Wochenrückblick 6. bis 13. Juli

Samstag, 6. Juli

Mit einer beglaubigten Kopie meines Abizeugnisses von 1989, einem zweiseitigen Personalfragebogen, in dem ich über meine Sprach- und Geschichtskenntnisse Auskunft gebe, und meinem Personalausweis stehe ich in der Schlange in der Schellingstraße 3, um zum Geschichtseignungstest anzutreten. Ich möchte gerne mein Nebenfach Musikwissenschaften ändern, aber wie so vieles an der LMU geht das nicht einfach so, sondern man muss erst mal über ein paar Hürden klettern. Das kenne ich ja schon von der Immatrikulation, rege mich also gar nicht groß auf, sondern setze mich in einen Hörsaal, beantworte gefühlt 6 von 10 Fragen aus 2000 Jahren Geschichte richtig und schreibe vor allem ein zweiseitiges Essay, das meine Studienwahl begründet. Unter anderem erwähne ich, dass ich schon einmal Geschichte studiert habe, dieses Studium aber abbrach und seitdem vor mich hin arbeite. Mein zweites Studium erlebe ich ganz anders und ich schreibe, dass meine guten bis sehr guten Noten im letzten Semester daher wahrscheinlich auch eher meine Motivation belegen als meine Französischnote von 1987, die eh nur geschätzt ist, weil nicht mal meine Eltern, die sonst alles archivieren, meine Zeugnisse aus der elften Klasse aufgehoben haben.

Laut der Berechnungsformel auf der Website müsste ich durchgefallen sein, aber ich hoffe, das Essay kann noch was rausreißen.

Sonntag, 7. Juli

Eigentlich wollten @probek und ich uns die Synagoge angucken. Das war eine Spontanidee, als wir Samstag abend im Stadtcafé gegenüber auf den Beginn von El Topo warteten und ich mich die ganze Zeit nicht von der tollen Fassade lösen konnte. Also stehen wir Sonntag morgen um halb elf am Museum nebenan und fragen, ob wir die öffentliche Führung noch mitmachen könnten. Können wir nicht, denn dafür muss man sich anmelden. Ich würde gerne sagen, dass ich das verstehen kann, aber ich will das nicht verstehen und ich will das nicht sagen. Es kotzt mich an, dass ich nicht mal eben so ein jüdisches Gotteshaus besichtigen kann so wie ich jede Kirche besichtigen kann. Es kotzt mich an, dass im Jahre 2013 vor der Synagoge in Hamburg ständig bewaffnete Polizei stehen muss und dort, genau wie in München, die Straße abgesperrt ist. Es kotzt mich an, dass man ins jüdische Museum nicht einfach reingehen kann, sondern man durch eine Panzerglasschleuse eingelassen wird, ähnlich wie im jüdischen Museum in Berlin, wo ich mich an Metalldetektoren erinnere und an Sicherheitsmaßnahmen wie am Flughafen.

Ein wunderschöner Bau. Ich krieg dich noch von innen zu sehen, keine Bange.

Statt Bildungsvormittag Fressvormittag: @probek und ich lungern zwei Stunden im Forum-Café rum und genießen das Frühstück, dann sonnen wir uns kurz auf dem Gärtnerplatz und beenden den ersten Teil des Tages mit einer Touristenattraktion: Tramfahren durch München. War sehr kurzweilig und spannend.

Am frühen Abend treffe ich mich mit der @kaltmamsell im Cinema, wo wir zwei Stunden lang hysterisch kichernd den Minions zusehen. HAPPY! Peinliches Geständnis: Das war mein erster 3D-Film, wenn man von James Camerons Reise zur Titanic im Londoner Science Museum 2003 absieht. Ich bin anscheinend die perfekte Zielgruppe für 3D, denn in den ersten Minuten konnte ich mich kaum beruhigen: IT’S LIKE YOU CAN TOUCH IT! Schon das Universal-Logo, das um die Weltkugel fliegt, hat mich fertig gemacht, und ja, als zum Schluss die Seifenblasen in Richtung Publikum schwebten, habe ich nach ihnen gegriffen, ja, schon gut.

Montag, 8. Juli

Letzte Stunde Gehörbildung. Das Zeug ist komplett Ãœbungssache und bei mir sehr tagesformabhängig. Mal höre ich jedes Intervall, dann scheitere ich an einem Rhythmus mit vier Viertelnoten. Heute geht’s.

