Fehlfarben 25: Die Fäden der Moderne / Innenleben

Felix und Florian meinten nach der Aufnahme, dass sie sich alle Kalauer verkniffen hätten. Dann haue ich die jetzt raus: „Willkommen zum Inneneinrichtungspodast Fehlfarben. Bitte verlieren Sie nicht den Faden!“


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00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.00:45. Blindverkostung Wein 1. Heute haben wir drei hundertprozentige Monastrells im Glas, die uns alle schon vom Duft betrunken machen.

00.03:30. Die erste Ausstellung: Die Fäden der Moderne in der Hypo-Kunsthalle. In der Ausstellung gibt es Wandteppiche und ein paar ausgesuchte Möbel mit gewebten Polstern zu sehen, was sich erstmal total langweilig anhört. Überraschung: ist es aber nicht, ganz im Gegenteil.

Ich hatte das Pech, bei meinem Besuch anfangs zwischen zwei Führungen zerrieben zu werden: Als ich reinkam, war gerade im ersten Raum ein leutseliger älterer Herr, der eine ebenso leutselige Gruppe herumführte. Das war nicht so richtig Frontalunterricht, mehr ein lustiger Dialog, wie man ihn bei Kegelgruppen in Fernreisezügen antrifft; es hätte mich nicht gewundert, wenn ein paar Kleine Feiglinge rumgegangen wären. Der Bilderklärer meinte auch jedesmal, wenn ich ihn wieder im Ohr hatte, dass er ein bisschen leiser sprechen müsse, sonst würde sich wieder jemand beschweren. ZU RECHT, HASE!

Ich ging also zuerst in den zweiten Raum, staunte sehr, dann in den dritten, staunte noch mehr, und dann hatten die Redseligen mich eingeholt, weswegen ich wieder in den ersten Raum ging. Dort wartete allerdings schon die zweite Führung, die immerhin leiser und deutlich kunsthistorischer war. Trotzdem konnte ich mich weder auf Wandtexte noch auf die Teppiche konzentrieren, war kurz davor, einen Kaffee trinken zu gehen und 30 Minuten später wiederzukommen, war dann aber bockig. Lerneffekt für den nächsten Ausstellungsbesuch: Noise-Cancelling-Kopfhörer einstecken!

Die Ausstellung hatte mich eh schon im ersten Raum. Neben einigen Stücken in älterem Design hing dort ein Teppich, der in der Zeit zwischen 2005 und 2015 hergestellt wurde. Ich weiß leider nicht mehr, ob das die Webzeit war oder Entwurfszeitpunkt und Ende der Arbeiten, aber schon das konnte mir klarmachen, wie irre lange es dauerte, ein derartiges Stück anzufertigen. Der Teppich von Michel Aubry zeigte den Hartmannswillerkopf im Elsass, eins der Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs – teils als gewebte, grüngelbliche Satellitenaufsicht, teils als wieder nutzbare Fläche in blau, teils als immer noch zerstörtes Erdreich in rot. Das fand ich sehr spannend: ein politisches, immer noch aktuelles Thema mit einer derart alten Kunsttechnik darzustellen.

In Raum 3 hing ein Zyklus von Jean Lurçat, der die vier Jahreszeiten abbildete. Die Entwürfe stammten von 1940, und gerade im Kontrast mit dem detailreichen Jugendstil im Raum vorher, erstaunte mich hier die Schlichtheit der Darstellung. Dort blieb ich ewig sitzen, bis die Rentner an mir vorbeiwaren. Die andere Führung rückte nicht nach, also besichtigte ich im Schnelldurchgang den nächsten Raum, der ausgerechnet Nazikram zeigte, übersprang dann einen kompletten Raum und hatte danach endlich Ruhe.

