Mocha White Chocolate Chip Cookies mit Fleur de Sel (ach komm, wir machen die Überschrift noch länger: Kaffee-Knusperkekse mit weißer Schokolade und Salz)

Frau Zorra hatte mal wieder ein kleines Rezept parat, das ein paar Tage in meinem Pinboard auf mich warten musste. Jetzt wo ich die Kekse gebacken habe, kann ich das nicht mehr nachvollziehen. Eigentlich hätte mich der Titel doch schon überzeugen müssen. Schlüsselreize „Cookies“ und „Mocha“ und „Chocolate“. Reicht.

Aus der folgenden Menge kommen laut Zorra drei bis vier Bleche raus. Ich habe alles halbiert und hatte jeweils neun Kugeln (teilweise Klopse) auf zwei Blechen, die nach dem Backen auch schön vollgekekst waren.

Erstmal
300 g weiße Schokolade mit Puffreis (bei mir Die Weiße Crisp) in winzige Würfelchen hacken.

Dann
130 g brauner Zucker (bei mir Demerara-Zucker),
120 g Kristallzucker,
200 g weiche Butter,
1/2 TL Salz,
1 TL Instantkaffeepulver (bei mir Espressopulver),
2 TL Vanille-Extrakt (bei mir schnöder Vanillesirup),
1 TL Essig (bei mir Weißweinessig) und
1 TL Natron
in einer Schüssel mit dem Handmixer verrühren. Anschließend noch
1 Ei und
240 g Mehl dazugeben, alles verrühren und dann für eine halbe Stunde lang im Kühlschrank parken.

Nach der Ruhezeit aus dem Teig, der eher ein bröseliger Zuckerschokoklumpen ist, Kugeln basteln. Zorra hat dazu einen Portionierer genommen; ich bin da pragmatischer (und abwaschfauler) und forme die Kugeln wie Frikadellen per Hand. Wie gesagt, bei mir waren es nur neun Kugeln pro Blech, denn die kleinen Racker sollten mindestens fünf Zentimeter Abstand zueinander haben – die Kekse laufen beim Backen fies auseinander. Aber bevor das passiert, muss auf jede Kugel noch ein bisschen

Fleur de Sel

gestreut werden, weil der Zuckerschock sonst zu groß ist.

Die Kekse circa 11 bis 13 Minuten auf der mittleren Schiene im auf 190°C vorgeheizten Backofen backen und danach abkühlen lassen, bevor man sie vom Blech spachtelt, sonst zerbröseln einem die Wunderwerke unter den Händen. Wie bei allen amerikanischen Cookies: Wenn sie so aussehen, als seien sie noch nicht fertig, sind sie fertig. Die dürfen ruhig noch feucht glänzen oder relativ weich sein, wenn sie aus dem Backofen kommen, die härten noch aus. Und. Dann. Schmecken. Sie. Unfassbar. Gut. Natürlich auch unfassbar süß, aber das Salz hält sehr schön dagegen. Den Kaffee habe ich allerdings nicht bemerkt, da werde ich beim nächsten Mal noch einen Teelöffel zusätzlich in den Teig geben. Und dann mach ich die Headline NOCH LÄNGER.

Ein sixtinisches Dankeschön …

… an Cornelia – hoffe ich, ich kann die handgeschriebene Karte nicht perfekt entziffern, aber es sieht eher nach Cornelia als nach Claudia aus; Entschuldigung, wenn der Name falsch ist. Auf jeden Fall hat die Dame mir die Verlagsbeilage der FAS in die Post gepackt, die sich auf sechs Seiten mit Raffaels Sixtinischer Madonna in der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden befasst, die ich bei meinem letzten Besuch dort begeistert angeschaut habe. Vielen Dank für die Überraschung, ich habe mich sehr gefreut.

Gebackene rote Zwiebeln mit Walnuss-Salsa

Der Herr Ottolenghi mal wieder. Seine GuardianKolumne ist nicht mehr nur vegetarisch, aber meist koche ich doch was ohne Fleisch von ihm nach. So wie dieses Rezept, das für vier Leute als Vorspeise genügt. Ich lasse die putzigen Gramm-Angaben für Rucola und Petersilie mal stehen; ich ignoriere die immer und packe mir so viel auf den Teller, wie ich mag.


4 mittelgroße rote Zwiebeln schälen, von den Polen befreien (dafür gibt’s bestimmt ein besseres Wort – ich rede hier von Nord und Süd und nicht unseren Nachbarn im Osten) und quer in circa zwei Zentimeter dicke Scheiben schneiden. In eine ofenfeste Form umsiedeln, mit
Olivenöl beträufeln und mit
Salz und
schwarzem Pfeffer ordentlich würzen. Im auf 200°C vorgeheizten Backofen für circa 20 Minuten backen, bis sie etwas Farbe angenommen haben. Wenn sie das nicht tun, einfach noch mal ein paar Minuten unter den Grill hauen. (Habe ich nicht, weswegen meine Zwiebeln nur rot und nicht gebräunt sind.) Ein bisschen abkühlen lassen. Vulgo: Man möchte sich nicht den Mund an glühend heißen Zwiebeln verbrennen.

In der Zwischenzeit das Salsa zubereiten. Dafür
65 g Walnüsse, fein gehackt (bei mir eher grob),
1 rote Chilischote, fein gehackt (bei mir war’s nur ne halbe),
1 Knoblauchzehe, fein gehackt,
3 EL Olivenöl und
1 EL Rotweinessig
in einer Schüssel mischen. Bei Yotam im Rezept waren die Mengenangaben für Essig und Öl genau andersherum, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ich drei Esslöffel Essig auf einen Esslöffel Olivenöl geben soll.

