Tagebuch Dienstag, 30. Juli 2019 – Archivglück

Ich bin die ganze Woche in Nürnberg. Also von Dienstag bis Freitag, weil mein Liebling, das Deutsche Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum, nur von Dienstag bis Freitag geöffnet ist UND ICH NICHTS SCHAFFEN WERDE! Jedenfalls kam mir das gestern um 16 Uhr so vor – SIE SIND AUCH NUR VON 9 BIS 16 UHR GEÖFFNET –, als ich sechseinhalb Stunden durchgetippt und noch nicht mal eine Mappe des Protzen-Nachlasses vernünftig aufgearbeitet hatte.

Eigentlich möchte ich noch in drei weitere Nachlässe reingucken, aber ich ahne, dass ich nicht mal den Protzen durchbekomme, obwohl ich ihn schon dreimal eingesehen habe. Aber wie es halt so ist, Zauberei, beim vierten Mal und nach einem Jahr intensiver Recherche anderswo sieht man mehr als beim ersten, zweiten und dritten und plötzlich muss man ganz viel aufschreiben.

Nach Feierabend ausgehungert alle guten Vorsätze von Salat und Bagel und Fair-Trade-Kaffee mit Biomilch fahrenlassen und bei Mäcces gespeist. Alles richtig gemacht. Bei Aldi noch ein paar Getränke geholt und dann aus dem irrwitzig schwülen Nemberch ins menschenfreundlich kühl klimatisierte Hotel geschlichen.

Was ich gestern lernte: Wenn ihr Stress mit euren Eltern habt, schreibt um Gottes willen keine Briefe und hebt die auf und gebt die in Archive. Da sitzen sonst Jahrzehnte später Studierende mit sehr stark rollenden Augen dran! Ich meine es nur gut!

Tagebuch Sonntag, 28. Juli 2019 – Tippen statt twittern

Ausgeschlafen, dem Regen zugehört. Gefrühstückt, dem Regen zugehört.

Die Sendung mit der Maus aus Bayreuth geguckt und mich sehr über den wahren Satz „Die Sitze sind unbequem und teuer und trotzdem will da jeder hin“ gefreut.

Serien geguckt, leider nicht mehr dem Regen zugehört. Gelesen, dem Regen zugehört. Im Interweb nach Zimmerpflanzen gesucht, weil die Balkonpflanzen mich gerade nicht brauchen. Eine Verabredung für nächste Woche getroffen und vorgefreut.

Dann auf Twitter rumgelungert, im Internet rumgelesen, mich aufgeregt, fünf Replys formuliert und fünfmal gelöscht, denn wenn jemand felsenfest weiß, wie es richtig ist, ist es nutzlos, ihn oder sie davon zu überzeugen, dass da noch ein paar Grautöne in dieser Welt sind. Twitter ausgemacht und lieber in die Diss vertieft.

Das am Donnerstag durchgesehene Konvolut aus dem Lenbachhaus ausgewertet und aufgeschrieben, dabei eine alte Wohnadresse von Protzen gefunden, sie ergoogelt und festgestellt, dass der Mann mal 750 Meter Luftlinie von mir gewohnt hat. Weil ich gerade den großen Lost-Rewatch mache, hatte ich natürlich sofort schlimme Ahnungen von Schicksal und ähnlichem Quatsch. Das musste ich dann doch wieder vertwittern und bekam zur Adresse noch gute Tipps. Nebenbei noch ein Dankeschön für einen Lichterketten-Tipp für den Balkon und ein Danke für einen Blogeintrag erhalten. Doch wieder mit Twitter versöhnt gewesen.

Abends mit F. einen sehr anständigen kalifornischen Rotwein verköstigt. Zwischendurch aus Gewohnheit Twitter auf dem Handy geöffnet, nach drei Tweets wieder schlechte Laune gehabt. Twitter vom Handy geschmissen. Es ist in zwei Wochen wieder drauf, ich kenne mich ja, aber Fresse jetzt, Nerv-App, herrgottnochmal.

Tagebuch Samstag, 27. Juli 2019 – Letzte Worte

Marie Sophie Hingst ist tot. Ein Artikel über ihr Leben und ihren vermutlichen Suizid aus der Irish Times wurde gestern viel geteilt, auch von mir, und im Zuge dessen wurde auch mein Blogeintrag zum Thema von Ende Mai wieder verlinkt.

Ich ringe seit gestern mit mir, ob ich dazu noch etwas schreiben möchte. Ich mache es kurz: Ich hätte den Blogeintrag weiterhin so formuliert. Ich glaube nicht, dass der Spiegel journalistisch fahrlässig handelte, und ich glaube auch nicht, dass der Artikel in der Times irgendwie besser oder menschlicher mit ihr umgegangen ist, was gestern auf Twitter einige Male geäußert wurde. Der Holocaust und seine Leugnung sind in Irland vermutlich kein Thema mit einem ähnlichen Wichtigkeitsgrad wie in Deutschland, daher ist es einfach zu sagen, nee, bringen wir nicht. Ich bin nicht froh über die Offenlegung des Lügengebäudes, aber sie war meiner Meinung nach richtig. Und natürlich bin ich traurig darüber, dass Hingst anscheinend nicht die Hilfe bekam oder diese annehmen konnte, von der ich hoffte, sie wäre möglich. Es gibt keinen Schuldigen bei diesem Ausgang, es gibt nur eine Biografie, die vielleicht von einer Krankheit bestimmt wurde, das kann ich nicht beurteilen, die ein Ende gefunden hat. Vermutlich weniger selbstbestimmt als ich hoffte, und auch darüber bin ich traurig.

Tagebuch Freitag, 26. Juli 2019 – 200 Seiten weniger

Morgens als erstes der Blick auf den Router, wo in den letzten beiden Tagen nur drei klägliche Lichtlein blinkten statt fünf. Gestern morgen: VOLLE POWER! ICH HABE MEIN INTERNET WIEDER! Sofort den Tannhäuser-Stream angeworfen, nicht im Word-Dok vorgebloggt, sondern gleich mutig in der WordPress-Oberfläche im Browser, sehr lang und ausführlich aufgeschrieben, wie ich die Aufführung fand. Nochmal hach!

Den Vormittag dann am Schreibtisch verbracht, um den abendlichen Gesprächstermin mit dem Doktorvater vorzubereiten. Nochmal brav über alles gegangen, was mir wichtig war, Notizen für Fragen gemacht, was man halt so tut. (Das ist übrigens fast ein Bildtitel von Protzen: Was man so alles tut (Selbstportrait) (1929, Werkverzeichnis 198, 130 x 82 cm). Holt mich hier raus.)

Reisevorbereitungen getroffen, denn demnächst geht’s nach Nürnberg ins Kunstarchiv. Mal wieder nicht rechtzeitig die FAZ von Papierlieferung auf digitale Ausgabe umgestellt bekommen; vielleicht freut sich der Blumengießdienst über das Exemplar.

Zu heiß für ernsthafte Diss-Arbeit, den Lost-Rewatch weiterbetrieben, neue Folgen von Younger und Jane the Virgin geguckt. Rumgelegen, geschwitzt und mich auf das kühlere Wochenende gefreut, an dem ich wieder denken kann.

Gegen 16 Uhr dann doch in die Scheißhitze gegangen, wenigstens im knallpinken Shirt. Macht überhaupt nicht schlank, aber dafür gute Laune.

Der Doktorvater war mit dem vorherigen Termin noch nicht fertig, das ist er nie, das ist in Ordnung. Ich bekam den üblichen Kaffee angeboten, den ich wie üblich ablehnte, dann wurde kurz nach der Finanzierung meines Lebens gefragt; nein, ich will immer noch kein Stipendium, dann darf ich nämlich nicht mehr arbeiten, und das ist in meiner Branche dann doch etwas einträglicher als das geschenkte Geld. Wenn mich mal jemand wieder buchen würde, ähem. Letzteres lässt mich manchmal nachts nicht gut schlafen, aber in meinem Kopf reichen die Ersparnisse bis zur Abgabe, und danach sehen wir weiter. Und wenn mich niemand bucht, kann ich halt ungestört promovieren. Hat alles Vor- und Nachteile. (Will trotzdem besser schlafen.)

Meine vorab brav geschickte vierseitige Gliederung mit den bisherigen Erkenntnisgewinnen – bzw. einem winzigen Ausschnitten davon – hatte Papa natürlich noch nicht gelesen, also taten wir das jetzt gemeinsam. Hier eine Nachfrage, da eine Anmerkung – „Sie wühlen ja immer recht gründlich“ –, dann, auch wie immer, irrwitzige Hinweise auf Archivbestände, von denen ich noch nie gehört hatte, und Personen, die ich mal anmailen sollte. Tipps für den Umgang mit Archivar*innen: „Immer sagen, was Sie schon kennen, das macht einen guten Eindruck, dann sieht das nicht so aus, als sollte das Archiv die Arbeit für Sie machen.“ „Bei dem Herrn eine Mail schicken und erst frühestens nach drei Wochen nochmal nachfragen. Der hasst es, wenn er sich gedrängt fühlt, weiß aber alles.“ „Die Dame freut sich total, wenn man sie was fragt, in dem Archiv ist nie jemand.“ „Wenn Sie gut in Bibliotheken arbeiten können, nehmen Sie die vom Deutschen Museum. Da stehen Zeitschriften, von denen Sie nicht mal wissen, dass sie existieren, und der Lesesaal ist nie so voll wie in der Stabi.“ Gerade auf letzteres freue ich mich seit Wochen, denn ich beginne ja gerade das Autobahnkapitel, für das ich bergeweise technische Zeitschriften wälzen will.

Ich erwähnte es hier vermutlich schon mehrfach: Meine Diss besteht aus zwei Teilen, zuerst die Aufarbeitung von Protzen und anschließend seine Rezeptionsgeschichte nach 1945. Die wollte ich eigentlich an den drei großen Ausstellungen von systemkonformer Kunst des NS aufbereiten: Dokumente der Unterwerfung (Frankfurt 1974), Aufstieg und Fall der Moderne (Weimar 1999) und Artige Kunst (Bochum, Rostock, Regensburg 2017). Dafür wollte ich nachvollziehen, wie die endgültige Bildauswahl zustandegekommen ist, also: Warum hängt da eben Protzen als teilweise einziger Vertreter von Autobahnmalerei und niemand sonst? Um diese Ausstellungen herum wollte ich die kunsthistorischen Diskurse der Zeit aufarbeiten: Wie ging und geht unser Fach mit dieser Kunst um? Spoiler: Wir haben uns noch nicht festgelegt, ob das jetzt überhaupt Kunst ist, und wenn ja, ob man sie zeigen sollte, und wenn ja, wie genau.

Diesen Teil der Diss hatten wir bisher nur theoretisch durchgesprochen. Jetzt in der ausführlichen Gliederung, wo ich mein Vorhaben mal ordentlich niedergeschrieben hatte, meinte der Herr Doktorvater für mich etwas überraschend: „Von den Kapiteln Frankfurt, Weimar und Bochum ist im Prinzip jedes eine eigene Diss.“ Und in dem Moment, in dem er das sagte, war mir das auch klar. „Bei wie vielen Seiten sind Sie denn jetzt? 70? Das ist in Ordnung. Rechnen Sie das mal hoch mit den noch ausstehenden Protzen-Kapiteln … und dann die nach 45 dazu. Dann sind Sie bei 600 Seiten. Das können Sie natürlich machen. Es ist nur die Frage, ob Sie das machen müssen.“ Äh. Ja. Hmpf.

