Links vom 11. März 2013

Homo Faber in der digitalen Welt. Zur Aktualität von Max Frischs Roman.

Eine halbe Stunde auf SWR 2. Jammert zwar ein bisschen viel über Facebook und Twitter und das angebliche Fehlen von echter Nähe (was auch immer das sein mag), ist aber trotzdem hörenswert, wie sich Herr Faber als Technikgläubiger heute zurechtfinden würde. Oder auch nicht. Seine Sprache habe angeblich „den unterkühlten Charme einer rasch herausgejagten E-Mail“. Und er wäre vielleicht ein prima Techblogger. Frisch: „Schreiben heißt: sich selber lesen.“

(via @v_i_o_l_a)

What Coke Contains

„The Vons grocery store two miles from my home in Los Angeles, California sells 12 cans of Coca-Cola for $6.59 — 54 cents each. The tool chain that created this simple product is incomprehensibly complex.“

Sehr aufschlussreicher Bericht darüber, was alles für eine Dose Cola benötigt wird.

(via Dirk Steins auf quote.fm)

Here I am. Fatigue, depression and infertility

Sehr lang, sehr anstrengend, sehr lesenswert. Darum geht’s:

„I was once an illegal alien in The Netherlands. I was once pregnant. I was once reported to immigration services by a Dutch woman who knew I was both illegal and pregnant. I was once detained. I was once denied medical care while in a deportation center. I was once deported. I had a miscarriage (the baby was dead, I had a botched clean up procedure in an understaffed and badly maintained hospital in a suburb of Buenos Aires). I am now sterile.

That was fifteen years ago and this is now.“

Ray Cusick, designer of the Daleks, died on February 21st, aged 84

Der Economist mal wieder mit einem schönen Nachruf:

„Critics were sceptical, until the fan mail arrived. Children across Britain huddled behind their sofas in squeaking, enjoyable terror. Mr Cusick’s own daughters ran, eyes closed, past the Dalek picture he put at the head of the stairs. The aliens from planet Skaro sparked countless playground games. The screeching atonal voice demanded imitation. Elbows in, arms stuck out stiffly, knees together, and the chase began. They were among the greatest science-fiction monsters ever conceived.

The unwise mocked their lethal armament (it resembled a plumber’s rubber plunger and an egg whisk) and their inability to climb. A cartoon in Britain’s satirical Private Eye magazine captioned them flummoxed by a staircase. “Well, this certainly buggers our plan to conquer the Universe” it read. “Real Daleks don’t climb stairs; they level the building,” retorted their fans.“

Linsen mit gegrillten Auberginen

Wie ich gestern abend twitterte: „Die Auberginen grillen, Linsen kochen, Tomaten, Möhren und Jogurt warten, ich hacke dreierlei Kräuter. Kann nur ein Ottolenghi-Rezept sein.“ Genauer gesagt, war es das hier:

Es macht ein bisschen Arbeit, aber dafür schmeckt’s natürlich wieder toll. Angeblich werden davon vier Leute satt, der Kerl und ich haben das locker zu zweit plattgemacht.

2 Auberginen auf ein mit Alufolie ausgelegtes Backblech legen und unter den heißen Grill werfen. Ab und zu mal wenden; die Haut darf schwarz werden oder sogar platzen, alles prima so. Nach 45 Minuten aus dem Ofen nehmen, und sobald man die Auberginen anfassen kann, das herrlich rauchig schmeckende Fleisch rauslöffeln (Vorsicht mit der schwarzen Haut, die schmeckt eher doof), in ein Sieb schaufeln und mindestens 15 Minuten abtropfen lassen. Danach mit

1/2 EL Rotweinessig und ordentlich Salz und Pfeffer würzen. Während die Auberginen grillen, machen wir die Linsen. Dazu

200 g Puy-Linsen mit
1 kleinen Möhre,
1 kleinen Zwiebel,
1 kleinen Stange Sellerie (alles im Ganzen bzw. in grobe Stücke gehackt) und
1 Lorbeerblatt mit ausreichend Wasser aufkochen und für 25 Minuten simmern lassen.

Das geht auch etwas einfacher, vor allem, wenn man wie ich keinen Sellerie mag: Dann die Linsen einfach in Gemüsebrühe kochen. Die Möhre, Zwiebel und das Lorbeerblatt habe ich trotzdem verwendet. Bei mir dauern Linsen übrigens immer länger als 25 Minuten, und ich gieße auch gerne mal Wasser nach.

Wenn die Linsen durch sind, abgießen und das ganze Gemüse und das Lorbeerblatt entsorgen. Die Linsen in einer Schüssel mit

1 1/2 EL Rotweinessig und
2 EL Olivenöl sowie ebenfalls ordentlich Salz und Pfeffer würzen. Laut Ottolenghi schlucken Linsen ganz gerne Aroma, daher vor dem Servieren ruhig noch mal nachwürzen.

