Tagebuch Samstag, 30. März 2019 – Kein Wort über Fußball und Nachtmusik

Der Plan war: in die Stabi fahren und mir alte Zeitungen durchlesen, danach Wohnung putzen, dann Mittag kochen, dann Augsburg am Laptop dabei zugucken, wie es Nürnberg schlägt, dann ein bisschen lesen und dann ab zur Nachtmusik der Moderne in der Pinakothek der Moderne.

Was es geworden ist: ewig im Bett rumgelungert, keine Lust auf alte Zeitungen gehabt, den letzten Lemon Curd verfrühstückt und einen ganz hervorragenden Flat White genossen, auf dem Sofa klebengeblieben, keine Lust zum Putzen gehabt, gelesen, [… nullzudreiverficktescheiße …] noch mehr gelesen, zwischendurch die restliche Salsiccia mit Tomaten und ordentlich Zwiebeln, Knoblauch, Öl zu einer herrlichen Pastasauce verarbeitet, gelesen, aber dann: ab zur Nachtmusik der Moderne in der Pinakothek der Moderne.

F. und ich gönnten uns auch das Komponistengespräch vor dem Konzert, was dieses Mal ein Komponistinnengespräch war: Anna Thorvaldsdottir beantwortete die Fragen vom Leiter des Münchner Kammerorchestern auf Englisch, während er wild übersetzte bzw. paraphrasierte, was aber völlig in Ordnung war. Ich fand die Gesprächsführung ähnlich gut, sympathisch und aufschlussreich wie bei der letzten Nachtmusik, wo wir uns Helmut Lachenmann angeschaut und angehört haben. Bei einer Frage musste ich allerdings ein bisschen augenrollen, aber die Antwort Thorvaldsdottirs versöhnte mich sofort. Schuldt fragte die oberdämlichste aller Fragen, die nur Frauen gestellt bekommen: Wie sie das denn zeitlich hinbekäme mit dem Komponieren, man müsse ja zwischendurch auch mal einkaufen und so? Woraufhin sie nur trocken meinte: „Send husband to the supermarket.“ Das Publikum klatschte sehr laut, ich sowieso.

Ich hatte mir bewusst vorher nichts von Thorvaldsdottir angehört, hatte aber im Konzert stets eine Antwort von ihr im Hinterkopf, was hilfreich war. Die Frage nach Island und ob sich ihre Heimat in ihrer Arbeit niederschlägt, kam natürlich auch, aber immerhin da sagte Schuldt selbst, die Frage sei ein bisschen doof. So konnte die Komponistin immerhin gleich ausräumen, dass sie versuche, mit ihrer Musik die isländische Natur nachzubilden – „that is impossible“ –, aber dass sie sich durchaus von Strukturen und Details ihrer Umgebung beeinflussen ließe. Auch spannend: Sie gibt ihren Stücken erst Titel, wenn sie sie gut kennt, erst dann kann sie sie benennen. Der Name ist so gut wie nie der Ausgangspunkt für die Komposition, sondern der Abschluss.

Das Konzert in der Rotunde der Pinakothek der Moderne begann mit dem kurzen Illumine (2016), das mir gut gefiel und gleich sehr klar machte, dass die eben genannten Strukturen ihr Interesse sind, wobei sie sich aber auch der Melodie nicht verschließt, was ja gerade in der Nachkriegszeit fast schon verpönt war. Während das Streichensemble arbeitete, stand oben im ersten Stock der Rotunde schon deutlich sichtbar der Chor des Bayerischen Rundfunks am Geländer. Illumine endete – und ohne große Pause erklang das zweite Stück, eine Art Gebet nach einem alten isländischen Psalm, Heyr þú oss, himnum á (2005). Und da war bei mir alles vorbei. Wo ich eben noch gespannt und aufmerksam gehört und geschaut hatte, liefen jetzt nur doof-ergeben die Tränen. Ich saß in einem Museum, einem Ort, der mir in den letzten Jahren so viel gegeben hat, und über mir, von hoch oben, fielen herrliche Stimmen auf mich herab. Ich fühlte mich gesegnet, und ja, das hört sich pathetisch an, aber hey, ihr wart nicht dabei. Vier Minuten durchgeheult und die ganze Welt für großartig, inspirierend und heilend befunden.

In Reflections (2016) knarrten, atmeten und suchten dann wieder die Streicher*innen, wonach für Ad Genua (2016) der Chor wieder erschien, dieses Mal nicht in himmlischen Höhen, sondern gewohnt hinter dem Ensemble stehend. Das mochte ich auch sehr, weil es meine beiden Lieblinge des Abends – Stimmen und Strukturen – so simpel verband bzw. für mich erkennbar und nachvollziehbar machte.

Mit dem Abschlussstück haderte ich etwas, aber vielleicht war ich auch einfach fertig und müde: Streaming Arhythmia (2007) klang für mich wie ein Ensemble-Battle, was reizvoll war, aber ich hatte nach fünf Minuten das Gefühl, die Idee ist durchgespielt. Und das als jemand, die sich vier Stunden Parsifal anhört, ich weiß. Heute morgen, beim zweiten Durchhören, ist es mir schon nicht mehr so fremd.

Ich freue mich gerade wieder sehr darüber, neue Musik kennengelernt zu haben – und ebenso freue ich mich darüber, sie einfach so auf YouTube wiederzufinden, um sie euch vorspielen zu können. Mal sehen, wie lange das noch so bleibt.

Tagebuch Freitag, 29. März 2019 – Burger, Feedback, Heinrich Mann und „Grey’s Anatomy“

Eigentlich wollten wir ausschlafen, aber das klappt ja nie, wenn man sich das vornimmt. Der Herr neben mir war gegen 7 wach, gegen halb 8 wachte ich dann auch auf, wir gammelten noch kurz rum, aber irgendwie wollten wir auch nicht mehr liegenbleiben.

