Sights and Sounds of Munich
(Nachklapp CL-Wochenende)

Freitag

– Die Champions-League-Werbung am Flughafen: an gefühlt jeder Drehtür und jeder zweiten Werbefläche. Viele Media-Badges, die offen getragen werden. Wenige Trikots. Ein Berg von Abholmenschen mit CL-Schildern.

– Die fünf Meter lange Schlange an der Kasse des Bayern-Fanshops am Flughafen. Das rote Shirt zum Finale ist fast ausverkauft. Ich kaufe es und werde es wahrscheinlich nie wieder anziehen.

– Die angenehme Wärme im Freien im Kontrast zum kühlen Treppenhaus, in dem ich rumlungere, weil der Gastgeber sich unerwartet verspätet. Das Geräusch der Hardcover-Buchseiten, die ich umblättere. Das mehrfach geäußerte „Servus“, als das halbe Haus an mir vorbei muss. Das grinsende innerliche Umstellen auf die bayerische Grußform, sobald ich hier bin.

– Das sehr laut aufgedrehte Dreiklangdimensionen im Auto nach dem gemeinsamen Einkaufen. Zum ersten Mal der Gedanke „Oh, die Ecke kenne ich.“ Orientierungsmaulwurf Gröner erobert eine Stadt sehr langsam.

– Das Geschrei der Fans an der Säbener Straße. Wir verpassen die Abfahrt der Spieler nach dem Training um wenige Augenblicke. Die Schlange im Fanshop ist kürzer als am Flughafen. Ein Kunde zeigt mir, wo die Fahnen sind, die ich suche, und der Gastgeber schenkt mir eine Badeente, die „Stern des Südens“ spielt. Zuhause mithilfe eines Wassereimers die überraschende Entdeckung, dass die Ente auch „BAYERN! BAYERN!“ brüllen kann wie eine ganze Fankurve.

– Abends in der Innenstadt: das gemeinsame Zusammenschrecken, als der adidas-Trailer an der Hirmer-Fassade VERDAMMT LAUT losplärrt.

Samstag

– Die S-Bahn auf dem Weg ins Olympiastadion. An jeder Station wird die Bahn voller mit roten Trikots. Sehr viel gute Laune, sehr wenig Schlachtrufe wie sonst auf dem Weg in die Arena.

– Der erste Blick auf das Olympiagelände. Die wunderschöne Dachkonstruktion, das viele Grün. Irgendwo da unten steht die Trophäe, mit der man sich fotografieren lassen kann. Tausende von rot gekleideten Fans, ein strahlend blauer Himmel. Es riecht nach Frühling, Sommer und Urlaub gleichzeitig.

– Das Sitzschalengefühl im Olympiastadion (mein Hintern vergleicht gerne Sitzschalen). Die kurze Rührung, als Paul Breitner gegen Edwin van der Sar im All-Stars-Game einen Elfmeter verschießt. Der wehmütige Blick zur Anzeigentafel, die ich bisher nur aus dem Fernsehen kannte. Die Ehrfurcht vor der Größe des Stadions. Und immer wieder der Blick nach oben zum Dach und zu den riesigen, eleganten Flutlichtmasten. Über den Rand des Stadions hinaus ist die Allianz-Arena in der Ferne sichtbar.

– Ich trinke Wasser, die anderen Bier. Hinter mir ein Fan, der jeden Schlachtruf der letzten 20 Jahre ausprobiert. Der Rest unseres Grüppchens plaudert und stößt miteinander an, ich sitze still am Rand und gucke schweigend um mich rum. Inmitten der Partystimmung empfinde ich eine tiefe, ruhige Zufriedenheit und habe völlig vergessen, dass heute abend noch ein Champions-League-Finale mit meiner Mannschaft ansteht.

– Nach dem Spiel in Hauptbahnhofsnähe die einzige unschöne Begegnung mit Chelsea-Fans, durch die wir durchgehen müssen. Deutlich mehr rote Trikots, viele singen. Es ist eine andere Freude als an normalen Spieltagen. Entspanntes Vorjubeln.

– Die Schlange im Fanshop im Hauptbahnhof geht fünfzehn Meter weit in den Bahnhof hinein.

