Was schön war, Donnerstag, 30. Juli 2020 – Lesen und reden

Dinge erledigt, die nicht ins Blog gehören. Durch die Gegend geradelt, mich über das Radeln gefreut und die Sonnenbrille auf der Nase. Gutes Brot genossen. Himbeermarmelade gekauft (immer ein Grund zur Freude). Den Tomaten beim Wachsen zugeguckt. Eine ältere Hasselblad in der Hand gehabt und ehrfurchtsvoll das Wort „Lichtschacht“ gelernt.

Weiter „Hamilton“ gelesen und ein zweites Buch nebenbei, das F. in einem Antiquariat gefunden hatte: Paul Westheims Karton mit Säulen. Antifaschistische Kunstkritik, in dem sich Aufsätze und Essays aus den 1930er- und 1940er-Jahren befinden. Trotz des ernsten Themas sehr darüber gelacht, dass Westheim die Damen aus den Vier Elementen „die Gudruns“ nannte. Mal wieder Sinnkrisen wegen der Diss gehabt, was sinnlos ist, weil sie ja abgegeben ist, aber: Habe ich mich genug von dem Zeug distanziert? Habe ich das ernst genug genommen? Habe ich klargemacht, wie wichtig die Beschäftigung mit dieser Kunst ist, aber dass man sie trotzdem gerne Nazischeiß nennen darf? (Jedenfalls im Blog, nicht in der Diss.) Mir fehlt Feedback.

Nach 114 Tagen wieder meine Tage bekommen. Dämlicher Uterus. Wir hatten doch einen Deal! Aber immerhin weiß ich jetzt wieder, dass meine Rückenschmerzen der letzten Woche keine Rückenschmerzen waren und warum ich viel zu viel Fleisch essen wollte. Dafür ist die Periode dann doch gut: den Ausnahmezustand des Körpers markieren und mir signalisieren, geht gleich wieder, beruhig dich, Bandscheibe ist in Ordnung.

Abends drei Stunden lang mit einer der Hamburger Damen telefoniert, was sehr gut getan hat. Zu später Stunde stolperte F. noch nach einem Cocktailabend vorbei. Nochmal länger geredet und gemeinsam eingeschlafen. Das hat auch gut getan.

(Will auch Cocktails.)

Fotos: Arbeitslose Sport-Maskottchen in leeren Stadien.

Das Archiv-Info 1 (2020) vom Archiv des Deutschen Museums weist auf den Sammelband „Koloniale Spuren in den Archiven der Leibniz-Gemeinschaft“, hrsg. von Heinz Peter Brogiato und Matthias Röschner, hin. Im eben verlinkten Artikel wird der Leitfaden zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten des Deutschen Museumsbunds erwähnt.

„Aufgrund der komplexen und polarisierenden Problemkreise erhöht sich die Notwendigkeit einer weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte. Als dringend notwendig erachtet werden beispielsweise die transparente Erforschung der Provenienz kolonialer Sammlungen und die Auslotung möglicher Restituierung. Gefordert wird zudem die stärker quellenbasierte Aufarbeitung des kolonialen Erbes.“

Im Vorwort des Hefts wird auf die Auswirkungen von Corona auf Archivarbeit hingewiesen und eine wichtige Frage aufgeworfen, die mich bei Abbildungen auch seit Längerem umtreibt:

„Archive leben von ihren Quellenbeständen und diese sind bei Weitem nicht alle digitalisiert. Covid-19 hat gelehrt, dass die Digitalisierung in den Archiven noch verstärkt werden muss. Zu fragen bleibt aber auch, ob nicht gesetzliche Vorgaben verändert werden müssen, um Forschungen in Extremsituationen wie in diesem Jahr weiterhin möglich zu machen. Gerade das Urheberrecht setzt den Archiven bei modernen Beständen des 20. Jahrhunderts hinsichtlich der digitalen Bereitstellung von Dokumenten enge Grenzen.“

Ein schwer entflammbares Dankeschön …

… an Dorit, die mich mit Stoff und Faden von Constanze Derham (auch auf Twitter und mit Blog) überraschte. Ich hatte bei meinem blauen Stoff mit dem Material gehadert und mich gefragt, was für ein nerviges Material das wohl sein könnte. Ich behaupte nach der schnellen Lektüre des kleinen Stofflexikons, dass es schlicht Wolle sein könnte. Das Lexikon beginnt nämlich mit der aufregenden Brennprobe, und so stand ich gestern vor meiner Spüle, in der ich eine Kerze platziert hatte, hielt ein paar mit der Pinzette aus dem Stoff gezogene Fäden an die Flamme und guckte, was passierte. Die Fäden veränderten sich in der Nähe der Flamme noch nicht – das wären dann Kunstfasern gewesen, die schmelzen –, sondern entzündete sich erst direkt im Feuer, brannte mit kleiner Flamme und roch deutlich nach verbranntem Haar. Das passte alles zu Wolle. Im hinteren Teil des Büchleins lernte ich, dass man Wolle totbügeln kann – kein Dampf, nur Hitze, genau das mache ich, weil ich ein sehr, sehr, sehr altes Bügeleisen besitze. Dann kann man sie nicht mehr in Form bringen, und das passt auch zu meinen Beobachtungen am Stoff. So ganz überzeugt bin ich noch nicht: Ich kenne Wolle nur als kratziges, warmes Zeug, und dieser Stoff trägt sich sehr leicht und angenehm auf der Haut. Vielleicht noch ein Kunstfaserchen drin? Oder sollte sich die Wollverarbeitung seit meiner Kindheit vor 100 Jahren verändert haben? Schockschwerenot, mein Riechsalz! Ich werde den Stoff demnächst anfeuchten und bügeln, mal sehen, was dann passiert. Es bleibt weiterhin aufregend. (Und man darf kokeln!) Vielen Dank für das hilfreiche Geschenk, ich habe mich sehr gefreut.

Was toll war, Dienstag, 28. Juli 2020 – Thierry Mugler

Klamotten gucke ich grundsätzlich lieber in Museen an anstatt in Läden; in London genoss ich vor ewigen Zeiten Armani, in der Münchner Kunsthalle sah ich bereits Gaultier, und in meinem Regal stehen ein paar Bildbände zu Yamamoto und Saint Laurent. Gestern schmachtete ich die Kreationen von Thierry Mugler an, erneut in der Kunsthalle. Die Ausstellung wurde bis Februar 2021 verlängert, und bis dahin solltet ihr sie alle gesehen haben, denn sie ist großartig.

Dass niemand in engen Räumen mehr weiß, was Abstand bedeutet, hat hingegen genervt, aber vielleicht lag das an unserer im Nachhinein doch eher doofen Idee, gleich morgens um 10 an der Kunsthalle zu sein. Als wir um 11 gingen, stand unten niemand mehr an der Kasse und auch oben vor den Austellungsräumen war keine Schlange, während man drinnen dauernd navigieren und die Luft anhalten musste, auch wenn die Anzahl der Besucher:innen natürlich begrenzt war.

Gleich im ersten Raum – die Räume hießen „Akt I, Akt II“ usw., naja – standen die Damen in den Blechgewändern, die ich von Mugler kannte. Ihr auch, falls ihr George Michaels Too Funky noch im Hinterkopf habt, da laufen alle in Mugler rum.

Im Video ist das auch großartige Bustier zu sehen, das aus Motorradteilen besteht und handbemalt wurde. Darauf war ich vor allem gespannt, und es sieht im Original noch toller aus als auf Video. (Oder auf meinem eher müden Foto.)

Im Nebenraum lief dann das eben erwähnte Video, und das rote Cowgirl-Kostümchen sowie das schwarze Spitzenkleid daraus sind zu sehen, das Nadia Auermann trug. Wobei: Die Spitze besteht nicht aus Stoff, sondern aus Gummi, was mich völlig fasziniert hat. Gerade bei den metallenen Kreationen hatte ich zum ersten Mal Respekt vor Models – das muss so irre unbequem sein, die Dinger zu tragen. Aber in ein hochgeschlossenes, langärmeliges Gummikleid zu schlüpfen, dürfte auch mehr Koordination erfordern als ich mir vorstellen kann.


Mugler war einer der ersten Designer, der Fetischassoziationen völlig selbstverständlich in die Haute Couture integrierte: eben das Gummikleid bzw. weitere Materialien wie Latex. Durch Korsetts sowie einer Mischung aus maskulinen Attributen wie breiten Schultern und gleichzeitig feminin konnotierten Zügen wie schmalen Taillen und der Betonung von Brust und Po schuf er eine einzigartige Ausstrahlung für die Trägerinnen seiner Mode. Eine meiner Säulenheiligen, die Kunsthistorikern Linda Nochlin, sprach über diese Art Kleidung mit Mugler (1994) und meinte:

„NOCHLIN: Grandiosity and generosity, at the same time. That I find politically extremely interesting, because it shakes up our ideas of femininity altogether. It’s so extreme.

MUGLER: Thank you!

NOCHLIN: It’s so extreme that these women aren’t sex objects, they’re sex subjects.“

Der letzte Satz steht auch stolz (und gerechtfertigt) im Wandtext meines Lieblingsraums. Dort ist zum Beispiel das Venuskleid von 1995 zu sehen, das Cardi B. als Archivstück 2019 zu den Grammys trug; hier ein achtminütiger Film dazu, hier ein Großteil der Kollektion aus diesem Jahr. Aber vor allem sind dort die Kleider zu sehen, die ich am eindringlichsten mit Mugler verbinde, neben den Metalldingern. Zum Beispiel dieses Kleid, das ich seit 25 Jahren im Hinterkopf habe, weil ich es so grandios finde:

Falls man es nicht erkennen kann: Das Kleid hat keine Träger, der Stoff ist an Brustwarzenpiercings befestigt. Sex Subject. Andere Kostüme hatten Aussparungen, wo Haut durch schwarzen Chiffon schimmerte, wo Stoffteile an hauchdünnen Fäden hingen, so dass alles aussah wie auf den Körper geworfener Stoff, der ganz kurz davor ist, wieder zu verrutschen, was aber nie billig oder nach male gaze aussah. Selbst das oben seitlich zu sehende Kostüm, das die obere Hälfte des Pos freilässt, über dem Perlen hängen, so dass es aussieht wie ein Dekollete, wirkt nicht albern, sondern stilvoll. Und dass unter dem Kostüm im unteren Bild, das deutliche Anklänge an den Fin de Siècle hat, bevor Frauen in losen Hängerkleidchen die 1920er-Jahre revolutionierten, und unter dem weiten Hut aus den 1950er-Jahren ein Ganzkörperanzug aus Latex getragen wird, ist nur konsequent in seiner wilden Mischung aus Zitaten, Neuem, Öffentlichkeit und Privatsphäre.