Zum Servieren
20 g Rucola mit
15 g glatter Petersilie und
60 g Ziegenkäse, zerbröckelt,
mischen, die Zwiebeln dazugeben und mit der Salsa übergießen.

Im Bild ist übrigens Feta zu sehen, weil Goldfischhirn Gröner den Ziegenkäse beim Einkaufen vergessen hat. Schmeckt aber trotzdem grandios. Wie immer bei Ottolenghi: viel im Mund, was viel Spaß macht. Warme, mildweiche Zwiebeln, der kühle Käse, die knackigen Nüsse, ein winziges bisschen scharf, ein Hauch sauer im Rachen und alles zusammen passt hervorragend. Nach dem ordentlichen Aufschichten fürs Foto habe ich übrigens alles in einem riesigen Pastateller vermengt. Sieht nicht mehr ganz so hüsch aus, aber die Zwiebeln fallen auseinander, und man kriegt bei jedem Bissen alles auf die Gabel.

“Tomorrow Can Wait”

Moni, ihr Ehemann und ihr Sohn John bitten um Hilfe auf Kickstarter. Auf ihrem Blog Mojosco erklären sie, worum es geht:

„Severely autistic people aren’t primarily known as globetrotters. They like routines and familiar surroundings. Our son John, eleven years old, severely autistic and non-verbal, is no exception to this. But he also really likes to travel. As soon as we realized that, we were on the road and have traveled a lot throughout Europe since. We would like to write a book about our experiences, for anyone who is interested in travel and/or autism.“

Ich lese Monis Blog seit gefühlten Ewigkeiten und habe vieles erfahren, das schlicht außerhalb meines eigenen Erfahrungshorizonts liegt. Was es bedeutet, ein autistisches Kind zu haben. Welche Formen es von Autismus überhaupt gibt. Wo die alltäglichen Schwierigkeiten liegen und wie man sie überwindet – oder auch nicht. Dabei ist das Blog niemals ein Jammertal und genauso wenig ein „Autismus als Chance“-Überhöhungsgeseiere, sondern schlicht eine spannende, interessante, einfühlsame Schilderung.

Und da ich ahne, dass ihr Reisebuch ähnlich spannend, interessant und einfühlsam ist, habe ich bei Kickstarter ein bisschen gespendet. Ich würde mich freuen, wenn ihr dieses Projekt auch unterstützen würdet. Vielen Dank.

PS: Wer sich vor ewigen Log-in-Orgien fürchtet, dem sei gesagt: Wer einen Facebook- und einen Amazon.com-Account hat, der hat in zwei Klicks gespendet. Ich liebe so was ja.

Bücher Mai 2012


Patrick Rothfuss – The Wise Man’s Fear: Kingkiller Chronicle 2

Der zweite Teil ist immer noch nicht das Ende, denn es folgt noch ein drittes Buch, das dann hoffentlich endlich die losen Handlungsfäden zusammenführt. Was toll an Kingkiller ist: Man ahnt anhand des Titels einen Plotpoint voraus, der noch nicht einmal in Ansätzen sichtbar ist. Und man bekommt durch die Rahmenhandlung auch schon das Ende angerissen, aber nur so vage, dass man schlicht keine Ahnung hat, wie die inzwischen ungefähr 1.800 Buchseiten der ersten beiden Teile aufhören werden.

Ich bin alles andere als ein Fan von Fantasy, aber Kingkiller ist ziemlich unwiderstehlich geschrieben, weswegen ich den beiden Büchern auch eine Menge verzeihe. Wie zum Beispiel die mal wieder unterrepräsentierten Frauenfiguren, von denen ich eigentlich nur eine (Devi) als der Hauptfigur ebenbürtig empfinde. Der Rest ist Beiwerk, überkandidelt formuliertes love interest oder Zeitvertreib, um die gute Seele des Helden erzählerisch zu unterfüttern. Ach ja, der Held. Kvothe geht mir sehr, sehr, sehr auf die Nerven. (Noch ein Beleg dafür, wie unwiderstehlich das Zeug ist, wenn ich sogar über eine nervige Hauptfigur hinwegsehe.) Der Typ ist altklug, naiv, Hans im Glück, außer wenn sein Erzfeind auftritt, kann alles, weiß alles und will immer noch mehr können und wissen. Eigentlich ein sympathischer Charakterzug, aber ich habe mich des Öfteren bei dem Gedanken erwischt, jetzt flieg doch mal von der Uni. Jetzt brich dir doch mal ein paar Knochen. JETZT HALT DOCH MAL DIE KLAPPE.

Ich wiederhole mich: Zwei Bücher, 1.800 Seiten, beide nach dem Aufschlagen nicht mehr aus der Hand gelegt. Muss was dran sein.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Fjodor Dostojewskij (Arthur Luther, Übers.)– Der Doppelgänger

Da denkt man bei Fight Club, hui, tolle Idee mit dem gespaltenen Helden, und dann liest man den Doppelgänger und denkt sich, he, Chuck, du Dieb. Auch Fjodor dürfte sich irgendwo bedient habe, aber das ist mir jetzt egal. Der Doppelgänger beschreibt eindringlich die Wahnvorstellung eines Petersburger Beamten, der sich mit sich selbst konfrontiert sieht – nur dass sein anderes Ich Karriere macht, von allen gemocht wird, in Restaurants umsonst isst und die Mädels kriegt. Hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich – wie bei fast allen russischen Texten – mit den ungewohnten Namen Probleme hatte. (Ich schreibe in diesen Fällen Merkzettel, wer mit wem und warum.)