Der Nazikram stammte von Werner Peiner, der zwei seiner Entwürfe als Wandteppich für Görings Carinhall ausführen ließ. Die Teppiche in der Ausstellung stammen alle aus der vom französischen Staat geförderten Pariser Manufacture des Gobelins. Im besetzten Frankreich arbeitete sie notgedrungen auch für deutsche Auftraggeber, ließ die Protzteppiche aber liegen, sobald die Deutschen wieder wegwaren. Ich erwähne im Podcast, dass Peiner nicht immer ganz so grobschlächtig malte, ohne damit eine Lanze für seine Kunst brechen zu wollen. In der German Art Gallery kann man unter anderem sein Bild „Deutsche Erde“ in Farbe sehen, das zu seinen bekanntesten gehört. Dort sind auch die beiden Wandteppiche zu sehen, die jetzt gerade in München sind.

Wie gesagt, über den Raum danach kann ich nichts sagen; im Podcast wird aber dankenswerterweise ein Matisse erwähnt, der dort hängt. Aber danach kam eh der tollste Raum, denn der war mal richtig groß. Endlich hatte man Platz, ein paar Meter zurückzugehen, denn die großformatigen Tapisserien wirken natürlich auch, wenn man zehn Meter weit weg steht. Hier verliebte ich mich in Miró, mit dem ich auf Papier oder Leinwand überhaupt nichts anfangen kann, entdeckte Le Corbusier neu, den ich bisher nur als Architekten auf dem Schirm hatte, und war begeistert von einem Werk Légers. Ich kam im Podcast gar nicht dazu, es zu beschreiben, weil wir so irre viel zu sagen hatten.

Der zweittollste Raum zeigte dann unter anderem ein Werk von Alicia Penalba, die mir vorher kein Begriff war. Was für ein Versäumnis! Von der Dame muss ich jetzt alles durchblättern, was bei uns im Zentralinstitut für Kunstgeschichte rumsteht. Ihr Teppich war ein Triptychon, bei dem schwarze, grob gewebte Stoffbahnen verknautscht und gewellt und gleichzeitig zackig von drei beigefarbenen Leinwänden in den Raum ragten. Das gefiel mir auch deshalb so gut, weil es das alte Format der Teppiche – einmal an der Wand lang – erweiterte. Der Wandtext wusste aber zu berichten, dass die Gobelin-Manufaktur diese Idee nicht so super fand, sie arbeitete lieber weiter traditionell. Mpf. Auch die weiteren Werke in diesem Raum von Eduardo Chillida und Louise Bourgeois, die ich beide sehr mag, gefielen mir gut.

00.38:20. Wir nippen an Wein 2.

00.52:45. Fazit der ersten Ausstellung: Alle begeistert, bitte reingehen, läuft noch bis zum 8. März. Montag ist in der Kunsthalle übrigens der Tag, wo der Eintritt etwas günstiger ist.

00.55:25. Und gleich noch Wein 3 hinterher, nach dem wir spontan und verfrüht Wein 1 zum klaren Sieger am Tisch erklärten. Wein 2 und 3 waren nett, Wein 1 war großartig. Und wie Flo und ich schon vermutet hatten, logischerweise auch der teuerste.

00.58:35. Die zweite Ausstellung: Innenleben im Haus der Kunst. Die Schau versammelt vier Künstlerinnen unter einem etwas beliebig hingedengelten Thema, aber das war uns irgendwann egal, denn uns gefiel alles, was wir sahen.

Wir huschen etwas stiefmütterlich über Leonor Antunes hinweg – ihr erstes Werk ist schon im Treppenhaus nach oben zu sehen, an dem sowohl Flo als auch ich blind vorbeilatschten.