In einer Auflaufform nun

12 halbierte Kirschtomaten und
2 Möhren sowie
1 Stange Sellerie, beide in kleine Stücke geschnitten, mit
1 EL Olivenöl,
1/3 TL braunem Zucker und
ein bisschen Salz bei 150° C für ungefähr 20 Minuten backen, bis die Möhren etwas weichgeworden sind. (Ich habe auch hier den Sellerie weggelassen.) Währenddessen

Koriander,
Petersilie und
Dill hacken, so dass von allem ungefähr ein Esslöffel übrigbleibt.

Das Ofengemüse und die Kräuter nun mit den Linsen vermischen, ein bisschen Auberginenpüree darüber geben und mit
Jogurt oder Crème fraîche garnieren. Ein kleiner Schuss Olivenöl drauf und genießen.

Wie immer bei Ottolenghi: gefühlt 100 Aromen im Mund. Die Möhren und Tomaten werden durch das bisschen Zucker wirklich deutlich süßer als gewohnt, und die Aubergine schmeckt wie frisch vom Grill. Mir persönlich hat der Jogurt am besten gefallen, mit dem ich noch nie Linsen gegessen habe. Und: Die Kräuter schmeckt man kaum durch, außer wenn man direkt auf Koriander rumkaut, der dreisten Diva. Sonst mischen sie sich brav mit den Linsen und dem Essig zu einem ganz wunderbar runden, milden Geschmack.

< quote >

Heinrich Wölfflin über die Mona Lisa:

„Die Landschaft selbst, die weit hinauf, bis über die Augenhöhe des Modells reicht, ist von merkwürdiger Art: phantastisch-zackige Berglabyrinthe, dazwischen Seen und Ströme. Was aber das sonderbarste ist: sie wirkt in ihrer unbestimmten Ausführung wie ein Traum. Sie hat einen andern Grad von Realität als die Figur, und das ist keine Laune, sondern ein Mittel, den Eindruck des Körperhaften zu gewinnen. Lionardo verwertet hier theoretische Einsichten über die Erscheinung ferner Gegenstände, worüber er sich auch im Traktat ausgelassen hat [1]. Der Erfolg ist der, daß im Salon Carré des Louvre, wo die Mona Lisa hing, alles andere neben ihr flach erschien, selbst Bilder des 17. Jahrhunderts. Die Farbenstufen der Landschaft sind: braun, grünblau und blaugrün, worauf sich der blaue Himmel anschließt. Genau dieselbe Folge, wie sie Perugino hat in dem ebenfalls dem Louvre gehörenden Bildchen mit Apollo und Marsyas.

Lionardo nannte die Modellierung die Seele der Malerei. Wenn irgendwo, so kann man vor der Mona Lisa die Bedeutung des Wortes ahnen lernen. Die delikaten Hebungen und Senkungen der Oberfläche werden zum Erlebnis, als ob man selbst mit Geisterhand darüber hinglitte. Die Absicht geht noch nicht auf das Einfache, sondern auf das Viele. Wer länger mit dem Bilde verkehrt hat, wird die Erfahrung bestätigen, daß es die nahe Betrachtung verlangt. Auf die Ferne verliert es bald seine eigentliche Wirkung. (Das gilt noch mehr von Photographien, die sich darum nicht zum Wandschmuck eignen.) Es unterscheidet sich darin prinzipiell von den späteren Bildnissen des Cinquecento, und in gewissem Sinne haben wir hier in der Tat den Abschluß einer Richtung, die ihre Wurzeln im 15. Jahrhundert hat, die Vollendung des ‘feinen’ Stils, dem die Plastiker vor allem ihre Bemühungen widmeten. Die jung-florentinische Schule ist nicht darauf eingegangen, einzig in der Lombardei wurden die zarten Fäden weitergesponnen [2].

[1] Buch von der Malerei, No. 128 (201).
[2] Daß die „belle ferronnière“ (Louvre) nicht in das Werk Lionardos hineinpaßt, ist schon mehrfach empfunden worden. Das schöne Bild ist neuerdings versuchsweise dem Boltraffio zugeschrieben worden, was allerdings wenig Überzeugendes hat.“

Aus: Wölfflin, Heinrich: Die klassische Kunst. Eine Einführung in die italienische Renaissance, 9. Auflage, Basel 1968, S. 50/51.

Die erste Auflage erschien 1898, die vierte habe ich gerade online gefunden; da sind die Seitenzahlen im Gegensatz zu meiner gedruckten 9. Auflage anders. Im pdf ab Seite 44 verreißt Wölfflin gekonnt Michelangelo. Sehr unterhaltsame Lektüre.

Frauentag 2013

Mein klassischer Frauentagsbeitrag, natürlich auch in diesem Jahr. Immer noch aktuell, immer noch von Cathy Guisewite aus Cathy. Wer mit der Pointe nichts anfangen kann: hier lang.

