Was schön war, Sonntag, 8. September 2019 – Ruhe

Ausgeschlafen. Während F. noch weiter ausschlief, setzte ich zwei Hefeteige an, die ich dann zum Gehen unter meiner Bettdecke verstaute (mein Lieblingsplatz für Hefeteige). Die Laugenbrezn waren leider ein Reinfall, weil ich zu spät merkte, dass ich nicht genug Natron mehr im Haus hatte, mir aber dachte, mal gucken, was dabei rauskommt, wenn du zu wenig davon nimmst. Nun ja. Der Zopf aus der anderen Hälfte des Hefewürfels war aber hervorragend und schmeckte mir mit der Mirabellenmarmelade vom Patenonkel über den Tag verteilt sehr gut.

Ansonsten: gefühlt anderthalb Staffeln How I Met Your Mother weggeguckt bzw. nebenbei laufen lassen, FAZ gelesen, Spiegel gelesen, Buch übers 19. Jahrhundert weitergelesen. Bisschen Ordnung gemacht, aber weder Diss noch Brotjob angefasst. Für Regen gesorgt, indem ich meine Balkonblümchen goss. Nachmittagsnickerchen. Nachdem F. seinen Tag woanders verbrachte, mit niemandem mehr gesprochen. Sehr ruhigen Sonntag genossen. Erstmals seit ungefähr April wieder langärmelig rumgelaufen.

Was schön war, Samstag, 7. September 2019 – Kolloquium, Tag 2

Um kurz nach 9 wieder im kunsthistorischen Institut gewesen, dem kleinen Winzladen. Normalerweise hätten wir im größeren von zwei Räumen arbeiten sollen, wie auch schon Freitag, aber es gab Probleme mit dem Institutsrechner (ach was), weswegen wir in den zweiten, kleineren Raum auswichen, was mir persönlich sehr gut gefiel. Der größere Raum ist ein doofer Schlauch, der kleinere, quadratische hingegen perfekt für unser Grüppchen aus knapp 15 Leute. Man sitzt beim Referat nicht so irre alleine da vorne wie im großen Raum, weil dort niemand in der ersten Reihe von zehn sitzen will, während es im kleinen gerade mal Platz für vier bis fünf Reihen gibt, je nachdem wie fies man die Stühle gruppiert. Und auch wenn die Luft schneller stickig wird – ich habe mich im kleinen Raum immer wohler gefühlt. So auch gestern.

Wieder fünf spannende Vorträge gehört, zu allen eine Stunde diskutiert. Zwischendurch leerte ich meine Thermoskanne mit meinem geliebten Bünting-Tee, während der Rest sich mit Kaffee und Teilchen vom Bäcker versorgte. Vorgestern hatte ich ein Sandwich dabei, was auch bitter nötig war, gestern trug ich den Jogurt wieder ungegessen nach Hause; das Frühstück aus Rührei, Bacon, Tomatensalat und Brot war anscheinend sehr sättigend gewesen.

Ich war immer noch emotional verkatert vom Abend vorher; das „Fuck“ aus dem gestrigen Blogeintrag hätte fast zu dusseligen Übersprungshandlungen geführt. Ich war sehr traurig, aber zehn Minuten mit lauter Wuselnasen, die über NS-Kunst reden, machten mir sofort wieder gute Laune. Und dann kam irgendwann eine Mail, die ich in einer Pause zwischen zwei Vorträgen las, die genau das war, was ich gestern hören musste. Ich konnte mich gar nicht so gut bedanken, wie ich es gerne getan hätte, mir fehlten irgendwie noch die Worte. Aber ich las sie gestern ungefähr 20 Mal und werde sie mir vermutlich demnächst ausgedruckt irgendwo hinlegen, damit ich sie noch 20 Mal lesen kann, wenn mein Hirn wieder „Fuck“ sagt und traurig wird.

(People. The best!)