Dieses auf der Haut getragene Selbstbewusstsein wurde besonders im letzten Raum deutlich, wo Fotos von Helmut Newton hingen, auf denen Models Mugler trugen – bzw. seine Kleidung über sich oder neben sich drapierten, um weiterhin Haut zeigen zu können, Herrgottnochmal. Ich kann mit Newton wirklich überhaupt nichts anfangen, ich finde seine Ästhetik langweilig, und unterstelle ihm, vielleicht zu Unrecht, dass er nur Fotos machte, damit er nackte Frauen anstarren konnte. Jedenfalls sehen seine Bilder so aus. Ich sehe auf ihnen nie die angeblich selbstbestimmte Frau in seinen jüngeren Models, die unbedingt unbedeckt vor dem alten Mann rumstehen müssen, gerne auf hohen Absätzen. Die sehe ich aber in Muglers Kreationen.

Hier noch ein Zitat aus dem oben verlinkten Gespräch zwischen Mugler und Nochlin:

„Nochlin turned up for their meeting in a West Side apartment wearing red socks patterned with black Scotties. Mugler reacted with mock horror. The photographer taking their picture told him not to wrinkle his brow. “I’m supposed to be the aging intellectual,” Nochlin joked. They went on to talk about images of women, about femininity as an enterprise, about the uses of fashion, which Mugler calls “a trick and a game.” If fashion is in fact “a trick and a game,” what does the game tell us about the women who play it?

MUGLER: So many things. A lot, I think.

NOCHLIN: Well, that’s if you think there’s such a thing as women. I’m more inclined to agree with somebody like Joan Riviere, who was a student of Freud and said that femininity is a condition of disguise. I mean, there may be women, but femininity you dress up for. You learn how to be feminine — it’s not something natural, ever. So I would say that the great designer of clothing is always providing additional disguises to create new forms of the feminine. And I would say that clothes tell you something about the choice of the woman who’s wearing them, but they don’t tell you anything about the quote-unquote real woman, because I don’t think there is a real woman. There’s a real person, but I don’t think it’s a woman.

MUGLER: Very true. There is only the person who chooses to play the feminine role, to experience different aspects of femininity. […]

Linda, it sounds to me as if your theory is not so much that the woman is natural but that the person is natural and the woman artificial.

MUGLER: Not only the woman but the whole mythology of femininity.

NOCHLIN: Exactly. But I would also tie it in to certain postmodernist ideas about the self — that there is no self, even. That the self is a condition of disguise and that we can move back and forth in terms of sexualities, in terms of social being, in terms of all kinds of senses of who we are. And I think fashion helps us wonderfully in this. That’s why, in a sense, I would say that fashion is the postmodern art, because it helps to destabilize the self in such a wonderful way.“

Durch meine aktuelle Faszination mit Selbernähen weiß ich inzwischen, wie anstrengend das ist, zwei Stoffstücke mit geraden Nähten zusammenzubekommen. Daher warfen mich die unglaublichen Nahtbilder in der Ausstellung komplett in eine Sinnkrise. Zu sehen, wie perfekt gefühlt 80 Teile pro Jäckchen zusammengefügt wurden, um die unnachahmlichen Wellen, Kanten und dreidimensionalen Elemente, die in den Raum stoßen, herzustellen, war großartig. Kann man erneut auf meinem unteren Foto nur erahnen, dass die weißen Elemente nicht nur Flächen sind, sondern Formen. Ich war sehr früh entschlossen, den Katalog zu kaufen, solange er halbwegs bezahlbar war, um diese Werke noch länger studieren zu können, aber er kostete 79 Euro und war nur ein großes Bilderbuch ohne Detailaufnahmen oder auch nur unterschiedlichen Ansichten eines Stücks. Dann eben nicht.

Auch Kostüme waren zu sehen, die mir eher egal waren; auf einer Bühne kann man sich austoben, auf dem Laufsteg gibt es wenigstens ein paar Grenzen, denn irgendwer muss Haute Couture in Prêt-à-porter übersetzen. Trotzdem freute ich mich sehr über das einzige Plus-Size-Kostüm, das es zu sehen gab. Auch das war durchaus eine Erfahrung für mich, die es seit Jahren vermeidet, sich allzusehr Kleidergrößen um die 34 auszusetzen, um nicht ständig mit der eigenen Nicht-34 konfrontiert zu werden und in alte, selbstfeindliche Denkspiralen geworfen zu werden. Das ging überraschend gut, vielleicht hat meine derzeitige Social-Media-Nutzung von diversen Haute-Couture-Accounts diese Körperform wieder für mich normalisieren können, ohne sie erneut irreal und für mich unterreichbar zu idealisieren.

Der letzte große Raum zeigte Muglers Insects-Kollektion, bei der er sich von, genau, Insekten und ihren schillernden Oberflächen inspirieren ließ. Die Chimäre, die auf jedem Ausstellungsfoto und natürlich der Website groß zu sehen ist, war toll, aber ich fand diesen Hosenanzug viel toller: Das Wabenmuster im Blazer ist nur auf einer Hälfte zu sehen und dreidimensional gestaltet, die dunklen Linien sind keine Linien, sondern wirklich Einbuchtungen, kleine Zerklüftungen im Stoff. Wie macht man sowas? Das fragte ich mich eh die ganze Zeit und mein Mund stand wahrscheinlich dauernd undamenhaft offen. Aber das sieht unter der Maske ja niemand, ha! Nebenbei wäre diese Ausstellung eine Steilvorlage für Mund-Nasen-Schutz-Verkäufe in Rekordhöhe gewesen, aber darauf ist keiner im Shop gekommen, der in der Kunsthalle eh seltsam ist. Bling und Bleistifte, nichts dazwischen. Bitte nehmen Sie sich alle ein Beispiel an der Albertina oder dem Kunsthistorischen Museum in Wien.

Probleme hatte ich allerdings mit einigen Fotos von Mugler selbst, der seine Modelle gerne an beeindruckender Architektur inszenierte. Mit der Pariser Oper oder dem Chrysler Building kann ich arbeiten, aber zwei gut gelaunte Modepuppen vor die faschistischen Statuen Roms zu stellen, war mir ein bisschen zu wenig nachgedacht. Und auf die erwähnten Newtons hätte ich verzichten können. Dafür hätte ich vom Rest gerne mehr gesehen; in Montreal, einer der anderen Stationen der Schau, stand anscheinend ein bisschen mehr rum. Sei’s drum: große Anschauempfehlung. Vielleicht nicht gleich morgens um 10.

Tagebuch Montag, 27. Juli 2020 – Urlaub

Eiskaffee genossen, meine Tomätchen gezählt, das letzte Brot aufgetaut, weil ich nicht vor die Tür wollte, gejammert, dass ich nur blödes aufgetautes Toastbrot habe, Erdbeeren und Kirschen, mehr Eiskaffee. Hamilton geguckt (schon gut, schon gut, “I’ll do whatever it takes / I’ll make a million mistakes“, Lieblingszeile du jour, mal wieder gedacht, der Burr ist viel spannender als Hamilton). Hamilton gelesen und bei jeder Erwähnung eines Namens, einer Jahreszahl oder eines Ereignisses den Soundtrack im Ohr gehabt, sehr nerviges Leseerlebnis, selber schuld. Mein blaues Top teilweise aufgetrennt und mit der Hand nachgenäht, aber gefühlt eher verschlimmbessert. Muss ich nochmal auftrennen. Abends mit F. ein kleines Radler bei Funzellicht und Kerzen auf dem Balkon. Gemeinsam eingeschlafen. Guter Tag.

The Invention of the Police

Diesen Artikel teilte ich gestern schon auf Twitter; er beschreibt die historische Entwicklung der US-amerikanischen Polizei, die, Überraschung, sich heute noch auf Taktiken von Sklavenjägern und dem Militär beruft. Über die Idee, dass die Bevölkerung, die du schützen sollst, dein Feind ist, habe ich noch nie nachgedacht, weil sie mir so fremd erscheint. Den Artikel könnte man komplett zitieren, ich lege ihn euch ans Herz, weil ich ihn historisch sehr aufschlussreich fand.

„The crisis in policing is the culmination of a thousand other failures—failures of education, social services, public health, gun regulation, criminal justice, and economic development. Police have a lot in common with firefighters, E.M.T.s, and paramedics: they’re there to help, often at great sacrifice, and by placing themselves in harm’s way. To say that this doesn’t always work out, however, does not begin to cover the size of the problem. The killing of George Floyd, in Minneapolis, cannot be wished away as an outlier. In each of the past five years, police in the United States have killed roughly a thousand people. (During each of those same years, about a hundred police officers were killed in the line of duty.) One study suggests that, among American men between the ages of fifteen and thirty-four, the number who were treated in emergency rooms as a result of injuries inflicted by police and security guards was almost as great as the number who, as pedestrians, were injured by motor vehicles. Urban police forces are nearly always whiter than the communities they patrol. The victims of police brutality are disproportionately Black teen-age boys: children. To say that many good and admirable people are police officers, dedicated and brave public servants, which is, of course, true, is to fail to address both the nature and the scale of the crisis and the legacy of centuries of racial injustice. The best people, with the best of intentions, doing their utmost, cannot fix this system from within.

There are nearly seven hundred thousand police officers in the United States, about two for every thousand people, a rate that is lower than the European average. The difference is guns. Police in Finland fired six bullets in all of 2013; in an encounter on a single day in the year 2015, in Pasco, Washington, three policemen fired seventeen bullets when they shot and killed an unarmed thirty-five-year-old orchard worker from Mexico. Five years ago, when the Guardian counted police killings, it reported that, “in the first 24 days of 2015, police in the US fatally shot more people than police did in England and Wales, combined, over the past 24 years.” American police are armed to the teeth, with more than seven billion dollars’ worth of surplus military equipment off-loaded by the Pentagon to eight thousand law-enforcement agencies since 1997. At the same time, they face the most heavily armed civilian population in the world: one in three Americans owns a gun, typically more than one. Gun violence undermines civilian life and debases everyone. A study found that, given the ravages of stress, white male police officers in Buffalo have a life expectancy twenty-two years shorter than that of the average American male. The debate about policing also has to do with all the money that’s spent paying heavily armed agents of the state to do things that they aren’t trained to do and that other institutions would do better. History haunts this debate like a bullet-riddled ghost.“

Was schön war, Samstag/Sonntag, 25./26. Juli 2020 – Nähen und lernen

Am Samstag nähte ich ein zweites Top nach demselben Schnittmuster bzw. meinen ausgeschnittenen Papierbögen wie am Freitag. Auch das Ergebnis kann ich noch nicht komplett vorzeigen (oder überhaupt), weil ich daran noch einiges ändern werde, aber ich stand am Samstag aus Ermangelung eines Ganzkörperspiegels auf der Leiter vor meinem Badezimmerspiegel und bewunderte mein Werk an mir und fand alles ganz großartig.