Mario Gomez wechselt zum AC Florenz. Erst mal deren Seite auf Facebook geliked.

Weiterhin viele Bilder und Fachbegriffe auswendig lernen, denn in der Woche vom 15. bis 19. finden meine Klausuren statt. Im Moment lerne ich nur Kunstgeschichte und ignoriere Musik, auch wenn ich eigentlich davon ausgehe, durch den Geschichtstest gefallen zu sein.

Meine Grafik- und Webdesign-Kollegin berichtet von unserer gemeinsamen Kundin, die am Telefon so was in der Richtung von „Ich hab da nen Studenten gefunden, der das viel billiger macht“ sagte. Facepalm, ignorieren, weiterlernen.

Dienstag, 9. Juli

Das vorletzte Mal im Kurs Skulptur und Plastik 1890 bis 1950 gesessen, das letzte Mal im Propädeutikum, das die Vorlesung Kunstgeschichte von 1500 bis 2000 begleitet. Mich bei der Dozentin für den Kurs bedankt; die Dame hatte ich schon im letzten Semester und habe sie bewusst wiedergewählt, weil sie die Veranstaltung erstens ziemlich abwechslungsreich und informativ gestaltet, zweitens uns immer die wichtigsten Begriffe, Bücher, Aufsätze, Kunstwerke als Übersicht schickt, damit wir wissen, was man möglichst behalten sollte, und weil sie drittens in jeder Stunde eine kurze Wiederholung der letzten macht. Das war für mich persönlich immer sehr hilfreich, weil ich faules Goldfischhirn natürlich auch gerne mal den Verlockungen Münchens (Bier, Radfahren, Bier, Biergärten, Bier) nachgebe anstatt zu lernen. Die Wiederholungen waren immer so ein kleiner moralischer Arschtritt, vor allem weil ich die Dame nicht so einsam da vorne rumsitzen sehen wollte, falls sich niemand meldet. Bei uns im Kurs waren es eh immer die fünf gleichen Menschen, die was sagen (ich zähle mich an guten Tagen dazu), was ich sehr bedauert habe.

Zwischen den beiden Kursen freut sich eine Dozentin verbal darüber, dass sie mich mit Karteikarten lernen sieht. Und dann läuft mir auch noch meine Kuratorinnenbekanntschaft aus dem Lenbachhaus über den Weg; die Dame hat @probek und mich ja mal durchs Haus geführt und, was ich bis letzte Woche noch nicht wusste, sie gibt gerade mit einer Dozentin zusammen bei uns ein Seminar. Ich hoffe, mich haben möglichst viele Dozierende gesehen. Ich bin auf Du mit einer Kuratorin des Lenbachhauses! Das muss doch Punkte geben!

Mittwoch, 10. Juli

Letzte Sitzung der Vorlesung Altniederländische Malerei. Der Dozent erwähnt, dass er im Wintersemester ein Forschungssemester hätte, was mich bedauernd seufzen lässt. Der Mann hat im letzten Semester meine Liebe zur Gotik erweckt und in diesem meine Faszination mit den Niederländern vertieft, daher hätte ich ihn gerne ein drittes Mal gewählt. Dann eben im Sommersemester 2014. (Traue mich nicht, ihm meine Sympathie mündlich zu gestehen. Schreibe vielleicht ne Groupie-Mail, wie gerne ich in seinen Vorlesungen gesessen habe. Mal gucken, wie fies seine Klausur wird.)

Mittagessen in the making. #obazda

Abends mit der @kaltmamsell in die Kammerspiele: Fegefeuer in Ingolstadt von Marieluise Fleißer. Groß-ar-tig! Eine sehr karge Bühne mit statisch agierenden Menschen, die totale Entfremdung, sehr simpel und doch sehr eindrucksvoll. Was mir besonders gefallen hat: Die Stimmen der Schauspieler und Schauspielerinnen kommen komplett vom Band – bis auf die in der letzten Szene, die den Abend sehr eindrucksvoll beschließt. An einem anderen Effekt habe ich mehr zu knabbern: Die einzelnen Tableaus – man kann es kaum Szenen nennen – werden von einem Blitz und einem sofort danach einsetzenden lauten Geräusch voneinander getrennt. Im Laufe des Stücks habe ich mich gefühlt 20 Mal zu Tode erschreckt, weil ich mit dem blöden Blitz nicht gerechnet habe. Das nervte, passte aber seltsamerweise auch. Große Empfehlung. (Hier die Nachtkritik zum Stück.)