F. ging zu sich und ich bekämpfte den Nachdurst, der sich total überraschend eingestellt hatte. Das waren doch nur zwei Flaschen Bubbly am Vorabend? Aber ich bin ja jetzt alt, ich vertrage nichts mehr. Ehrlich gesagt, vertrage ich seit fünf Jahren nicht mehr so viel, aber ich vergesse das immer und habe deswegen des Öfteren Nachdurst.

Ein starker Flat White, Espressomühlenglück, bestes Geschenk ever!, eine Serienfolge und dann trafen wir uns zum Mittagessen im Burgerladen. Der Nachtisch wurde stilecht beim Ballabeni eingenommen, bei dem ich diese Saison noch nicht war. Mein Besuch aus Hannover war vor mir beim Ballabeni! So geht das nicht. Darauf eine Kugel Salzkaramell, eine Birne-Ananas und einen Probelöffel Mango-Maracuja. Davon demnächst bitte einfach die ganze Wanne zum Mitnehmen.


Wir stöberten in einigen Antiquariaten herum, der Herr kaufte ein Buch (Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften – an dem bin ich bisher zweimal gescheitert, aber ich habe ihn immer noch auf Wiedervorlage –, ich zwei (Joseph Roths Radetzkymarsch und Erzählungen von Arthur Schnitzler, beide für drei Euro), dann blätterte ich durch einen Berg Drucke, fand aber nichts, was bei mir an die Wand gehörte, wir bummelten zu F. und saßen noch ein wenig auf dem etwas zu kühlen Balkon, bis ich nach Hause wollte.

Dort fand ich im Briefkasten einen großen Umschlag aus dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte vor und wunderte mich eine Sekunde, bis mir klar wurde, dass das garantiert mein Exposé war, das der Herr Doktorvater ausgedruckt und handschriftlich korrigiert hatte anstatt Kommentare in ein PDF zu setzen. So war’s dann auch.

Ich bin mit dem Feedback äußerst zufrieden, auch weil es detaillierter ausfiel als ich erwartet hatte. Ich dachte, das Ding ist einfach eine Art schriftliches Arbeitsvorhaben – das würde ich gerne machen und zwar so –, aber wie ich selbst ja schon merkte, wird das vermutlich das Grundgerüst der Einleitung. Daher hat mich der folgende Kommentar auch sehr gefreut: „Sehr schön, da würde man einfach gerne gleich weiterlesen.“

Ein bisschen Kritik kam natürlich auch, der Doktorvater vermisste Forschungsstand und Quellenlage, die ich beide bewusst ausgespart hatte, um das Ding nicht noch länger werden zu lassen. Aber ja, das kommt selbstverständlich noch. Er hätte auch gerne eine Grobgliederung; die reiche ich nach, denn die habe ich inzwischen auch für mich erarbeitet, wobei die Betonung noch auf „grob“ liegt.

Ich mochte auch seine Genauigkeit in der Korrektur. Er ist der einzige meiner Dozierenden, der mir häufiger Ungenauigkeiten angestrichen hat – nichts, was falsch war, aber: Das hätte man präziser formulieren können. Hier zum Beispiel mein Satz mit seinen Korrekturvorschlägen in eckigen Klammern: „In meiner Arbeit werde ich [bestimmte/zentrale/wesentliche] Teile des malerischen Gesamtwerks von Protzen aufarbeiten [fokussieren/analysieren] und dabei zeigen“ usw. Zwei winzige Anmerkungen, die den Satz aber deutlich verbessern. Oder eine Fußnote, in der ich eine Biografie eines Malers erwähne, die von einem Privatmann, Nicht-Wissenschaftler, Nicht-Kunsthistoriker, sondern Hobby-Interessierten erstellt wurde, die sich leider auch so liest – für mich mit zu wenig Abstand zum Subjekt, und die Verwendung des Worts „Führers“ ohne Anführungszeichen halte ich auch für problematisch; es ist aber zu diesem Maler das mit Abstand umfangreichste Werk und beinhaltet bergeweise Quellen. Ich weiß natürlich, dass mein Doktorvater das Werk kennt, also schluderte ich sowas hin: „Vgl. zu Vollbehr die nicht unkritisch zu wertende, aber äußerst ausführliche Biografie von“ usw. Woraufhin er völlig zu recht anmerkte: „Wie verhält sich kritisch zu ausführlich? Nicht kritisch = lang, kritisch = kurz?“ Ich mag solche Aufmerksamkeit. Ich ahne, dass ich mir auch durch meinen Plauderton hier im Blog zu diesen Themen manchmal selber die präzise Sprache abgewöhnt habe. Dann kehrt hier mal wieder ein bisschen mehr wissenschaftliche Qualität ein, meine Damen und Herren!

Ein Nachtrag zu Mittwoch, als ich beim Fußball war. Natürlich darf man auch in diesen winzige Stadion keine Rucksäcke mitnehmen, weswegen ich mein Stadiontäschchen packte. In das passten aber beim besten Willen weder Kendis Rassismus-Buch noch Dostojewskis Idiot mit seinen 900 Seiten, aber ohne Buch kann ich keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen! Also steckte ich ein drittes Buch ein, das hervorragendes Taschenbuch- und damit Winterjackenformat hatte: Heinrich Manns Der Untertan. Das liest sich überraschend gut weg, hätte ich gar nicht gedacht. Das lag bei uns vor ein paar Tagen im Hausflohmarkt, wo anscheinend jemand gerade sein Bücherregal von Klassikern ausmistet: Ich habe zwei Bücher von Thomas Mann ergattert, dann den Heinrich, und Mittwoch lag eine siebenbändige Suhrkamp-Kassette mit dem Gesamtwerk von Max Frisch dort. Ich war gerade auf dem Weg ins Archiv und sagte mir selbst, nee, du nimmst das jetzt nicht mit und du fährst damit auch nicht wieder hoch in die Wohnung, du gehst jetzt ins Archiv, aber wenn das nachher noch da liegt, wenn du wiederkommst, dann nimmst du’s mit.