Das helle Top vom Freitag war ein Stoff gewesen, den ich nicht hätte anziehen wollen, weiß ist überhaupt nicht meine Farbe. Im Nachhinein ärgere ich mich ein winziges bisschen, dass ich den Stoff nicht als Tischdecke verwendet habe – als ich ihn auf dem ausgezogenen Küchentisch ausbreitete, um zu schauen, ob die Stoffmenge für das Top überhaupt reicht, war mein erster Gedanke: Och, das lass ich gleich so liegen. Aber dann zerschnitt ich ihn doch, und als Übungsstoff war er auch perfekt, weil er recht dünn war und sich gut nähen ließ. Außerdem habe ich deutlich mehr weißes und schwarzes Garn im Nähkästchen als farbiges (danke, Oma) und musste so nicht mittendrin Angst davor haben, die letzten Nähte möglicherweise in Rot nähen zu müssen, weil Weiß aus war.

Das zweite Top sollte durchaus eins sein, das ich so draußen, so unter Menschen mit Augen tragen könnte, ganz eventuell. Daher griff ich zu einem dunkelblauen Stoff, eine Farbe, aus der ich gerade meine gesamte Garderobe zusammenstelle, falls ich etwas nachkaufe, denn ich sehe gut darin aus und alles passt zu allem. Eine meiner lockeren Bekannten trägt immer, wenn ich sie sehe, was meist eher im professionellen Umfeld passiert, einen blauen Hosenanzug, darunter dunkle Blusen oder Tops, und sieht immer perfekt aus. Manchmal sind es schlichte Halbschuhe, manchmal die guten alten Chucks dazu, aber wie gesagt, immer passend. Dieses Outfit werde ich klauen, denn nichts langweilt mich mehr, als über meine Optik nachdenken zu müssen. Vielleicht ändert sich das mit dem Nähen, aber eigentlich würde ich hier ganz gerne Dinge gnadenlos vereinfachen und meinen Kopf zu Wichtigerem benutzen.

(Einschub: Mein normalerweise einziges Schmuckstück neben meinem Silberring, nämlich Ohrringe, trage ich im Moment nicht: Brillenbügel, Mund-Nasen-Schutz-Bändchen und Ohrhänger gleichzeitig nerven total.)

Zurück zum Top und zum blauen Stoff, der auch ein bereits zugeschnittenes und damit günstiges Teil vom Ausverkaufstisch beim Karstadt gewesen war. Je länger ich ihn in der Hand hatte, desto besser gefiel er mir und deswegen gab ich mir dieses Mal etwas mehr Mühe als beim ersten Top, wo ich einfach nur verstehen wollte, was ich eigentlich machen muss, bevor ich mir Mühe gebe. Daher achtete ich dieses Mal brav auf alle Abstände, maß teilweise noch einmal nach – und beging gleich beim ersten Zuschneiden einen Fehler. Der Ausschnitt des Tops war mir zu tief, den wollte ich einfach drei, vier Zentimterchen höher setzen. Beim Vorzeichnen auf dem Stoff verwechselte ich komplette Matschbirne aber ernsthaft das Armloch mit dem Halsausschnitt – fragt nicht – und schnitt daher falsch aus. Habe ich das also auch hinter mir. Wird mir nie wieder passieren. *hust*

Ich stellte interessiert fest, dass sich dieser Stoff null bügeln ließ. Beim helleren Top brauchte ich nicht einmal Stecknadeln, so schön fest und klar lagen die vorgebügelten Kanten vor mir, bevor ich sie durch die Nähmaschine schob. Bei diesem Stoff, von dem ich nicht weiß, wie er heißt (wo ist die Fachbibliothek für Textilkunde?) hielt nichts, nicht mal eine Andeutung einer Kante blieb übrig, sobald ich das Eisen vom Stoff nahm. Faszinierend, faszinierend. (Arschlochstoff. Dann wirst du halt gepiekt.) Stecknadeln sind theoretisch super, aber gefühlt verletze ich mich daran öfter als mit scharfen Messern beim Kochen, Nervensägen, praktische. Ich steckte also einen Saum fest, nähte, steckte den nächsten fest, nähte … ich hatte überlegt, erst alles abzustecken und dann alles zu nähen, ahnte aber, dass ich mich beim mehrfachen Stoffwenden blutig stechen würde. Die Angst der Anfängerin vor ihrem Werkzeug.

Das Konzept des Brustabnähers ist super, nur der Name nervt, auch wenn er genau das aussagt, was er aussagen soll: Man zieht quasi den Stoff, der sonst sinnlos vor der Brust rumhängen würde, durch eine Naht unterhalb der Büste nach hinten, so dass man vorne keinen halben Meter Stoff vor sich herschleppt. Hier orientierte ich mich am Schnittmuster und maß nicht noch einmal bei mir selbst, schlicht weil ich gar nicht gewusst hätte, wo ich hätte messen sollen. Nach dem Nähen wusste ich: Bei Burda-Schnittmustern den Abnäher zwei Zentimeter höher ansetzen. Ta-daa, WAS GELERNT! (Werde jetzt bei jedem Renaissancebild mit römischen Tuniken Brustabnäher vermissen.)

Dann war das Top fertig, ich schlüpfte hinein – und fand den Fall des Stoffs und das Tragegefühl schon mal ziemlich super. Die Länge war perfekt, auch die Armlöcher waren nicht mehr so knapp wie beim ersten Exemplar, nur der Ausschnitt war immer noch zu weit. Logisch. Ich steckte mir drei Falten ab, wie ich es tausendmal bei Project Runway gesehen hatte und nähte die per Hand fest, weil ich mich mit der Nadel in der Hand immer noch etwas sicherer fühle, gerade bei so sichtbaren Stellen wie dem Ausschnitt. Erneut reingeschlüpft – und es passte. Es passte! Menschen mit normaler Konfektionsgröße können das Gefühl vermutlich nicht ganz nachvollziehen, wie es ist, ein Kleidungsstück anzuziehen – und es passt. Das war ein fantastisches Gefühl! Gleich mal den Lieblingskundenblazer drübergezogen (bei dem ich demnächst todesmutig die Ärmel kürzen werde) und mich fantastisch gefühlt. Also wenn man davon absieht, dass ich verschwitzt war, nur Leggings unter dem schicken Oberteil trug und auf einer Leiter vor dem hohen Badezimmerspiegel stand, um meinen gesamten Oberkörper ansehen zu können.

Ein paar Nähte werde ich wieder auftrennen und per Hand nochmal nähen, die könnten etwas hübscher sein, aber ansonsten habe ich jetzt ernsthaft ein Kleidungsstück genäht, mit dem ich mich auf die Straße bzw. in Meetings und ins Theater trauen würde. Damit habe ich selbst nicht gerechnet, und deswegen war ich das ganze Wochenende sehr gut gelaunt.

Strauben

Instagrams seltsamer Algorithmus spülte mir vor einiger Zeit den Funnel Cake von Smitten Kitchen in den Stream. Ich koche von dort sehr selten etwas nach, ich weiß gar nicht, warum, aber ich mag ihre Art der Food-Fotografie. Funnel Cake ist ein in Fett ausgebackenes Gebäck und mehr musste ich gar nicht wissen. Beim Rezeptlesen lernte ich, dass es dieses herrliche Zeug auch unter der Bezeichnung Strauben in Süddeutschland gibt, also googelte ich danach, ehe ich wieder sinnlos Cups in Milliliter umrechnen musste. Gleich das erste Suchergebnis (aus Südtirol) schien zu taugen, nachgemacht, hervorragend.

Ich habe meine 20-Zentimeter-Pfanne genutzt und damit drei von diesen Köstlichkeiten produziert, von denen zwei Menschen sehr satt werden. Aus dem oben verlinkten Rezept kommen noch ein paar mehr Strauben raus, falls ihr zu faul seid, hochzurechnen.

2 Eier trennen, die Eiweiße zu Eischnee schlagen.

15 g Butter schmelzen.

In einer Schüssel die Eigelbe und die Butter mischen mit
150 g Weizenmehl, bei mir Type 405,
160 ml Vollmilch,
1 Prise Salz sowie
1 Schnapsglas Marillenschnaps (bei mir Birne). Das verhindert angeblich, dass sich das Backwerk zu sehr mit dem Frittierfett vollsaugt, aber wenn ich mir anschaue, was von den ca. 250 ml Sonnenblumenöl nach drei Strauben noch übrig war, bin ich mir nicht sicher, ob der Schnaps nicht einfach nur in den Teig kommt, weil Schnaps super ist. Ich ahne, dass man ihn weglassen kann.

Den Teig mit einem Schneebesen verrühren, bis keine Klümpchen mehr zu sehen sind, dann das Eiweiß unterheben, es darf ruhig durchschnimmern. Der Teig sollte nicht zu dünn, sondern kurz vor zähflüssig sein; im verlinkten Rezept ist ein Video zu sehen, das recht hilfreich ist.

Öl oder Fett in einem Topf oder einer Pfanne erhitzen und den Teig in kreisförmigen Bewegungen durch einen Trichter, einen Spritzbeutel oder wie ich einfach aus der Schüssel ins Fett gießen. Es sollte ein spiralförmiges Muster entstehen, der Teig muss sich aber überlappen, damit man das Wunderwerk in einem Stück wenden kann. Deswegen sieht es bei mir eher wie ein Gitter aus, aber hey, erster Versuch.

Sobald die Unterseite erkennbar gebräunt ist, mit einer Küchenzange wenden und die andere Seite ausbacken. Das dauert beides nur wenige Minuten.

Mit
1 EL Kristallzucker sowie
1 EL Puderzucker bestreuen, wer mag, gibt
Preiselbeermarmelade oder (wie ich) Apfelmus dazu. Sofort servieren.

Was schön war, Freitag, 24. Juli 2020 – Mein erstes Kleidungsstück

Als ich vor 35 Jahren im Handarbeitsunterricht erstmals an einer Nähmaschine saß, musste mir meine Mutter mit geraden Nähten helfen, um aus vier Quadraten eine Kissenvorderseite zu nähen, die nicht so aussehen sollte, als hätte ich sie im Dunkeln zusammengetackert. Am Reißverschluss versuchte ich mich erst gar nicht und beschloss, dass Nähen wohl nicht so meins ist.

