Screensport am Wochenende: die kulturell wertvolle Freundin-Edition
Der Hausherr von AllesaußerSport hat mich gastbloggen gelassen getan. Das hat er jetzt davon.
Der Hausherr von AllesaußerSport hat mich gastbloggen gelassen getan. Das hat er jetzt davon.
(Dieser Post gehört zu einem Post von Lizas Welt, der sich mit der 3. Folge beschäftigt. Die 3. Folge wird am 28. Februar, die 4. am 6. März ausgestrahlt. Wir hatten bereits vor der Sendung Gelegenheit, uns die beiden Schmuckstücke anzuschauen und legen sie euch beide dringend ans Herz.)
Warum ich euch die vierte Folge vorstelle? Weil es darin um eine dicke Frau geht. (Dafür bin ich ja neuerdings anscheinend Expertin.) Tatortreiniger Schotty muss sich diesmal um die Überreste eines Therapeuten kümmern, der sogar aus dem Jenseits mit ihm kommuniziert. Was ich neben den wundervollen Dialogen und Darsteller_innen an der Sendung so mag, ist, dass sie sich nicht in ein Korsett zwängt, sondern einfach mal macht. Warum soll Schotty an seinem Arbeitsplatz nicht noch mit der Seele des Verstorbenen kommunizieren können? Genau. Machen.
Die beiden diskutieren über Träume und Wünsche, auch Traumfrauen, bei denen Schotty als erste Wunscheigenschaft „schlank“ nennt (klar, ist ja auch wichtiger als alles andere), dass es ja schon toll wäre, wenn sich im eingespielten Leben mal was Überraschendes ereignen würde, womit man so gar nicht rechnet … und in dem Moment klingelt es an der Tür. Dort steht Rebecca, komplett unschlank, die bei Doktor Falkenbach in Behandlung war. Sie will sich von ihm verabschieden, Schotty diskutiert mit dem Therapeuten, während Rebecca vor ihm steht, sie kriegt einen Satz über dicke Frauen in den falschen Hals – und anstatt rumzupiepsen, wie zu Beginn ihrer Behandlung, haut sie ihm ein „Sie sind ein Arschloch“ um die Ohren und geht.
Sie muss allerdings noch wiederkommen, weil sie ihre Tasche vergessen hat, und Schotty fängt nochmal an. Die beiden trinken Kaffee, Schotty erinnert sich an sein Gespräch mit Falkenbach:
„Ich steh einfach nicht auf Dicke.“
„Mit wie vielen dicken Frauen hatten Sie denn schon was?“
„Ich sach jetzt ma ga nix mehr.“
„Trotzdem wissen Sie, dass sie nichts für Sie sind? Vielleicht werden Sie überrascht.“
… und lädt Rebecca spontan zum Abendessen ein.
Als dicke Frau wird jetzt von dir erwartet, dankbar zu sein. Wie lieb von irgendwem, dass er sich deiner erbarmt und dich ausführen will. Macht ja niemand, weil er dich toll findet, sondern weil er Mitleid mit dir hat. In kaum einer Sitcom wird der ach so lustige „pity fuck“ weggelassen, wo sich ein schlanker Mann dazu herablässt, mit einer dicken Frau was anzufangen, denn die seien ja so dankbar.
Es gibt kaum Szenen, die mich wütender machen als dieser Quatsch. Das Dumme ist: Sie machen mich erst seit kurzem wütend, weil ich jahrelang so einen Rotz geglaubt habe. Natürlich kann mich niemand mögen, ich bin ja fett und eklig. Dass ich gleichzeitig unterhaltsam, talentiert, lustig und was weiß ich noch bin, habe ich gepflegt ignoriert, denn das Wichtigste ist meine Körperform. Der Rest der Welt reduziert mich darauf – jedenfalls beim ersten Kennenlernen –, und weil wir alle wissen (angeblich), dass alleallealle Menschen auf dieser Welt Dicke doof finden, KANN mich niemand toll finden.
Diese Denke mag für schlanke Menschen schwer nachzuvollziehen sein, aber als dicker Mensch zieht man sich diesen Schuh wirklich an. Einfach weil es kaum positive Reaktionen auf dicke Menschen gibt. In so gut wie allen Filmen und Serien sind die Dicken ständig am Fressen, dienen als Comedyfutter, weil sie sich ja so lustig bewegen und so ungelenkig sind und so tollpatschig, klar, sind wir alle, immer, logisch. Es gibt kaum Darstellungen von erfolgreichen, liebenswerten, herrgottnochmal NORMALEN dicken Menschen, denn wir sind normal, auch wenn uns dauernd eingeredet wird, dass wir es nicht sind.
Zurück zu Schotty, der wahrscheinlich ein dankbares Lächeln auf seine Einladung erwartet – aber eine andere Reaktion bekommt, die ihn ziemlich aus der Bahn wirft, weil sie sein recht schlichtes Weltbild erschüttert. (Dieses Weltbild unterstelle ich übrigens ner Menge Leute.) Auch auf sein klassisches „Argument“, dass ein dünner Mensch nie einen dicken attraktiv finden könnte, hat Rebecca eine passende Frage:
„Finden Sie lange blonde Haare attraktiv?“
„Ja, schon.“
„Trotzdem haben Sie selber kurze braune.“
„Das kann man ja nicht vergleichen.“
„Wieso nicht?“
Genau. Wieso nicht? Ich glaube, niemand sucht einen Partner oder eine Partnerin, die ihm oder ihr aufs Haar gleicht. Wäre auch sehr creepy. Wenn ich die Kerle Revue passieren lasse, an die ich mein Herz mal verschenkte, war da so ziemlich alles bei: schlank, nicht schlank, blond, braun-, rot-, schwarzhaarig, mit Brille, ohne Brille, klein, groß, riesengroß. Was sie alle gemeinsam hatten: Sie waren scheiße schlau und haben mich zum Lachen gebracht. Und als Schotty auffällt, dass die dicke Frau ihm gegenüber wohl doch mehr ist als nur eine Zahl auf der Waage, hat sie sich schon verabschiedet.
