the Village and take down to Battery Park. I would see the Staten Island Ferry coming over and those women in sneakers getting off and then stopping to change into [dress] shoes. That’s how I discovered this story — a modern-day immigrant story of a person who comes here not really speaking the language, not with the right clothes, not knowing the customs, but with smarts. It’s the Horatio Alger story. I knew right away it was about a young woman.“

Die Schauspielerinnen erinnern sich an die erste Einstellung im Film und die Kostüme:

„[Melanie] GRIFFITH: Our first day of filming was actually for the first shot in the film on the ferry, and we shot it illegally. There we were — with Joan Cusack — with the big hair and the tennis shoes with all just regular people on the Staten Island Ferry. We shot it without anybody knowing. It was like, “Here we go, now I’m Tess.”

[Joan] CUSACK: Mike gave such brilliant direction, like when we got off the ferry, he said, “Be thinking something in your head. That’s what people do as they walk off a boat, they think about their day or their life.” It was such a cool piece of direction. We worked with Roy Helland, the hair and makeup artist who has been Meryl Streep’s artist forever and ever. He bleached the ends of my hair so it looked like it was burnt. It was so creative. He also said the teasing should take only as long as the ferry ride, so it took 20 minutes and that was my real hair. I always felt like it was like a Kabuki mask — it came on and instantly you were transformed. […]

ANN ROTH, costume designer: Tess lives in Staten Island, and if you sat at the foot of the ferry when it dumped everybody off, that’s what it looked like. We did not tone it up or tone it down. We did the real thing, not a Hollywood version. Some of Melanie’s wardrobe I bought in the ground floor of the World Trade Center. There were shops down there. I knew what kind of salary she had, so the clothes were secretarial in that way. It represented the New York working class in the ’80s, plus a little bit of Wall Street with Sigourney’s character.“

Und auch über den herrlichen Titelsong habe ich Neues gelernt:

„CARLY SIMON, singer-songwriter: […] But I read the script and right away I got the feeling of the ferry boat coming from Staten Island. I thought that there was something hymnal about crossing the river. Jim Hart, my husband at the time, helped me by directing me toward books I’d be inspired by, such as [James Joyce’s] Finnegans Wake. The first word in that book is “Riverrun,” just one word. I wrote the song [“Let the River Run”] over a weekend trip on Martha’s Vineyard and brought it back to New York and played it for Mike and Diane when they came over for dinner. I can’t remember if they cried, but they might have. Then I went to Europe to promote an album and Mike called and said, “You know, we played the beginning over the Eagles’ ‘Witchy Woman’ and everybody really likes it.” I broke out in tears. I said, “Mike, you gotta do what you want but if ‘River Run’ works so well, why would you?” Those words, I think, echoed in his ears and he went back to his editor. I was a hair away from losing that opening to “Witchy Woman.”“

(via @MargueriteJoly)

Tagebuch Montag, 3. Dezember 2018 – Ende einer Ära

Den Tag größtenteils für die Werbung am Schreibtisch verbracht. Zwischendurch einiges an Orgakram weggearbeitet. Dann ein Telefonat mit meiner Steuerkanzlei in Hamburg geführt, die immer noch, über drei Jahre nach meinem endgültigen Umzug, meinen Steuerkram erledigt. Jetzt nicht mehr.

Es hat sich doch einiges geändert in meinem Leben, auch hinter den Kulissen, die hier im Blog keine Rolle spielen, und daher hatte ich vor Kurzem begonnen, mich nach einer neuen steuerlichen Vertretung vor meiner Haustür und nicht am anderen Ende der Republik umzuschauen. Ich scheine jemanden gefunden zu haben, aber bevor ich dort eine Mandantenvereinbarung unterzeichne, muss ich natürlich mit Hamburg Schluss machen. Das tat ich gestern, wurde wie immer freundlich beraten, aber nachdem ich aufgelegt hatte (sagt man noch „aufgelegt“, wenn man am Handy einen Touchscreen berührt?), war ich doch angefasster als ich dachte. Mir in München einen neuen Zahnarzt zu suchen, hat sich nicht so dramatisch angefühlt. Vielleicht weil es eine andere Art von Dienstleistung ist, und weil ich schon recht oft meinen Zahnarzt gewechselt habe. (Mir fällt gerade auf, dass ich nur als Kind eine Zahnärztin hatte, sonst waren es immer Kerle.)

Ich habe mich Anfang 2008 selbständig gemacht. Der erste Gang ging aufs Arbeitsamt, denn damals bekam man noch Gründungszuschuss (danke, Vattern Staat). Die zweite Amtshandlung war, sich steuerliche Vertretung zu besorgen. Was weiß denn ich, was ich als Selbständige anders machen muss als als Festangestellte? Ich wollte das auch gar nicht wissen, ich wollte vom Wissen anderer profitieren, so wie ich auch mein Auto nicht selbst repariere (wenn ich noch eins hätte) oder meine Kleidung nicht selber schneidere oder meine Möbel bei Umzügen nicht selber trage. Das können andere deutlich besser als ich, und dann sollen die das auch bitte für mich erledigen und ich rücke Geld dafür raus.

Ich hatte vorher also nie eine Steuerberaterin, jetzt hatte ich eine, die ganze Selbständigkeit durch, und jetzt habe ich sie nicht mehr, sondern jemand anders. Es ist die gleiche Tätigkeit, aber es war eben wieder ein Abschied von Hamburg, jetzt, glaube ich, der letzte, jedenfalls auf professioneller Ebene. Es hat mich selbst überrascht, wie sehr ich danach seufzend durch die Gegend sinniert habe.

Kürbisrisotto mit Walnuss-Petersilien-Pesto zum Abendessen. Das war sehr gut.

Die Online-Sammlung des Lenbachhauses

Die Städtische Galerie im Lenbachhaus hat gestern Teile ihrer Sammlung online gestellt und anscheinend mit der VG Bild-Kunst gute Konditionen herausgeschlagen, denn es sind auch Werke zu sehen, deren Urheberrechte noch nicht abgelaufen sind. So kann man sich zum Beispiel viele Stücke von Beuys anschauen, was mein erster Suchbegriff war, den ich ausprobierte. Auch beim Suchbegriff „Neue Sachlichkeit“ spuckt die Sammlung einiges aus. Die Seite gibt selbst den Vorschlag „19. Jahrhundert“ als Suchbegriff einzugeben, das klappt auch ganz gut, auch wenn Bilder bis 1944 auftauchen. Bei diesem Begriff taucht aber auch eine Zeitleiste auf, die man per Regler verschieben kann, was ich sehr schön fand. Mit dem Suchbegriff „20. Jahrhundert“ konnte der Algorithmus dann allerdings nichts anfangen, was mich etwas verwirrte.

Im Moment scheint der Laden auch Schluckauf zu haben, er findet gerade gar nichts von dem, was ich hier aufschreibe. Gestern abend habe ich aber schön rumprobieren können und hoffe, dass sich die arme Website wieder eholt.

Zu den Rechten und Abbildungen findet man übrigens auch eine ausführliche Erläuterung.

Warum ich das so toll finde, dass man Beuys angucken kann, erklärt sich, wenn man sich die Online-Sammlung der Pinakotheken anschaut, die fies unter den Urheberrechten leiden. Da sehen die Beuys-Ergebnisse nämlich so aus:

Schiedsrichter im Dauerstress – Durch die Bundesliga mit Patrick Ittrich

Eine halbe Stunde aus dem Schiedsrichterleben. Fand ich spannend, auch wenn ich mich wieder ewig über die nicht vorhandenen Bundesliga-Bewegtbilder in der Mediathek aufgeregt habe. (Heute ist im Blog anscheinend mal wieder Aufregen-über-Rechte-Tag.) Ich finde es generell doof, dass man Bundesliga-Schnipsel nicht im Internet zeigen darf und es kann mir auch niemand erklären, warum, aber bei diesem Film fand ich es besonders schade, denn der Fokus liegt auf dem Spiel Augsburg-Nürnberg, für das ich im Stadion war und das ich mir natürlich gerne nochmal aus einer anderen Perspektive angeschaut hätte.

(via @CollinasErben)

Die Schaufenster beim Dallmayr auf Instagram.

Das ist nur eins von vieren. Schaufenstergestalter*in scheint ein spaßiger Job zu sein.

What the Movies Taught Me About Being a Woman

Manohla Dargis, die Filmkritikerin der NYT, schreibt in ihrem Essay, wie wirkmächtig Bilder sind. Die Begründung dafür – die körperliche Reaktion auf sie – fand ich sehr schön:

„Movies teach us all sorts of things: how to aspire, who to fantasize about (all those princes will come), how to smoke, dress, walk into a room (always like Bette Davis). They teach us who to love and how, as well as the ostensible necessity of sacrificing love along with careers. They also teach us that showering, babysitting, being in underground parking lots or simply being female might get you killed. There isn’t a causal relationship between viewer behavior and the screen. There doesn’t have to be. Because movies get into our bodies, making us howl and weep, while their narrative and visual patterns, their ideas and ideologies leave their imprint.“

Tagebuch Samstag/Sonntag, 1./2. Dezember 2018 – Licht, Lachenmann, Labernase

Den Samstagvormittag verbrachte ich gemeinsam mit F. auf unseren zwei Leitern (total romantisch), weil der Herr mir angeboten hatte, die noch fehlenden vier Lampen in der neuen Wohnung anzudübeln. Jetzt liegen in einem kleinen Pappkarton vier Glühbirnen mit Fassungen, die wieder an die Decke kommen, falls ich jemals ausziehen sollte. Die Lampen nehme ich dann auf jeden Fall mit, denn die machen wirklich schönes Licht, und ich freue mich darüber seit zwei Tagen sehr.

Und damit ist die Wohnung gut zwei Monate nach dem Umzug fertig. Alles steht da, wo es hin soll, alle Gardinen und Lampen hängen, alles ist eingeräumt. Irgendwann hole ich noch ein paar Kisten von meinen Eltern, für deren Inhalt ich vermutlich wieder etwas umschichten muss, aber: Erstmal habe ich hier nichts mehr zu tun außer zu wohnen und mich weiter wohlzufühlen. Das war und ist ein sehr schönes Gefühl.

Während F. nach getaner Arbeit Freizeitprogramm hatte, putzte ich die fertige Wohnung einmal durch, denn trotz an die Decke gehaltenem Staubsauger, während F. Löcher produzierte, lag natürlich viel Staub und Dreck rum. Und wenn ich schon mal dabei war rumzusaugen, wischte ich auch gleich Staub, putzte Bad und Küche, bezog die Betten neu und konnte mich gerade noch selbst davon abhalten, bei fünf Grad Außentemperatur die Fenster zu putzen. Stattdessen lungerte ich auf dem Sofa rum und ärgerte mich über die erste Halbzeit Stuttgart-Augsburg. Die zweite verschlief ich größtenteils, was auch besser so war. (0:1.)

