Montag, 27. Oktober 2003

It was raining. I was somewhere in the West End, my movie was about to start, and I was lost. Standing outside of a parking garage, fighting with the magazine that held the address to the movie theater I was looking for and the pages of my map that kept turning over as soon as the wind hit them, I was getting wet. Really wet. It got worse every minute. I was running out of time. I desperately watched the papery mess in my hand when suddenly I heard a voice coming out of the dark entrance of the garage: "What are you looking for?"

I turned around to see a homeless man sitting there. He had covered a small piece of concrete with newspapers on which he sat and stared. At me, at the rain, at my magazine that began to sag under the weight of the water pouring down on it.
"Leicester Place", I said a little unwillingly but already waiting for his response.
"You need to go back to where you came from. Wrong direction. Look out for a street to your right."

He spoke in a low voice already and it nearly died away completely the longer he talked.
In the end it was merely a whisper. I looked at my map and realized in a second that he was right. I took out my wallet and fumbled for some coins to thank him but he had already turned away from me, muttering to himself: "See, I can be useful."

I was about to say "I never doubted that" but I knew it wasn't the truth.



Dienstag, 28. Oktober 2003

Dienstag, 21. Oktober 2003

4 am. My alarm goes off. Why again did I book the 7.15 flight? Hgnnn.

The early bird gets the window seat. So soll's sein, denn so konnte ich mal wieder beim Landeanflug mit offenem Mund eine Stadt besabbern. Diesmal eben London. Wenn man in Heathrow landet, hat man vorher einen wunderschönen Blick über die ganzen Sehenswürdigkeiten, die von oben so winzigklein aussehen und einem in Wirklichkeit dann doch die Füße bluten lassen: London Eye, Tower Bridge, Houses of Parliament, die Themse halt ... ich war schon begeistert, bevor ich überhaupt angekommen war.

9 Uhr. Ach nee, 8 Uhr Ortszeit. Mir fällt auf, dass die Bezeichnung „Baggage Reclaim“, die mir im Flughafen entgegenlächelt, grammatikalisch richtiger ist als „Baggage Claim“. Ich glaube aber nicht, dass das jemanden außerhalb Englands interessieren würde, dessen Gepäck ich einfach mal claime.

9.30 Uhr. Der Weg vom Flughafen ins Hotel: 40 fette Pfund, Baby. I am not amused. Soviel zum Thema, mal sehen, ob 200 umgetauschte Pfund für vier Tage reichen. Im Hotel verziehe ich zum zweiten Mal schmerzhaft das Gesicht: Mein Zimmer ist zwar mit £68 die Nacht ziemlich günstig, aber dafür ohne Frühstück. Weil ich aber so nett bin und das Hotel an mir reich werden will, kriege ich breakfast vouchers, mit denen ich ein leckeres englisches Frühstück für nur – na? – £9,50 statt 14,50 bekomme.
Meine Laune bessert sich, als ich merke, dass mein Zimmer nett und im 17. Stock ist (Aussicht bis zum Millennium Wheel), die Metrostation Gloucester Road in zwei Minuten zu erreichen ist und – ich einen 24-Stunden-Supermarkt, einen Zeitungsstand, ein Burger King und ein Starbucks direkt vor der Nase habe. Hier geh ich nie wieder weg.

10 Uhr. Zumindest nicht weit weg, denn auch das Science Museum (da, wo morgen die LOTR-Ausstellung ansteht) ist nur zehn Minuten zu Fuß entfernt. Heute gebe ich mir da die Titanic-Ausstellung mit Artefakten aus dem Wrack. Nette Eintrittskarten-Idee: Man wird mit „Welcome aboard“ begrüßt, bekommt eine richtige Bordkarte mit einem Namen drauf und ist damit ein Passagier. Was das für einen Sinn hat, habe ich erst am Ende der Ausstellung gemerkt, wo eine Liste hängt mit allen Toten und Überlebenden, nach Klassen geordnet. Ich bin eine 1. Klasse-Passagierin, Filmschauspielerin (sic) und habe überlebt. Und komischerweise war ich wirklich ein bisschen erleichtert.
Die Ausstellung selber war nett: Ne Menge Kleinkram vom Boden des Ozeans, aber leider nur weniges, was mich wirklich berührt hat. Die Auflaufförmchen vielleicht, die in einem Schrank aufbewahrt wurden. Der Schrank ist nach und nach verrottet, aber die Schalen lagen immer noch perfekt gestapelt im Sand. Das Geschirr mit dem White Star Line-Logo drauf. Die nachgebaute Brücke mit dem Original ... ähm ... das Teil, mit dem man das Schiff stoppt oder die Geschwindigkeit verringert bzw das dem Maschinenraum mitteilt. Und ein nachgebauter Kabinengang der dritten Klasse, komplett mit flackerndem Licht, denn man hört aus dem nächsten Raum schon das Knirschen des Eisbergs.

Nach so viel Dramatik bin ein bisschen kreuz und quer durchs Museum gelaufen. Am längsten habe ich mich bei Space Travel aufgehalten, wo gerade ein als Astronaut verkleideter Museumsmensch einer Kindergruppe den Eagle erklärt hat. You know, „The Eagle has landed“. Überhaupt ist das Museum für Kinder anscheinend ein Paradies. Als ich nach dem Lunch ins IMAX-Kino geklettert bin (immer noch alles im Science Museum), hat ein weiterer Mitarbeiter Kinder auf einer Plattform wild herumspringen lassen, um ihnen zu erklären, wie ein Erdbeben entsteht. Die Pratten hatten anscheinend ne Menge Spaß. Und außerdem schicke grüne Schuluniformen.



13 Uhr. Im IMAX habe ich mir, passend zur Ausstellung, Ghosts of the Abyss von James Cameron angeguckt, einen Dokumentarfilm über die diversen Tauchgänge zur Titanic. Ich habe noch nie in einem IMAX gesessen und erst recht nicht in einer 3D-Vorstellung. Die ersten fünf Minuten habe ich mal wieder meinen Mund nicht mehr zugekriegt und wie ein Idiot mit meinen Händchen in Richtung Leinwand gegrapscht, weil ich es einfach nicht fassen konnte, wie verdammt echt das aussah. Und ich muss zugegeben, dass ich mich ein paarmal geduckt habe, als irgendwelche Masten in meine Richtung schwangen.