„Geschmackssache“ tut an manchen Stellen weh, weil Schotty eben den üblichen Sülz ablässt, den man sich als dicker Mensch dauernd anhören muss (meist noch garniert mit „Ich mein’s ja nur gut“). Es überwiegt aber eindeutig ein sehr wohltuendes Gefühl, dass ich endlich mal eine dicke Frau zu sehen bekomme, die a) sich nicht dadurch definiert, dass sie dick ist und b) sich selbstbewusst herausnimmt, Ansprüche an ihren Traummann zu stellen anstatt, wie es von uns erwartet wird, dankbar zu sein, dass sich überhaupt einer mit uns sehen lassen will. Tolle Folge einer tollen Serie. Hoffentlich bleibt es nicht bei den lausigen vier Folgen, die es bisher gibt. Wie heißt es bei „Community“ so schön? Six seasons and a movie. Gerne.
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In diesem Zusammenhang: Fat Bechdel Test.
Sehr schöner Artikel auf This Ain’t Livin’, dem Blog von S. E. Smith, über die gängigen Moralvorstellungen, die sich um Essen drehen, über Schuldgefühle, eingebildete Tugenden und die extrem beknackte Idee, sich dafür zu beglückwünschen, sich selbst erfolgreich bekämpft zu haben:
„This is not about whether people should love or hate their bodies, or about how people should navigate their own relationships with their bodies. It is about the ways in which society encourages a disconnect from the body, rewards people who ‘control’ their bodies by effectively turning them off and refusing to listen. It is also about a society where certain bodies are considered controlled and others are not, and by extension, people in control are considered virtuous while others are not. Lack of willpower, loss of control, are believed to be negative personality traits which can be read in the body. After all, if someone was in control, the body would be thin and lean and hard and it would conform with a specific beauty ideal. It wouldn’t be soft and fat.“
Im Blog des Royal Opera House in London steht heute ein feiner Artikel über eine der schönsten Arien, die ich kenne: das Lied an den Mond aus Dvořáks Rusalka:
„Rusalka is an opera about singing. Or rather, what happens when you cannot sing. Echoing the story of The Little Mermaid, Rusalka gives up her voice to be united with a Prince. But he is distinctly put out when his bride-to-be cannot say a word. Instead he accepts the hand of a Foreign Princess and Rusalka, obeying the witch Ježibaba’s curse, is doomed to live in the depths of the lake forever.
The aria Song to the Moon comes right at the beginning of the story as Rusalka, still a nymph, sings with full-throated ease to the moon. There are nocturnal serenades throughout the repertoire and Dvořák starts his aria with the proverbial sweeping harp arpeggio, sounding just like a wooing guitarist tuning up. But rather than a trite tune under someone’s balcony, Rusalka’s aria is a luscious vocal display.“
Der Artikel stammt von Gavin Plumley, der sonst auf Entartete Musik schreibt – ein Blog, das ich euch ebenfalls ans Herz legen möchte. (Wo wir gerade dabei sind: Auch die Bayerische Staatsoper hat ein Blog. Und einen Twitter-Account, aber den müsstet ihr kennen, den retweete ich ja dauernd. Genau wie den des Royal Opera House.)
Rusalka habe ich das letzte Mal in einer Inszenierung von Stefan Herheim in Dresden gesehen, die mich sehr begeistert hat. Die gleiche Inszenierung läuft ab März im Opernhaus Brüssel, La Monnaie. Und das Tolle: Vom 27. März bis zum 16. April wird das Ding online gestreamt. Ich werde euch noch ungefähr 500 Mal darauf aufmerksam machen, aber vielleicht mögt ihr das ja schon in eure Kalender eintragen. WEIL’S SCHÖN IST.
Trainer Baade hat meine unausgegorenen Gedanken zum Fußballfan-Dasein mal in deutlich bessere Worte gepackt.
Vor einiger Zeit lud ich Frau Lu ein, mit mir in die Oper zu gehen. Natürlich in Puccinis Turandot, denn das ist die Oper, mit der ich alle und jeden überzeugen will, dieser Kunstform eine Chance zu geben.
Ich mag an Turandot, dass alles auf der Bühne bzw. im Orchestergraben passiert, was ich persönlich so toll an Opern finde: Bombastklänge, die sich mit ganz zarten Stellen abwechseln. Massive Chöre versus einzelne Arien, wovon die bekannteste natürlich Nessun dorma ist. Und obwohl ich sonst eine Aversion gegen diese Mitsinglieder habe (deswegen mag ich Wagner so gerne) – für Anfänger_innen ist das ganz praktisch, wenigstens ein Stück zu haben, das sie vielleicht schon mal gehört haben. (Behaupte ich mal. Noch hat niemand widersprochen.) Außerdem im Angebot: komische Figuren wie Ping, Pang und Pong versus tragische wie Liù und natürlich eine Story, die viel zu groß ist für das wahre Leben, weswegen sie auf eine Opernbühne gehört. Vom feministischen Standpunkt darf man sich so gut wie keine Oper angucken, daher blende ich die wahlweise kreuzdummen und/oder opferbereiten Frauenfiguren immer aus und konzentriere mich auf ihre Melodien anstatt ihre Texte. Genau wie ich bei Krieg und Frieden nölig überlese, dass auch hier Frauen kleine Hohlbirnen sind, während die Männerwelt das große Drama kriegt. Mein Mantra: Das waren andere Zeiten, da muss ich jetzt durch. Wäre aber trotzdem mal schön, eine moderne Oper mit guten Frauenfiguren zu kriegen.
(Zu diesem Thema gibt’s übrigens ein Buch, das ich aber noch nicht gelesen habe. Wahrscheinlich gibt’s sogar dutzende, aber das hier rennt mir immer über den Weg, wenn ich in diese Richtung rumgoogele.)