(Volltext beim Projekt Gutenberg.)

Nikolaj Gogol (Josef Hahn, Übers.) – Petersburger Novellen

Ach, wo ich gerade in Russland unterwegs war. Entspannt zu lesen, skurril, traurig, schön. Hat mir besser gefallen als Dostojewskij. Aber das ist wahrscheinlich ähnlich unqualifiziert wie „Ich mag (deutsche_r Schriftsteller_in X) lieber als (deutsche_r Schriftsteller_in Y).

(Leseprobe bei amazon.de.)

Hanns-Josef Ortheil – Liebesnähe

Wie die meisten Ortheils ist auch Liebesnähe völlig irreal, aber dabei so hachschön. Jedenfalls für mich. Denn ich würde gerne in einer Welt leben, in der gutes Essen, klassische Musik, Kunst, lesen, vorlesen, schreiben, schreiben und schreiben einen höheren Stellenwert haben als so Kinderkram wie Geldverdienen oder Mietezahlen. Nun gut. In Liebesnähe begegnen sich zwei Menschen in einem Hotel, und beiden ist relativ schnell klar, dass sie zusammengehören. Da könnte man einfach miteinander in die Kiste springen; man könnte aber auch elaborierte Treffen exerzieren, über handschriftliche Notizen oder kurze SMSe miteinander kommunizieren, dem anderen Lieblingsbücher oder feine Süßigkeiten schenken oder ein Kunstwerk schaffen – und das alles, ohne ein einziges Wort miteinander zu sprechen. Das Hotel ist eine utopische Insel, die beiden Figuren Idealvorstellungen, und ich habe das Buch, wie fast alle Ortheils, geliebt, verehrt und verschlungen.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Gerbrand Bakker – Der Umweg

Die ersten beiden Bücher von Bakker fand ich großartig – mit dem Umweg hatte ich leider ein paar Probleme. Eine zunächst namenlose Frau mietet sich ein Häuschen in Großbritannien, versucht Gänse vor dem Fuchs zu retten, räumt auf und um, grübelt über ihre Dissertation zu Emily Dickinson, und man merkt schnell, dass da eigentlich etwas ganz anderes wichtig ist. In einem zweiten Erzählstrang tauchen ihr Mann und ihre Eltern auf, und auch hier schlummert unter den oberflächlichen Gesprächen und erzählten Andeutungen viel mehr. Die sparsame Sprache, die ich in den ersten Werken faszinierend fand, wirkte hier auf mich ein bisschen müde, ein wenig so, als wüsste Bakker, was von ihm erwartet wird, und deswegen schreibt er es lustlos auf. Auch die Geschichte fand ich nicht ganz so überzeugend, ich habe mich mehrfach gefragt, ob eine Kurzgeschichte der Idee nicht angemessener gewesen wäre. Die Grundidee ist schön, das Ende passt, die Figuren sind stimmig, aber Spaß gemacht hat das Lesen nicht.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Mike Mignola & Richard Corben, Kevin Nowlan, Scott Hampton – Hellboy 11: The Bride of Hell

Wie alle Hellboys: toll. Was soll ich zu meinem roten Schnucki noch sagen. In diesem Band nimmt auch endlich Herr Mignola mal wieder den Zeichenstift in die Hand, wegen dem ich überhaupt Fan der Reihe geworden bin. Aber auch an die anderen Zeichner habe ich mich inzwischen gewöhnt. Hauptsache, Hellboy knurrt sich prügelnd durch irgendwelche Fantasiewelten. Und das tut er hier. Wie immer eben.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Unter den Titel und den meisten Leseproben verbergen sich Amazon-Affiliate-Links. Wollte ich schon seit Monaten sagen: Danke, wenn ihr über diese Links bestellt. Darüber kommt ähnlich viel Geld rein wie bei meinem einmonatigen Flattr-Versuch, aber ich habe das Gefühl, dass ich euch ein bisschen Gegenwert bieten kann für euren Klick.

Ach, und ich brauche keine weiteren Mails, dass Amazon der Teufel ist und ich in die Hölle komme. Der erste Online-Shop, bei dem ich jemals etwas bestellte, war Amazon. Ich habe dort bisher so gut wie jedes Buch gefunden, das ich haben wollte, vor allem damals(TM), als in meiner örtlichen Buchhandlung englische Bücher noch nicht so en vogue waren. Ich kriege die Werke in die Agentur geliefert und das schnell und verlässlich, in ungefähr 15 Jahren hatte ich eine einzige Fehllieferung, und die Wunschzettelfunktion beschert mir gefühlt dauernd freundliche Leser_innenzuwendungen. Ich glaube auch nicht, dass Amazon dafür verantwortlich ist, wenn die vielzitierten kleinen Buchläden schließen müssen (in die ich sowieso eher selten gehe). Wer Amazon blöd findet, darf die Bücher gerne woanders bestellen. Ich persönlich bin mit der Firma äußerst zufrieden und wüsste daher nicht, warum ich keine Links zu ihr setzen soll. Danke für die Aufmerksamkeit.

(Nein, ich brauche immer noch keine Mails, warum das doch doof ist.)

Kunst gucken: Alte Nationalgalerie Berlin

Man kommt ja hier zu nix. In der Alten Nationalgalerie war ich einen Tag, bevor die re:publica ihre Tore öffnete – also vor fast einem Monat –, weswegen die Eindrücke leider nicht mehr ganz so frisch sind. Verdammt. Beste Lösung: einfach noch mal hinfahren, denn es gab genügend Bilder, die mich fasziniert haben. Zu quengeln habe ich höchstens über den Audioguide, der mich das komplette dritte Stockwerk (in dem man anfängt) allein gelassen hat. Oder ich war zu blöd, das Kopfhörer-Symbol an den Bildern zu entdecken.