14.30 Uhr. Metrostation South Kensington. U-Bahn-Fahren ist wirklich auf der ganzen Welt gleich. Nur dass hier wirklich niemand auf den Bahnsteigen raucht und die Musiker in den Tunneln sogar richtig singen können.
Nur eine Station weiter in Knightsbridge steige ich aus und schlendere zu Harrods, wo einem freundliche Wachmänner sagen, dass man den Rucksack nicht auf dem Rücken trägt, sondern bitte in der Hand. Und sobald man den Wachmann außer Sichtweite gelassen hat und den Rucksack wieder aufsetzt, steht schon der nächste vor einem, der einen nochmal freundlich bittet. Fine. You win.

Jedes Kind aus Eritrea kriegt entweder einen Herzinfarkt oder einen Wutanfall, wenn es die Foodhalls sehen könnte. Ich hab mir die teuerste Schokolade meines Lebens gegönnt und bin wieder gegangen, bevor ICH einen Herzinfarkt kriege.
Draußen am Schaufenster stelle ich zum wiederholten Male fest, wie verdammt höflich die Briten sind: "We apologize for our appearance while we set up the new window theme." Ein Kaufhaus macht den Kotau vor dem Kunden. I love this place.

Ich bin übrigens alt geworden. In Amerika war ich überall Miss, hier bin ich überall Madam. Außer bei dem Zeitungsstand vor dem Hotel, wo ich mich nach Time Out erkundigt habe, dem Stadtmagazin von London (Kinoprogramm und so): "It's not in yet, Daaahling, check back this afternoon, will ya?" I will.

Wieder in die U-Bahn. Ich kann mich noch nicht überwinden, sie tube zu nennen, denn ich bemerke entsetzt, dass mein wunderbarer amerikanischer Akzent ziemlich schnell den Bach runtergeht. Ich fange bereits an, alles nicht mehr ganz so im Mund zu knödeln, bevor ich es ausspreche. Und bei tube kommt das ganz schnell britisch raus, während ich bei subway oder metro wenigstens noch ein bisschen wie aus Kalifornien klinge. Knightsbridge bis Green Park, umsteigen in die Jubilee Line nach Westminster.

15.30 Uhr. Big Ben ist nicht so groß wie ich gedacht habe, aber er singt zu meiner Begrüßung die altbekannte Weise. Ich bin gerührt. Houses of Parliament – schön. Englische Staatsbeamte sind aber anscheinend genauso zickig wie deutsche. An einem non-public entrance keifen sich gerade zwei Mädels mit dicken Aktenmappen an: „He stole my petition!“ Ich überquere den Parliament Square, nicht ohne vorher zehnmal nach RECHTS geguckt zu haben, zu Westminster Abbey.



Eine wilde Grabstätte. Alles ein bisschen durcheinander. Zu viele Touristen (eigene Nase). Zu viele fremde Akzente. Zu laut. Neben den Sarkophagen von Maria Stuart und Elizabeth I liegen Brandschutzdecken. Man läuft die ganze Zeit über Grabplatten. Komisches Gefühl.
Eine schöne Idee, allen Besuchern klarzumachen, dass das hier immer noch eine Kirche ist: Zu jeder vollen Stunde meldet sich ein Geistlicher über Lautsprecher und ruft zu einer Minute der Stille auf. Er spricht ein kleines Gebet und bittet um einen Moment der inneren Einkehr.
Es gibt eine Ecke in der riesigen Anlage, in der um Ruhe gebeten wird. Hier habe ich eine Kerze für Karl angezündet und für alle, die mir am Herzen liegen. May God watch over you all.
Aus einem Seitenausgang geht es in ein angrenzendes Kloster, in dem anscheinend auch andere Menschen begraben wurden als der gesamte englische Hochadel. Jedenfalls liegt hier ein plumber, dessen Namen ich vergessen habe, der aber 1707 gestorben ist.

17 Uhr. Werktags findet in der Abbey der so genannte Evensong statt, ein traditioneller Gottesdienst der anglikanischen Kirche. Man bekommt netterweise den Ablauf und die Gebete als Handout mit, damit man weiß, wann man sitzen, stehen oder knien muss. Es gibt keine Predigt, sondern nur jeweils eine Lesung aus dem Alten und dem Neuen Testament und eine Menge traditioneller Gesänge, die ein Chor vorträgt. Ich hab schon beim ersten Ton Tränen in den Augen gehabt. Ich fand es sehr bewegend, in einem Gotteshaus zu beten, in dem seit 1000 Jahren gebetet wird. Ich bin zwar etwas über den Text des Glaubensbekenntnisses gestolpert ("holy Catholic church"), aber das scheint seine Richtigkeit zu haben. Wobei ich mich an die Zeile "the quick and the dead" erinnere anstatt "the living and the dead", denn es gibt einen Film mit Russell Crowe, der so heißt. Aber das gehört jetzt überhaupt nicht hierher.

Gegen 19 Uhr war ich wieder im Hotel. Ich spüre meine Füße nicht mehr. Aber ich war eben noch bei Starbucks und werde mich jetzt in die Badewanne legen, Trüffel essen und einen halben Liter Caramel Macchiato genießen. Best vacation ever. See you tomorrow when I'll be telling you everything – and I mean: EVERYTHING – about The Lord of the Rings-Exhibition.
Be patient.
Or run as fast as you can.




Mittwoch, 29. Oktober 2003

Mittwoch, 22. Oktober 2003

Eigentlich hatte ich ja übers Internet ein Ticket für die LOTR-Ausstellung um 13 Uhr gebucht. Gestern habe ich aber gemerkt, dass es um diese Zeit von Schulklassen nur so wimmelt. Also stand ich Punkt 10 Uhr vor der Tür des Science Museum, um eine neue Karte zu kaufen. Die zehn rausgeschmissenen Pfund machen den Kohl jetzt auch nicht mehr fett.



Der Plan hat prima funktioniert, ich schlenderte durch die relativ spärlich besuchte Ausstellung und versank gerade in eine Meditation über die wundervoll ausgearbeiteten Metallhände der Ringwraiths, als eine sonore Stimme ertönte: "Please leave the museum immediately through the next exit. Do not use the lift. Please leave the museum immediately through the next exit. Do not use the lift."
Man schaute sich ein wenig um – lag hier irgendwo sichtbar die tickende Bombe? Kroch der Rauch des Großbrands schon den Fußboden entlang? Nein? Nein. Dann muss man sich ja auch nicht in Panik ins Teppenhaus stürzen. Ganz gesittet strömten die Massen aus den fünf Stockwerken nach draußen. Ich alter Streber hatte natürlich meine Jacke an der Garderobe abgegeben, was ich jetzt etwas bereute. Erstens war da mein Handy drin, mit dem ich total wichtig jemanden hätte anrufen können, dass ich gerade einer Feuersbrunst entkommen bin (haarscharf, Baby!), und zweitens war mir kalt. Ich setzte mich auf der anderen Straßenseite auf eine Treppenstufe und schaute dem munteren Treiben der überforderten Angestellten zu: "I don't know, Madam, this is my first fire alarm. Please keep moving towards the evacuation point around the corner." Ja, klar. Da seh ich doch nix mehr. Pffft.