Zurück zu Lu und ihrem ersten Opernbesuch. Wenn ich ihren Blogeintrag richtig deute, hat es ihr gefallen, was mich persönlich sehr gefreut hat. Nichts ist schlimmer als jemanden nach zwei, drei Stunden wieder ans Tageslicht zu zerren und zu hören: „Uh, da gehe ich nie wieder hin.“ Sowas hatte ich nämlich auch mal, was ich aber sowohl auf die Starrköpfigkeit meines damaligen Kumpels als auch auf die Stückauswahl zurückführe.
Damals gab es den kompletten Ring in Hannover, und ich bequietsche wieder Hinz und Kunz, doch mal mitzukommen. Heute weiß ich: Wagner mag als Einstiegsdroge funktionieren (meine erste Oper war Siegfried), aber nicht bei jedem. Besagter Kumpel meldete sich todesmutig fürs Rheingold, und ich warnte sofort: „Das ist die sperrigste Oper von den vieren, und es ist eher eine Exposition als ein abgeschlossenes Stück, und eigentlich guckt man das auch nur, weil man die anderen drei eben auch guckt, und außerdem hat es keine Pause, in der man notfalls gehen kann.“ Hat alles nichts genutzt, mein Kumpel kaufte sich eine Karte. Meine Warnungen gingen weiter: „Lies dir den Inhalt durch. Wagner kapiert kein Mensch ohne Sekundärliteratur.“ Damals waren Übertitel noch nicht so gang und gebe, wie sie es heute glücklicherweise sind, weswegen man eben schlicht wissen musste, wer diese seltsamen Wesen da vorne sind und über was sie singen, denn den Text versteht man meist auch nicht. Das weiß man alles, wenn man schon mal in der Oper war, weswegen ich auch nicht müde wurde, es meinem Kumpel zu erzählen, aber er brachte den Krachersatz: „Ich möchte das alles unvoreingenommen auf mich wirken lassen.“
Ich erzählte ihm immerhin vor der Vorstellung noch flugs den Inhalt, den ich mir mal wieder anlesen musste – ich habe den Ring mindestens schon fünfmal komplett gesehen und vergesse trotzdem immer wieder, wer nun mit wem warum und was –, aber nach zweieinhalb Stunden hatte ich ein Häufchen genervtes Elend neben mir, das den zweiten Krachersatz brachte, den ich ihm bis heute übel nehme: „Ich fühle mich wie vergewaltigt.“
UND ICH SAG NOCH, NIMM NE ANDERE OPER, ABER DU …
*seufz*
Ich habe mit dem Mann keinen Kontakt mehr, aber ich bin ziemlich sicher, dass er nicht unbedingt zu einem Opernfan wurde.
Am Sonntag saß ich mit zwei charmanten Damen in der Laeiszhalle, wo die Hamburger Symphoniker neben Auszügen aus Strawinskys Apollon musagète eine Runde Götterdämmerung gaben. Wenn ich richtig zugehört habe, war es die Ouvertüre mit ein bisschen Krimskrams und dann als Rausschmeißer den Schlussgesang der Brünnhilde, die 15 Minuten lang von der Welt Abschied nimmt, die dann auch brav in Flammen aufgeht.
Das Tolle an der Götterdämmerung ist, dass sich in ihr all die vielen Leitmotive wiederfinden, die man drei Opern lang gelernt hat. Das Rheingold, die Rheintöchter, Mime, Siegfried, dessen Schwert Nothung, Wotan, dessen Speer, die Walküren natürlich (das Motiv sollte jeder erkennen), Walhall, der Walkürenfelsen und so weiter und so schön. So hangelt sich das Stück gefühlt an all diesen Motiven entlang, die ich natürlich kannte – und ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie sich die Musik für jemanden anfühlt, der nichts davon erkennt (bis auf die Walküren). Ich bin fast ein bisschen neidisch auf die Menschen, die noch nie in der Oper waren, weil sie noch so viel zu entdecken und zu erfühlen haben, was für mich schon fast normal ist. Wenn man sich auf diese überkandidelte, hochemotionale Kunstform einlassen will, belohnt sie meiner Meinung nach mehr als jede Sinfonie. Deswegen war ich sehr auf das Urteil meiner Begleitung gespannt.
Dame 1 meinte, Oper wäre schlicht nicht ihr Ding, Opernstimmen empfände sie als anstrengend (absolut berechtigte Kritik), und daher hätte ihr Strawinsky besser gefallen. Dame 2 dagegen hatte diesen Gesichtsausdruck, den ich auch von mir kenne: dieses leicht fassungslos-faszinierte „Was war das denn? Und wo war das mein ganzes Leben lang?“ Ich behaupte, die Welt ist ein bisschen anders, wenn einen ein Film mitnimmt oder eben eine Oper; man stolpert in die Realität, die sich ein bisschen zu grau anfühlt, während eben alles noch gold war. Und – ja, Fangirlgequatsche – Wagner ist für mich einfach der Meister im „Was war das denn?“-Erzeugen, denn seine Musik ist für mich schlicht einzigartig. Beim ersten Mal wahrscheinlich unbegreifbar, aber deshalb nicht weniger unwiderstehlich. Jedenfalls hat die Dame den bisher besten Satz gesagt, den ich mit Newbies hatte: „Das würde ich mir auch fünf Stunden lang anhören.“
Damit habe ich endlich eine Begleitung für Wagner in Hamburg gefunden. In dieser Spielzeit hätten wir noch den Holländer, Tristan und Isolde, Parsifal und den kompletten Ring im Angebot.