Eine Kommilitonin kam aus Frankreich und referierte auf Englisch, und ich hatte einen instantanen Akzent-Crush bei jedem deutschen Begriff, der sich in ihren Vortrag mischte. Bei jeder Aussprache von „monuments men“ musste ich grinsen, und bei jeder Erwähnung von Rose Valland war ich sehr verliebt. Und nebenbei lernte ich, wie Frankreich mit Kollaborateur*innen im Kunstbetrieb umgegangen ist: gefühlt etwas rigoroser als wir. Je suis Jack’s total lack of surprise.

Auch das war wieder anstrengend: Wir wissen alle um die Kontinuitäten, die nicht vorhandene Stunde Null, aber wenn man es mal wieder so geballt hören muss, nervt es doch sehr. Namen, die gestern fielen und die ich euch einfach mal weiterreiche zur Eigenlektüre: Bruno Lohse, Alois Miedl, Pieter Menten.

Zum Abschluss, nach allen Vorträgen und Diskussionen, standen wir noch ein bisschen zusammen, brachten uns auf den neuesten Stand, was Beruf und Zeug anging und kamen irgendwie auf die dümmsten Sprüche, die wir uns hatten anhören müssen, wenn man sein Forschungsgebiet erwähnt. Auf meiner persönlichen Hitliste der Sätze waren: „Gefallen dir diese Bilder?“ (immer mit der Implikation, man wäre doof, wenn’s so wäre oder aber, dass einem die gar nicht gefallen dürften), „Hat das familiäre Gründe?“ (weil wir ja alle nur Großmütterchens Sammlung beschützen wollen) oder, der war mir neu: „Bitte doch mal die AfD um ein Stipendium, haha“. Eine Mitpromovierende meinte auch: „Zunächst finden alle das Thema irgendwie eklig und denken, man wäre komisch, weil man sich damit freiwillig befasst, dann wollen alle die Bilder aus der Zeit sehen, und dann sind alle enttäuscht, wenn es nur Blumenstillleben sind.“

Ich sprach noch mit einer Kommilitonin, die mit mir im Rosenheim-Seminar gesessen hatte und die es als Provenienzforscherin an ein nettes Museum geschafft hat. Zu ihr meinte ich, du hast’s gut, dich finden bestimmt alle toll, du machst ja was Anständiges, woraufhin sie sagte: „Nee, ganz im Gegenteil: Die Museen hassen mich, weil ich ihre Sammlung überprüfe, der Kunsthandel hasst mich, weil ich auf lückenlosen Provenienzen bestehe, Erben hassen mich, wenn ich sie frage, wo genau an der Ostsee der Opa denn 1942 dieses Werk „erworben“ hat, und eigentlich telefoniert man den ganzen Tag mit Amtsgerichten.“ Wieder was gelernt.

Um 16 Uhr zuhause gewesen, den warmen Jogurt gegessen und dann direkt auf dem Sofa bei einer Serienfolge weggenickt. Abends mit F. ein bisschen zu viel Riesling getrunken und das komplette Kolloquium nacherzählt. Gemeinsam eingeschlafen.

Was superschön und dann superscheiße war, Freitag, 6. September 2019 – Doktorandenkolloquium, Tag 1

Gestern war der erste Tag des Doktorandenkolloquiums. Ich wartete vormittags noch auf Kundenfeedback, das erwartungsgemäß nicht kam, dann ging ich noch einmal durch mein kurzes Referat und machte mich um 14 Uhr ins kunsthistorische Institut auf.

Ich war in den letzten Monaten jedesmal so glücklich, wenn ich im Archiv sitzen konnte, wenn ich in der Bibliothek in den Bücherbergen versank, wenn ich am Schreibtisch an der Diss weitertippte und beim Korrigieren merkte, das wird gut oder wenigstens sehr ordentlich. In diesen Momenten vergaß ich immer gern, dass der ganze Kram Eskapismus ist und ich in Wirklichkeit ja einen Beruf habe und eine Miete, die irgendwie bezahlt werden will und ich außerdem keine 25 mehr bin.

