Gravity

gravity© Warner Bros.

Gravity (USA 2013, 91 min)

Darsteller_innen: Sandra Bullock, George Clooney
Musik: Steven Price
Kamera: Emmanuel Lubezki
Drehbuch: Alfonso Cuarón & Jonás Cuarón
Regie: Alfonso Cuarón

Trailer

Offizielle Seite

Als der Abspann anfing, dachte ich: „Awesome.“ Dann fing ich an, über die Story nachzudenken und kam auf „Naja. Aber schönes Augenfutter.“ Damit wollte ich Gravity abhaken. Aber im Laufe des Tages kamen immer wieder Bilder und Sätze hoch, ganz egal, wie sehr ich mich auf ein Fußballspiel oder meine Unilektüre konzentrieren wollte. Dann muss ich wohl doch beeindruckter gewesen sein als ich dachte.

Der Film lässt sich mit einem Satz zusammenfassen – kann ich aber nicht, denn so gut wie alles, was man sagen kann, ist ein Spoiler –, aber das wird ihm nicht gerecht. Denn Gravity ist mehr als eine Storyline, er ist ein Psychogramm. Und zwar von Ryan Stone (Sandra Bullock), die außen am Space Shuttle 400 Kilometer über der Erde stoisch an einem mechanischen Problem rumbastelt, bevor sie und ihre zwei Begleiter außerhalb des Shuttles in einen Sturm aus Wrackteilchen geraten. Damit beginnt der Actionteil, in dem wir gefühlt 20 Minuten lang mit der Kamera das Shuttle umkreisen, die Astronauten, ihre verzweifelten Versuche, das außer Kontrolle geratene Raumschiff zu erreichen bzw. nicht zu verlieren – und vor allem selbst nicht in die Weiten des Weltalls abzudriften. Dabei konzentriert sich die Kamera vor allem auf Stone, die schließlich losgerissen wird, durch das Nichts taumelt, wir verlieren mit ihr jede Orientierung und hören nur ihren stoßweisen, panischen Atem, minutenlang, ewig. Bis die Rettung in Gestalt von ihrem Kollegen Matt Kowalski (George Clooney) naht. Wir werden kurz in Sicherheit gewogen, aber das sollte man im Kino ja nie tun, einer angeblichen Sicherheit, die die Leinwand verspricht, vertrauen, das geht immer schief und hier natürlich auch.

Eine einzige Szene verrate ich noch, nämlich die, in der Stone gerade an Bord der ISS gelangt ist. Bisher bewegten wir uns nur im All, und trotz der kurzen Blicke auf die majestätische Erdkugel mit ihren erleuchteten Städten, goldenen Gebirgen und stahlblauen Ozeanen war der Gesamteindruck bisher bestimmt von: Furcht. Vielleicht ein bisschen Ehrfurcht (hey, der Weltraum!), aber der erste Akt des Films war ein einziges Drama vor dem unendlichen Nichts, das das Weltall ist. Die Atmosphäre ist kühl, die weißen Raumanzüge starren vor Kälte, selbst das Sonnenlicht, das auf die Helme trifft, ist klarweiß und nicht heimeliggelb, aber dann, dann gelangt Stone endlich von diesem „da draußen“ ins Innere der Station, in Sicherheit (haha). Sie streift sofort nach der Luftschleuse den Raumanzug ab und lässt sich in der Schwerelosigkeit treiben. Und das Bild wird mich noch lange verfolgen: Sie krümmt sich in Embryohaltung zusammen, schwebt, hat die Augen geschlossen und irgendeine Leine im Hintergrund sieht aus wie eine Nabelschnur. Mein Gehirn pöbelte natürlich sofort, oh buh, viel zu plakativ, aber mein Herz pöbelte zurück, halt die Klappe, ja, das ist plakativ, aber es passt. Es funktioniert. Es sagt so simpel, was wir eigentlich nur brauchen: Geborgenheit, Wärme, irgendwas, was uns vor dem „da draußen“ beschützt. Die Szene dauert nur wenige Augenblicke, aber der Kontrast zum wilden Drama der letzten 20 Minuten ist großartig.