Diese Einstellung hielt bis ungefähr April 2020, als wir uns alle mit der Idee anfreunden mussten, demnächst mit Mund-Nase-Schutzen herumlaufen zu müssen, um in einen Supermarkt zu dürfen. Ich holte Omas Nähkiste aus dem Regal, fand Nadel, Faden und Gummibänder, zerschnitt eine Stoffserviette und nähte meine erste Maske. Das war eher Verzweiflung und Langeweile als der Anfang einer begeisterten Nähkarriere, aber, keine Ahnung warum, mein Interesse an Handarbeiten war geweckt. Ich bestellte schönen Stoff und passendes Garn, nähte weiter Masken und wartete, bis im Juni eine erschwingliche Nähmaschine wieder verfügbar war, die vermutlich in der Zeit der Ausgangsbeschränkungen alle bestellt hatten (die hatte im November 2019 auch eine gute Bewertung von Stiftung Warentest bekommen). Die ersten Nähversuche waren spannend, auch wenn ich merkte, dass es mir immer noch nicht leicht fällt, einfach eine gerade Naht zu nähen, aber dieses Mal war der Ehrgeiz geweckt, es selbst nochmal zu machen anstatt es dem Mütterlein hinzulegen und lieber ein Buch zu lesen.

Auf der Zugfahrt in den Norden vor Kurzem trug ich eine maschinengenähte Maske mit schicken Bändern statt Gummiband und halbwegs geraden Nähten (HA!), vorgestern hatte ich mir ein Schnittmuster aus dem Internet geladen, um das ich schon länger rumgeschlichen war, vor einigen Wochen hatte ich mir günstige Stoffe, weil Restposten und vorgeschnitten, beim Karstadt gekauft, und so saß ich gestern vor meinem ersten ausgedruckten Schnittmusterbogen, von dem ich meine normale Kleidergröße bereits auf Pergamentpapier übertragen hatte, und war sehr aufgeregt.

Ich las lieber nochmal in meinen beiden vorhandenen Fachbüchern nach (Nähen – vielleicht doch eher was für Menschen, die schon ein bisschen wissen, was sie tun; Passt perfekt – sehr motivierend geschrieben, ich arbeite mich gerade anständig durch anstatt es weiter zu überfliegen), ob ich irgendwas vergessen hatte, und das hatte ich natürlich, nämlich die irre wichtige Nahtzugabe. Beschwingt fuhr ich mit meiner bunten Schneiderkreide auf dem doppelt ausgelegten Stoff relativ Freihand um das ausgeschnittene Stück Papier und wunderte mich dann, als ich beide Teile aufeinanderlegte, dass sie nicht perfekt aufeinander passten. Bis mir einfiel, dass mein Körper nicht der eines achtjährigen Jungen ist und daher das Vorderteil etwas mehr Volumen hat als das Rückenteil. Wieder was gelernt. Alle Menschen, die routinemäßig an Kleidung sitzen, dürfen sich wieder beruhigen vor Lachen.

Ich erspare euch die weiteren, äußerst naiven Handwerksschritte, die ich alle zum ersten Mal ausführte, was ich aber genau deshalb sehr spannend fand. Das war eine kleine Entdeckungsreise zu einem alltäglichen Gegenstand: Wieso kommt hier ein Saum hin, passt das wirklich, wenn ich es anziehe, wieso sieht das hingelegt unpassend aus, aber sobald ich es zusammennähe, stimmen die Übergänge wieder – und nebenbei: Das nächste Mal achten wir etwas besser auf die Linien auf dem Schnittmuster, damit das Vorderteil nicht zehn Zentimeter länger ist als das Rückenteil. Das System der Brustabnäher ignorierte ich vorerst, ich wollte einfach erst einmal verstehen, was ich da eigentlich tue und wie ein so simples Kleidungsstück wie ein Top, das nur aus zwei Teilen besteht, funktioniert und konstruiert ist, damit ich bei meiner mehrfarbigen Bluse mit Rosshaarkragen und 17 Knopfvarianten, Taschen und einem langen Rücken weiß, was ich zu tun habe. (Haha.)

Und so konnte ich nach zwei Stunden (ja, das dauert bei mir noch lange) ein Top überziehen, das interessanterweise genau an den Stellen nicht gut saß, wo auch Kleidung nicht gut sitzt, die ich von der Stange kaufe. Aber jetzt weiß ich, wo ich ansetzen kann, um endlich keine Blusen mehr tragen zu müssen, die am Oberarm zu eng und gleichzeitig über der Brust zu weit sind. Hoffe ich jedenfalls. Und natürlich ist das totale Absicht, dass die Naht außen am Arm etwas weiter weg von der Kante sitzt als die am Hals, ist klar.

Nebenbei kann man Physiker mit einem Maßband in den Wahnsinn treiben, wenn sie dich vermessen sollen: „Für jeden Scheiß gibt es präzise Instrumente und hier brummelgrummelmuff.“ So niedlich! Auch nebenbei, wobei das nicht ganz so nebenbei ist für jemanden wie mich, die Jahrzehnte mit ihrem Körper auf Kriegsfuß gestanden hat: Die hohen Zahlen zu hören, die halt kommen, wenn man meinen Bauch, meine Taille oder meinen Oberschenkelumfang misst, konnte ich ziemlich ungerührt in meine Tabelle eintragen, ohne in eine Sinnkrise zu kommen (ein Grund, warum ich mich lange eben nicht an eine Nähmaschine setzen wollte). Seit ich keine Waage mehr habe, gibt es keine Zahl mehr, die mich terrorisieren könnte oder über die ich meinen Selbstwert definiere. Und so waren auch diese Zahlen keine Angabe darüber, ob ich ein guter Mensch bin oder ein undisziplinierter Haufen Fett: Sie waren einfach nur Zahlen, die meine Körperumfänge wiedergeben. („ABER SO UNPRÄZISE BRUMMELGRUMMELMUFF!“)

Was schön war, Donnerstag, 23. Juli 2020 – Etwas Neues anfangen

Ausgeschlafen. Das war schon mal schön. Die Nacht war etwas unruhig, aber der Wecker blieb aus, und ich verschlief auch die Gute-Morgen-DM von F.

Den neuen Kaffee in der French Press gekocht, dann über Eiswürfel, Milch und Kakaopulver geschüttet und sehr genossen.

Eine halbe Staffel Top Chef geguckt, because why not. Meinem Gehirn beim Atrophieren zugeguckt. Dauernd eingeschlafen.

Lange mit dem Schwesterchen telefoniert und einen Plan geschmiedet, der das Mütterchen hoffentlich freut.

Abends voller Tatendrang meinen ersten, hoffentlich anfängerinnentauglichen Schnittmusterbogen aus dem Interweb geladen. Nachdem ich verstanden hatte, welche Teile ich brauchte, druckte ich eben diese aus – auf den Rückseiten meiner ganzen Diss-Probe- und Korrigierdrucke. Ich fluchte über meinen miesen Cutter und dass ich außer Pappkartonrückseiten keine vernünftige Unterlage zum Ausschneiden hatte, klebte dann die 28 oder so Seiten mit Tesa zusammen, breitete sie auf Schreib- und Küchentisch aus und pauste meine Größe liebevoll auf Seidenpapier durch. Das war eine Fehllieferung meines Bastelausrüsters gewesen, bei dem ich eigentlich Kopierpapier bestellt hatte, ging aber auch; ich bin immer zu faul, Dinge zurückzuschicken. Das fiel mir gestern wieder auf, als ich neben den beiden Tischen auch ein Bild als Unterlage nutzte, das ich mir 2012 zum Studienbeginn bzw. für meine erste Münchner Wohnung als Wandschmuck bestellt hatte. Meine geliebte Hl. Katharina von Raffael war seitenverkehrt gedruckt bzw. gerahmt worden, aber das war mir damals egal. Heute ist es mir peinlich, sowas zu besitzen, aber wegschmeißen kann ich die Dame natürlich auch nicht. Man kann immerhin auf ihr Schnittmuster durchpausen.

An das Stoffzuschneiden wage ich mich erst heute. Das wird vermutlich ein Massaker werden, aber wurst, auf mein erstes selbstgenähtes Kleidungsstück werde ich vermutlich übertrieben stolz sein und es gnadenlos tragen (zuhause, wo es niemand sieht).

How to Ruin a Superpower

Foreign Policy über drei Faktoren, die die Stellung der USA in den letzten Jahrzehnten verschlechterten, bis Corona alles noch schlimmer machte. Schlimmer aus Sicht der USA, ich denke noch über den Rest der Welt nach.

„Before Trump, the mistakes of the unipolar era fell under three main headings. The first error was adopting a grand strategy of liberal hegemony, which sought to spread democracy, markets, and other liberal values far and wide and to bring the whole world into a liberal order that was designed and led by the United States. This vastly ambitious strategy provoked a strong backlash from a variety of quarters, led to unnecessary and costly wars that squandered trillions of dollars, and undermined key sectors of the U.S. economy.

The second mistake was to allow public institutions to deteriorate, by starving them of resources and then blaming them for all our problems. […] The third misstep was the weaponization of partisan politics that began with the Newt Gingrich revolution in the U.S. Congress. […] Aided by talk radio hate-mongers like Rush Limbaugh and the factually challenged propagandists at the Weekly Standard and Fox News, conspiracy theories, slander, and the steady erosion of the “soft guardrails” of democracy replaced respectful debate, discussion, and compromise.“

Was schön war, Montag bis Mittwoch, 20. bis 22. Juli 2020 – Zeug und Kunst und Ruhe

So richtig entspannen konnte ich mich nach Abgabe der Diss nicht, weil mir die Woche alte Heimat noch bevorstand. So schön das zu wissen ist, dass man dem Mütterchen helfen kann, so anstrengend ist es auch für mich, eine Woche lang nicht alleine zu sein, Angst vor der Zugfahrt zu haben und sich sechs Tage mit für mich nicht passenden Möbeln, Badezimmerausstattungen, Essensgewohnheiten und Kochutensilien zu arrangieren. (UND KEIN INTERNET!) Auch die direkten Tage danach waren nur so mittelentspannend, denn wir mussten unseren Podcast noch fix aufnehmen, bevor einer unser drei Mitstreiter seinen Hauptwohnsitz von München wegverlegt. Ich kam also Samstag nachmittag wieder nach Hause, hatte immerhin einen schönen und entspannenden Abend mit F., musste dann aber Sonntag Kunst gucken, schlimm, ich weiß, dann darüber nachdenken, auch total schlimm, Montag räumte ich dann die Wohnung auf und kochte für drei, wir nahmen den Podcast auf und tranken brav alles aus, was rumstand, was dazu führte, dass ich Dienstag wie eine halbtote Fliege auf dem Sofa vergammelte.

Gestern gönnte ich mir einen Schöne-Dinge-Morgen, an dem ich zunächst im Café nebenan neue Kaffeebohnen erstand, dann radelte ich in die Stabi und holte mir ein Buch, das ich nur zum Vergnügen lese, unglaublich, und anschließend kaufte ich beim Brantner ein Landbrot, das wie herzhaftes Brioche schmeckt und das sie nur Mittwochs backen. Mit der Sauerrahmbutter vom Jamei war das ein Festessen.