Und dann saß ich im Kolloquium inmitten von lauter schlauen Menschen, die sich mit sehr ähnlichen Themen wie dem meinen befassen und die daher wissen, wie sich die Beschäftigung mit dieser angeblichen Schmuddelecke der Kunstgeschichte anfühlt. Die wissen, wie dünn das Eis ist, wenn man sich mit Täter- anstatt mit Opferbiografien befasst, die die moralischen Untiefen kennen und die verkopfte Emotionalität, weil man dem eigenen Forschungsobjekt dauernd eine reinhauen will. Die wissen, wie anstrengend die Ambivalenz des Ganzen ist und die einen deswegen gut auffangen. Gestern wurde bei einem Vortrag der Begriff „Safe Space“ in der Diskussion benutzt – „euch darf ich das sagen, oder? Das geht hier, oder?“ –, weil eine junge Wissenschaftlerin ernsthaft von irgendeinem 80-jährigen Nachkommen verklagt wurde – wegen einer Erwähnung in einer Bachelorarbeit.

Jede*r, der*die forscht, egal, ob geistes- oder naturwissenschaftlich, weiß: Wir ordnen ständig Dinge ein, wir vergleichen, wir gleichen ab. Um eine Frage zu beantworten, guckt man sich auch gerne Antworten auf Fragen an, die in der Nachbarschaft rumliegen, um eine Art Basis zu schaffen, auf der man sich bewegt. Und genau die fehlt uns allen, weil die Historiker*innen sich nicht für Kunst als Medium oder Artefakt interessiert haben und die Kunstgeschichte sich jahrzehntelang auf der bequemen Idee ausgeruht hat, die systemkonformen Künstler*innen des NS seien nicht wichtig, weswegen man sie ignorierte. Inzwischen hat sich das immerhin ansatzweise geändert, aber wir betreiben jetzt gerade Grundlagenforschung, die eigentlich vor 70 Jahren schon hätte erledigt werden müssen. Uns fehlt diese Basis, uns fehlen Netzwerke und die Antworten aus der Nachbarschaft, weil wir jetzt erst Fragen dahingehend stellen. Auch deswegen war es für mich äußerst hilfreich, Feedback auf meine These zu bekommen und ein paar Anregungen, wie man sie vielleicht besser einordnen könnte, ehe ich mich verrenne.

Wir haben viel erfahren, viel gelacht, viel diskutiert, viele Visitenkarten ausgetauscht. Ich habe die Aussicht auf einen Archivbestand, von dem ich dachte, dass er nicht existiere. Und ich habe den Verfasser des Wikipedia-Eintrags zu Protzen kennengelernt, weil auch er bei meinem Doktorvater promoviert, und mich natürlich lautstark über seine Formulierung „zu Recht vergessener Künstler“ aufgedotzt. Er meinte, er sei schon sehr darauf gespannt, wie ich den Eintrag ändern werde.

So saß ich sieben Stunden lang in einer kleinen Blase der gelehrten Glückseligkeit und staunte und überlegte und notierte und lernte und kam mit einem völligen Überschwang an Hibbeligkeit und Tatendrang wieder nach Hause, als ob ich ein Kilo Zucker durch die Nase gezogen hätte, und wenn ich joggen könnte, wäre ich noch ein paar Kilometer durch die Nacht gelaufen, weil sich alles SO GROSSARTIG anfühlte.

Und zwei Stunden später wurde mir wieder zum tausendsten Mal klar, dass die Menschen im Kolloquium alle entweder in Museen oder Archiven arbeiten oder noch jung genug sind, um das zu tun. Während ich am Montag wieder am Schreibtisch sitze, um mir Adjektive für Produkte auszudenken, die niemand braucht.

Fuck.

Was schön war, Mittwoch, 4. September 2019 – Lost and found

Morgens von einer DM erfreut worden, die unser Podcast-Mitstreiter Florian uns schickte: Der Artikel über den Fehlfarben-Podcast war endlich in der Süddeutschen. Auf den hatten wir zugegebenermaßen dann doch gespannter als gedacht gewartet. Gleich mal verlinkt, sowohl im Blog als auch auf Twitter.