Samstags mit dem Kerl und dem frühen Vogel aus dem Bett gefallen und quasi bei Ladenöffnung im Baumarkt gestanden. Farbmuster fürs Bad geholt, Garderobenhaken gekauft. Zuhause den schönsten aller Flure fast vollendet, indem ich den, wie ich ihn nenne, Garderobenpilz entsorgte und dafür vier Edelstahlhaken in die Wand dübelte. Wie immer im Altbau überraschte mich die sich konstant ändernde Wandstruktur, die mal volle Armkraft verlangte und fünf Zentimeter weiter rechts die Bohrmaschine wie Butter durchließ. Gefühlt bis zum Treppenhaus. (In diesem Bohrloch stecken zwei Dübel hintereinander, und ich wette, es hätte noch ein dritter reingepasst.)
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Nachmittags Besuch vom Tischler, der mir Badezimmerschränke maßanfertigt. Ich hoffe, es wird so toll, wie ich es mir vorstelle.
Wir wohnen zur Miete, und jahrelang war es mein Wunsch, irgendwann was Eigenes zu haben. Mein Standardsatz: „Ich will mal ein Bad haben, in dem ich die Kacheln ausgesucht habe.“ Klingt für mich immer noch toll, aber nach dem wuseligen letzten Jahr, das einiges umgeworfen hat, was für mich im Kopf schon in Stein gemeißelt war, verschiebe ich die eigenen Kacheln auf Weiteres, bleibe in einer Mietwohnung und mache die so hübsch, wie es eben geht. Im Flur fehlt noch eine anständige Deckenlampe, im Bad eine andere Farbe und eben Schränke, die nicht von Ikea sind. Mal sehen, wann ich mich an die Küche wage. Rest der Wohnung passt.
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Der Tabellenzweite gegen den letzten. Wir gegen Freiburg. Der Sieg war eingeplant, und geworden ist es ein verdammtes 0:0. Clevere Freiburger, planlose Bayern, eine unfassbar bescheuerte Schwalbe von Ribéry, gefühlt zwei Schüsse aufs Tor ohne Ergebnis. Dortmund rotzt sich zum Arbeitssieg in Berlin, Gladbach schlägt auswärts Kaiserslautern, und wir sind plötzlich nur noch Tabellendritter. Der Kerl „tröstet“: „Immerhin kann euch Schalke am Sonntag nicht überholen.“ Die Timeline tröstet auch.
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Sonntagmorgen. Katerstimmung. Dieses Fußballfandasein hatte ich mir irgendwie nicht so anstrengend vorgestellt. Aber sobald man als Bayernfan derartiges von sich twittert, kriegt man diverse Replys, die darauf hinweisen, dass man es ja sonst so gut hätte („Luxusprobleme“, „Was soll ich als Kölnfan da erst sagen“ usw.). Ja, mag sein. Schön, dass wir sonst eher gewinnen. Trotzdem machen Niederlagen oben in der Tabelle genau so wenig Freude wie unten. Und Unentschieden auch nicht.
Denke gerade über einen Zusammenhang zwischen Emotionen und äußerlichen Geschehnissen nach. Ich kenne einige Menschen, die im Kino keine Miene verziehen, während ich zwei Packungen Taschentücher leerheule, dafür aber jammernd vorm Fernseher sitzen, wenn der eigene Verein Mist baut. Ich ahne aber, dass viele, die sich von Filmen, Theaterstücken, Opern zu Gefühlsregungen hinreißen lassen, über Fußballfans lästern – und umgekehrt. Wieso eigentlich? Wir sind Zuschauer bei einem Ereignis, das ohne unsere Mitwirkung abläuft und lassen uns trotzdem davon berühren. Frei- und willig. Ist es ein großer Unterschied, ob ich in Abendgarderobe irgendwo sitze oder im Trikot?
David Duchovny sagte mal in einem Interview, der Reiz des Schauspielerberufs sei es, alle Emotionen zu durchleben, ohne unter ihnen leiden zu müssen. Daran muss ich sehr oft denken, wenn ich nach einem Film traurig bin. Oder neuerdings nach einem Fußballspiel. Irgendetwas macht irgendetwas mit mir, und ich lasse es zu. Meine Emotionen sind echt, auch wenn sie von etwas herrühren, das im Prinzip nichts mit mir zu tun hat. Die Emotionen haben eine andere Qualität wie die nach Streitereien mit dem Kerl oder freudigen Nachrichten im Freundeskreis. Aber sie sind trotzdem echt.
(wird fortgesetzt)
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Abends in die Laeiszhalle (a vor e, s vor z, ganz einfach zu merken) zum Konzert der Hamburger Symphoniker. Erst ein bisschen plüschigen Strawinsky, bei dem nur Streicher_innen auf der Bühne saßen. Nach der Pause wurden noch eine Menge Stühle dazugestellt, denn Herr Wagner mag ja gerne das große Ensemble. Es gab Auszüge aus der „Götterdämmerung“, die ich schon recht lange nicht mehr live gesehen habe. Nach dem gestrigen Abend frage ich mich warum. Wundervolle Musik. Alles war wieder gut, auch wenn die Welt unterging.
Wieder mal aufgefallen: Wenn irgendwas meinen Blutdruck senkt, ist das a) die Nase im Brustfell vom Kerl vergraben oder b) klassische Musik hören. Wenn ich beides gleichzeitig mache, schlafe ich wahrscheinlich nach fünf Sekunden ein.
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Drei White Russians als Absacker im Meyer Lansky’s in charmanter Begleitung. Gerne und immer wieder.
Erste Bewerbung seit elf Jahren losgeschickt. Seitdem kamen die Jobs zu mir, nicht umgekehrt. Und obwohl ich weiß, dass es eine Absage geben wird, bin ich hibbelig.
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Abends im Cinemaxx, Leonardo Live. Theoretisch. Das fast ausverkaufte Kino quoll über von Menschen, die wahrscheinlich seit ihrer Jugend nicht mehr in einem Kino waren, jedenfalls war schon das Konzept Loge versus Parkett plus Reihen, die mit Buchstaben gekennzeichnet waren, für viele zu viel. Der „Film“ bzw. der Stream aus London begann schon, als noch viele durch die Gegend wuselten, woraufhin die üblichen „Bitte zurückspulen und nochmal anfangen“-Rufe laut wurde, bei denen mir als alter Filmvorführerin immer die Ohren bluten.
