Paris, jour 4

Leichte Ermüdungserscheinungen. Ich hab den Vormittag mit Thomas Mann im Bett verbracht, während le Kerl shoppen gegangen ist. Ich habe mich deppigerweise erst auf den Weg gemacht, als es draußen so richtig schön heiß war. Zunächst nochmal ins Musée de la Mode et du Textile, um mir endlich die Klamotten aus vielen Jahrhunderten anzugucken. Diesmal bin die richtige Treppe raufgegangen, aber: Die ganzen zwei Stockwerke waren voll mit Modellen von Jean Paul Gaultier. Gegen dessen Mode hab ich gar nichts, aber dummerweise waren es alles Kostüme aus diversen Filmen, Opern, Ballettaufführungen, die Herr Gaultier ausgestattet hatte. Also auch keine richtige Retrospektive, mehr ein künstlerisches Schaulaufen, das, wenn ich ehrlich bin, nach zehn Schaufensterpuppen nicht mehr viel Neues zu bieten hatte.

Immerhin gab’s im gleichen Gebäude noch die Galerie de bijoux, in der Hauptsponsor Rolex hunderte von Schmuckstücken von damals bis heute in elegant abgedunkelten Räumen präsentierte. Und: Die Räume waren auf knackige 15 Grad runtergekühlt. Die Spangen, Knöpfe und Broschen aus dem 18. Jahrhundert waren durchaus faszinierend anzusehen, aber mich hat das moderne Schmuckdesign doch mehr begeistert. Wie vorgestern bei den Stühlen und Schränken fand ich die 50er und 60er Jahre äußerst attraktiv. Und die Ausstellung bezog auch „neue“ Materialien wie Strass oder Plastik mit ein – und zeigte grandiose Stücke, die kein bisschen billig aussahen. Eine Designerin hab ich mir gemerkt: Viviana Torun Bülow-Hübe, eine schwedische Silberschmiedin, deren Zeug mir ausnehmend gut gefallen hat. (Hier mein Lieblingsstück von ihr.)

Danach bin ich ein bisschen durch die Tuilerien geschlendert, gaaaanz langsam und entspannt, weil ich mich nicht entscheiden konnte, wo ich als nächstes hinwollte. Picasso-Museum? Rodin-Museum? Centre Pompidou? Oder doch in den Louvre? Hm. Schließlich habe ich mich in die 1 nach Châtelet gesetzt und bin zur Notre Dame gegangen. Auf dem Weg durch die ewig langen Metroschächte bin ich der bisher größten Musikertruppe begegnet. Wie auch in London sind hier weitaus bessere Musiker beschäftigt als ich sie aus deutschen Bahnhöfen kenne, wo nur rumänische Kinder das Akkordeon ihres Onkels quälen. Hier habe ich bereits eine Harfinistin (!) gesehen, einen Vibraphonspieler – und heute war es eine ganze Rotte von, glaube ich, Russen. Zehn bis zwölf Kerle mit Geigen, Bratschen, Celli, Kontrabässen, Tambourinen und einem ausgefeilten Chorsatz von mindestens fünf Stimmen, die richtig gute Musik gemacht haben. Da standen dann auch konsequenterweise ein paar Leute rum und haben zugehört, anstatt wie sonst schnellstmöglich an den Muckern vorbeizueilen.

Als ich aus der Metro geklettert kam, bin ich davon ausgegangen, die Notre Dame schon sehen zu können; ist ja groß genug, das Teil. Und tiefschwarz, wenn ich mich richtig an das letzte Mal erinnere. Pustekuchen. Erstens bin ich in die falsche Richtung gelaufen, bis mir einfiel, dass ich dringend die Seine überqueren müsse (Ile de la cité, gell, Gröner? Ile!). Am anderen Ufer bin ich in die Schlange vorm Palais de Justice geraten, bei dem ich zuerst dachte, die Leute wollten alle neue Pässe, aber ich glaube, sie standen doch eher an der Conciergerie an, um sich Marie Antoinettes Gefängniszelle anzusehen. War eigentlich auch halb auf meinem Plan, aber nach dem Menschenauflauf lasse ich das mal.