Texte an den Kunden geschickt. Da ich weiß, dass die Feedbackschleifen dort etwas, äh, unkonventionell ausfallen, konnte ich mich den Rest des Tages wieder auf die Diss konzentrieren bzw. auf den Vortrag, den ich am morgigen Freitag auf dem Doktoranden-Kolloquium halten werde.

Mein Doktorvater lädt in Halbjahresabstand seine Schäfchen ins kunsthistorische Institut der Uni, dessen unbequeme Stühle mit den albernen, winzigen Hochklapptischen an der Lehne ich nie vermisse. (GEBT MIR ANSTÄNDIGE TISCHE ZUM ARBEITEN!) Wer möchte, stellt seine Diss bzw. seinen derzeitigen Arbeitsstand in einer Viertelstunde vor, dann diskutieren wir lustig eine weitere Dreiviertelstunde, dann rennt der Doktorvater zum Rauchen nach draußen und wir trinken alle Kaffee. Wir befassen uns alle mit Themen, die sich in der Ecke Kunst im NS und/oder Provenienzforschung bewegen, weswegen man herrlicherweise einen gewissen Kenntnisstand voraussetzen kann.

Ich war in den letzten Tagen trotzdem etwas verwirrt, was ich denn nun eigentlich genau vortragen wollte und bewegte mich, wie immer, zwischen den Polen „Ich hab gar nichts zu sagen“ und „Ich könnte ein zweistündiges Impulsreferat halten, ohne auch nur einen Spickzettel zu nutzen“. F., der alte Wissenschaftler, konnte ebenfalls wie immer beruhigen: „Über dein Thema weiß keiner mehr als du. Außer der Doktorvater.“ Aber der weiß ja eh alles, glaube ich immer, weswegen mich ein Kommentar in unserem letzten Gespräch sehr gefreut hat. Er wies mich auf ein Detail hin, das ich schon kannte, von dem ich aber ausnahmsweise gedacht hatte, er kannte es noch nicht, weswegen ich nur halb scherzhaft rumwimmerte: „Verdammt, und ich dachte, ich könnte Sie mal mit etwas überraschen.“ Woraufhin er meinte: „Frau Gröner, Sie überraschen mich doch dauernd mit Zeug. Sie wühlen immer sehr gründlich.“ (Errötende Doktorandin, Stimme eine Oktave höher, schnell wieder in die Bibliothek, wo ich zwischen Bücherbergen in Sicherheit bin.)

So bastelte ich seit ein paar Tagen an meinen Folien, war irgendwie gnatschig, weil mir nichts so recht gut vorkam und verfiel gestern zum wiederholten Male auf meine beliebte Taktik: Erzähl dir das Referat selber. (Too much information: Meistens mache ich das auf dem Klo, da ist es sonst arg langweilig.) Ich blubberte mich also selbst mit Infos zu Protzen und den Autobahnen zu, bis mir, wie immer, wie immer, wie immer, einen Struktur in den unbedeckten Schoß fiel, die ich dann sofort umsetzte.

Danach hätte ich theoretisch an der Diss weiterarbeiten können, aber da ich mich ja kenne und mir dann wieder tausend Sachen eingefallen wären, die ich auch noch in die 15 Minuten Vortragszeit reindengeln hätte wollen, ging ich lieber einkaufen. Ich erstand mein Lieblingsbrot und die gedruckte SZ, schnitt den Artikel über den Fehlfarbenpod aus, schrieb einen Brief an die Eltern, legte den Artikel bei und packte alles in einen guten, altmodischen Briefumschlag. Nebenbei erledigte ich die Steuer, ist das auch für diesen Monat weg, Briefumschlag an die Steuerberaterin, fertig.

Und da immer noch viel Tag übrig war, setzte ich meinen „Lost“-Rewatch fort, bei dem ich inzwischen in der letzten Staffel angekommen bin. Die war besser als ich sie in Erinnerung hatte, aber ich kann mich partout nicht mehr an das Ende des Endes erinnern. Die Pointe der Serie weiß ich noch, den Rest habe ich schon komplett verdrängt.

