Links vom 3. November 2013

Kunstkataloge online

Open Culture weist auf zwei Museen hin, die einen Berg von Katalogen online und umsonst zum Lesen (sowie teilweise zum Download) anbieten. Das passt zu meiner derzeitigen Vorlesung „Amerikanische Kunst nach 1945“ hervorragend.

Hier geht’s zum Guggenheim-Museum, bei dem man 65 Kataloge online lesen kann. Bei Archive.org findet man die Schätze auch zum Runterladen.

Und im Metropolitan warten ganze 394 Kataloge auf euch.

Vielen Dank an Schneefreundin, die mich per Twitter auf diese Schätze aufmerksam gemacht hat.

Jackson Pollock by Hans Namuth

Wo ich gerade die VL „Amerikanische Kunst“ anspreche – diesen kleinen Film haben wir dort gesehen.

Mehr zu Namuth und Pollock: The Photos That Changed Pollock’s Life aus der NYT.

„’A dripping wet canvas covered the entire floor,’ Namuth recalled in ‘Pollock Painting’ (1980), a book of his photographs. ‘Blinding shafts of sunlight hit the wet canvas, making its surface hard to see. There was complete silence.’ Namuth went on: ‘Pollock looked at the painting. Then unexpectedly, he picked up can and paintbrush and started to move around the canvas. It was as if he suddenly realized the painting was not finished. His movements, slow at first, gradually became faster and more dancelike as he flung black, white and rust-colored paint onto the canvas.’“

The Economist: Nachruf auf Lou Reed

„At Syracuse University (briefly subdued by electric-shock treatment ordered by his parents) he had studied English; after that he went to Pickwick Records to write hit songs to order, which he found he couldn’t do. He approached his lyrics like a novelist, he said, or as Tennessee Williams might have done. Shakespearean echoes were everywhere (though “You can’t be Shakespeare and you can’t be Joyce/So what is left instead/You’re stuck with yourself,” he had concluded).“

Mein liebstes Bild der letzten Tage – Königsplatz my love.

Twitter-Lieblinge Oktober 2013

twitter13_10okt_buddenbohm

Ich war auf dem Oktoberfest:

twitter13_10okt_cucina

twitter13_10okt_donnerbella

twitter13_10okt_kaffchris

twitter13_10okt_ellefeu


twitter13_10okt_ketura

twitter13_10okt_quasi

twitter13_10okt_reineke

twitter13_10okt_surfinbird

twitter13_10okt_tristesse

twitter13_10okt_silbermund

twitter13_10okt_stattkatze

twitter13_10okt_samh

twitter13_10okt_wikipeter

Descending

nude_descending

Marcel Duchamp, Nude Descending a Staircase No. 2 (Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2), 1912. Öl auf Leinwand, 147 × 89,2 cm, Philadelphia Museum of Art. Das Bild wurde erstmals auf der Armory Show 1913 in New York gezeigt.

rude_descending

J.F. Griswold, The Rude Descending a Staircase, New York Evening Sun, März 1913.

Das war eine der schönen Folien aus der gestrigen Vorlesung zur amerikanischen Kunst nach 1945. Es gab auch noch eine Pril-Werbung, die sich über Jackson Pollock lustig macht, aber die war doof.

Gravity

gravity© Warner Bros.

Gravity (USA 2013, 91 min)

Darsteller_innen: Sandra Bullock, George Clooney
Musik: Steven Price
Kamera: Emmanuel Lubezki
Drehbuch: Alfonso Cuarón & Jonás Cuarón
Regie: Alfonso Cuarón

Trailer

Offizielle Seite

Als der Abspann anfing, dachte ich: „Awesome.“ Dann fing ich an, über die Story nachzudenken und kam auf „Naja. Aber schönes Augenfutter.“ Damit wollte ich Gravity abhaken. Aber im Laufe des Tages kamen immer wieder Bilder und Sätze hoch, ganz egal, wie sehr ich mich auf ein Fußballspiel oder meine Unilektüre konzentrieren wollte. Dann muss ich wohl doch beeindruckter gewesen sein als ich dachte.

Der Film lässt sich mit einem Satz zusammenfassen – kann ich aber nicht, denn so gut wie alles, was man sagen kann, ist ein Spoiler –, aber das wird ihm nicht gerecht. Denn Gravity ist mehr als eine Storyline, er ist ein Psychogramm. Und zwar von Ryan Stone (Sandra Bullock), die außen am Space Shuttle 400 Kilometer über der Erde stoisch an einem mechanischen Problem rumbastelt, bevor sie und ihre zwei Begleiter außerhalb des Shuttles in einen Sturm aus Wrackteilchen geraten. Damit beginnt der Actionteil, in dem wir gefühlt 20 Minuten lang mit der Kamera das Shuttle umkreisen, die Astronauten, ihre verzweifelten Versuche, das außer Kontrolle geratene Raumschiff zu erreichen bzw. nicht zu verlieren – und vor allem selbst nicht in die Weiten des Weltalls abzudriften. Dabei konzentriert sich die Kamera vor allem auf Stone, die schließlich losgerissen wird, durch das Nichts taumelt, wir verlieren mit ihr jede Orientierung und hören nur ihren stoßweisen, panischen Atem, minutenlang, ewig. Bis die Rettung in Gestalt von ihrem Kollegen Matt Kowalski (George Clooney) naht. Wir werden kurz in Sicherheit gewogen, aber das sollte man im Kino ja nie tun, einer angeblichen Sicherheit, die die Leinwand verspricht, vertrauen, das geht immer schief und hier natürlich auch.

Eine einzige Szene verrate ich noch, nämlich die, in der Stone gerade an Bord der ISS gelangt ist. Bisher bewegten wir uns nur im All, und trotz der kurzen Blicke auf die majestätische Erdkugel mit ihren erleuchteten Städten, goldenen Gebirgen und stahlblauen Ozeanen war der Gesamteindruck bisher bestimmt von: Furcht. Vielleicht ein bisschen Ehrfurcht (hey, der Weltraum!), aber der erste Akt des Films war ein einziges Drama vor dem unendlichen Nichts, das das Weltall ist. Die Atmosphäre ist kühl, die weißen Raumanzüge starren vor Kälte, selbst das Sonnenlicht, das auf die Helme trifft, ist klarweiß und nicht heimeliggelb, aber dann, dann gelangt Stone endlich von diesem „da draußen“ ins Innere der Station, in Sicherheit (haha). Sie streift sofort nach der Luftschleuse den Raumanzug ab und lässt sich in der Schwerelosigkeit treiben. Und das Bild wird mich noch lange verfolgen: Sie krümmt sich in Embryohaltung zusammen, schwebt, hat die Augen geschlossen und irgendeine Leine im Hintergrund sieht aus wie eine Nabelschnur. Mein Gehirn pöbelte natürlich sofort, oh buh, viel zu plakativ, aber mein Herz pöbelte zurück, halt die Klappe, ja, das ist plakativ, aber es passt. Es funktioniert. Es sagt so simpel, was wir eigentlich nur brauchen: Geborgenheit, Wärme, irgendwas, was uns vor dem „da draußen“ beschützt. Die Szene dauert nur wenige Augenblicke, aber der Kontrast zum wilden Drama der letzten 20 Minuten ist großartig.

Im weiteren Verlauf des Films muss sich Stone noch mehr als gewollt mit dem „da draußen“ beschäftigen, nicht nur in dem, was sie tut, um irgendwie zur Erde zurückzukommen, sondern auch in dem, worüber sie nachdenkt und spricht. Ihre Hintergrundgeschichte erschien mir genau wie das Embryobild zunächst viel zu plakativ – muss eine Filmfigur immer einen Knacks haben, damit wir mit ihr mitfühlen? –, aber auch das passte irgendwann, denn manchmal ist man so beschädigt, dass selbst der Überlebensinstinkt einfach aufgeben will. Und deswegen kam der Moment, in dem Stone sich entscheiden muss, ob sie sich ihren Dämonen stellt oder aufgibt, nicht wie ein Holzhammer, sondern absolut stimmig. Dieses „Should I stay or should I go“ ist zwar das simpelste Motiv für eine Story, das es gibt (neben „Boy meets Girl“), aber diese kleine Geschichte bekommt in den Weiten des Alls eine ganz andere Dimension.

Das liegt sicher auch am hervorragenden Handwerk, angefangen bei der Kamera und den Effekten, für die ich den Begriff „Effekt“ viel zu billig finde. Das zerberstende Shuttle hat eine ganz andere Qualität als die tausend in die Luft fliegenden Gebäude, Autos, Sehenswürdigkeiten, die ich in weiß der Geier wie vielen Blockbustern schon gesehen habe. Das könnte daran liegen, dass es nie die Hauptsache ist: Die Hauptsache ist Stone. Es geht um sie in diesem Film und nicht um den Oscar für die Spezialeffekte (den Gravity hoffentlich trotzdem kriegen wird). Die Kamera scheint nie stillzustehen, genau wie im Weltall verliert man sehr schnell den Überblick über unten und oben, das sind auf einmal alles Kategorien, die keine Bedeutung mehr haben. Umso mehr hält man sich an Stone fest, die einzige Konstante, die der Film eben hat. Trotzdem wirkt der Film nie chaotisch, ganz im Gegenteil, er führt zwingend auf jeweils einen Punkt zu, an den sich Stone rettet, bevor das nächste Problem auftaucht, ganz stringent, unaufgeregt und gleichzeitig voller Spannung. Und wo wir schon bei Handwerk sind: Ich mochte es sehr, dass ein kleiner, unauffälliger Feuerlöscher sich kurz ins Bild drängt, und ich dachte, na, der wird wohl noch wichtig werden, und das wird er auch; auch hier wieder Handwerk vom Feinsten, denn schon Hitchcock Tschechow (danke an Klaus für den Hinweis) wusste, wenn du im ersten Akt ein Gewehr zeigst, muss es im letzten Akt losgehen. Ich mochte es sehr, dass mich der Film nie für blöd erklärte oder mit Effekten und Schnitten verwirren wollte. Alles musste so kommen, wie es kommen muss, und ich habe es trotzdem überhaupt nicht vorausgesehen. Wohl auch, weil ich immer damit beschäftigt war, damit klarzukommen, dass wir im Weltall sind.

Und das ist es, glaube ich, was mich an Gravity so fasziniert hat. Die Story ist wirklich winzig, es gibt nur zwei Figuren im Film, die ein Gesicht und eine Stimme haben, und ja, im Prinzip lebt der Film von seinen Bildern. Aber, ganz großes Aber: Sein Setting macht alles eine bis hundert Nummern größer. Es gibt keine größere Bühne als den Weltraum und keine, die den Menschen so winzig aussehen lässt. Und genau gegen diese Winzigkeit, diese Unwichtigkeit, diese Ausweglosigkeit, sowohl an ihrem derzeitigen Ort als auch in ihrem Inneren, stemmt sich Stone, und das ist 90 Minuten lang schlicht atemberaubend.