Ich habe dann jetzt diverse Frisch-Werke doppelt, denn Stiller, Mein Name sei Gantenbein, Homo Faber, Andorra und die Tagebücher hatte ich schon. Aber in die Suhrkamp-Kassette hat vermutlich noch nie jemand reingeguckt, die Bücher sehen aus wie neu. Ich gebe ihnen aus reiner Barmherzigkeit ein neues Zuhause!

Und noch ein Nachtrag zum Fußball und zu den gekauften Büchern, weil er gerade thematisch passt. Am Donnerstag lief in den USA die neueste Folge von Grey’s Anatomy. Von dieser Serie, die inzwischen in der 15. Staffel läuft, habe ich jede Folge gesehen, manche Staffeln mehrmals, weil ich sie wirklich gut finde. In den letzten zwei, drei Jahren kam mir die Serie allerdings etwas nachlässiger vor, die meisten Figuren waren gefühlt ausgereizt, ich vermisste das Neue, das über rein neue Figuren hinausgeht. Gerade in dieser Staffel dachte ich des Öfteren, okay, das wird dann wohl meine letzte sein, die ich schaue, irgendwie ist mir vieles egal geworden, und ich daddele nebenbei auf dem Handy herum, wenn die Serie läuft. Nicht so bei dieser Folge.

Ich will nicht spoilern – das überlasse ich anderen –, aber das große Thema, das sich durch alle drei Handlungsstränge zieht, ist sexuelle Gewalt bzw. consent, also das Einverständis zu sexuellen Handlungen. Eine Szenenfolge befasst sich mit einem Vergewaltigungsopfer, das medizinisch betreut wird, und das schließlich in den OP gefahren werden muss. Die Frau ängstigt sich aber zu sehr vor jedem Mann, der gerade in der Nähe ist, und so kam diese Szene zustande, die aus dem Zusammenhang gerissen vielleicht pathetisch und albern aussieht, eingebunden in die Spielhandlung aber eine einzige Demonstration von weiblicher Stärke und von weiblichem Zusammenhalt war:

Ich empfand diese Ansammlung von Frauen, mit ihren unterschiedlichen Aussehen, mit ihren unterschiedlichen Hautfarben, mit vermutlich unterschiedlichen Ansichten und Biografien, aber vereint im Ziel, sich gegenseitig zu beschützen und zu schätzen und aufeinander aufzupassen, als ein sehr mächtiges Zeichen. Und ich wünschte mir, es gebe dieses Zeichen im realen Leben häufiger.

In meiner Timeline gehen öfter Tweets mit dem Hashtag #frauenlesen rum, in dem Bücher von Autorinnen angepriesen oder besprochen werden. Nicht nur, um auf gute Bücher aufmerksam zu machen, sondern um generell mehr weibliche Autoren schlicht bekannt zu machen, ihre Namen zu nennen. Ich denke jedesmal daran, wenn ich wieder einen männlichen Autor lese, so wie jetzt gerade in gleich dreifacher Ausführung. Und wenn ich selbst in Antiquariaten nur männliche Autoren kaufe, weil ich weiß, dass ihre Werke für die Literaturgeschichte – und für mein Verständnis dieser Zeit – wichtig sind. Genauso weiß ich aber auch, dass sie nur wichtig werden konnten, weil Autorinnen schlicht die Schöpfungskraft abgesprochen wurde und sie nicht die Möglichkeiten hatten, publiziert zu werden wie die Kerle.

Und ich denke an das Verhältnis zwischen Männern und Frauen auch beim Fußball. Frauen wird ja gerne unterstellt, wir gingen nur zum Fuppes, um die knackigen Jungs anzuschmachten. Dementsprechend hätten beim Spiel der FC Bayern-Damen gegen Prag die Zuschauerränge mehrheitlich mit Männern besetzt sein müssen, die sich die knackigen Mädels anschauen wollten. Waren sie aber nicht. Ich schätze, es war wenigstens 50:50, glaube aber, dass sogar mehr Frauen im Stadion waren als Männer. Ich werde das morgen überprüfen, wenn die Bayern-Frauen gegen Wolfsburg im DFB-Pokal spielen, 15.15 Uhr, FC-Bayern-Campus, falls noch jemand kommen möchte.

Und nebenbei: Es gab beim Champions-League-Spiel eine Szene, wo sich eine Spielerin zu Unrecht von der Schiedsrichterin verpfiffen fühlte – und anstatt dem weiblich antrainierten Reflex nachzugeben, sich zu entschuldigen und dementsprechend einfach weiterzuspielen, wurde sie laut, machte sich breit und hatte Widerworte.

Ich muss gestehen, ich sehe ein derartiges Verhalten in meiner Umgebung – und auch an mir – viel zu selten: eine Frau, die sich Platz nimmt und ihre Meinung lautstark vertritt. Das war meine persönliche Szene des Spiels und ich kann mich besser an sie erinnern als an die fünf Tore, die ich laut bejubelt habe, während ich bei dieser Szene nur stumm bewundernd da saß.

Tagebuch Donnerstag, 28. März 2019 – Archivarbeit und Parsifal

Bis zum frühen Nachmittag arbeitete ich die Akten auf, die ich Mittwoch nicht mehr geschafft hatte. Ich wunderte mich bei den Zeitungsausschnitten zur Münchner Künstlergenossenschaft, dass sie 1938 spärlicher wurden, 1939 kaum noch vorhanden waren und dann erst 1947 der nächste Artikel zu finden war, bis mir der erzwungene Zusammenschluss der vielen Münchner Künstlergrüppchen einfiel. Das wusste ich eigentlich, dass die alle ab 1939 zur Kameradschaft der Künstler gehörten, aber deren Artikel hatte ich mir nicht ausheben lassen. Damit steht die Aufgabe für die nächste Woche, denn das dauerte doch länger als erwartet, die ganzen Artikel zu lesen.