Abends nochmal über die Folien und das Stichwort-Skript rübergeguckt, mit beidem zufrieden gewesen.

Es wäre noch mal Biergartenwetter gewesen, aber F. hatte keine Zeit und mit jemandem anders wollte ich nicht weg. Also guckte ich versonnen von drinnen auf meine wunderschönen Balkonblumen, bedauerte den gefühlt irrwitzig frühen Sonnenuntergang und war vermutlich zum ersten Mal in meinem Leben ein bisschen traurig darüber, dass der Sommer jetzt anscheinend vorbei ist.

Der Fehlfarbenpodcast in der „Süddeutschen“

Heute verlinke ich mal faul auf die SZ, denn in der Serie „Kulturpodcasts aus München“ wird in der Mittwochsausgabe über your truly berichtet. Wenn auch mit kleinen Macken – wie die Journalistin auf „WG-Küche“ gekommen in, in der wir angeblich über unsere Museumsbesuche reden, weiß ich nicht.

Den besten Satz hat Flo von sich gegeben:

„‚Einen Podcast zu machen, ist ein bisschen wie sich zum Joggen verabreden.‘ Alleine mache man es eben nicht, aber wenn die Verpflichtung durch andere dabei ist, dann schon. Seit Sommer 2014 sind so schon 22 Folgen zusammengekommen, die mehr oder weniger regelmäßig einmal im Monat erscheinen.“

Das merke ich, wenn ich alleine durch Ausstellungen gehe, da gucke ich doch gerne mal etwas unaufmerksamer als wenn ich weiß, dass ich danach 90 Minuten darüber sprechen muss und mir eventuell noch Menschen zuhören. Aber genau das ist ja der Spaß an der Sache: So bin ich durchaus schon in Ausstellungen gewesen, die ich mir alleine vermutlich nicht angeschaut hätte.

Auch den Rausschmeißer nicke ich ab:

„‚Uns geht es darum, die Kunst von ihrem Sockel zu holen. Man muss keine Scheu vor dem Museumsbesuch haben, weil man glaubt, Kunst vielleicht nicht richtig zu verstehen. Das ist Quatsch, Kunst ist für alle da‘, sagt Anke Gröner. Da trifft es sich ganz gut, dass sich keiner der drei hauptberuflich mit Kunst beschäftigt. Zugegeben, Gröner hat in den vergangenen Jahren Kunstgeschichte studiert, arbeitet aber als Werbetexterin. Felix Mendoza kommt aus der Physik, sein Interesse für Kunst und Kultur hat er von zuhause mitbekommen. Und Florian Fitz? Der ist eigentlich Jurist, macht aber nebenher Musik und fotografiert mit Leidenschaft.

Wahrscheinlich ist es genau dieser autodidaktische Zugang zur Kunst, der ‚Fehlfarben‘ eben nicht nur wie einen weiteren Podcast zur Hochkultur Münchens wirken lässt. Die drei verschiedenen Perspektiven von Gröner, Mendoza und Fitz sind so nahbar und wenig abgehoben, trotzdem absolut informativ, dass alle Kunstinteressierten oder die, die es werden wollen, gerne zuhören.“

Den ganzen Artikel mit dem Titel „Kulturverkostung“ findet ihr hier, die anderen Folgen muss man sich leider selbst zusammensuchen. Hey, SZ, eine Linkliste wäre top! Andererseits: Ich selber pflege auch keine. Unsere letzte Folge findet ihr in meinem Blog hier, ansonsten stehen die Podcasts (mit deutlich kürzerem Text als bei mir) auf unserer Website.

Tagebuch Montag, 2. September 2019 – Zähflüssig

Ewig nicht aus dem Bett gekommen; endlich hat Home Office mal Vorteile, denn ohne Arbeitsweg habe ich trotzdem pünktlich um 9 Uhr am Schreibtisch gesessen, was der übliche Beginn meiner Bürozeit ist, wenn auch latent angematscht.

Für Geld gearbeitet, was fürs Blog nur in den seltensten Fällen etwas hergibt.

