Was schön war, Donnerstag/Freitag, 22./23. August 2019 – Rumgucken in Ramersdorf

Donnerstag saß ich mal wieder im Stadtarchiv, wohin ich mir weitere Akten zur Mustersiedlung Ramersdorf hatte ausheben lassen, weil ich immer noch nach einem anderen Beleg für Protzens Fresken als nur seine eigenen Fotos im Nachlass suche (denn wir wissen ja: zwei Quellen sind besser als eine). Der Aufsatz, den er für den Baumeister im Dezember 1934 geschrieben hatte, war mit einem Fresko von Albert Burkart illustriert gewesen (ich schrieb darüber), daher gehe ich davon aus, dass sein Fresko zu dieser Zeit vielleicht noch nicht fertig gewesen war. Andererseits sehen seine Bilder jetzt nicht so aus, als hätte er im Novemberregen oder Dezemberschnee auf dem Gerüst gestanden.

Aus den Beständen des Archivs erhoffte ich mir Auftragsbestätigungen oder wenigstens fotografische Belege, dass seine Fresken in Ramersdorf zu sehen waren. Also blätterte ich 500 Fotos durch, die vermutlich kurz vor oder nach der Eröffnung der Siedlung gemacht wurden, also im Juni 1934. 500 Fotos – kein Fresko. Als gar keins, auch nicht das von Burkart, nur lauter weiße Wände. Hm. Da die Siedlungshäuser alle zum Verkauf standen, gehe ich jetzt davon aus, dass die Fresken Auftragsarbeiten von den neuen Besitzern waren. So irre, jetzt nachzugucken, wer die ersten Häuser gekauft hat und ob jemand davon mir in Protzens Umfeld schon mal aufgefallen ist, bin ich aber auch (noch) nicht.

Dann versank ich noch kurz in einem riesigen Konvolut, das ich mir auf Verdacht hatte ausheben lassen: Oberbürgermeister Fiehler wollte 1934 eine Broschüre „München baut auf“ veröffentlichen und bat daher diverse Ämter um Unterlagen, um zu belegen, wie erfolgreich die nationalsozialistische Politik gewesen war. Das Buch erschien 1937, ich habe noch nicht reingeguckt, aber über Ramersdorf dürfte nur eventuell was zu finden sein; in den Akten, die ich hatte, wurde es kaum erwähnt. Dafür verlor ich mich kurz und sinnlos, aber gut unterhalten, in der Wasserbewirtschaftung der Jahre 1933 und 1934. Wenn es da ist, les ich’s durch. (If you build it, they will come.)

Mein Mini-Sieg aus dieser Archivsitzung war also nur: Vermutlich sind die Fresken nach Juni 1934 und vor Dezember 1934 entstanden, aber das war’s dann auch mit meinen Erkenntnissen.

Gestern morgen musste ich zu meiner Hausärztin, bummelte danach wieder zum Sendlinger Tor, hatte laut Mailcheck auf dem iPhone jobmäßig nichts zu tun und dachte daher spontan, fährste doch einfach mal nach Ramersdorf raus. Sechs Stationen mit der U2 und eine kurze Busfahrt später stand ich an der Kirche, die mir schon von diversen Fotos bekannt war und deren Lage ich im Bezug zur Siedlung auch kannte. Weil ich aber ich bin, rannte ich trotzdem erstmal in die falsche Himmelsrichtung, bis ich bei Google Maps nachschaute.