Abends sahen F. und ich uns dann wieder. Spätabends, sollte ich hinzufügen, denn in der Pinakothek der Moderne fand die erste Ausgabe der neuen Saison „Nachtmusik der Moderne“ statt. Das Münchner Kammerorchester lädt sich eine*n zeitgenössische*n Komponist*in ein, die Pinakothek baut beeindruckend viele Stühle und eine Bühne in die Rotunde, und man lauscht ab 22 Uhr anderthalb Stunden sehr modernen Klängen. Um 21 Uhr findet stets ein Einführungsgespräch statt, und da wir beide Helmut Lachenmann schon mal haben reden hören, wollten wir das noch einmal tun. Das lohnte sich wieder sehr, obwohl der Mann vermutlich alle Fragen zu seiner Musik schon tausendmal beantwortet hatte. Einen Satz habe ich mir gemerkt, denn der schien mir passend auf alles Neue zu sein, was uns in Bild oder Ton über den Weg läuft: Man sollte „das Unvertraute zulassen“. F. hatte das Glück, seine Musik bereits schon einmal live gehört zu haben, ich verfolgte die Veranstaltung damals per Livestream, was auch toll war. Schon im Juni sagte ich mir, so etwas noch nie gehört zu haben, aber gestern war es wieder neu, auch wenn ich ahnte, was auf mich zukam.

Das erste Stück, Mouvement (– vor der Erstarrung, 1983/84) ließ mich des Öfteren mit offenem Mund dem kleinen Orchester zuschauen, weil ich es so faszinierend fand, welchen Klang man aus klassischen Instrumenten holen kann, der rein gar nichts mit den Tönen zu tun hat, die ich sonst von Geigen oder Querflöten kenne. Ich verstand zum ersten Mal den Begriff „Klangkörper“ für ein Orchester, denn genauso hörte es sich an: wie der Körper eines schweren Menschen oder sogar einer Gesteinsformation, eines Biotops, eines riesigen Tieres, der oder die sich dahinschleppt, sich ein letztes Mal aufbäumt und dann verendet. Pression (1969) war dann noch spannender: Wir schauten 9 Minuten dem Cellisten Lucas Fels dabei zu, wie er sein Cello bearbeitete, und ich war sehr dankbar dafür, ihn im Einführungsgespräch hatte sagen hören, dass das Instrument bei der Behandlung keinen Schaden nimmt. Bei Mouvement war ich zwischenzeitig schon arg zusammengezuckt, als die Bratschen ihre Instrumente mit dem metallenen Ende des Bogens beklopften. Pression war auch deshalb spannend, weil Fels gesagt hatte, dass diese Art Musik keinerlei Spielraum für den oder die Künstler*in bietet. Sie ist so präzise formuliert und notiert, dass man quasi nur ausführt, aber nicht interpretiert. (Hier sprechen Lachenmann und Fels miteinander, ich habe mir das selbst noch nicht komplett angehört; hiermit vorgemerkt.)

Für Ein Kinderspiel – Sieben kleine Stücke (1980) setzte sich Lachenmann dann selbst an den Flügel, und ich war erneut begeistert – davon, wieviel man mit wenigen Tasten auslösen kann. Das Schlussstück Notturno – Musik für Julia (1966) klang dann fast konventionell – es war eben das älteste Stück –, aber ich bin doch dankbar dafür, dass das der Rausschmeißer war. Die Kracher kamen netterweise am Anfang, als alle noch halbwegs zuhören konnten. Aber ich habe bei diesem Stück gelernt, dass man beim Cello auch durchaus den Stachel mit dem Bogen bespielen kann, wenn der Komponist das so will.

Was ich von diesem Konzert mitnahm: wieder mal die Bereitschaft, sich auf Dinge einzulassen, Dinge zuzulassen, Dinge etwas mit mir machen zu lassen. Ich verstehe diese Musik nicht, ich weiß auch nicht, ob man sie verstehen muss, Kunst muss man ja auch nicht verstehen. Die vorgestern gehörten Klänge erweiterten schlicht meinen Horizont, mein Spektrum von Musik, die ich bisher gehört hatte. Sie machte mich aufmerksam, und ich fand erneut einen Weg zur zeitgenössischen oder abstrakten Kunst. Es ist Blödsinn, darüber nachzudenken, was einem der Künstler oder die Künstlerin mit den Werken vielleicht sagen will (außer sie wollen mir echt total offensichtlich was sagen). Viel spannender ist es doch, sich den Prozess des Schaffens zu vergegenwärtigen. Klar kann man immer weiter nach einer netten Melodie oder einem schönen Bildmotiv suchen, aber man kann sich auch fragen: Was kann ich mit diesem Kontrabass denn noch machen? Was mit dieser Farbe? Was mit diesem Material? Also: die Mittel zum Zweck eben nicht nur als Mittel sehen, sondern als Zweck selbst.

Was ich von diesem Konzert auch noch mitnahm: dass ich danach auf dem Klo saß und beim Papierabrollen dachte, oh, das klingt spannend.

Gemeinsam eingeschlafen, gemeinsam aufgewacht, zwei mögliche Reservierungszeitpunkte im Café Puck versäumt, weil wir so lange im Bett rumlungerten. Danach spontan den Beschluss gefasst, uns den ollen Meese in der Pinakothek der Moderne anzugucken. Ich fuhr für ein Stündchen nach Hause, duschen, Kaffee trinken, Adventskranz instagrammen, dann fuhr ich wieder zu F. und wir schlenderten durch den Nieselregen zur Pinakothek, wo auch mein Dissertationsobjekt in einem Saal hängt. F. so: „Erst mal zur NS-Kunst, nach Meese haben wir garantiert schlechte Laune.“ Ich fand das sehr bezeichnend, dass einem Nazikram weniger schlechte Laune macht als Meese. (Original und Wannabe, wie ich gestern twitterte.) Der Gedanke stimmte aber, denn neben der „Donaubrücke bei Leipheim“, einem Bild, das den Bau der Reichsautobahn zeigt, hängt neuerdings im Saal 13 Protzens „Einsame Straße“ von 1932, die ich natürlich als Schwarzweißfoto aus dem Nachlass kannte. Das sah ich gestern zum ersten Mal im Original und blieb recht lange davor stehen. Danach war ich wieder sehr motiviert, mich an dem Mann abzuarbeiten, was ich in den letzten Monaten nicht mehr so recht war; die Absage der Grossberg-Erben hallte doch länger nach als gedacht.

Der Saal 13 ist noch inkonsequenter geworden als er es eh schon war, und so langsam verliere ich die Geduld mit dem Kuratieren von NS-systemkonformer Kunst. Die Moritzburg in Halle hat das hingekriegt, wieso München nicht? Vermutlich wissen alle anderen Museen in Deutschland, warum sie schön die Finger davon lassen: weil’s halt Arbeit macht, sich mit dem Kram auseinanderzusetzen und man sich fragen lassen muss, warum man diese Bilder überhaupt aufhängt. Weil es zur Kunstgeschichte in Deutschland gehört, wäre schon mal eine erste Antwort. Aber noch mag die anscheinend keiner geben. Oder nur arg wachsweich und halbherzig wie jetzt in der Pinakothek.

Ich besuchte meine Lieblinge der Neuen Sachlichkeit, schlenderte an ein paar Schwarzweißfotografien vorbei, guckte zu Anselm Kiefer rein, lief wie immer über Carl Andre, nickte kurz Herrn Lehmbruck zu und dann mussten wir zu Meese.

Ich finde Meese doof. Ich habe ihn aber noch nie im Original gesehen, nur in Katalogen. Eben weil ich ihn so doof finde, hatte ich im Zentralinstitut für Kunstgeschichte vor einiger Zeit mal alle Kataloge an den Platz geschleppt, die wir über ihn haben, um vielleicht doch zu ergründen, warum einige Kurator*innen meinen, das wäre alles toll, während ich glaube, dass das alles Blödsinn ist. Hat nicht geholfen. Daher war die derzeitige Ausstellung eine weitere Hoffnung: Vielleicht muss man ihn im Original sehen, um zu wissen, was an seiner Kunst dran ist. Ich kann jetzt für mich persönlich feststellen: nö. Ist immer noch Blödsinn.

Ich erkenne bei Meese durchaus Themen und Symbole, das ist auch nicht schwer, das Eiserne Kreuz und die pseudo-verschämt übermalten Hakenkreuze sind relativ einfach wiederzuerkennen. Auch sein ganzes Namedropping schafft einen gewissen heldisch-mythischen Kosmos. Das macht Anselm Kiefer auch, aber bei ihm behaupte ich, eine Auseinandersetzung mit den Themen zu sehen. Meese als braves Mittelstands-Friedenskind kann sich an diesen Themen überhaupt nicht abarbeiten, weil er nie ernsthaft mit ihnen konfrontiert war. Okay, jetzt wo die AfD da ist, könnte er sich mal deutlicher positionieren anstatt weiterhin sinnlos-provokant den Hitlergruß zu zeigen. Ich erkenne bei ihm keine Tiefe, kein Weiterdenken, sondern nur plakative Wortwüsten. Die Idee einer Diktatur der Kunst ist ja eine clevere, aber das war’s dann auch, er benennt sie – und lässt sie dann wieder versanden. Ich ahne seit gestern, dass in dem ganzen Wortgeklingel und Bastelstundenfirlefanz in den Vitrinen durchaus was drin sein könnte, wenn er es mal konsequent ausformulieren würde, aber genau das macht er halt nicht. Er bleibt bewusst vage – und damit total banal und langweilig.

Ich musste an den Satz von Lachenmann denken, sich mit dem Unvertrauten zu konfrontieren und auch an meine Schlussfolgerung, mal Dinge etwas mit mir machen zu lassen. Ich versuchte das bei Meese wirklich, fand das Design des Bodens gut, der die Werke zusammenhält, und generell die Idee, ihn einen Raum komplett gestalten zu lassen anstatt seine Werke auf mehrere zu verteilen. Andererseits machte das auch sehr einfach klar, dass er halt nicht mehr als einen Raum zu bieten hat, und der war ziemlich voll mit Quatsch. Aber das versuchte ich alles in den Hinterkopf zu schieben und unvoreingenommen auf seine Materialien zu gucken, ich versuchte, seine Sätze erneut zu lesen, als ob ich sie noch nie gelesen hätte, aber es brachte alles nichts. Es blieb alles an der Oberfläche, und ich kam mir völlig verarscht vor bei dem Vorhaben, da eine tiefere Schicht sehen zu wollen. Meeses Zeug ist für mich das HURZ! der bildenden Kunst, und ich kann seine Kunst einfach nicht ernstnehmen. Vielleicht weil es eben genau nicht unvertraut ist: Er schafft nichts Neues mit seinen Collagen, er findet keine neuen Bildformate oder Ausdrucksmöglichkeiten.

Wir blieben keine 20 Minuten. Ich blätterte danach im Museumsshop noch ein bisschen in seinen Schriften, kam aber keine zehn Zeilen über Wagner weit, weil ich wegen heftigen Augenrollens nicht lesen konnte.