In der Mittagspause kleine Nettigkeiten für F. kreiert bzw. gekauft, die auf seinem Wohnzimmertisch lagen, als er gestern zu nachtschlafender Zeit wieder heimkam.

Das Buch „Wehvolles Erbe“. Richard Wagner in Deutschland. Hitler, Knappertsbusch, Mann beendet bzw. im letzten Kapitel zugeklappt und nicht ganz ausgelesen ins Regal gestellt. Das Werk befasst sich mit der Musik bzw. den Schriften Wagners im Leben Hitlers, Thomas Manns und des Dirigenten Hans Knappertsbusch.

Der Hitler-Teil war mir latent retrospektiv konstruiert, da zuckte ich des Öfteren zusammen und dachte, das klingt jetzt aber eher nach Wunschdenken als nach historisch belegbarem Fakt. Im Knappertsbusch-Teil arbeitete sich Verfasser Vaget eher an Mann und seinem Essay „Leiden und Größe Richard Wagners“ ab, gegen das Knappertsbusch dann eine üble Protestnote verfasste (unter „Reaktionen“ im Link eben). Den Teil fand ich am spannendsten, auch weil er die Kunststadt München in den 1930er Jahren gut erfasste. München nannte sich damals nicht nur „Hauptstadt der Bewegung“, was mir im Stadtarchiv dauernd wieder auffällt, weil das Briefpapier des Oberbürgermeistern eben nicht die Überzeile „Der Oberbürgermeister Münchens“ trägt, sondern „Der Oberbürgermeister der Hauptstadt der Bewegung“. München nannte sich außerdem „Stadt der Deutschen Kunst“ und „Wagnerstadt“, und alles zusammen ergab eine sehr eklige Gemengelage. Daher: Dieses Kapitel war mein liebstes, auch wenn mir die Zeit nach 1945 zu knapp erfasst wurde.

Beim Mann-Teil kam dann leider der Literaturwissenschaftler Vaget zu sehr durch; wie Mann sich literarisch an Wagner anlehnt, war mir eher egal, ich wollte was Historisches. Daher: nicht ganz durchgelesen, trotzdem eine halbgare Empfehlung. (Zu wenige Fußnoten! Dass ich das mal sagen würde.)

Was schön war, Samstag, 31. August/ Sonntag, 1. September 2019 – Wochenende

Eigentlich wollte ich arbeiten. Eigentlich wollte ich an der Diss sitzen. Aber ganz eigentlich wollte ich Wochenende haben. Also habe ich das gemacht.

Am Samstag ausgeschlafen und erst gegen 9 Uhr oder so noch schnell den letzten Schatten auf dem Balkon für einen Flat White erwischt. Mein gegossenes Muster sah wahlweise aus wie ein Phallus oder ein Stinkefinger, weswegen ich einfach einen Blob Milchschaum darübergoss.

Samstag vormittag stand ich in der Badewanne, um F.s Roomba schadenfroh am verwinkelten 3-Quadratmeter-Bad scheitern zu sehen. Einfach selbst durchzusaugen wäre garantiert schneller gegangen, aber weitaus weniger unterhaltsam gewesen.

Dann holte ich die Zeitung und vergaß natürlich den Müllsack, den ich mit nach unten nehmen wollte, denn danach plante ich, die Wohnung für 48 Stunden nicht mehr zu verlassen. Der Müll steht hier immer noch.

Gelesen, Serien geguckt. Ich hänge vermutlich zum letzten Mal bei How I Met Your Mother rum; den Dickenhass konnte ich noch nie leiden, aber nach ein paar Jahren #MeToo kann man auch diese ganzen widerlichen Aufreißstrategien von Barney nicht mehr ertragen. Blöderweise mag ich Ted sehr gerne und himmele ewig seine braunen Kuschelaugen an. Schlimm.

Nicht mal Lust gehabt, zum Bäcker zu gehen oder selbst zu backen. Wie gut, dass ich seit kurzem einen Kühlschrank mit drei geräumigen Gefrierfächern mein eigen nenne. Ein halbes selbstgebackenes Fladenbrot aufgetaut und mit frischer Knoblauchmajo, eingelegten Gurken, der lustigen Baconmarmelade und einer Scheibe Riesentomate genossen.