Was im dritten OG so rumhängt, beschreibt die Webseite der Alten Nationalgalerie so:

„Die Kunst der Goethezeit ist mit Landschaften Jakob Philipp Hackerts, mit Porträts von Anton Graff und seinen Zeitgenossen und mit Werken der in Rom tätigen Nazarener vertreten: Peter Cornelius, Friedrich Overbeck, Wilhelm Schadow und Philipp Veit schufen mit den Fresken zur Josephslegende ein bedeutendes Auftragswerk für die Casa Bartholdy in Rom.

Zwei Säle im Obergeschoss der Nationalgalerie bieten Platz für Preziosen der Romantik: Gemälde von Caspar David Friedrich aus allen Schaffensphasen veranschaulichen die Entwicklung des Hauptmeisters der deutschen Romantik. Die programmatischen Architekturvisionen Karl Friedrich Schinkels zeigen den Architekten als ingeniösen Landschaftsmaler. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Werke Karl Blechens, der mit sprühender Farbigkeit und unkonventionellen Bildthemen seiner Zeit vorausgreift. Gezeigt werden ferner Porträts von Philipp Otto Runge und Gottlieb Schick, Landschaften von Joseph Anton Koch und Carl Rottmann. Das Biedermeier ist vertreten durch Berliner Stadtansichten von Eduard Gaertner und Johann Erdmann Hummel sowie durch Landschaften, Genreszenen und Porträts von Carl Spitzweg bis Ferdinand Georg Waldmüller.“

Klingt toll. Gleich das erste Bild, das ich mir notierte, kommt in obigem Text nicht vor, aber das macht ja nichts: Alexander von Humboldt von Friedrich Georg Weitsch. Ich mochte die Freundlichkeit, die mir aus dem Gemälde entgegenkam, genau wie die simpel eingeflochtenen Tätigkeiten Humboldts: seine Reisen, botanische Entdeckungen, die Dokumentation des Ganzen und vielleicht ein bisschen Abenteuerlust, symbolisiert durch das Fernrohr.

Ferdinand Georg Waldmüller hängt auch in jedem Museum rum, zu dem ich bisher Notizen gemacht habe, aber mit ihm konnte ich bisher nicht so viel anfangen: zu viele Landschaften, zu viel Putzigkeit, zu viel Zeug, das ich, wenn es Keramik wäre, unter „Nippes“ ablegen würde. In der Alten Nationalgalerie hängt aber unter anderem die Mutter des Hauptmanns von Stierle-Holzmeister, vor der ich länger stehenblieb. Mich fasziniert an Porträts generell die Kleidung, die Haartracht, an welchem Finger sitzen Ringe und wie sehen sie aus, welche Farben kommen vor, wie verziert sind Hauben, Stecktücher, Westen, Schleifen, Borten? Wahrscheinlich sprechen mich Porträts deshalb mehr an als Landschaften oder Szenerien, in denen auch Menschen vorkommen: Im Porträt sitzen oder stehen sie eben ganz einfach vor mir, schlicht, unprätentiös, fast schutzlos. Und ich trete in einen stillen Dialog mit ihnen und frage mich, wie wohl ihr Tag ausgesehen haben mag und zu welchen Gelegenheiten diese Kleidung rausgeholt wurde außer zur Porträtsitzung.

Deswegen stand ich auch länger vor Julius Hübners Bildnis der Pauline Charlotte Bendemann, seiner späteren Ehefrau, deren Gesichtsausdruck ich als sehr fordernd empfand, ganz anders als die vielen sittsamen, braven Frauenbildnisse, die ich im Hinterkopf habe. Wieder ein anderer Schnack: Liszt am Flügel von Josef Danhauser. Hier ist es kein Porträt, das mich beeindruckte, sondern das genaue Gegenteil: eine lebendige, fast verwuselte Szene, in der Liszt selbstvergessen vor sich hinklimpert, während der Rest des Salons sich ihm zuneigt. Hier habe ich eher auf die Notenblätter geachtet, auf das Teppichmuster, auf die Frisuren (immer toll). Und natürlich war wieder ein von Schadow dabei, genau wie in der Neuen Pinakothek. Diesmal war es das Selbstbildnis mit Ridolfo Schadow und Bertel Thorvaldsen, das sehr stilisiert und gekünstelt daherkommt und mir genau deshalb so gut gefallen hat.

Im zweiten Stock wartet Folgendes:

„Reichhaltig und qualitätvoll ist auch der Bestand an impressionistischer Malerei. Meisterwerke von Edouard Manet, Claude Monet, Auguste Renoir, Edgar Degas, Paul Cézanne und Skulpturen von Auguste Rodin wurden frühzeitig erworben.

Die Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist mit Werken von Hans Thoma, Anselm Feuerbach, Arnold Böcklin, Hans von Marées, Wilhelm Leibl und Wilhelm Trübner reichhaltig vertreten. Darüber hinaus präsentiert die Nationalgalerie ihren großen Bestand an Gemälden von Max Liebermann.“

Okay, über das beknackte Wort „qualitätvoll“ sehe ich jetzt mal gnädig hinweg, denn in den zweiten Stock wäre ich gerne eingezogen. Davor hätte ich allerdings ein paar Menschen entlassen müssen, denn gefühlt stand in jedem der Räume und Kabinette mindestens ein_e Wärter_in, der/die einem dabei zuguckt, wie man was anguckt. Die Alte Nationalgalerie war nicht so richtig gut besucht, im Gegensatz zur Nationalgalerie nebenan, wo noch die Gerhard-Richter-Ausstellung lief, weswegen die Jungs und Mädels nicht viel zu tun hatten. Ich kam mir deshalb manchmal sehr beobachtet vor, aber ich nehme an, das steht so in der Jobbeschreibung: „Achten Sie bitte darauf, dass die verdammten Besucher_innen nicht so nah an die Kunstwerke rangehen.“ Trotzdem. Es reicht doch, wenn ihr demonstrativ im Türrahmen steht – ihr müsst mich nicht bei jedem Schritt bewachen.