French Toast im Café Puck, dann doch noch. Der dauerte länger als geplant, denn die Servicekraft konnte ihre eigene Schrift nicht mehr lesen und orderte „Frühstück“ statt „French Toast“, weil FR anscheinend beides bedeuten konnte. So war mein Milchkaffee leer, bevor mein Essen kam, aber dafür war ich in netter Gesellschaft und wir konnten uns beide schön über Meese aufregen. Immerhin das kann er: Man muss sich mit ihm beschäftigen. Das war auch unsere große Erkenntnis: Der Mann ist Zentrum seiner Schöpfung, er ist das Gesamtkunstwerk, das er an Wagner so bewundert. Nur doof, dass diese Schöpfung nur für ihn wichtig ist. Okay, und für ein paar Kurator*innen und Sammler*innen. Ich lasse sie weiter in ihrem Fanclub spielen und werde Meese ab jetzt für mich abhaken können. Puh.

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Kichererbsensuppe mit Kurkuma und Kokos

Das Rezept von der New York Times reicht angeblich für vier bis sechs Personen. Ich habe die Hälfte davon gemacht – die steht unter dem Bild –, und ich hätte jeden von meinem Teller weggeprügelt, der davon etwas hätte abhaben wollen. Wenn ihr euch nett findet, reicht die Menge da unten für zwei. Wenn ihr richtig fiesen Hunger habt – oder es einfach verdammt gut schmeckt –, schafft man das auch alleine. Danach kann man sich allerdings erstmal nicht mehr bewegen.

War’s wert.

In einem breiten Topf
1 Zwiebel, fein gehackt, in
großzügig Olivenöl bei mittlerer Hitze glasig dünsten.
2 Knoblauchzehen, fein gehackt, sowie
1 daumengroßes Stück Ingwer, fein gehackt, kurz mitdünsten.

1 Dose Kichererbsen (400 g), abgetropft und gewaschen,
1 TL Kurkuma, gemahlen, und
1 TL Chiliflocken dazugeben. Deswegen schrieb ich da oben „breiter Topf“ – es wäre nett, wenn alle Kichererbsen neben- statt übereinander im Topf Platz hätten. Mit
Salz und Pfeffer würzen. Für gut fünf Minuten anbraten, bis die Kichererbsen etwas zerfallen. Notfalls noch einen Schuss Olivenöl dazugeben, kann nie schaden.

Mit
250 ml Gemüse- oder Hühnerbrühe und
1 Dose Kokosmilch (400 ml) ablöschen. Alles aufkochen lassen, nochmal mit Salz und Pfeffer abschmecken und ungefähr eine halbe Stunde simmern bzw. einkochen lassen, bis die Suppe cremiger geworden ist. Zwischendurch mal eine Kichererbse probieren und nicht nur den Sud – das sollte alles schon ziemlich schmackhaft sein.

Kurz vor Schluss einen Berg Grünzeug dazuwerfen. Bei mir waren es
2 Handvoll frischer Spinat, drei wären besser gewesen. (Memo für Spinat: Immer wenn ich denke, jetzt isses zuviel, isses noch zuwenig.) Die NYT lässt auch (Grün-)Kohl oder Mangold gelten, die brauchen aber länger als der Spinat, der in Minutenschnelle zerfällt.

Zum Servieren, wichtig, ist großartig,
1 TL Jogurt oder Sauerrahm in den Teller,
ein paar Spritzer Zitrone (die Kommentatoren der NYT schwören auf Limette, hatte ich nicht) sowie
gehackte Minze. Wer mag, dekoriert nochmals mit Kurkuma und Chiliflocken.

Ich hätte nicht gedacht, dass der Kram so lecker ist. Die Suppe alleine ist mummelig warm, die Kichererbsen mehlig-bequem im Mund, und der Spinat gibt es bisschen Frische. Bis dahin ist es nett, aber unspektakulär. Aber mit Sauerrahm, Zitrone und Minze zusammen wird alles auf dem Löffel superfrisch, dann wieder warm und weich, dann wieder zickig-hell, und im Hintergrund lungert eine winzige Chilischärfe rum, die gerne noch präsenter sein dürfte. Alles zusammen schmeckt, wie oben angedeutet, so gut, dass man völlig vergisst, dass man gerade jeweils eine ganze Dose Kichererbsen sowie Kokosmilch weghaut.

Ich wiederhole mich: war’s wert. Und jetzt rollt mich zum Nachtisch.

Sugar Swirl Cookies oder wie ich sie nenne: HYPNOKEKSE

Das Rezept landete vor Kurzem in meiner Twitter-Timeline. Seit ich entdeckt habe, dass die lustigen Tasty-Videos auch auf Twitter rumwirbeln, gibt es für mich überhaupt keinen Grund mehr, auf Facebook zu gehen, wo ich bisher nur noch dafür dort rumlungerte. Für die Kekse hielt ich mich nicht an die genannten Zutaten, sondern an die üblichen für meine Mürbeteigkekse, aber dafür an das immer hilfreiche Zubereitungsvideo. Zumindest halbwegs.

Für ein Blech bzw. 16 bis 20 recht dicke Kekse, je nachdem, wie geschickt ihr ausrollt und platziert. Bei mir sind 17 rausgekommen.

250 g Mehl, Type 405, mit
125 g Kristallzucker und
1 EL Vanillezucker (optional) mischen, zu einem Berg auf der Arbeitsfläche formen. Eine Mulde in der Mitte eindrücken.

In diesen Berg
125 g kalte Butterstücke verteilen. In die Mulde
1 Ei aufschlagen.

Mit einem großen Messer alles schnell durchhacken und dann verkneten, möglichst mit kalten Händen. Der Teig sollte so wenig Wärme wie möglich mitkriegen, sonst wird er zu breiigem Matsch bzw. zu miesen Keksen. Den fertigen Teig in zwei gleiche Teile teilen. Ich konnte einen gleich weiterverarbeiten, aber wenn ihr das Gefühl habt, der Teig ist schon arg weich, werft einfach beide Teile in Klarsichtfolie eingeschlagen kurz in den Kühlschrank; fünf Minuten reichen. Ich legte, wie gesagt, nur einen eingewickelten Teigteil in den Kühlschrank, den ich schon grob zu einem dicken Rechteck geformt hatte.

Den ungeformten Teigteil auf Klarsichtfolie legen. Auf den Teig
Lebensmittelfarbe tropfen oder, falls fest, verteilen, Menge je nach Packungsanleitung. Bei mir war es rote Farbe, ein knapper Teelöffel, wie man auf dem miesen Winterlichtbild noch halbwegs erkennen kann. Den Teig, am besten mit Einweghandschuhen, nun kurz kneten, damit er überall Farbe annimmt. Wie ich bei diesem Arbeitsschritt gemerkt habe: Wenn man ihn nicht konsequent durchknetet, bleibt er marmoriert – das stelle ich mir ausgebacken auch ganz hübsch vor.

Den bunten Teig zu einem kleinen Rechteck formen, mit Backpapier belegen und zu einem großen Rechteck ausrollen. Den ungefärbten Teig aus dem Kühlschrank holen, auf der Klarsichtfolie lassen, mit Backpapier belegen und ebenfalls zu einem Rechteck ausrollen, möglichst so groß wie das bunte.

Die beiden Teigteile vom Backpapier befreien. Einen Teigteil auf den anderen legen, dabei die untere Klarsichtfolie dranlassen. Mit Hilfe dieser beide Teigteile zu einer Rolle formen. Wer mag, rollt die Rolle noch durch ein Backblech voller bunter
Zuckerstreusel. („Rollt die Rolle“ wird mein Kampfschrei, falls ich jemals eine Armee haben sollte.) Die bunte Rolle in Klarsichtfolie für eine Stunde im Kühlschrank parken.

Den Ofen auf 200 Grad Ober- und Unterhitze vorheizen.

Von der gekühlten Rolle mit einem scharfen Messer Kekse abschneiden. Ich habe mich bei der Dicke der Kekse – fast einen Zentimeter – auch an das Video gehalten, bei dem der Teig aber, soweit ich das beurteilen kann, eine weichere Konsistenz hatte; vielleicht kann man den nicht dünner schneiden. Ich behaupte, mein Rezept geht auch dünner. Dann reichen zehn Minuten Backzeit, bei den dickeren gestern habe ich sie 15 Minuten im Ofen gelassen.

Auf die Streusel werde ich nächstes Mal vermutlich verzichten, so schick fand ich sie dann doch nicht. Aber jetzt wo ich weiß, wie gut die rote Farbe das Backen übersteht, werde ich gnadenlos die blaue und die grüne antesten. ALL GLORY TO THE HYPNOTOAD!

Was schön war, Mittwoch, 28. November 2018 – Nett ist nicht die kleine Schwester von scheiße!

Der gestrige Tag war nämlich nett. So rundrum.

Zwei Minuten vor dem Wecker aufgewacht, was ich immer als perfekt empfinde: Ich bin rechtzeitig wach, aber von alleine und nicht, weil neben mir ein akustisches Feuerwerk losgeht. Der Milchschaum zum Kaffee war sehr gut, nicht perfekt, aber sehr gut. Ab 9 habe ich brav am Schreibtisch gesessen, vernünftig angezogen und nicht in Schlumpfklamotten, genau wie schon Dienstag, weil ich gerade wieder ganztägig gebucht bin. Sogar in Jeans und nicht in Leggings, weil ich auf den Postboten gewartet habe, der natürlich erst dann kommen wird, wenn ich wieder in Schlumpfklamotten auf dem Sofa liege.

Mittags hatte ich einen Kundentermin mit einer Dame, die nicht aus München kommt, aber für einen anderen Termin in der Stadt war und man könne sich doch mal kennenlernen (wir haben bisher nur per Mail oder Telefon kommuniziert). Ich schlug ein Café vor, aus Gründen wurde es ein anderes, nämlich das Café Glockenspiel direkt am Marienplatz, von dem man, wenn man Glück hat, einen totalen Panoramablick aufs Rathaus hat.

Zum Café fährt man in den fünften Stock und lässt sich platzieren, denn es ist immer voll. Unglaublicherweise bekamen wir ernsthaft einen Fensterplatz, zwar ganz in der Ecke, aber FENSTERPLATZ! Die Kundin setzte sich auf die Bank an der Wand und so hatte ich den Stuhl AM FENSTER! Das musste ich natürlich total professionell erstmal instagrammen, aber halt nur fix aus dem Handgelenk, daher sind die Bilder weder entzerrt noch irgendwie auf irgendwas fokussiert. Scheißegal, von oben auf was runtergucken! Supi. Ich musste mich eine Stunde lang irrwitzig zusammenreißen, um nicht ständig den Blick von den Unterlagen oder der Gesprächspartnerin abzuwenden, weil ich so gerne weiter aufs Rathaus geguckt hätte, das ich aus dieser Höhe halt sonst nie sehe. Man läuft dann ja doch eher unten rum und guckt um 11 Uhr ruckartig nach oben, wenn das Glockenspiel losgeht bzw. wenn einem die ganzen Reisegruppen plötzlich im Weg stehen. (Momentan steht einem der Weihnachtsmarkt im Weg.)


Das Meeting war nett, auch wenn ich mir etwas albern dabei vorkam, an einem engen Zweiertisch meinen Laptop aufzuklappen und in den Cafélärm hinein Ideen zu präsentieren. Immerhin waren ein paar gute Ideen dabei, und damit hatte ich gestern nachmittag überraschend frei, weil ich jetzt erstmal auf anständiges Feedback warten soll anstatt noch eine Runde auszudenken.