Nach 20 Minuten war der Fehlalarm dann anscheinend behoben, und man konnte wieder ins Museum zurück. Jetzt waren natürlich alle auf einmal in der Ausstellung, und besonders meine besten Freunde – Kinder unter sechs Jahren mit ihren antiautoritären Eltern – versperrten großflächig alle Monitore und Exponate. Ich frage mich sowieso, was die ganzen Kleinkinder in einer Ausstellung zu suchen haben über einen Film, der ab 12 freigegeben ist. Damn you, DVDs!
Ich bin noch ein wenig um das Aragorn-Kostüm geschlichen und bin dann in den Gift Shop gegangen, den man so dermaßen in die Tonne treten konnte wie nichts Gutes. Ich meine, ich war bereit, alles zu kaufen. Alles! Von Schmuck über Waffen bis zu Standees – aber alles, was sie hatten, wären miese Shirts, die irgendwie selbstgedruckt aussahen und Federmäppchen mit Legolas drauf. Ging gar nicht.

(Jetzt erzähle ich ne Runde über die Ausstellung. Die Geeks können weiterlesen, die anderen springen ein bisschen vor. Abends war ich nämlich noch in der Oper: Jerry Springer – The Opera. Ernsthaft.)

Die Ausstellung hat mich nicht wirklich umgehauen. Sie war schön, aber nicht weltbewegend. Ich hatte mich geistig schon darauf vorbereitet, tränenüberströmt vor den Exponaten zu knieen, aber dem war nicht so. Ich hab eher versonnen lächelnd davorgestanden. Auch gut.

Die ganzen Filmbeiträge, die man per Touch Screen anwählen konnte und die neben den dazu passenden Schaukästen angebracht waren, klangen alle wie DVD-Features. Die meisten kannte ich schon, und die, die ich noch nicht kannte, sehe ich garantiert in vier Wochen auf der Two Towers Extended Cut-DVD wieder.

Die Exponate selber waren zwar relativ spärlich, aber dafür ziemlich nett ausgewählt. Was mich persönlich beeindruckt hat, war die Liebe zum Detail, die man ja auch schon durch die DVDs mitbekommen hat. Denn ich meine (und das aus meinem Mund), es geht hier schließlich nur um einen Film.

Eine Miniatur, also ein Modell, das im Film verwendet wurde, war die Mühle in Hobbiton, die Frodo im Traum zerstört sieht. Diese Miniatur war im Film zwei Sekunden lang zu sehen. Um sie zu bauen, waren allerdings drei Monate nötig. Und das sieht man ihr auch an.

Besonders aber bei den Kostümen merkt man, wie viel Mühe in ihnen steckt. Die Hobbits hatten ja bekanntermaßen Scale Doubles, also Miniaturausgaben von sich. Man hätte nun einfach die gleichen Stoffe nehmen können, aus denen die „großen“ Hobbit-Kostüme geschneidert waren und daraus die kleineren für die Doubles machen können. Hat man aber nicht. Die Kostümdesigner haben allen Ernstes die Stoffe neu produziert, damit selbst die Webmuster, die im Film ja nun wirklich niemand erkennt, kleiner werden.

Das Kostüm von Galadriel ist ein Traum. Oder ein Mädchentraum, keine Ahnung. Jedenfalls wunderschön. Genauso die Kleidung von Arwen, von der man dieses schicke blaue Kleid mit dem Silberkragen sehen konnte und das violette, in dem sie Frodo vor den Black Riders rettet. Mein Lieblingskostüm, das von Boromir, ist auch da: Der Gute liegt als Wachspuppe mit seinen Waffen in einem Boot, genau so, wie wir es in Fellowship gesehen haben.

Sehr beeindruckend das Display von Lord Sauron, auch aus Fellowship. Dramatisch rotgold angeleuchtet steht er auf einem Podest und streckt uns seinen Arm entgegen.
Direkt hinter ihm ist ein kleiner Extraraum, in dem der eine Ring, the one ring to rule them all, ausgestellt ist. Zwar ein bisschen affig, wenn man weiß, dass es natürlich dutzende von one rings bei den Dreharbeiten gab, aber egal. Er schwebt in einer durchsichtigen Röhre, der Raum ist fast schwarz, man sieht nur den angeleuchteten Ring und die elbische Inschrift, die auf den Boden projiziert ist. Ziemlich kitschig, und in dem Moment habe ich mich schon gefragt, was ich hier eigentlich will, als ein kleiner Junge ganz ernsthaft auf die Projektion schaute und mit Grabesstimme in Richtung Daddy den Film zitierte: "I can't read it. It's some form of Elvish." Genau. Deswegen bin ich hier. Weil ich auch gerne aus Filmen zitiere. Weil ich mich auch gerne in fremde, irreale Welten entführen lasse. Und weil ich hier mal das Gefühl hatte, nicht ganz alleine zu sein mit dieser Faszination.

Es gab auch was zum Anfassen: die chain mail, für die Millionen von kleinen Ringen zusammengefügt und metallisch lackiert wurden. Fühlte sich ziemlich schwer an.
Außerdem gab es jeweils ein Schwert der Elben und aus Gondor in dreifacher Ausführung. Die Schwerter wurden einmal aus Stahl gefertigt als Vorlage, einmal aus Aluminium zum Rumtragen und einmal aus Gummi zum Kämpfen. Und selbst, wenn man direkt davor steht – man sieht keinen Unterschied. Erst beim Anfassen merkt man, welches das leichte Kampfschwert ist. Ich fand es sehr nett, eine Requisite in der Hand gehabt zu haben; wer weiß, wieviele Orcs damit niedergemacht wurden.

Überhaupt, Orcs. Die sind ja auch nicht die größten, wie sich aus dem Kostümen schließen ließ. Da waren die Uruk-hai schon eine Nummer imposanter. Und die Ringwraiths sehen eh am coolsten aus. Im Film sieht man ja nie ihr Gesicht, sondern immer nur eine schwarze Fläche, ein Nichts, was ich viel gruseliger finde als rote Augen oder ähnlichen Mumpitz. Das haben sie beim Kostüm-Display auch ganz gut hingekriegt. Man guckt ziemlich weit nach oben, und direkt über der Kapuze ist ein Scheinwerfer angebracht, so dass man auch hier kein Gesicht erkennen kann.