Hallo, Brigitte-LeserInnen!

Schön, dass ihr gerade von meinem Artikel „Dicksein ist keine Charaktereigenschaft“ hier rüberklickt. Macht’s euch bequem und nehmt euch nen Keks. Nein, hier gibt es keine Reiswaffeln, sorry.

Unter meinen Artikel tauchen, wie zu erwarten war, die üblichen „JA, ABER …“-Kommentare auf. Ich habe keine Lust, mich da drüben in eine Kommentarschlacht zu werfen und werde daher hier auf ein paar der Bemerkungen eingehen. Enjoy. Achtung, da kommen ein paar Kraftausdrücke, die ich mir in der Brigitte brav verkniffen habe.

Edit am 3.11.: Dieser Eintrag entstand am 26. Oktober, und seitdem habe ich auch nicht mehr in die Kommentare bei der Brigitte geguckt. Der letzte, den ich gelesen habe, ging in die Richtung „Dicke sollten im Bus stehen, damit Dünne nicht unter ihnen leiden und Kalorien verbraucht’s auch, das schadet uns ja nicht“. Damit dürfte der Bodensatz an Arschigkeit erreicht sein, dachte ich mir so, und meinem Seelenheil zuliebe habe ich deswegen da drüben nicht mehr weitergelesen.

Weil ich des Öfteren gefragt wurde: Die Brigitte hat sich am 30.10. per Mail bei mir gemeldet. Ich zitiere:

„Einerseits freut es uns natürlich, dass der Artikel so viel gelesen wird, andererseits stellen wir auch wieder mal fest, das nicht alle unserer Leserinnen und Leser nette Menschen sind und daher unakzeptable Kommentare absetzen. Wir möchten Ihnen versichern, dass unsere Kolleginnen von Brigitte.de dies genau beobachten und unangemessene, beleidigende Kommentare so schnell wie möglich löschen.“

Das freut mich, heißt aber natürlich auch, dass nicht im Vorfeld moderiert wird, was gerade bei derartigen Artikeln dringend nötig ist. Denn sobald man sich hinstellt und es wagt, sein Dicksein und seine Selbstakzeptanz, ja sogar Selbstliebe als positiv hinzustellen, hat man das komplette Kommentarfeld voll mit Dickenhass. Werde ich nie verstehen.

Aber zurück zu meinen Antworten auf die ersten 30 Kommentare:

Das nervt total, neben dicken Menschen in Zügen/Bussen/Flugzeugen zu sitzen!

Ja, tut es. Was aber auch ein winziges bisschen an den äußerst knapp bemessenen Sitzen liegt. Ich habe netterweise die finanziellen Möglichkeiten, im Zug die 1. Klasse zu buchen, weil ich selbst auch ungern Leuten auf die Pelle rücke. Im Bus habe ich diese Möglichkeit nicht, da müssen wir beide leider damit leben, dass sich unsere Oberschenkel zehn Minuten lang berühren.

Nochmal zu den Sitzen: Ich fliege recht oft und sehe auf jedem Flug, dass auch ein durchschnittlich gebauter Mann über 1,80 m Körpergröße nicht wirklich bequem und entspannt in der Economy unterwegs ist. Und außerdem: Mich nervt es viel mehr, neben Menschen zu sitzen, die offensichtlich Kettenraucher sind oder nicht wissen, wie ein Deo oder eine Dusche funktioniert. Dagegen kann ich aber nichts machen. Menschen sind verschieden. Kommt damit klar. Mache ich ja auch.

Dicksein ist ein Lifestyle, der nicht gefeiert werden sollte.

Äh … was? Echt jetzt? In unserer schlankheitsfixierten Welt ist Dicksein garantiert nichts, was wir Body-Acceptance-Menschen feiern. Wir haben es nur nach meist jahrelangem, aussichtslosen Kampf gegen die Kilos akzeptiert, dass wir nicht in euer Schönheits- und Akzeptanz-Raster fallen. Das feiern wir nicht, aber wir freuen uns, dass wir uns selber nicht mehr so hassen wie ihr uns anscheinend. Und das fühlt sich sehr befreiend und wohltuend an. Sich selber nett zu finden, ist eine wirklich tolle Sache. Solltet ihr auch mal ausprobieren, wenn ihr wieder damit hadert, angeblich drei Kilo zu fett zu sein (was ihr garantiert nicht seid).

Dicksein ist wohl eine Charaktereigenschaft: ihr habt keine Selbstdisziplin, um dünner zu werden, so bäh!

Seufz. Ich kenne keine/n Dicke/n, der nicht einmal, mehrmals, dauernd, sein Leben lang versucht hat, den Zustand des Dickseins zu ändern. Wirklich keine/n. Immer wieder. Das nenne ich Selbstdisziplin.

Jeder, der sich mal etwas länger als eine Bild-Schlagzeile mit dem Thema Abnehmen beschäftigt hat, kennt auch die Zahlen: 95 Prozent aller Menschen, die mal abgenommen haben, nehmen alles wieder zu und packen gerne noch ein paar Kilo drauf. Wenn du mir nicht glaubst, frag deine nächste Beratungsstelle für Essstörungen, die werden dir die Zahl gerne bestätigen. Das heißt: Auch mit aller Selbstdisziplin der Welt werde ich wahrscheinlich nicht dünner werden. Außer ich lege mir eine entspannte Essstörung zu, denn darauf läuft’s hinaus: Um dein hart erkämpftes, niedriges Gewicht zu halten, musst du nämlich weiterhin immer (ich sag das noch mal: immer) weniger essen, als dein Körper will. Drastisch ausgedrückt: Ich muss für den Rest meines Lebens hungern, um nicht wieder zuzunehmen. Das klingt für mich, ehrlich gesagt, deutlich ungesünder als dick zu sein.

Apropos gesund: Ihr Dicken kostet die Krankenkassen voll viel Geld!

Ich zitiere dafür aus dem sehr guten Buch Dick, doof und arm: Die große Lüge vom Übergewicht und wer von ihr profitiert von Friedrich Schorb: Leicht übergewichtige bzw. adipöse Menschen bis zu einem BMI von 35 haben keine signifikant höheren Krankheitskosten als normalgewichtige (BMI 20–25). Erst die wirklich schweren Menschen kosten Geld. Allerdings auch nicht so viel, wie man vielleicht glaubt: Die Behandlungskosten* dieser Menschen belaufen sich auf 530 Millionen. Hört sich irrwitzig viel an, aber: Die Gesamtkosten im Gesundheitswesen liegen bei 240 Milliarden. Wenn ich richtig gerechnet habe, betragen die Kosten also gut 0,2 Prozent des Gesamtetats. Nebenbei: Der Prozentanteil der Menschen mit einem BMI über 35 liegt bei ungefähr zwei Prozent der deutschen Bevölkerung. Im Klartext: Es gibt längst nicht so viele fette Menschen, wie ihr glaubt, und wir kosten viel weniger, als ihr denkt. Geht’s euch jetzt besser?

(*Wobei noch nicht mal klar definiert ist, welche Krankheiten überhaupt durch Übergewicht entstehen. Auch schlanke Menschen haben hohen Blutdruck, Diabetes und Rückenschmerzen.)

Dicke essen den ganzen Tag Junk Food und trinken Limo dazu!

Ich persönlich tue das nicht, bin aber trotzdem dick. Aber selbst wenn ich mich nur von Fertigpizza und Dr. Pepper ernährte, sollte dir das egal sein. Mir ist es auch egal, ob du den ganzen Tag Salat isst. Es geht dich, mit Verlaub, einen Scheiß an, was ich esse. Genau wie es mich einen Scheiß angeht, was du isst.

„Vielleicht ist der Druck für Übergewichtige noch nicht groß genug.“

Das meinst du nicht ernst, oder?

OMGdieUnigehtweiter Teil 2
(Einschub: Fuppes)

Ich schulde euch noch den Rest meines wunderschönen Stundenplans.

Der Mittwoch beginnt endlich mal zu einer standesgemäßen Unizeit, nämlich um 10, und das auch gleich mit einem dreistündigen Kurs. Genau wie in Kunstgeschichte, wo im sogenannten Propädeutikum ein Thema mit Technik verknüpft wurde (also: wie geht recherchieren, wo finde ich die Bücher, die ich suche, wie zitiere ich richtig usw.), läuft das auch in Geschichte in den Basiskursen, die zusammen mit einer Vorlesung das schöne Erstsemestermodul ergeben, jeweils in Antike, Mittelalter und Neuer Geschichte. Aus den drei Zeitaltern darf ich mir im Nebenfach zwei raussuchen, die ich erfolgreich absolvieren muss, bevor ich mich im Hauptstudium für eins entscheide, das ich vertiefend studiere. Die Antike ist mir sowohl in künstlerischer als auch in historischer Hinsicht deutlich egaler als die anderen beiden, weswegen ich in diesem Semester in der VL Mittelalter sitze (der Basiskurs kommt im nächsten Semester) und im kompletten Modul zur Neueren Geschichte. Der Basiskurs nennt sich „Geschlecht im Zeitalter der Extreme (1900-1939)“ und wir befassen uns dort mit Geschlechtergeschichte. Los ging’s mit „Was ist Geschlechtergeschichte überhaupt“, welche Theorien gibt es zu Sex und Gender, und in den nächsten Sitzungen wird’s dann thematischer: Es geht um Frauenbewegung, Männlichkeitsbilder, Homosexualitätsdebatten z.B. in der Weimarer Republik usw. Klingt alles sehr spannend, und der Kurs ist netterweise sehr klein. Wir sind, wenn ich richtig gezählt habe, gerade mal 12 Menschlein (davon zwei männliche), und die Beteiligung war gleich in der ersten Sitzung sehr lebhaft.

