Paris, jour 5

Heute war wieder Kerl-Tag, der mir die Basilika Saint-Denis zeigen wollte. Dazu hätten wir mit einmal Umsteigen ewig Metro fahren müssen – oder mit einmal Umsteigen mehr zweimal RER und nur einmal Metro. Ich persönlich hab ja nichts gegen Lange-gefahren-werden, aber le Kerl mag nun einmal die RER so gerne, und so sind wir eben zweimal umgestiegen. Dabei bin ich mal wieder schön ins Schwitzen geraten und ich musste mein Urteil über die RER etwas revidieren: Mag sein, dass es schneller geht, aber der Luftzug aus der Metro hat mir doch arg gefehlt. Deswegen sind wir zurück auch gnadenlos nur Metro gefahren, was fast eine Stunde gedauert hat. Hin waren wir übrigens auch nicht schneller, weil das Umsteigen eben auch seine Zeit kostet, aber das Argument hat le Kerl nicht gelten lassen.

Die Basilika hat sich, im Gegensatz zu Notre Dame, dann auch wie eine angefühlt: Sie war recht leer und dementsprechend ruhig. Das Besondere an Saint-Denis ist die Krypta, in der unzählige europäische Herrscher begraben liegen, darunter die Ludwigs von 13 bis 16. Oder immerhin ihre Überreste, die während der Revolution nicht gewaltsam umgebettet wurden, wie ich aus dem verlinkten Wikipedia-Eintrag erfahren habe.

Nach einem Bummel durch die Kirche sind wir in die modrig riechenden Räume hinabgestiegen. Dort roch es übrigens genauso wie im Keller meiner Großeltern. Wer weiß, was da hinter den Erdbeermarmeladegläsern rumgelungert hat. Hm. Die Krypta besteht aus mehreren Räumen und Gewölben, teilweise mit üppigen Marmorbüsten, teilweise mit einfach hineingestellten Holzsärgen, die mich doch etwas beunruhigt haben. Bei einer schicken Statue denke ich „Denkmal“, während ich bei einer Holzkiste stattdessen „Leiche“ denke. Und daran denke ich eben nicht gern.

Der letzte Raum der Krypta, bevor man wieder an die bessere Luft der Kirche darf, ist eher eine Höhle, die in den Fels hineingehauen wurde. Dort liegen quasi in chronologischer Reihenfolge diverse Gräber. Man guckt über mehrere Jahrhunderte hinweg – und das ist gleichzeitig ergreifend und unheimlich. Meine Gefühle widersprechen sich immer, wenn mir die unglaublich lange Zeit vor Augen geführt wird, die ich mir jetzt mal so eben im Urlaub angucke. Ich frage mich dann meist, wer hier, an dieser Stelle, an der ich jetzt stehe, schon gestanden haben mag. Das Gefühl war in den Königsgräbern in Ägypten genauso stark wie an der Klagemauer, und auch in der Basilika musste ich mal kurz ein bisschen innehalten und gucken und schweigen und denken.

Als Kontrastprogramm sind wir danach nach St. Germain gefahren, wo sich Touristen und Studenten der Sorbonne lustig mischen. Le Kerl hat mir seinen Lieblingscomicladen gezeigt, aus dem er mir vor ein paar Tagen schon ein Geschenk mitgebracht hatte: einen Dunny. Drei von den kleinen Kerlchen hatte ich dem großen Kerl mal zu Weihnachten geschenkt, und jetzt haben sie endlich ein Geschwisterchen gekriegt. Da ich aber mit meinem einen Dunny nicht hinter den dreien von le Kerl zurückstehen wollte, hab ich mir selber auch noch welche gekauft. Das dumme an den Teilen ist, dass sie nur als blind assortment verkauft werden – man weiß also nie, welches Plastikmonster sich in dem kleinen Karton versteckt. Ich hatte Glück und habe einen von denen gekriegt, die ich wirklich gerne haben wollte. Den hier:

Le Kerl wollte noch weiter shoppen gehen, während ich lieber nach Hause wollte (um die Dunnys auszupacken). Auf dem Weg zurück bin ich mal wieder in einem Starbucks eingekehrt. Bei den ersten Besuchen in französischen Läden oder Cafés war ich ja noch der freundliche Touri und habe immer brav gefragt: „Parlez-vous anglais? Ou allemand?“ Worauf ich immer ein ebenso braves, aber bestimmtes „Non“ zurückgekriegt habe. Inzwischen habe ich aber festgestellt, dass, wenn man einfach nicht brav fragt, sondern gleich auf englisch losquatscht, es komischerweise auch alle können – und nicht mal besonders zickig drauf reagieren. Wieder ein Vorurteil für die Tonne („Franzosen wollen gar keine andere Sprache sprechen!“). Inzwischen habe ich sogar das seltsame Singsang liebgewonnen, das der Franzos’ als Englisch bezeichnet, und meine neuen Lieblingsworte sind baladeur (Walkman), télécharger (herunterladen) und „Est-ce que vous êtes un ensemble?“, weil wir das schon zweimal gefragt worden sind – vorzugsweise bei FNAC an der Kasse, als die Kassentanten Schichtwechsel gemacht haben und uns netterweise noch beide bedient haben anstatt einen warten zu lassen. (Eher mich, weil ich immer le Kerl den Vortritt gelassen habe, um auf Fragen nach Kundenkarten oder ähnlichem vorbereitet zu sein und total professionell „Non“ antworten zu können.)

Manchmal vergesse ich aber noch, dass ich zwar schon prima ein paar Sachen auf französisch fragen, aber dummerweise mit den Antworten nichts anfangen kann. So wie vor ein paar Tagen, als ich in einem Bistro nach der Toilette gefragte habe – in Minimalfranzösisch: „Les toilettes, s’il vous plaît?“ – und auch eine bestimmt prima Antwort erhalten habe. Ich hab sie nur leider überhaupt nicht verstanden, worauf ich noch ein kleinlautes: „Where’s the bathroom, please?“ hinterherschieben musste, weil ich auch mit den Handzeichen nichts anfangen konnte.

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