Aber davon habe ich mir das Stockwerk nicht vermiesen lassen; das ging auch gar nicht, denn alle meine Lieblinge hingen hier, nur für mich, schön rausgeputzt und mit liebevollen Audioguide-Erklärungen.

Zuerst stand ich vor der Toteninsel von Arnold Böcklin, vor der so ziemlich alle standen, die sich bei 28 Grad Außentemperatur in ein Museum verirrt hatten. Oder sie standen im Richter-Zyklus 18. Oktober 1977, der lustigerweise hier mitten im 19. Jahrhundert hängt – und mich deshalb nicht so bewegt hat, wie er mich hätte bewegen können, weil ich im Kopf gerade ganz woanders war.

Neben Böcklin war auch Herr Feuerbach wieder da, von dem ich dringend eine Biografie und ein bebildertes Werksverzeichnis brauche. Ich kann mich daran erinnern, dass mir der Audioguide etwas über die ungewöhnliche Bildkomposition von Ricordo di Tivoli erzählte: die Teilnahmslosigkeit der Kinder, ihre diagonale Anordnung im Bild und dass sie den Betrachter nicht anschauen. Notiert habe ich mir sein Selbstbildnis, finde beim Googeln danach aber peinlicherweise mehrere und kann mich partout nicht erinnern, welches in Berlin hängt. Dafür erinnere ich mich an diverse Anna-Risi– bzw. Nanna-Bilder, die mir alle gefallen haben.

Und dann kamen auch schon die französischen Impressionisten, bei denen ich sinngemäß fasziniert twitterte: „Schönes Gefühl, in einen Museumssaal zu treten und beim ersten, schnellen Rumgucken zu wissen: Degas, Monat, Cézanne.“ Von Monet hängt unter anderem Saint-Germain-l’Auxerrois in Berlin, wo ich sofort Herrn Gombrich im Hinterkopf hatte, der Impressionismus unter anderem so erläutert: Es ist gar nicht nötig, jedes Detail zu malen – unser Auge bzw. unser Gehirn ergänzt, was es nicht sieht, um sich ein Bild zu schaffen, das es kennt. So reichen hier grüne und weiße Kleckse, und mein Gehirn weiß, ah, Kastanien. Und gleichzeitig zeigt mir diese Malart eben eine neue Sicht auf Altbekanntes.

Auch Paul Cézanne fasziniert mich mehr und mehr, je länger ich auf seine Bilder starre. Diese Fähigkeit zur Abstraktion, das Reduzieren auf geometrische Formen, ohne das Ganze zu zerstören, das Weglassen bzw. Nicht-Auftragen von Farbe, um damit einen bisher ungesehenen Effekt zu erzielen. Es fühlt sich fast albern an, es aufzuschreiben – „Oh hey, ich mag Cézanne, weil …“ –, denn das wurde schließlich alles schon tausendmal gesagt, aber ich finde es so begeisternd, selbst Unterschiede zu sehen, je öfter man sich mit diesen Werken beschäftigt. Ich mag dieses stückchenweise Wissensammeln und mit eigenen Eindrücken ergänzen gerade sehr gern.

Ich habe mir noch mehr Bilder notiert, unter anderem von Johann Sperl oder Franz von Lenbach, aber als Rausschmeißer will ich doch wieder Wilhelm Leibl erwähnen, der mich in Hamburg in der Kunsthalle atemlos gekriegt hat, weswegen ich mich über ein Wiedersehen in der Neuen Pinakothek so gefreut habe. In der Alten Nationalgalerie hängen wieder Atemlosmachbilder, zum Beispiel die Dachauerin mit Kind. Sie hat mich stark an die Drei Frauen in der Kirche erinnert, die mir in Hamburg so gut gefallen haben. Feinste Pinselstriche im Kontrast zu auslaufenden Farbflächen erzeugen einen fast irrealen Eindruck – aber der unnachgiebige, unbestechliche Blick der Frau holt einen sofort wieder in die harte Realität des 19. Jahrhunderts zurück. Vor dem Bild blieb ich am längsten stehen und kam nach einer weiteren Runde durch die Impressionisten auch noch mal zurück. Leibl-Groupie mit Herz und Seele. Ich glaube, ich plane meinen Sommerurlaub um die Museen rum, in denen weitere Leibls hängen. Hallo, Köln!

Twitter-Lieblinge Mai 2012

“The First Wired President”

“Lincoln saw his first telegraph key only three years before he ran for president, in a hotel lobby while riding circuit in Pekin, Ill. Always fascinated with technology, he peppered the operator with questions. Yet to most people in the mid-1800s, electricity was a mystery, and the telegraph was magic. A vague scientific concept to most, electricity wouldn’t become obvious until Thomas A. Edison invented the light bulb in 1879. Sending messages by electric sparks was a doubling down on that mystery. (…)

Reading a telegraphed report from Gen. George McClellan offering excuses for his failure to pursue the Confederates for five weeks after the 1862 Battle of Antietam, Lincoln bridled at the excuse that the Army’s horses were tired. Armed with firsthand information about the general’s supplies gleaned from the stream of telegraphic information, the president superseded the chain of command to express his frustration and dissatisfaction directly to McClellan: “I have just read your despatch [sic] about sore tongued and fatiegued [sic] horses – Will you pardon me for asking what the horses of your army have done since the battle of Antietam that fatigue anything?” Two weeks later the president removed McClellan from command.”