Die Kapitel, die ich bisher habe, sind eher die kürzeren zum Herrn, die anderen werden garantiert länger. Daher diskutierten wir schließlich, wie ich mich um die Ausführlichkeit der Rezeptionsgeschichte rumdrücken kann, ohne meinen Punkt zu verlieren, den ich machen will, nämlich den, dass es auch noch andere Kandidaten für die Ausstellungen gegeben hätte, wir uns in unserem Fach aber seit 1974 auf ein Konvolut an Bildern beschränkt haben, das jetzt als beispielhafte NS-Kunst gilt, fertig, da müssen wir nicht mehr drüber nachdenken. Aber genau das mache ich jetzt eben. Mein Lieblingsbeispiel ist die Kalenberger Bauernfamilie von Adolf Wissel, die ich als eher als noch latent neusachlich denn als fiese Blut-und-Boden-Ideologie wahrnehme, aber das ist eben auch eins der Bilder, das überhaupt nicht mehr hinterfragt wird. Einmal Nazischeiß, immer Nazischeiß.

Wir sind jetzt so verblieben, dass ich erstmal den Protzen-Teil fertigstelle, was ja eh mein Plan gewesen ist, und mir währenddessen vermutlich eh klar wird, wie ich mit seiner Rezeption umgehe. Denn die ergibt sich schließlich auch aus seiner Wahrnehmung während der NS-Zeit, und die muss ich erstmal anständig aufarbeiten. Aber es klingt so, als wäre meine Arbeit gerade um 200 Seiten kürzer geworden. Yay?

Nach dem Heimweg nur noch ermattet rumgelegen, einen riesigen Obstsalat gegessen, ein Kilo Eiswürfel in Softdrinks geschmissen, vor dem Ventilator eingeschlafen.

Was schön war, Donnerstag, 25. Juli 2019 – „Tannhäuser“-Livestream

Morgens hoffnungsvoll aufgewacht – und sogleich enttäuscht worden. Das Internet funktionierte immer noch nicht. Aber mit meinem 24-Stunden-unbegrenzt-Gigabyte-runterschaufeln-Pass konnte ich tethern und bloggen.

Um kurz vor 10 saß ich in einem perfekt klimatisierten Bus, um mich zum Museum Brandhorst shutteln zu lassen. Dort wartete eine Fotografin der Süddeutschen auf uns Fehlfarben-Bunnys, um uns für den demnächst erscheinenden Artikel abzulichten. Mit Profis arbeiten ist toll: In einer Viertelstunde waren wir fertig.

Vorher gab es per Gruppen-DM ein paar Diskussionen zur Kleiderfrage: Shirts, Hemd/Bluse, Polos … F. meinte, dass es gut wäre, wenn wir das einheitlich machten, woraufhin ich meinte, warum das denn, wir sind doch nicht Kraftwerk. Also sehen wir auf dem Foto so aus, wie wir halt aussehen: F. im Bandshirt, Florian und ich im Nicht-Band-Shirt. Auch unsere offensive Schüchternheit, mit einer Fotografin zu arbeiten, die schon diverse bekannte Menschen vor der Kamera hatte, war unbegründet. (Meine Hochachtung dafür, Bret Easton Ellis wie das Man Child aussehen zu lassen, das er ist.)

Danach raffte ich mich noch zur Packstation auf, das Buch im Abholfach der Stabi wird da aber wohl liegenbleiben. Jeder Gang, der gerade nicht sein muss, fällt aus, sorry, Stabi.

Nachmittags hatte ich noch einen vor mir, auf den ich mich aber freute, denn er fand in der Klimakammer aka dem Vorlageraum des Lenbachhauses statt, wo ich zum dritten und vorerst letzten Mal in der Protzen-Mappe blättern durfte. Ich war nämlich bei zwischenzeitigen Recherchen (DAS HÖRT JA NIE AUF!) auf Dinge gestoßen, die mir die These ermöglichen, dass ein paar der dortigen Werke diejenigen sind, die Protzen zwischen 1927 und 1931, dem Jahr des Glaspalastbrandes, an eben diesem Ort ausstellte. Gestern suchte ich die betreffenden Werke noch einmal zusammen, fotografierte sie anständig, die Kuratorin half mir beim Vermessen – habe ich das auch mal gelernt – und ich behaupte jetzt, alle seine Grafiken von immerhin 1927 und 1929 nachweisen zu können.

Schnell wieder in die mit geschätzt 25 Grad geradezu kühle Wohnung, denn fünf Minuten, nachdem ich zuhause ankam, begann der Livestream von den Bayreuther Festspielen. Es gab den Tannhäuser, den ich gerade erst am Dienstag auf der Generalprobe gesehen hatte. Den Stream könnt ihr übrigens immer noch sehen. Macht das mal, bitte. Lohnt sich.

Der Tannhäuser erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden kann. Die beiden Damen bilden den beknackten Gegensatz Hure (Venus) und Heilige (Elisabeth) ab, und eigentlich kann man den Stoff echt nicht mehr ertragen. Den Gegensatz kann man auch in modernen Inszenierungen nie ganz wegdeuten, aber man kann ihn besser verpacken, und meiner Meinung nach hat das hier hervorragend geklappt.

Während der Ouvertüre beginnt schon eine Videosequenz, die klarmacht, dass wir heute nicht nur auf eine bespielte Bühne gucken, sondern noch eine zweite Ebene haben. Zuerst im Bild: die Wartburg, auf der der Sängerwettstreit stattfindet. Dann epische Drohnenflüge über den doitschen Wald, wo ich schon unangenehm zusammenzuckte, weil das offensichtlich Schöne ja gerne einen doppelten Boden hat. Hier kommt irgendwann ein Citroen HY ins Bild – mit einem gelben Hasen aus dem beknackten Schlingensief-Parsifal auf dem Dach –, der dann an einem Hinweisschild auf eine Biogas-Anlage vorbeifährt, an das ein Mann das Schild „Mangels Nachfrage geschlossen“ klebt. Das war natürlich eine kleine Spitze gegen den vorherigen Tannhäuser in Bayreuth, der in einer solchen Anlage gespielt wurde und der, soweit ich mich erinnere, großflächig bei Kritik und Publikum durchgefallen war. Ab diesem kleinen Scherz hatte mich die Inszenierung fest in der Tasche.

An Bord des Transporters: Tannhäuser im Clownskostüm, Venus im schwarzen Glitzeranzug und vermutlich zum ersten Mal in einem Tannhäuser die schwarze Dragqueen Le Gateau Chocolat sowie Manni Laudenbach als Oskar Matzerath. Die vier bilden das anarchische Quartett, das auf Regeln in der Kunst pfeift und macht, was es will. Das Video zeigt aber auch, dass sie sich dabei an wirklich keine gesellschaftlich gesetzte Regel halten: Bei einem Überfall auf einen Burger King wird ein Wachmann überfahren, der sich dem Transporter in den Weg stellt. Tannhäuser hadert hier also im ersten Akt nicht damit, dass er die fleischliche Lust im Venusberg irgendwie über hat, sondern damit, wie weit er für seine Kunst gehen will – und wie weit eben nicht. Im Video sieht man ihn nachdenklich im Transporter sitzen, im Hintergrund das Gesicht von Botticellis Venus deutlich im Bild, was mich die ganze Generalprobe irritiert hat, weil ich die Dame nicht mit der Venus vor mir auf der Bühne zusammenbekommen habe.

Der erste Teil des ersten Akts findet auf einem Rastplatz statt, wo erstmal die erbeuteten Burger ausgepackt werden und Tannhäuser rumhadern darf, während er sich seiner orangefarbenen Clownsperücke entledigt. Venus hat daraufhin irgendwann die Schnauze voll, der Mann jammert immer, dass sein Heil in Maria liegt (also der hohen Kunst und nicht diesem anarchischen Trash), dann soll er doch gehen, er fliegt aus der Band – und findet sich vor dem Festspielhaus wieder. Im Hintergrund ist das unverkennbare Gebäude zu sehen, der Vordergrund ist die Straße, die während der Festspielzeit mit einer rot-weißen Begrenzung abgesperrt ist – und selbstverständlich war auch die da. Auch wegen solcher kleinen Details fand ich das Bühnenbild ausgezeichnet. Der junge Hirte ist hier eine Radlerin, natürlich mit Fahrradklammer ums Hosenbein, wie sich das gehört, und die Pilger, die sonst von der Wartburg kommen – „Zu dir wall’ ich, mein Jesus Christ / der du des Pilgers Hoffnung bist!“ – sind hier, großartig, Festspielbesucher*innen in Abendroben und Anzügen, die auf Kommando gleichzeitig mit ihren Programmen und Eintrittskarten rumfächern, denn auf dem Hügel ist es bekanntlich immer zu heiß. Sie pilgern zu ihrem Heiland, dem Herrn Wagner, der in ihren Augen unantastbar ist, weswegen in Bayreuth auch immer gebuht wird, ganz egal, was vorne passiert. Der Wagnerianer an sich findet erstmal alles scheiße, was nicht so aussieht als hätte Ritchie es selbst inszeniert. F. als jemand, dem ich das nie erklären konnte, fand sich ganz in seinem Element, und auch deswegen bin ich im Nachhinein so froh, dass es ausgerechnet diese Inszenierung war, die er als erste in Bayreuth zu sehen bekam.

Die Ritter, mit denen Tannhäuser sich verkracht hatte, sind Festspielmitarbeiter, stilecht mit Lanyard und Ausweis um den Hals und teilweise in biederen Kostümen. Tannhäuser zieht seine alte, grüne Edition-Peters-Partitur aus dem Reisesäckchen, will wieder ernsthafte Kunst machen und keine Drag-Revuen, was die Ritter freut, Elisabeth, in Sneakers und Bademantel, anscheinend kurz mal aus der Künstlerinnengarderobe auf ne Zigarette draußen, sieht Tannhäuser – und ohrfeigt ihn. Endlich kriegt der Blödmann mal eine geknallt, darauf habe ich so lange gewartet! Akt zuende, Vorhang, Freude im Publikum bzw. auf dem Sofa bzw. meiner Twitter-Blase.

Der zweite Akt wurde dann noch besser. Hier ist die Bühne größtenteils zweigeteilt: Unten ist eine Art Guckkastenbühne, mit Neonröhren umfasst, auf der eine altmodische Tannhäuser-Inszenierung gegeben wird, während in der obereren Hälfte meist ein Video läuft, das Szenen hinter der Bühne bzw. rund um das Festspielhaus zeigt. Die Bühne auf der Bühne und ihre Mitwirkenden sehen genauso aus, wie ewiggestrige Wagnerianer vermutlich gerne mal wieder einen Tannhäuser sehen wollen würden: In der großen Halle stehen klobige Möbel, ein güldener Kronleuchter hängt rum, die Architektur ist ein unauffälliger Zwitter zwischen Romanik und Renaissance, alles hübsch aufgeräumt. Die Kostüme sind ebenso ordentlich und herrschaftlich: dunkelblau und gold, während Elisabeth mit Krönchen und langem Gewand aussieht wie Uta von Naumburg. Haben wir also alle Stilepochen beieinander, bevor mit dem Barock alle irre wurden.