Für mich neu: Nach 1945 etablierten sich in der Stadt zwei Münchner Künstlergenossenschaften, die eine unter der Führung von Protzen und Eduard Aigner, die andere, und darüber musste ich sehr grinsen, unter Constantin Gerhardinger, den ich im Rahmen unserer Rosenheim-Ausstellung kennengelernt hatte. Studium! Es bringt was und man merkt sich Zeug!

Jedenfalls: Im Nachlass hatte ich zu dieser Neugründung noch nichts gefunden, aber jetzt las ich sehr interessiert darüber, wie die beiden Gruppen um Ausstellungsplatz im Haus der Kunst rangelten. Die Abendzeitung schrieb am 13. September 1951:

„Das Bayerische Kultusministerium hat nunmehr über die Anträge der Gruppen Gerhardinger und Aigner-Protzen der ehemaligen Münchner Künstlergenossenschaft entschieden. Darnach soll es der Gruppe Gerhardinger unbenommen bleiben, in den Räumen des Hauses der Kunst auszustellen. Der sich hiergegen wendende Antrag der Gruppe Aigner-Protzen wurde zurückgewiesen.

Die Ausstellungsleitung des Hauses der Kunst, welche sich aus den drei Künstlervereinigungen Neue Gruppe, Münchner Sezession und Münchner Künstlergenossenschaft zusammensetzt, hatte im Juli dieses Jahres in einer Resolution an das Bayerische Kultusministerium gefordert, der Gruppe Gerhardinger jegliche Teilnahme an den Ausstellungen im Haus der Kunst während der ‚Großen Deutschen Kunstausstellung‘ oder zu einer anderen Zeit zu versagen. Die Ausstellungsleitung ist der Ansicht, dass die Leistungen der Gruppe Gerhardinger den Anforderungen, die im Haus der Kunst gestellt werden müssen, nicht entsprechen.“

Über den letzten Satz musste ich dann doch sehr augenrollen. Diese Hybris von Leuten, die eh alle das gleiche im gleichen Stil malen, ist schon faszinierend.

Um halb zwei zwang ich mich dann, nach Hause zu fahren, denn ich musste dringend noch ein bisschen was essen, um für den langen Nachmittag gewappnet zu sein. F. hatte mir zum Geburtstag eine Karte für den Parsifal geschenkt, der um 16 Uhr begann, und natürlich will man nicht erst fünf Minuten vor Beginn da sein. Ich musste auch noch mein Outfit aufbügeln und Zeug aus dem Rucksack ins Handtäschchen umsiedeln, das gestern mein Stadiontäschchen war (schlichte schwarze Ledertasche). Zunächst fand ich es komisch, mit dem Stadiontäschchen in die Oper zu gehen, aber beim nächsten Mal in Augsburg werde ich ganz posh mit meinem Operntäschchen zum Fuppes gehen.

Wir saßen in der dritten Reihe im Parkett – so weit vorne hatte ich bisher nur in Bayreuth gesessen, und ich hatte ein bisschen Angst davor, dass wir nur die Hörner hörten, die über den Orchestergraben hinausragten und ich die ganzen Zeit den Sänger*innen beim Spucken zusehen müsste. Dem war aber nicht so, keine Spucke, alle Geigen vernommen. Gerne wieder! (Wenn’s nicht so ARSCHTEUER WÄRE!)

Im Vorfeld war ich mir nicht sicher, ob ich den Parsifal überhaupt sehen wollte; die Story ist nicht ganz mein Liebling, und ich vergesse sie auch immer wieder. Und ich wusste, dass Georg Baselitz für das Bühnenbild zuständig gewesen ist, und mit dem stehe ich auch etwas auf Kriegsfuß. In den 60ern und 70ern hatte er meiner halbwegs informierten Meinung nach eine wichtige Rolle, dann habe ich mich nicht weiter mit ihm beschäftigt, und vor einigen Jahren hat er sich zum Deppensatz hinreißen lassen, dass Frauen halt nicht so gut malen könnten, weswegen ich ihn seitdem weiträumig ignoriere und seinen Raum in der Pinakothek der Moderne auch immer schnellen Schrittes durchschreite, um zum Protzen zu kommen.

Aber wenn ich schon eingeladen werde, sage ich natürlich nicht Nein. Im Kopf war ich noch ganz woanders, der Bus hatte Verspätung, ich war hektischer als ich sein wollte, als ich endlich ankam und musste erstmal bewusst tief ein- und ausatmen, weil ich halt nicht hektisch in ein Wagner-Vorspiel gehen will. Das klappt ganz gut, die Plätze waren fantastisch – und plötzlich wurde es dunkel und die Musik begann. Den doofen Auftritt des Dirigenten, den man beklatscht, ließ die Inszenierung einfach ausfallen. Schon mal ein guter Anfang! Zum Vorspiel sah man bereits einen gestalteten Vorhang, auf dem vier Figuren lagen – und auch da hatte der olle Baselitz bei mir gewonnen. Die Vorhänge änderten sich vor jedem Akt, aber sie zeigten immer zerbrochene, zerschlagene Figuren, in schmerzhaften Verrenkungen oder schon vernichtet vom simplen Dasein. Nach 60 Sekunden hatte mich Herr Petrenko am Pult dann auch, aber das hat er ja immer, ich vergoss ein paar Tränen, wie auch eigentlich fast immer in der Oper.