Abraham Lincoln und der neu erfundene Telegraf. Aus der immer noch großartigen Disunion-Serie der NYT über den Civil War.

„An den Mond“

„Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud’ und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe, lieber Fluss!
Nimmer werd’ ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuss
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Dass man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergisst!

Rausche, Fluss, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Hass verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was, von Menschen nicht gewusst
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.“

(Johann Wolfgang von Goethe)

Nachruf

Der Economist mal wieder in Hochform, wie eigentlich immer bei den Obituaries. Dieses Mal leider zu Dietrich Fischer-Dieskau:

„He was shy and unforthcoming to strangers, slipping away after performances to eat his favourite semolina in his hotel room alone. He often felt uncertain about roles. What he never doubted was that music was meant to be his life, ever since he had listened, curled up under the piano like a small burrowing animal, to the eerie vibrations of his father striking the keys. His four marriages and three sons meant much to him, he conceded; but music meant more. It was his love and his life, the gift he had been given, the rock he clung to and the compulsion he laboured under, as his beloved Schubert had done. His book-length study of the Lieder concluded that the world was a mere shadow to the composer. It was the same to him.

In later life he took up painting, mostly of woods around his Munich house. This gave him the chance, he said, to prove he could create from scratch as well as recreate. But interpretation possessed him even after he retired. To bring songs alive for new ears; to break the ice, and find fresh water; to revive again and again the joy of spring, the gleam of green and even the figure of Schubert’s hurdy-gurdy man, playing his heartbreaking tune for someone, anyone, in the snowy waste to hear.”

Auch Stephen Fry ruft nach und schlägt dabei einen großen Bogen, unter anderem zu klassischer Musik an sich und überhaupt:

„Classical music isn’t to be danced to, it doesn’t necessarily remind you of your first snog or your first bust up – those inestimable, moving and essential services are certainly part of popular music’s draw and connective power. Classical music, since that is what we must call it, is something else. It must be payed attention to. It is not wallpaper or “the soundtrack to one’s life” as much other music in my life (happily) is. It is Art. There, I said it and I can’t and won’t apologise for making that distinction. I’d go the gallows for it. (…) Classical music is, functionally at least, beyond fashion and outside time, (though of course it can be studied in quite the reverse way). To engage you need know nothing, only to be able to sit and listen. To make the journey and visit the places the music takes you.

You will find yourself inside the most astonishing aural architecture that has ever been constructed. Frightening, awe-inspiring, forbidding at first. But when you realise that these pieces were written by people like you who believe first in foremost in love and hope, bliss, justice and connection, and that they want to take you by the hand and cause your heart to burst in your breast for joy and wonder and pity, the fear melts away. Not something one is always ready for, any more than one could eat haute cuisine every day. But when you need it, oh the difference …“

(Links via @TheEconomist und @therealstief)

„Im Gesicht, und noch einfacher – im Profil sollte sich das innerste Wesen des Menschen kundtun, und Lavater war der Prophet dieser Lehre. Er traute sich zu, mit einem Blick einen Menschen zu erfassen, zu deuten, ja wahrzusagen, was aus ihm werden könne oder was er gewesen.

Es gibt die Anekdote von einer Begegnung des Physiognomisten mit einem bescheidenen Manne im Reisewagen von Zürich nach Schaffhausen. Lavater liebte es, seine Kunst vor jedem Publikum zu demonstrieren. Er begann sogleich den Mann zu kennzeichen: Sanftmut vor allem, Eingehen auf andere Menschen, die er liebevoll zu betreuen liebt, an die Hand nimmt, sie zu geleiten … ‘Ich bin der Scharfrichter von Schaffhausen, zu dienen, Herr’, sagte das Gegenüber.

Lavaters Werk Physiognomische Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntnis und Menschenliebe begann 1775 zu erscheinen (…), der Name Lavater wurde zum Begriff für eine Physiognomik bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Man spottete, imitierte, parodierte; Lichtenberg schrieb sein Fragment von Schwänzen und deutete aus den Ringeln eines Schweineschwänzchens die Seele eines hoffnungsvollen Schweinejünglings. (…)

Eine Silhouette, in Ermangelung des teuren Miniaturbildes, war das erste Geschenk, das der Liebende von der Geliebten, der Freund vom Freunde erhielt; in großen Alben sind uns die Profile fast aller Zeitgenossen Goethes bis zu den Kindern und Dienstboten überliefert. Der nach der Natur gezeichnete Umriss gab immerhin einen gewissen Anhalt. Bald zogen Silhouettenschneider umher, die nach dem Augenmaß arbeiteten und ‘charakteristische Züge’ hinzutaten; ein besonders geschickter Jahrmarktskünstler ließ seinen Hund das allbekannte Profil des Herrn von Voltaire aus einer Brotscheibe herausfressen und fand damit großen Beifall.“

Richard Friedenthal, Goethe: Sein Leben und seine Zeit

Grand Prix zum Nachlesen

Ich staune gerade darüber, dass Herr Niggemeier und Herr Heinser auch nach mehreren Folgen Bakublog noch Witze fürs Finale übrig haben. Meine Pointen verschoss ich bereits im Halbfinale, weswegen ich gestern abend mehr mit Tweets lesen und faven beschäftigt war. Wer noch mal nachlesen will, was die beiden in Baku während des Finales produziert haben – das geht ganz gut.