Meine Tomaten haben ein bisschen Sonnenbrand, vielleicht hole ich sie doch wieder rein, herrgott, diese selbstgeschaffenen Stressfaktoren für fünf Tomätchen, die ich auch einfach nebenan bei Edeka kaufen könnte. Nein, natürlich nicht, schon klar, warum das toll ist, sich selbst um Gemüse zu kümmern. Aber ich merke an meinen Pflanzen, was für eine fürchterliche Helikoptermutter ich geworden wäre.

Am späten Nachmittag gab’s die Reste der für Montag geschnitzten Dan-Dan-Nudeln, nun mit Hack, das ich bis dahin für den Vegetarier am Tisch weggelassen hatte. Ich hatte auch die eigentlich geforderte Hühnerbrühe durch Gemüsebrühe ersetzt, was ich nicht rausschmecken konnte, vermutlich weil die Hoisin- und Sojasaucen eh alles zukleistern, herrliches Zeug. Gestern erwischte ich die perfekte Harmonie an Nudeln, Gemüse, Sesamsauce und Koriander, was mich sehr freute.

Ansonsten war gestern noch ein halbwegs letztes Mal „Zeug erledigen“-Tag, das nicht ins Blog gehört, mich aber etwas anspannte. Danach gönnte ich mir erneut „Hamilton“ bei Disney und las die Biografie weiter. Inzwischen irritiert mich diese Doppelschiene ein bisschen; das Musical hält sich sehr an die historischen Fakten, aber vereinfacht bzw. rafft sie etwas oder macht sie bühnentauglicher. Außerdem ist die Biografie natürlich deutlich ausführlicher, weswegen ich jetzt beim Buch immer denke, woah, passiert hier viel, und beim Musical, hey, nicht so schnell, da bin ich doch im Buch noch gar nicht. Selber schuld.

Wir erwähnen es im Podcast: Das war sehr schön, mal wieder in einem Museum zu sein, auch wenn es eher Arbeit als Vergnügen ist, sich für unsere Aufnahme eine Ausstellung anzuschauen. Aber ich merkte es am Sonntagabend, als F. vorbeikam und ich sofort mit ihm über ein paar Exponate sprechen wollte, was wir uns aber verkniffen. Es war endlich mal wieder ein anderes Gesprächsthema nach Monaten Home Office, Diss-Endspurt und Coronascheiß, nach Nicht-wegfahren, Nicht-Fußballgucken, Nicht-auf-Konzerte-gehen, endlich mal wieder ein neuer Impuls, neues Futter für Augen und Kopf.

Auch schön: Das Lenbachhaus reagierte auf unseren Podcast. Sowas freut uns natürlich immer sehr, wenn die Institutionen, die wir besuchen, gucken, wie Reaktionen auf ihre Arbeit ausfällt. Ich meine, das der Podcast nicht so ganz zu unseren besten gehört, weil wir ein bisschen aus der Übung waren, aber mei, ich nenne 2020 inzwischen eh das Jahr, in dem alle nur irgendwie rumwurschteln.

Herr Levit ist bei der 32. Klaviersonate von Beethoven im Podcast angekommen, jetzt sind alle Folgen online. Da habe ich auf der nächsten Zugfahrt ja noch schön was zu hören.

Und jetzt liege ich bis Ende dieser Woche nur noch rum, so.

Fehlfarben 26: Radio-Aktivität/Sheela Gowda: „It … matters“

Nach einer Zwangspause von fast einem halben Jahr meldet sich unser kleiner, feiner, weinseliger Podcast zurück. Das tat sehr gut, mal wieder über Kunst sprechen zu können und nebenbei eine Runde neuseeländische Weißweine zu verkosten. Dabei haben wir leider das Mikro kurz aus den Augen verloren, weswegen unsere Tonqualität einen Hauch schlechter ist als sonst, Entschuldigung!

Podcast herunterladen (MP3-Direktlink, 70 MB, 83 min), abonnieren (RSS-Feed für den Podcatcher eurer Wahl), via iTunes anhören.

00.00:00. Begrüßung und Vorstellung.

00.01:50. Wein 1.

00.03:40. Unsere erste Ausstellung: Radio-Aktivität im Lenbachhaus. Es geht um, laut Untertitel, „Kollektive mit Sendungsbewusstsein“. Wir sprechen über die wenigen Gemälde, die zu sehen sind, beschäftigen uns länger mit den Theorien, die durch Publikationen, Filmausschnitte und Kunstwerke angerissen werden, fragen uns, ob Bertolt Brecht Twitter doof gefunden hätte und ob Podcasts nicht genau seiner Radiotheorie entsprechen. Denn eine Frage, die die Ausstellung gleich im Einleitungstext stellt, lautet: Wer spricht und zu wem wird gesprochen?

Ich bringe dazu ein Hamilton-Zitat unter, und ihr könnt uns netterweise beim Denken folgen, denn das Lenbachhaus hat diverse Materialien online gestellt, jetzt, wo vielleicht noch nicht wieder alle in ein Museum möchten. Hier alle Ausstellungstexte, und im Folgenden die Gemälde, die im ersten Raum zu sehen sind: Kurt Günther: Der Radionist, 1927; Kurt Weinhold: Mann mit Radio (Homo Sapiens), 1929; Wilhelm Heise: Verblühender Frühling – Selbstbildnis als Radiobastler, 1926 (einer meiner Lieblinge im Lenbachhaus); Max Radler: Der Radiohörer, 1930.

00.29:00. Fazit: mehr zu lesen als zu gucken, aber ein gutes Sprungbrett für weitere Gedanken. Die Ausstellung läuft noch bis zum 13. September. Im Nachgang fragten F. und ich uns, ob die Schau auch deshalb mit relativ wenigen Exponaten auskommt, weil durch die Coronakrise Transporte erschwert wurden. Ich persönlich habe in der Ausstellung den Leseraum sehr genossen und hole mir gleich aus der Stabi das Buch Radio-Kunstgeschichte von Andreas Zeising ab (Rezension bei sehepunkte).

00.30:00. Wein 2.

00.32:20. Unsere zweite Ausstellung läuft im Kunstbau des Lenbachhauses: Sheela Gowda zeigte in raumfüllenden Installationen It … matters. Die indische Künstlerin arbeitet mit Materialien aus ihrer Umgebung und erzählt damit Geschichten; ihre Themen sind unter anderem, Zitat Begleitheft, „Arbeitsbedingungen, Produktionskreisläufe, urbane Infrastruktur“ sowie „traditionelles und modernes Leben“.

Hier stellte das Lenbachhaus netterweise gleich das komplette Begleitheft mit Bildern (!) und Texten online, das man auch in der Ausstellung bekommt; die Werke selbst sind nur mit Titel, Entstehungsjahr und Material ausgeschildert, sehr entspannend. Was ebenfalls entspannend war und von Florian und mir angesprochen wurde: Wie toll der Raum genutzt wurde. Man wollte fast mit ausgebreiteten Armen die Rampe zum Raum hinunterschreiten, so faszinierend war bereits der erste Eindruck. Wir erwähnen den Film, der im Kunstbau gezeigt wird; den findet ihr hier, während auf der eben verlinkten Ausstellungsseite noch weitere Clips und Werkabbildungen zu sehen sind.

01.03:00 Wein 3.

01.18:30. Fazit: Alle Daumen hoch für Frau Gowda. Ihr könnt euch die Wunderwerke noch bis zum 18. Oktober anschauen.

01.19:30. Wir lösen die Weine auf, 2 und 3 nahmen sich kaum was, aber wir krönten die 3 zum Sieger.

1. Konrad Wines: Hole in the Water 2019, Sauvignon blanc, 12,5%, bei wine-in-black für 11,65 Euro.

2. Cloudy Bay, Te Koko 2012, Sauvignon blanc, 13,5%. Der Wein war ein Geschenk von Felix von vor fünf Jahren, weswegen ich mir das Weinthema „irgendwas Weißes aus NZ“ ausgesucht hatte; ich möchte gerade nichts kaufen, was nicht sein muss. Wir hatten dann netterweise drei Sauvignons am Tisch. Keine Ahnung, was der Wein damals gekostet hat, heute ist er für um die 50 Euro die Flasche zu haben. (Sagt Google.)

3. Noch ein Cloudy Bay, Sauvignon blanc 2019, 13%. Ich glaube, Flo erwähnt die 24,80 Euro für die Flasche, aber keine Bezugsquelle, wir sind wirklich etwas aus der Übung. Bitte selbst im Weinladen eures Vertrauens nachfragen.

Was schön war, Donnerstag bis Sonntag, 16. bis 19. Juli 2020 – Heimat, Heimfahrt, heimelig

Bei den Eltern gibt es gnadenlos, komme die Hölle oder Hochwasser, nachmittags Kaffee und Kuchen. Da ich die ganze letzte Woche mit Maske rumgelaufen bin, habe ich gelernt: Wenn man ein Stück Sahnetorte, das etwas instabil ist, mit dem Finger abstützt, bis es heile auf dem Teller ist und dann den Finger instinktiv ablecken will, fühlt man sich mit Maske ein bisschen wie ein Trottel.

Wie jedesmal sehr gerne den Vögeln im Vogelbad zugeguckt, wie sie das Wasser einen halben Meter weit rausspritzen können, die Racker.

Auch gelernt: Sommerflieder ist Katzenminze für Schmetterlinge. Falls ihr gerade eine Lücke im Garten habt und gerne Schmetterlingen zuguckt, pflanzt von dem Zeug mal einen dicken Strauch. Sehr unterhaltsam.

In der Woche, in der ich nicht da war, kümmerte sich F. liebevoll um meine Arbeitszimmertomaten, die seit Samstag Balkontomaten sind. In den sechs Tagen, in denen ich sie nicht sah, sind sie ungefähr um 30 Zentimeter gewachsen und haben drei kleine Tomatengrünlinge produziert. Meine Hauswand ist jetzt mit Paketband und Tesakrepp verunziert, weil meine Bambusstäbe viel zu kurz für diese riesigen Monster geworden sind. Keine Ahnung, was ich da gekauft habe. Lidl-Samen. Das kann doch keiner ahnen, was aus diesen in Ausgangssperre-Hyperaktivität ausgesäten Samen in Eierkartons so wird!

Jedenfalls schickte mir F. am Freitagnachmittag ein Foto der ersten zwei Tomätchen, ich kreischte hysterisch rum, und meine Eltern aka The Gardeners, lachten sich tot. Selbst mein Papa verstand, worum es ging.

Die Schiebehilfe für den Rollstuhl, die zwei Monate lang kaputt war, kam Freitag wieder, weswegen wir ihn auf den Rasen hinter dem Haus schieben und dort Kaffee trinken konnten. Er sah quasi zum ersten Mal nach ungefähr einem Jahr sein Haus von der Rückseite wieder und fragte: „Und wer wohnt hier?“ Snif.