Auf der Bühne geht die Aufführung brav vor sich, während im Video zu sehen ist, wie Venus, Le Gateau Chocolat und Oskarchen ins Festspielhaus einbrechen und ein Banner mit dem Wagner-Motto „Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen“ vom Balkon hängen, auf dem die Bläser in der Pause immer das Ende derselben anzeigen, indem sie ein Motiv aus dem nun folgenden Satz spielen. Regisseur Tobias Kratzer geht es also vermutlich nicht nur generell um den ewigen Streit zwischen E und U, sondern er erinnert auch daran, dass Wagner selbst mit seiner Richtung haderte. Nicht umsonst gelten der Holländer, Tannhäuser und Lohengrin heute noch als eher klassisch-romantische Opern, während er mit dem Ring, Tristan und Isolde sowie Parsifal die Opernwelt revolutionierte. Auch er war also ein Wandler zwischen den angeblich feindlichen Welten. Je länger ich über die Inszenierung nachdenke, desto besser und schlüssiger finde ich sie.

Zurück zu unserer Chaos-Truppe, die sich nun ihren Weg durchs Festspielhaus bahnt. Wir sehen die Besuchergarderoben, die Erinnerungstafel an die Uraufführung vom Ring, alles nett für Festspielbesucher*innen, weil man sich halt wiederfindet. Dann geht’s hinter die Kulissen, wo in der Generalprobe sehr laut gelacht wurde, im Stream habe ich es nicht so auffällig wahrgenommen: In der Fotogalerie der ganzen Dirigenten (hat schon mal eine Frau auf dem Hügel dirigiert?) bleibt der Blick von Le Gateau Chocolat bzw. der Kamera einen Hauch länger als nötig auf dem Bild von Christian Thielemann, dem Musikdirektor der Festspiele.

Dann ein schöner Kniff, auch einer, der mir total logisch vorkam: Venus überfällt eine Dame, die einen Edelknaben singt, zieht sich ihr Kostüm an und sitzt nun mit im Saal, wo Tannhäuser mit anderen Rittern um die Gunst von Elisabeth singt – was Venus völlig zu recht entgeistert mimisch kommentiert. Elena Zhidkova hat ein großartiges komödiantisches Timing, ich habe sie sehr genossen. Wie gesagt, völlig logisch, dass Venus nicht fassen kann, was hier stattfindet, und ich fand es sehr schön, eine Art Bundesgenossin vor der Nase zu haben und mich nicht nur alleine zu fragen, warum Elisabeth dieses Spiel mitspielt. Sie ist hier netterweise mehr als nur die keusche Jungfrau, die sich schließlich für ihren Kerl opfert (Augenrollen, immer!), sondern vielschichter. Sie hat sich ihr Korsett aus Verpflichtungen und Maßstäben vielleicht sogar selbst ausgesucht, aber es schwingt immer mit, dass dieses Korsett eins der Männergesellschaft ist, in der sie sich bewegt. Sie spielt so gut mit, wie es geht, aber spätestens im dritten Akt geht es eben nicht mehr.

Ich mochte am zweiten Akt diese Doppelbödigkeit, dieses Aufrechterhalten des, im wahrsten Sinne, schönen Scheins, der da gülden aus dem Guckkasten kommt. Die Videos waren willkommener Comic Relief, aber bis auf wenige Ausnahmen hatte ich nie das Gefühl, dass das Regiekonzept das Ursprungsmaterial übertüncht. Beim ewig langen Einmarsch der Edlen zum Beispiel wurde die Guckkastenbühne ganz von der Leinwand überdeckt, es gab nur noch ein Video zu sehen. Das war einerseits nett, weil diese Szene schlicht schnarchig ist, aber ich musste mich selbst zwischendurch daran erinnern, dass ich hier keinem Film mit hübschem Soundtrack zugucke, sondern einer Theateraufführung.

Der Akt endet damit, dass im Video Festspielchefin Katharina Wagner die Polizei ruft, die dann auch den Grünen Hügel rauffährt – und ich hatte fast damit gerechnet, dass in der Pause noch ein Polizeiwagen vor dem Haus steht. Das war nicht der Fall, aber das gehisste Banner hing wirklich draußen. Im Saal auf der Guckkastenbühne Tumulte, Venus hat sich zu erkennen gegeben, als Tannhäuser klar geworden war, dass ihm die hohe Kultur genauso auf den Zeiger geht wie vorher die Anarchie. Oskarchen trommelt zum Weltuntergang, Le Gateau Chocolat wirft eine Regenbogenflagge über die goldene, natürlich, goldene Harfe, auf der vorher die Sänger begleitet wurden, Tannhäuser wird abgeführt, Vorhang, Applaus.

Mit dem dritten Akt habe ich direkt nach der Probe etwas gehadert, der erschloss sich mir nicht sofort. Gestern im Livestream passte dann aber auf einmal alles. Die Bühne ist dunkel und abgewrackt, der Transporter nur noch Schrott, Oskar kocht sich Suppe in seiner Trommel – und bietet der umherirrenden Elisabeth, die seit Jahren Tannhäuser sucht, mildtätig und mitleidig etwas davon an. Sie nimmt dankbar an. Wolfram, der Elisabeth bisher erfolglos und keusch aus der Ferne angeschmachtet hat – das wurde auch im zweiten Akt schön im Video eingefangen, auch Tannhäusers Augenrollen über seine blutleere Verehrung im Gesang – nähert sich, tröstet, ist halt der Kumpel, den man manchmal echt nicht braucht. Mein geliebter Pilgerchor besteht aus Obdachlosen, die die Bühne nun von allem noch verwertbaren Schrott befreien und sie quasi leeräumen. Auch Oskars Trommel ist weg, das Kapitel ist zuende. Tannhäuser war nicht zwischen den Pilgern, Elisabeths letzte Hoffnung ist dahin. Und dann kam die Szene, bei der mich die Inszenierung dann endgültig hatte: Wolfram zieht sich Tannhäusers Clownskostüm an, setzt die Perücke auf – und Elisabeth bittet ihn zu sich in den Transporter, wo sie miteinander schlafen. Wolframs Lied an den Abendstern, der olle keusche Schmachtfetzen, war auf einmal traurig und nicht mehr sehnend, und Elisabeths letzter Versuch, in ihrem beschissenen Korsett zu funktionieren, hat auch nicht geklappt. Zum ersten Mal hat ihr anschließender Selbstmord für mich Sinn ergeben, weil es mehr war als die selbstlose Aufopferung, sondern ein aktives Zerbrechen und ein ebenso aktiver Rückzug aus einem Leben, das schlicht nicht ihres ist.

Ab da wollte ich dann eh nur noch, dass alles vorbei ist. Die Rom-Erzählung von Tannhäuser ist mir meist egal, so auch hier, aber immerhin ein schönes Detail: Wenn er vom „grünen Stab“ singt, dann hat er dabei die zusammengerollte Partitur in der Hand, was mal wieder passt. Es passt überhaupt fast alles, eine wirklich tolle Inszenierung. Nur das Ende ist mir beim zweiten Mal ein bisschen schief aufgestoßen: Im Video fahren Tannhäuser und Elisabeth glücklich im Transporter in den Sonnenuntergang. Fand ich beim ersten Mal schlüssig, aber gestern dachte ich plötzlich: wieso ist das das Happy-End? Ist es doch gar nicht, die beiden passen offensichtlich nicht zusammen. Wieso fahren nicht Elisabeth und Venus zusammen weg und machen ihr eigenes Ding, bis Tannhäuser und seine Ritterjungs sich mal klarkriegen? Denn gestern fiel mir nämlich auf, wie ähnlich Elisabeth im dritten Akt mit ihren offenen Haaren der Botticelli-Venus ähnelt. Und da war der schöne Bogen zum Anfang, und ich klatschte sinnlos in Richtung Macbook.

Also nochmal: Stream angucken. Während ich das hier alles verbloggt habe, lief der im Hintergrund, weswegen ich auch weiß, dass dieser Eintrag gute anderthalb Stunden gedauert hat. Nur so als Hinweis Zwinkersmiley.

Hach! Oper! HACH! Ich guck den Stream jetzt einfach zuende.

Was schön war, Freitag, 19., bis Mittwoch, 24. Juli 2019 – Dritte Liga (Würzburg), Interview (München), Generalprobe (BAYREUTH!)

Am Freitag erfolgreich weiter an der Diss gearbeitet. Jetzt, fünf Tage später, habe ich schon wieder keine Ahnung mehr, was ich geschrieben habe.

Am Samstag fuhren F. und ich nach Würzburg. Eigentlich wollte nur der Herr fahren, um sich die Bayern-Amateure bei ihrem ersten Drittligaspiel nach erfolgreichem Aufstieg anzuschauen, aber wir haben ein lauschiges Pärchen-Wochenende daraus gemacht, weil gemeinsame Urlaube gerade aus Gründen etwas schwierig sind.

Ereignislose und pünktliche Zugfahrt, Umstieg in Nürnberg, ich winkte dem Kunstarchiv zu, das man zwar von der Bahnstrecke aus nicht sehen kann, aber ich weiß, es ist da, my precious.

In Würzburg dann in die Tram gestiegen, die direkt vor dem Hauptbahnhof hält und bis fast vor die Hoteltür geshuttelt, genau wie ich es mag. Und ähnlich nett ging es weiter: Das Hotel hatte uns ein Upgrade gegeben, warum auch immer, und so durften wir im sehr neuen Hoteltrakt nächtigen. Statt in einem Zimmers eines Betriebs, der sich angeblich seit 1408 um Gäste kümmert, schliefen wir im Neubau, der quasi erst vor fünf Minuten fertiggestrichen wurde. So roch es jedenfalls. Das war aber auch das einzige, an dem wir etwas zu meckern hatten. Okay, die fehlenden Handtuchhaken, die die Handwerker vergessen hatten, wie die plauderige Dame an der Rezeption meinte. Und der Bewegungsmelder, der den Fußboden zum Bad schon eifrig beleuchtete, wenn ich mich im Bett umdrehte. Aber das war’s dann wirklich. Ich meine: der Ausblick alleine! Und: eine Klimaanlage, die lautlos alles auf gefühlte 14 Grad runterkühlte. Es waren vermutlich 23, aber irgendwann kroch ich ernsthaft unter die Bettdecke, weil es einen Hauch zu frisch wurde. Große Liebe.

Außerdem gab’s einen Obstteller und Wasser und einen kleinen Bocksbeutel und einen Blumenstrauß, den ich wirklich gerne mitgenommen hätte, und dann dieses Zeug, aus dem F. kaum wieder seine Füße nehmen wollte. Also aus denen, auf denen sein Name stand.

Ansonsten hatte ich persönlich noch nie soviel Platz in einem Hotel; das Bad alleine war so groß wie ein gesamtes Zimmer im Motel One. Und die Regendusche machte mich sehr glücklich, als wir nach drei Stunden in praller Sonne vom Fußball wiederkamen. Den Preis, den das Zimmer normal kosten würde, würde ich dafür zwar nicht zahlen wollen, aber quasi geschenkt – gerne wieder. Der Rest vom Laden war auch äußerst nett (Menschen) oder lecker (Frühstück).