Ein mittelalterliches Dankeschön …

an … @AndreGottwald, der mich mit Johan Huizingas Herbst des Mittelalters: Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden überraschte. Das Buch tauchte irgendwann in meinem Blickfeld auf, als ich mich für meine Memling-Hausarbeit mit der devotio moderna und überhaupt der Mentalität am Übergang des Mittelalters zur Renaissance befasste. Hätte ich gar nicht gedacht, dass diese Zeit mich so faszinieren könnte – bis Studienbeginn hielt ich mich eher für ein 19th-century-kind-of-girl; ich finde die Zeit von der Französischen Revolution bis zum ersten Weltkrieg sehr spannend, und auch die Kunst und die Musik aus der Zeit mag ich sehr. Wer hätte es gedacht, dass ein paar Kathedralen den Wunsch in mir wecken, viel mehr über die Geisteshaltung zu erfahren, in der diese erbaut wurden. Vielen Dank für das schöne Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Bücher Januar/Februar 2013

Jetzt kann ich endlich alle Mailschreiber und -schreiberinnen verstehen, die mich vor dem Studium fragten, wie ich bloß so viel lesen kann in so kurzer Zeit. Die Frage habe ich nie kapiert: Ich lese in der Mittagspause und im Bus und abends und irgendwie dauernd. Jetzt nicht mehr: Jetzt hocke ich stattdessen in Bibliotheken rum, wo ich Kram für die Uni lese, den ich aber nicht unter „Freizeitlesen“ ablegen würde. Auch meine schönen Lesebusfahrten in die Hamburger Agentur fallen weg, seit ich nur noch blitzschnelle U-Bahn-Fahrten in München habe, bei denen es sich für vier Stationen nie lohnt, das Buch rauszuholen. Ich lese eigentlich nur noch im Flugzeug und während ich auf dasselbige warte, wobei die Zeit recht kurz ist, weil ich inzwischen meine Ankunft so gut timen kann, dass ich fünf Minuten vor Boarding am Gate bin. Selbst die abendliche Leserunde im Bett fällt gerade meist flach, weil ich nach dem ganzen Tagsüberlesen bloß noch ne Runde Sudoku auf dem iPhone daddele, bevor mir die Augen zufallen.

Nicht, dass ich mich beschwere: Ich habe in den letzten vier Monaten gefühlt mehr gelernt als in den vergangenen vier Jahren. Aber dabei sind irgendwie die ganzen Romane auf der Strecke geblieben.

Na fast.

Connie Palmen (Hanni Ehlers, Übers.) – I.M. Ischa Meijer. In Margine. In Memoriam

Herzzerreißend. Mir fällt kein anderes Wort ein. Palmen schreibt autobiografisch über die kurze Zeit, die ihr mit ihrem Geliebten Ischa Meijer vergönnt war, ihr erstes Treffen, ihre ersten Berührungen, die vielen, die folgten, ihre gemeinsamen Reisen, Gespräche, wie sie nebeneinander her an ihren jeweiligen Büchern arbeiten, wie sie die Vergangenheit bewältigen und die Zukunft planen. Und dann die brutale Zäsur, der Tod von Meijer. Die Zeit der Trauer, die so unvermittelt und unbarmherzig über Palmen hineinbricht. Das Buch ist weitaus mehr als nur ein Abschied von Meijer, es ist eine Auseinandersetzung mit der Liebe, mit der Familie, mit dem Schreiben und mit sich selbst. Viele Stellen haben mich vor Schmerz zusammenzucken lassen, so treffend waren die Worte von Palmen bzw. die Übersetzung von Ehlers. Das Buch macht kaum Spaß, weil man von Anfang an weiß, was einen erwartet, aber es belohnt trotzdem auf jeder Seite. Um mal den Klassiker von Herrn Tennyson zu zitieren: “‘Tis better to have loved and lost / Than never to have loved at all.” Ja. Weil eben doch etwas übrig bleibt. Keine körperliche Nähe, die fast mehr schmerzt als die geistige, aber es bleiben Worte, Sätze, Bilder, Erinnerungen. Und die bleiben für immer.

Monika Maron – Animal triste

In Animal triste erinnert sich die Ich-Erzählerin an ihre große Liebe, die vor zehn, 20 oder 60 Jahren stattfand, egal, was ist schon Zeit. Wir erfahren immerhin, dass diese Liebe kurz nach dem Mauerfall passiert sein muss, denn neben den kargen, aber präzisen Beschreibungen ihrer Zweisamkeit spricht die Erzählerin auch über Biografien, die sich durch die deutsche Teilung oder Wiedervereinigung ergeben. Die Sprache ist vorsichtig, tastend, als ob sie sich selbst nicht recht traut. Ich mochte jeden Satz, und ich möchte jetzt mehr von Frau Maron lesen.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Nicht fotografiert, liegt in München:

Werner Busch (Hrsg.) – Funkkolleg Kunst I. Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen.