Nach einer Stunde Pause kommt dann wieder Kunstgeschichte und zwar die Vorlesung „Amerikanische Kunst nach 1945“. Sie gliedert sich in verschiedene Stile anstatt brav eine Zeitleiste runterzubeten. So erfahren wir demnächst unter anderem etwas über den Abstrakten Expressionismus, die Pop Art, Performance kunst, Land Art und feministische Kunst. In der Sitzung vom Mittwoch führte uns die Dozentin so langsam an das Jahr 1945 ran, meinte aber schon zu Beginn der Sitzung, das sei alles nicht klausurrelevant, wir könnten uns berieseln lassen. Ich weiß nicht, ob es daran gelegen hat, aber ich habe mich dauernd dabei erwischt, wie meine Gedanken plötzlich ganz woanders waren und nicht mehr bei Coles The Course of the Empire oder Hoppers Nighthawks. Vielleicht war mein Kopf auch noch erkältet, ich weiß es nicht. An der Vortragsweise oder dem Stoff kann’s nicht gelegen haben. Mal sehen, wie es nächsten Mittwoch wird.

allianzarena_okt13

Nach der Uni reichte die Zeit noch für ein Käsebrot zuhause, bevor ich mich matschig und hustend zu Herrn @probek schleppte, der meine Eintrittskarte fürs Champions-League-Spiel Bayern gegen Pilsen hatte. Der Marsch ins Stadion ging körperlich deutlich besser als ich dachte, das Spiel selbst war auch ganz nett (Jammern auf hohem Niveau: Es ist 5:0 ausgegangen, aber wir hätten auch 10:0 gewinnen können), aber mein Sitzplatz war nicht ganz so der Bringer. Der Block 108 ist eigentlich okay – er liegt in der Verlängerung der Eckfahne neben der Südkurve –, in dem saß ich schon mal, aber dieses Mal nicht entspannt in der Mitte, sondern genau am Zaun zu den Blöcken, in denen eigentlich gestanden wird. Darf man bei CL-Spielen ja nicht, aber das war den Leuten natürlich egal, sie ignorierten die Sitze und standen. Was bedeutete, dass ich im Sitzen genau bis zu dem Mast gucken konnte, an dem das Fangnetz hinter dem Tor befestigt ist. Kein Blick mehr auf den Strafraum, was bei einem Fußballspiel eher doof ist. Also stand ich des Öfteren auf, wenn die Bayern in Tornähe kamen, was sie recht oft kamen, bis ich beim dritten Aufstehen von meinem Hintermann rüde angepampt wurde – mit dem Klassiker: „ICH HAB FÜR DIESEN PLATZ BEZAHLT!“ Ich war zu krank, um zurückzupöbeln „ICH AUCH, SPACKO!“, sondern habe mich in den nächsten 40 Minuten darauf beschränkt, mich sehr weit im Sitz vorzubeugen, bis ich so gerade das Tor sehen konnte. Der Typ hinter mir war inzwischen damit beschäftigt, sich mit den Stehenden im Nachbarblock anzulegen, was nervte, mich aber immerhin aus der Schusslinie nahm. In der Pause stand ich dann komplett, auch weil mein Rücken die Allianz-Arena-Sitze irgendwie nicht so toll fand wie sonst, während der Nachbarblock sich geschlossen hinsetzte. Ich konnte die Ironie immerhin würdigen, aber genießen konnte ich den Abend nicht, denn zu allem Überfluss hatte ich mal wieder Kettenraucher um mich rum, dieses Mal wirklich von überall: vor mir, hinter mir, zu beiden Seiten neben mir. Rechts sogar zur Feier des Tages Zigarre. Ich hustete so demonstrativ wie möglich und hielt mir den Fanschal vors Gesicht, das brachte aber leider gar nichts. Das alkoholfreie Bier (gibt nix anderes) im Fantreff nach dem Spiel wurde ausnahmsweise eine Cola, und es gab auch keinen standesgemäßen Sieges-White-Russian, denn es war spät und der nächste Uni-Tag fing früh an. Um 8. Seufz.

Das Aufstehen lohnte sich aber sehr, denn der Kurs nennt sich „Geschichte und Journalismus – ein Annäherungsversuch“ und wird von einem Journalisten gegeben, der beim Münchner Merkur arbeitet. Im Laufe des Seminars lädt er Kollegen und Kolleginnen ein, die uns von ihrer Arbeit erzählen. Gestern zeigte uns ein freier Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks, wie er historische Magazinbeiträge erstellt, welche Anforderungen an sie gestellt werden, wie man überhaupt mit geschichtlichen Stoffen umgehen kann, vor allem die, für die es keine Zeugen mehr gibt – hierfür war ein Massengrab aus dem 30-jährigen Krieg ein Beispiel, um das dann fast eine Detektivgeschichte gesponnen wurde mit Aussagen von Forensikern, die die Knochen hübsch in die Kamera hielten oder über Insektenlarven Auskunft gaben. In einem weiteren Beitrag ging es um einen französischen Fotografen, der alte Aufnahmen aus einem Kriegsgefangenenlager in Bayern gefunden hatte. Hier war die Schwierigkeit, dass der Beitrag zu wenig Lokalbezug hatte – man hätte als Augenzeuge nur den Franzosen gehabt –, weswegen zusätzlich eine bayerische Archivarin zu Wort kommen durfte. Wir unterhielten uns über Zuschaueransprüche, HistorikerInnen vor der Kamera, Bebilderungen von Stoffen, Hintergrundmusik und vieles mehr. Alles sehr kurzweilig und spannend. Das könnte mein Lieblingsseminar werden – vor allem, weil ich für die ECTS-Punkte entweder eine Buchrezension oder einen Zeitungsartikel schreiben soll. Ha! Müsste ich hinkriegen.

Zwei Stunden später ging’s ins 17. und 18. Jahrhundert: „Die Medien der Aufklärung: Zeitschriften und Journale in Europa, 1660–1800.“ Hier sprechen wir darüber, wie sich die Wahrnehmung auf Sachverhalte ändert, wenn neue Medien oder Verbreitungsweisen hinzukommen. In diesem Kurs findet auch mein erstes Referat in diesem Semester statt, denn lustigerweise steht Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit auf dem Seminarplan, das ich im letzten Semester ja schon freiwillig gelesen hatte. Sehr praktisch. Gleich mal den Termin gesichert; nächsten Donnerstag versuche ich meine geschätzten KommilitonInnen davon zu überzeugen, warum man dieses Buch dringend gelesen haben sollte.

Zwei Stunden Pause gaben mir zuhause kurz die Gelegenheit für ein schnelles Nickerchen, denn als fit wollte ich mich nach nur fünf Stunden Schlaf und vier Stunden Konzentration nicht bezeichnen. Das Wieder-Aufraffen zur Uni hätte ich mir allerdings sparen können, denn die letzte Vorlesung meiner Uni-Woche „Die Stadt in Süddeutschland. Von den Anfängen urbaner Kultur bis ins 20. Jahrhundert“ fiel leider aus. Die Zeit nutzte ich, um mir endlich mal in Ruhe die Sophie-Scholl-Büste im Lichthof anzuschauen. Auf der anderen Wandseite hängt noch eine Tafel, die auf die anderen Mitglieder der Weißen Rose hinweist, aber davor stand gerade die übliche Tourigruppe. Direkt vor dem Haupteingang ist außerdem ein Denkmal in den Boden eingelassen, das unter anderem die Flugblätter der Weißen Rose zeigt. Ich weiß nicht, ob es eine stille Übereinkunft gibt, da nicht draufzutreten, aber ich mache es nicht.

LMU_weisserose

DieUnigehtweiter, dieUnigehtweiter, OMGDIEUNIGEHTWEITER!

Nachdem ich in den Sommerferien längst nicht so viele schlaue Texte gelesen hatte wie ich mir vorgenommen hatte und auch mein Tagesablauf immer mehr zum Couchsurfing in der eigenen Wohnung wurde, habe ich mich sehr darüber gefreut, mit dem Semesteranfang wieder einen geregelten Tagesablauf aufgedrückt zu kriegen. Und schlaue Texte. Die erste Woche fiel allerdings aus bzw. ich lag flach (ich jammerte darüber), weswegen ich am Montag ein bisschen das Gefühl hatte, ins kalte Wasser zu springen. Kein gemütliches Akklimatisieren, kein Überblick über das ganze Semester, worum geht’s in dieser Veranstaltung, was muss man machen, um die ECTS-Punkte einzusacken, welches Referat hätten’S denn gern – das habe ich in diesem Semester alles nicht mitgekriegt, sondern fing gleich mit Action an. Aber hallo!

Mein erstes Seminar in Kunstgeschichte trägt den schönen Titel „Provenienzforschung. Einführung, Überblick, Perspektiven“ und befasst sich hauptsächlich mit Raubkunst zurzeit des Nationalsozialismus. Wobei: „Raubkunst“ sagen wir nicht gerne, wie ich gelernt habe. Stattdessen nutzen wir das Ungetüm „NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut“, denn es geht nicht nur um Kunstwerke im klassischen Sinn, sondern auch um Gegenstände zur Ausübung der jüdischen Religion (so fanden die Alliierten in den Sammelstellen der Nazis zum Beispiel Tora-Rollen en masse), Möbel, Porzellan usw. In meiner gutgläubigen Naivität dachte ich, das meiste, was nach Kriegsende aufgefunden wurde, wäre wieder dort, wo es hingehört, aber das ist natürlich Quatsch. Sie können sich ja mal den Wikipedia-Eintrag zu Egon Schieles Wally durchlesen, da bekommt man einen kleinen Eindruck davon, was heute in Museen hängt, das vielleicht eher bei einer Privatperson über dem Sofa hängen sollte. Die Affäre um Wally sorgte 1998 (!) immerhin für die Entstehung der sogenannten Washington Principles, die besagen, dass „gerechte und faire“ Lösungen gefunden werden sollten, um das jahrzehntelange Unrecht wiedergutzumachen. Die Bundesregierung veröffentlichte 1999 eine Handreichung, die Museen und Institutionen eine kleine Anleitung gibt, wie sie in ihren Beständen forschen könnten, um eventuell geraubte Güter zu identifizieren, die sich da in den Jahrzehnten nach dem Krieg eingeschlichen haben könnten. Zusätzlich wurde eine Koordinierungsstelle eingerichtet, in der alle Bemühungen zusammenlaufen; auf der Website LostArt kann man sich weiter schlau machen.

Mich haben die Zahlen etwas erschreckt; es ist kaum festzustellen, wieviele Gegenstände überhaupt geraubt wurden, teilweise wurden ganze Bibliotheken und Sammlungen gestohlen oder abgepresst. Die Alliierten gehen von 600.000 Stücken aus, während die russischen, sogenannten Trophäenbrigaden von 2 Millionen sprechen. Direkt nach Kriegsende schafften die Amerikaner das meiste Raubgut aus den bayerischen Stollen, Bergwerken und Sammelstellen der Nazis nach München, um es im Central Collecting Point (dem heutigen Zentralinstitut für Kunstgeschichte) zu sortieren und wenn möglich zurückzugeben. Laut ihren Unterlagen haben sie 250.000 Stücke restituieren können – der Rest wanderte treuhändisch in den Besitz der Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des ‘Dritten Reiches’, von wo es auf einzelne Museen verteilt und inventarisiert wurde.

Die Fristen für die Antragsteller auf ihnen oder ihren Verwandten geraubte Kunst waren teilweise viel zu kurz, um sie wahrnehmen zu können: Die erste verstrich, wenn ich mich richtig erinnere, bereits 1949, die zweite 1969. Viele Familien waren emigriert und wussten teilweise nicht einmal, dass sie Ansprüche hätten geltend machen können; andere wurden völlig vernichtet. Nur so kann ich mir eine Story wie die von Wally erklären.