Zehn Minuten später schlenderte ich durch Ramersdorf und guckte. Und guckte. Und guckte. Und wartete immer darauf, dass mich irgendjemand ansprechen würde, was mir denn einfiele, so offensiv über Zäune und durch Hecken durchzugucken. Die Bäume sind seit 1934 aber auch echt gewachsen, Natur, du Feind der Kunstgeschichte! Einige Häuser sahen sehr renoviert oder sogar nach Neubauten aus, obwohl das Ensemble insgesamt inzwischen unter Denkmalschutz steht, ich glaube, seit den 1970er Jahren schon. Aber vermutlich sind Protzens Fresken schon vorher überstrichen oder abgeschlagen worden oder unter Efeu verschwunden oder ich habe sie schlicht nicht entdecken können, weil sie nicht von der Straßenseite aus einsichtig sind. Im Nachlass sind keine Straßennamen angegeben, bei denen ich direkt hätte gucken können, also bummelte ich fast zwei Stunden durch die Siedlung. Irgendwann sprach mich wirklich jemand an, wen oder was ich denn suche, ich erklärte, der Herr wies mich auf zwei andere Fresken in seiner Straße hin, eins davon hatte ich auch schon fotografiert, man weiß ja nie, vielleicht war da mal ein Protzen drunter (Adresse unkenntlich gemacht), aber zuhause, nach der nochmaligen Durchsicht der Bilder, glaube ich, dass die Lage des Bildes nicht zu einem der Häuser passt, die mir bekannt sind.

Die Bilder, die ich ihm beschrieb, kannte der Herr auch nicht: „Ein Mann, eine Frau, ein dickes Kind, ein frisch gepflanztes Apfelbäumchen? Ein Heuwagen? Skifahrende Menschen? Ein Paar, das Äpfel erntet? Nein? Hmpf.“

So bummelte ich sinnlos weiter, fand die Siedlung aber überraschend angenehm als Wohnviertel – und grinste innerlich über die vielen angebauten Garagen. Darüber gab es auch Schriftwechsel im Stadtarchiv: Bei der Anlage der Siedlung war, soweit ich mich erinnere, nur eine Art Sammel-Carport vorgesehen, einfach weil noch nicht so viele Menschen ein Kraftfahrzeug besaßen. Das änderte sich recht schnell, auch durch Entwicklungen wie den KdF-Wagen, so dass auch in Ramersdorf Menschen plötzlich Garagen wollten. Zunächst wurden diese Bauanfragen alle negativ beschieden – „das Ensemble! die armen Architekten!“ –, aber irgendwann durfte dann doch ein bisschen gebaut werden. Es gibt immer noch Häuser, die keine Garagen habe, zum Beispiel die Reihenhäuser, aber die freistehenden Einfamilienhäuser sind vielfach auch deshalb nicht mehr gut von der Straße aus einzusehen, weil, genau, eine blöde Garage vor ihnen steht. Garage, du Feind der Kunstgeschichte!

Ein einziges Haus fiel aus der gut gepflegten Ecke Münchens raus, das sah so aus, als gammelte es seit zehn Jahren unbewohnt vor sich hin. Oder als ob jemand darin da seit zehn Jahren vor sich hingammelt OMG. Das wunderte mich schon, dass es noch vor sich hinrottende Immobilien gibt in einer Stadt, in der gefühlt jeder eine Wohnung sucht. Ich würde das nehmen! Eine Busstation und sechs mit der U2 bis zur Innenstadt – count me in!

Kurz vor Schluss fand ich immerhin noch ein Fresko, das ich kannte, nämlich genau das von Burkart, mit dem Protzens Baumeister-Artikel bebildert gewesen war, seufz. Das war die beste Perspektive, die ich finden konnte:

Und so sah das 1934 aus (Screenshot aus dem Baumeister 12 (1934), Beilage, S. B 157):

Nix gefunden also. Aber immerhin an der frischen Luft gewesen, wie meine Oma immer so schön sagte. Ein bisschen nölig wieder nach Hause gefahren. Ich lege Ramersdorf jetzt vorerst zu den Akten. Und irgendwann werfe ich jedem Einwohner der Siedlung einen Brief in den Kasten: „KENNEN SIE DIESES HAUS? HABEN SIE DIESES BILD SCHON MAL GESEHEN? RUFEN SIE MICH AN!“