„11.19 Niggi: Aus diesem ganzen Feuer- und Folklorezauber wird in nicht viel weniger als 20 Minuten ein kleiner Popschlager schlüpfen.

11:19 Lukas: Wenn man Aserbaidschan bisher nicht schon “Land des Feuers” genannt hätte, dann sicher nach dem heutigen Abend.

11.20 Niggi: Ich will die ganze Zeit schon den Witz machen, dass es im Aserbaidschanischen offenbar kein Wort für “Understatement” gibt.

Leider fällt mir kein deutsches Wort für “Understatement” ein.“

Sights and Sounds of Munich
(Nachklapp CL-Wochenende)

Freitag

– Die Champions-League-Werbung am Flughafen: an gefühlt jeder Drehtür und jeder zweiten Werbefläche. Viele Media-Badges, die offen getragen werden. Wenige Trikots. Ein Berg von Abholmenschen mit CL-Schildern.

– Die fünf Meter lange Schlange an der Kasse des Bayern-Fanshops am Flughafen. Das rote Shirt zum Finale ist fast ausverkauft. Ich kaufe es und werde es wahrscheinlich nie wieder anziehen.

– Die angenehme Wärme im Freien im Kontrast zum kühlen Treppenhaus, in dem ich rumlungere, weil der Gastgeber sich unerwartet verspätet. Das Geräusch der Hardcover-Buchseiten, die ich umblättere. Das mehrfach geäußerte „Servus“, als das halbe Haus an mir vorbei muss. Das grinsende innerliche Umstellen auf die bayerische Grußform, sobald ich hier bin.

– Das sehr laut aufgedrehte Dreiklangdimensionen im Auto nach dem gemeinsamen Einkaufen. Zum ersten Mal der Gedanke „Oh, die Ecke kenne ich.“ Orientierungsmaulwurf Gröner erobert eine Stadt sehr langsam.

– Das Geschrei der Fans an der Säbener Straße. Wir verpassen die Abfahrt der Spieler nach dem Training um wenige Augenblicke. Die Schlange im Fanshop ist kürzer als am Flughafen. Ein Kunde zeigt mir, wo die Fahnen sind, die ich suche, und der Gastgeber schenkt mir eine Badeente, die „Stern des Südens“ spielt. Zuhause mithilfe eines Wassereimers die überraschende Entdeckung, dass die Ente auch „BAYERN! BAYERN!“ brüllen kann wie eine ganze Fankurve.

– Abends in der Innenstadt: das gemeinsame Zusammenschrecken, als der adidas-Trailer an der Hirmer-Fassade VERDAMMT LAUT losplärrt.

Samstag

– Die S-Bahn auf dem Weg ins Olympiastadion. An jeder Station wird die Bahn voller mit roten Trikots. Sehr viel gute Laune, sehr wenig Schlachtrufe wie sonst auf dem Weg in die Arena.

– Der erste Blick auf das Olympiagelände. Die wunderschöne Dachkonstruktion, das viele Grün. Irgendwo da unten steht die Trophäe, mit der man sich fotografieren lassen kann. Tausende von rot gekleideten Fans, ein strahlend blauer Himmel. Es riecht nach Frühling, Sommer und Urlaub gleichzeitig.

– Das Sitzschalengefühl im Olympiastadion (mein Hintern vergleicht gerne Sitzschalen). Die kurze Rührung, als Paul Breitner gegen Edwin van der Sar im All-Stars-Game einen Elfmeter verschießt. Der wehmütige Blick zur Anzeigentafel, die ich bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Die Ehrfurcht vor der Größe des Stadions. Und immer wieder der Blick nach oben zum Dach und zu den riesigen, eleganten Flutlichtmasten. Über den Rand des Stadions hinaus ist die Allianz-Arena in der Ferne sichtbar.

– Ich trinke Wasser, die anderen Bier. Hinter mir ein Fan, der jeden Schlachtruf der letzten 20 Jahre ausprobiert. Der Rest unseres Grüppchens plaudert und stößt miteinander an, ich sitze still am Rand und gucke schweigend um mich rum. Inmitten der Partystimmung empfinde ich eine tiefe, ruhige Zufriedenheit und habe völlig vergessen, dass heute abend noch ein Champions-League-Finale mit meiner Mannschaft ansteht.

– Nach dem Spiel in Hauptbahnhofsnähe die einzige unschöne Begegnung mit Chelsea-Fans, durch die wir durchgehen müssen. Deutlich mehr rote Trikots, viele singen. Es ist eine andere Freude als an normalen Spieltagen. Entspanntes Vorjubeln.

– Die Schlange im Fanshop im Hauptbahnhof geht fünfzehn Meter weit in den Bahnhof hinein.

– Im Biergarten mein erster Steckerlfisch. Salzige, knusprige Haut, festes, rauchigmildes Fleisch. Zwei Gentlemen, die mir entgrätete Stücke bereitlegen. Das Prinzessinnengefühl im Gomez-Trikot. Der erste Schluck Augustiner: Jetzt ist es München. Auch hier wieder die kurze innere Einkehr. 5.000 überwiegend rot gekleidete Menschen um mich herum, und ich bin eine kleine zufriedene glückliche warme satte Insel.

– Beim Dallmayr das Gefühl, Scheiß auf Fußball, ich setz mich jetzt hier hin und esse die nächsten acht Stunden durch.