Im Seminar werden wir uns in Münchner Archive begeben und dort selbst den Kulturgütern nachforschen, was sich für mich irrwitzig spannend anhört. Es ist auch eine ganz andere Herangehensweise an die Kunstgeschichte; bisher habe ich mich nur mit Theorien über Bilder und Skulpturen befasst, habe Künstler- und Künsterinnenbiografien kennengelernt, Epochen, Stile, wichtige Daten und Fakten. Aber das hier ist anders: Auf einmal ist Geschichte nicht mehr irgendwas, mit dem ich mich entspannt aus der Distanz in einer Bibliothek befasse. Stattdessen ist sie etwas, das noch nicht allzulange her ist und uns heute noch beschäftigt. Und ich darf dabei mitmachen.

Am Dienstag klingelte der Wecker bereits um 6 Uhr morgens, denn um 8 wartete die Vorlesung „Einführung ins Mittelalter“ auf mich. Und da ich gerne entspannt in den Tag starte, stehe ich in diesem Semester freiwillig zweimal die Woche so früh auf. Im Dunkeln. (Hass.) Lohnt sich aber, denn um 8 ist die Uni noch wohltuend leer, wie ich feststellen durfte. Alles ist deutlich unhektischer, und so saß ich gut gelaunt in einem kleinen Hörsaal und ließ in 90 Minuten die Karolinger an mir vorbeiziehen. Mir ist ein bisschen schlecht bei dem Gedanken, in der Klausur nach einzelnen Herrschern gefragt zu werden (immer Pippin, Ludwig oder Karl schreiben, wird schon passen) und ich weiß noch nicht, wie ich Stammbäume auswendig lernen soll, aber darüber mache ich mir im Januar Gedanken.

LMU_reader

Danach hatte ich zwei Stunden frei, die ich nutzen wollte, um zwei Reader zu kopieren. In zwei Seminaren wartet ein Berg von Texten auf mich, die laut Dozentinnenmail in den Copyshops bereitlägen. Ich verstand das so, dass da der Handapparat steht und ich viel Geld in einen Kopierer schmeißen müsste, um die Texte zu vervielfältigen. Weit gefehlt: In den Copyshops lagen fein gebunden zwei dicke Blattsammlungen, die ich einfach so mitnehmen konnte. Toll. Da blieb sogar noch Zeit, nach Hause zu fahren, denn ich wohne ja bekanntlich nur zehn Minuten vom Hauptgebäude der LMU weg. Augen auf bei der Standortwahl!

Anderthalb Stunden später zerrte ich mein Fahrrad aus dem Keller. Morgens hatte ich mich lieber in den Bus gesetzt, denn so ganz fit bin ich noch nicht. Das schöne Provenienz-Seminar litt jedenfalls sehr darunter, dass ich gefühlt alle 20 Minuten auf den Flur hastete, um dort fünf Minuten am Stück rumzuhusten. Mein Kreislauf ist auch noch etwas memmig, und daher wagte ich erst nachmittags den Griff zum Rad, denn zwischen 13.45 und 14.15 Uhr muss ich vom Hauptgebäude zum kunsthistorischen Seminar, und das liegt etwas weiter weg von der Bushaltestelle. Allein der Weg vom Hörsaal zum Bus dauert zehn Minuten (große Uni ist groß), und eigentlich schafft man den Weg nur in einer halben Stunde, wenn der Bus genau dann kommt, wenn man selbst an die Haltestelle hastet. Mit dem Fahrrad dagegen schaffe ich sogar noch eine Pinkelpause. Also: Fahrrad. Wird schon schiefgehen.

Ging’s auch. Bis auf die Tatsache, dass mein treues Ross anscheinend löcherige Reifen hat; ich habe gepumpt, bis meine Arme abfielen und trotzdem hatte ich das Gefühl, direkt auf den Felgen zu fahren. Meh. Das hat meine Laune aber nicht großartig beeinträchtigt – es war SO. SCHÖN!, wieder auf dem Fahrrad zu sitzen und meine Lieblingsstrecke zur Uni zu radeln.

LMU_oktober

Der zweite Termin des Tages war die Vorlesung (Achtung, langer Titel) „Diskurse, Paradigmenwechsel und Kanonbildung: Ausstellungen im westlichen Europa nach 1960“. Heißt: Die Dozentin erzählt uns was zur documenta, zu Fluxus, zur Biennale oder, hatte ich peinlicherweise noch nie gehört, zu Family of Man. Wir hörten etwas zum Ziel der Ausstellung, zum Aufbau, zum Kurator, zur Rezeption und natürlich Kritik an der Ausstellung. Dabei schaffte die Dozentin immer Verknüpfungen zu anderen Ausstellungen, Persönlichkeiten oder geschichtlichen Ereignissen und ordnete die Ausstellung damit sehr nachvollziehbar in ihre Zeit ein. Außerdem pickte sie einige Kunstwerke aus der Masse heraus, die auch über die Ausstellung hinaus eine Bedeutung hätten. So sprachen wir (natürlich) über Dorothea Langes Migrant Mother und, für mich etwas unerwartet in einer amerikanischen Ausstellung von 1955, August Sanders Jungbauern von 1914.

Ich hatte mich im Vorfeld für diese Vorlesung entschieden, weil mich verschiedene Ausstellungskonzepte interessieren. Ich glaube, das war ein Volltreffer.

Der letzte Kurs des Tages war ein Lektürekurs, in dem wir Klassiker der Kunstgeschichte lesen und erörtern. Den Anfang machte ein Text von Vasari (war ja klar, von wem auch sonst, Godfather of Art History halt) und danach kam lustigerweise ein Text, den ich schon kannte: Caravaggio’s Deaths von Philip Sohm. Den hatte uns im letzten Semester mal eine Dozentin spaßeshalber hochgeladen („Können Sie ja mal reingucken“), was ich natürlich gemacht habe. Praktisch, dieses Strebertum. Auch das wird, glaube ich, ein toller Kurs, denn wie ich schon im Sommersemester überrascht feststellen durfte, macht es mir sehr viel Spaß, mich mit dem theoretischen Überbau des Fachs zu befassen.

Jetzt müsste nur noch der Husten endlich weggehen.

Statusmeldung

Ach, der Plan war so ausgereift: Bis Sonntag drei Tage Oktoberfest feiern, dann entspannt und eventuell noch leicht alkoholisiert Montag persönlich für die Geschichtskurse einschreiben, die in diesem Semester zum ersten Mal auf mich warten, am Dienstag wieder nach Hamburg fliegen, noch ein paar kuschelige Tage mit dem kuscheligen Kerl verbringen, Montag hypermotiviert ins neue Semester starten und das Blog wieder mit Unigeschichten vollballern. Ja, mach nur einen Plan.

Das mit dem Oktoberfestfeiern hat hervorragend geklappt und ich konnte am Montag sogar noch darüber bloggen, allerdings weniger mit Restalkohol denn mit Halsschmerzen. Ich ahnte eine heraufziehende Erkältung, ging nicht in die Uni (auskurieren, auskurieren!), wohl wissend, dass ich den Dienstagsflug spät genug gebucht hatte, um mich notfalls noch vormittags einschreiben zu können. Dienstag vormittag hatte ich nicht nur Halsschmerzen, sondern auch noch Fieber und Schnupfen und fühlte mich so richtig schön scheiße. Den Rückflug schenkte ich im Geiste schon ab, als ich mich mit klappernden Knochen ins Historicum schleppte und brav meinen Zettel mit meinen Wunschkursen abgab. Dann fiel ich ins Bett und hoffte, mich bis Donnerstag gesund geschlafen zu haben.

Der Donnerstag verging, der zweite Rückflug wurde gecancelt, ich reservierte nölig was für Samstag morgen, hustete inzwischen den Putz von den Wänden und konnte nicht mehr liegen. Nicht nur, weil ich schon seit Tagen rumlag, sondern weil meine Lunge in erkältetem Zustand nicht gerne liegt. Irgendwann, wenn der Schnupfen weg ist und ich nur noch huste, will meine Lunge eben nicht mehr atmen, wenn sie liegt. Zuhause in Hamburg ziehe ich bei einer Erkältung sofort auf mein riesiges Rumlümmelecksofa um, bei dem ich den Oberkörper schräg auf die kissenbedeckte Rückenlehne betten und so leicht nach vorne übergebeugt liegen und vor allem atmen kann. Noch ein Kissen auf meinen Arm als Unterlage für den müden Kopf und fertig – klingt fürchterlich, ist aber erstaunlich bequem. Wenn man davon absieht, dass ich eben schlicht in keiner anderen Position vernünftig Luft kriege.

In München habe ich kein Sofa, sondern nur einen Ohrensessel, mein Bett und recht wenige Decken und Kissen, aus denen man was basteln könnte. In meiner Verzweiflung stemmte ich vorgestern meine 12er-Kiste Perlwein ins Bett, um schräg auf ihr zu liegen, was nicht so super klappte. Derzeit bestehen meine Nächte aus Husten, kurz in seltsamen Positionen dösen, bis mich ein Hustenanfall weckt, der so gewaltig ist, dass ich mich bereits einige Male übergeben musste (ja, TMI, deal with it). Großartigerweise fiel meinem Ritter auf weißem Pferdchen, Herrn @probek, ein, dass er noch ein paar feste Kissen eines alten Schlafsofas hatte, die er mir gestern vorbeibrachte. Damit konnte ich etwas Hamburgsofaähnliches basteln und so immerhin etwas längere Phasen verdösen als sonst, aber trotzdem sind meine Nächte seit Freitag schlicht scheiße. (An den Rückflug Samstag war natürlich nicht zu denken.)

Inzwischen war ich auch bei meiner Hausärztin. (So hatte ich mir meinen Semesteranfang nicht vorgestellt: noch kein einziges Mal in der Uni gewesen, nicht am Königsplatz, noch kein Rad gefahren, aber dafür schon bei der Hausärztin.) Die tippt auf Bronchitis, weswegen ich seit gestern zwei Hustenlöser nehme plus ein Antibiotikum und natürlich weiterhin meine lustigen Asthmasprays. Dass sich irgendwas löst außer meinem Mageninhalt kann ich noch nicht behaupten, ich habe alle bisherigen Vorlesungen und Seminare abgesagt und werde das wohl auch Mittwoch und Donnerstag so machen (Freitag habe ich frei). So nervig habe ich eine Erkältung noch nie empfunden und zwischen meiner Verzweiflung, nachts um vier keine Luft zu kriegen und der Wut, dass es verdammt noch mal nicht spürbar besser wird, mischt sich natürlich meine Traurigkeit ob des verpatzten Semesterbeginns. Denn auf den hatte ich mich zwei Monate lang gefreut. Und jetzt lieg ich hier nur rum und schnappe nach Luft. Mit einem schmerzenden Hals und niemandem, der einen gesundpuschelt.