Gerade erwähnt: drei Stunden in praller Sonne. Das war nicht so meins, und die Amas sind mir eigentlich auch egal und das Spiel war eher mies, aber das Stadion der Würzburger Kickers war wirklich nett. Da passen, soweit ich weiß, ungefähr 10.000 Leute rein und das ist eine Größe, die mir sehr sympathisch war. Der Stadionsprecher war allerdings pure Hysterie. Ich weiß, das gehört zum Berufsbild, dass jedes Tor und jede Mannschaftsaufstellung und jeder Wechsel gefeiert wird wie die Heilung von Krebs, aber das hier war wirklich eine Nuance zu viel. (Und der Sprecher bei den Bayern-Damen drei Nuancen zu wenig, aber das nur nebenbei.)

Wir wurden stets ermahnt, viel zu trinken und das hätte ich auch gerne gemacht, aber die beiden rührend kleinen Getränkeausgaben füllten jeden Becher ernsthaft erst nach Bestellung. In den größeren Stadien stehen batterienweise fertige Becher rum, so dass nur jemand zugreifen muss, und viele Stadien haben auch Bezahlkarten, womit das leidige Geldwechseln entfällt. Hier nicht, was ich als Gast auch okay fand, dass ich keine Karte brauchte, aber meine Güte, hat das alles gedauert. Ich hatte vor dem Spiel einen halben Liter getrunken und habe es nicht mal bis zur Halbzeitpause ausgehalten, den nächsten zu holen. Das dauerte ungefähr eine Viertelstunde, danach ließ mich F. von seinem Getränk nippen, weil die Schlange am Stand immer länger wurde. Ich hoffte ein bisschen auf einen Wasserschlauch in den Gästeblock, der aber leider nicht kam. Wäre bei 34 Grad vielleicht eine Idee gewesen.

Deswegen saß ich in der zweiten Halbzeit auch fast nur noch stumm und still rum und fächerte mir Luft zu, weil ich Angst um meinen Kreislauf hatte. Der hielt, aber das mache ich vermutlich nicht nochmal. Aber hey, meine erste Auswärtsfahrt! Und mein erstes Drittligaspiel!

Abends gönnten wir uns im Hotelrestaurant Kuno 1408 ein schönes fränkisches Menü plus regionaler Weinbegleitung. Ich hatte schon nach den Küchengrüßen keine Lust mehr zu fotografieren, weil ich einfach nur dasitzen und zufrieden sein wollte, daher sind die Bilder danach von F.

Aber meinen freundlichen Sitznachbarn konnte ich noch knipsen. Nächstes Mal möchte ich den Tisch, an dem der Panda saß. (Fragt mich nicht, ich habe keine Ahnung, warum da Stofftiere waren.)

Die Reinkommer: eine tolle Kartoffelkrokette, ein knuspriger Keks, ein fruchtiges Gelee, das sich mir nicht ganz erschlossen hat.

Der erste Gang war gleich mein Liebling des Abends: Forellentatar und Forellenkaviar, dazu eine Honigsenfsauce, in der eingelegte Dillstängel steckten, dazu Selleriefond. Normalerweise ist Anis nicht so meins und Dill auch nur in kleinen Dosen, aber das war alles perfekt. Frisch und zart und trotzdem voller Tiefe, hier ein bisschen Süße, hier was Saures, ach, herrlich, hätte ich mich reinlegen können.

Auch toll: eine Kohlrabischeibe, ungeschält, wie ich interessiert feststellte, mit Spargel drin, Radieschen, Kartoffelschaum, irgendwas Knusprigem obendrauf und dann leider einem Hauch zu viel Bacon in der Mayonnaise bzw. als Bröckchen. Ich weiß, Speck geht immer und mit allem, aber hier hätte ich mir die Souveränität gewünscht, das ganze vegetarisch zu lassen.

Nochmal toll: Kaninchen. Ewig nicht mehr gegessen, sollte ich eventuell öfter machen. Unten im äußerst formschönen Teller lag ein hohler Semmelknödel, der mit Blumenkohlpüree gefüllt war. Darauf dann zwei Sorten vom Fleisch, zwischen denen ein Crisp lag – ich tippe auf Pastinake, bin mir aber nicht sicher –, worauf noch ein bisschen Senfeis balancierte. Das happste man einfach so weg (F.) oder ließ es in die Sauce fallen (ich). Auch der Gang war überraschend süß, aber ich mochte ihn sehr gern.

(Memo to me: F. sagen, er möge bei Essensbildern immer, haha, Fleisch dranlassen, also großzügig mit Umgebung fotografieren, damit ich das Bild gerade zum Horizont ausrichten kann, ohne das Gericht beschneiden zu müssen. Hier ist nix ausgerichtet, weil dann das Eis nicht mehr im Bild gewesen wäre.)

Und dann kam leider für mich ein Totalausfall. Ich habe noch in keinem Sterneladen bisher einen Gang gehabt, den ich so gar nicht mochte, aber der hier war es. Zum geflämmten Zander gab es unter anderem eingelegte Gurke, Dörrtrauben, Hirsesalat und ein Ziegenkäsesößchen. Mag ich in Einzelteilen alles gern, aber das ging gar nicht zusammen. Den Zander fand ich langweilig, die Gurken undefiniert, die Trauben viel zu süß und ich wusste nicht, was sie auf dem Teller sollen, die Hirse schmeckte gammelig, der Ziegenkäse ließ endgültig alles ins Unangenehme kippen, und ich fand es doof, dass ich mir alles von zwei Tellern zusammenbasteln musste.


Der mummelige Kondensmilchflan mit dem herrlich frischen Erdbeerlimesorbet konnte mich auch nur halb wieder glücklich machen, denn unter der gewöhnungsbedürftigen Gewürzsahne lag fies saurer Rhabarber. Auch eigentlich etwas, das ich mag, aber auch hier war es die Kombi, die mich etwas unzufrieden zurückließ. Aber: frittierter Rucola! Grandios.

Die Petit Fours waren dann wieder gut. Nougatcreme auf eine Platte zu schmieren, durch die man mit dem Löffel durchfährt, fand ich super. Auch das Brot zum Mahl war gut, die Weine waren nett, der Käse war gut, jajaja. Aber ich hadere immer noch mit dem ollen Zander.

Als Absacker einen Sauerkirschbrand, dann lange und gut geschlafen.

Den Sonntag verbrachten wir Würzburg-Touri-gerecht zunächst in der Residenz, wo ich wieder eine Powerpoint-Folie aus einer Univorlesung abhaken konnte: das Treppenhaus mit dem Deckengemälde von Tiepolo habe ich jetzt auch gesehen und war angemessen beeindruckt. Ansonsten werden Barock und ich keine Freundinnen mehr, und wir durchstreiften die ganzen Prachträume recht schnell, bevor wir uns in den Garten setzten, schön geschützt unter Bäumen, denn es begann zu nieseln, und Leute stellten sich stilvoll unter.

Danach shuttelten wir mit der Kulturlinie 9, kleiner Tipp für euch, von der Residenz zur Festung hoch. Dort knipsten wir nur den Ausblick auf die Stadt, weil es wieder über 30 Grad heiß war, ich matschig und im Prinzip auch nur mit Eincremen und der Sonne ausweichen beschäftigt war. Im Biergärtchen ein Radler getrunken.

Im in der Festung gelegenen Frankenmuseum sahen wir dann eine Ausstellung, die wir auch in München hätten sehen können, aber mei: Sieben Kisten mit jüdischem Material. Von Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute. Ich musste an die Tagung zur Provenienzforschung denken, wo genau über diese Judaica gesprochen wurde (vorletzter Absatz), die seit Jahrzehnten in deutschen Museen rumliegen, weil keiner so genau weiß, wo sie herkommen. Ich fand die Ausstellung sehr unaufgeregt präsentiert, gut betextet, schön aufbereitet, kein unnötiges Pathos, aber viele Infos.

Ich bin nur im englischen Text, der neben dem deutschen auf den Tafeln stand, über das Wort „Kristallnacht“ gestolpert. Ich kannte „night of broken glass“, hätte aber auch gedacht, dass diese Begriffe inzwischen unüblich geworden sind, so wie wir heute ja auch „Novemberpogrome“ sagen, um das Verniedlichende aus dem Begriff bzw. dem Ereignis zu bekommen. Lustigerweise las ich einen Tag später im New Yorker in einem Artikel, in dem das Stuttgarter Museum erwähnt wird, genau darüber: „There was a small display with three cut-crystal goblets. “Pogrom of November 9, 1938,” the caption said, using the Russian word in place of the more familiar Kristallnacht.“ Scheint also im Englischen weiter benutzt zu werden, das letzte Wort.

Die Kulturlinie wieder zur Residenz gefahren, in einem Restaurant, was zwischen dort und dem Hotel lag, in dem noch unsere Koffer standen, was gegessen und weitergeschwitzt und gefächelt, aber ich zählte innerlich schon die Minuten, bis ich endlich wieder zuhause war. Das ist einfach nicht mein Wetter, dieses über 30 Grad, und ich wusste, wir sitzen noch zwei Stunden im Zug und ausnahmsweise auch nur in der zweiten Klasse, weil das Kuno teuer genug gewesen war. So litt ich vor mich hin, vergnatzte den armen F. mit meinem offensiven Rumleiden, und wir kamen beide nach einem eigentlich schönen Wochenende schlecht gelaunt in München an.

Montag hatten wir uns aber schon wieder zusammengerauft. Den Vormittag verbrachte ich mit Rumliegen, ich war immer noch fertig, und es war immer noch zu heiß. Nachmittags musste ich aber raus, denn eine Dame von der Süddeutschen wollte mit uns über unseren kleinen Kunstpodcast reden. Dazu gab es KEINE FRANZBRÖTCHEN, DIE WAREN AUS, WAS DENN NOCH, ALLES IST SCHLIMM BEI 30 GRAD, also Johannisbeerkuchen und drei Flat White für mich, weil sie halt so gut waren. Kann Bean Batter weiterempfehlen.

Und dann konnte ich mich Dienstag wieder nicht erholen, denn wir saßen schon wieder im Zug! Dieses Mal nach Bayreuth, wieder über Nürnberg, allmählich hatte ich keine Lust mehr zu winken. Ein von mir geschätzter Videokünstler hatte uns Karten für die Generalprobe des neuen Tannhäuser besorgt, und so konnte ich F. endlich mal das Festspielhaus zeigen, in dem ich immer leide (ZU WARM, IMMER, IMMER, IMMER. Außerdem Folterstühle, aber hauptsächlich zu warm), aber gleichzeitig auch immer vor Glück heule. So auch dieses Mal wieder, Pilgerchor halt, kriegt mich immer.

Offensichtlich Hügelwetter. F. musste einen schönen Wortwitz machen.

Eine andere Musik kriegte mich aber auch. Ich lache seit Dienstag darüber, dass die Melodie der Maus in Bayreuth gespielt wurde.

Über die Probe darf ich euch leider gar nichts sagen, aber vielleicht schaltet ihr heute den Livestream oder Samstagabend einfach 3sat ein, dann können wir endlich darüber reden! Und ich habe so viel zu sagen! Außerdem bin ich sehr auf die Kritiken gespannt, die mir vielleicht ein paar Referenzen erklären, die ich nicht mitgekriegt habe. Aber ich ahne, was der Couch Gag sein wird, ha! (In dem eben verlinkten Artikel fand ich die Frage: „Sind Wagner-Sänger nicht ohnehin abgebrühter, weil sie – im Gegensatz zu den Verdi-Kollegen – durch viele Konzept-Stahlbäder gegangen sind?“ sehr großartig.)