Diese überraschende Freizeit nutzte ich selbstverständlich dazu, auf dem Sofa zu sitzen und ins Internet zu gucken, wo die neue Folge Masterchef – The Professionals bereitlag. Ich erwähnte die Sendung mit ihrem Skills Test schon einmal, wo ausgezeichnete bzw. in dieser Staffel auch Michelin-besternte Köch*innen erstmal vorkochen, was sie von ihren unvorbereiteten Kandidat*innen dann nachgekocht haben wollen. Gestern gab’s zunächst Tortellini mit Sauce chasseur – oder wie ich inzwischen weiß: Jägersauce. Vor allem weiß ich jetzt, wie man die anständig kocht. Tomaten! Da sind Tomaten drin! Noch nie aus der Pilzpampe rausgeschmeckt, die man in Landgasthöfen gerne mal aus der Dose übers Schnitzel kriegt. Jedenfalls schaute ich fünf Minuten lang Marcus Wareing dabei zu, wie er entspannt Nudelteig ausrollte und Tortellini mit einem Wurstbrät füllte, Schalotten zerkleinerte, die Sauce abschmeckte und schließlich einen eher rustikalen, aber doch feinen Teller servierte. Das klingt komisch, ich weiß, aber es machte mir eine solche Freude, ein schlichtes Gericht scheinbar perfekt und ruhig zubereitet vor mir zu sehen, auch wenn ich es nicht riechen oder schmecken konnte. Es war schlicht schön, jemandem bei etwas zuzuschauen, was er anscheinend verdammt gut kann. Mir gefällt an dieser Staffel besonders, dass die Kandidat*innen keinen komplett ausgefallenen Kram nachbauen müssen, sondern Dinge, die ich auch selbst hinkriegen würde. Nie in der Schönheit und vermutlich erst recht nicht in der Tiefe des Geschmacks, aber das ist Alltagsküche, wenn auch gehobene. Ich fand das alles sehr schön. (Und danach lernte ich, was Austern Rockefeller sind, was eher keine Alltagsküche ist.)

Den Abend verbrachte ich in äußerst angenehmer Gesellschaft im Obacht, einem kleinen Lokal in meiner Nachbarschaft, das sich auch bewusst als Nachbarschaftskneipe etabliert hat. Kein Schnickschnack, simples, aber gutes Essen, natürlich das beste Bier der Stadt und dazu, für mich immer ein wichtiges Kriterium, bequeme Sitzgelegenheiten. Wie ich gestern zum ersten Mal bemerkte, hat der Laden noch einen Vorteil bzw. eine totale Nettigkeit, die bei mir Sympathiepunkte bis ganz weit oben bringt: Auf dem Damenklo stehen nicht nur Handcreme und Deo rum, sondern es liegen auch Tampons aus. Für lau. Weil der Laden halt nett ist.

Kürbisgnocchi

Es ist Herbst, ich habe einen Kürbis, aber keine Lust auf die ewige Suppe. Nicht, dass mir die nicht schmeckt, ganz im Gegenteil, aber gestern wollte ich auf irgendwas rumkauen. Ich googelte nach Kürbisgnocchi und fand diverse Rezepte, die gerne zum Kürbisfleisch noch Kartoffeln oder Kartoffelpüreeflocken aus der Tüte haben wollten. Dieses in Internetjahren uralte Rezept (2011!) von Juliane wollte Polenta, was für mich sehr gut klang. Nachgebastelt und zum Selbernachbasteln empfohlen.

Für eine recht ordentliche oder zwei sparsame Portionen

300 g Hokkaido-Kürbis vorbereiten. Das heißt: Kürbis halbieren, Kerne und Fruchtfleisch mit einem Löffel rausschaben und in Spalten, dann in grobe Stücke schneiden und davon 300 Gramm abwiegen. Ich habe den Kürbis auch noch geschält; muss man bei Hokkaido nicht, hab ich trotzdem gemacht, weil ich mich an manche Schalenstücke in Suppen erinnerte, und da habe ich den Kürbis sogar noch püriert. Das wollte ich hier nicht machen, obwohl es im Originalrezept angegeben ist. Den Kürbis im auf 200 Grad vorgeheizten Ofen für 25 bis 30 Minuten backen. Er sollte weich sein, aber noch nicht matschig. Ich habe die Stücke dann mit meinem Kartoffelstampfer zu Mus verarbeitet, aber eben nicht zu recht flüssigem Püree.

Das Mus mit
etwas Muskatnuss und
ordentlich Salz würzen.
1,5 EL Polenta unterrühren, dann nach und nach
100 g Mehl, bei mir Type 550. Ich habe möglichst wenig gerührt, sondern immer nur so, bis ich kein Mehl mehr gesehen habe.

Alles zusammen ergibt einen nicht wirklich festen Teig, deswegen wollte ich ihn so wenig anrühren wie möglich. Kneten geht eh nicht. Den Teig für 30 Minuten im Kühlschrank parken, bis er halbwegs abgekühlt ist.

Danach halbieren und zu zwei Strängen mit circa einem guten Zentimeter Durchmesser ausrollen. Rollen heißt in diesem Fall: mit den Händen vorsichtig über die sehr gut bemehlte Arbeitsfläche schubsen, bis sich eine Rolle bildet. Wie gesagt: weicher Teig.

Aus der Rolle ein bis zwei Zentimeter breite Stücke abschneiden. Bei mir waren die Stücke größer, weswegen auf dem obigen Bild alles ein bisschen sehr rustikal aussieht. Wer mag, drückt die Stücke mit einer Gabel etwas platt, damit sie ein Muster bekommen. Sie über die Gabel zu rollen, habe ich nicht mal versucht. Weicher Teig. (Ich sage das nur so oft, weil bei so ziemlich allen ergoogelten Rezepten immer irgendwer in den Kommentaren von dieser Tatsache total überrascht ist.)

Die Gnocchi in kochendem Salzwasser garen, bis sie an die Oberfläche treiben. Das dauert knappe fünf Minuten.

Ich habe sie danach noch kurz in Butter angebraten. In der Butter waren schon ein paar Pinienkerne, und als ich die Gnocchi herausgehoben habe, durfte noch ein bisschen Spinat in ihr zerfallen. Pfeffer und Parmesan drüber und servieren.

Was schön war, Montag, 26. November 2018 – Wohnung adventsfein machen

Den Vormittag verbrachte ich mal wieder und hoffentlich vorerst das letzte Mal bei Ikea, um jetzt doch noch ein paar Lampen zu erstehen. F. hatte mir angeboten, am kommenden Samstag den Handwerker zu spielen, wenn er Arbeitsmaterial hätte, und wenn ich darum herumkomme, mit meinem Wackelfüßchen auf einer Leiter zu stehen und freihändig Löcher in Decken bohren zu müssen, besorge ich Arbeitsmaterial, bis die Schwarte kracht. Jetzt liegen hier also noch vier Lampen, die an vier Decken müssen.

Außerdem steht hier jetzt eine Art Adventskranz in der Küche: Ikea hatte schlichte weiße Kerzen, die von 1 bis 4 nummeriert waren. Die stellte ich gestern auf einen meiner goldenen Dekoteller und legte noch ein paar Tannenbaumkugeln drumherum, fertig war der kostengünstige Wohnungsschmuck.

Eigentlich war meine Tasche mit den vier Lampen und den verfickten 15 üppig verpackten und null platzsparenden Leuchtmitteln schon arg voll und schwer, aber an den Kerzen konnte ich nicht vorbeigehen (dafür an allen anderen!). Außerdem hatte ich mir einen Lichtervorhang aus Sternen auf den Einkaufszettel gepackt, den ich immerhin im Rucksack verstauen konnte. Etwas in der Art hatte ich schon einmal, und ich mag das Licht von den Dingern sehr gern.

Voll bepackt gondelte ich mit Bus, S- und U-Bahn wieder nach Hause bzw. kaufte am Hauptbahnhof auch noch mein Lieblingsbrot. Und zwei Vanillekrapfen als Belohnung fürs Schleppen.

Zuhause angekommen war ich sehr motiviert, noch weiteren Kram zu erledigen, den ich seit Wochen vor mir herschob und ging daher, nachdem ich die Einkäufe in der Wohnung verstaut hatte, in den Keller. Dort schnappte ich mir die Reste der weißen und blauen Farbe, um damit die letzte Ecke im Arbeitszimmer zu streichen. Dort hatte ich nämlich um die weiße Heizung herum bewusst einen deutlich sichtbaren Abstand gelassen und sogar eine halbwegs ordentliche Kante produziert. Mir ging dieser weiße Raum aber doch immer mehr auf den Zeiger, je länger ich auf ihn schaute, und so strich ich gestern eine weitere Kante mit weiß vor, die knapp hinter der Heizung liegt, ließ es trocknen und strich dann mit blau den bisherigen Weißraum farbig. Jetzt sieht es fast so aus, als würde der Heizkörper auf blau sitzen und das gefällt mir sehr gut.

Anschließend bastelte ich mir aus Kabelbindern Haken, die ich an meine Gardinenstange über dem Balkonfenster anbrachte, woran ich dann den Sternenvorhang befestigte. Mein Schreibtischmainzelmännchen Det (Brillenträger-Crush) und ich finden das bisher sehr gemütlich.

Mittendrin sagte mir eine Kundin einen weiteren Job zu, was mich sehr freute, denn das fühlte sich an, als ob ich die gestrigen Ausgaben gleich wieder drin hatte.

Den Abend verbrachte ich vor der ersten Folge einer arte-Serie, in der Prominente ihre Lieblingsmuseen bzw. ein paar Werke darin vorstellen. Ich freute mich über ein Wiedersehen mit dem Prado, meinem Lieblingsmuseum, aber so richtig überzeugt hat mich die Serie nicht. Vielleicht ist es die Nervigkeit des tätowierten Kunsthistoriker-Moderators (fangen nach den Köchen jetzt auch noch wir mit dem großflächigen Kram an?) oder sein sinnloses Agieren an ebenso sinnlosen Steampunk-Monitoren, vielleicht auch die Tatsache, dass wieder die Werke gezeigt wurden, die eh jeder im Prado kennt. Ich habe durchaus noch etwas lernen können und alleine für das Wiedersehen mit den Goyas war es meine Zeit wert, aber die Darbietungsform war nicht so meine. Vielleicht schaut ihr einfach selbst.

Was schön war, Sonntag, 25. November 2018 – Sofatag

Gestern habe ich nichts gemacht. Also nichts im Sinne von: Ich habe genau das gemacht, was ich machen wollte. Morgens die erste Kanne Tee gekocht, vom Bett aufs Sofa gewechselt, Feuchtwanger gelesen, ein, zwei Serienfolgen geguckt, weiter gelesen, noch eine Serienfolge, irgendwann zum standesgemäßen Mittagsschlaf weggenickt (vermutlich bei einer Serienfolge), nächste Kanne Tee gekocht, zwischendurch ein paar Brote mit wahlweise Aprikosenkonfitüre oder Käse gegessen, gelesen, geguckt, Candy Crush gespielt, abends die Küche wieder auf Vordermann gebracht (aka Krümel wegwischen und abwaschen), am späten Abend kam F. vorbei und es gab noch ein Bierchen zum Gespräch am Küchentisch. Gemeinsam eingeschlafen.