Eine freundliche Leserinnenzuwendung, über die ich mich nicht nur sehr gefreut habe, sondern die ich auch gleich in meiner ersten Hausarbeit zitieren konnte, ha! Funkkolleg versammelt einige illustre Kunsthistoriker (keine Historikerinnen, ich prangere das usw.), die sich mit der Funktion von Kunst im Laufe der letzten Jahrhunderte befassen, und mit den veränderten Rezeptionsgewohnheiten. Kunst war sehr lange Zeit religiös motiviert, und bevor die Jesusbilder im Wohnzimmer hingen, hingen sie in Kirchen, und bevor sie Jesusbilder waren, waren sie Tympana über Portalen. Genau das habe ich alles im ersten Semester gelernt, genau das wird im Buch nachvollzogen, und deswegen war es ein wunderbarer Abschluss. (Zweiter Teil steht auf dem Wunschzettel. Nicht mehr lange, ich klick da gleich drauf.)

Twitter-Lieblinge im Februar 2013

Tweet des Monats mit Anwärterschaft auf Tweet des Jahres:

Veranstaltungstipp für Kurzentschlossene

Eine kleine Erinnerung: Ich lese heute um 20 Uhr im Sonnensaal in Roßdorf aus der „Nudeldicken Deern“. Eintrittskarten gibt es für 10 Euro (ermäßigt 9) in der Bücherinsel. Kommt vorbei – es gibt Sekt, meine Unterschrift und garantiert keinen Fußball.

Les Misérables

Les Misérables, UK 2012, 158 min
Mit: Hugh Jackman, Russell Crowe, Anne Hathaway, Eddie Redmayne, Amanda Seyfried, Sacha Baron Cohen, Helena Bonham Carter, Aaron Tveit, Samantha Barks
Musik: Claude-Michel Schönberg
Kamera: Danny Cohen
Drehbuch: William Nicholson & Alain Boublil (Drehbuch); Alain Boublil (Libretto der Bühnenfassung) nach einem Roman von Victor Hugo
Regie: Tom Hooper

Trailer

Offizielle Seite

Räumen wir erstmal den Elefanten aus dem Raum: Ja, Anne Hathaways Version des totgehörten Schmachtfetzens „I dreamed a dream“ hat jeden Preis verdient, der irgendwo rumsteht. Ihre Nummer überstrahlt alles, was der Film sonst noch aufbietet, und oh dear God gibt er sich Mühe, ne Menge aufzubieten. Das klappt manchmal sehr gut, manchmal gar nicht, aber trotzdem: Alleine für die drei Minuten Hathaway lohnen sich auch die restlichen 155. Auch wenn sie gerade im dritten Akt sehr, sehr lang werden.

Die Geschichte liest sich bitte jeder in der Wikipedia durch, und ich gehe davon aus, dass viele, die diese Zeilen lesen, das Ding auch schon auf der Bühne gesehen haben. (Wenn nicht: WARUM NICHT?) Der Film hält sich sehr brav an die Musicalvorlage – warum auch an einer Erfolgsformel rumdrehen? Das Dumme ist nur: Auf der Bühne verzeiht man die übergroßen Gesten dann doch mal, denn die müssen schließlich auch noch in Reihe 35 ankommen. Auf der Bühne darf es von mir aus vor Pathos tropfen, und da mag ich es auch gerne, wenn die Damen und Herren mit der klassischen Musicalausbildung genauso klingen.

Im Film ist das anders, und genau deswegen hat mich Frau Hathaway so umgehauen. Dass die Lieder live am Set eingesungen wurden, dürfte auch schon jeder mitbekommen haben, und das rettet den Film meiner Meinung nach auch davor, komplett im oben erwähnen Pathos zu ertrinken, obwohl er von der Story her natürlich dafür prädestiniert ist (Liebe! Rache! Barrikaden! Tod! Revolution! Und noch mal Liebe! Ta-daaaa!) Das Live-Singen gibt den Schauspielern und Schauspielerinnen nämlich die Möglichkeit, ihre Songtexte wie Dialogzeilen zu behandeln und sie mit der gleichen Empathie von sich zu geben, wie sie es mit einem gesprochenen Text machen würden. Meine Gesangslehrerin hat immer einen guten Tipp parat, wenn ich – gerade bei solchen Krachern wie dem von Hathaway oder dem weiteren Les-Miz-Evergreen „On my own“ – mal wieder die großen Gesten auspacke und imaginär eine Showtreppe runterkomme: „Erzähl mir einfach, wie’s dir geht.“ Also eben nicht die Showtreppe runterkommen, wenn ich eine verliebte Frau im regnerischen Paris bin, die weiß, dass der Kerl, den sie liebt, eine andere toll findet. Stattdessen eben die verliebte Frau sein, die vor sich hinträumt, ganz leise, dann verzweifelt, weil sie weiß, dass sie ihn nie haben wird, und dann resigniert, weil sie es langsam einsieht. Wenn es einem so geht, kommt man keine Treppe runter, sondern umklammert vielleicht seine Knie, während man schlimme Musik hört und gleichzeitig – bei guter Körperbeherrschung – noch einen Becher Ben & Jerry’s erledigt oder wahlweise eine Flasche Wein. Aber da hat man keine großen Gesten drauf, sondern ist bei sich und sehr alleine. Und genau das kriegt Hathaway hin, die einsehen muss, dass ihr Traum von einem guten Leben aber sowas von an die Wand gefahren wurde (“Now life has killed the dream I dreamed”). Und das singt sie, als ob sie es der Weinflasche erzählen würde, nur mit so schmerzhafter Intensität, dass ich meinem Make-up schon nach zehn Sekunden „Auf Wiedersehen“ gesagt habe. Sie greift nie zu dieser typischen Musicalstimme, die natürlich weiß, wann die Noten kommen, die das Publikum endgültig rumkriegen. Das hat sie gar nicht nötig, denn sie hat dich eben nach zehn Sekunden.