Bei Aragorns Kostüm stand ein Typ hinter mir, der nur abschätzig meinte: "Everyone would look startingly good in that one. I would, too", worauf seine Freundin ihn nur völlig entgeistert anguckte. Recht hat sie. Finger weg von diesem Kostüm. Wenn es auch nur höchstens 1,80 groß ist.
Im Vorfeld hatten mich einige Leute gefragt, ob die Ausstellung denn nicht jede Illusion zerstören würde, die die Filme aufgebaut haben. Ich finde, die ist sowieso weg, wenn man sich die ganzen Extras auf den DVDs anguckt. Allerdings kriege ich es, wenn ich will, aus dem Hinterkopf, dass da gerade ein Scale Double für Pippin rumläuft und dass Rivendell aus Miniaturen, Matte Painting und Green Screen besteht. Die einzige Illusion, die ich habe, und die ich auch bei jedem anderen Film habe, ist, dass die Menschen mir immer überlebensgroß erscheinen. Gerade bei LOTR, der ja nun eine sehr große Geschichte erzählt, hat es mir ein bisschen wehgetan, zu sehen, wie klein bzw normal groß die Schauspieler eben sind. War klar, hatte ich aber noch nicht so drüber nachgedacht. Aber ich glaube, den quietschenden Mädels, die das Legolas-Kostüm angeschmachtet haben, war's egal. Gut, dass die Dinger hinter Glas waren, sonst hätten sie noch irgendwelche Teile abgeleckt. Könnte ja nach Orlando schmecken.

Im Großen und Ganzen fand ich die Ausstellung also so la la. So liebevoll die einzelnen Exponate sind, so dürftig war die Dramaturgie. Gerade weil ich die Titanic-Ausstellung (die übrigens gar nicht auf den Film eingeht) im Hinterkopf hatte, fand ich LOTR fast ein bisschen lieblos. Bei Titanic ging man ja wirklich an Bord, lernte erst das Schiff kennen, die Besatzung, die Gäste – und dann kam als Zäsur eben der Raum mit dem Eisberg. Danach wurde die Lichtstimmung anders, die Exponate wurden anders präsentiert, und man hat einen richtigen Abschluss gefunden.
Bei LOTR huschte man irgendwie von Glaskasten zu Glaskasten, guckte ein paar Videos, und plötzlich stand man im Treppenhaus und konnte höchstens wieder zurückgehen. Hm. Ich bin trotzdem froh, dass es die Ausstellung gab, sonst wäre ich nicht nach London gekommen. Und da kann man ja noch mehr machen, als ins Museum zu gehen. Ins Kino zum Beispiel.

(Der ungeekige Rest darf jetzt wieder einsteigen.)



Nach der Ausstellung bin ich ins West End gefahren, um mir Spellbound anzugucken. Spellbound war in diesem Jahr für den Oscar für den besten Dokumentarfilm nominiert und ist ein kleines Juwel von einem Film.
Ich finde es immer wieder schön zu sehen, dass Dokumentationen manchmal mehr Dramatik haben als Spielfilme. In Spellbound geht es um das Finale des National Spelling Bee, also der nationalen Endausscheidung im, ja genau, Buchstabieren. 248 Teilnehmer im Alter von 13 bis 15 Jahren aus allen 50 Staaten der USA haben sich für das Finale in Washington qualifiziert. Und wir haben acht davon begleitet.

Natürlich geht es Film nicht nur ums Buchstabieren. Spellbound erzählt über Amerika, seine Traditionen, seine Zukunft. In acht Vignetten lernen wir Menschen kennen, die ein Ziel haben – sei es nun sie selbst oder ihre Verwandten – und wie sie sich diesem Ziel nähern. Es geht um die Erfüllung von Träumen und Erwartungen, es geht ums Scheitern und ums Weitermachen.
Es geht auch um den Druck, der bereits für einige der Kinder herrscht, die Erleichterung, wenn alles vorbei ist und sie nicht mehr mit Webster's Dictionary unter dem Kopfkissen schlafen müssen, aber auch die Traurigkeit darüber, dass dieser eine Abschnitt des Lebens vorbei ist. Und es geht um die Eltern, die teilweise eingewandert sind, teilweise Mittelschicht sind, teilweise Unterschicht, die teilweise selbst kein Englisch sprechen, die aber alles dafür tun, dass es ihren Kindern gut geht. Oder es zumindest versuchen – auf ihre ganz eigene Weise.

Ich hätte mir nie träumen lassen, dass es so nervenaufreibend, lustig, spannend und traurig sein kann, Kindern beim Buchstabieren zuzugucken. Ganz großes Kino.



Danach war ich in Ned Kelly, einem Film über den „australischen Robin Hood“. Gespielt wird er mit ziemlich überschaubarer Mimik und Gestik von Heath Ledger. Grund fürs Kino war natürlich eher Orlando Bloom, der seinen Mitstreiter Joe Byrne gibt. Der Film war sehr behäbig inszeniert, verwechselte gerne Dunkelheit mit Dramatik und hat mich persönlich recht unberührt zurückgelassen. Dafür war es im Kino warm und trocken. Im Gegensatz zu London draußen.

Das Kino selbst, das Empire, hat übrigens einen sehr gemischten Eindruck bei mir hinterlassen. An der Kasse war der langsamste aller Kinokassierer (and believe me, I've met a few), der meine Bitte nach einem aisle seat konsequent ignorieren und mich an die Wand setzen wollte. Ich war eh schon zu spät dran, ziemlich durchgeregnet und einen Hauch genervt und hab irgendwann eben die Karte genommen, die er mir ausgedruckt hat. An der Tür zum Saal wurde ich dann allen Ernstes von einem usher empfangen, der mich persönlich mit Taschenlampe zu meinem Sitz begleitet hat. Sowas hab ich ja seit Jahren nicht mehr gesehen. Und netterweise war das Kino auch nicht so voll, so dass ich mich noch umsetzen konnte. Fast aisle. Ätsch.

Nach dem Kino war ich endlich wieder hungrig (das englische Frühstück mit Eiern, Würstchen, Toast und Bohnen hält wirklich verdammt lange vor) und bin in ein kleines Cafe gegangen. Ich hatte noch ein bisschen Zeit bis zu Jerry Springer.