Hervorragender Tag.

This User-Friendly Menstrual Cup Is What Happens When Design Is Inclusive

Generell eine schlaue Idee: auf Menschen hören, die nicht dem Standardaussehen entsprechen und die Standardfähigkeiten haben.

„The whole thing started with Jane Adame cursing to herself in the bathroom. “It has a very unglamorous origin,” said Adame. “Just standing in the bathroom swearing and injuring myself.”

Adame was trying to remove a menstrual cup—a small reusable cup to catch blood—and it wasn’t going well. A menstrual cup sits inside the vaginal canal, and if it’s properly sized it should snugly hug the wall of the vagina. But that means in order to get the cup out, users have to be able to get their hand up into their vagina, deftly pinch the cup, and slowly pull it out, all without spilling the contents. Adame has Ehlers-Danlos syndrome, a connective-tissue disorder that often makes people’s joints unstable. When trying to take out the used cup requires a fair amount of both wrist flexibility and hand strength, Adame risks dislocating her joints. Not exactly something you ever want, but especially when you’re trying to remove a container of blood from your body without spilling.

Here at Design Bias, a lot of what I do is tell you about how badly things are designed. For this installment of the column, I’d like to show what’s possible when previously excluded voices are included in the design process. Because that’s exactly what Adame, and the cup she invented, represent.“

(via @hanhaiwen)

Jeden Tag eine gute Tat.

Tagebuch Samstag, 24. November 2018 – Fuppesfrust

Morgens bei F. konnten wir nicht so lange rumlungern, wie zumindest ich es gerne gehabt hätte, weil der Herr einen Termin hatte. Also ging ich einkaufen, dann erst nach Hause, kochte Tee und las auf dem Sofa vor mich hin, bevor ich mich in den Zwiebellook fürs Stadion zwängte. Unter Shirt und Pulli kam das Thermooberteil, in dem ich walke, denn das speichert Wärme ganz ausgezeichnet, unter die Jeans kamen die Thermotights, bei denen „tight“ wirklich „tight“ meint. Falls ich jemals wieder eine lange Flugreise machen werde, gehen die bestimmt auch als Kompressionsstrumpf durch. Sind aber trotzdem top bequem. (Ich verlinke mal wieder Nike, die gute Sportbekleidung auch für dicke Menschen anbieten und dafür auch etwas kräftigere Damen als Models engagiert haben.)

Gestern fuhr ich ausnahmsweise ohne F. nach Augsburg ins Stadion, hatte also keinen Gesprächspartner für die 40-minütige Zugfahrt. In meine dicke Winterjacke passt zwar ein Taschenbuch in die Innentasche, ich lese aber nun mal gerade den dicken Feuchtwanger und hatte keine Lust auf alle meine eBooks, die ich auf dem Handy mit mir rumtrage. Also stopfte ich mir 800 Seiten große Literatur in die Seitentasche und in die andere meinen eingerollten FCA-Schal. Der bleibt bis Augsburg in der Jacke, seit ihn mir in München mal ein schlecht gelaunter Blauer wegreißen wollte. Ich war netterweise in breitschultriger Begleitung und habe daher meinen Schal noch. Aber ganz ehrlich: Wenn ich alleine gewesen wäre, hätte ich ihn locker hergegeben. Wenn dem Idioten dabei einer abgeht, ein Stück Textil zu klauen, dann bitte. Meine Verachtung für sein armseliges Leben ist ihm sicher, und ich kaufe mir einfach einen neuen Schal. (Fußballrituale können so erzdämlich sein.)

Auf der Fahrt selber saß ich dann quasi inkognito hinter einigen Herren, die sich teilweise als Eintracht-Frankfurt-Fans zu erkennen gaben (oder an ihren schwarzweißen Schals erkennbar waren), teilweise als Bayernfans, die die Karten fürs Spiel #FCASGE gewonnen hatten. Der Frankfurtfan meinte, sie hätten Augsburg in zehn Spielen nie schlagen können; wenn nicht heute, mit dieser Mannschaft, wann dann? Die Bayernfans beglückwünschten ihn bzw. seine Mannschaft nochmal zum Pokal, und alle waren nett zueinander. Ich kannte die Statistik der letzten zehn Spiele gar nicht und war von Augsburg beeindruckt.

Leider nicht sehr lange.


(Hinter meiner Hand oben links im Bild geht gerade die Sonne hinter dem Stadion unter. Ich habe die mal nicht weggeschnitten, damit ich mich selber daran erinnere, dass ich im Winter keine Sonnenbrille im Stadion brauche, weil die Sonne pünktlich zum Anpfiff nicht mehr blendet.)

Der Kids Club drehte vor dem Spiel seine übliche Ehrenrunde, wie immer auch mit Kindern der Gastmannschaft, was netterweise stets dazu führt, dass die sonst unerbittlich pfeifenden Gegnerfans mal drei Minuten Ruhe geben und kleinen Kindern winken, wie der Rest des Stadions auch. Ich mag das sehr.

Dann gab’s allerdings kaum noch was, was ich mochte. Der FCA kassierte nach 51 Sekunden das erste Gegentor, nach 46 Minuten das zweite, an das dritte kann ich mich nicht erinnern, und bis auf die zwei Minuten nach dem 1:3 in der 91. Minute hatte ich auch nie das Gefühl, dass Augsburg Herr auf dem eigenen Platz war. In der ersten Halbzeit ließ ich mich ab und zu zum Pöbeln hinreißen, weil ich so stinkig war, in der zweiten saß ich nur ergeben in unser Schicksal rum und wartete, bis endlich der Abpfiff kam. Nach dem 0:3 dachte ich ganz kurz darüber nach, schon zu gehen und einen früheren Zug zu nehmen, aber das macht man ja bekanntlich nicht. (Fußballrituale können so erzdämlich sein.) So sah ich immerhin noch ein Tor vom FCA, wollte aber nach dem Spiel wirklich dringend nach Hause. Das war extrem anstrengend beim Zugucken, weil der Mannschaft quasi alles fehlte, was sie beim Spiel gegen zum Beispiel Dortmund noch so aufregend gemacht hatte. Gefühlt kam ein Pass von zehn an, alle wollten es wieder irre kompliziert machen, und wenn es jemals eine Vereinsgeschichte geben sollte, müsste ihr Titel „JETZT LASST DOCH MAL DIE SCHEISS QUERPÄSSE!“ lauten. Die Statistik weist Augsburg leider als Kloppertruppe aus, aber nicht mal diese *hust* Stärke konnten sie gestern aus*hust*spielen, weil Frankfurt cleverer foulte und der Schiedsrichter für mein Gefühl irre viel durchgehen ließ (aber für beide Mannschaften – auch nur gefühlt).

Immerhin war ich schnell bei und in der Tram und schaffte es noch zum frühen Zug um 18.08 Uhr anstatt auf den um 18.42 warten zu müssen. Der Zug war leider ein kurzer und dementsprechend voll, aber netterweise bot mir ein FCA-Fan seinen Sitzplatz an. Sehe ich schwanger aus? Hat Dicksein ungeahnte Vorteile? Oder war der Kerl einfach nur nett? Egal, ich saß. Die ältere Dame neben mir meinte weise: „Wenn die Fans so leise in den Zug kommen, ahnt man immer schon, wie das Spiel war. Verloren?“ Ich berichtete und grinste innerlich darüber, dass die Dame anscheinend die Horde grölender Eintrachtfans zwei Wagen hinter uns nicht gehört hatte. Vor denen hatte ich auf dem Bahnsteig ein bisschen Angst gehabt. Ich mag größere Männergruppen generell nicht, noch weniger mag ich sie bei Fußballspielen (sorry, Jungs) und am allerwenigsten, wenn sie auch noch Bier intus haben. Ich verstehe nicht, dass beim FCA nicht nur alkoholfreies Bier ausgeschenkt wird. Klar tanken alle vorher schon, aber das wäre immerhin eine kleine Möglichkeit, Dinge etwas besser im Griff zu haben.

Neben mir im Zweiersitz hatte es sich ein Frankfurtfan mit seinem kleinen Sohn bequem gemacht, der den umstehenden FCA-Fans begeistert erzählte, dass er vier sei und heute zum ersten Mal im Stadion und wie toll alles gewesen wäre und so weiter und so fort. Die FCAler klönten gemütlich mit, und so fand dann doch eine kleine Fanverbrüderung statt und ich konnte einfach nicht mehr stinkig sein.

Das wurde ich dann in der U-Bahn vom Bahnhof nach Hause, als ernsthaft wieder jemand über den FCA-Schal lästerte, den ich vergessen hatte, wieder in die Tasche zu stecken. Irgendein Trottel textete erst mich und dann seine immerhin komplett unbeeindruckte Freundin voll, dass ich mich wohl verfahren hätte, Augsburg würde hier nicht spielen, was für eine Scheißstadt und er hätte mal einem FCA-Fan in München den Schal geklaut und yadayadayada und dann ging ich einfach weg, weil ich gerade wieder gute Laune gehabt hatte. Vollpfosten. Kein Wunder, dass so viele Leute Fußballfans scheiße finden. Ich finde uns manchmal auch scheiße.

Was schön war, Freitag, 23. November 2018 – Ungeplantes

Ich ließ mich um 7 vom Wecker wecken, um bloß nicht zu spät zu einem Termin zu kommen, anstatt wie in den letzten Tagen luxuriös einfach irgendwann zwischen 7 und 8 von alleine aufzuwachen. Der morgendliche Flat White war in Teilen hervorragend (Espressobohnen aus dem Wiener Caffé Couture) und in Teilen scheiße (Milch blieb auch nach liebevollstem Schäumen Milch und ließ sich nicht mal zu Fluff überreden). Ich korrigierte den am Abend vorformulierten Blogeintrag und war sehr damit zufrieden. Dann packte ich Exil von Feuchtwanger in meinen Rucksack, in dem ich gestern früh auf Seite 530 von 850 war. Ich bin jetzt in der Ecke des Buchs angekommen, bei der ich sehr deutlich ahne, dass, wenn ich jetzt aufhöre zu lesen, niemandem mehr noch Schlimmeres passiert als bisher passiert ist. Das ist wie mit der West Side Story – wenn ich 20 Minuten vor Schluss aufhöre zu schauen, muss niemand sterben und alles geht gut aus. Logisch.

Diese innere Milchmädchenrechnung erinnert mich immer an meinen Gesangsunterricht. Wenn ich wieder vor Rührung über Liedmelodie oder -text heulend am Notenständer stand und sich meinen Lehrerin freute, dass ich einen so tollen, unmittelbaren Zugang zu meinen Emotionen hätte und ich innerlich nur „FUCK THAT SHIT, ICH KOMME NIE DURCH CHRISTINA AGUILERAS BEAUTIFUL“ wimmerte.