Wie gut sie ist, lässt sich an „On my own“ messen, der Bravournummer von Éponine (Samantha Barks). Die Dame ist Musicalsängerin und keine Schauspielerin wie ihre vielen Kollegen und Kolleginnen am Set – und das killt diese Nummer. Denn sie macht genau das, was Hathaway nicht macht: singen, als ob sie auf einer Bühne steht. „On my own“ hat musikalisch einen ähnlichen Verlauf wie „I dreamed a dream“ – nach Einleitung, Strophe und Break kommt irgendwann der klassische Weg nach oben, die große Showstopper-Note … und dann der leise, in beiden Fällen verzweifelte Ausklang. Und was einem bei Hathaway das Herz bricht, entlockt einem bei Barks nur ein müdes Ochjo. Das kann allerdings auch an der Inszenierung liegen, und damit komme ich endlich mal zu den Bildern. Die sind nämlich gerade bei „On my own“ von einer nachlässigen Einfallslosigkeit, wie es banaler kaum geht. Bei der Liedzeile „Sometimes I walk alone at night / When everybody else is sleeping“ schlendert sie einsam über einen schäbigen, dunklen Platz (ach was) und natürlich regnet es, denn kurz darauf erklingt ja „In the rain / the pavement shines like silver“. Schnarch. Hathaway hat die ganze Leinwand für sich gehabt, wir sehen nur ihr Gesicht, das jede Regung des Songs bravourös widerspiegelt – und die arme Barks darf durch die üblichen Pariser Pappkulissen laufen wie so viele Schultheater-Éponines vor ihr. Das haben weder der Song noch sie verdient, auch wenn ich sie von allen Darstellern und Darstellerinnen am schwächsten fand.

Wer mich dagegen extrem positiv überrascht hat, war Russell Crowe. Im Trailer fällt seine Art zu singen, völlig raus, und nachdem ich die Ausschnitte gesehen hatte, wollte ich den Film kaum noch sehen. Gut, dass ich es trotzdem getan habe, denn der Mann ist großartig. Wie Hathaway spricht er singend, und jeder Satz hat mich überzeugt. Seine übliche grumpycatige Mimik tut ihr Übriges – Crowe ist ein wunderbarer Bösewicht und zwar einer, dem man seine Überzeugungen abnimmt anstatt sie auf das schablonenhafte Drehbuch zu schieben.

Aber auch er hat unter der Bebilderung zu leiden. Bei seiner ersten großen Nummer („Stars“) steht er allen Ernstes auf dem Dach (oder der Brüstung) einer Kirche, hinter sich Notre Dame, über sich der unheilvolle Mond, der durch die dunklen Wolken blitzt. Von den besungenen Sternen sieht man allerdings keinen, da hat die CGI-Abteilung anscheinend schon geschlafen. Er balanciert am Abgrund, vor dem er sich sicher fühlt, und dieses Bild wird bei seiner Reprise („Javert’s Suicide“) wieder aufgenommen. Das kam mir extrem schulmeisterlich vor, so nach dem Motto, vastehste, Einsicht, Umkehr, vastehste, vastehste, warte, ich zeig’s dir noch mal. Und ich gebe zu, ich musste laut lachen, als ich sah, dass selbst Notre Dame ihm jetzt ihren Rücken zuwendet, während er auf dem Brückengeländer balanciert. (Psst: Eigentlich ist es der Ostchor, aber das nur unter uns Kunstgeschichtsstudent_innen.)

Auch die restlichen Bilder können nicht so recht überzeugen. Schon die große Schiffsszene zu Beginn ist eher albern, und die Barrikade zum Schluss zwar eine schöne Reminiszenz an die Bühne, aber trotzdem sieht beides sehr nach Photoshop aus. Beide Sets wollen riesengroß sein, aber weil man weiß, dass Paris heute anders aussieht, ist das eher peinlich als bewegend, und man sucht die ganze Zeit nach Fehlpixeln oder dem Eiffelturm, den jemand vergessen hat wegzustempeln. Da hätten mir ein paar Close-ups auch gereicht. Aber auch da verlässt sich Regisseur Hooper manchmal nicht auf seine Akteure und Aktricen: Wenn sich Cosette (Amanda Seyfried) und Marius (Eddie Redmayne) das erste Mal zärtlich ansingen, dann braucht man, verdammt nochmal, nicht noch einen animierten Schmetter-fucking-ling, der an Cosettes Hand herumflattert, um ihre verspielte Jugend zu verdeutlichen. Und wenn die schauspielerischen und komödiantischen Schwergewichte Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter als Ehepaar Thénardier die Szene betreten, dann wären sie auch ohne den kompletten Overkill an Props und Nebenhandlungen puppenlustig gewesen.