Alles scheiße, deine Elli.

Meine Wiesn 2013

Mein erstes Mal Oktoberfest war noch voll großäugigem Erstaunen, das zweite leider ein übler Absturz (Herr @GNetzer meinte neulich beim #tpmuc, bei dem ich 2012 deutlich angetrunken auflief: „Dass wir seit dem Abend noch mit dir reden, zeigt, wie gern wir dich haben.“), aber mein drittes einfach nur schön. Mein fachkundiger Begleiter war auch in diesem Jahr der charmante Herr @probek, auf dessen Angeber-Tageseinlassbändchen zur Oiden Wiesn ich kurz aufmerksam machen möchte. (Er behauptet, man könne mit ihnen duschen.)


(Mein Mitbringsel für den Kerl, der sich darüber bestimmt irrwitzig freuen wird.)

Freitag, 4. Oktober, Herzkasperlzelt/Festzelt Tradition

Wir mögen beide die Oide Wiesn sehr gern. Dort geht es etwas ruhiger zu, es gibt historische Fahrbetriebe, das Bier kommt in gekühlten Steinkrügen und die Kapellen spielen kein Abba, sondern Volksmusik (auch moderne). Außerdem gab es in diesem Jahr ein Museumszelt, was ich sehr spannend fand: Darin konnte man alte Schaustellerwagen mit Interieur und Gegenständen des täglichen Bedarfs besichtigen, während nebenan 100 Jahre alte Traktoren brummten. Wir begannen den Nachmittag im Herzkasperlzelt, dem kleineren der beiden Oide-Wiesn-Zelte, in dem Hacker-Pschorr ausgeschenkt wird. Als Grundlage für das Bier diente mir Leberkäs mit Kartoffelsalat, was beides eher so meh war; der Steckerlfisch von Herrn Probek war aber anscheinend ziemlich gut und außerdem bezahlbar. Der Preis für die Maß ist von Zelt zu Zelt verschieden, lungert in diesem Jahr aber so zwischen 9,60 und 9,85 rum, weswegen ich zu meinen 10-Euro-Scheinen stets 1-Euro-Münzen dabei hatte, um brav auf 11 aufzurunden.

Ich war erst drei Tage vor Schluss auf der Wiesn, während die Bedienungen bereits 13 Tage in den Knochen hatten, und das sah man ihnen auch an. Es gab kaum welche, die nicht bereits Tapes um die Handgelenke trugen oder Lederriemen, wie ich sie von Sehnenscheidenentzündungen kenne. Manche trugen auch Pflaster zwischen Daumen und Zeigefinger, waren aber alle gut gelaunt, freundlich und irrsinnig schnell mit dem Bier oder dem Essen am Tisch. Da gebe ich doch gerne ordentlich Trinkgeld. Durch die Zelte laufen auch stets Menschen, die große Körbe mit Brezn vor sich hertragen, und auch die hatten mit Zipperlein zu kämpfen: Ihre Schulterriemen waren alle dick umwickelt, damit sie nicht so ins Fleisch schnitten. Die auffälligste Ausrüstung fiel uns am letzten Tag in der Bräurosl auf, wo ein Breznmann seinen Gurt ungefähr zehn Zentimeter dick mit Blisterfolie umwickelt hatte.

Aber wir sind ja erst am ersten Tag: Im Herzkasperlzelt gerieten wir an einen eigentlich reservierten Tisch, an dem aber noch zwei Plätzchen für uns frei waren – dankeschön! Die Besetzung bestand aus einem älteren Ehepaar (er aus Frankreich, sie aus Spanien), die ihren Sohn in München besuchten. Nach 90 Minuten kam die nächste Reservierung, wir mussten gehen und wanderten ins Festzelt Tradition, wo es Augustiner gab – und den charmantesten Tisch der Wiesn. Eine türkische Mutter mit ihrer deutschen Tochter, die Verwandte aus Istanbul mit am Tisch hatten, die kein Wort deutsch sprachen, aber bei „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ die ersten waren, die die Bierkrüge stemmten. Die Mutter redete in einer Tour, deutsch und türkisch gemischt, freute sich offensichtlich ihres Lebens, die Tochter genauso, wir saßen mittendrin und stießen alle fünf Sekunden mit irgendwem an. Ich habe selten so viel mit wildfremden Menschen gelacht und es sehr bedauert, dass der Abend irgendwann zu Ende ging – aber wir hatten ja noch was vor: Riesenradfahren.

Seitdem wir das erste Mal zusammen auf der Wiesn waren, erzählen wir uns das ganze Jahr lang: „Aber nächstes Mal fahren wir Riesenrad, im Dirndl und Lederhose!“ Ich muss zugeben, das mit dem Dirndl habe ich verschnarcht, aber immerhin haben wir es aufs Riesenrad geschafft. Zunächst auf das kleine auf der Oiden Wiesn, in dem man nur zu zweit sitzt in einer relativ ungesicherten Gondel, die ein fieses Tempo drauf hat, und dann deutlich entspannter im großen Riesenrad, wo man zu acht einen schönen Blick über die hell erleuchtete Neonstadt auf der Theresienwiese hat, den ich allerdings per iPhone profimäßig verwackelt habe. Deswegen hier das Foto vom kleinen Rad in der Abenddämmerung.

Zum Abschluss besuchten wir das Teufelsrad, eine der ältesten Attraktionen der Wiesn. Simples Spielprinzip (siehe Wikipedia-Link) und fürs Publikum ein Heidenspaß. Für vier Euro Eintritt kann man so lange zugucken, wie man möchte; wir haben es auf 45 Minuten gebracht, und wenn meine plattgestandenen Füße nicht rumgememmt hätten, wären wir noch länger geblieben. Man muss sich allerdings auf Zotenniveau einstellen, was die Ansagen angeht. So werden verschiedene Menschen zum Mitmachen aufgefordert, zum Beispiel „Jetzt alle Männer mit Lederhosen und rotem Hemd“, „Jetzt alle Kinder“ oder eben – „Jetzt alle Frauen ab Körbchengröße C.“ Ich habe natürlich auf die Ansage „Jetzt alle Männer mit Penislänge ab 20 Zentimeter“ gewartet, aber die kam nicht. Trotzdem: Ich hatte nicht erwartet, dass es so lange so unterhaltsam sein kann, gut gelaunten Damen und Herren dabei zuzugucken, wie sie sich zum Affen machen und dabei offensichtlich Spaß haben. Im Zeitraffer sieht das übrigens so aus.

Samstag, 5. Oktober, Festzelt Tradition

Herr Probek meinte Freitag abend: „Gut, dann morgen um 10?“ Ich so: „WTF? Um 10 Uhr Bier trinken?“, aber der Herr wusste als Wiesnprofi natürlich, wovon er redet: Am vorletzten Tag wurde es erwartungsgemäß schon morgens richtig voll, weswegen wir uns baldmöglichst einen Tisch suchen sollten. Wir schafften es, um 11.30 Uhr auf der Oiden Wiesn anzukommen, steuerten sofort auf das größere Zelt zu (dort hatte mir das Essen besser geschmeckt als beim Herzkasperl) und landeteten nach fünf Minuten Rumsuchen an einem Tisch in der Nähe der Kapelle, der generationsmäßig genauso gut gemischt war wie die gestrigen. Dieses Mal hatten wir einen Australier mit seiner Münchener Freundin und einem Kumpel dabei, der seine Eltern mit aufs Oktoberfest genommen hatte. Auch hier: freundliches Zuprosten im gefühlten Minutentakt, ein paar Scherze hin und her, ein Kompliment von mir an das schicke Dirndl der Dame und die übliche Frage: „Und wo kommts ihr her?“ Am Anfang habe ich noch versucht, „Hamburg“ zu sagen, was Herr Probek aber entschieden mit „München“ übertönte. Ich traue mich noch nicht richtig, „aus München“ zu sagen, aber ich glaube, ein angemeldeter Wohnsitz gilt. Auch immer wieder schön: das sofortige Duzen am Tisch, von der Bedienung, von allem. Ich mag das.

Da wir am Freitag jeweils zwei Maß geschafft hatten, war heute der Plan, noch eine dritte dazuzunehmen. Dafür mussten Grundlagen geschaffen werden: Ich begann mit einem äußerst wohlschmeckenden Wurstsalat, in dem sich sogar Silberzwiebeln befanden, die ich, glaube ich, seit 20 Jahren nicht mehr gegessen hatte. Dazu gab’s eine Brezn, mit der ich gefühlt eine Stunde lang beschäftigt war, irgendwann dann noch einen Apfelstrudel, dann die dritte Maß und nach fünf Stunden war der Tag dann auch schon rum. Wir hatten uns überhaupt nicht von der Stelle bewegt – außer zum Klo, das wie in allen Zelten pikobello sauber war –, und auch jetzt reichte es gerade noch zum Kauf von gebrannten Mandeln für mich, und dann war Feierabend. Ein satter, kaum angetrunkener, zufriedener Feierabend.

Sonntag, 6. Oktober, Augustiner Bierhalle/Ochsenbraterei/ Hippodrom/Bräurosl/Festzelt Tradition

Vom Samstag hatte ich gelernt: Wenn es am vorletzten Tag schon so voll ist, dann am letzten bestimmt erst recht. Also standen wir gnadenlos um Punkt 10 Uhr auf dem Oktoberfest mit dem Superplan „Vier Maß in vier verschiedenen Zelten“ vor uns. Die erste Station war die Augustiner Bierhalle, auf der ich vor zwei Jahren meine erste Wiesnmaß genoss und die seitdem einen kleinen sentimentalen Platz in meinem kleinen sentimentalen Herzen hat. Auch hier gab es Wurstsalat – das war gestern eine wirklich gute Grundlage –, der fast genauso gut war wie der aus dem Festzelt Tradition. Auch hier gönnte ich mir eine Brezn, die es aber nur in XXL gab, und an der knabberte ich nicht nur im Laufe von zehn Stunden dauernd rum, sondern trug sogar noch Reste davon nach Hause. Bayern, doo. Und dann stand die erste Maß vor uns, die Herr Probek mit einem leicht verzweifelten „Endlich wieder Bier“ ansetzte. Die haben wir beide auch nicht ganz geschafft. Erbärmlich, ich weiß. Wo wir so gut im Training waren.