Exil eingepackt und zur U-Bahn gegangen, weil ich zu einem Termin wollte. Schon an meiner Haltestelle zog ich das Buch wieder aus dem Rucksack, las drei Stationen, wartete an der nächsten Haltestelle, las, fuhr drei Stationen, las noch ein bisschen, weil ich zu früh war, und packte das Buch wieder ein, um die letzte Strecke zu Fuß zu gehen. Als ich dann vier Minuten vor der vereinbarten Zeit ankam, stellten meine Gesprächspartnerin und ich fest, dass wir uns verschiedene Uhrzeiten aufgeschrieben hatten. Ich bot an, noch einen Kaffee trinken zu gehen und in einer Stunde wiederzukommen, was gerne angenommen wurde.

So bummelte ich durchs Lehel, wo ich eigentlich nie bin außer wenn ich mir in der Versicherungskammer Ausstellungen anschauen möchte. Ich schlenderte über den St.-Anna-Platz – und blieb grinsend stehen, weil ich an einer Hauswand eine Gedenktafel entdeckte, ausgerechnet für Lion Feuchtwanger, der in einem dort stehenden Haus seine Kindheit verlebt hatte. Das fühlte sich seltsam an, aber auch sehr schön.

(Beim Googeln für diesen Blogeintrag die Wikipedia-Liste für Gedenktafeln in München gefunden.)

Foto gemacht, halbwegs entzerrt – die Tafel hängt recht weit oben –, instagramt, wie sich das halt gehört, dann in ein Café gesetzt, um einen sehr guten Milchkaffee zu genießen und, natürlich, Feuchtwanger zu lesen.

Mit warmem Kaffeebauch und äußerst entspannt ging ich dann wieder zum Termin, der ebenfalls sehr entspannt verlief.

Den Nachmittag verbrachte ich damit, innerlich die DHL-Hotline anzuschreien, Dinge zu kündigen und andere in Angriff zu nehmen. Und dann las ich weiter Exil und fand meine schlimmsten Ahnungen bestätigt, bis es endlich Abend war und ich F. mal wieder zu Gesicht bekam. Wusste schon gar nicht mehr, wie der Mann aussieht.

Zwei Gin Tonics, gemeinsam eingeschlafen.

Was irgendwie schön war, auch wenn das Thema fies ist, Donnerstag, 22. November 2018 – Rumlesen und rumgucken

Nach den ein, zwei langen Wien-Einträgen hatte ich keine Lust mehr auf den dritten, der ebenfalls so lang geworden wäre, weswegen euch leider die schöne, zweistündige Diskussion im Burgtheater entgangen ist, falls ihr vorletzte Woche nicht schon meinem Link auf Twitter gefolgt seid. Die Veranstaltung „Aufbruch in die Zukunft. 1918 und heute – Matinee zum Ende des Ersten Weltkriegs und zur Ausrufung der Republik“ wurde nämlich live auf Ö1 übertragen und ließ sich auch eine Woche lang nachhören. Jetzt ist der Link leider tot.

Ich fand es sehr spannend, das Ende des Weltkriegs aus österreichischer Perspektive besprochen zu hören. Zum einen musste ich danach erstmal Daten googeln, weil ständig vom 26. Oktober als Feiertag gesprochen wurde und ich schlicht nicht wusste, was da passiert war. (Jetzt weiß ich’s.) Peinlicherweise wusste ich nicht, dass auch Österreich von den Alliierten besetzt war, genau wie Deutschland. Überhaupt weiß ich viel zu wenig über unser Nachbarland, weswegen ich das Buch von Philipp Blom ja so spannend fand. Ich weiß, ich verlinke neuerdings dauernd zu meinem Blogeintrag zum Buch, aber das lohnt sich wirklich; hier halt der Absatz über Österreich bzw. das letzte eingerückte Zitat, in dem beschrieben wird, wie aus dem Riesenreich Österreich-Ungarn das kleine Ding wird, was es heute noch ist und was es vorher nie war. Während der Veranstaltung fiel die Bemerkung, dass für die 1918 ausgerufene Republik 22 Dynastien auf ihre Kronen verzichteten. Das ist doch mal schöner Partysmalltalk.

Zum anderen habe ich von dieser Veranstaltung außer dem gesprochenen Ohrwurm „Hoch die Republik“ noch die Würdigung der unglücklicherweise so bezeichneten Zwischenkriegszeit mitgenommen. So geht es mir selbst auch, vor allem im Hinblick auf meine Diss: Für mich sind die 20er Jahre nur ein Zwischenspiel oder eine böse Ouvertüre zum noch böseren Stück. Ich vergesse selbst gerne, wie unglaublich revolutionär (im wahrsten Sinne des Wortes) diese Zeit gewesen ist und welche Umwälzungen in sehr kurzer Zeit passierten. Errungenschaften wie die erste Republik (Volksgewalt statt Monarchie, kein Gott mehr in der Verfassung), die erste Demokratie auf deutschem Boden, das Frauenwahlrecht etc. werden auch in meinen inneren Zeitläuften verdrängt von Inflation, Wirtschaftskrise und drohendem Nationalsozialismus. Gleichzeitig ist mir bewusst, warum die 20er auch die Goldenen Zwanziger genannt werden: neue Musik, Film als Massenmedium, Bauhaus-Architektur, mehr Freizügigkeit, der Bubikopf (um mal ein Beispiel der neuen Mode zu nennen). Ich fand es spannend, diese Zeit gewürdigt zu sehen und versuche mich seitdem selbst immer wieder daran zu erinnern.

Die Diskussion drehte sich dann auch um die heutige Zeit; es wurde gefragt, warum nicht wieder der 12. November gefeiert werde, an dem 1918 die erste Republik Österreich ausgerufen wurde. Es wurde mehr Verfassungspatriotismus gefordert, mehr Stolz auf demokratische Errungenschaften und mehr Ächtung von Antidemokraten, von denen Österreich leider auch genug hat (der Seitenhieb auf die AfD blieb nicht aus). Es wurde auch betont, dass manche Dinge schlicht nicht verhandelbar seien (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Kunstfreiheit, Individualrechte, die Versorgung Schwächerer), weswegen es auch nichts bringe, mit Rechten zu reden, die genau diese Dinge verhandeln wollten. Großer Applaus, auch von mir.

Neben der Diskussion gab es Ausschnitte aus Texten, die von Schauspieler*innen des Burgtheaters gelesen wurden. Einen der Herren sahen wir abends übrigens in der spannenden Inszenierung von Glaube Liebe Hoffnung von Ödön von Horváth wieder, und seitdem wir Karten für dieses Stück hatten, erzählte mir F. von einem dreiminütigen Ausschnitt aus einem alten Programm von Josef Hader, der in Paris den Ast trifft, der 1938 Horváth erschlagen hatte.

Einige der Texte las ich gestern in der Stabi nach. Besonders beeindruckt hatte mich K. u. K. Geflüster von Andrzej Stasiuk, eine Rede, die der Verfasser am Burgtheater 2008 (?) gehalten hatte und die in Lettre abgedruckt ist (leider online nicht vollständig). Das Magazin gibt es seltsamerweise auch in Unibibliotheken nicht online, weswegen ich gestern mit dem dicken Jahresband im Lesesaal saß. Der Erzähler besucht an Allerheiligen einen Friedhof, auf dem Gefallene des Ersten Weltkriegs liegen, die miteinander sprechen. Ich hatte mir von der Lesung den Begriff der „mineralischen Knochen“ gemerkt, die der Regen zerfrisst, genau wie „die Reste von Metall, die Schnallen, die Knöpfe mit den Regimentsnummern, die Plomben in den Zähnen, die Nägel in den Stiefeln. Wenn sie in Stiefeln bestattet wurden. Da bin ich nicht sicher.“

„„Wer spricht?“

„Der Gemeine Jussuf Kusturic, 4. Bosnisch-Herzegowinisches Infanterieregiment, Friedhof in Przyslup. Sammelgrab, das erste links vom Eingang.“

„Wann bist du gefallen?“

„Am 2. Mai in der Früh’. Am ersten Tag der Schlacht von Gorlice. Ich stieg aus dem Graben und war tot. Ich war aus der Gegend von Mostar. Ich bin hierhergekommen, um zu sterben.“

„Aber du hast vier Monate länger gelebt.“

„Ja. Aber im Mai zu sterben, das tut weh. Ich weiß nicht einmal, was es war. Ich war einfach plötzlich tot. Die Buchen trieben kleine grüne Blätter. Ich lag auf dem Rücken, bis schließlich alles still wurde und erlosch. Im Winter hört man hier keine Geräusche. Dann rufe ich mir in Erinnerung, wie Mostar im Dezember duftete, wie Travnik duftete und Sarajevo. Sie dufteten nach Eichenrauch.“

„Mein Dorf roch nach Kiefern- und Birkenrauch. Der Frost kam im Oktober, tausend Werst östlich von Moskau. Doch der Zar hat’s befohlen, deshalb kam ich hierher, um von einem Mannlicher Kaliber 8 zu sterben.“

„Und unser Kaiser ließ uns rote Feze tragen, darin gingen wir zum Angriff. Wir trugen rote Feze und waren durch die Bäume meilenweit zu erkennen, denn der Kaiser wollte in seinem Reich kaiserliche Türken haben, deshalb liefen wir mit diesem Rot auf den Köpfen herum wie die Hähne, wir brachen aus Mostar, Tuzla und Sarajevo auf, um auf den Hängen von Magura zu fallen. Wir trugen hellblaue Uniformen, und man sah sofort, wer sich in die Hosen geschissen hatte.“

„Süß und ehrenvoll ist es, sich für den Kaiser in die Hosen zu scheißen.“

„Wer spricht denn da?

„Schütze Mendel Brod. 4. Feldschützenbataillon. Friedhof in Magura. Grab 51. Auch am 2. Mai, so wie der muslimische Kollege. Vermutlich ein Schrapnell.“

„Woher?“

„Bircza bei Przemysl.“

„Garnison?“

„Braunau am Inn.“

„Mach keine Witze.“

(Andrzej Stasiuk (Olaf Kühl, Übers.): „K. u. K. Geflüster“, in: Lettre International 88 (2010), S. 94–97, hier S. 94.)

Ich hatte mir außerdem das Buch Menschen im Krieg (1918) von Andreas Latzko herauslegen lassen, das in der Stabi nur in alter deutscher Schrift zu finden war; ein Exemplar stammt von der Ordensburg Sonthofen, was mich etwas erstaunte, denn der kurze Ausschnitt, den wir hörten, beschrieb die Heimkehr eines kriegsversehrten Soldaten. Ich las die Geschichte gestern zuende und möchte nun das ganze Buch lesen, worauf ich gestern im Lesesaal aber keine Lust hatte.

Ausgeliehen habe ich mir den Sammelband Hungern – Hamstern – Heimkehren: Erinnerungen an die Jahre 1918 bis 1921 (Inhaltsverzeichnis), aus dem wir einen kleinen Ausschnitt von Lotte Pirker gehört hatten.

Mein Nachhauseweg führte mich am Bayerischen Hauptstaatsarchiv vorbei, wo ich ein Plakat für die Ausstellung Getroffen. Gerettet. Gezeichnet – Sanitätswesen im Ersten Weltkrieg sah, die thematisch natürlich hervorragend passte, weswegen ich gleich hineinging. Das könnt ihr auch noch bis zum 30. November tun, und ich empfehle das sehr. Ist nur ein Raum plus ein Vorraum. In dem steht als zentrales Ausstellungsstück ein durchschossener Stahlhelm, was äußerst plakativ klarmacht, worum es geht.