In der ersten Pause war ich noch etwas von der Inszenierung verwirrt, die für mich eher eine Bebilderung war als wirklich eine szenische Wiedergabe von Libretto und Musik: ein einziges Bühnenbild, das aus Stämmen bestand, die aneinander lehnten, sowie kahle Bäume, die zum Schluss des Akts langsam in sich zusammensackten. Die große Gralsszene zum Aktende war so undramatisch wie ich sie noch nie gesehen hatte, überhaupt agierten alle Darsteller*innen sehr zurückhaltend und sparten sich jede überflüssige Geste. Die aktionsreichen Szenen im Trailer (siehe oben verlinkte Website) waren so ziemlich die einzigen in den gut vier Stunden, ansonsten sahen wir eine fast konzertante Aufführung (böse ausgedrückt: Rumstehtheater). Wie gesagt, nach dem ersten Akt haderte ich noch etwas, aber ab dem zweiten fand ich es großartig, eben weil es so undramatisch war. Gerade mit dem pompösen Gral kann man alles abfackeln, was die Bühnentechnik hergibt und das macht die Regie auch sehr gerne, weswegen ich den Parsifal gerne mal peinlich finde. Oder man legt über alles eine Metaebene, was bei Wagner ja immer geht. Das kann so grandios werden wie bei Herheim, bis heute meine Blaupause für Parsifal-Inszenierungen, oder aber total albern. Hier gab es gar keine Gelegenheit, albern zu werden, so sparsam waren Kostüme, Gesten und Bühnenbild. Die Kritiken waren nicht so begeistert, ich dafür umso mehr. Wenn auch Burkhard Fitz der blasseste Parsifal-Darsteller war, den ich je gesehen habe. Dafür sang René Pape als Gurnemanz alles an die Wand, was mich sehr versöhnte. Und auch Wagner-Newbie F., der bisher nur, nur, haha, den Ring gesehen hatte, fand es ausgezeichnet.

Zuhause wartete dann der zweite Teil des Geburtstagsgeschenks, ein Fläschchen Rosé-Champagner, mit dem man mich immer glücklich macht. Wir hatten viel zu besprechen, machten nach der teuren Flasche gnadenlos noch einen Aldi-Crémant auf, weil’s grad so nett war und waren viel zu spät im Bett. Hervorragender Tag.

Tagebuch Mittwoch, 27. März 2019 – Archivarbeit und Champions League

Hurra, Archivtag, wo-hoo! Auf mich warteten zwar nur vier von fünf angefragten Archivalien, aber mit denen hatte ich auch genug zu tun. Da das Stadtarchiv am Mittwoch nur von 9 bis 12 geöffnet hat, habe ich auch nicht alles geschafft und muss, oh Mist, ey, echt jetzt, heute nochmal hin. Schlimm!

Ich hatte mir die Presseartikelsammlungen zu Protzen und seiner Frau herauslegen lassen, in denen ich aber nur einen langen Artikel von 1932 fand, den ich schon aus dem Nachlass kannte. Schlauerweise hatte ich mir dazu auch noch bergeweise Zeitungsartikel von der Münchner Künstlergenossenschaft zurücklegen lassen, in der Protzen Mitglied war. Er war noch in gefühlt zwei Dutzend anderen Künstlervereinigungen Mitglied, danach muss ich noch suchen, aber die MKG war die erste Anlaufstelle. Dort wollte ich nachschauen, ob er irgendwann in einem Ausstellungsbericht erwähnt wurde oder in einer Funktion, denn er war, laut seines Spruchkammerbogens, als Schriftwart im Vorstand. Das fand ich auch mehrfach bestätigt. Außerdem fand ich diverse Ausstellungsbesprechungen, bei denen es mich interessierte, ob er überhaupt erwähnt wurde (heißt: war er wichtig genug? War er gut genug?) und wenn ja, ob vielleicht auch ein bestimmtes Werk erwähnt wurde; das hilft mir dabei festzulegen, welche Bilder er selber für ausstellungswürdig befunden hatte.

Da ich nur so wenig Zeit hatte, las ich zwar gründlich, tippte aber relativ besinnungslos ab (fotografieren darf man natürlich nicht), sobald ich seinen Namen fand – oder eben genau nicht. Wenn er in einem ausführlichen Artikel nicht erwähnt wird, aber 25 andere Künstler*innen, ist das für mich genauso interessant. Ich muss mir meine Aufzeichnungen nochmal in Ruhe durchlesen, ich habe, wie gesagt, eher runtergeschrieben als schon Kontext hergestellt. Einen Artikel fand ich aber doch sehr bemerkenswert, ausgerechnet aus dem Völkischen Beobachter. Da schreibt am 11. März 1939 Wilhelm Rüdiger in einem längeren Artikel über eine „Rückschau der Münchener Künstlergenossenschaft“, also über eine Ausstellung, die ältere Werke präsentiert statt aktuelle:

„Man kommt auf ketzerische, gefährliche Gedanken vor den Bildern und überlegt: Wie werden wir in 50 oder 70 Jahren wirken mit unserer heutigen Malerei? Und man wünscht in freudigstem Optimismus: genau so gut, so geschlossen, genau so reich und vielgestaltig und genau so absolut künstlerisch wie diese oft als bürgerlich und bequem verlästerte Zeit.“

Und ich dachte ebenso ketzerisch: Junge, du wusstest ganz genau, dass ihr eher schnarchigen Schrott an der Wand habt, der genauso bürgerlich und bequem ist, wie du befürchtest, und über den wir heute noch mehr lästern als du dir das jemals hättest vorstellen können, sonst würdest du hier nicht so eine Welle machen.

Nachmittags Zeitung gelesen und Orgakram erledigt. Ich hatte erst vor Kurzem mitgekriegt, dass unser labberiger Studiausweis endlich gegen eine Plastikkarte eingetauscht wird, die dann auch den Bibliotheksausweis ersetzt. Man solle doch bitte auf die Mail vom Studierendenwerk warten, um den Ausweis zu beantragen und ihn dann innerhalb von fünf Tagen abholen, denn so wird verhindert, dass alle 50.000 LMU-Schnuckis auf einmal zum IT-Helpdesk rennen. Diese Mail kam gestern bei mir an, ich beantragte brav meinen Ausweis und werde ihn morgen abholen.

Und dann spülte mir der Herr Loko einen Hinweis in die Twitter-Timeline, dass abends die Frauen des FC Bayern ihr Viertelfinalrückspiel in der Champions League gegen SK Slavia Prag hätten. Das fand am Bayern-Campus statt, an dem ich noch nie war, aber ein Blick in die MVV-App zeigte mir, dass ich da mit einmal Umsteigen hervorragend hinkäme.