Notre Dame war dann ebenfalls komplett überlaufen. Während sich die Tourimassen am Louvre irgendwie verteilt haben, standen hier einfach alle strunzdumm davor. Grüppchen mit gleichfarbigen Mützen, Reiseleiter, die wild mit Fähnchen und Schirmen wedelten, Reisebusse noch und nöcher. Ich stellte mich in die schnell kürzer werdende Schlange, las mit Interesse das Schild am Eingang (sinngemäß: hier Kirche, Fresse halten, Respekt zeigen, Handy aus), stellte erstaunt fest, dass es keinen Eintritt kostete (weswegen die Schlange auch so schnell kürzer wurde) und betrat die dunkle Kathedrale – wo mich zunächst ziemlich lautes Stimmengewirr empfing und dann Blitzlicht bzw. Fotohandys in allen Ecken. Soviel zum Thema „Fresse halten, Handy aus“. Ich bin durch die ganze Kirche gegangen und habe keine einzige Ecke gefunden, in der es auch nur halbwegs möglich war, ein bisschen zur Besinnung zu kommen und in Ruhe ein Gebet zu sprechen; überall wurde gequatscht und wie bescheuert fotografiert. Selbst beim Kerzenanzünden (Teelicht 2 Euro, Votivkerze 5) haben sich Leute noch unterhalten, anstatt wenigstens hier mal kurz zur Ruhe zu kommen.

Irgendwann hatte sich mein Wunsch nach ein bisschen Stille eh erledigt, denn auf einmal begann ein ziemlich gequältes Orgelspiel. Oder waren es nur Übungen? Oder nur mal die Tonleiter rauf und runter und wieder rauf und das möglichst langsam? Als ich hinter der Orgel langgegangen bin (nicht die große am Hauptportal, sondern eine kleinere am Altarraum), konnte ich sehen, wie der Organist einige Tasten ausprobierte, während sein Helferlein an der Rückseite der Orgel hier ein Türchen öffnete, dann da eins, hier an irgendwas zog, da irgendwas reinschob – und das ganze in fünf Meter Höhe. Und: nach vorne zum Altarraum war die Orgel bündig. Nach hinten schien sie nur auf Holzbrettern zu ruhen, die sich bereits merklich durchbogen. Das schien Helferlein aber nicht zu stören; er wuselte minutenlang geschäftig hin und her, während die belanglosen Töne aus der Orgel strömten und den letzten Rest Ruhe störten.

Die wunderschönen Rosettenfenster haben mich etwas versöhnt, aber im Großen und Ganzen fand ich das Erlebnis Notre Dame eher naja. Könnte auch daran gelegen haben, dass sich in den Stuhlreihen einige Leute befanden, bei denen ich mir dachte: Macht das doch bitte draußen. Eine Dame packte erstmal ihr Butterbrot aus, während ein asiatischer Tourist sich an eine Säule lehnte und ein Nickerchen machte.

Nebenbei: Die Notre Dame ist nicht schwarz. Nicht mehr. Ich habe irgendwo gelesen, dass die Franzosen eine Methode entwickelt haben, wie man den beigefarbenen Sandstein wieder von Zivilisationsdreck wie Autoabgasen etc. befreit. Bei Notre Dame hat das ziemlich eindrucksvoll geklappt: Sie sieht aus wie gestern hochgezogen. Damit ist sie allerdings in einer Reihe mit der Frauenkirche in Dresden, bei der mir das arg Playmobil-hafte ja auch schon etwas negativ aufgefallen ist.

Meine Getränkeflasche war noch nicht ganz leer und meine Füße noch nicht ganz müde, und so setzte ich mich nach einmal Umsteigen in die 6 Richtung Etoile, um in Bir-Hakeim wieder auszusteigen – und mir den Eiffelturm von unten anzugucken.

Ich klettere nicht gerne in luftige Höhen – ich mag es ja nicht einmal, beim Gardinenaufhängen auf einer Leiter zu stehen. Insofern muss ich nicht auf Türme, Hochhäuser und Aussichtsplattformen. Am Eiffelturm fasziniert mich eher die Bauweise, die auch nach über 100 Jahren, wie ich finde, absolut zeitlos aussieht. Vielleicht weil der Eiffelturm keinen wirklich Zweck hat; er ist kein Wohnhaus, kein Leuchtturm, keine militärische Einrichtung. Er steht einfach nur da und sieht gut aus. Ich hab mich auf eine Parkbank gesetzt, wo ich Spatzen dabei zugesehen habe, wie sie sich im Sand wälzen (Spatzen-Fata-Morgana? „Hey, hier, ne Riesenpfütze aus Apfelsaft!“) und amerikanischen Touristinnen, wie sie „Cheese“ sagen, während der Gatte ein Foto macht.

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