Ich fand es bemerkenswert, wieviele originale Stücke aus der Zeit ausgestellt waren: Verbandsmaterial, medizinisches Werkzeug, wobei mich ein dreistöckiger Koffer mit Operationsbesteck sehr beeindruckte; ein Morphium-Spritzbesteck, dessen Leihgeber „Privatbesitz“ mich auch kurz stutzen ließ – die meisten Stücke kamen aus militärhistorischen oder medizinischen Sammlungen. Wie im verlinkten Flyer zu sehen ist, ging es auch um die Nachkriegszeit und wie mit Versehrten umgegangen wurde. Ich lernte, dass die Deutschen als erste Giftgas einsetzten, dass es Gasmasken für Pferde gab und Hunde zur Rettung von Verwundeten genutzt wurden. Es gab Prothesen zu sehen und zerschossene Knochen, was alles nicht wirklich Spaß macht, aber ich fand es sehr eindringlich, ohne sensationsheischend zu sein.

Und seit den Fotos weiß ich auch, dass die Soldaten in ihren Stiefeln bestattet wurden.

Tagebuch Mittwoch, 21. November 2018 – Uni-Umfrage

Viel Orgazeug erledigt, mich über Kleinkram sinnlos geärgert, mich darüber geärgert, dass ich mich ärgere, versucht, das Ganze mit einem Spaziergang zu verscheuchen und mit diesem außerdem das Nette mit dem Nützlichen zu verbinden. Das sah dann so aus:

Im Briefkasten lag eine Art Mahnung – oder eher: eine weitere Aufforderung – der LMU, mich doch bitte echt jetzt mal an ihrer Absolvent*innenumfrage zu beteiligen. Den Brief hatte ich schon einmal im Oktober bekommen, mich aber entschieden, nicht an der Onlinebefragung teilzunehmen. Ich twitterte:

„Die LMU bittet mich zum wiederholten Mal, an den „Bayerischen Absolventenstudien“ teilzunehmen, um den weiteren Lebensweg von Mastern zu verfolgen. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Antworten helfen werden. („Hab nen Job, hatte ich vorher schon, Studium war lustig, danke.“)“

Woraufhin die, Zitat von ihrer Homepage, „hochschuldidaktische Trainerin und Beraterin“ Cornelia Kenneweg eine sehr schlaue Antwort hatte, die mich sofort den Log-In-Code eintippen ließ:

„Das ist keine unwichtige Information, um dazu beizutragen, das Bild von Studium als Lebensphase zwischen Abi und Beruf aufzuweichen.“

Die Umfrage war dann doch etwas komplizierter als gedacht, denn dass ich Dinge wie Organisationsvermögen oder Kreativität im Studium vielleicht hätte lernen sollen, erfuhr ich erst dadurch. Was auch abgefragt wurde: Ob ich mündliches Präsentieren oder eine gute schriftliche Ausdrucksform gelernt hätte? Und da muss ich doch Kritik anbringen: Wenn ich das hätte lernen sollen, hätte das vielleicht mal jemand erwähnen müssen.

Das mag natürlich an meiner ausgezeichneten Schreibe liegen *hust*, dass ich meine Hausarbeiten immer mit einem Lob für sie zurückbekommen habe, aber wenn ich diese Schreibe nicht vorher schon gelernt hätte, hätte ich sie im Studium vermutlich nicht großartig verbessern können. In unseren Einführungsseminaren hatten wir dem kunsthistorischen Stoff genug zu tun und der Einweisung in unsere Hilfsmittel wie Bibliotheken, Zeitschriftenregale oder Datenbanken. Wie man ein hübsches Referat formuliert, eine Powerpoint-Seite ansprechend gestaltet oder eine Hausarbeit schreibt, wurde nicht groß erläutert. Einige Dozentinnen gaben immerhin eine Art Struktur für Referat und Hausarbeit vor, was für viele hoffentlich eine Hilfe war; ich fand es sehr sinnvoll, auch wenn ich es nicht mehr gebraucht habe nach den ersten beiden Versuchen. Aber wenn ich mir genau diese beiden Semesterarbeiten durchlese, sehe ich heute ganz genau, was fehlt – was ich aber erst erfahren habe, als ich sie von der Dozentin wieder zurückbekam.

Es kann natürlich sein, dass man diese Fähigkeiten heute in der Schule beigebracht bekommt, das kann ich nicht beurteilen. Als ich in den 80ern Abi gemacht habe, hatte noch niemand einen Laptop und musste sich mit PPT-Effekten abmühen (oder sie um Gottes Willen verhindern, Munch-Emoji). Ich habe mich aber trotzdem des Öfteren gewundert, dass ausgerechnet Kunstgeschichtsstudentinnen, denen ich ein gewisses Interesse an der Optik einer Sache unterstelle, Bilder in Thumbnailgröße in ihren Slides hatten oder gelbe Schrift auf pinkfarbenem Grund. Immerhin da wurde so ziemlich von allen Dozentinnen räuspernd angemerkt, dass man das noch optimieren könnte und auch wie.

Am Schluss der Umfrage gab es die Möglichkeit, persönliche Anmerkungen anzubringen, was ich natürlich tat (ich lebe für persönliche Anmerkungen, ich schreibe die seit 16 Jahren ins Internet). Wortwörtlich weiß ich es nicht mehr, aber sinngemäß schrieb ich, dass ich mich sehr darüber gefreut habe, in meinem irre hohen Alter (über 40) noch ein reguläres Studium beginnen zu können anstatt im Seniorenstudium zu landen, dessen Abschluss kein Äquivalent zum BA oder MA darstellt, wenn ich das richtig verstanden habe.

Eben beim Googeln zu diesem Thema entdeckte ich, dass man in Bayern nur mit Abitur seniorenstudieren kann. Andere Bundesländer sind da gnädiger, denn:

„Heutige Seniorenstudenten sind zu einer Zeit groß geworden, in der es nur sehr wenigen Menschen vergönnt war, das Abitur abzulegen und ein Studium aufzunehmen. Der Besuch eines Gymnasiums war einer – wie auch immer definierten – Elite vorbehalten, während dem überwiegenden Teil der Gesellschaft eine wissenschaftliche Bildung verwehrt blieb. Im Jahre 1950 etwa besaßen nur etwa 5 % der deutschen Bevölkerung eine Hochschulzugangsberechtigung, selbst 1960 durften nur 7 % des Jahrgangs ein Studium beginnen. Kein Wunder also, dass viele Senioren kein Abitur haben und sich deshalb fragen, ob sie überhaupt studieren dürften.“

(Quelle)

Ich meine mich daran zu erinnern, dass man an der LMU bis ungefähr Mitte 50 ein reguläres Studium aufnehmen kann, aber diese Info habe ich mir vor sechs Jahren ergoogelt, als sie für mich wichtig war und ich finde sie gerade nicht mehr wieder. Wenn ihr also noch mal in die Hörsäle wollt – was ich total empfehlen kann –, dann müsstet ihr bitte selbst nachschauen, was für eure Uni gilt. Und dann dürft ihr fünf Jahre danach eine lustige Umfrage ausfüllen, die als Goodie neben 4 Wochen digitaler Süddeutscher Zeitung auch Anti-Stress-Seminare verlost.

Tagebuch Dienstag, 20. November 2018 – Bürotag und Reality TV

Das hatte ich mir schon länger vorgenommen: das eigene Portfolio mal wieder überarbeiten und an ein paar Agenturen bzw. Menschen schicken, mit denen ich gerne wieder zusammenarbeiten möchte. So saß ich am Schreibtisch, schob PDFs und JPGS hin und her, mailte, rief Agenturen an, um die passende Ansprechpartnerin herauszufinden (klappte nicht immer), wühlte meine Xing-Kontakte durch, bekam zwischendurch das Okay, um eine Rechnung zu stellen, von einer anderen Stelle eine Entschuldigung, weil eine andere Rechnung noch nicht bezahlt wurde, nachmittags gab’s noch ein Briefing, und dann war der Tag schon rum.

Mittags: Pasta mit Walnusspesto und Radicchio, bei mir leider total unfotogen, aber äußerst wohlschmeckend. Auf das Rezept hatte ich gestern schon verlinkt, das mache ich gerne nochmal.

Abends: Nutellabrot und Spekulatius. Immer auf die ausgewogene Ernährung achten.

Auf Netflix lockte mich die kanadische Serie Consumed in das Kaninchenloch des Binge Watchings. Dabei rufen Familien, die in ihrem eigenen Zeug ersticken, eine sogenannte Aufräumexpertin und ihren Handwerker zu Hilfe. Sie müssen ihr gesamtes Haus einpacken – oder noch besser: dabei schon Dinge wegwerfen – und leben dann ein paar Wochen mit extrem wenigen Dingen, um, wie die Serie immer schön rumraunt, sich den wahren Problemen zu widmen, die vom angehäuften Kram überdeckt werden. Endlich streitet man sich nicht mehr darum, wie unordentlich es mal wieder ist oder dass man nicht mehr in die Garage kommt, weil dort alles vollsteht, sondern um Eheprobleme. Interessanter Ansatz, aber selbst ich als absolute Psycho-Laiin würde vermuten: Diese Diskussionsergebnisse sind nur temporär, weil das nur geborgte Zeit im Vakuum eines leeren Hauses ist.

Der Kracher kommt dann nach wenigen Wochen, wo die Familien ihr Zeug in einem Lagerhaus wiedersehen und die Ansage bekommen haben, sich von 75 Prozent von allem zu trennen. Das kriegen die meisten sogar hin, gerne mit den üblichen TV-tauglichen Sinnlosdiskussionen und Vorwürfen und vielen weinenden Kindern. Das wenige Zeug räumt die Sendung dann wieder ins etwas aufgehübschte Haus ein, wobei „aufgehübscht“ äußerst im Auge des Betrachters liegt; ich fand alle Wandfarben grauenhaft und bin sehr allergisch dagegen, dass kleine Jungs immer Abenteuer- und kleine Mädchen immer pinkfarbene Prinzessinnenzimmer kriegen, letztere gerne mit kleiner Küche drin (WTF?). Außerdem ist die Serie schon fünf Jahre alt, und damals fanden anscheindend alle lila toll. (Ich auch.)