Im Cafe habe ich am Fenster gesessen. Draußen huschte London an mir vorbei; ein Gemisch aus viel zu vielen Menschen, Regen, Dämmerung, Neonlicht und Autolärm. Ich habe drinnen mit meinem Besteck geklappert, das Muster auf der Tischdecke im Geiste nachgezeichnet und ein bisschen in mein Notizbuch geschrieben. Dabei ist die kleine Geschichte rausgekommen, die am Montag hier zu lesen war.

Obwohl ich alleine war, habe ich mich nicht alleine gefühlt. Die Geräuschkulisse war warm und einladend, die englischen Sprachfetzen so klangvoll und melodisch – ich habe mich fast ein wenig erschreckt, als ich gemerkt habe, wie sehr ich mich hier schon zuhause fühle und wie weit weg mein wirkliches Zuhause ist.
Ich weiß, dass man im Urlaub gerne dazu neigt, alles großartig zu finden und das „wahre Leben“ als langweilig und banal abzutun. Aber das war es nicht. Es war dieses Gefühl, das ich bis jetzt nur in Amerika hatte, dieses Gefühl, hier könnte ich hingehören. Anscheinend liegt es nicht nur an den USA und der Vorgeschichte, die ich mit mir herumtrage. Es könnte vielleicht wirklich an der Sprache liegen, die ich so liebe. Und an so kleinen Dingen, die für mich sehr, sehr große Dinge sind, nämlich einfach in ein Kino zu gehen und zu sagen: „Mir egal, welcher Saal“, denn es sind alle Filme auf englisch.

Achseufz.

Ein Sandwich, eine Diet Coke und einen Macchiato später habe ich mich auf den Weg zum Cambridge Theatre gemacht.
Ich glaube zwar nicht, dass man noch irgendwem erklären muss, wer Jerry Springer ist oder wie seine Talkshows ablaufen, aber falls es doch noch Novizen da draußen gibt: Jerry Springer ist der trashigste aller Trash-Talkshow-Hosts. Seine Sendungen haben Themen wie „Ich bin eine lesbische Zwergin, die ein Kind vom Dackel meines Bruders kriegt“ oder so ähnlich. Jerry Springer – The Opera macht aus diesem Trash dann Kunst.



Ich habe mich selten so amüsiert. Ich habe in der ersten Reihe gesessen und konnte so allen Sängern schön beim Spucken zugucken (deswegen habe ich auch einen Abend später bei We will rock you lieber den Balkon gewählt), konnte aber so auch die Mimik und Gestik wirklich würdigen und mir gemütlich die Schnuckel im Chor angucken.

Das Stück ist natürlich mehr ein Musical als eine Oper; allerdings ist Jerry der einzige, der nicht singt, alle anderen schmettern ihren Text, was das Zeug hält. Die Handlung ist ziemlich schnell erzählt: Der erste Akt ist quasi eine typische Springer-Show, nur gesungen. Erst im zweiten Akt kommt ein bisschen „Botschaft“, denn plötzlich entpuppt sich der Einpeitscher der Show als Satan, der schon immer mal bei Jerry auf der Bühne mit Jesus diskutieren wollte. Der erweist sich als ziemlich schlagfertig: Während alle Gäste gerne "Talk to the hand!" brüllen, wenn sie keine Lust mehr haben, schreit er "Talk to the stigmata!" Die Show findet in der Hölle statt, was Jerry ziemlich nervt: "I can't go to hell! I'm Jewish!"

Natürlich gibt es ständig Werbeunterbrechungen, die per Monitor eingeblendet und vom Chor musikalisch untermalt werden. So wird zum Beispiel einmal ein ziemlich dämlicher Kerl mit einer Riesenknarre gezeigt. Der Text dazu geht ungefähr: "Buy gun. Buy big gun. Have fun with big gun." Und so weiter.
Ein anderes Mal sieht man einen sehr deprimierten jungen Mann: "No future. No fun. No perspective. No job. Novocaine."

Zum Schluss bleibt alles, wie es war, jeder hatte seine 15 Minuten Ruhm bzw seinen Jerry-Springer-Moment, und keiner hat was dazugelernt. Wie im wahren Leben eben.
Wer das Wort fuck in 700 Varianten gesungen hören, im Publikum sitzend die Menschen auf der Bühne laut als „Loser!“ beschimpfen oder einen erwachsenen Mann in Windeln auf den tanzenden Ku Klux Klan schießen sehen will, für den ist das hier genau die richtige Show. Ich war begeistert. Übrigens auch darüber, dass ich noch eine Bahn nach Hause gekriegt habe und kein Taxi für 1000 Pfund ranwinken musste. Schließlich hat das Souvenir-Shirt schon £17 gekostet. Und genau einen Tag gehalten. Na bravo.




Donnerstag, 30. Oktober 2003

Donnerstag, 23. Oktober 2003

Ich habe den gestrigen Tag so genossen und fand das West End so spannend, dass ich mich einfach nochmal in die Metro bis Leicester Square gesetzt habe und ein bisschen ziellos durch die Gegend geschlendert bin. Erstmal zum obligatorischen Piccadilly Circus, den ich mehrmals (!) unfallfrei (!) umrundet habe. Leuchtreklame gucken, Menschenströmen ausweichen, entsetzt feststellen, dass der Virgin Megastore Friends-DVDs quasi verschenkt: Buy one, get one free. Ich hätte die ganze neunte Season zum halben Preis haben können, darn it! Ein Buchladen versucht den gleichen Trick: drei Bücher zum Preis von zweien. Im Geist tragen das Haben-wollen-Teufelchen und das Voller-Nachttisch-Engelchen einen harten Kampf aus. Zum Glück kann ich mich nicht darauf konzentrieren, weil ich auf den Verkehr achten muss. Zum wiederholten Male schlendere ich am Planet Hollywood vorbei und kann mich nicht überwinden, ein T-Shirt zu kaufen. Noch weniger vom Hard Rock Café. Und noch weniger alberne Union Jack-Souvenirs, auf denen irgendwo Made in Taiwan steht. Wahrscheinlich eine gute Entscheidung.

Nach dem ausgedehnten Morgenspaziergang geht es zurück in die Shaftesbury Avenue. Erster Tagesordnungspunkt: Kino. Diesmal das Curzon Soho, wo ich mir Party Monster angeschaut habe.