Ich machte ein Foto für Schwester und Schwager von den Eltern vor den von ersteren eingepflanzten Sonnenblumen. Dabei hielt meine Mutter den Sonnenhut meines Vaters in der Hand, die sie in die Hüfte stemmte, ein Knie ist vorgeschoben, sie schaut in die Ferne, und auf meinem Bild sieht sie jetzt so aus, als hätte sie gerade Südamerika erobert. Schwester und Schwager waren für drei Tage nach St. Peter Ording gefahren, um mal kurz rauszukommen und machten einen kleinen Abstecher ans Ortsschild von Wacken, das sie F. per WhatsApp schickten. Aww! Ich bekam ein Bild mit Meer drauf. Auch aww! Sie bekamen dafür die Eroberin und einen Mann, der die Zunge rausstreckt.

Papa ist etwas ruhiger geworden; er weiß zwar immer noch nicht und wird es vermutlich auch nicht mehr wissen, dass er zuhause ist, aber er scheint sich irgendwie eingelebt zu haben und hinterfragt das nicht mehr, jedenfalls nicht mehr so oft wie bis Februar, als ich das letzte Mal da war. Da musste ich ihm jeden Abend erklären, wo er ist und dass alles gut ist. Immerhin letzteres scheint er inzwischen verinnerlicht zu haben. Ein paar winzige körperliche Fortschritte sind zu erkennen, aber kognitiv wird vermutlich nicht mehr viel passieren. Aber er ist immer noch eindeutig Papa, das ist schön.

Generell war die Woche weniger stressig als sonst, was ich wirklich auf den grünen Garten schiebe. Und vielleicht darauf, dass ich nicht in jeder „freien“ Minute an die Diss dachte. Mein persönlicher Running Gag ist es, meine jeweilige Lektüre mit in die alte Heimat zu nehmen, sie nach dem Rucksackauspacken auf den Nachttisch zu legen und dann die ganze Woche lang durchs Haus zu schleppen in der Hoffnung, mal zehn Minuten lesen zu können, was nie klappt. Ich lese mein Buch auf der Hinfahrt im Zug und auf der Rückfahrt. Abends im Bett reicht es noch für ein paar Daddeleien auf der NYTimes-Website und Candy Crush, aber dabei fallen mir meist schon die Augen zu.

Den Freitagvormittag war das Mütterchen wieder unterwegs und ich nutzte die Zeit, Dinge vorzukochen. Was sie wirklich entlastet, was mir gar nicht so klar war, ist, dass sich jemand anders als sie um die Verpflegung kümmert und darum, dass danach das Geschirr im Geschirrspüler landet oder abgewaschen wird. Freitag bereitete ich Kartoffelgratin zu, was immer für drei Tage reicht. Außerdem füllte ich ein halbes Schraubglas mit Salatdressing voll (sie mag mein Honig-Senf-Dressing so gern), das muss sie jetzt nur noch schütteln und hat für mindestens eine Woche damit keine Arbeit mehr. Ich rieb alle Karotten, die noch da waren, damit sie das nicht erledigen muss. Außerdem bereitete ich einen dicken Nudel-Gemüseauflauf zu, der jetzt eingefroren werden kann. Mehr fiel mir auf die Schnelle nicht ein und mit diesen Tätigkeiten war der Vormittag dann auch rum, aber bis ich in vier Wochen wieder oben bin, habe ich hoffentlich noch ein paar Rezepte parat. Quiche oder Zwiebelkuchen vielleicht? Falls ihr tolle Ideen habt für Dinge ohne exotische Zutaten, die ich vorkochen und einfrieren kann, gerne her damit. Mama sagt danke.

Die Rückfahrt am Samstag war bis auf 20 Minuten Verspätung ereignislos. Alle trugen Masken und sogar die Vierergruppe am Tisch schwieg vor sich hin (Ruheabteil). Erst kurz nach Ingolstadt, also 30 Minuten vor München, begann das Rumgeräume und Geschnattere. Ich hatte es auf dieser Hin- und Rückfahrt zum ersten Mal geschafft, zielsicher die beiden Einzelplätze zu buchen, bei denen man nicht aus dem Fenster gucken kann, sondern die Plastikwand anstarrt. Auf der Rückfahrt konnte ich mich immerhin umsetzen, auf der Hinfahrt war es mir egal. Gelernt: Der „Hamilton“-Soundtrack reicht von Hannover bis kurz vor Nürnberg. Momentaner Lieblingssong: The room where it happens.

Den Rest der Fahrt las ich die Biografie Hamiltons weiter, sehr zu empfehlen, das Buch liest sich wie geschnitten Geschichte.

Normalerweise bin ich am Tag der Rückkehr völlig platt und brauche ein paar Stunden für mich alleine, weil ich sechs Tage am Stück nicht alleine war. Vorgestern ging das aber alles, und so konnten F. und ich noch einen (oder zwei, ähem) kleine Blaufränkisch wegtrinken und gemeinsam einschlafen.

Mein Ex-Freund, der Sack, als ich ihn auf den ersten Absatz dieses Blogeintrags hinwies.

Gestern war ich nach Monaten mal wieder in einem Museum. Darüber erfahren Sie vermutlich morgen oder übermorgen hier etwas mehr.

F. hat während der Ausgangsbeschränkungen angefangen, konzentriert zu fotografieren, auch gerne auf langen Spaziergängen morgens früh, als niemand unterwegs war. Zunächst analog, inzwischen digital bzw. beides durcheinander. Ich bin fasziniert davon, wie schnell er einen Blick entwickelt hat für latent minimalistische Motive bzw. schicke Linien. Ich mag seine Farbigkeit meist noch lieber. Auf Insta postet er gerade täglich ein bis zwei Motive.




(© Felix Mendoza 2020)

Praktischerweise konnte ich ihm so zum Geburtstag ein Buch schenken, das mir Herr Fischer empfohlen und auch im Blog besprochen hat. Seine Fotos schaue ich auch gern an.

The New Must-Have Museum Souvenir: Face Masks

Ich habe vergessen, im Lenbachhaus im Shop nach Masken zu schauen. Ich hoffe, auch die Pinakotheken erweitern gerade blitzschnell ihr Sortiment. Kann ich eine Maske mit dem Dürer-Monogramm haben? Oder mit irgendwas von Beuys?

„Judith Mather, the National Gallery’s buying director, said in a telephone interview that the decision to sell masks was quite a last-minute decision. In June, she said, she was in a supermarket, and, “I was looking around at people and their masks looked so surgical and so ugly,” she said. “I just thought some art would be really different and striking.”

For the Metropolitan Museum of Art in New York, there’s also been a financial incentive. Leanne Graeff, a senior manager in the museum’s product development team, said in a telephone interview that masks were an easy way for people to give money to museums. The Met is already selling four masks online, featuring impressionist paintings and New York scenes, and a larger range is expected when the museum reopens in late August.“

Gelernt: „Uncle Ben“ hat rassistische Untertöne. Wusste ich nicht. Hier ein Artikel von 2007; zu der Zeit wurde aus dem Onkel ein CEO.

„Uncle Ben, who first appeared in ads in 1946, is being reborn as Ben, an accomplished businessman with an opulent office, a busy schedule, an extensive travel itinerary and a penchant for sharing what the company calls his “grains of wisdom” about rice and life. A crucial aspect of his biography remains the same, though: He has no last name.

Vincent Howell, president for the food division of the Masterfoods USA unit of Mars, said that because consumers described Uncle Ben as having “a timeless element to him, we didn’t want to significantly change him.”

“What’s powerful to me is to show an African-American icon in a position of prominence and authority,” Mr. Howell said. “As an African-American, he makes me feel so proud.”

The previous reluctance to feature Uncle Ben prominently in ads stood in stark contrast to the way other human characters like Orville Redenbacher and Colonel Sanders personify their products. That reticence can be traced to the contentious history of Uncle Ben as the black face of a white company, wearing a bow tie evocative of servants and Pullman porters and bearing a title reflecting how white Southerners once used “uncle” and “aunt” as honorifics for older blacks because they refused to say “Mr.” and “Mrs.”“

2020 wird jetzt auch der Name hinterfragt: After Aunt Jemima, Reviews Underway for Uncle Ben, Mrs. Butterworth and Cream of Wheat.

Auch gelernt: Bayern hat als (vermutlich) einziges Bundesland eine Task-Force Infektiologie, die 2014 während der Ebola-Epidemie eingerichtet wurde. Sagen zumindest der New Yorker (und die SZ). Im Artikel geht es um die Arbeitsweise der groß angelegten Studie, mit der zufällig („random walk“) ausgewählte Münchner:innen ein Jahr lang regelmäßig auf COVID-19 getestet werden.

How Munich Turned Its Coronavirus Outbreak Into a Scientific Study

„Germany’s first covid-19 cluster emerged just outside Munich on the morning of Monday, January 27th. The C.E.O. of Webasto, an auto-parts manufacturer, received an e-mail from a manager in Shanghai: an employee who had visited the Munich office the previous week had become feverish during the return flight to China and tested positive upon landing. A German employee who’d sat next to her during a presentation had felt sick over the weekend, and went to Hoelscher’s lab to be tested. Within hours, he had his results: positive for sars-CoV-2. As soon as Webasto’s C.E.O. found out, on Monday afternoon, he called the local public-health authorities at the Bavarian Health and Food Safety Authority. “It was a bit of luck for Germany that the first case was in Bavaria,” Merle Böhmer, an epidemiologist who works on a seven-person task force in the Bavaria office, told me.

According to Böhmer, Bavaria, with thirteen million inhabitants, is the only federal state in Germany with such a rapid-response task force; it was put in place in 2014, during the Ebola epidemic. Two days after the country confirmed its first case of covid-19, Böhmer’s team sent a group of doctors to Webasto to swab employees—fifteen more tested positive. Every high-risk contact at the company, which ended up being more than two hundred people, was placed into a strict two-week quarantine. “We were able to contain this outbreak,” Böhmer told me. “And that granted Germany, I think, two to three weeks of time for preparation.” Munich did not go into lockdown until nearly two months later. By that time, residents had seen the virus’s potential in northern Italy, about a hundred miles away. They were easily persuaded to stay at home. […]

Merkel’s performance, however, hardly excuses shortcomings elsewhere. “There was an entire narrative of ‘America could never do this because we are so independent-minded,’ ” Ashish Jha, the director of the Harvard Global Health Institute, told me. “And I’m like, ‘I know a lot of Germans—they’re pretty independent-minded.’ ” Laura Olbrich, another doctor on Hoelscher’s team, is originally from Duisburg, a struggling post-industrial town in northern Germany. She speculated that scientists knocking on doors wouldn’t work so easily there, especially if they were accompanied by police officers. Even in Munich, careful precautions have been taken to establish public trust: after the initial knock, the team members explained who they were and what they would be doing. Residents don’t have to immediately agree to participate, as a separate team would return to take the first blood samples. The study also attracted a great deal of press attention, so residents often already knew about it. “There was a woman that actually screamed, ‘I was hoping so much that you guys would come to my door!’ ” Olbrich told me. “ ‘This is really funny, like winning the lottery.’“

Was schön war, Mittwoch, 15. Juli 2020 – Basilikum und Frauenmantel

Das Mütterchen durfte ausschlafen, nachdem sie Montag und Dienstag sogar vor mir aufgestanden war, um außerhäusige Termine wahrzunehmen. Ich schlief bis 7 und versorgte dann das Väterchen, bloggte in Ruhe, las dafür in der Dorfchronik und entdeckte meine Mutter auf einem Volksschulfoto von 1953. Die bereits gestern verlinkte Chronik ist von Hobbyhistorikern geschrieben worden, das merkt man bei vielen Formulierungen und meinem ewigen Stirnrunzeln, das bei solchen Texten immer „QUELLE?!?“ bedeutet. Sie ist aber gleichzeitig mit sehr viel Mühe und Liebe zum Objekt zusammengetragen worden, was es im Ganzen zu einer spannenden Gesamtquelle macht, auch wenn ich ahne, dass vieles mit einer Fußnote in Richtung „Hat mir jemand erzählt“, „Ich glaube, das war so“, „Ist quasi Dorfwissen“ versehen werden müsste.