Abends mit eBook auf den Balkon gesetzt. Alleine, mit Wein, neben mir die Lichterkette, vor mir ein paar Kerzen, die mir dann aber ernsthaft zu hell waren. Das iPad-Leuchten reichte mir. Dann guckte ich einfach nur noch so ins dunkle Blau.

Sonntagmorgen war ich schon um 6 wach, ging ins Bad und hatte für fünf Minuten total tolle Pläne: mal wieder walken gehen! Ne längere Runde Fahrradfahren, damit ich demnächst mit dem Rad zum Bayerncampus fahren kann und nicht immer den abends oder am Wochenende nur noch spärlich fahrenden Bus nehmen muss! Bei Sonnenaufgang Kaffee trinken!

Daraus wurde dann: wieder ins Bett gehen und von F.s DM um kurz vor 10 wach werden. Alles richtig gemacht.

Restlicher Tag wie oben, minus Roomba, plus ein Ottolenghi-Rezept, der das ganze mit Haselnüssen gemacht hat: gegrillte Zucchini (bei mir in der Grillpfanne) mit Basilikum (VOM BALKON! IN ZWEI FARBEN!), geröstete Walnüsse, bisschen Balsamico, bisschen Walnussöl, Parmesan. Tolles Zeug.

Nachmittags Augsburg in Bremen verlieren gesehen. Rumgejammert, aber die zweite Halbzeit war großartig. Gute Mannschaftsleistung, einfach immer wieder anlaufen, fuck it, so will ich das sehen. Fox Sports kommentierte schon fast gerührt von „the brave Augsburg ten“. (Gelbrote Karte in der ersten Halbzeit.)

Abends vor den grauenhaften Landtagswahlergebnissen an den Schreibtisch geflohen und doch noch ein bisschen gearbeitet. Dabei sehr laut Dvořák gehört. Half ein bisschen.

Denn das war die dicke „Was nicht schön war“-Insel am Wochenende: Die AfD wurde sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen zweitstärkste Kraft. Was die genauen Wahlergebnisse mir immerhin zeigen konnten: Das liebevolle Bepuscheln der ostdeutschen Lebensleistung können wir als Beschwichtigungsstrategie jetzt auch lassen. In beiden Ländern stimmten 31 Prozent der Wähler*innen zwischen 30 und 44 für die Neofaschisten, also Menschen, die zur Zeit des Mauerfalls höchstens vierzehn Jahre alt gewesen sind und damit die DDR eher weniger bewusst mitbekommen haben. Ich gestehe ihnen gerne zu, dass das Erwachsenwerden schwieriger war, weil die Vorbilder fehlten – wie sollten Eltern und Verwandte Tipps geben, die sie selbst nie gebraucht hatten –, aber dass diese Wähler*innen der Braunkohle nachtrauerten oder den heimeligen LPGs kann ich mir nicht vorstellen.

In Brandenburg waren diese 31 Prozent die größte Wähler*innenmenge für die AfD; in Sachsen darf sich die Generation, die 1989 auf die Straße gegangen ist, um für Demokratie zu kämpfen, diese Ehrennadel mit Eichenlaub und Schwertern anheften, denn dort stimmten 32 Prozent der Wähler*innen zwischen 45 und 59 dafür, die Demokratie wieder abzuschaffen.

Mir fällt dazu keine schlaue Analyse ein, wie gefühlt den meisten Profis aus der Soziologie, Psychologie und Politik auch nicht mehr. Was ich alles in den letzten Wochen für Stücke gelesen habe, immer im Hinterkopf die Hoffnung: Das müssen die doch selbst sehen, dass sie menschenverachtenden Dreck wählen. Seit gestern weiß ich immerhin: Ja, das tun sie. Die AfD wurde in Sachsen nicht als Protestpartei gewählt – wie in Brandenburg –, sondern genau wegen ihrer politischen Inhalte. Der braune Untergrund ist keiner mehr.