Der Film erzählt die Geschichte von Michael Alig, einem Organisator von wilden Partys im New York der 80er Jahre, der als Landei in die große, böse Stadt kommt, irgendwann drogensüchtig wird und schließlich seinen Dealer umbringt. Sein bester Freund, wenn man ihn so nennen darf, James St. James, hat darüber das Buch Disco Bloodbath geschrieben, und auf diesem Buch beruht der Film.

Alig wird überraschend gut von Macauley „Home Alone“ Culkin gespielt, der irgendwie immer noch nicht älter aussieht als sechs. Diese seltsame Kindlichkeit passt aber hervorragend zum völlig verzogenen, selbstsüchtigen Mistkerl, den er darstellt. Seth Green, den wir eher in komischen Rollen wie aus Austin Powers kennen, gibt ebenfalls sehr überzeugend James St. James.
Der Film selbst hat weder Höhen noch Tiefen; er zieht in bunten Bildern an einem vorbei, man lernt Menschen kennen oder glaubt es zumindest – alles fühlt sich an, als ob man selbst leicht angetrunken auf einer Party von Konversation zu Konversation hüpft und nirgends wirklich stehenbleibt. Dass alles so oberflächlich bleibt, hat seinen Reiz; es verstärkt die Charaktere auf eine sehr eigenwillige Weise, der ich mich nicht entziehen konnte oder wollte.

Normalerweise mag ich keine Filme mit Voice over oder Filme, in denen die Darsteller in die Kamera sprechen, weil das für mich die Illusion raubt, der ich mich gerade hingeben wollte, aber hier passt es. Und die gackernde Lache von Culkin zusammen mit seinem wunderbaren, aber leider falschen Satz "I'm getting away with murder, and you are just jealous" wird mir sicher noch länger im Gedächtnis bleiben.



Zweiter Tagesordnungspunkt: nochmal Kino. Wieder im Odeon Covent Garden, wo ich gestern bereits war. Heute stand Mystic River auf dem Programm, der neue Film von Clint Eastwood.

Mystic River ist zuallererst ein Krimi: Jimmys Tochter wird ermordet, Sean ist der ermittelnde Polizist, und Dave steht unter Verdacht. Die drei Männer haben eine lang zurückliegende Begebenheit in ihrer Kindheit erlebt, die sie alle verbindet und die jetzt, nach 20 Jahren, wieder ihr Leben beeinflussen wird.

Clint Eastwood hat sich als Regisseur mal wieder sehr zurückgenommen, verzichtet auf großartige filmische Sperenzchen, sondern erzählt sehr schlicht, aber dafür umso eindrucksvoller seine Geschichte. Das Drehbuch hat Brian Helgeland geschrieben, der bereits aus dem als unverfilmbar geltenden Buch L.A. Confidential ein großartiges Script gemacht hat. Mystic River ist als Buch ähnlich detailliert, was die Charakterzeichnungen angeht, und ich persönlich war sehr davon beeindruckt, wie die Darsteller komplizierteste Beziehungen durch ganz einfache Gesten oder Sätze rüberbringen. Bei der Darstellerriege kann man das aber eigentlich erwarten: Sean Penn, Tim Robbins, Kevin Bacon, Laurence Fishburne, Marcia Gay Harden und Laura Linney sind durch die Bank klasse.

Der Film fühlt sich an wie eine Zange, die immer weiter geschlossen wird. Das Ende ist von Anfang an unausweichlich, und die Tatsache, dass wir es ahnen und doch nichts dagegen tun können, macht den Film sehr eindringlich.
Deutscher Starttermin ist übrigens der 27. November. Schon mal vormerken, bitte.

Dritter Tagesordnungspunkt: Internet-Cafe in der Tottenham Court Road. Zwei Tage ohne Netz waren ... gar nicht so schlimm, denn ich hatte ja ne Menge Ablenkung. Ich hab irgendwie das Gefühl, ruhiger geworden zu sein, obwohl London alles andere als eine Stadt zum Ausspannen ist. Ich habe es vermisst, meine Mails zu checken, aber ich habe komischerweise das Webloglesen nicht vermisst. Denn sobald ich wieder online war, kam die alte Hektik wieder, dieses Ich muss noch dutzende von meinen Lieblingen absurfen, ich muss doch wissen, wie's ihnen geht, kommen die überhaupt ohne mich klar, und viel wichtiger: Komme ich überhaupt ohne sie klar? Ich habe mich gefühlt, als wäre ich schon ewig weg und nicht erst popelige zwei Tage. Ich habe im Eiltempo meine ganze Blogroll abgesurft, ohne es wirklich zu genießen. Und irgendwie war ich ziemlich froh, als meine bezahlte Stunde sich dem Ende zuneigte und ich vom Rechner wegkonnte. Mal abgesehen davon, dass es eine blöde Windows-Fräse mit speckiger Maus war.
(Wo zum Teufel ist auf der Windows-Tastatur das @-Zeichen?)

Apropos zwei Tage: Ich mag das Gefühl, wenn man sich nicht mehr fremd fühlt, wenn man auf einmal zurecht kommt, ohne ständig bei den anderen gucken zu müssen, wie rum stecke ich das U-Bahn-Ticket jetzt in die Schranke? Welches sind die 20p- und welches die 50p-Stücke? Wo ist die Metro-Station? Wann muss ich aussteigen? Kleinkram halt. Wenn der klappt und ich nicht mehr alle zwei Minuten meinen Reiseführer rausholen muss – das Gefühl ist klasse. Und dann will man erst recht nicht mehr weg. Ich jedenfalls nicht.

Auf dem Weg zum Internet-Cafe bin ich am Dominion Theatre vorbeigekommen, in dem We will rock you gespielt wird; ein Musical mit der Musik von ... genau. Ich hatte zwar in Time Out eine vernichtende Kurzkritik gelesen ("Don't give them your money"), aber ich dachte, ach, was soll bei Queen-Songs schon schiefgehen und habe mir eine ordentliche Karte gegönnt.



Um's kurz zu machen: Mit den Songs von Queen kann man wirklich nicht viel falsch machen. Die Idee, um diese Songs eine Handlung zu konstruieren, war allerdings eine ziemlich blöde.

Das Stück spielt im Jahre 2300, so weit ich mich erinnere. Die ganze Welt ist gleichgeschaltet, die Kids lieben alle die gleiche Musik, die gleichen Filme, die gleichen Klamotten. All we hear is Radio Ga Ga, Internet Goo Goo, Marketing Blah Blah. So was Verruchtes wie Gitarren gibt es nicht mehr. Aber alle finden das okay so. Alle? Nein. Ein kleines Dorf in Gallien bzw eine Gruppe von Rebellen, die sich die (Achtung, Anspielung) Bohemians nennen, sucht nach dem Auserwählten, der ihnen wieder gute, wahre, ungeklonte, unboybandige Musik zeigt. Die finden sie nach über zweieinhalb Stunden dann auch, und zwar durch eine eingemauerte Gitarre im Torpfosten der Ruinen von Wembley.