Im weiteren Verlauf des Films muss sich Stone noch mehr als gewollt mit dem „da draußen“ beschäftigen, nicht nur in dem, was sie tut, um irgendwie zur Erde zurückzukommen, sondern auch in dem, worüber sie nachdenkt und spricht. Ihre Hintergrundgeschichte erschien mir genau wie das Embryobild zunächst viel zu plakativ – muss eine Filmfigur immer einen Knacks haben, damit wir mit ihr mitfühlen? –, aber auch das passte irgendwann, denn manchmal ist man so beschädigt, dass selbst der Überlebensinstinkt einfach aufgeben will. Und deswegen kam der Moment, in dem Stone sich entscheiden muss, ob sie sich ihren Dämonen stellt oder aufgibt, nicht wie ein Holzhammer, sondern absolut stimmig. Dieses „Should I stay or should I go“ ist zwar das simpelste Motiv für eine Story, das es gibt (neben „Boy meets Girl“), aber diese kleine Geschichte bekommt in den Weiten des Alls eine ganz andere Dimension.

Das liegt sicher auch am hervorragenden Handwerk, angefangen bei der Kamera und den Effekten, für die ich den Begriff „Effekt“ viel zu billig finde. Das zerberstende Shuttle hat eine ganz andere Qualität als die tausend in die Luft fliegenden Gebäude, Autos, Sehenswürdigkeiten, die ich in weiß der Geier wie vielen Blockbustern schon gesehen habe. Das könnte daran liegen, dass es nie die Hauptsache ist: Die Hauptsache ist Stone. Es geht um sie in diesem Film und nicht um den Oscar für die Spezialeffekte (den Gravity hoffentlich trotzdem kriegen wird). Die Kamera scheint nie stillzustehen, genau wie im Weltall verliert man sehr schnell den Überblick über unten und oben, das sind auf einmal alles Kategorien, die keine Bedeutung mehr haben. Umso mehr hält man sich an Stone fest, die einzige Konstante, die der Film eben hat. Trotzdem wirkt der Film nie chaotisch, ganz im Gegenteil, er führt zwingend auf jeweils einen Punkt zu, an den sich Stone rettet, bevor das nächste Problem auftaucht, ganz stringent, unaufgeregt und gleichzeitig voller Spannung. Und wo wir schon bei Handwerk sind: Ich mochte es sehr, dass ein kleiner, unauffälliger Feuerlöscher sich kurz ins Bild drängt, und ich dachte, na, der wird wohl noch wichtig werden, und das wird er auch; auch hier wieder Handwerk vom Feinsten, denn schon Hitchcock Tschechow (danke an Klaus für den Hinweis) wusste, wenn du im ersten Akt ein Gewehr zeigst, muss es im letzten Akt losgehen. Ich mochte es sehr, dass mich der Film nie für blöd erklärte oder mit Effekten und Schnitten verwirren wollte. Alles musste so kommen, wie es kommen muss, und ich habe es trotzdem überhaupt nicht vorausgesehen. Wohl auch, weil ich immer damit beschäftigt war, damit klarzukommen, dass wir im Weltall sind.

Und das ist es, glaube ich, was mich an Gravity so fasziniert hat. Die Story ist wirklich winzig, es gibt nur zwei Figuren im Film, die ein Gesicht und eine Stimme haben, und ja, im Prinzip lebt der Film von seinen Bildern. Aber, ganz großes Aber: Sein Setting macht alles eine bis hundert Nummern größer. Es gibt keine größere Bühne als den Weltraum und keine, die den Menschen so winzig aussehen lässt. Und genau gegen diese Winzigkeit, diese Unwichtigkeit, diese Ausweglosigkeit, sowohl an ihrem derzeitigen Ort als auch in ihrem Inneren, stemmt sich Stone, und das ist 90 Minuten lang schlicht atemberaubend.