Les Misérables hat mir trotz aller Macken gefallen, denn was er hinkriegt, ist auch die Stärke der Bühnenfassung: trotz totalem Klischee mit großartigen Songs zu begeistern. Der Funke springt auch im Kino über, und man will genauso mitsingen wie im Plüschsessel eines Musicaltheaters. Am stärksten ist der Film in den Momenten, wo er seine Darsteller und Darstellerinnen einfach mal machen lässt, Hathaway leiden, Redmayne trauern, Jackman hoffen. Da ist der Film so groß wie seine Geschichte, und da passiert genau das, was bei guten Songs immer passiert: Man spürt Wahrheit, Hoffnung, Vertrauen. Und man schnauft tief durch und geht bewegt und erfüllt aus dem Theater oder dem Kino. Singend.

Avocado mit gegrillter Paprika und Büffelmozzarella

Das Rezept stammt aus der neuen essen & trinken und hat mich beim Durchblättern gleich gehabt. Beim Essen übrigens noch mehr. Die Mengenangaben sind wie immer bei mir und Salaten eher frei Schnauze. Ich wieg doch keine Pinienkerne ab.

Für zwei hungrige Esser_innen oder vier Vorspeisentellerchen.

2 rote Paprikaschoten vierteln, von Häutchen und Kernen befreien und mit der Hautseite nach oben auf ein Backblech legen. Etwas plattdrücken und unter dem Grill schön schwarz werden lassen. Aus bitterer Erfahrung weiß ich inzwischen, ja, die müssen richtig schwarz sein und Blasen werfen, sonst kriegt man die Haut nicht ab. Wenn sie aber schwarz sind und Blasen werfen, kann man die Haut danach wunderbar abziehen. Also: schwarz werden und Blasen werfen lassen, verdammt! Danach für ungefähr zehn Minuten (oder so lange, bis es eben dauert, die Dinger anfassen zu können) in einem verschlossenen Gefrierbeutel ausdämpfen lassen. In einigen Foren habe ich den Tipp gelesen, statt des Gefrierbeutels ein feuchtes Tuch auf die Schoten zu legen; damit habe ich mir aber nur ein schönes Küchentuch ruiniert, und die Schale ging weniger gut ab. Nach dem Hautabziehen die Paprika in mundgerechte Stückchen verwandeln.

Eine Handvoll Pinienkerne ohne Fett anrösten und abkühlen lassen.

2 Avocados halbieren, vom Kern befreien und in Spalten schneiden.

Avocado hübsch auf einem Teller drapieren. Pinienkerne und Paprika darüber und dazu

zerzupften Büffelmozzarella (das Rezept hätte gerne ungefähr 80 g),
frische Basilikumblätter,
ordentlich Olivenöl,
Salz und
Pfeffer.

Das Originalrezept wollte noch Limettensaft und -schale darüber haben; das habe ich mir gespart. Ich mag meine Avocado lieber ohne Säure.

Lesung in Roßdorf

Eine kleine Erinnerung an nächsten Mittwoch: Am 27. Februar lese ich um 20 Uhr im Sonnensaal in Roßdorf aus der „Nudeldicken Deern“. Eintrittskarten gibt es für 10 Euro (ermäßigt 9) in der Bücherinsel. Ich würde mich freuen, euch zu sehen und meine lange geübte Unterschrift in eure Bücher zu schreiben. Außerdem hörte ich, es gäbe Sekt – noch ein guter Grund, vorbeizukommen.

< quote >

„Alles in allem wurde dem Konsumenten von Kunst vermutlich noch nie derart viel abverlangt wie heute, da er aufgerufen ist, den künstlerischen Prozeß zu re-produzieren, in dem der Künstler (unter Mithilfe des gesamten intellektuellen Feldes) den neuen Fetisch geschaffen hat. Vermutlich wurde ihm aber auch noch nie derart viel wieder zurückgegeben: Der naive Exhibitionismus des „ostentativen Konsums“, der Distinktion in der primitiven Zurschaustellung eines Luxus sucht, über den er nur mangelhaft gebietet, ist ein Nichts gegenüber der einzigartigen Fähigkeit des „reinen Blicks“, dieser gleichsam schöpferischen Macht, die kraft radikaler, weil scheinbar den „Personen“ selbst immanenter Differenzen vom Gemeinen scheidet.