Die Satellitenübertragung war von Anfang an etwas wackelig; ich kam mir in einigen Momenten vor wie zuhause im Wohnzimmer, wo auch der übliche Hamburger Regen ab und zu reicht, um aus einem Fußballspiel ein Artefaktfestival zu machen. Trotzdem hat es „Leonardo Live“ locker geschafft, mich in seinen Bann zu ziehen. Klar ist es etwas anderes, selbst im Museum zu stehen, aber ich finde die Idee, eine Ausstellung an Orte zu bringen, wo sie eben nicht wirklich vor Ort sein kann, ganz großartig. Gerne wieder.
Der Film zeigt nicht nur einfach ein paar Ausstellungsstücke und filmt sie ab, sondern wir hören unter anderem den Kurator, eine Kunstprofessorin und, schöne Idee, einige britische Kunstschaffende, die ein paar kurze Sätze zu „ihrem“ Bild sagen dürfen. Was für mich im Trailer wie olles Namedropping aussah, hat wirklich funktioniert. So sagte der Dirigent der Londoner Philharmoniker (wenn ich es mir richtig gemerkt habe) zum Bild „Der Musiker“, dass Kunst und Musik zwei gegensätzliche Dinge mit der Zeit tun: Ein Bild fängt einen einzigen Augenblick ein, während Musik die Fähigkeit hat, ihn unendlich scheinen zu lassen. Die Kreativdirektorin des Londoner Balletts spricht über die Körperlichkeit im unfertigen Bild „Hieronymus in der Wüste“, in dem besonders gut Muskeln und Sehnen zu sehen sind. Und ein Künstler wird gefragt, ob Leonardo heute überhaupt noch Relevanz habe. (Was er natürlich bejaht.)
Nach einer guten Stunde, als Leonardo es gerade von Florenz nach Mailand geschafft hatte und noch nicht mal in Rom war, wir aber immerhin schon die wunderschöne „Dame mit dem Hermelin“, die noch tollere „La Belle Ferronnière“ und die „Felsgrottenmadonna“ in zweifacher Ausfertigung („NEVER BEFORE IN HISTORY“) sehen durften, wurden die Aussetzer immer länger, der Ton völlig unverständlich, und die ersten Zuschauer_innen machten sich auf den Weg zum Ausgang. Ich hoffte noch ein paar Minuten, aber als dann erstmals das da auftauchte:
war auch mir klar, dass das heute wohl nix mehr werden würde. So reihte ich mich in die lange Schlange der Menschen, die ihr Geld wiederbekamen und ging traurig im Regen nach Hause. Sehr passend. Verdammter Realitätscrash; gerade noch wohlbehütet und warm in der Renaissance gewesen und Madonnen bewundert, jetzt irgendwie unfertig und unausgeglichen unterwegs.
(Habe mich in alle Münder von da Vinci verliebt. Muss Ausstellungskatalog kaufen.)
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Perfekter Tagesabschluss: Mein verdammtes MacBook Pro, das in den zweieinhalb Jahren, in denen es sich in meinem Besitz befindet, schon zweimal crashte und professionell gegen Geld wiederbelebt werden musste, entschied sich von einer Sekunde zu anderen, noch einen dritten Absturz zu inszenieren. Ich weiß, dass es an seinem Namen liegt, denn ich habe damals dem Kerl gestattet, es zu taufen. Ich würde als „Schwanzmütze“ auch meinen Job verweigern.
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Freitagvormittag den Drama King zum Apple-Laden getragen und mit meinem alten Macbook (10.4! ZEHNFUCKINGVIER!) versucht zu arbeiten. Was etwas schwierig war, wenn man plötzlich CS3 statt CS5 vor sich hat, kein Chrome und kein Echofon läuft und einem die ganzen Arbeitsmails der letzten Tage fehlen. Wie gut, dass wir Montag keine Riesenpräse haben. Nicht.
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Mein neues Macbook Pro wird Gomez heißen, wunderschön sein und immer funktionieren. Außer manchmal in Österreich.
(Jajaja, der ist noch aus dem Januar, aber der ist mir anscheinend bei der letzten Liste durchgerutscht. Und überhaupt fängt jeder Monat besser an, wenn einen der Avatar vom Kamke anlächelt.)
(Wenn Sie mal schauen wollen, welche bekannten Werke der Popmusik in der Tonart mit den fünf Kreuzen komponiert wurden? Merkt man gar nicht, ne?)
(♥ ♥ ♥)
(Was ich an diesem Tweet so schätze: dass ihn neben zwei weiteren Menschen mit gutem Geschmack sämtliche eins, zwei, drei, vier Mitglieder der White Russians gefavt haben. Mitglied Nummer 5 ist die Verfasserin.)
Schöne Dinger dabei, oder? Bin ganz flauschig drauf. Aber der olle Binder muss natürlich die Stimmung verkacken:
Ziemlich ereignisloser Tag. Bis auf die Tatsache, dass meine persönliche Jobbetreuerin mich zwingt, Bewerbungen an Menschen in Städten zu schreiben, deren Namen ich nur respektvoll flüstere.
Ja, Bewerbung. Hashtag für dieses Jahr ist #allesneu2012. Ihr kriegt das schon mit, ob das klappt. Wenn nicht, ändere ich das Hashtag in #Bleibt-alles-beim-Alten-und-ich-hab-weiter-schlechte-Laune-2012. In diesem Zusammenhang: Falls hier Opernhäuser mitlesen, deren Presse- oder Marketingabteilungen noch Unterstützung brauchen – Mail an mich.