Ich wusste die ganze Zeit nicht, ob ich über diesen bescheuerten Plot lachen oder weinen sollte, aber es wäre egal gewesen. Ich hätte mich auch erschießen können; selbst dann hätten meine Nachbarn davon nichts mitbekommen bei all dem Monitorgeflacker und Lichtgebrummsel im Saal und dem verdammten HÖLLENLÄRM, den die Musiker gemacht haben.

Trotzdem habe ich mich prächtig amüsiert, denn es gab eine Menge intelligenter Anspielungen und viele schöne Zitate aus Musik, Film und Popkultur, die zudem auch noch clever getextet waren (Ben Elton eben). Die Darsteller hatten anscheinend genauso viel Spaß wie das Publikum, das zum Schluss aus vollem Hals jeden Song mitgesungen hat, und der Hauptdarsteller mit dem grandiosen Rollennamen Galileo Figaro (nudge, nudge) sah auch vom Balkon recht entzückend aus.

Es war nett, mal wieder die guten, alten Queen-Songs zu hören, auch wenn ich es komisch fand, Lieder wie Who wants to live forever oder Flash, die man ja aus einem anderen Zusammenhang kennt, hier wiederzufinden. Aber immerhin haben die Jungs genug Humor, ihre eigenen Songs nicht nur als Heldentaten und Mittel zur Weltrettung hinzustellen, denn sie machen sich konstant über den Text zu Bohemian Rhapsody lustig: "What does Scaramouche, Scaramouche, will you do the Fandango actually mean?" "Sounds like total bollocks to me."

Nach dem Abend war ich taub, aber nichtsdestotrotz ziemlich gut gelaunt und hab mich gefühlt wie 13. So ungefähr wie damals, als ich zum ersten Mal in der Disco war. Und um diese Stimmung nicht zu ruinieren, hab ich meine erste Vanilla Coke getrunken. Sobald es das Zeug als Light-Variante gibt, kaufe ich ne Kiste davon. Oder gleich zwei. Don't stop me now, I'm having such a good time, I'm having a ball ...




Freitag, 31. Oktober 2003

Freitag, 24. Oktober 2003

Eigentlich standen die Tate Modern und der Globe noch auf meinem Besichtigungswunschzettel. Ich bin also wieder in die tube geklettert, aber schon während ich in meinem Reiseführer blätterte, ahnte ich, dass ich da heute nicht mehr hinkommen würde. Ich war ein bisschen melancholisch drauf; der letzte Tag in London, morgen früh wieder ins verregnete Hamburg (hier hatte ich bis auf einen dicken Regenguss immer klasse Wetter), zurück zum Bewerbungen schreiben, Wäsche waschen, zum deutschen Fernsehen; weg von Starbucks, Newlyweds auf MTV und vor allem diesem wundervollen Urlaubsgefühl, alles machen zu können, was man will.

Ich habe mein Tagesprogramm über den Haufen geworfen. Den Globe gibt es seit 400 Jahren – ich geb ihm auch noch weitere 400. Next time. Und die Tate? Meine Art Direktorin hat den schicken Damien Hirst-Ausstellungskatalog – der reicht fürs erste.

Stattdessen habe ich mich lieber um meine Abendgestaltung gekümmert. Am Leicester Square steht die wundervolle tkts-Box, an der es für so ziemlich alle Theaterstücke Karten für 25 bis 50 Prozent weniger als an der Abendkasse gibt. Sie werden von vorne nach hinten vergeben, das heißt, wer früh da ist, kriegt einen klasse Platz für halbwegs wenig Geld.
Nach den beiden Musicals wollte ich mal ein bisschen Theater sehen und habe mir eine Karte für The Price gegönnt, ein Stück von Arthur Miller. Und wie an beiden Abenden vorher hatte ich Glück mit dem Sitzplatz: zweite Reihe. So soll's sein.

Aber ganz ohne Museum wollte ich den Tag ja auch nicht verbringen. Also ab in die Royal Academy of Arts.



Ich habe mich selten so falsch angezogen gefühlt wie in dieser Ausstellung. Ich flanierte ganz in Gedanken an den weiß-der-Geier-wie-teuren Roben vorbei und fragte mich wie immer, wer da bloß reinpasst, als mir auffiel, dass die Besucher um mich herum auch nicht gerade schlecht gekleidet waren. Und in dem Moment verfluchte ich ein ganz kleines bisschen die unglaublich bequemen und daher einen Hauch angeranzten Nikes, mit denen ich vor Jahren schon gekellnert habe, meine schnuffige, aber very casual Kapuzenjacke und meine schlichte Jeans. Und warum, oh warum, musste es ausgerechnet heute das Haargummi mit dem Pinguin sein?

Das Schönste an der Ausstellung war der letzte Raum, in dem die ganzen Kleider präsentiert wurden, die die Hollywood-Größen entweder auf Award Shows oder in Filmen getragen haben. So waren da zum Beispiel das Originalkostüm von Samuel L. Jackson als Shaft oder das schlichte schwarze Kleid, in dem Julia Roberts Denzel Washington bei seinem Oscargewinn abgeknutscht hatte. Mein persönlicher Favorit war der Smoking von Kevin Spacey, der seinen Oscar für The Usual Suspects anscheinend mit einem food fight gefeiert hat. Jedenfalls war die weiße Jacke nicht ganz sauber. Der kleine Schlingel.

Apropos food fight: time for lunch. Ich bin seit Tagen an den Filialen von Pret-a-Manger vorbeigeschlichen; es hat sich aber nie ergeben, da mal reinzugehen. Jetzt schon. Mit einem Bacon-Lettuce-Sandwich und einem Orange-Raspberry-Juice auf dem Silbertablett habe ich mich ans Fenster gesetzt, den Guardian aufgeschlagen, aus dem mich ein Interview mit Jeff Bridges anlächelte; ich las, genoss, hörte im Hintergrund dem englischen Gemurmel zu, roch frischen Kaffee, blickte ab und zu hoch in Richtung Piccadilly Circus, dem blauen Himmel oder der St. James-Church – und da war er. Einer dieser kleinen, perfekten Momente, nach denen man die Hand ausstrecken möchte, damit sie einem nicht entfliehen können.
Ich hab die Hand ausgestreckt, zum Stift gegriffen und ihn aufgeschrieben. Ihr lest ihn gerade.