Wo wir allerdings mit wogenden Massen gerechnet hatten, war es um 10 noch ziemlich leer. Eine Bedienung meinte, dass der Samstag der vollste Tag gewesen sei, weil heute schon viele Touris ausnüchtern, um dann im Laufe des Tages nach Hause zu fliegen und Montag wieder bei der Arbeit aufzulaufen. Als wir um 11 den Weg ins nächste Zelt antraten, wurde es aber schon deutlich voller. Inzwischen hatte auch Herr Probek Hunger und so landeten wir in der Ochsenbraterei, die sein erstes Zelt vor ungefähr 1000 Jahren gewesen war. Auch hier: ein sehr gemischter Tisch, mehr älteres als jüngeres Publikum, wie ich es recht gerne mag (ich bin ja auch schon alt), eine sehr entspannte Stimmung und eine gut gelaunte, aber schon merklich routinierte Kapelle, die wahrscheinlich bereits die Stunden zum Feierabend runterzählte. Am Tisch neben uns unterhielten sich zwei Gehörlose, das Pärchen bei uns am Tisch bat mich um ein Foto von den beiden, ich bewunderte die vielen Holzfiguren an den Wänden des Zeltes, aus deren Händen die schönen Bänder kamen, die sich unter der Decke spannten und sah Herrn Probek dabei zu, einen standesgemäßen Ochsenbraten zu verspeisen. (Meine Probebissen schmeckten hervorragend.) Die zweite Maß lief deutlich besser als die erste, und als wir gegen 13 Uhr zum nächsten Zelt aufbrachen, fühlte ich mich nicht mal angetrunken.

Wir guckten in einige der großen Zelte rein, in denen das Publikum recht unterschiedlich ist. Am späten Nachmittag wühlten wir uns durch die jugendlichen Massen im Schottenhamel (das war überhaupt nicht meins), Nathalie textete uns aus dem Löwenzelt an, in das man als Bayernfan ja aus Prinzip nicht rein will, aber es wäre auch eh nichts für uns freigewesen, und so gingen wir ins Hippodrom, vor dem mich Herr Probek warnte: „Das darfst du nicht gut finden, das ist Schickimickischeiß!“

Hier schafften wir es endlich mal auf eine Empore, von denen ich immer dachte, da oben wäre eh alles ausreserviert, aber nein, es gab diverse Tische, an die man sich so setzten konnte. Auch hier war noch genügend Platz und so konnte ich mal von oben aufs Gewimmel gucken – von einer gepolsterten Bank, an einem Tisch mit Decke drauf in einem liebevoll dekorierten Zelt, und dazu gab’s Bier aus Krügen, die jedes Jahr neu gestaltet werden. Und ganz ausgezeichnete Apfelküchlein! Und das beste Klo der ganzen Wiesn!

Ich fand das Hippodrom gut. Sorry, Hase. You woke the beast.

Allmählich wurde es so voll wie wir es erwartet hatten, aber wir durften ja nicht sitzenbleiben, es musste noch ein viertes Zelt gefunden werden, in dem die vierte Maß getrunken werden konnte. Wir enterten den oben erwähnten Schottenhamel, aus dem ich fluchtartig wieder rausging (bzw. mich rausschieben ließ), schauten in die Fischer-Vroni, die mir nicht so gut gefiel, wo es aber noch Plätze gegeben hätte … dann weiß ich, ehrlich gesagt, nicht mehr, was wir noch ansteuerten, aber schließlich landeten wir in der Bräurosl. Nicht unbedingt das hübscheste Zelt, aber das war jetzt egal. Dieses Mal erwischten wir einen recht jungen Tisch, der sich aber auch als sehr charmant erwies, während sich neben uns immer mehr Menschen durch die Gänge schoben. Wir hatten anscheinend zwei der wenigen noch freien Plätze erwischt. Zeit für die vierte Maß! Ein Prosit der Gemütlichkeit! Give it up for the Kufsteinlied!

Nachdem die Tischgesellschaft entschieden hatte, dass das Wappen von Herrn Probeks Heimat schöner sei als das der meinigen (PROPAGANDA!) und uns allmählich die Menschen auf den Zeiger gingen, die sich an uns vorbeidrängten, entschieden wir, das Zelt zu verlassen. Eigentlich wäre jetzt Feierabend gewesen, denn der Plan mit den vier Maß war erfolgreich abgeschlossen. Das Dumme war nur: Irgendwie fühlte sich das noch nicht nach Feierabend an. Also schlenderten wir ein wenig herum, guckten beim Käfer-Zelt vorbei, in dem gerade der FC Bayern feierte, und gingen schließlich ein drittes Mal ins Festzelt Tradition, wo deutlich mehr Platz war. Wir bestellten die jeweils fünfte Maß, ich aß endlich ein traditionelles Wiesn-Hendl, wir guckten um uns rum, wo es sich relativ schnell leerte und wurden ein bisschen sentimental – und jetzt nach fast zehn Stunden auch endlich ein bisschen betrunken. Herr Probek zückte den Promillerechner und schnappte nach Luft (ich ignorierte die Zahl und guckte zuhause nach, wo ich feststellen durfte, dass ein hohes Körpergewicht auch Vorteile haben kann), und so langsam fühlte es sich auch nach „Ist gut jetzt“ an. Ein letzter Gang durch die Oide Wiesn, ein Blick auf die Achterbahn, neben dem Gelände warteten schon die ersten Teams auf den Abbau, der in wenigen Stunden losgehen sollte, und das war’s dann mit der Wiesn 2013.

2014 – kannst kemma.

Ein gräfliches Dankeschön …

… an Frau Modeste, die mich mit Oskar Maria Grafs Wir sind Gefangene überraschte und mir das Werk per Widmung auch gleich anpries. Da ist sie nicht die einzige: Das Buch wurde mir von einer charmanten Kuratorin des Lenbachhauses empfohlen, als wir zum Semesterabschluss eine Mittagspause miteinander verbrachten. (Total beeindruckendes Berufe-dropping? Kann ich.) Und da ich ja nicht nur auf meine Dozierenden höre, sondern generell auf Menschen, die mehr Ahnung haben als ich, kam es sofort auf den Wunschzettel. Vielen Dank für das Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Bücher September 2013

Dirk von GehlenMashup: Lob der Kopie

Schlaues Büchlein über die Geschichte der Kopie und dass ohne sie die Kunst, die Literatur, die Musik und, ja, der Fußball nicht aus der Steinzeit herausgekommen wären (ich verallgemeinere). Man erfährt zusätzlich viel über das Urheberrecht und hat nach der Lektüre ziemlich gute Argumente für Mashups und Remixes. Und wer richtig viel Zeit hat, kann sich auch durch die gefühlt 1000 ebenfalls lesenswerten Fußnoten ackern, die auf weitere Artikel verweisen, die sich mit dem gleichen Thema bzw. dem großen Themenfeld „Wie entsteht eigentlich künstlerische Leistung und was ist sie überhaupt?“ befassen. Große Empfehlung. (Nebenbei: sehr lesbar geschrieben. Hier geht’s zur Website.)

(Leseprobe bei suhrkamp.de.)

Ernst Kris/Otto KurzDie Legende vom Künstler: Ein geschichtlicher Versuch

Die Legende erschien 1934 das erste Mal. Es geht ganz grob darum, dass es viele Legenden und Geschichten über Künstler gibt, die nicht nur auf einen, sondern gleich auf mehrere zutreffen. Kunsthistoriker und Psychologe Kris wurde deswegen stutzig und hat ein paar dieser wohl eher erdachten Storys zusammengetragen und was sie für die Rezeptionsgeschichte der Kunstwerke bedeuten. Ich zitiere aus dem Klappentext:

„Ernst Kris verdanken wir also die tiefe Einsicht, daß die Geschichten, die allerorten und zu allen Zeiten von Künstlern erzählt werden, eine allgemeine menschliche Reaktion auf den geheimnisvollen Zauber des Bildermachens spiegeln; Otto Kurz verdanken wir die Erfindungsgabe des Aufspürens von Parallelen, um die Allgegenwart dieser Motive zu illustrieren und nachzuweisen.“

Ein richtiger Kracher ist das Büchlein nicht, aber ein hübsches Steinchen in meinem Puzzle, das sich langsam zu Kunstgeschichte zusammensetzt. (Solche Sätze gebe ich in meinen Hausarbeiten nicht von mir, keine Bange.)

Alexander GörsdorfTaube Nuss: Nichtgehörtes aus dem Leben eines Schwerhörigen

Ich mag Bücher, die aus einer mir fremden Perspektive geschrieben sind, denn nur so kann ich lernen und verstehen. Görsdorf ist taub und trägt seit einiger Zeit ein Cochlea-Implantat, das ihn wieder hören lässt – wenn auch nicht so, wie wir Flotthörenden (seine Worte) es kennen. Das Buch erzählt episodenhaft, wie Görsdorf lebt, arbeitet, studiert, einkauft, liebt (das waren die Kapitel, die ich unter TMI abhefte, aber das ist meine ganz persönliche Prüderie) und worin sich seine Tage zu denen unterscheiden, die zum Beispiel ich verlebe, die über ein funktionierendes Gehör verfügt. Der Schreibstil ist freundlich und informativ, und jedes Kapitel endet mit einer Pointe, bei der ich so gut wie jedes Mal dachte, ach stimmt, das ist ja auch anders. Besonders die Beschreibungen des Cochlea-Implantats und wie sich die Sinneswahrnehmungen ändern, haben mich sehr faszininiert. Schönes Ding.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Markus Zusak – The Book Thief

Thief ist ein Jugendbuch und erzählt die Geschichte eines Mädchens zurzeit des Nationalsozialismus. Das Buch hat eine allwissende Erzählerstimme, die sich sehr gerne reden bzw. schwadronieren hört, dauernd Plotpoints vorwegnimmt und so artifiziell und gekünstelt klingt, dass ich das Buch nach 100 Seiten weglegen wollte. Wohlmeinende Tweets überzeugten mich davon, weiterlesen zu müssen, und kurz vor Schluss hatte das Buch mich dann gnadenlos im Griff. Ich empfand es als höchst manipulativ und übermäßig dramatisch – die Zeit war schon fies genug, da muss man nicht noch mehrere Moral- und Todesschippchen draufpacken –, aber genau deswegen habe ich die letzten 30 Seiten komplett durchgeheult. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob ich das Buch weiterempfehlen möchte, weil es mich so schamlos am Nasenring durch die Manege gezogen hat, aber irgendwas muss wohl dran gewesen sein, sonst hätte ich es nicht durchgelesen.

(Leseprobe bei amazon.de.)

Walter SlezakWann geht der nächste Schwan?

Slezak kam zufällig Ende der 20er Jahre zum Film und blieb gleich da, wanderte rechtzeitig in die USA aus, während seine Eltern in Bayern blieben. Sein Vater war Opernsänger (daher der Titel, Lohengrin und so), und das Buch handelt dann auch von der Familie, Hollywoodgossip und den stets fruchtlosen Diäten von Vater und Sohn. Ein charmantes, altmodisches Kleinod von 1962, gerne gelesen.

Guillaume Long (Hans Kantereit, Übers.) – Kann denn Kochen Sünde sein?