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Abends ein nachgeholtes Valentinstagsfütterchen im Trific. Am 14. konnten und wollten wir nicht essen gehen, da mussten wir Fußball gucken. Dafür gab es gestern für mich ein sehr gutes Roastbeef vom Kalb mit Apfelremoulade, ein unfassbar gutes Skreifilet auf mediterranem Bohnenragout und Kartoffelstroh und die sowieso immer guten Topfenknödel auf Zwetschgenröster. Dazu zuerst einen Crémant, dann einen unauffälligen Apoll vom Pollerhof (ICH WILL MEINEN GELBEN MUSKATELLER! KELTERT SCHNELLER!), und zum Schluss einen herrlichen Spätburgunder (vergessen, woher).
Das Beste an meinem Tag in der Agentur war die Blaumeise, die für ein paar Sekunden lang auf dem Balkongeländer gesessen und mich angeschaut hat.
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Auf schwerer Drehung seit Tagen: Paradise von Coldplay.
(Das offizielle Video ist natürlich gesperrt.)
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Eine Karte für das 5. Symphoniekonzert der Hamburger Symphoniker am Sonntag in der Laeiszhalle gekauft.
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Gutes Essen und Fußball retten mich vor zu großer Traurigkeit.
Die Wunderpfanne war das erste Rezept, das ich von Ottolenghi gekocht habe, damals allerdings noch ohne so fancy Zeug wie Sumach oder rote Chili. Inzwischen ist meine Küche mit lauter lustigen Gewürzen ausgerüstet (die ich gerne hier bestelle), und seitdem wird brav nach Rezept Zeug in die Pfanne gehauen.
3 EL Olivenöl in einer beschichteten Pfanne erhitzen.
3 mittelgroße Zwiebeln, in Ringe geschnitten,
200 g Kartoffeln, ca. einen halben Zentimeter dick geschnitten,
1/2 rote Chilischote, fein gehackt,
1/2 EL Sumach,
Salz und
schwarzen Pfeffer
bei mittlerer Hitze ungefähr 20 Minuten braten, bis die Kartoffeln gekocht und die Zwiebeln weich sind. Während alles in der Gegend rumbrät, den Rest des Festmahls zubereiten. In einem Schälchen
100 g griechischen Jogurt mit
1 EL Zitronensaft und
1 Schuss Olivenöl verrühren. Beiseite stellen. In einer kleinen Pfanne
300 g Rispentomaten bei hoher Hitze anrösten. Dürfen ruhig schwarz werden. Sind sie bei mir nur an Stellen, die auf dem Foto nicht zu sehen sind. Und statt griechischem Jogurt tat’s bei mir auch 3,5%iger.
Sobald die Kartoffeln fertig sind,
1/2 TL Zucker und
1 Knoblauchzehe, fein gehackt, dazugeben, einmal durchrühren und dann alles gleichmäßig in der Pfanne verteilen.
4 Freilandeier darüber zerknacken, möglichst so, dass das Eigelb heil bleibt. Drei Minuten kochen, bis das Eiweiß leicht festgeworden ist.
1 1/2 EL Tahin
darüberklecksen (Vorsicht mit den Dottern), Deckel auf die Pfanne, nochmal drei Minuten braten, bis das Eiweiß fest ist. Zum Servieren die Tomaten auf die Pracht legen, mit Jogurt beträufeln und
1 EL gehackten Koriander darüber streuen.
Das ganze soll für zwei Personen reichen, aber ich schaffe es auch locker alleine mit der Hälfte der Eier sowie Tomaten. Klingt erstmal wie Bauernfrühstück mit Zeug, schmeckt aber – natürlich – ganz anders. Zuerst kommen die warmweichen Kartoffeln, dann kickt dir das Chili den Stuhl unterm Hintern weg, aber du fällst weich auf Eigelb, Zwiebeln und Sesampaste, dann macht dich der zitronige Sumachjogurt wieder frisch, und irgendwo wuseln noch Tomate und Koriander rum wie kreischende Kinder. Großartiges Zeug. Ein Wunder eben.
„Die Präsentation ist jetzt Mittwoch.“
„Statt Donnerstag.“
„Ja.“
„Übermorgen.“
„Ja.“
„Wir haben noch nicht mal eine abgenickte Idee.“
„Aber noch zwei Tage Zeit. Stimmt euch doch auf kurzem Dienstweg ab, ja?“
(Raus. Alle.)
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Zwei Wochen nicht gesungen, keine Texte gelernt, nölig gewesen, wegen irgendwas angefressen (ich weiß, was „irgendwas“ ist, aber ich stecke noch mitten im Irgendwas und kann es nur begrenzt ändern, was mich genauso anfrisst wie das Irgendwas), zwei Tage krank gewesen, noch nöliger geworden, kurz, einfach keine Lust gehabt, gute Laune vorzutäuschen und meiner Küche Musicals vorzusingen, in denen das Leben ach so wunderbar ist. Was es meistens ja auch ist, Luxusprobleme, weiß ich, und dann nölt man an sich rum, dass man nölig ist und sich Luxusprobleme vorwirft anstatt anzuerkennen, dass da eben was ist und es bitteschön ernstzunehmen.
tl;dr: zwei Wochen nicht gesungen.
Und so kam ich dann auch beim Unterricht an, zwei Wochen nicht gesungen, keine Texte gelernt, ich habe bestimmt alles vergessen und meine Stimme klingt wieder wie vor einem halben Jahr, und das wird alles ganz fürchterlich. Aber dann lag „Let’s face the music and dance“ auf dem Notenständer (“There may be teardrops to shed / So while there’s moonlight and music / And love and romance / Let’s face the music and dance“) und das ging ganz gut, eigentlich sogar ziemlich gut, und dann legte mir meine charmante und ewig gut gelaunte Lehrerin (wie macht sie das nur?) „I feel pretty“ aus der „West Side Story“ hin, das einen Tick höher ist als alles, was ich bisher gesungen habe, aber egal, wird ja eh fürchterlich, weil ich zwei Wochen nicht gesungen habe und keine Texte gelernt und alles vergessen, und dann singe ich einfach los, so wie seit 20 Jahren im Auto, wenn das Lied kommt oder zuhause, und plötzlich ist da eine Stimme, die ich schon ewig nicht mehr gehört habe, und sie ist gut gelaunt und fröhlich und pretty und witty und gay und ohne dass ich darüber nachdenke, singe ich das zweigestrichene E und dann das F noch hinterher, was ich sonst nur mit viel Krächzen und Kraft und lauter unschönem Zeug hinkriege, wenn überhaupt, und in meinem Kopf und meinem Herzen hört es sich an wie FUCK YEAH HALLELUJAH und ich stehe fett grinsend bei mir und in mir und einfach da und umarme den Notenständer.