Das Hinspiel war mit 1:1 anscheinend recht eng gewesen, daher hoffte ich auf ein spannendes und kampfbetontes Rückspiel. Das war’s nicht so ganz: Bis auf zehn Minuten kurz vor Schluss hatte Prag überhaupt nichts zu melden, die Bayerinnen gewannen mit 5:1, aber ich hatte trotzdem einen äußerst netten Abend. Wenn ich auch ab Minute 70 dachte, die Winterstiefel wären echt die bessere Idee zu den Turnschuhen gewesen, bitte pfeif pünktlich ab, mir ist kalt.

Beim Rausgehen zuhause hätte ich fast aus Gewohnheit zum FCA-Schal gegriffen, aber mir fiel noch rechtzeitig ein, dass ich vielleicht lieber den Bayern-Schal mitnehmen sollte. Der war auch ein prima Erkennungszeichen; beim Umsteigen von U-Bahn auf Bus war ich mir nicht sicher, zu welcher Haltestelle ich sollte, aber an den vielen Schals konnte ich erkennen, wo ich hinmusste.

Im Vorfeld hatte ich überlegt, wo ich sitzen wollte in diesem unbekannten Stadion, aber das hätte ich mir sparen können: Es gab nur die Osttribüne, alles Sitzplätze, acht lächerliche Euro für ein Viertelfinale in der Champions League – ACHT EURO FÜR DIE CHAMPIONS LEAGUE, selten wurde mir der Unterschied in der Wertschätzung von Männer- und Frauenfußball so deutlich vor Augen geführt –, keine Taschenkontrolle, keine Schlangen, keine festen Plätze. Ich setzte mich, ebenfalls aus Gewohnheit, ungefähr da hin, wo ich auch in Augsburg sitze, zwischen Mittelkreis und Strafraum, eher näher zum Strafraum. Gute Wahl, denn die ersten drei Tore fielen genau vor meinen Augen.


(Ich fotografiere sehr ungern während Fußballspielen und vergesse dabei auch immer, dem iPhone zu sagen, es möge bitte auf irgendwas auf dem Rasen scharfstellen und nicht auf die Frisuren meiner Vorderleute. Daher ist dieses Foto nur zu Dokumentationszwecken hier im Blog, nicht weil es gut ist. Im Gegenteil. Mpf.)

Ich überlege seit gestern, wie man den folgenden Satz formulieren kann, dass er nicht komisch klingt, aber mir fällt nichts ein, also dann: Fußballspielende Frauen sehen so großartig aus! Fußballspielende Männer auch, da bin ich ja dann doch durch und durch hetero, aber: Das ließ sich alles hervorragend gucken. Mehr Technik, weniger Gehacke, weitaus weniger Fouls. Ich freute mich über auch weibliche Linienrichterinnen; in der 1. Bundesliga haben wir ja immerhin eine einzige Schiedsrichterin, aber keine Frau an der Linie, warum auch immer.

Ich mochte auch die Unterstützung von den Rängen, die mit gut 1000 Zuschauer*innen besetzt waren. Das hörte sich etwas zaghafter an als bei 30.000 in Augsburg oder 75.000 in der Allianz-Arena, aber dafür haben die Damen anscheinend eine Trommlertruppe, die ich toll fand. Die machte nämlich nicht in einer Tour Krach, wie das die Kurven halt 90 Minuten lang machen und was ich teilweise schon gar nicht mehr höre, sondern sie ging auf die jeweiligen Spielsituationen ein. Alleine dafür möchte ich mir noch ein Spiel der Bayern-Frauen anschauen, auch wenn das jetzt fies klingt.

Mein Herz verloren habe ich an die Nummern 14 und 18, die ich in der ersten Hälfte direkt vor meiner Nase hatte, und ich musste ernsthaft auf der FCB-Website nach ihren Namen gucken, denn ich kannte, bis auf wenige deutsche Nationalspielerinnen, keine einzige Bundesliga-Fußballerin. Jetzt kenne ich zwei: Fridolina Rolfö und Dominika Skorvankova. Rolfö gibt als Hobby unter anderem „Essen“ an, und damit hat sie natürlich endgültig gewonnen. Brauche ein neues Trikot.

Tagebuch Dienstag, 26. März 2019 – Zehn Seiten

Noch ein Schreibtischtag für die Diss. Wenn gerade kein Kunde was von mir will, nutze ich die Zeit natürlich gerne dafür, konzentriert etwas für die schnafte Wissenschaft wegzuarbeiten.

Bei meinen letzten beiden Besuchen im Kunstarchiv in Nürnberg habe ich vom Nachlass soviel wie möglich fotografiert. Irgendwann konnte ich nichts mehr sehen und verhungerte, deswegen habe ich nicht jeden Zettel und jedes Foto abgelichtet, aber für einen guten Überblick reichen die gefühlt 1000 Fotos auf meinem Rechner. Inzwischen kenne ich sowohl Biografie als auch Werk als auch künstlerisches Umfeld von Protzen besser, und deswegen klickte ich mich gestern einfach mal durch ein paar Ordner, in denen zum Beispiel abfotografierte Zeitungsausschnitte lagen, in denen Protzen und/oder seine Frau erwähnt werden, ich schaute mir noch einmal sein grafisches Werk an, und den ganzen Nachmittag brachte ich damit zu, den Spruchkammerbogen auszuwerten, der netterweise auch im Nachlass lag und nicht in einem Archiv in München. Also den Fragebogen, den die Alliierten nach 1945 verteilten und die jeder ausfüllen musste, wonach eine Spruchkammer darüber entschied, ob man Mitläufer, glühender Nazi oder genau das Gegenteil gewesen war. Ich gehe nicht ins Detail, aber die Selbstauskünfte von Protzen konnte ich – mit Vorbehalt – in meinem biografischen Kapitel anlegen, ich konnte Briefe an ihn und von ihm zitieren und damit einen Kontext schaffen, ich konnte Auskünfte aus dem Bundesarchiv damit verknüpfen und und und. Also genau das, was ich so gerne mache, wenn ich mich mit einer Person beschäftige: Puzzlestücke zusammenfügen, um ein besseres, runderes Bild zu bekommen. Falls das überhaupt noch möglich ist. Aber bei Leo von Welden fand ich genau diesen Kontext wichtig, um eine Aussage darüber treffen zu können, ob er die eindeutig ideologischen Bilder auf der Großen Deutschen Kunstausstellung nun aus Überzeugung gemalt hatte oder schlicht, weil er glaubte, dafür mehr Geld zu bekommen als für eine Landschaft.