Long hat ein Comic-Fressblog bei der Le Monde (nicht vom neuesten Post abschrecken lassen), und das Buch versammelt diverse launige Einträge. Rezepte wechseln sich ab mit persönlichen Vorlieben (keinen Zucker in den Kaffee!), es gibt Reiseberichte und meine liebste Rubrik: wie Guillaume beim Schwimmen einen Koch kennenlernt und ihm ein Loch in den Bauch fragt anstatt seine Bahnen zu ziehen. Das ganze ist hübsch von Hans Kantereit übersetzt, manchmal ein bisschen schlampig lektoriert und zum Titel sage ich ausführlich was, wenn ich das Werk für Comicgate bespreche. Aber empfehlen wollte ich es schon vorher.

(Leseprobe bei Carlsen)

Über die Moderne

„Der Rest des Abstrakten im Begriff der Moderne ist sein Tribut an diese. Wird unterm Monopolkapitalismus weithin der Tauschwert, nicht mehr der Gebrauchswert genossen, so wird dem modernen Kunstwerk seine Abstraktheit, die irritierende Unbestimmtheit dessen, was es sein soll und wozu, Chiffre dessen, was es ist. Solche Abstraktheit hat nichts gemein mit dem formalen Charakter älterer, etwa den Kantischen ästhetischen Normen. Vielmehr ist sie provokativ, Herausforderung der Illusion, es wäre noch Leben, zugleich Mittel jener ästhetischen Distanzierung, die von der traditionellen Phantasie nicht mehr geleistet wird. Von Anbeginn war ästhetische Abstraktion, bei Baudelaire noch rudimentär und allegorisch als Reaktion auf die abstrakt gewordene Welt, eher ein Bilderverbot. Es gilt dem, was schließlich die Provinzialen unterm Namen der Aussage sich herüberzuretten hofften, der Erscheinung als einem Sinnhaften: nach der Katastrophe des Sinns wird Erscheinung abstrakt. Solche Sprödigkeit ist, von Rimbaud bis zur gegenwärtigen avantgardistischen Kunst, äußerst bestimmt. Sie hat so wenig sich geändert wie die Grundschicht der Gesellschaft. Abstrakt ist die Moderne vermöge ihrer Relation zum Dagewesenen; unversöhnlich dem Zauber, kann sie nicht sagen, was noch nicht war, und muß es doch wider die Schmach des Immergleichen wollen: (…)

Die Male der Zerrüttung sind das Echtheitssiegel von Moderne; das, wodurch sie die Geschlossenheit des Immergleichen verzweifelt negiert; Explosion ist eine ihrer Invarianten. Antitraditionalistische Energie wird zum verschlingenden Wirbel. Insofern ist Moderne Mythos, gegen sich selbst gewandt; dessen Zeitlosigkeit wird zur Katastrophe des die zeitliche Kontinuität zerbrechenden Augenblicks; Benjamins Begriff des dialektischen Bildes enthält dies Moment. Selbst wo Moderne traditionelle Errungenschaften, als technische, festhält, werden sie aufgehoben von dem Schock, der kein Ererbtes unangefochten läßt. Wie die Kategorie des Neuen aus dem historischen Prozeß resultierte, der die spezifische Tradition zuerst und dann eine jegliche auflöste, so ist Moderne keine Aberration, die sich berichtigen ließe, indem man auf einen Boden zurückkehrt, der nicht mehr existiert und nicht mehr existieren soll (…).“

Adorno, Theodor W., Ästhetische Theorie, S. 39–41, in: Tiedemann, Rolf (Hrsg.), Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften, Band 7, Frankfurt am Main 2003.

Links vom 28. September 2013

hiSTOREy Ladengeschichten 2013

Das Projekt findet am 2. und vom 4. bis 6. Oktober in Giesing statt. Ich zitiere von der Website:

„hiSTOREy sucht dort nach Leerstellen, wo eigentlich keine mehr sind. Das Projekt eignet sich an, was trotz aller Raumnot auch zum Münchner Stadtbild gehört: temporär nicht genutzte Ladenräume. (…) Das recherchierte Material zu Giesing und dessen verschiedenen Orten und Räumen ist Ausgangspunkt für die choreografische Arbeit der beiden TänzerInnen, die in den für die Kunst erschlossenen Ladenräumen präsentiert wird. Der Spaziergang von Ladenraum zu Ladenraum verbindet die beiden Soli miteinander und lädt den Besucher ein, die wechselvolle Geschichte Giesings zu entdecken.“

Your TV pitches reviewed: writers and producers dish out the tough love

Der Guardian lud seine Leserschaft ein, TV-Ideen zu pitchen und hat diese von einem Kritiker und TV-Schaffenden beurteilen lassen:

„In 48 hours, more than 500 Guardian readers sent us their TV pilot pitches, and we passed on the 10 most promising to a group of writers, showrunners and industry professionals for their feedback and review. What did they have to say?

Our all-star panel: Amy Sherman-Palladino, creator of Gilmore Girls and Bunheads; Stuart Heritage, Guardian television, film and music writer; Larry Andries, producer and writer for Supernatural, Alias and Six Feet Under; and Dee Johnson, executive producer and writer for Nashville, formerly of The Good Wife, ER and Melrose Place.“

Ich persönlich würde gerne Mainee und Band sehen, aber keine einzige der anderen Shows. Ich fand es aber sehr spannend, auf welche Aspekte die Profis anspringen.

(via @wortfeld)

Jesus Stopped

„Church can be plastic and judgmental, and we end up getting it wrong a lot. Even worse, it can be a dull and comfortable place where nothing out of the ordinary ever happens. This makes me both embarrassed and sad.

But there are moments when we are beautiful.“

Ich folge recht wenigen deutlich christlichen Accounts auf Twitter, aber den Stream von Pastor Steve Wiens mag ich sehr gerne. Dieser Post steht in seinem Blog.

George Grosz and the necessity of offence

Prospect Magazine über eine Ausstellung von George Grosz, in der hauptsächlich Arbeiten von 1912 bis 1928 aus Berlin gezeigt werden:

„What is bad for society is often very good for the artist. Grosz must have understood this, since he not only found his impetus in moral outrage, but also built his style around a fixation with ugliness. This tension between aesthetic pleasure and moral agenda, between the practical joke and the chilling image, is the very lifeblood of Grosz’s art. In his autobiography, A Small Yes and a Big No, Grosz wrote of life in Berlin: “I was each one of the very characters I drew, the champagne-swilling glutton favoured by fate no less than the poor beggar standing with outstretched hands in the rain. I was split in two, just like society at large…” What he condemned as a man, he vicariously shared in as an artist. Perhaps it was the guilt of this collusion which drove him to such overt condemnation.“

Wiesn-Webcam

Zurzeit meine liebste Webcam. Am 4. Oktober bin ich endlich selbst vor Ort.

Die Ente bleibt draußen

@Maria_Berlin hat sich Loriots Grab angeschaut. Eins der schönsten Instagram-Bilder der letzten Tage.

(via @LizasWelt)

Ein Jahr nach der Immatrikulation

Heute vor einem Jahr habe ich mich in München an der LMU immatrikuliert. (Wer erinnert sich nicht gerne an diese Odyssee? ICH!) Vieles von dem, was ich mir durch das Studium erhofft hatte, ist eingetreten, einiges ist nicht so, wie ich es erwartet habe, manches ist toll, manches weniger. Aber alles ist anders.

Was ich wollte: den Kopf in eine andere Richtung anstrengen. Mal über was anderes nachdenken als darüber, wie man Produkte an Menschen vertickt. Drei Jahre wissenschaftlich statt verkäuferisch arbeiten und dann wieder zurück in die Agentur, schönes Geld verdienen. Einen kurzen Abstecher in eine andere Stadt – ich erinnere mich an das Selbstgespräch „Wenn ich mein Leben schon ändere, dann gleich richtig“ – und dann wieder zurück nach Hamburg, wo mein Zuhause ist.

Was daraus geworden ist: nun ja.

Das mit dem Kopf-Anstrengen hat perfekt geklappt. Ich denke seit einem Jahr über kaum so viel nach wie über Bilder und Skulpturen, Künstler und (viel zu wenige) Künstlerinnen, Kunsthistoriker und (viel zu wenige) Kunsthistorikerinnen, kunsthistorische Texte, Analysen, Bildbeschreibungen, ich hänge in Museen rum, habe mich in die Bibliothek am Institut für Kunstwissenschaften verliebt und lese auch in meiner Freizeit wissenschaftliche Texte. Wenn ich online über Texte zu Bildern stolpere, vergesse ich, dass ich bloß ne Runde Candy Crush spielen wollte und verliere mich stattdessen in kunsthistorischen Diskussionen, die vor 100 Jahren geführt wurden. Ich sehe Bilder anders, ich bekomme ganz langsam einen Eindruck von der Geschichte der europäischen Kunst in den letzten Jahrhunderten, ich fange an, die moderne Kunst nicht nur zu würdigen, sondern auch zu mögen, ich habe jeden Tag eine neue Lieblingsepoche und einen neuen Lieblingskünstler (noch keine Künstlerin, aber das wird kommen) und ich gucke jeden Altbau, jede Kirche und jede Brücke, an der ich vorbeikomme, nach architektonischen Gesetzmäßigkeiten an. Kurz gesagt: ja. Alles super, was diesen Bereich angeht, danke der Nachfrage.

Das Dumme ist, dass das alles zu super ist. Ich will mit diesem Kopf-Anstrengen nicht in zwei Jahren aufhören, wenn meine Bachelorarbeit getippt ist. Der unbeeindruckte Weg zurück an den Agenturschreibtisch scheint vorerst für mich verbaut zu sein. Danke, Kunst, du olle Hippe. Danke, LMU, mit deinen schönen Räumen und tollen Lehrkräften. Das habt ihr fein hingekriegt.

Momentan ist der Aufenthalt im Home Office, in dem ich nach einem Semester bewusster Auszeit von der Werbung wieder Verkoofe mache, eine reine Pflichtübung. Klar gab es auch zu den Zeiten, in denen ich meinen Lebenssinn in Reklame gesehen habe, Jobs, die ich einfach weggearbeitet habe. Zurzeit ist es aber jeder Job, den ich annehme. Ich mache das gut, sonst würde mich niemand mehr buchen, und ich besitze genug Selbstdisziplin und Professionalität, um das nicht allzusehr raushängen zu lassen, dieses Gefühl, komplett unwichtigen Kram zu machen, während es doch eine Trilliarde Kunstwerke gibt, über die ich mich stattdessen informieren könnte. Aber ich ahne, dass dieses Gefühl der Pflichtübung nicht mehr weggehen wird, jetzt wo ich gesehen habe, wie grün das Gras da drüben in der Wissenschaft ist.