Hinter uns im zahlreich erschienenen Publikum – das Haus war in der oberen Parketthälfte voll, würde ich sagen, die untere war abgesperrt – saß ein Pärchen. Die Dame meinte vor der Ouvertüre: „Aber den Deckel vom Orchestergraben machen sie noch auf, oder? Sonst sehe ich ja die Musiker gar nicht!“ Ich grinste sehr, merkte aber im Laufe des Stücks, als sie immer bei den richtigen Szenen lachten (ja, es durfte bei Wagner gelacht werden, sehr schön), dass der Graben-Satz vermutlich auch ein Insider war. Vielleicht hatten sie ihn mal von einem Hügel-Newbie gehört und trugen ihn nun als Running Gag weiter. Ich werde das übernehmen.

Eigentlich hatten wir den Mittwoch auch noch in Bayreuth verbringen wollen, aber nach dem anstrengenden Würzburg-Wochenende und den nächsten Tagen und Wochen, die für uns beide ähnlich anstrengend werden, buchten wir kurzerhand Montag abend noch um und verließen das schon wieder viel zu heiße Bayreuth gegen 9 Uhr morgens.

Und wenn mein Internet sich nicht um 16 Uhr verabschiedet hätte, hätte ich gestern unverschwitzt auf dem Sofa gesessen. So musste ich aber mal wieder Schränke durchwühlen, um meine Festnetznummer rauszufinden, die ich nie benutze, um bei der Telekom zu eruieren, ob ich die einzige bin, deren Interweb zickt. War ich nicht. Lustiges Tethering, für das der Laden immerhin 10 GB für lau springen ließ. Na gut dann. Halbherzig die zwei Termine für diese Woche vorbereitet, aber da muss ich nochmal ran.

Besorgt meine Balkonblumen beobachtet, wie sie genau wie ihre Mami vor sich hinlitten. My babies! Mit diesem Rumpflanzen hätte ich also auch nicht beginnen dürfen, ich bin zu emotional für durstige Petunien! So, Hitze, du Mistvieh. Jetzt isses persönlich! *emogießen*

Tagebuch Donnerstag, 18. Juli 2019 – Wuseltag

Den ganzen Vormittag mit Kleinkram verbracht: E-Mails, die beantwortet werden mussten, Termine mit Doktorvater koordiniert, der auch gerne mal eine Gliederung gesehen hätte, und da ich meine erste ja komplett in die Tonne gekloppt hatte, musste ich die halt nochmal schreiben. Dabei gemerkt, dass ich doch schon ordentlich was weggeschafft habe. Fühlt sich trotzdem so an, als hätte ich mich dem Kern meiner These noch nicht mal angenähert.

Dann Mittach. Ich entdecke zur Zeit ein älteres Kochbuch wieder, nämlich JETZT! Gemüse (2014) von Sebastian Dickhaut. Gestern gab es daraus Möhren mit Senfbutter und das eingedampfte Rezept habe ich auf Instagram beschrieben. Dass man von den Möhren Streifen schneidet, habe ich vorausgesetzt und daher nicht notiert.

Erst nachmittags kam dann die nächste Runde Diss. Ich twitterte frohgemut, dass ich nun endlich das Kapitel zu den Gemälden der Reichsautobahn beginne. Schon beim Anlegen des Kapiteldokuments merkte ich aber, dass die RAB-Bilder einen sehr großen Teil des Kapitels einnehmen und seine ganzen anderen Ausstellungen vielleicht eher stören. Also teilte ich das Kapitel und beginne nun erstmal mit allen anderen Bildern zwischen 1934 und 1940. Oder 1941, da kam noch ein RAB-Bild, muss ich gucken. Dann überlappen die Kapitel halt. (Meine innere Prusseliese guckt schon hektisch.)

So suchte, verglich und tippte ich so vor mich hin. Zwischendurch kam eine DM von F., die mich sehr stolz auf meinen brav zuhörenden Partner machte. Es ging um eine Ausstellung, in der auch Künstler gezeigt werden, die während der NS-Zeit eher nicht systemkonform produzierten, soweit ich weiß, und die dort mit dem beknackten Begriff der „verschollenen Generation“ betitelt werden. Über diesen Begriff schrieb ich (bei meinem heutigen Doktorvater) eine sehr nölige Hausarbeit und kann die angebliche Stilrichtung des Expressiven Realismus seitdem nicht mehr ernstnehmen. Ihr solltet das auch nicht!


Irgendwann hirntot zwei Serienfolgen geguckt und endlich rausgefunden, wozu e-Reader erdacht wurden.

Ich habe beim Lesen Salbei und Minze gerochen, die in Töpfen auf dem Balkontisch stehen und fand das alles ganz herrlich. Sehr müde ins Bett gefallen.

Tagebuch Mittwoch, 17. Juli 2019 – Tippeditipp

Schreibtischtag, unterbrochen von Besorgungen zur Mittagspause und der üblichen Episode Masterchef Australia. Nur noch drei Folgen!

Ich habe gestern die bisherigen ersten beiden Kapitel nochmal komplett überarbeitet. Das erste Kapitel geht von 1887 bis 1925, also von der Zeit von Protzens Geburt in Pommern, Schul- und Lehrzeit in Leipzsch, seiner Zeit als Modezeichner in Paris und als Zivilgefangener auf Korsika bis zu seinem Abschluss an der Akademie der bildenden Künste hier in München. Ich ahne, dass ich das noch unterteilen werde, aber momentan weiß ich noch nicht genau, wo oder wie. Das zweite Kapitel, das bisher längste, geht von 1926 bis einschließlich 1933; ich mache also keinen Schnitt zwischen der Weimarer Republik und der NS-Zeit, denn das hat die bürgerlich akzeptierte Kunst auch nicht gemacht. Heute beginne ich mit dem mit Abstand wichtigsten Kapitel: 1934 bis 1940, denn in dieser Zeit hat der Mann die Gemälde der Reichsautobahn produziert, die Dreh- und Angelpunkt meiner ganzen Dissertation sind. Und dazu noch ungefähr 200 andere Bilder, die ich vermutlich auch in Teilen erwähnen werde.

Wenn ich mir angucke, wie lange ich an den ersten Kapiteln (plus angerissener Quellenlage und Forschungsstand) gesessen habe, nämlich seit Anfang März, rechne ich optimistisch mit zwei bis drei Monaten Schreibzeit für diesen Textblock. Wenn alle Archive geöffnet sind, ich immer reinkann und mir vielleicht noch nebenbei ein paar Quellen in den Schoß fallen. Vielleicht kann ich den Protzen-Teil dann sogar bis Ende dieses Jahres abschließen und mich 2020 um die Aufarbeitung systemkonformer Kunst im NS in der Bundesrepublik kümmern, was der zweite Teil der Arbeit sein wird. Die interne Deadline September 2020, das Ende meiner Studienzeit, steht noch!

Bei der gestrigen Überarbeitung habe ich zum ersten Mal einen Modus gefunden, wie die Kapitel keine reine Aufzählung von Daten und Bildernamen sein könnten, sondern wie ich ein Narrativ entwickele, das (hoffentlich) durch die gesamte Arbeit trägt. Das fühlte sich exorbitant gut an, und ich habe bis fast 20 Uhr am Rechner gesessen, denn wir wissen ja alle: never leave a hot keyboard. Mit diversen Streichungen, aber gleichzeitig noch vielen Anmerkungen im Text (CHECKEN! KUNSTARCHIV? STADTMUSEUM! LENBACHHAUS!) bin ich jetzt bei 68 Seiten Text aka 122.000 Zeichen aka meiner Master-Arbeit. UND ICH BIN ERST BEI 1933! *wimmer*, aber ein irre motiviertes und deutlich optimistischeres *wimmer* als noch vor wenigen Wochen.

Zum Mittach gab’s wieder Ottolenghi, den herrlichen scharfen Tofu, vermutlich mein Lieblingsrezept von ihm, gestern schwarz wie die Nacht (das ist die Sauce!). Weil gestern die Frage nach dem Berg an Knoblauch kam, der laut Rezept rein soll: Das passt schon, die Sojasauce kleistert eh alles zu. Bei der Butter darf man aber gerne sparen, da nehme ich nie die angegebene Menge.

Das häuft sich neuerdings, dass Leute über mich und Otti twittern. Ich fühle mich geschmeichelt.

Notre-Dame came far closer to collapsing than people knew. This is how it was saved.

Großartiges Stück der New York Times: sinnvoll bebildert, gut grafisch aufgemacht, sehr verständlich. Zwischendurch ne Runde Pathos, aber das ist bei Kathedralen in Ordnung. Ich erinnerte mich beim Lesen an meine Furcht, als ich die Flammen im Nordturm sah. Ich wusste nicht, wie gefährlich sie waren.

„About 7:50, almost an hour into the fight, a deafening blast engulfed her. It was, she said, like “a giant bulldozer dropping dozens of stones into a dumpster.” The 750-ton spire of the cathedral, wrought of heavy oak and lead, had collapsed. The blast was so powerful it slammed all the doors of the cathedral shut. The showering debris broke several stone vaults of the nave. Corporal Chudzinski and other firefighters happened to be behind a wall when a fireball hurtled through the attic. It probably saved them. “I felt useless, ridiculously small,” she said. “I was just powerless.” […]

Before the blast, Corporal Chudzinski and her colleagues had made a critical observation: The flames were endangering the northern tower. The realization would change the course of the fight. Inside that tower, eight giant bells hung precariously on wooden beams that were threatening to burn. If the beams collapsed, firefighters feared, the falling bells could act like wrecking balls and destroy the tower. If the northern tower fell, firefighters believed, it could bring down the south tower, and the cathedral with it.“

Wegbereiter des Judenhasses

Die FAZ sehr informativ und einordnend über den BDS.

„Ausgeblendet bleibt in der Debatte die geopolitische und historische Dimension des Konflikts. Dass es im Nahen Osten, anders als der BDS nahelegt, nicht Gut (Palästina) und Böse (Israel) gibt, ist schon deshalb so, weil in den Konflikt die Interessen einer Reihe von arabischen Staaten hineinspielen, von denen einige Israel (und die Juden) ganz offiziell vernichten wollen.

Angesichts des eliminatorischen Eifers, mit dem der BDS den palästinensischen Befreiungskampf feiert und dafür, wie die BDS-Aktivistin Jasbir Puar, selbst Terror meint rechtfertigen zu müssen, ist an einige historische Tatsachen zu erinnern: etwa, dass der Zionismus keine Entscheidung aus freien Stücken war, sondern die Reaktion auf Pogrome gegen Juden in aller Welt; dass der palästinensische Großmufti Jerusalems mit dem NS-Staat kollaborierte, was der Jerusalem-Ausstellung am Jüdischen Museum keinen Hinweis wert war; dass der auf den UN-Teilungsplan zurückgehenden israelischen Unabhängigkeitserklärung noch am selben Tag die Kriegserklärung von sechs arabischen Staaten folgte; dass die Aggression vor dem Sechs-Tage-Krieg nicht von Israel, sondern von Ägypten ausging; dass die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 in den arabischen Staaten nicht etwa bereitwillig empfangen wurden, sondern teils bis heute in Flüchtlingslagern unter beklagenswerten Umständen leben; dass die Terrororganisation Hamas, mit der die BDS-Bewegung offen sympathisiert, jede ernsthafte Friedensverhandlung als sinnloses Geschwätz abtut. Und warum stört sich der BDS eigentlich nicht an der südlichen Blockade des Gazastreifens durch Ägypten?