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Zwei Flaschen Wein mit HappySchnitzel und ihrer charmanten Begleitung im Ufer. My memory is blurry. Aber ich kann mich an die anstrengende Kleinkunst erinnern, die mir zuerst ganz gut gefiel („Heute abend sind für uns die Cellistin YX und der Diplompuppenspieler YZ da“) und dann eher doof wurde, als der Mann eine Gitarre rausholte, die einen String angezogen bekommen hatte. Mehr Wein und ein Kippchen vor der Tür.
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Statt peinlicher SMSe schreibe ich überschwängliche Google+-Einträge und twittere, dass man die Welt mit gutem Wein retten kann. Ich ergänze um: singen. Singen rettet auch. Big time.
Morgens ins Taxi geklettert, das mich zum Flughafen bringt. Das wirklich allererste Mal eine Fahrerin gehabt (hier könnte auch „ein Fahrer“ stehen, war aber eine Dame), die mich null volltextet nach „Wo soll’s denn hingehen“ und zum Schluss „Das wärn dann 18 Euro, guten Flug.“ Kein einziges Wort. Gerne wieder.
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Mein übliches inneres Gequengele am Pier 2 im Terminal: „Sieben Mark für ein Fläschchen Wasser?“
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Bordverpflegung der Lufthansa: Corny Erdbeer, Kaffee mit Milch und Zucker.
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Hinter mir im Flieger jemand, der offensichtlich noch nie geflogen ist. Jedenfalls erzählt er seinen beiden Freunden genau, was er sieht, während sie ihm die Geräusche erklären und was so an Bord passiert. Ich kann mich nicht an meinen ersten Flug erinnern, aber ich hoffe, ich klang genau so wie er. Diese begeisterte Fassungslosigkeit, wenn man plötzlich die Welt, die man gewohnt ist, aus ganz anderer Perspektive sieht.
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S-Bahn Flughafen München bis Marienplatz, dann umsteigen. Ich beschalle mich per iPhone anstatt zu lesen, wie immer auf der S-Bahn-Fahrt, die ich jedesmal genieße, weil sie sich anfühlt wie ein langsames Hochfahren der eigenen Betriebstemperatur. Vom Hamburger Alltag in die Münchener Ferien. Mit Musike. In der S-Bahn sitzt mir jemand gegenüber, der sich plötzlich die Ohren zuhält. Ich klicke die Lautstärke herunter, merke dann aber in der nächsten unterirdischen S-Bahn-Station, dass er das jedesmal macht, wenn wir unter die Erde fahren bzw. wieder nach oben. Druckausgleich von 30 Höhenmetern.
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In München ist es wie immer gefühlt 20 Grad kälter als in Hamburg. Ich bin dankbar für meine dicke Bayernjacke, die ich ausnahmsweise (wie die letzten Tage in Hamburg) nicht nur anziehe, weil es arschkalt ist, sondern weil ich eine Karte für das Spiel FCB-Kaiserslautern habe. Am Marienplatz bekomme ich ein „Scheiß FC Bayern“ hinterhergezischt, was ich zwar aus Hamburg gewohnt bin, mich in München aber doch erstaunt. (Scheiß Sechziger.) (Klammer 2: Verstehe allmählich den rauen Umgangston von Fußballfans.)
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Herr Probek, meine ewige Übernachtungsgelegenheit, lässt mich endlich mal dafür arbeiten, dass ich dauernd Hotelkosten spare. Ich trockne Geschirr ab, während er in 20 Minuten eine Lauchsuppe fabriziert. Die Zutat Hackfleisch überrascht mich bei dem Gericht zwar etwas, das Ergebnis kann aber sehr überzeugen. Der zweite Essensgast und Stadionbegleitung @abspann ist auch schon da. Am Tisch zwei Bayerntrikots, ein schwarzer Mann, gefräßiges Schlürfen in Eile, denn wir müssen losloslos.
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Drei Paar Socken, gerade mal zwei Shirts (die dicke Jacke ist eine wirklich dicke Jacke, wie ich beim Spiel im Volksparkstadion feststellen durfte), zwei Paar Leggings, eine Jeans, Decke, die dicken Stadionschuhe und zum ersten Mal Zehenwärmer, die ein puscheliges Fußgefühl erzeugen.
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In der U-Bahn zum Stadion die alte Dame, praktische Omaschuhe, Rock, violetter Mantel, graue Handtasche, gepflegt frisiert, Bayernschal.
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2:0. Gomez, Müller. Bei jedem „Ping“ der Anzeigetafel, die uns über das Ergebnis in Stuttgart informiert, wird das Gelächter in der Arena lauter.
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Ab Minuten 75 waren die Füße genauso kalt wie in Hamburg. Aber bis dahin eben puschelig. -10 Grad sind deutlich kälter als -5, aber: Keiner wirft mit Bier, alle brüllen für das richtige Team, die Sitze sind bequemer, und ich mag die Arena einfach sehr. Mit dem Abpfiff traben 69.000 Menschen den zwei U-Bahn-Gleisen entgegen, und das Gedrängele hält sich in Grenzen. Ich kriege sogar einen Sitzplatz und diskutiere mit Probek das Thema Piratenpartei aus. Wir vergessen, unsere Wette schriftlich niederzulegen, in wievielen Parlamenten die Partei in zehn Jahren wohl sitzen wird. Ich behaupte: in keinem, argumentiere mir das aber fast selber wieder weg. „Mir fehlt die Kompetenz, die Berufserfahrung als Politiker.“ – „Dafür haben sie ja noch zehn Jahre.“ – „Ähm. Richtig. TROTZDEM.“ Wetteverlieren aus Bockigkeit. Werde in zehn Jahren eventuell eine Kiste Astra kaufen müssen.