Donnerstag, 11. Juli

Musik geschwänzt, um Kunst zu lernen. Letzte Vorlesung Kunstgeschichte 1500 bis 2000. Ich werde dich vermissen.

Freitag, 12. Juli

Am Telefon Tosca gesungen, die dieses Mal ein hysterischer Fraggle mit Federboa war. Am Telefon brauche ich motivierende Bilder, damit ich vergesse, dass ich in einer Küche mit recht dünnen Wänden singe und man mich garantiert über zwei Stockwerke hinweg hören kann.

Abends ins Zentralinstitut für Kunstgeschichte geradelt (der Nazibau an der Katharina-von-Bora-Straße), wo ich einem Roundtable aus drei Architekten und einer Architektin lauschte, die sich – total überraschend – über Architektur unterhielten. Es begann mit einer Klage über den Verlust der Regionalität – wenn man heute durch Deutschland fahre, könne man kaum noch erkennen, wo man sich befinde, weil moderne Architektur gesichtslos und austauschbar sei und ihre regionalen Bezüge meist vernachlässige. Was schade sei, denn jeder Landstrich hätte ja eine Art Gesicht, aber, halbwegs O-Ton, „jeder Bürgermeister will irgendeinen Glasturm bauen anstatt etwas Regionales“. Meinhard von Gerkan erwähnte in diesem Zusammenhang Dubai, wo bekanntermaßen das höchste Gebäude der Welt stehe – „in einem Land, das Platz wie nichts Gutes hat und daher in die Breite anstatt in die Höhe bauen könne“. Das sei dann doch eher Ausdruck von Macht anstatt regional und historisch sinnvolle Architektur.

Das Panel war sich grinsend einig, dass viele moderne Bauten aber eh in 25 Jahren anfingen zu bröckeln, weil sie aus günstigen Materialien blitzschnell in die Landschaft gekloppt werden, weswegen man nicht so lange unter ihnen leiden müsste. Es wurde ein niederländischer Architekt erwähnt, dessen Namen ich leider vergessen habe, der sich aber bitter über den Denkmalschutz beklagte: Angeblich seien bereits 20 Prozent der Weltoberfläche nicht mehr veränderbar, weil die Bauten unter Denkmalschutz stünden. Diese Zahl kam vor allem Uta Hassler viel zu hoch vor: „Da hat er sich wohl um eine Kommastelle vertan.“

Werner Sobek wagte einen Blick in die Zukunft, indem er zunächst in die Vergangenheit schaute. Um 1930 herum hätten wir 2,5 Milliarden Menschen auf der Welt gehabt, 1980 waren es fünf, inzwischen seien es sieben Milliarden (bin zu faul, die Zahlen nachzugoogeln). Die Bevölkerung wachse viel schneller als in den Jahrtausenden vorher, was natürlich neue Herausforderungen an die Architektur stelle. Theoretisch müssen wir in den nächsten zwanzig Jahren die Menge an Gebäuden von 1930 noch mal komplett nachbauen, um den Anforderungen der Welt von 2030 gerecht zu werden. Erwähnt wurde auch die durchschnittliche Quadratmeterzahl, die wir an Wohnraum zur Verfügung hätten. Um 1930 herum waren es ungefähr 20 Quadratmeter, heute seien es – in unseren Breiten – bereits 42. In Mumbai hingegen sind es zweieinhalb. „Wenn alle Menschen in Mumbai nur einen Quadratmeter Wohnraum mehr haben wollen, wird das schon eng.“ In diesem Zusammenhang ging es um Stadtentwicklung, wo meinem Gefühl nach ein bisschen der guten, alten Zeit hinterhergetrauert wurde, wo Stadtplaner noch große Würfe hinlegen konnten. Die Namen wurden nicht erwähnt, aber ich dachte sofort an Haussmann und Bernini oder in München an von Fischer, von Gärtner und von Klenze. Von Gerkan: „Eine Stadt braucht eine Partitur, keinen Bebauungsplan.“

Samstag, 13. Juli

Post von der Uni:

Jetzt lerne ich erst recht nicht mehr für Musik.