Nach drei Monaten kommt das Fernsehteam nochmal vorbei und guckt, wie die Häuser jetzt aussehen und wie es den Familien geht. Bei den meisten kehrt, in einigen Zimmern oder Abstellkammern jedenfalls, der alte Alles-Aufheben-Instinkt wieder ein, andere haben die Kehrtwende anscheinend wirklich hingekriegt und leben nun in Wohnungen, bei denen man den Fußboden wieder sehen kann. Eine Familie hat sich getrennt, was sich aber schon während des Wegschmeißens angekündigt hatte. Und bei einer Kleinfamilie war ich etwas verstört, sowohl während des Aufräumens als auch nach drei Monaten. Das Ehepaar schien nichts lieber zu tun als einzukaufen, die Frau hortete Tupperware in Mengen, bei denen ich fast erschüttert vor dem Rechner saß. Während der Sendung kamen immer mehr Probleme zum Vorschein – die Mutter der Ehefrau dämmerte als Alzheimerpatientin vor sich hin, der Ehemann packte seine Einkäufe nicht mal aus, und statt der vereinbarten 75 Prozent von Zeug, das weggeschmissen werden sollte, waren es gerade mal 20. Nach den drei Monaten schaute das Team wieder vorbei: Das Zimmer der Tochter war makellos, sie hatte weiter ihre Ecke zum Malen und zum Geigeüben – aber der Rest des Hauses sah genauso aus wie vorher. Nicht verdreckt oder verstaubt wie bei anderen Beispielfamilien, sondern schlicht komplett überfüllt mit Zeug, das niemand braucht und von dem sich niemand trennen kann oder will und zu dem anscheinend jeden Tag neues kommt. Die Tupperwaresammlung füllt die Garage und die Garage der Schwiegereltern, aber die Ehefrau ist trotzdem gut gelaunt, weil sie jetzt wieder ins Fitnessstudio geht.

Ich weiß selbst nicht genau, warum ich das alles aufschreibe. Vielleicht weil es so einfach ist, von außen den Finger auf Probleme zu legen. Vielleicht auch, weil ich mal wieder wütend über Reality TV war, das Menschen, die offensichtlich ein paar tieferliegende Probleme haben als sich nicht zum Aufräumen aufraffen zu können, nach der Aufnahme wieder vergisst. Vielleicht auch, weil ich es gucke. Und weil ich mich unangenehm daran erinnert habe, selbst einmal nichts wegschmeißen zu können, bis eine Freundin mit ihrem VW-Bus und 40 Müllsäcken vorbeikam und mir geholfen hat, weil ich es alleine einfach nicht hingekriegt habe. Das ist jetzt 20 Jahre her und seitdem war meine Wohnung nie wieder unaufgeräumt. Es entwickelt sich manchmal irgendwo eine Ecke, in der Zeug liegt (gerne Bücher), aber so schlimm, dass ich schlicht nicht wusste, wo ich überhaupt anfangen sollte, ist es nie wieder geworden. Es hat mich erschreckt, dass die Tupperware-Frau anscheinend entweder nicht weiß, wo sie Hilfe findet oder glaubt, keine zu brauchen.

Dieser Eintrag hat keine Pointe.

Ich sollte mehr lesen.

In diesem Sinne: 100 Notable Books of 2018. Hübsch sortiert und animiert von der NYT. Gibt es etwas ähnliches für deutschsprachige Bücher?

Tagebuch Montag, 19. November 2018 – Lampenfrust

Morgens fügte ich noch die fehlenden Links zum Fehlfarben-Blogeintrag ein – bei mir und im offiziellen Blog –, die F. erst am späten Sonntagabend produzieren konnte. Florian übernimmt bei uns Aufnahme und Nachbereitung der Datei, F(elix) das Hochladen an relevante Stellen und ich schreibe den Blogeintrag, für den ich auf die Jungs warten muss, weil ich mir die komplette Aufnahme noch einmal anhöre für die Zeitmarkierungen (wann trinken wir welchen Wein, wann sprechen wir über welche Ausstellung). Das mache ich sehr gerne, aber Sonntag abend hatte ich keine Lust mehr aufs Internet und deswegen kam der Eintrag auch erst Montag früh anstatt Sonntag gegen 22 Uhr, wo eh niemand zuhört oder auf unsere Links auf Twitter reagiert.

Da vermutlich nicht viele von euch zuhören: Die Ausstellung Weltempfänger im Kunstbau des Lenbachhauses lege ich euch wirklich ans Herz, vor allem wegen Georgiana Houghton, die im viktorianischen England (!) abstrakt (!) gemalt hat. Sie hat ihre Werke dusseligerweise als Bilder angepriesen, die ihr Geister aus dem Jenseits in die Hände diktiert haben, und so werden sie heute auch noch ausgestellt (die Dame ist erst seit 2014, wenn ich mir das richtig gemerkt habe, der Kunstgeschichte ein Begriff). Ich stellte im Podcast die Vermutung an, dass dieser Umweg für sie vielleicht der einzige war, ihre Bilder überhaupt öffentlich zeigen zu können (was sie nur einmal auf eigene Kosten 1871 tat), denn, auch das erwähne ich: Wir waren noch nicht mal richtig im Impressionismus, und schon mit dem kam kaum jemand zurecht. Und da ist auf einmal eine Frau OMG EINE FRAU, die Formen malt, die man so nicht kennt.

Es ist ein bisschen schwierig, sich von dem Eso- und Geisterzeug freizumachen, aber meiner Meinung nach kann man die Bilder auch so würdigen. Die SZ beschreibt das ganz schön:

„Dass die Schau mit “Weltempfänger” betitelt ist, irritiert zunächst, geht es doch den Künstlerinnen darum, Botschaften aus einem Jenseits einzufangen. Der Begriff bildet andererseits durchaus den fast wissenschaftlichen Anspruch dieser Künstlerinnen ab, die nicht etwa auf der Reise ins Jenseits waren, sondern sich als Instrumente verstanden, um unsichtbare, aber durchaus reale Erscheinungen wahrzunehmen. Lange hat die Kunstgeschichte solche Werke als “Effekte” abgetan und sich mit der Diskussion, ob die Abstraktionen einer Hilma af Klint nun wirklich abstrakt gemeint waren, aufgehalten: Schließlich hätte man dann die Erfindung der Abstraktion einer Frau zuschreiben müssen.

Doch die Ausstellung blickt bereits zurück auf anderthalb Jahrzehnte der Debatte. Die Frage eines verbindlichen “Kanons” der Kunstgeschichte hat sich in den vergangenen Jahren ohnehin aufgelöst, in denen vor allem die zeitgenössische Kunst neugierig über die Peripherie ihrer eigenen Begrenzungen hinaus geschaut hat und in Folge viele bislang marginalisierte Werke international gewürdigt, aufgearbeitet und diskutiert werden.“

Mein erster Tagesordnungspunkt war: endlich mal zum Ikea nach Eching zu fahren, um die noch fehlenden drei bis fünf Lampen für meine Decken zu kaufen. Im Arbeitszimmer leuchtet bereits diese Viererschiene, wenn meine Schreibtischlampe nicht mehr reicht, und für Bad und Flur wollte ich nun Zweierschienen, für Schlafzimmer und Bibliothek auch, wenn noch welche da wären, sonst kommt da gar nichts hin, in den Zimmern stehen genug Steh- und Tischlampen rum. Bei meinem Stammikea in Brunnthal hatte man mir gesagt, die Zweierspots gebe es nur noch in Eching, und so machte ich mich gestern auf den beschwerlichen Weg. Beschwerlich, weil Eching quasi im Niemandsland liegt, jedenfalls wenn man sich den Plan für die Buslinie anschaut, die einen von der S-Bahn-Station in die Nähe des Möbelhauses bringen soll.

Ich vermisste für eine Sekunde ein Auto, stand so aber an der Bushaltestelle und las weiter Feuchtwangers Exil. Je länger das Buch dauert, desto anstrengender wird es, ich erwähnte es bereits, ich erwähne das auch weiterhin, denn das Buch ist fantastisch und ihr müsst das alle lesen.

Irgendwann war ich dann bei Ikea, wo ich, fast wie erwartet, feststellen musste, dass auch dort keine Zweiterspots mehr vorhanden waren. Ich hatte sie auch online schon seit Wochen nicht mehr gefunden, und nun stand ich vor Ort und ahnte, dass ich sie nirgends mehr finden würde. Das erzählte mir auch bedauernd eine Mitarbeiterin, und so kaufte ich eine Badematte, zwei Teller und zwei Packungen bunte Servietten und war frustriert. An der Kasse dann nicht mehr so, weil ich ausnahmsweise bei Ikea – BEI IKEA! – bar bezahlen konnte statt mit Karte, weil ich so wenig erstanden hatte.

Auf den Bus zur S-Bahn Eching hätte ich 40 Minuten warten müssen, aber der in die Gegenrichtung fuhr schon in zehn. Also nahm ich den und ließ mich zur S-Bahn Neufahrn chauffieren. Ich kam mir vor wie nach einer Weltumsegelung, als ich endlich wieder zuhause war und nun begann, im Internet nach weißen Deckenspots zu suchen, die möglichst unauffällig und nicht scheiße aussahen. Inzwischen weiß ich, dass es von Philips und von Prediger welche gibt, die fast genauso aussehen wie die von Ikea, aber natürlich das Vierfache kosten. Ich bewege das noch etwas in meinem Herzen und lebe weiterhin mit nackten Glühbirnen im Bad und im Flur.

Immerhin konnte mich mein Essen trösten, das ich, wie ich erst heute morgen beim Rüberkopieren vom iPhone feststellte, arg unscharf fotografierte.

Auf der langen Rückfahrt konnte ich nämlich schön über mein Essen nachdenken, und ich wusste, der Brokkoli musste weg, genau wie die Petersilienwurzeln. Mit letzteren wird bei Masterchef quasi dauernd gekocht, und meistens kommt Püree raus, aber auch gerne frittierte Chips, die man dekorativ auf alles legen kann. Eigentlich wollte ich dazu noch Hasselback-Kartoffeln machen, aber für den Brokkoli hatte ich mir schon die Zubereitung im Ofen ausgesucht und zwei Bleche im Ofen sind doof. Also machte ich Püree, was sowieso nach Gratin die tollste Zubereitungsart für Kartoffeln ist. Im Hinterkopf poppte noch ein Rezept herum, das ich vor wenigen Tagen bei Chestnut & Sage entdeckt hatte: Pasta mit Walnusspesto und Radicchio. Ich hatte nämlich auch noch einen Radicchio im Kühlschrank, und aus dem machte ich einfach mit einem winzigen Schuss Olivenöl eine Chiffonade. Der Brokkoli kam mit Öl und Zitronensaft in den Ofen, das Püree wurde mit Milch und Butter verfeinert, die dünn geschnittenen Petersilienwurzeln wurden einfach nur in Sonnenblumenöl frittiert und gesalzen und fertig war ein Festessen.

„Nach einer Weile fasste sich Riemann, lächelte verlegen, als wolle er seinen Ausbruch entschuldigen, und wurde wieder zum Staatsrat. Später begann er sachlich aufzuzählen, was alles er in Deutschland den Widerständen zum Trotz habe durchsetzen und wie viele verdiente Musiker er habe retten können. Doch Trautwein ließ nicht mit sich feilschen. Unerbittlich konstatierte er: ‚Vor der Musikgeschichte kommen Sie damit nicht durch. Es gibt keine unpolitische Musik. Wenn Sie heute als Musikdirektor des Dritten Reichs Musik machen, dann machen Sie schlechte Musik, und wenn sie noch so gut ist. Wer für gemeine Ohren Musik macht, macht gemeine Musik.‘“

Lion Feuchtwanger: Exil, Berlin 2012 (Erstausgabe 1940), S. 395.

Ersetze „Musik“ durch „Kunst“ und du hast ein Zitat, das du vorne auf deine Diss schreiben kannst.