So tippte ich stundenlang vor mich hin, klickte, blätterte, suchte im Internet, in Archivsuchmasken oder Bibliotheken, aß zwischendurch ein bisschen Brot mit Lemon Curd und abends Pasta mit Salsiccia (denn: Wenn irgendwo Salsiccia rumliegt, muss ich Salsiccia kaufen) und merkte gar nicht, wie die Zeit vergangen war. Und vor allem: wieviel ich in lausigen zwei Tagen zusammengeschrieben hatte. Nur durch die dicke Stoffsammlung, die ich seit über einem Jahr befülle und die mir bis vor wenigen Wochen nicht ausreichend vorkam.

Das schrieb ich sinngemäß an F.: „Ist ein seltsames Arbeiten. Ich schreib auf, was ich an Material da habe und merke dauernd, wieviel das eigentlich schon ist. Zehn Seiten in zwei Tagen, nur vom Schreibtisch aus.“

F. so: „I am Jack’s complete lack of surprise.“

Und im Nachsatz: „This is why you talk to your Betreuer ab und zu, because he knows this kind of Zeug.“

Genau. Vati knows best. Der wusste, dass ich locker mit dem Schreiben anfangen konnte bevor ich es wusste. Endlich mit Profis arbeiten!

Mein Lieblingszeitungsausschnitt war dieses launige Zitat vom September 1949. 49! Wir erinnern uns: Das ist ungefähr der Zeitpunkt, an dem die Debatte begann, dass es jetzt auch mal gut sein müsse mit diesem Nazikram.

„Das Haus der Kunst ist endlich von der Exportschau geräumt und dürfte, wie Ministerialdirektor Keim scherzhaft meinte, durch den ‚Blauen Reiter‘ und die lebende Moderne nunmehr gleichermaßen in Ost- und Westflügel entnazifiziert sein.“

Der Ausschnitt ist leider unbezeichnet, aber vom Schriftbild her tippe ich auf die Süddeutsche. Ich werde mir die mal in den Lesesaal der Stabi legen lassen. Aber erstmal muss ich mich durch ein paar Monate vom Völkischen Beobachter wühlen, der hoffentlich ab Freitag für mich bereitliegt. Das macht auch immer eher schlechte Laune. Ich und mein dusseliges Forschungsfeld, ey.

Über die Abstimmung im Europaparlament zur Änderung des Urheberrechts konnte ich mich nur nebenbei aufregen, weil ich so konzentriert gearbeitet habe. Ich zwinge mich seit Tagen dazu, die Propaganda in der FAZ wenigstens anzulesen, aber ich kriege keinen Artikel zuende, weil ich so wütend bin. Kristina Hofmann vom ZDF kommentiert:

„Denn mehr Schutz für Urheber und Bewahrung der Meinungsfreiheit? Wird es nicht geben, Inhalte werden einfach rausfliegen statt besser vergütet zu werden. Mit dieser Richtlinie hätten stattdessen die Internetkonzerne verpflichtet werden müssen, nennenswerte Abgaben an Verwertungsgesellschaften zu zahlen. Damit hätten die Urheber entschädigt werden können, mit deren Inhalten YouTube schließlich jedes Jahr einen Milliardenbeitrag in zweistelliger Höhe verdient. Bei Verlagen ist das seit Jahren geübte Praxis, beim Radio, beim Fernsehen. Warum soll das im Internet nicht gelten?“

Und Batz erwähnt, wie wenig sich das rückwärts gewandte Denken in manchen Branchen geändert hat, Thread:

Tagebuch Montag, 25. März 2019 – Erstes Kapitel und Butterreis

Schreibtischtag. Ich holte die ganzen Unterlagen hervor, die ich im letzten Sommer im Lenbachhaus-Archiv eingesehen hatte und die ich mir kopieren durfte. Einiges darin konnte ich mit den bereits bearbeiteten Bildern aus dem Nachlass kombinieren. Ich ergänzte meine bisherige Liste von Ausstellungen, in denen Protzen zwischen 1927 und 1956 vertreten war, aus nunmehr vier unterschiedlichen Quellen und konnte nun auch Werknummern ergänzen. So langsam bekomme ich eine Übersicht, was wann wo hing.

Ich stellte allerdings auch zum wiederholten Male fest, dass die Dinge, die ich jetzt erarbeite, teilweise auch schon von den Kurator*innen im Lenbachhaus zur Gedächtnisausstellung 1976 von Protzen und seiner Frau Henny Protzen-Kundmüller erarbeitet worden waren – und ich ahne, dass viele von den Ausstellungsstücken in den Vitrinen wie Zeichnungen oder Unterlagen inzwischen vernichtet worden sind, weil das Ehepaar für zu unwichtig für die Kunstgeschichte gehalten worden war. Inzwischen schauen wir aber anders auf die künstlerische Produktion der NS-Zeit, und jetzt wären sie wieder wichtig.