Auch an meinem letzten Tag in London musste ich natürlich nochmal ins Kino gehen. Ich hätte Finding Nemo nehmen sollen. Den kannte ich allerdings schon von irgendeiner obskuren thailändischen Raubkopie, also ist es Intolerable Cruelty geworden, den ich nicht wirklich mochte.

Der Film wird ja gerne mit den Screwball-Komödien der 40er Jahre verglichen. Wenn Katherine Hepburn das hört, dreht sie sich im Grab um. George Clooney hat zwar offensichtlich Spaß daran, sich wie ein Idiot aufzuführen und einen ab und zu vergessen zu lassen, dass er ein ziemlich attraktiver Kerl ist, aber leider ist zwischen ihm und Catherine Zeta-Jones nicht mal der Hauch eines Funken geflogen. Zeta-Jones bleibt stets die geldgeile Zicke, und ich habe ihr nicht eine Minute geglaubt, dass sie wahre Gefühle hat. Das sollte man aber, sonst macht der Film überhaupt keinen Spaß.

Die Charaktere sollen wohl schablonenhaft sein, aber was die beiden hier abziehen, war mir doch ein bisschen zu simpel. Ich habe mich über eine Stunde gelangweilt, weil sich alles wie eine Exposition für eine kleine Pointe angefühlt hat. Die letzten 20 Minuten waren dann okay und hatten endlich ein bisschen Tempo – und vor allem eine wunderbare Szene mit einem Berufskiller, einer Knarre und einem Asthma-Inhalator –, aber das hat es leider auch nicht mehr rausgerissen.

Um 3 Uhr kam ich also etwas missgelaunt aus dem Empire wieder ans Tageslicht und wusste, es gibt in London nur einen Ort, an dem ich dieses schöne Urlaubsgefühl wiederkriege. Also bin ich zum dritten Mal ins Science Museum gegangen und habe mich erneut von Aragorn verabschiedet.



Mit einer kleinen Träne im Knopfloch (meine Güte, Gröner, geht das Geflenne jetzt schon los?) bin ich danach wieder ins Hotel gegangen. Vorher habe ich noch Hobnobs für meinen besten Freund als Mitbringsel besorgt und mir dabei gleich noch ein paar Oreos gekauft plus einen Iced Latte vom Dealer nebenan.

Und dann war es auch schon Zeit, sich ein letztes Mal in Richtung Piccadilly aufzumachen.



Was ich an Arthur Miller so mag, ist seine leise, aber unwiderstehliche Erzählweise. Man bekommt nach und nach ein paar Bröckchen an Hintergrundinformation zugeworfen, während die eigentliche Handlung beinahe unabhängig vom Dialog passiert, aber ganz plötzlich fügt sich beides zwanghaft zusammen, und diese Atemlosigkeit setzt ein, die ich bei fast jedem seiner Werke spüre: dieses Gefühl, dass gerade etwas passiert, was man lange hat kommen sehen, und wenn man sich etwas bemüht hätte, hätte man es verhindern können. Hat man aber nicht, und so endet der Abend anstrengend, schmerzhaft und ausgelaugt, aber gleichzeitig mit dem Gefühl, endlich etwas von der Seele genommen bekommen zu haben. (Deutsche Grammatik. Ein Wunderwerk.)

The Price spielt 1968, aber es geht eigentlich um die Great Depression. Ein Ehepaar will die gesamten eingelagerten Besitztümer des verstorbenen Vaters verkaufen und beauftragt einen Händler damit. Im Laufe des Stücks taucht der Bruder des Ehemanns auf, und alte Familienkonflikte, die jahrelang unterdrückt wurden, kommen wieder an die Oberfläche. Klassisches amerikanisches Drama eben. Ich liebe es.

Die vier Schauspieler, die in The Price auftraten, kannte ich nicht, obwohl mir Larry Lamb und Sian Thomas vom Gesicht her bekannt vorkamen. Mich hat die Intensität ihrer Spielweise sehr beeindruckt, und mir ist wieder mal aufgefallen, wie klasse Theater ist im Gegensatz zu Film. Es muss großartig sein, an der Reaktion des Publikums mitzukriegen, wie sehr die Geschichte einen fesselt oder bewegt. Ich war jedenfalls nicht die einzige, die ab und zu laut gelacht oder auch entsetzt die Luft angehalten hat.

Zum letzten Mal in die Piccadilly Line. Wie immer mit offenen Ohren und Augen – für Touristen, für Angestellte, die erst jetzt mit ihren Aktenkoffern aus dem Büro kommen, für halbwüchsige Kerls, die lautstark ihren total geilen Abend für alle hörbar planen, aber auch für Mädels, die anscheinend schon einen total geilen Abend hatten: Als ich zusammen mit der Menschentraube an der Gloucester Road aussteige, bleiben alle auf einmal stehen. Zwei Freundinnen schwanken so dermaßen von einer Seite des Bahnsteigs zur anderen, dass keiner so recht an ihnen vorbeikommt. Zum Glück, denn mitten im Hin- und Herschwanken beugt sich die rechte einfach mal unelegant vor und entledigt sich ihres gesamten Mageninhalts. Britisch zurückhaltend warten wir alle, bis sie fertig ist. Ich war versucht, mein Buch wieder aus dem Rucksack zu holen, denn es hat ne ganze Zeit gedauert. Das Mädel spuckt nochmal nach und meint dann nur lakonisch: "Don't mind me. I'm just drunk." Ach, echt? In gebührendem Abstand folgen wir den beiden zum Fahrstuhl, wo ich gerne auf den nächsten warte.

Im Hotel gönne ich mir noch ein paar Oreos zur BBC-Übertragung aus Heathrow, wo heute die letzten Concordes gelandet sind. Schade eigentlich. Ich hatte bei der Ankunft noch eine Werbung für sie gesehen: Arriving before you leave. Nett.

Ich mag nicht mehr fernsehen. Ein letzter Blick aus dem Fenster über das nächtliche London. Der Koffer ist gepackt, die Souvenirs gut verstaut, ebenso das London-Tagebuch. Das letzte Kleingeld liegt für die Zimmermädchen im Bad. Ich sortiere im Portemonnaie wieder die Euros ein und packe meinen Hausschlüssel wieder in den Rucksack. Flugticket? Pass? Mein Wecker klingelt wieder um 4.

Can't hardly wait.