Das alles entwaffnet nicht Kritik an der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik und dem nationalistischen Kurs der aktuellen Regierung. Aber von ernstzunehmender Kritik ist zu erwarten, dass sie den Blick nach beiden Seiten richtet.“

Tagebuch Dienstag, 16. Juli 2019 – Die kleinen Kleinigkeiten

Morgens beim ersten Balkongang zum Ausputzen und Gießen und einfach nur Rumstehen und Gucken bemerkte ich, dass mein Koriander blühte. Ich wusste gar nicht, dass der blühen kann, ich Newbie, und guckte mir das genauer an. Dabei sah ich, dass das Basilikum nebenan auch sehr apart aussieht, bevor es nach oben sprießt.

Das Foto ist nicht ganz scharf, weil ich bei allem Angst habe, mein iPhone fallen zu lassen, und aus den oberen Stockwerken habe ich dazu noch weniger Lust als in der Wohnung. Daher: aus dem Handgelenk geknipst und schnell wieder an den sicheren Körper gezogen. Bonus: die blauen Papiermülltonnen im Hof.

Tagsüber am Kapitel 1926 bis 1933 weitergeschraubt. Beim zehnten Jahr, für das ich Protzens Ausstellungsbeteiligungen und Einkünfte notiere, soweit ich sie kenne, fiel mir ein, dass ich mich vielleicht auch mal mit den Bildinhalten auseinandersetzen sollte sowie dem Stil, in dem sie gemalt wurden. Also ging ich nochmal über alles rüber, fischte mir besonders aussagekräfte Werke raus, klickte dazu mehrfach durch meinen liebevoll angelegten Fotoordner – und merkte im Laufe des Tages den Anfang des Flows, den ich bisher für alle Hausarbeiten und die Masterarbeit hatte (Bachelorarbeit war doof). Dieses Wissen, wo man sich bewegt, dieses Gefühl, allmählich den Kram geknackt zu haben, die Beruhigung darüber, auf dem richtigen Weg zu sein. Das war schön.

Und nebenbei ist dieses Kapitel jetzt schon länger als die Bachelorarbeit. Wie sehr ich mich damals mit dem Kram überanstrengt habe! Und jetzt ist die gleiche Textmenge nur ein Durchgangskapitel.

Vorgestern hatte mich mein Doktorvater an eine andere Doktorandin verwiesen, in deren Arbeit auch ein bisschen Protzen vorkommt. Wir tauschten uns gestern per Mail aus (nachdem wir die andere gegoogelt hatten, hust) und treffen uns vermutlich in wenigen Wochen, um uns gegenseitig ein bisschen was zu erzählen, was der anderen gut ins Thema passen würde. Das war auch schön. Oder wie F. meinte: „Endlich hast du jemand, der auch so gerne über den Kram redet wie du.“

Zum Mittag holte ich mir Kräuter vom Balkon. Weil sie da sind.

Ich weiß, das klingt für Leute mit (Schreber-)Garten oder für solche, die schon Bananen und Bambus auf ihren Balkonen züchten, total albern, wenn ich mich über Petersilie freue. Aber ich hatte bis auf wenige Kräutertöpfe auf Fensterbänken, die alle nach vier Wochen vor sich hinsiechten, noch nie frische Kräuter direkt vor meiner Nase. Also immer und sofort, wenn ich möchte. Ich muss dafür nur drei Meter weit gehen und nicht mal bis in den Supermarkt.

Ich habe auch jahrelang nicht verstanden, warum ich mir die Mühe machen sollte, wo ich doch eben nur in den Supermarkt gehen muss. Vielleicht hatte ich in Hamburg auch mehr Glück mit meiner Umgebung – der Edeka hier neben mir, den ich aus Bequemlichkeit dann doch viel zu oft ansteuere, hat eher mieses Gemüse, das sollte man essen, sobald man es aus dem Einkaufsbeutel zieht, denn einen Tag später ist es nur noch Matsch oder Schimmel. Bei Kräutern hat er mal diese, mal jene Sorte, keine Ahnung, wo da das System ist.

Aber gestern wollte ich nur Ottolenghis Kartoffeln und Erbsen mit Pesto und Minze machen und stellte überrascht fest, dass ich dafür alles im Haus oder auf dem Vorbau daran zur Verfügung hatte. Und ich genieße das warum auch immer so sehr, kurz ins Grüne zu gucken, auch wenn das Grün nur einen Balkonkasten groß ist, die Pflanzen anzufassen (ja, ich weiß, wie komisch sich das liest, ja, ich streichele manchmal meine Blumen, SCHON GUT), sie vorsichtig abzuzupfen und dann frisch zu verarbeiten. Im Moment schmeckt jedes Essen besser als vorher. Und, wie schon eine Million Mal erwähnt, es beruhigt mich immer wieder und immer wieder überraschend so sehr, beim Grün- und Buntzeug zu stehen und einfach nur draufzuschauen.

(Mal wieder länger darüber nachgedacht, über was man sich in verschiedenen Lebensabschnitten freut und was wichtig ist. Gedankengang noch nicht abgeschlossen. Erstmal was essen.)

Und selbst der morgendliche Flat White wird so ganz langsam. Ich habe ewig die Milch geschäumt, bis ich das Metallkännchen nicht mehr anfassen kann. Wahrscheinlich habe ich memmige Finger, denn so war die Milch meist einen Hauch zu flüssig. Jetzt nehme ich den prüfenden Finger am Kännchenboden weg und schäume noch zwei, drei Sekunden weiter – und ta-daa, deutlich fluffigerer Schaum. Also manchmal. Reicht.


Vorgestern.


Gestern.

Ich war geistig nach dem Tag sehr matschig, denn das strengt schon an, sich acht Stunden am Stück (mit Mittagspause) auf sinnvolles Zeug zu konzentrieren, und ich vergesse immer, wie sehr das anstrengt. Nur noch entspannt Mondfinsternis bei F. geguckt, Gin Tonic dazu getrunken und nach einer kurzen Radfahrt durch die sommerliche Nacht ins Bett gefallen. Guter Tag, gerne wieder.

Tagebuch Montag, 15. Juli 2019 – #disslife

Acht Stunden am Schreibtisch und gerade mal vier Jahre Ausstellungshistorie fertigbekommen. Dafür nutze ich die Rezensionen über Ausstellungen, die ich mir aus den dicken Zeitungsausschnittssammlungen des Stadtarchivs erwühlt habe, gucke, ob dort Bildtitel oder -beschreibungen vorhanden sind, texte die Sätze hübsch, mache ebenso hübsche Fußnoten und versuche dann herauszufinden, welches Bild die Rezension wohl gemeint haben könnte.

Wenn ich Glück habe, heißt das Bild genauso im Werkverzeichnis. Meistens habe ich kein Glück und darf wild raten, welches Stillleben wohl gemeint sein könnte, welche Stadtansicht, welche Landschaft. Manches kann ich herleiten, manches nicht. Das alles gleiche ich mit den Fotos aus dem Nachlassalbum ab, weil ich dort die Bilder ja sehen kann und nicht nur die Titel vor mir habe. Im Werkverzeichnis stehen gerne noch wilde Kürzel, über die ich nachdenke, und jetzt, wo ich meine Tätigkeit fürs Blog aufschreibe, verstehe ich noch weniger, wieso das alles so irre lange dauert.

Ich habe gestern das Jahr 1932 abgeschlossen. Allmählich nähern wir uns der Zeit, die für mich in der Diss am interessantesten ist. Dort sind die Ausstellungen aber noch üppiger, ich werde noch mehr vergleichen und raten und nachdenken und ich werde nie fertig werden.

Mit Mama telefoniert und über Papa gesprochen.

Sehr über diese Bild-Text-Kombi gelacht. Ganzer Thread.

Archivaufenthalt in Nürnberg gebucht. Ich weiß schon von vier Nachlässen, die ich mir dort neben dem von Protzen ausheben lassen möchte und ich ahne, dass mir bis zum Termin noch ein paar einfallen. Ich werde nichts schaffen und nie fertigwerden.

Was schön war, Samstag/Sonntag, 13./14. Juli 2019 – Wellness

Gemeinsam aufgewacht.

Rosinensemmeln vom Bäcker geholt auf dem Weg von F. zu mir. Daran musste ich mich erst gewöhnen, dass die norddeutschen Rosinenbrötchen etwas anderes sind als die süddeutschen Rosinensemmeln. Die Brötchen sind, soweit ich weiß, ich habe sie noch nie selbst gebacken, Milchbrötchenteig, eventuell Hefe? Die Rosinensemmeln sind schwerer und kommen mir fast wie Quarkteig vor. Ich hatte noch etwas Lemon Curd übrig, und damit waren sowohl Frühstück als auch Mittagessen erledigt.

Nachmittags den totalen Putzflash bekommen. Ja, Wohnungsputz ist nicht unbedingt etwas, was ich dauernd auf die „Was schön war“-Liste setzen würde, aber das Gefühl, damit fertig zu sein und eine saubere Wohnung zu haben, auf jeden Fall. Eigentlich wollte ich nur das Bad machen, der Rest war irgendwie noch erträglich, aber hey, wenn man den Staubsauger schon mal in der Hand hat?

Mir fiel mal wieder auf, dass ich lieber alles am Stück erledige als hier ein bisschen, da ein bisschen rumzupuscheln. Ich hatte mir vor ewigen Zeiten mal einen Putzplan in diesem Interweb runtergeladen, der einem das tägliche Ordnunghalten erleichtern sollte. Anscheinend bin ich schon ordentlich genug, denn ich muss nicht daran erinnert werden, den Herd nach dem Kochen zu putzen oder die Arbeitsfläche von Krümeln zu reinigen. Der Plan schlägt allerdings auch vor, jeden Tag ein Zimmer in Ordnung zu bringen, damit es eben nicht so ein Berg ist, den man erledigen muss. Das hat bei mir nie funktioniert – wenn ich das Schlafzimmer saugen und staubwischen kann, dann mache ich das im Arbeitszimmer auch gleich. Ich will vor allem gar nicht jeden Tag putzen – ich finde, einmal in der Woche am Stück deutlich angenehmer als ständig irgendwas machen zu müssen.

Daran musste ich denken, als ich Samstag einen Artikel aus der New York Times las und vertwitterte: How to Be Happy. Der Artikel ist nicht so esoterisch oder albern wie man glauben mag, da sind ein paar schöne Dinge dabei, und manche praktiziere ich schon länger. Zum Beispiel, zu mir und meinem Körper nett zu sein und ihn nicht dauernd auszuschimpfen. Der Tipp steht, glaube ich, in jedem Nicht-Diät-Ratgeber: Würdest du über den Körper deiner Freundin so herziehen? Nein? Dann lass das auch bei deinem eigenen sein.

