Paris, jour 3

Heute war wieder le Kerl für das Programm zuständig, und daher war Fußmarsch angesagt. Diesmal nicht zur Metro, sondern zur Tramway, oder wie ich sagen würde: Straßenbahn. Aber nur wenige Stationen, bevor wir in Cité Universitaire in die RER (Är-ö-Är) umgestiegen sind. Die RER unterscheidet sich von der Metro durch eine weitaus verwirrendere Ausschilderung und daran, dass sie an deutlich weniger Stationen hält. Das heißt, wenn man sie einmal gefunden hat, kommt man viel schneller voran und muss kürzer schwitzen.

Wir sind am Gare du Nord ausgestiegen, wo ich erstmal den neuen Spiegel erstanden habe und le Kerl irgendwelche Designzeitschriften. Damit bepackt haben wir unseren Fußmarsch in Richtung Les Halles begonnen. Der führte uns durch das 2. Arrondissement, arabisch aussehende Gassen und ins Textilviertel, das sich halbwegs mit dem Rotlichtbezirk deckt. Es stehen aber nur wenige Professionelle an den Straßen (die wenigen erkennt man allerdings auf 100 Meter Entfernung), und es ist nicht so unangenehm wie z.B. in Hamburg in der Nähe der Herbertstraße. In die Herbertstraße selbst sollte man als Frau ja eh nicht rein. Alles wirkt etwas runtergekommen und verwohnt; le Kerl meinte, das wäre charmant.

Was mir aufgefallen ist: Im Unterschied zu Deutschland, wo sich in Wohnvierteln gerade mal ein Penny-Markt verirrt und sonst nix, gibt es hier anscheinend keinen wirklichen Unterschied zwischen Wohnen, Arbeiten und Einkaufen. In jeder Straße gibt es Läden noch und nöcher. Teilweise winzige Schuster, Kioske, die nur drei Zeitschriften und zwei Getränkesorten haben, eine Nähstube, in deren Fenster afrikanische Stoffmuster ausliegen, die obligatorischen 17 Cafés, Bistros und Brasserien und direkt nebenan ein Multiplexkino und ein riesiger, neonbeleuchteter Supermarkt. Was le Kerl und mich natürlich verführt, an jeder Ecke Baguette zu kaufen, um mal zu testen, ob das wirklich anders (le Kerl: „viel besser!“) schmeckt als zuhause. Ich bin nicht unbedingt der Weißbrotexperte, aber ich behaupte auch, die Konsistenz ist anders. Etwas fester, nicht ganz so locker-weißmehlig. Wir essen uns weiterhin durch alle Supermärkte und Bäckereien in der Umgebung, und davon gibt’s genug.

Nach ungefähr einer halben Stunde hatten wir die Kirche Saint-Eustache in der Nähe von Les Halles erreicht, wo wir uns eine kurze Pause auf einem Mäuerchen gegönnt haben. Danach ging’s in das Gängegewirr von Les Halles, das ein riesiges Einkaufszentrum ist. Wir waren mal wieder bei FNAC shoppen: Ich habe Monsters, Inc., The Incredibles und Lilo & Stitch für jeweils 10 Euro gekauft plus ein neues Spiel für die Nintendo DS (Cooking Mama), le Kerl hat sich irgendwelche französischen TV-Legenden auf DVD gegönnt und einen Comic.

Danach haben wir uns in Les Halles in die Metro 1 nach La Défense gesetzt. Dort war ich beim letzten Paris-Besuch schon, aber in den gut zehn Jahren hat sich da doch ne Menge getan. Lauter silbrige und bläulich glänzende Hochhäuser – und natürlich La Grande Arche, zu dem eine weiße, breite Treppe hinaufführte, die jetzt, zur Mittagszeit, von dutzenden Büromenschen aus der Umgebung und ihren Lunchpaketen bevölkert war. Dazwischen wuselten die üblichen vielsprachigen Touristen und fotografierten, was das Zeug hielt. Mein Liebling war ein junger Mann, der sich nicht mal die Zeit nahm, um sich hinzusetzen und zu gucken oder den Blick bis zum Triumphbogen zu genießen. Stattdessen positionierte er seine Kamera so, dass er selbst noch schnell ins Foto springen konnte, bevor der Selbstauslöser klick machte. Nachdem er zehn Minuten für dreimal klick gebraucht hatte, steckte er die Kamera wieder in den Rucksack und ging schnellen Schrittes wieder zur Metro. Keinen Blick für den Bogen, für den Platz, für den Ausblick – Hautpsache, man war da und kann’s beweisen.

Unsereins hat noch ein bisschen länger auf den Stufen rumgelungert, weil le Kerl netterweise ein paar Getränke organisieren wollte, bevor wir uns auf den absichtlich verlängerten Heimweg machen wollten. Wir hätten mit einmal umsteigen mit der Metro fahren können und wären in einer halben Stunde zuhause gewesen. Stattdessen haben wir uns für eine weitere Fahrt mit der Tramway entschieden, die zwar länger braucht (und wir mussten ebenfalls einmal umsteigen), aber sie fährt fast komplett oberirdisch, so dass man ein bisschen was zu Gucken hat. Also in die T2 nach Issy – Val de Saine. Während die Bahn durch die Mittelstandsvororte bummelte, habe ich feststellen dürfen, dass Paris ganz schön bergig ist. Irgendwann verläuft die Strecke paralell zur Seine und man kann quasi von außen auf die Stadt gucken und sich nicht mehr wie ein Tourist, sondern wie ein Pendler fühlen.

In Val de Saine brauchten wir nur anderthalb Minuten Fußmarsch bis zur T3, die vom Pont du Garigliano abfuhr. Theoretisch jedenfalls. Als wir in den Wagen einstiegen, leuchtete schon ein Schild, das die nächste Abfahrt in 20 Minuten ankündigte. Was ein bisschen viel war. Laut Durchsage, die mir le Kerl freundlicherweise übersetzte, streikten die Fahrer der Linie 3, und daher gab es viel weniger Züge als sonst. Als ich das Wort „Ersatzverkehr“ erwähnte, hat sich le Kerl kaum eingekriegt vor Lachen. Also haben wir unsere am Gare du Nord erworbene Lektüre gezückt und ne Runde gelesen, bevor die Tramway sich dann irgendwann auch in Gang setzte.

Nach ungefähr anderthalb Stunden waren wir dann zuhause und sind jetzt geduscht und gesättigt (Pistazienjogurt, baby). Ich habe Alles über Paris von Herrn Wickert ausgelesen und bin darob auch sehr froh, denn der alte Schwerenöter ist sich für Sätze wie die folgenden leider nicht zu schade:

„Keine Metropole erweckt am Morgen solche Gefühle des Glücks, wie dies Paris vermag, wenn der Duft der frischen Croissants aus den Bäckereien auf die Straße weht, wenn die geflochtenen Stühle der Bistro-Terrassen auf dem frisch abgesprühten Trottoir einladen, einen Café crème zu bestellen. Ja, am Morgen fließt die Seine noch glatt auf einen zu, wenn man über den Pont des Arts schlendert, dann bewegt sich das Wasser wie Muskeln unter der zarten Haut eines sich erwachend räkelnden jungen Mädchens.“

Deine wievielte Ehe ist das gerade, Ulli? Noch Fragen?

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