Tagebuch Montag, 18. Januar 2021 – Anhang 2

Ich wachte um 4.40 Uhr auf, ging auf die Toilette, hoffte bis 6 Uhr noch darauf, wieder einschlafen zu können, gab es dann aber auf und begann latent nölig und übermüdet meinen Tag.

Der bestand hauptsächlich darin, meinen Anhang 2 in der Diss zu überarbeiten. Bisher ist die Dissertation – sehr vereinfacht ausgedrückt – eine chronologische Abfolge von Ausstellungen und Verkäufen. An diese dockte ich immer noch Metaebene dran, aber das ist es im Prinzip. Das wurde in den Gutachten als „bürokratisch“ und „pedantisch“ umschrieben, immer liebevoll abgeschwächt – „ist trotzdem super“ –, aber, wie ich mir nun mit einem halben Jahr Abstand zum Werk eingestehen muss, leider korrekt. Daher war das mein Hauptanliegen: diese pedantische Ordnung aufzubrechen.

Der Anhang 2 ist mir erst kurz vor der Abgabe eingefallen. In ihm sind alle Ausstellungen mit den gezeigten Werken aufgeführt, die mehrfach gezeigten sind gefettet, so dass man sofort sehen kann, welche Werke Protzen selbst am wichtigsten waren. Eine dieser Erkenntnisse, auf der ich auch im Text rumreite: Das von ihm heute auf jeder NS-Wanderausstellung gezeigte „Straßen des Führers“ wurde gerade ein einziges Mal in der Zeit des „Dritten Reichs“ gezeigt, nämlich auf der GDK 1940 und dort auch erst als Nachhängung, also nicht gleich von Beginn der Ausstellung an. Die GDK dauerten anfangs von Juli bis Oktober des jeweiligen Jahres, von 1941 bis 1944 hieß es im Katalog „bis auf weiteres“, aber schon seit 1939 liefen die Schauen bis ins nächste Jahr; die GDK 1939 dauerte bis Februar 1940. Die letzte Verkaufsbescheinigung der GDK 1944, die ich in den Akten fand, wurde am 24. April 1945 ausgestellt.

„Straßen des Führers“ wurde vermutlich im Oktober 1940 gehängt und laut Werkverzeichnis im Dezember an die Reichskanzlei verkauft. Es gelangte aber nie nach Berlin, sondern wurde in den Depots des Hauses der Deutschen Kunst aufbewahrt, laut der Archivalien bis zum 28. Oktober 1943, als es in Altaussee in Österreich eingelagert wurde, um vor den Bombenangriffen der Alliierten geschützt zu sein. (Das ist für meinen Kopf immer seltsam nachzuvollziehen, dass die Ankäufe der NS-Machthaber in ähnlichen Stollen rumlagen wie die aus ganz Europa zusammengestohlenen Kunstschätze, die einen deutlich höheren kunsthistorischen Wert hatten und haben.) Der Mittelteil von „Straßen des Führers“ (es ist ein Triptychon und nur der Mittelteil wurde ausgestellt) wurde zunächst in Salzburg registriert; am 8. November 1946 findet sich das Werk auf einer Bestandsliste der United States Forces Austria. Es wurde am 20. November 1946 unter der Mü-Nr. 40499 Salzburg 112 registriert. Am 1. April 1949 wurde das Werk an den bayerischen Staat übergeben und gehört heute dem Deutschen Historischen Museum in Berlin. Die „Mü-Nr.“ ist die Münchner Nummerierung der im Central Collecting Point eingelieferten Werke, hier steht auf S. 4 dazu etwas mehr.

Oh, ich bin etwas abgeschweift. Ich finde das immer noch alles sehr spannend, da müsst ihr jetzt durch.

So, Anhang 2. In dem waren wie gesagt bisher nur die Ausstellungen und die Werke verzeichnet. Um vorne im Textteil haufenweise Absätze zu sparen, legte ich eine neue Spalte an und und verzeichnete dort gestern meine Quellen. Denn das war eine meiner selbstgestellten Hauptaufgaben gewesen: erstmal rauszufinden, wann und wo der Herr überhaupt was gezeigt hatte. Dafür las ich hunderte von alten Lokalnachrichten durch, um anhand der Rezensionen Rückschlüsse auf die Werke ziehen zu können, wo es keinen arbeitsarmen Katalog gab, in dem ich einfach die Titel nachschauen konnte – wenn ich denn wusste, wo Protzen überhaupt was gezeigt hatte. Dafür las ich sein Werkverzeichnis sehr aufmerksam durch.