Deswegen denke ich seit Monaten darüber nach, wie ich meine Erfahrung im Marketing mit meinem neuen Wissen verbinden kann. Ein paar Ideen von ungewöhnlichen Audioguides bis zu Ausstellungskonzepten, von Social-Media-Kampagnen und Interaktionen mit dem geneigten Publikum sind durchaus da. Das Problem: Ich habe keine Ahnung, wovon ich rede, weil ich keine Ahnung davon habe, wie ein Museum funktioniert. Daher würde ich gerne mein werbisches Home Office gegen einen Job in der Marketingabteilung eines Museums tauschen. Und da kommen zwei weitere Probleme. Das eine: Erstmal muss ich eine freie Stelle ausbuddeln, die weiterhin zwei Mieten finanziert (ich ahne, dass das schwer werden wird). Das andere habe ich mir selber mit meinen zwei Städten gebastelt: Kein Museum in München stellt mich ein, wenn mein erster Satz ist „Aber in den Semesterferien bin ich in Hamburg.“ Dieser Fakt ist momentan nicht verhandelbar. Denn:

Meine zwei Aufenthaltsorte haben auch eine andere Baustelle in mein Leben geschleppt. Ich hätte nicht gedacht, wie gut es mir in München gefallen würde. Dass ich die Stadt mag, wusste ich vorher – ich war ja oft genug zum Fußballgucken da. Aber das waren immer nur zwei, drei Tage. Inzwischen weiß ich: Dieses tolle Urlaubsgefühl, das ich in zwei, drei Tagen habe, geht auch dann nicht weg, wenn es zwei, drei Wochen oder zwei, drei Monate und ne Menge Arbeit für die Uni sind. Die Stadt ist für mich mehr zuhause als es Hamburg jemals war. Was eigentlich toll ist – aber nicht, wenn man der Kerl ist und sich das dauernd anhören muss. Das jedenfalls hat mir der Herr des Hauses vor einigen Tagen gestanden. Meine erste Reaktion war natürlich aufplustern und „Wieso freust du dich nicht, wenn ich glücklich bin?“, bis ich einsehen musste: ja klar. Mir würde es genauso gehen, wenn er mir dauernd von, keine Ahnung, Leipzig vorschwärmen würde und wie gut’s ihm da geht und wieviele tolle neue Bekannte er hat und einen Lacrossestammtisch, der sich einmal im Monat zum Cidre-Trinken trifft, und eine Fachbibliothek mit tausenden von Büchern über Webdesign und Zeug, von dem ich keine Ahnung habe.

Ich hatte unterschätzt, wie es die Dynamik einer Beziehung verändert, wenn ein Teil sich nicht nur ein bisschen, sondern radikal weiterentwickelt und zwar in eine Richtung, in die der andere Teil nicht mal so eben mitkommen kann (oder will). Und ich hatte unterschätzt, wie komisch das ist, plötzlich alleine in einer Wohnung zu sein, in der sonst wir beide sind. Der Kerl ist neuerdings immer zwei Tage die Woche in Berlin, und an diesen beiden Tagen kommen mir unsere vier Zimmer viel zu groß vor und ich vermisse ihn mehr als ich ihn in München vermisse. Da renne ich nämlich meistens wild durch die Gegend, damit mir die Decke nicht auf den Kopf fällt, während es mir in Hamburg völlig reicht, mit einem Buch neben ihm auf dem Sofa zu sitzen, während er alle Sportsendungen dieser Welt guckt. Außerdem ist die Wohnung in München nur meine, nicht unsere. Er hat mich zwar schon besucht, aber das eine Zimmerchen ist nur meins. Da ist gar kein Platz für ihn, während mein Platz in Hamburg immer größer und leerer wird, wenn er alleine ist. Zusätzlich hat er nur den Alltag, während ich gefühlt Urlaub mache.

Das ist alles ein ziemlicher Klumpatsch in meinem eigentlich sehr zufriedenen Kopf, diese Mischung aus Heimweh nach einer Stadt, die gar nicht mein Heim sein sollte, der Ahnung, dass der Job der letzten 15 Jahre nicht mehr der der nächsten 15 sein wird, und dem Wunsch, aus dem Neugelernten mehr zu machen als das, als was es eigentlich geplant war, nämlich Zeitvertreib. Wie schön, dass ich noch zwei Jahre Zeit habe, diesen Brei gären zu lassen. Es bleibt spannend. Und das ist das einzige, was komplett so eingetroffen ist, wie ich es erhofft hatte.

Links vom 22. September 2013

How to recognize the artists of paintings

Ihr könnt jetzt wirklich aufhören, mir diesen Link zu schicken, ich kenne ihn und ich habe ihn auch selbst schon vor einer Woche vertwittert, aber ich freue mich natürlich, dass ihr an mich denkt. Ich habe allerdings kurz beim Zwitschern gezögert, denn natürlich ist er Blödsinn. Mir sind schon beim ersten Durchlesen für jeden Maler Gegenbeispiele eingefallen, wie ich erstaunt und erfreut feststellen durfte. Über einige Beschreibungen habe ich mich auch geärgert: So sehe ich bei Rubens im Beispielbild keine „enormous asses“, obwohl er durchaus in anderen Bildern welche gemalt hat. Da war er aber nicht der einzige. Wobei ich natürlich auch zugeben muss: Wenn mehrere nackte, fülligere (nein, nicht dicke) Menschen im Bild zu sehen sind, könnte das durchaus Rubens sein.

Auch die Beschreibung für Caravaggio fand ich eher meh, weil die Beschreibung „If all the men look like cow-eyed curly-haired women“ etwas grenzwertig klingt. So als ob es eine Schande für Männer sei, wie eine Frau auszusehen. Aber das mag eine Überinterpretation sein. Überhaupt Frauen: Der Satz bei Michelangelo „If everyone is beautiful, naked, and stacked, it’s Michelangelo“ trifft eher auf seine Kerle zu und auch längst nicht auf alle. In meinen Augen sehen die Frauen bei Michelangelo vom Körperbau sehr oft wie Männer aus, die haben genauso breite Schultern wie sie und selten eine Taille. Man könnte ihnen fast einen enormous ass unterstellen. Der Satz bei van Eyck ist natürlich ebenfalls Quatsch, obwohl ich zugeben muss, dass Herr Arnolfini schon sehr wie Putin aussieht. Seine Gattin allerdings nicht, und auch sonst kenne ich (noch) kein Bild von ihm, auf das diese Beschreibung zutrifft.

Ich fand die Gegenüberstellung von Bruegel und Bosch aber ziemlich clever und habe sehr über Boucher gelacht. An Boucher haben wir in der Vorlesung die Malerei vor und nach der französischen Revolution gelernt. Als Gedankenstütze – die natürlich ähnlich verallgemeinernd ist wie die oben verlinkte Liste – sahen wir Bouchers Madame Pompadour von 1756 sowie Jacques Louis Davids Comtesse de Sorcy von 1790 (hängen praktischerweise beide in der Alten Pinakothek). An den beiden Bildern kann man wunderbar die Unterschiede zwischen den letzten Werken der adligen Dekadenz und der neu gewonnenen Schlichtheit sehen, von Kleidung über Haartracht bis zum Hintergrund. Von David kennt ihr übrigens garantiert ein anderes Bild, nämlich den Tod des Marat. (Und wenn nicht, solltet ihr es kennen. Tut ihr ja jetzt, ha. Bildungsauftrag für heute erfüllt.)

PS: Was die Wikipedia zur Arnolfini-Hochzeit schreibt – und sie folgt, wenn ich das richtig überfliege, der Deutung von Erwin Panofsky (1934) –, wird in der heutigen Kunstgeschichte übrigens immer noch diskutiert. Ein Blogeintrag zum Thema verweist auf dieses Paper und die kurze Interpretation der National Gallery, in der das Bild hängt.

How Chris McCandless died

Das Buch Into the Wild hat mich lange beschäftigt, daher fand ich diesen Artikel von Jon Krakauer, der auch das Buch geschrieben hat, sehr spannend. Es handelt sich um eine weitere Theorie zum Tod von McCandless.

„The debate over why McCandless perished, and the related question of whether he is worthy of admiration, has been smoldering, and occasionally flaring, for more than two decades now. But last December, a writer named Ronald Hamilton posted a paper on the Internet that brings fascinating new facts to the discussion. Hamilton, it turns out, has discovered hitherto unknown evidence that appears to close the book on the cause of McCandless’s death.“

Ein Mann mit Vergangenheit

Aus dem SZ-Magazin. Ein Enkel entdeckt, dass hinter der angeblich lieblosen Ehe und seinem übellaunigen Großvater mehr steckt als er dachte:

„Der Anwalt Görings hatte unserem Opa im Februar 1946 geschrieben, um bei ihm zu erfragen, ob Auschwitz denn wirklich so schlimm gewesen sei, er sei doch Häftling gewesen, und ob das gesamte deutsche Volk mitschuldig sei. Er wollte das wissen, um Görings Verteidigung vorbereiten zu können. Opa habe Otto Stahmer ausführlich geantwortet, erzählt der Enkel, und zwar dass Auschwitz noch viel schlimmer gewesen sei, als man sich vorstellen könne. Am Ende des Briefes an den Verteidiger berichtet er auch von einer Frau, die aus Liebe sogar ihr Leben für ihn riskiert habe: meine Oma.

Opa ein Held und Oma die große Liebe seines Lebens? Sprechen wir von den gleichen Personen?“

Allison Janney: What I’ve Learned

Ein etwas älteres Interview mit einer meiner liebsten Schauspielerinnen, über das ich gestern gestolpert bin.

Brad Whitford said the funniest thing about being directed. When somebody gives him direction, the first thing he thinks is Fuck you! The second thing is I suck! And the third is How can I do it better? What can I do to please you?

I do the best I can. Everything else is everybody else’s problem.“

Wiesn-Wirtschaft – Das Oktoberfest als Wirtschaftsfaktor

Gestern wurde das Oktoberfest eröffnet und ich war den ganzen Tag sehr wehmütig, was mich selbst in seiner Heftigkeit überrascht hat. Ich frühstückte dementsprechend und lungerte in meinem eigenen Flickr-Stream länger rum, als mir gut tat (eins, zwei, drei), aber immerhin konnte ich auf Twitter eins der Vorurteile widerlegen, das zum Fest gehört: dass es nur noch eine Veranstaltung für ausländische Gäste sei:

„Das Oktoberfest ist nach wie vor ein „bayerisches“ Fest: Die überwiegende Mehrheit der Oktoberfestbesucher kommt mit 72 Prozent aus Bayern, davon 60 Prozentpunkte aus München direkt und 12 Prozentpunkte aus dem übrigen Bayern. Neun Prozent der Wiesn-Gäste reisen aus den übrigen deutschen Bundesländern an. Die restlichen 19 Prozent der Festgäste kommen aus dem Ausland.“

Was mir in meinem Flickr-Stream auch aufgefallen ist: Meine Immatrikulation ist jetzt fast genau ein Jahr her. What a difference a year makes.