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Sofa, Glühwein, Sportschau. Mal gucken, was die Konkurrenz so macht. Der blöde BVB schlägt das blöde Leverkusen. Immer noch Platz 2 in der Tabelle.
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Abends ins Lindwurmstüberl, Fleisch essen und Bier trinken, danach weiteres Biertrinken auf dem Sofa und nebenbei erst das Sportstudio, dann arte laufen lassen (fürs Karma). Gesprächsthemen: Beziehungen, Emanzipation, Wagner, der Holocaust (kein Zusammenhang), eigene und fremde Lebensentwürfe, die Schnelllebigkeit und Erwartungshaltung der Moderne, Karriereplanungen, die Frau und der Mann so an sich so, und irgendwann ist es 3 Uhr morgens und das Bier alle. Schnell noch betrunken twittern.
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Ich glaube, ich habe meine benutzten Abschminkpads auf dem Waschbecken liegengelassen. Sorry, Probek! Und danke fürs Wegräumen. (In diesem Zusammenhang: Jungswohnungen erkennt man am miesen Schminklicht.)
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Frühstück. „Kaffee?“ – „Erstmal einen halben Liter Wasser, bitte.“ Probek hat Monchichi-Haare, und ich versichere ihm, dass Monchichis die total kerligen Holzfäller unter den Stofftieren sind.
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S-Bahn-Fahrt. Sonne, blauester Blauhimmel, Glitzerschnee, der Shuffle schmeißt mir Beethovens Neunte auf die Ohren. Freude. System langsam wieder auf Alltag vorbereiten.
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Bordverpflegung der Lufthansa: Milka Nussini, schwarzer Tee ohne alles.
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Am Terminal 2 wartet der Kerl.
Zuhause.
Der erste Eintrag zu diesem Thema ist fast auf den Tag genau fünf Jahre alt, den kann man noch mal aufwärmen. Shuffle anschmeißen und gnadenlos und ohne zu schummeln die Songs aufschreiben, die dein MP3-Player deiner Wahl ausspuckt:
Vorspann: Mozart, Vionlinsonate Nr. 27 in G-Dur (KV 379). Oder wenn ich bis Pop vorshuffele: Foo Fighers, Learn to fly. Ist beides ein guter Lebensanfang, würde ich sagen.
Aufwachen: Dunkelrote Rosen aus Gasparone. „Dunkelrote Rosen bring ich, schöne Frau.“ I like.
Verlieben: Schon wieder Mozart, diesmal ein Stück aus Don Giovanni, 2. Akt, 5. Szene: Don Giovanni, A Cenar Teco. Diese Oper ist nix für die Liebe, Pop ist allerdings auch nicht besser: Cutting Crew, I’ve been in love before.
Das erste Mal: Haha. Axel F., Harold Faltermeyer. Dazu fällt mir leider nichts ein.
Kampflied: Here comes the summer, The Undertones. YEAH, BABY!
Schluss machen: A little less conversation, Elvis vs. JXL. Das Ding höre ich sehr gerne beim Sport. Beim Schlussmachen eher selten. Aber ich mach auch selten Schluss.
Abschlussball: Lullabye, Billy Joel. Billy Joel geht immer. Zu allem.
Leben: The collection of Marie Claire, Daniel Lanois. So lang man nicht auf den Text achtet, ein gar hübsches Liedchen. Wenn man auf den Text hört, ist es wieder eins von den Arschlochliedern, wo Kerle wollen, dass Mädels sie lieben, ob sie nun wollen oder nicht. Grmpf. Will ich so gar nicht als Lebenslied haben.
Nervenzusammenbruch: I wish, Stevie Wonder. Äh. Nein.
Auto fahren: Cowboys & Kisses, Anastacia. Kann man sehr gut laut grölen, wenn man im Sommer über die Autobahn kachelt. (Ich will grad ne Zigarette. Und Sommer. Und ne Autobahn.)
Flashback: Habt Dank, ihr Lieben von Brabant aus Wagners Lohengrin. Ich flashbacke zu den zwei Lohengrins, die ich bisher in meinem Leben gesehen habe. Beide in Bayreuth (ich verlinke einfach mal den mit Schnucki).. Hach ja. Pop: Stark, Ich + Ich. Oh, das passt.
Wieder zusammen kommen: Breathe, Midge Ure. Passt auch.
Geburt des ersten Kindes: Un tal baccano in chiesa! aus Tosca. Solch ein Trubel in der Kirche würde gut zur Taufe passen. Pop: Eyesight to the blind aus Tommy von The Who. Äh.
Endkampf: I turn to you, Christina Aguilera. Perfekt. (Jetzt lasst mich doch mal in Ruhe meine Schnulzen hören!)
Todeszene: (Wo ist der Unterschied zu Endkampf?) Una parola..chiedi all’aura aus L’elisir d’amore von Donizetti. Pop: Kiss with a fist von Florence + The Machine. Den Song will ich nicht hören, wenn ich sterbe. Lieber Donizetti.
Beerdigungslied: I know him by heart, Vonda Shephard. Dass einen der alte Ally-McBeal-Soundtrack mal so in den Arsch beißen würde. Nein, ich möchte auf meiner Beerdigung kein Lied hören, in dem rumgejammert wird, dass ich irgendeinen Kerl nicht habe.
Abspann: Nun seid ihr wohl gerochen aus dem Weihnachtsoratorium von Bach. Ist das letzte Lied, passt also. Pop: When I’m gone von Eminem. Auf die Zwölf.