Die Idee, die eigene Geschichte aus einer anderen Perspektive aufzuschreiben, um Dinge im Kopf klarzukriegen, fand ich spannend, das probiere ich aus. Und auch die Idee, ab und zu im Grünen spazierenzugehen, gefällt mir immer besser. Auch wenn spazierengehen seit Weihnachten immer schwerer fällt – seit ungefähr sechs, sieben Monaten merke ich, dass ich rechts deutlich mehr humpele als früher. Wenn ich barfuß in meiner Wohnung unterwegs bin, ist das seltsamerweise einfacher als draußen mit Schuhen. Denke jetzt über Barfußschuhe nach. Oder werde einfach nur noch radeln.

Wie ich Samstag twitterte: Wenn mir jemand vor sechs Wochen erzählt hätte, wie oft ich einfach nur stumm auf meine Balkonblumen gucke, sei es aus dem Küchenfenster, vom Schreibtisch aus oder morgens und/oder abends beim Gießen und Ausputzen – ich hätte ihn für bescheuert erklärt. Ich hätte nie gedacht, wie sehr diese kleinen bunten Billogewächse mich glücklich machen und wie sehr ich kurz runterkomme. Außerdem habe ich mich selten so nützlich gefühlt wie in den Momenten, in denen Bienen und Hummeln bei mir zu Gast sind. Das war gut ausgegebenes Geld.

Apropos Geld, noch ein Tipp aus dem Artikel: „Spend money on experiences, not things.“ Ja. Auch das war für mich überraschend, wie viel mir die Urlaube mit F. bedeuten, wie sehr es mir gut tut, aus dem Alltag rauszukommen. Ich empfinde meine Tage meist nicht als anstrengend, aber wenn ich sie bewusst anders verbringe, merke ich schon, dass ich ruhiger werde. F. geht es genauso, was mich sehr freut, und deswegen gönnen wir uns demnächst mal wieder ein kurzes Wochenende außerhalb von München.

Zurück zum Putzen: Ein Tipp aus dem Artikel ist vermutlich nichts für mich, aber ich gebe den mal weiter: „Do any task that can be finished in one minute.“ Also: schreib die eine E-Mail, die du seit Tagen vor dir herschiebst. Räum die Müslischale vom Frühstück in den Geschirrspüler. Leg zwei Shirts zusammen. Warum das nichts für mich ist, habe ich oben anklingen lassen: Wenn ich eh schon am Geschirrspüler stehe, kann ich ihn auch ganz einräumen. Wenn ich zwei Shirts falte, kann ich auch zehn falten. Und so weiter. Aber die Grundidee ist gut: Man kriegt Dinge gebacken und es bleiben immer weniger davon übrig.

Den Rest des Samstags eine gnadenlose Sofakartoffel gewesen, vier FAZ nachgelesen und Lost nebenbei laufen lassen. #rewatch

Ab und zu entspannt auf dem Sofa im Arbeitszimmer gesessen und über den Balkon ins Grüne geguckt bzw. dort dem Regen zugeschaut. Mein Lieblingsgeräusch ist Regen.

Abends die restliche Salsiccia verbraucht und mit einer schönen Tomate, grünen Bohnen und Kartoffeln in der Pfanne angebraten.

Sonntag ohne Wecker aufgewacht. Zwar alleine, aber das ist auch in Ordnung. Ich genieße mein Schlafzimmer auch nach mehreren Monaten sehr im Unterschied zum blöden Schlafsofa vorher. Noch eine Anmerkung aus dem NYT-Artikel: das Bett zu machen, ist morgens ein kleines Erfolgserlebnis und abends kommt man in eine angenehme Atmosphäre und an einen aufgeräumten Ort. Meine Rede.

Ein neues, aber eigentlich altes Baguetterezept ausprobiert. Das sah irgendwie seltsam und nicht besonders appetitlich aus, als es aus dem Ofen kam, aber es musste noch auskühlen, bevor ich es anschneiden und mich vergewissern konnte, dass es vermutlich misslungen war. Traurig geworden, auch aus anderen Gründen.

Aber dann nicht muffig auf dem Sofa versackt, sondern mir vom MVV-Radroutenplaner eine winzige Tour erstellen lassen. Ich wollte es nicht gleich übertreiben und dachte, so zehn, fünfzehn Kilometer sollte ich hinkriegen. Ja, ich weiß, für viele von euch ist das der tägliche Arbeitsweg per Rad. Für mich nicht, sowohl Uni als auch ZI sind nur gut ein kleines Kilometerchen von mir weg. Und F. wohnt noch näher an mir dran. Daher radele ich selten längere Strecken.

Die App verwirrte mich allerdings sehr, die Sprachführung klappte aus unerfindlichen Gründen nicht, die ersten acht Kilometer war ich quasi nur damit beschäftigt, rechts ranzufahren und zu gucken, wo ich lang musste, denn ich wusste es schlicht nicht und hatte darauf gehofft, dass die App mir das sagt. Die sagte mir aber nur, dass ich gerade von der Route abwich, aber nicht, wie ich wieder zurückkäme. Ausgeschaltet, auf Google Maps das Ziel gesucht und dann irgendwie nach Gefühl gefahren. Ab da an war es deutlich entspannter.

Wobei ich zugeben muss: Generell scheint das zu funktionieren. Ich hatte nicht „schnellste Route“, sondern „grüne Route“ eingegeben, weil ich endlich mal ein paar schöne Wege in München kennenlernen wollte. Die führten mich zwar zunächst weiter an fiesen vierspurigen Straßen entlang, aber immerhin waren da die Radwege ausreichend breit und sogar asphaltiert anstatt wie manchmal aus bröckeligen Gehwegplatten, die von Wurzeln untergraben sind, zu bestehen. Irgendwann war ich dann sogar in einer Fahrradstraße, und so fühlt sich Radfahren vermutlich in den Niederlanden an: nur Radler*innen unterwegs, mit Kinderanhänger oder ohne, alle im entspannten Tempo, ab und zu auch Fußgänger, die aber wussten, dass sie aus dem Weg gehen konnten, und kein einziges Auto auf mehreren Kilometern. Herrlich.

Ich war bei bedecktem Wetter losgefahren und hatte mich nicht eingecremt, auch die Sonnenbrille hatte ich zuhause gelassen. Stattdessen lag die Regenjacke im Korb auf dem Gepäckträger, worüber ich mit den unbeschatteten Augen rollte, als die Sonne schön rauskam, aber als es zu nieseln begann, hatte ich überhaupt keine Lust anzuhalten, es war gerade so nett! Ich hatte auch keine Lust zu fotografieren, um ordentlich bei Insta belegen zu können, dass ich vor der Tür war, selbst nicht als ich über eine äußerst malerische Brücke radelte, die über ein arg fotogenes Bächlein führte. Ich wollte bloß fahren. Und das tat ich dann.

Am Ziel wollte ich eigentlich mein Rad kurz anschließen und ein bisschen spazierengehen, aber es regnete weiterhin und ich war gerade so schön im Schwung, dass ich einfach weiterfuhr und mir den Weg wieder nach Hause suchte. Nach anderthalb Stunden war ich wieder daheim, verschwitzt und nassgeregnet und vermutlich mit Sonnenbrand und heute tun mir erwartungsgemäß ein bisschen die Knie weh, aber das war alles egal. Es war herrlich.

Und dann schmeckte das hässliche Baguette sogar!

Als Rausschmeißer etwas, das nicht ganz so schön war, aber das hier ist ja mein Blog und kein Werbetext, da darf die Copy auch ruhig mal überhaupt nicht mehr zur Überschrift passen. Eine Nachricht meiner Zyklus-App: „Cycle Day 87, 53 days late.“ Und das muss ich jetzt wieder auf Null stellen. Mist.

(Die Sätze tippte ich gestern abend und jetzt beim Drüberlesen sieht es eventuell so aus, als wäre ich schwanger gewesen. Äh. NEIN. Es ist die andere Möglichkeit, wenn die Tage länger wegbleiben und ich begrüße sie mit offenen Armen.)

Was schön war, Donnerstag/Freitag, 11./12. Juli 2019 – Mixed Nuts

Am Donnerstag weiter in Dissertations-Ordnern versackt. Eine Mail an das Staatsarchiv Bremen geschrieben. Geguckt, ob in Nürnberg irgendwann mal keine Messe ist und die Stadt freie Hotelzimmer hat, um da eine Woche im Kunstarchiv zubringen zu können – und dann nicht nur den Nachlass von Protzen abzuschließen, sondern in (bisher rausgefundenen) vier weitere reinzugucken, die mir weiterhelfen könnten. Davon sind immerhin drei schon erschlossen, yay, slow clap. Bei den anderen darf ich mich durch meterweise Zeug wühlen, um vielleicht eine Postkarte an Herrn Protzen zu finden. Wir werden sehen. Und auch wenn ich jetzt erstmal mit den Augen rolle wegen nicht erschlossen, so freue ich mich doch total darauf, durch meterweise Zeug zu wühlen. (Plan Y: doch noch was Archivalisches machen.)

Weitere Bilder aus den Glaspalast-Ausstellungen zwischen 1927 und 1931 gefunden, die ich meiner Meinung nach im Lenbachhaus in der Hand hatte. Vorfreude auf die nächste Runde, in der ich noch ein vorerst letztes Mal in der dortigen Kiste stöbern darf. (Plan Yb: doch noch irgendwas in irgendeinem Museum machen. Gerne mit staubigen, uninventarisierten Kisten.)

In der Nacht von Donnerstag auf Freitag dann sehr schlecht geschlafen, um vier Uhr morgens wach geworden mit akuten Zukunftsängsten und Geldsorgen. Mir vorgenommen, die Diss in zwei Montaten durchzukloppen, um mich dann wieder fest anstellen zu lassen. Plan gleich wieder verworfen. Das war nicht so schön, aber immerhin lag ein netter Mensch neben mir. Das hilft ein bisschen.

Freitag in die Uni-Bibliothek und die Stabi geradelt (RADFAHREN!), um Bücher zurückzubringen. Dabei habe ich gemerkt, dass das Baugerüst ums Philosophicum endlich weg ist nach gefühlten hundert Jahren. Und auch das Containerdorf davor ist verschwunden, das heißt, man muss mit dem Rad nicht mehr über eine breite Metallschiene fahren, sondern kann den Radweg wieder benutzen. Ich fuhr ein bisschen langsamer, um das Gebäude zu bewundern – und wurde gnadenlos von hinten angeklingelt, weil ich dabei anscheinend etwas zu weit in die Mitte gefahren bin. Dazu muss man wissen, dass dieser Radweg, direkt vor der Uni und der Stabi, also der Radweg, der vermutlich mit zu den befahrensten der Stadt gehört, nur gerade so breit ist, dass zwei Räder haarscharf aneinander vorbeikommen. Und das auch nicht auf der gesamten Länge. Radlhauptstadt my fucking ass.

Aber hey, besser als die olle Metallschiene, die nur aus Noppen bestand und auf der ich mich immer unsicher gefühlt habe.

Durch die Lektüre von Twitter und Blogkommentaren (man sollte es kaum glauben) auf zwei Apps aufmerksam geworden: den MVV-Radroutenplaner und Flora Incognita zum Pflanzenbestimmen. Beide geladen, in der ersten einen Weg zum Biergarten aufgerufen, in der zweiten die Balkonblümchen bestimmt.