Dienstag hatte ich schon mein liebstes Ottolenghi-Rezept für scharfen Tofu für die Eltern gekocht und ihnen damit die Zutaten Ingwer („das nehm ich sonst in den Tee“) und Chili nahegebracht. Tofu ist hier immer im Haus, weil meine Mutter den gerne im Salat isst, die dunkle Sojasauce wäre eigentlich gerade im Angebot bei Edeka gewesen, weswegen ich überhaupt auf das Rezept kam, aber das Mütterchen fand die Zutat nicht im zwei Meter langen Sojasaucenregal. Macht nichts. Ich stellte allerdings belustigt fest, dass die helle Sojasauce, die hier vorhanden ist, seit zehn Jahren abgelaufen war, das Ketjap Manis war noch im zeitlich vorgegebenen Rahmen. Da Sojasauce aber Jahre fermentiert, wandte ich meine übliche Technik bei abgelaufenen Lebensmitteln an: Riecht es noch gut? Schmeckt es noch gut? Dann isses noch gut. Die Sauce roch etwas säuerlicher als gewohnt, aber das hieß für mich: fermentiert halt weiter vor sich hin. (Oder zerfällt in Atome, egal, wir leben noch.)

Beim Ketjap Manis fiel mir auf, dass ich damit großgeworden bin: Das Zeug hieß bei uns Sojasauce. Ich musste erst 30 oder so werden und mit Hamburger Werbern Sushi essen, bis ich verstand, dass die Zutat, die allgemein als „Sojasauce“ bezeichnet wird, also die japanische, eigentlich anders schmeckt. Dabei erinnerte ich mich auch an einige Lieblingsspeisen aus der Kindheit. Ich kann mich nicht an viel Fleisch erinnern (hier wurde gespart), aber an den Sonntagsbraten: Das war ein Huhn aus dem Römertopf mit Reis, Erbsen, Champignons und eben ordentlich Ketjap Manis.

Gestern gab’s dann Kartoffeln mit Kräuterpesto, auch Ottolenghi, und ein bisschen Rührei dazu. Die Hühner, die uns diese Eier lieferten, hatte ich Dienstag bereits kennengelernt, die holt meine Mutter nämlich immer aus der Nachbarschaft bei einem Ehepaar, das ein paar Hühner im Garten hat, warum auch nicht. Dort schoben wir Väterchen im Rollstuhl hin, holten Eier, und ich bewunderte den schicken Garten.

Für das Pesto holte ich Petersilie aus dem Hochbeet hier im Garten, Basilikum und Parmesan hatte das Mütterlein am Dienstag mit eingekauft. Ehe Fragen kommen: Ich hatte angeboten einkaufen zu gehen, aber ich glaube, für meine Mutter und ihr Seelenheil ist es ganz gut, wenn sie mal wieder vor die Tür kommt nach vier Monaten. Davon ließ sie sich eh nicht abbringen, die Infiziertenzahlen sind hier in der Gegend erträglich, soweit ich weiß, sie fährt Auto, und der Supermarkt ist groß genug zum Abstandhalten. Und wenn die Pflegebedürftigkeit meines Vaters ein winziges bisschen was Gutes hat, dann die Tatsache, dass hier Desinfektionszeug und Mundschutze reichlich vorhanden sind und eh selbstverständlich genutzt werden. Was ich in den letzten Tagen auch gelernt habe: Man kann durchaus 16 Stunden lang mit Maske rumlaufen, ihr Jammerlappen in den Supermärkten und U-Bahnen mit euren schlimmen, SCHLIMMEN 20 Minuten. (Knurr.)

Neben der Petersilie holte ich wieder Radieschen und Rucola für den Mittagssalat und guckte mich ein bisschen am Wegesrand um. Auf Insta lernte ich, dass diese Pflanzen Frauenmantel heißen, wo ich nur „oh, Wasserperlen, voll schön“ dachte.

Die beiden Ottolenghis kamen gut an, das hat mich gefreut.

Nachmittags mit Vaddern auf die Ergotherapie im Wohnzimmer gewartet und einfach nebeneinander stumm aus dem Fenster ins Grüne geguckt und solche Dinge gesagt wie „Das ist so schön beruhigend“ und Dinge gehört wie „Deswegen ist es ja Grün“. Das war schön.

Tagebuch Dienstag, 14. Juli 2020 – Dinge, die ich gestern gelernt habe, als das Mütterchen und ich uns nach Feierabend ab 21 Uhr einen kleinen Rosésekt gönnten (oder zwei)

Auf dem Grundstück meiner Eltern blüht eine Rose, die ein Ableger einer der ersten Blumensträuße war, die mir mein erster Freund so circa 1987 geschenkt hat. Muss ich dem Herrn noch persönlich erzählen, er liest mein Blog nur sporadisch, unglaublich.

Dann sprachen wir lange über die Kriegs- und Nachkriegszeit.

Ein großer Teil eines Flüchtlingstrecks aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten (oder wie es die Dorfchronik von 2001 nennt: „Deutsche Ostgebiete“, ähem) kam Ende März 1945 in Bissendorf an, meinem Heimatdörfchen. Damals hatte Bissendorf, soweit ich die wenigen mir hier zur Verfügung stehenden Quellen interpretiere, gut 1000 Einwohner. Der Treck stammte aus der Gemeinde Groß Rohdau (Rodowo), die 1944 ebenfalls um die 1000 Einwohner hatte. Das gesamte Dorf machte sich im Januar 1945 mit einem Treck aus 60 Pferdewagen auf den Weg in den Westen. In Mecklenburg trennte sich der Treck; einige fuhren nach Bremen oder Schleswig-Holstein, andere zogen weiter in Richtung Niedersachsen. In der Chronik ist nicht verzeichnet, wieviele Menschen genau nach Bissendorf kamen, es werden 14 Familien namentlich erwähnt.

Die Chronik listet außerdem 133 Familien auf, die angeblich bis 1948 aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Bissendorf kamen, darunter auch die meiner Mutter, die mit ihrer Mutter, deren Schwester und deren zwei Kindern aus Ostpreußen kamen, beide Ehemänner waren gefallen. (Die Familien meiner Mutter kamen erst Anfang der 1950er-Jahre.) Ich war erstaunt darüber, wieviele der Namen ich aus meiner Kindheit kannte. Die Vorfahren unserer Nachbarn stammen aus Litauen, die unseres Dorfschusters, von dem ich jedes Paar Schuhe bekam, bis ich ungefähr 15 war, aus dem eben erwähnten Rohdau in Westpreußen. Die Eltern einer langjährigen Freundin meiner Mutter waren ebenfalls auf diesem Treck. Weitere Namen, die ich kannte, hatten Vorfahren in Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schlesien.

Meine Mutter erzählte, dass sie bis 1947 in der Nähe von Lapkeim (Łapkiejmy) lebten, nachdem sie aus Bartenstein (Bartoszyce) geflüchtet waren. Danach kamen sie zunächst in ein Flüchtlingslager in Brandenburg, in dem sie aber nur wenige Wochen blieben. „Am 4.11.1945 legte die Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler einen ersten Arbeitsbericht vor. Demnach waren in der Sowjetischen Besatzungszone 568 Lager für die Aufnahme und Verteilung der Vertriebenen und Heimkehrer eingerichtet worden, davon in der Provinz Mark Brandenburg allein 63 Lager. Das Gesamtfassungsvermögen aller Lager betrug ca. 484.000 Personen.“ (S. 20) „Heimkehrer“ ist hier ein euphemistischer Begriff, der laut Verordnung der sowjetischen Militäradministration in der SBZ verwendet werden sollte und ehemalige Kriegsgefangene meinte. (S. 4) Meine Mutter erinnert sich an kaum noch an das Lager, nur daran, dass sie „weißen Puder“ in die Haare bekamen, vermutlich ein Entlausungsmittel. (Zitate aus Sven Olaf Oehlsen: Vertriebenenlager in Brandenburg 1945–1953, Potsdam 2006, hier als PDF.)

Ab Anfang der 1950er-Jahre lebten meine Mutter, ihre Mutter mit Schwester und Kindern gemeinsam in einem einzigen Zimmer einer Familie hier in Bissendorf, bis 1966 mit Plumpsklo auf dem Hof. Als ich bei der Erzählung meinen Mund (hinter der Maske) verzog, meinte meine Mutter nur sinngemäß: „Omi und Tante Erna meinten immer nur: ‚Es ist Frieden und wir haben ein Dach über dem Kopf.‘ Daher empfand auch ich die Situation nicht als so belastend, wie sie jetzt vielleicht klingt.“

Das rückte dann ein paar FirstWorldProblems bei mir im Kopf wieder gerade.

Meine Mutter ging keine sieben Jahre zur Schule. Als sie 6 war, lebte sie noch in Polen und wurde nicht eingeschult, sie kam erst mit 7 in Brandenburg in die Schule und erinnert sich noch an eine russische Wendung, von der sie aber nicht mehr weiß, was sie bedeutet, aber sie mochte die Schrift so gerne. In Niedersachsen beendete sie die Volksschule, aber für eine weiterführende Schule hatte die Familie kein Geld. Sie begann mit 14 eine Lehre, um „ins Büro zu gehen“, und lernte schließlich noch Fremdsprachenkorrespondentin. Als sie meinen Vater Anfang der 1960er-Jahre kennenlernte, sagte sie, ihr gestriges Zitat wörtlich: „Ich kann mir keinen festen Freund leisten, ich möchte beruflich vorankommen.“ Ich guckte verständnislos, woraufhin sie meinte: „Das war vor der Pille.“ Ach ja. Also suchte sich Väterchen einen Job im Schwarzwald, damit die beiden Frischverliebten sich nicht so oft sehen konnten. (Ich grinse gerade beim Tippen und finde meine Mutter toll.) Zwischen 1962 (?) und Anfang 1967 arbeitete Papa dann in Hamburg, im Juli 1966 haben beide geheiratet.