Ein Blick in Ortega y Gassets Werk läßt zur Genüge ermessen, in welchem Unfang die charismatische Begabungsideologie Bekräftigung zieht aus der modernen Kunst, die in seinen Augen „wesentlich volksfremd; mehr als das, … volksfeindlich (ist)“ sowie aus dem „merkwürdigen Effekt“, den diese hervorruft, indem sie das Publikum, die Masse, in zwei „gegensätzliche Gruppen“, in zwei „Kasten“ trennt: „die verstehen“ und „die nicht verstehen“. „Das schließt ein“, so fährt unser Autor fort, „daß die einen ein Aufnahmeorgan besitzen, das den anderen offenbar versagt ist; daß es sich um zwei Varietäten der Spezies Mensch handelt. Die neue Kunst ist nicht für jedermann wie die romantische, sie spricht von Anfang an zu einer besonders begabten Minderheit“. Und die Irritation, die sie bei der Masse hervorruft, die „nicht fähig ist, das Sakrament der Kunst zu empfangen“, schreibt er der Demütigung zu und dem „trübe(n) Bewußtsein von Unterlegenheit“, das diese „Kunst der Bevorrechtigten, des Nervenadels, der Instinktaristokratie“ bewirkt. „Anderthalb Jahrhundert lang hat das Volk behauptet, es sei die ganze Gesellschaft. Strawinskis Musik und Pirandellos Drama kommt eine soziologische Wirkungskraft zu, die es zwiengt, sich als das zu erkennen, was es ist, als „nichts als Volk“, als einen Baustein neben vielen im sozialen Verband, als träges Substrat des historischen Prozesses, als eine Nebensache im Kosmos des Geistes. Andererseits trägt die neue Kunst dazu bei, daß im eintönigen Grau der vielen die wenigen sich selbst und einander erkennen und ihre Mission begreifen: wenig sein und gegen viele kämpfen.“1

Und als überwältigender Beweis, daß die selbstlegitimatorische Einbildungskraft der happy few keine Grenzen kennt, sei auch noch Susanne Langer zitiert, die nach einhelliger Meinung als eine der „world most influential philosophers“ angesehen werden darf: „Früher war den Massen der Zugang zur Kunst verwehrt; Musik, Malerei, ja selbst Bücher waren ausschließlich den Reichen vorbehaltene Vergnügen. Man konnte davon ausgehen, daß die Armen, der „Vulgäre“, sich gleichermaßen daran ergötzen würden, wäre ihnen nur erst die Möglichkeit zu solchem Genuß gegeben. Heute jedoch, wo jeder lesen, Museen besuchen, ernste Musik zumindest im Radio hören kann, ist das Urteil der Massen darüber zu einer Realität geworden – aber auch sinnfällig, daß große Kunst kein unmittelbar sinnliches Vergnügen ist („a direct sensous pleasure“). Andernfalls müßte sie, wie Kuchen oder ein Cocktail, dem ungebildeten wie dem kultivierten Geschmack schmeicheln.“2

1 J. Ortega y Gasset, „Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst“, Gesammelte Werke, Bd. 2, Stuttgart 1978, S. 230 ff.
2 Susanne K. Langer, „On Significance in Music“ in Aesthetics and the Arts, Herausgeber Lee A. Jacobus, New York, 1968, S. 182–212, hier 183.“

Bourdieu, Pierre: „Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft“, Frankfurt am Main, 1982, S. 60–62.

Ein vorurteilsfreies Dankeschön …

… an Dorothee, die mich mit Jane Austens Pride and Prejudice überraschte. Das folgende Geständnis wird mich zwar wahrscheinlich alle Sympathiepunkte der Kaltmamsell kosten, aber sei’s drum: Ich habe trotz Anglistikstudium noch nie etwas von Jane Austen gelesen. Das darf natürlich nicht so bleiben. Daher: Vielen Dank für das Geschenk, es war bitter nötig und ich habe mich sehr gefreut.

< quote >

„Es ist gleichgültig, ob ich hundert oder erst achtzig bin, ob ich seit vierzig, dreißig oder sechzig Jahren darüber nachdenke, was eigentlich passiert, wenn wir in diesen Zustand geraten, von dem wir sagen: Ich liebe. Selbst wenn ich mir weitere fünfzig Jahre den Kopf darüber zergrübelte, ich fände es nicht heraus. Ich weiß noch nicht einmal, ob Liebe einbricht oder ausbricht. Manchmal glaube ich, sie bricht in uns ein wie ein anderes Wesen, das uns monatelang, sogar jahrelang umlauert, bis wir irgendwann, von Erinnerungen oder Träumen heimgesucht, sehnsüchtig unsere Poren öffnen, durch die es in Sekunden eindringt und sich mit allem mischt, was unsere Haut umschließt.

Oder sie bricht ein wie ein Virus, das sich in uns einnistet und still verharrt, bis es uns eines Tages anfällig und wehrlos genug findet, um als heillose Krankheit auszubrechen. Ich kann mir aber auch vorstellen, daß sie von unserer Geburt an wie eine Gefangene in uns lebt. Nur manchmal gelingt es ihr, sich zu befreien und aus ihrem Gefängnis, das wir sind, auszubrechen. Wenn ich sie mir als ausgebrochene lebenslange Gefangene vorstelle, kann ich am ehesten verstehen, warum sie in den seltenen Augenblicken der Freiheit so tobt, warum sie uns so gnadenlos quält, uns in alle Verheißung stürzt und gleich darauf in alles Unglück, als wollte sie uns vorführen, was zu vergeben sie imstande wäre, wenn wir sie nur ließen, und welche Strafe wir verdienen, weil wir sie nicht herrschen lassen.“