Ich gucke seit längerer Zeit und für mich selbst überraschend gerne Insta-Stories. Einer meiner liebsten Accounts ist der von Herm, dem ihr vermutlich eh alle schon folgt, aber falls nicht: Der Herr erzählt gerne von seinen Katzen, komischen Bands, Fuppes, von Tierwohl, Wanderungen durch thüringische Wäler und neuerdings vom Radfahren. Das sind fast alles nicht so ganz meine Themen, aber komischerweise sehe ich das alles sehr gerne an. Die Story von seiner Radtour ins Allgäu hat er nochmal als Post verarbeitet.

Gestern wieder einen Twitter-Thread losgetreten, der mich daran erinnerte, warum Twitter mal so viel Spaß gemacht hat – wenn Menschen ihre eigenen Geschichten anlegen. Hier geht es um alte Kochbücher; über das, was ich gestern in der Hand hatte, hat Herr Rau sogar mal gebloggt.

Not a Human, but a Dancer – What Snowball the parrot’s spontaneous moves teach us about ourselves

Ich copypaste mal den Einstieg in den Artikel. Wer dann nicht weiterlesen möchte, IST NICHT MEIN FREUND!

„Before he became an internet sensation, before he made scientists reconsider the nature of dancing, before the children’s book and the Taco Bell commercial, Snowball was just a young parrot, looking for a home.

His owner had realized that he couldn’t care for the sulfur-crested cockatoo any longer. So in August 2007, he dropped Snowball off at the Bird Lovers Only rescue center in Dyer, Indiana—along with a Backstreet Boys CD, and a tip that the bird loved to dance. Sure enough, when the center’s director, Irena Schulz, played “Everybody,” Snowball “immediately broke out into his headbanging, bad-boy dance,” she recalls. She took a grainy video, uploaded it to YouTube, and sent a link to some bird-enthusiast friends. Within a month, Snowball became a celebrity. When a Tonight Show producer called to arrange an interview, Schulz thought it was a prank.

Among the video’s 6.2 million viewers was Aniruddh Patel, and he was was blown away. Patel, a neuroscientist, had recently published a paper asking why dancing—a near-universal trait among human cultures—was seemingly absent in other animals. Some species jump excitedly to music, but not in time. Some can be trained to perform dancelike actions, as in canine freestyle, but don’t do so naturally. Some birds make fancy courtship “dances,” but “they’re not listening to another bird laying down a complex beat,” says Patel, who is now at Tufts University. True dancing is spontaneous rhythmic movement to external music. Our closest companions, dogs and cats, don’t do that. Neither do our closest relatives, monkeys and other primates.

Patel reasoned that dancing requires strong connections between brain regions involved in hearing and movement, and that such mental hardware would only exist in vocal learners—animals that can imitate the sounds they hear. That elite club excludes dogs, cats, and other primates, but includes elephants, dolphins, songbirds, and parrots. “When someone sent me a video of Snowball, I was primed to jump on it,” Patel says.“

Ich meine – diese Moves! Ich bin verliebt.

Stachelbeer-Streuselkuchen mit Haselnüssen

Der F. hatte schlechte Laune. Und da ich Menschen ja nur mit Essen aufheitern kann, kaufte ich Stachelbeeren, denn F. ist Team Stachelbeere. Zuhause googelte ich nach lustigen Kuchenrezepten und fand das hier. Ich war überrascht, wie gut sich die Haselnüsse im Teig machen – und wie angenehm schnell der Kuchen fertig war, weil man keinen Grundteig plus Streusel macht, sondern einfach nur Streusel. Empfehlung. Leider ohne anständiges Foto.

Für eine 26er Springform.

400 g Stachelbeeren von ihren Bärtchen befreien, waschen, gut abtropfen lassen.

75 g Haselnüsse nach Gusto hacken, bei mir war das eine Mischung aus grob und Staub.

In einer großen Schüssel
300 g Mehl, bei mir ganz simpel Type 405, mit
180 g kalter Butter, in kleinen Stückchen,
180 g braunem Zucker,
1/2 TL Zimt (habe ich nicht geschmeckt, muss vermutlich nicht rein – oder deutlich mehr) sowie
1 Prise Salz zu Streuseln vermischen – zuerst mit den Knethaken des Mixers, dann mit den Händen, geht schneller.

Stachelbeeren und Haselnüsse unter die Streusel heben, alles in die gefettete Springform kippen und im auf 200° Ober- und Unterhitze vorgeheizten Ofen für circa 40 Minuten backen. Wer den Kuchen wie ich durch einen lustigen Kopfrechenfehler für zehn Minuten zu lange drin lässt, bekommt einen äußerst knusprigen Rand und ein paar sehr dunkle, fast schon sirupartige Beeren. Hat aber auch hervorragend geschmeckt.

Und weil ich kein vernünftiges Foto habe, kommt hier gleich noch eins. Das Bild oben ist auf meiner Arbeitsfläche entstanden, da ist aber noch kein schönes Tageslicht. Das untere ist meine Küchenfensterbank, wo die Hälfte des Motivs gerne sehr dunkel und die andere matschig aussieht. Es ist kompliziert.

Tagebuch Mittwoch, 10. Juli 2019 – Weiterhin dissertieren

Ein weiterer Schreibtischtag, in dem ich erneut gefühlt keine zehn Sätze zu Papier brachte. Was Quatsch ist, weiß ich auch, aber ich fragte mich mehrfach, wieso das alles soooo laaange dauert, bis man geistig zu einem Punkt gekommen ist, an dem man das Ergeistigte aufschreiben möchte.

Gestern klickte ich mich mal wieder durch die hunderte von Fotos, die ich vom Nachlass in Nürnberg gemacht hatte. Das meiste hatte ich schon mehrfach gesehen, aber wie das halt so ist, wenn man Dinge immer und immer wieder anschaut und zwischendurch mehr erfährt, entdeckt und lernt, fallen einem dann doch wieder neue Details auf. So klickte ich mich zwischen diversen Ordnern und Dokumenten hin und her, googelte, übersetzte, schrieb, klickte, verglich, schrieb. Auch wenn ich zeichenzahlmäßig gestern vermutlich nicht so viel vorweisen konnte wie vorgestern, fand ich es sehr befriedigend, plötzlich Dinge zu verstehen, die ich beim blinden Rumknipsen im letzten Jahr noch gar nicht verstehen konnte.

Und jetzt gucke ich auf Zeug drauf und denke, ach guck, ein Plakat vom Künstlerbund, der nicht mehr Feldgrauer Künstlerbund hieß, also ist das Dokument von nach 1927, denn da benannte sich die Vereinigung um. Ach guck, die Todesanzeige, die ich fotografiert habe, weil Protzen sie gestaltete – jetzt weiß ich auch, dass der Verstorbene der ehemalige Vorsitzende der Münchner Künstler-Genossenschaft war, in der Protzen Mitglied bzw. Teil des Vorstands war. Auch guck, hier ist eine französischsprachige Liste seiner Ölgemälde, die er in der Zivilinternierung auf Korsika zwischen 1914 und 1918 erstellt hat – anscheinend hat der Mann ständig Listen für seine Werke geführt, aber erhalten scheint nur eine zu sein, das Werkverzeichnis, das 1976 kopiert und irgendwann gescannt wurde und in dem ich dauernd rumklicke. Ach guck, diese grafische Arbeit für die bayerische Milchwirtschaft kann ich jetzt auch datieren, weil ich ergoogeln konnte, von wann der in der Grafik erwähnte Paragraf 38 des Milchgesetzes ist: August 1930. So was halt. Ich mag diese kleinen Erfolge.

Den Feierabend beging ich mit Kochen, was mich neuerdings wieder mehr entspannt als stresst, telefonierte zwischendurch mit dem Mütterchen, vergaß den Topf auf dem Herd, stellte mich auf verbranntes Essen ein, das aber stattdessen perfekt geworden war und speiste schließlich grüne Bohnen in Tomaten-Knoblauch-Sauce mit geröstetem Knoblauchbrot auf dem Balkon. F. kam hinterher, wir redeten, bis es dunkel war. Guter Tag.


Ihr hättet mir sagen müssen, wie toll Balkone sind! Echt jetzt mal!

Tagebuch Dienstag, 9. Juli 2019 – Ein Fleißbienchensticker für die Doktorandin

Morgens Zeug erledigt, was erledigt werden musste: Steuer. Umschlag mit Steuerunterlagen zur Post bringen, weil ich nicht wusste, ob auch die Großbriefe teurer geworden sind und ich eh keine Briefmarken mehr hatte – Info: jetzt 1,55 statt 1,45. Eingekauft. Paket aus Paketshop geholt. Das alles per Fahrrad, denn gestern streikte die MVG recht großflächig, wobei mir das ziemlich egal war, denn meine anzusteuernden Punkte sind zu Fuß oder eben per Rad eh schneller erreichbar als mit Tram und Bus. Bei jeder Fahrt freute ich mich wie bescheuert über mein Rad: die Leichtigkeit, mit der ich es bewegen kann im Gegensatz zu meiner eigenen körperlichen Schwerfälligkeit, der Fahrtwind, der immerhin auf 500 Metern vorhandene deutlich sichtbare Radweg neben den Autos, der mir immer lieber ist als die Buckelpiste zwischen Beifahrertüren und Fußgängern. Vor mir fuhr auf einer dieser Buckelpisten ein E-Scooter, der mich bemerkte und kurz einen Schlenker auf den Fußweg machte, damit ich überholen konnte. Dankeschön! (Ich hasse euch trotzdem alle, seit ich in Wien mal fast von einem in der Fußgängerzone umgefahren wurde.) Gestrampelt, Zeug erledigt, nach Hause gestrampelt, alles toll gefunden. Irgendwann werde ich anfangen zu singen, wenn ich radele.

Dann den kompletten Tag am Schreibtisch gesessen und in die Dissertation vertieft gewesen. Gefühlt habe ich zwei Sätze zu Papier gebracht und den Rest der Zeit in Archivsuchmasken, meinen eigenen Unterlagen, Büchern und Aufsätzen gestöbert, aber vermutlich habe ich doch mehr geschrieben.

Wie ich gestern twitterte: „Mein Doktorvater im Februar so launig: „Lücken schließt man am besten beim Schreiben.“ Ich so im Juli: „IMMER WENN ICH EINE LÜCKE GESCHLOSSEN HABE, FALLEN MIR DABEI FÜNF NEUE AUF!“ Ahne allmählich, warum Dissertationen so lange dauern. *wimmernd ab*“

Unterbrochen wurde die Arbeit nur durch die Mittagspause um 14 Uhr, in der ich die neueste Masterchef-Australia-Folge guckte. Die Staffel ist nächste Woche schon durch, dann muss ich in der Mittagspause die Wand anschauen.

Um 17 Uhr warf ich vier Kartoffeln auf den Backofenrost, holte sie um 18 Uhr mit der inneren Feierabendglocke heraus und ließ sie abkühlen, während ich den Rechner auf zwei externe Festplatten backuppte sowie die Word-Dateien auf einen Stick und in die Cloud zog. (Ab wievielen Sicherungskopien gilt es als übertrieben?)

Dann verarbeitete ich die Kartoffeln zu herrlich fluffigen Gnocchi (mal ohne Ei) und genoss sie auf dem Balkon. Ich – saß – freiwillig – in – der – Sonne. Immerhin strategisch im kleinen Schatten des Pfostens platziert.

Ich habe es noch nicht ganz durchgehört, aber ich verweise natürlich gerne auf die erste Podcastfolge von Talking History von und mit Charlotte Jahnz und Moritz Hoffmann.