– Im Biergarten mein erster Steckerlfisch. Salzige, knusprige Haut, festes, rauchigmildes Fleisch. Zwei Gentlemen, die mir entgrätete Stücke bereitlegen. Das Prinzessinnengefühl im Gomez-Trikot. Der erste Schluck Augustiner: Jetzt ist es München. Auch hier wieder die kurze innere Einkehr. 5.000 überwiegend rot gekleidete Menschen um mich herum, und ich bin eine kleine zufriedene glückliche warme satte Insel.

– Beim Dallmayr das Gefühl, Scheiß auf Fußball, ich setz mich jetzt hier hin und esse die nächsten acht Stunden durch.

– Knapp zwei Stunden vor Spielbeginn kurz in den Livestream der Bayerischen Staatsoper geguckt. Im Trikot auf dem Sofa sitzen, mit Erdnussflips versorgt werden, Bier trinken und Bellini über Kopfhörer zuhören, während auf dem Fernseher die Hysterie in der Stadt beschworen wird, die ich nicht so empfunden habe.

– Die vom Gastgeber wortlos gereichte Après-Sonnenlotion, damit ich aufhöre, an meinen roten Unterarmen rumzukratzen.

– Während des Spiels 83 Minuten gut gelaunte Anspannung – und immer das Gefühl, das wird. Das gehört uns. Torjubel. Fünf Minuten später die kalte Dusche, die sich genau so anfühlt, nur ohne Wasser. Ab da nur noch der Wunsch, lass es schnell vorbei sein, egal wie es ausgeht.

– Die ersten Tränen, die ich wegen eines Fußballspiels vergieße. Die dankbare Wahrnehmung der Trosttweets in der Timeline. Die kurze Fassungslosigkeit ob der wenigen Arschlochtweets. Handy weg. Mehr Bier. Viel mehr Bier.

– Fußballdiskussionen bis morgens um 5. White Russian. Zigaretten auf dem Balkon. Der Sommer hängt immer noch in der Stadt, die das alles nicht interessiert, was wir hier gerade hitzig, enttäuscht, wütend, traurig, fassungslos, resigniert und irgendwann lachend diskutieren. Das Zwitschern der Vögel, als ich ins Bett gehe.

Sonntag

– Frühstück. Das hohle Gefühl im Magen: Wir haben verloren. Aber es gibt Kaffee. Und Weißwurst. Und süßen Senf. Und Laugenbrezeln. Mein inneres Bayerisch scheitert immer an „Brezn“.

– Die vom Gastgeber wortlos gereichte Sonnenmilch.

– Im Auto auf dem Weg zum Biergarten. Offene Fenster, laute Musik. Wir singen zu dritt Mad World mit. Der Schmerz kommt kurz wieder, aber der Tag ist zu schön dafür.

– Im Biergarten der inzwischen sichere Griff durch den Henkel des Maßkrugs. Die klebrige Kühle der Einbuchtungen im Glas, der weiche Schaum am Mund. Augustiner FTW. Das Schild, auf dem steht, dass man sich gerne zentnerweise Brotzeiten mitbringen dürfe, nur das Bier sollte bittschön hier gekauft werden. Um uns herum diverse Tupperdosen, Picknickkörbe, Decken, Blumenvasen (!). Ein paar versprengte rote Trikots neben unseren. Das beruhigende Klacken der dickwandigen Krüge.

– Das klickende Suchen nach S-Bahn-Verbindungen auf dem Smartphone, das mir bewusst macht, dass mein Kurzurlaub zuende ist. Wie gestern beim Dallmayr: Scheiß auf den Flug und auf den Montagsjob, ich bleib hier acht Stunden sitzen und kriege Sonnenbrand. Das verantwortungsvolle innere Engelchen, das zur Eile mahnt. Der hektische Abschied, die Erschöpfung in der S-Bahn, die Müdigkeit im Flieger. Zum ersten Mal um Alkohol gebeten. Mit ollem Warsteiner das München-Wochenende verlängern wollen. Keine gute Idee.

– In Hamburg das einzige rote Trikot am Flughafen. Das Gefühl des Deplatziertseins statt des Nachhausekommens. Das stille Taxi, die Treppe in die Wohnung. Der Kerl wartet. Doch nicht deplatziert. Alles richtig so. Wenn auch ohne Augustiner und einen Champions-League-Sieg.