Monika Maron, Animal triste

Die Hübschheit von Häusern

Eine meiner Einführungsvorlesungen im 1. Semester hieß „Kunstgeschichte I: 500 bis 1500“. Als der Kurs begann, war ich verwirrt – wieso sprachen wir über die karolingische Pfalzkapelle in Aachen und romanische Kirchen in Frankreich? Bis mir einfiel, ach ja, über Architektur sollte man als Kunsthistorikerin wahrscheinlich auch ein bisschen Bescheid wissen. Wochenlang sehnte ich mich nach Bildern, aber als sie dann endlich dran waren, wollte ich gar nicht mehr aus der Gotik weg. Die blöden Kirchenbauten hatten mein Herz komplett erobert, und seitdem gehe ich mit einem anderen Blick durch unsere Großstädte.

Eine unserer Dozentinnen meinte, wie sollten uns einfach mal vor ein Gebäude stellen und uns selbst erzählen, was wir sehen. Damit ging ich dem charmanten Begleiter des Öfteren auf die Nerven, wenn ich bei Schneesturm kurz vor einer Kirche innehalten musste, um mir selbst zu erzählen, dass ich eine Ädikula sehe und so Pseudomaßwerkfenster. Ich ging auch unbekannten Mitmenschen auf die Nerven, indem ich auf dem Weg zum Kino am Odeonsplatz aus der U-Bahn stieg, wie immer einen Blick in Richtung Residenz warf – und eines Tages wie vom Donner gerührt stehenblieb, denn OMG sieht die Residenz aus wie ein italienischer Renaissancepalast oder was? (Wie zum Beispiel der hier.) Was die Dame, die in mich reinlief, weil ich spontan stehenblieb, wahrscheinlich weniger interessiert hat. Vor einigen Tagen ließ ich meinen Bus an mir vorbeifahren, weil ich noch nicht fertig war, mir die Fassade des Hauses, das der Bushaltestelle gegenübersteht, selbst zu erzählen. Und überhaupt gucke ich inzwischen an jeder Bushaltestelle nicht mehr in mein iPhone, sondern an die Häuserwände gegenüber und um mich rum.

Beim Lernen für die Klausuren zur Kunstgeschichte und zur Romanik (das war mein zweiter Kurs: Romanische Skulptur in Frankreich) habe ich die Schönheit dessen, was ich gerade lerne, etwas aus den Augen verloren. Im Mittelpunkt stand da schlicht, mir Zeug zu merken, wo steht was und warum ist das toll. Erst als die Klausuren vorbei waren und ich meine ganzen ausgedruckten Bildchen in eine Mappe warf und das dicke Romanikbuch zuklappen wollte, habe ich gemerkt, wie sehr mich die ganzen Klötzchen faszinieren. Wie verliebt ich in die Skelettbauweise und das Strebewerk einer gotischen Kathedrale bin, wie filigran und schwebend die Bögen aussehen, die außen das Bauwerk zusammenhalten, wie zielgerichtet und übermenschlich hoch die Bögen, die innen das Dach spannen. Wie wunderschön das Licht durch die Fensterrose fällt (Abt Suger in St. Denis: „lux mirabilis et continua“). St. Denis ist die erste gotische Kirche und in ihr sieht man schon, wie sehr sie sich von den romanischen unterscheidet: in der Helligkeit. Die Menschheit hatte inzwischen gelernt, wie man Wände bauen kann, in denen sich große Fensterflächen befinden. Und dieses Licht, verbunden mit der Höhe der Kirchen und ihren nicht enden wollenden Säulen und Pfeilern, fasziniert mich bei jedem Bild. Amiens ist meine liebste Kathedrale, aber Reims liegt fast gleichauf in Sympathie.

Die meisten der Links im Artikel führen zu Mapping Gothic France, eine Website, dir mir gestern von Marguerite Joly empfohlen wurde, die sie ihrerseits bei @bethrharris gefunden hatte. Noch mal danke dafür, denn seitdem spaziere ich breit grinsend durch Frankreich und piepse wehmütig, wenn eine Fensterrose besonders hell leuchtet oder die Spitzbögen ganz besonders weit nach oben reichen.

Ein weiterer dummer Nebeneffekt, außer dem, dass ich überall rumstehe und Menschen in mich reinlaufen, ist, dass ich dringend nach Frankreich und Italien fahren will, um mir alles „in echt“ anzuschauen. Da falle ich wahrscheinlich auch nicht übermäßig auf, weil da überall Touristen und Touristinnen rumstehen, während jemand in sie reinläuft. Auf dem Wunschzettel stehen Autun, Vézelay, Florenz, Amiens, Straßburg … oder vielleicht doch erstmal nach Köln? Da hängt im Dom immerhin das Gero-Kreuz, in das ich mich auch verliebte und an dem ich den schrägen Begriff des „Viernageltypus“ lernte. Ich arbeite daran. Aber erstmal spaziere ich weiter virtuell durch ein paar Spitzbögen.