– Knapp zwei Stunden vor Spielbeginn kurz in den Livestream der Bayerischen Staatsoper geguckt. Im Trikot auf dem Sofa sitzen, mit Erdnussflips versorgt werden, Bier trinken und Bellini über Kopfhörer zuhören, während auf dem Fernseher die Hysterie in der Stadt beschworen wird, die ich nicht so empfunden habe.

– Die vom Gastgeber wortlos gereichte Après-Sonnenlotion, damit ich aufhöre, an meinen roten Unterarmen rumzukratzen.

– Während des Spiels 83 Minuten gut gelaunte Anspannung – und immer das Gefühl, das wird. Das gehört uns. Torjubel. Fünf Minuten später die kalte Dusche, die sich genau so anfühlt, nur ohne Wasser. Ab da nur noch der Wunsch, lass es schnell vorbei sein, egal wie es ausgeht.

– Die ersten Tränen, die ich wegen eines Fußballspiels vergieße. Die dankbare Wahrnehmung der Trosttweets in der Timeline. Die kurze Fassungslosigkeit ob der wenigen Arschlochtweets. Handy weg. Mehr Bier. Viel mehr Bier.

– Fußballdiskussionen bis morgens um 5. White Russian. Zigaretten auf dem Balkon. Der Sommer hängt immer noch in der Stadt, die das alles nicht interessiert, was wir hier gerade hitzig, enttäuscht, wütend, traurig, fassungslos, resigniert und irgendwann lachend diskutieren. Das Zwitschern der Vögel, als ich ins Bett gehe.

Sonntag

– Frühstück. Das hohle Gefühl im Magen: Wir haben verloren. Aber es gibt Kaffee. Und Weißwurst. Und süßen Senf. Und Laugenbrezeln. Mein inneres Bayerisch scheitert immer an „Brezn“.

– Die vom Gastgeber wortlos gereichte Sonnenmilch.

– Im Auto auf dem Weg zum Biergarten. Offene Fenster, laute Musik. Wir singen zu dritt Mad World mit. Der Schmerz kommt kurz wieder, aber der Tag ist zu schön dafür.

– Im Biergarten der inzwischen sichere Griff durch den Henkel des Maßkrugs. Die klebrige Kühle der Einbuchtungen im Glas, der weiche Schaum am Mund. Augustiner FTW. Das Schild, auf dem steht, dass man sich gerne zentnerweise Brotzeiten mitbringen dürfe, nur das Bier sollte bittschön hier gekauft werden. Um uns herum diverse Tupperdosen, Picknickkörbe, Decken, Blumenvasen (!). Ein paar versprengte rote Trikots neben unseren. Das beruhigende Klacken der dickwandigen Krüge.

– Das klickende Suchen nach S-Bahn-Verbindungen auf dem Smartphone, das mir bewusst macht, dass mein Kurzurlaub zuende ist. Wie gestern beim Dallmayr: Scheiß auf den Flug und auf den Montagsjob, ich bleib hier acht Stunden sitzen und kriege Sonnenbrand. Das verantwortungsvolle innere Engelchen, das zur Eile mahnt. Der hektische Abschied, die Erschöpfung in der S-Bahn, die Müdigkeit im Flieger. Zum ersten Mal um Alkohol gebeten. Mit ollem Warsteiner das München-Wochenende verlängern wollen. Keine gute Idee.

– In Hamburg das einzige rote Trikot am Flughafen. Das Gefühl des Deplatziertseins statt des Nachhausekommens. Das stille Taxi, die Treppe in die Wohnung. Der Kerl wartet. Doch nicht deplatziert. Alles richtig so. Wenn auch ohne Augustiner und einen Champions-League-Sieg.

Gazpacho andaluz

Warm. Hungrig. Gazpacho.

Für sechs Portionen.

1 Salatgurke schälen, halbieren und von den Innereien befreien. Grob hacken, genau wie
2 rote Paprikaschoten,
1 grüne Paprikaschote,
2 Zwiebeln und
4 Knoblauchzehen. Ein bisschen von jedem Gemüse zurückbehalten und fein hacken, damit man nachher was Dekoratives zum Draufstreuen hat. Den Rest des Gemüses pürieren.

2 Dosen à 400 g stückige Tomaten dazugeben und nochmals pürieren.

2 EL Semmelbrösel,
2 EL gemahlene Mandeln,
2 EL Olivenöl,
2 EL Wein- oder Sherryessig und
0,2 l Rotwein unterrühren und mit mindestens
1 TL Kreuzkümmel,
1 TL Rosenpaprika,
2 TL Salz und
Pfeffer großzügig abschmecken. Alles für einen halben Tag im Kühlschrank kühlen. Wer hungrig ist (wie ich), isst es gleich. Schmeckt auch.

Obazda

Google spuckt mir gefühlt 700 Varianten dieser Käsecreme aus (genau wie Schreibweisen), daher weiß ich nicht, ob ich gerade bayerisches Brauchtum massakriere oder das Rezept so okay ist. Ist aber eigentlich auch egal, denn mir schmeckt’s.

125 g Camembert kleinschneiden und in einer Schüssel mit
2 EL weicher Butter und
2 EL Speisequark (40 %)
vermischen. Das Originalrezept will dafür einen Mixer, ich habe alles mit einer Gabel zermascht, so dass die Creme nicht wirklich eine Creme ist, sondern eher was Brockiges. Wir mögen Brockiges.

Unter die Brockencreme noch
1 kleine Zwiebel, fein gehackt, sowie
3 EL Schnittlauch mischen und mit
Salz,
Pfeffer und
edelsüßem Paprikapulver würzen. Dazu Laugenbrezeln und Bier.