1967 zogen beide zusammen – in ein Zimmer im Haus der Eltern von Papa. Mama wollte danach für ihre Mutter ein Foto als Abschiedsgeschenk machen lassen. Dafür schritt sie, ihrer Erzählung nach, diverse Schaufenster von Fotografen in Hannover ab und entschied sich für einen Herrn Julius, der damals, Mamas Worte, „die Operndiven“ fotografierte und deren Bilder ausstellte. Sie übte tagelang eindrucksvolle Posen vor dem Spiegel und war ziemlich überrascht, dass das beim Fotografen nicht so gut ankam. Der meinte aber: „Sie sind eine optimistische Persönlichkeit, und solchen Menschen wollen wir in die Augen schauen. Gucken Sie mich mal an!“

Etwas später wurde auch mein Vater vom selben Fotograf abgelichtet, beide Bilder sind aus dem November 1968.

Der Fotograf könnte Kurt Julius gewesen sein, worüber ich seit gestern abend auch sehr breit grinse. Ich muss mal ins Archiv des Theatermuseums Hannover, glaube ich.

Tagebuch Sonntag/Montag, 12./13. Juli 2020 – Maske auf

Etwas mulmig war mir vor der Zugfahrt in den Norden, wo ich diese Woche bin, um meine Mutter mal wieder zu unterstützen. Das letzte Mal war ich im Februar hier, dann sollte ich eigentlich im April kommen und im Mai hätte das Mütterlein ein paar Tage bei uns im Süden geweilt, unter anderem für den Besuch der Passionsspiele in Oberammergau. Aber ihr wisst ja.

Seit März vermeide ich Menschen, vor allen in größeren Ansammlungen und engen Räumen. Die Archiv- und Bibliotheksbesuche, die für die Diss noch nötig waren, fand ich alle erträglich, vor allem, weil in diesen Räumen recht wenig bis gar nicht gesprochen wird, was mein persönlicher Angstgegner derzeit ist. Die eine Stunde Zug nach Nürnberg ins Kunstarchiv war okay, wenn ich auch gefühlt sehr flach geatmet habe. Nun standen mir insgesamt fünf Stunden bevor, und ich war doch etwas nervös.

Ich weiß nicht, ob es an den Infiziertenzahlen in Bayern liegt, die, auf Bundesländer gesehen, am höchsten war und ist, dass sich hier, meiner anekdotischen Beobachtung nach, der überwiegende Teil der Menschen an die Maskenpflicht hält. Bei meinen wenigen U-Bahn- und Tramfahrten in den letzten Wochen habe ich nur zwei Personen gesehen, die keinen Mundschutz trugen; genau die quatschten dann auch die ganze Zeit miteinander bzw. telefonierten. Abstand halten klappt auf den engen Bahnsteigen manchmal nur so mittel, aber auch da habe ich das Gefühl, dass die meisten sich wenigstens bemühen. So auch am Sonntag am Hauptbahnhof in München: alle mit Maske, bei einigen (ausnahmslos Männer) hing die Maske unter der Nase. Im Zug saß ich in der 1. Klasse (mehr Abstand möglich) und obwohl ich keinen Ruhebereich mehr erwischt hatte, saßen alle stumm in der Gegend, niemand telefonierte, alle trugen Maske. Ich hatte einen Zug später als gewohnt gebucht, weil der als „nicht ganz so fies frequentiert“ markiert war, und das passte auch gut. Ich fühlte mich ziemlich sicher und erleichtert, las und hörte weiterhin „Hamilton“.

Am Hauptbahnhof Hannover sah ich deutlich weniger Masken, daher mein Verdacht, dass die Zahlen in Bayern mehr dazu verleiten, das Ding zu tragen, auch wenn man oben auf dem Bahnsteig, wo man ja in frischer Luft steht, vermutlich keine Maske tragen müsste.

Schwesterchen holte mich im Auto vom Bahnhof ab, sie trug Maske, wir ließen die Fenster geöffnet. Auch der Schwager wurde nicht wie üblich mit Körperkontakt begrüßt, sondern mit Abstand. Ich bewunderte eine kleine Bauarbeit der beiden am Häuschen und war neidisch auf die dicken Tomaten.

Bei meinen Eltern trage ich seitdem die ganze Zeit Maske, außer wenn wir essen, aber dann versuche ich Abstand zu halten, was nicht immer funktioniert. Immerhin weiß ich, dass die beiden negativ sind, das haben sie seit letzter Woche schriftlich. Das Mütterchen rief den Hausarzt an, weil mein Vater seit einigen Tagen etwas hustete. Beim Wort „Husten“ wurde anscheinend alles aktiviert, was ging, wenige Tage später standen zwei, O-Ton Mama, „Marsmenschen“ vor der Tür, also komplett in Schutzkleidung gehüllte Tester*innen, nahmen einen Abstrich im Rachen, und jetzt wissen wir, dass ich mich schon mal nicht anstecken kann. Wobei ich mir auch deutlich mehr Sorgen um den umgekehrten Fall mache. Auch das besprachen wir natürlich, was jetzt das sinnvollere, risikoärmere, bessere Vorgehen sei, und es endete damit, dass ich mich in den Zug setzte anstatt weiter in München rumzusitzen und Zukunftsangst zu schieben und das Mütterchen ein paar Außer-Haus-Termine wahrnehmen kann, ohne ständig auf die Uhr gucken zu müssen, und bekocht wird.

Die Putzfrau, die hier einmal die Woche arbeitet, meinte zu mir, das sei immer wie Urlaub für meine Mutter, wenn ich käme. Das Gefühl habe ich noch nicht: Die ganzen schönen Automatismen, die ich im letzten Jahr gelernt hatte, sind nach fünf Monaten Pause in den Abstellkammern meins Hirns verschwunden. Momentan fühle ich mich wieder wie eine Praktikantin, die dauernd was fragen muss: Wie ging nochmal der Geschirrspüler? Wann soll das Mittagessen fertig sein? Welche Tabletten wann? Und wo ist eigentlich das Paniermehl? Immerhin kenne ich die Namen der Pflegenden noch, die natürlich auch alle mit Mund-Nasen-Schutz auflaufen.

Schwester und Schwager haben meinen Eltern ein Hochbeet in den Garten gesetzt, aus dem ich gestern erntete. Das war schön, trotz DER GESAMTSITUATION. Wenn das für Mama wie Urlaub ist, ist es für mich wie eine Studienreise: So sieht also Rucola aus, wenn er nicht in Plastik im Supermarkt liegt. Und endlich hatte ich mal richtig große Radieschenblätter, aus denen ich Pesto machen konnte, was mir noch nie gelungen ist. Und zack, wieder ein Mittagessen fürs Mütterchen vorbereitet, das sie nächste Woche entspannt abrufen kann.

Das Bild sieht aus wie für Insta hingedengelt, der Prozess lief aber eher andersrum. Ich sah den malerischen Pestoklecks auf dem Brettchen und stellte nur das Pestoglas zwischen alles, ansonsten sah so meine Kocharbeit aus. Dass die olle Arbeitsplatte aus den 70er-Jahren nochmal so schick sein könnte. (Finde ich jedenfalls.)

Zum Mittag gab’s Schnitzel und mir gelang eine perfekte Panade. Dusseliger Gedankengang beim Teller für meinen Vater: Verdammt, ich muss das ja kleinschneiden, dann hat Papa gar nichts von der perfekten Panade. Scheiß Schlaganfall.

Abends bat mich Mama, etwas Pfefferminz aus dem Garten zu holen für den Tee. Dem Geschmack des Gebräus nach zu urteilen, kann ich Pfefferminz nicht von Zitronenmelisse unterscheiden. Sehr schmackhaft. Und ich habe immerhin keinen Salat aufgebrüht.

Man guckt hier aus fast allen Fenstern ins Grüne, der Garten blüht und sprießt gerade wie irre. Auch wenn die Woche anstrengend wird, ist das wirklich schön, hier zu sein.

Nasi Lemak

Das Rezept ist aus verschiedenen Quellen zusammengegoogelt und reicht für eine ordentliche Portion. Es ist vermutlich längst nicht so scharf, wie es im Original sein müsste, aber für mich als Newbie dieser Küche passt es erstmal.

Im Topf oder Reiskocher den Reis zubereiten. Bei mir sind das
1/2 Cup Reis mit
1/2 Cup Kokosmilch und
1/4 Cup Wasser,
1 Schalotte in Ringen und
einer guten Prise Salz. Wenn verfügbar, dann auf jeden Fall
1 Pandanblatt verknoten und mit in den Topf geben. Duftet herrlich, wird nicht mitgegessen.

In einem kleinen Topf
Kokosöl erhitzen, darin
1 Handvoll Erdnüsse rösten, danach
1 kleine Handvoll getrocknete Anchovis frittieren. Die bekommt man gefroren im Asialaden; auftauen lassen, gut abtrocknen, ab ins Öl. Ins Sambal gehören eigentlich auch Anchovis, dort lasse ich sie weg.

Für das Sambal
5 getrocknete Chilischoten entkernen, mit kochendem Wasser überbrühen, weich werden lassen. Fein hacken.
Im Mörser
1/2 bis 1 TL Krabbenpaste (Belacan) zerstampfen, dazu
2 Schalotten, fein gehackt, sowie
1 Knoblauchzehe, fein gehackt. Zum Schluss die Chilis dazugeben und aus allem möglichst eine Paste machen. Bei mir bleibt es recht stückig. Für größere Mengen kann man natürlich auch einen Zerkleinerer benutzen, bei diesen wenigen Zutaten tut es auch der Mörser.

In einer Pfanne Kokosöl bei mittlerer Hitze erwärmen, das Sambal braten, bis man die Fenster aufreißen muss, weil alles so scharf ist (wenige Minuten).
1/2 rote Zwiebel in Ringen dazugeben sowie
1–2 TL Tamarindenpaste, notfalls mit Salz und Zucker abschmecken. Das ganze sollte einkochen, was bei mir nie passiert, weil ich nur so kleine Mengen zubereite, dass da kaum etwas einkochen kann. Es sollte nicht nur fies scharf schmecken, sondern eine gewisse Säure mitbringen (durch die Tamarinde) und einen erdig-dumpfen Grund haben (Krabbenpaste).

Serviert wird alles mit Gurkenstückchen, die ein bisschen gegen die Schärfe helfen, und einem Ei, eigentlich gekocht, bei mir als Spiegelei mit möglichst noch ein bisschen flüssigem Dotter. Frischer Koriander schadet auch nie, der fehlt hier auf dem Bild.