Dann befassen wir uns etwas länger mit Njideka Akunyili Crosby, die in Nigeria geboren wurde und nun in den USA lebt. Von diesem Gegensatz handeln auch ihre großformatigen Gemälde auf Papier. Sie zeigen fast ausnahmslos Menschen, alleine oder in Gesellschaft, die sich mit diesen zwei Welten auseinandersetzen müssen. Ich brachte noch die Ebene der Hautfarbe ins Gespräch und beschrieb vor allem das Werk „Something split and new“ (2013), das für mich der Schlüssel zu allen anderen Bildern war. Erst nach der Aufnahme erinnerte ich mich daran, dass ich eigentlich noch „I still face you“ als Teil eines Triptychons als Gegensatz hatte beschreiben wollen. In „Something split and new“ hatte ich das Gefühl, dass der einzige weiße Mensch im Bild die Gesprächsführung an sich gerissen habe, während er in „I still face you“ eher hilflos suchend umherschaut. Felix interpretierte das erste Werk anders; er sah auch dort eher eine unsichere Minderheit, die von der Mehrheit beäugt wird – die hier, anders als für uns weiße Deutsche gewohnt, aus schwarzen Menschen besteht. Hey, Idee: Geht doch einfach mal rein und überprüft das für uns.

Der zweite große Raum gehört Henrike Naumann, die Felix und ich gerade in Wien gesehen hatten. Sie arbeitet mit Möbeln, die eine Geschichte erzählen. Ruinenwert (2019 für das Haus der Kunst angefertigt) stellt Hitlers Räume auf dem Berghof am Obersalzberg nach, vermischt dortige architektonische Gegebenheiten unter anderem mit Möbeln aus der Münchner Kunsthandwerksausstellung von 1937, deren Katalog ich lustigerweise gerade erst vor ein paar Wochen in der Hand hatte. Diese Möbel werden kombiniert mit Möbeln aus den 1990er Jahren, mit denen Naumann an die Nachwendezeit erinnert. In ihren Arbeiten geht es um das Wiedererstarken der Neuen Rechten, um die ungebrochene Faszination mit dem Nationalsozialismus und um den Umgang mit diesen Relikten. Den Titel Ruinenwert fand ich daher sehr spannend. Ihm liegt die sogenannte Ruinenwerttheorie zugrunde, die sich Albert Speer nach 1945 einfach mal ausdachte und die jahrzehntelang unhinterfragt weiter kolportiert wurde. Nach ihr sollten NS-Bauten selbst im verfallenen Zustand noch deutlich erkennbar sein. Ich zitiere im Podcast die sehr lesenswerte Speer-Biografie von Magnus Brechtken (S. 543, falls ihr mitlesen wollt).

Zum Werk Naumanns gaben wir alle zu, dass man ohne den Wandtext doch vermutlich eher aufgeschmissen ist, falls man mit ihrer Arbeit nicht vertraut ist. Vielleicht lohnt sich hier auch der Audioguide – den haben wir alle nicht benutzt, aber falls ihr reingeht, könnte der hilfreich sein.

Die letzte Künstlerin Adriana Varejão nutzt das Motiv der Wandfliesen, um sich mit der Kolonialgeschichte Brasiliens auseinanderzusetzen. Das war mir manchmal ein bisschen zu weit hergeholt, aber ich mochte die Ästhetik der gemalten Fliesen sehr gern. Auch die, bei denen blutiges Fleisch (aus Acryl, keine Bange) unter der eleganten weißen Oberfläche hervorkommt.

01.41:00. Fazit der zweiten Ausstellung: auch hier alle Daumen hoch, läuft noch bis zum 29. März. Wenn man sich die großen Säle spart und nur in diese Ausstellung geht, kostet sie nur 8 Euro (6 Euro ermäßigt).

Wir lösen die Weine auf:

Wein 1 von Felix: Weingut Enrique Mendoza, Estrecho, Monastrell 2016, 14%, für 24,90 Euro bei vinos.de.

Wein 2 von mir: Weingut De Moya, Gloria, Monastrell 2016, 14%, für 9,50 Euro bei belvini.de.

Wein 3 von Florian: Weingut Enrique Mendoza, La Tremenda, Monastrell 2017, 14%, für 9,95 Euro bei vinos.de.