Manchmal waren die Werke aus den Rezensionen nicht eindeutig zu bestimmen – bei Angaben wie „dunkeltonige Landschaften“ konnte ich nur raten. Diese Denkprozesse verkürzte ich und trug sie ebenfalls in die Tabelle ein. Das dauerte, wie ich selbst überrascht feststellen musste, den ganzen Tag. F. riet mir ab Mittags zu einem Schläfchen, aber ich wollte das fertigkriegen, was ich auch tat.

Zum Mittag gab’s eine Restekartoffel von der Date Night, dazu warf ich eine Mohrrübe, eine Zwiebel, eine Paprika und den Rest Speck, der noch im Kühlschrank war, in die Pfanne. Sport waren gestern die Bauchmuskelübungen, die ich inzwischen nicht mehr ganz so mache, wie das Programm es möchte. Das Schöne an diesem Anfängerinnending ist, dass die Ãœbungen aufeinander aufbauen: Wir machen also nicht gleich die knallharte Plank am Boden, wo man sich bis eben vielleicht überhaupt nicht bewegt hatte, sondern in den ersten Einheiten nahmen wir dazu einen Stuhl zu Hilfe. Genau wie bei Liegestützen oder ähnlichem. Das habe ich beim ersten Durchgang auch brav gemacht, anders hätte ich das auch gar nicht hingekriegt, ich Couchkartoffel, aber jetzt, wo ich das Programm schon einmal ganz durchgeturnt hatte, ließ ich die Zwischenschritte weg und erledigte alles in der Version der Ãœbungen, die eigentlich erst am Schluss kamen. Das strengte dann auch deutlich mehr an, aber ich konnte alles mitturnen, was mich sehr freute.

Danach war ich total aufgewärmt zum Putzen, denn heute werden die Heizungen und die Rauchmelder abgelesen – meine FFP2-Maske liegt bereit –, und deswegen war gestern das traditionelle Entstauben der Heizkörperrippen dran, das ich genau einmal im Jahr erledige.

Gestern in den Storys von DefunctFashion gesehen und gleich ergoogelt, hier die Bildquelle.

I Recommend Eating Chips

Ein wunderbarer Artikel zum Thema … weiß ich gar nicht. Pandemie, Soul Food, Selbstbeobachtung. Das hat mir sehr gefallen, den gestern zu lesen.

„Oh, hello, nice to see you, have a seat — let’s stress-eat some chips together. Let’s turn ourselves, briefly, into dusty-​fingered junk-food receptacles. This will force us to stop looking, for a few minutes, at the bramble of tabs we’ve had open on our internet browsers for all these awful months: the articles we’ve been too frazzled to read about the TV shows we’ve been meaning to watch; the useless products we keep almost impulse-​buying; the sports highlights and classic films that we digest in 12-second bursts every four days; that little cartoon diagram of how to best lay out your fruit orchards in Animal Crossing. Eating these chips will rescue us, above all, from the very worst things on our screens, the cursed news of the outside world — escalating numbers, civic decay, gangs of elderly men behaving like children.

Please, sit down. I’ve got a whole bag of Cool Ranch Doritos here: electric blue, plump as a winter seed, bursting with imminent joy. I found it up in the cupboard over the fridge, where by some miracle my family had yet to discover it — it had slipped sideways behind the protein powder, back near the leftover Halloween candy — so now I’m sitting here all alone at the kitchen counter, about to sail off into the salty seas of decadent gluttony. The next few minutes of my life, at least, are going to be great.“

Ich mochte die subtile Anspielung auf die plums in the icebox sehr.

„Join me. Grab whatever you’ve got. Open the bag. Pinch it on its crinkly edges and pull apart the seams. Now we’re in business: We have broken the seal. The inside of the bag is silver and shining, a marvel of engineering — strong and flexible and reflective, like an astronaut suit. Lean in, inhale that unmistakable bouquet: toasted corn, dopamine, America, grief! […] These chemicals are transcendent, Proustian, as powerful as any drug: They trigger nodes of memory that stretch back years, decades, back to old Super Bowls and family reunions, back to the outside world that I am trying to forget. Another chip. Another chip. […]

For nearly a year now, many of us have been locked in a controlled environment, a closed lab of selfhood: the Quarantine Institute of Applied Subjectivity. Our homes have become biodomes designed to study the fragile ecosystems of Us. All our neuroses and addictions and habits are under the microscope. Willpower, productivity, resilience, despair. We have turned into scientists of ourselves. And so I watch myself eating chips.“

Ich würde den gerne komplett zitieren, er ist so toll.