Danach bestellte ich Archivalien im Münchner Stadtarchiv vor, da möchte ich Mittwoch hin. Soweit ich das online erkennen kann, gibt es zu Protzen äußerst wenig bis kaum was. Mpf. Unterstützt allerdings ein winziges bisschen meine Theorie, dass er nicht die große Nummer war, zu der ihn die bundesdeutschen Ausstellungen zur NS-Kunst gemacht haben.

Dann rätselte ich wieder, wie ich an die Nachkommen der Leihgeber rankommen könnte, die ich aus den Lenbachhaus-Unterlagen wenigstens namentlich kenne, denn die Ausstellung war wie gesagt 1976, die Herren leben aller Wahrscheinlichkeit bzw. ganz sicher nicht mehr. Google hilft nur teilweise, und ich ahne, dass das Einwohnermeldeamt auch komisch guckt, wenn ich nachfrage. Ich frage mal die freundlichen Archivare, wenn ich Mittwoch eh vor Ort bin, was die so für Ideen haben.

Und schließlich legte ich das erste Dokument für ein Kapitel in der Dissertation an. (In Word, nicht in LaTeX, das ist mir noch zu umständlich.) Das Exposé, das ich an den Doktorvater geschickt habe, wird ein Teil der Einleitung werden, das weiß ich jetzt schon. Aber jetzt liegt daneben im Ordner „Text“ auch noch ein weiteres Dokument, in dem ich biografische Notizen und Ausstellungen aufführen werde. Als kleiner Reinkommer in die Arbeit und als Grundlage für die nächsten Kapitel. Ich weiß, es ist albern, aber ich fand das doch aufregender als gedacht, dieses Dokument anzulegen, weil es eben keine Zweitverwertung ist, sondern bewusst der erste richtige Schritt zur schriftlichen Diss. Ich fächele mir bei derartigen Sätzen immer noch imaginär Luft zu. Die mitlesenden Doktores dürfen das gerne niedlich finde. Auch wenn Dr. F. immer mit den Augen rollt – noch habe ich außerordentlichen Respekt vor diesem Titel und dem Weg dorthin.

Beim Schreiben merkte ich den erwarteten Unterschied zu den bisherigen wissenschaftlichen Arbeiten. Bei denen habe ich wochenlang Stoff gesammelt, exzerpiert und notiert, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, so, jetzt kann ich das aus dem Handgelenk runterschreiben. Und so ungefähr habe ich das dann auch immer gemacht. Natürlich fiel mir mittendrin immer auf, oh, hier wäre eine Quelle noch schick, und oh, dieses Werk könnte ich auch noch aufnehmen, und schon war ich wieder zwei Tage auf einem Nebenschauplatz unterwegs, aber der rote Faden war immer fest in meiner Hand, und irgendwann war der Kram dann halt fertig.

Dieser rote Faden existiert für die Diss bisher nur als sehr dünnes imaginäres Fädchen irgendwo in meinem unaufgeräumten Kopf. Ich beginne zum ersten Mal mit dem Aufschreiben, ohne den Weg zum Ziel zu kennen. Das Ziel ist da, aber ich werde jetzt vermutlich ein paar Umwege laufen, öfter in die Irre gehen oder irgendwo lange Pause machen, bevor ich weitergehe, weil ich schlicht vieles noch nicht weiß. Das ist sehr ungewohnt, und ich tippe gefühlt langsamer als sonst, weil ich die Sätze noch nicht im Kopf habe, die aus den Fingern kommen sollen.

Mittags in die Stadtbibliothek gefahren, um Bücher zurückzugeben. Keine neuen ausgeliehen, es liegen gerade noch genug zuhause herum. Mal nicht den Kendi als Öffi-Buch dabeigehabt, der ist arg unhandlich, stattdessen 900 Seiten Dostojewski, viel handlicher, ähem. Ich bin jetzt auf Seite 60 von „Der Idiot“ und muss mir dringend ein Personendiagramm malen, ich weiß schon wieder nicht, wo wer hingehört. Das hat bei „Krieg und Frieden“ sehr geholfen.

Auf dem Rückweg eingekauft und ein schönes Mittagessen gezaubert, das erstmal sehr schmucklos aussieht.

Seit F. und ich auf der documenta in Kassel waren, schwärmen wir von … einem syrischen Imbiss, bei dem wir unglaublich leckeren Reis gegessen haben. (Kein libanesischer, wie ich gestern auf Instagram schrieb.) Ja, die Kunst war auch nett und dieses Restaurant, das seitdem einen Michelin-Stern gekriegt hat, alles toll, aber meine Güte, dieser Reis! Ich habe ewig nach einem guten Rezept gesucht und ich glaube, ich bin endlich fündig geworden.

Der grüne Klecks dazu gehört dann in die afghanische Küche. Unser liebstes afghanisches Restaurant hat schon vor längerer Zeit geschlossen, was wir sehr bedauern. Das Essen war immer solide und gut, und wir bestellten zu allem diese scharf-frische grüne Sauce. Hier googelte ich nach „afghan green sauce“ oder „afghanisches Chutney“, woraufhin man bergeweise Kram findet, der nie ganz gleich ist, mal mit Essig, mal mit Limette, mal mit Mandeln, mal mit Nüssen, einmal sogar mit Tomaten. Ich bin noch nicht ganz da, wo wir im Restaurant waren – ich glaube, da muss noch Minze rein! –, aber ich bin nah dran.

Ich habe gestern die Hälfte des untenstehenden Reisrezepts alleine verspeist; die Mengenangabe „Für vier Personen“ im Originalrezept gilt vermutlich eher, wenn man noch Fleisch dazu isst. Beim Chatni habe ich frei Schnauze zubereitet bzw. mich an der Menge Koriander orientiert, die ich hatte. Die untenstehende Menge reicht genau für den halben Reisberg, wie praktisch. So gute drei üppig gehäufte Esslöffel kamen bei mir raus.

Für den Butterreis

230 g Basmatireis waschen, bis das Wasser halbwegs klar ist.
In einem Topf
2 EL Butter bei mittlerer Hitze schmelzen. Hitze hochdrehen und
35 g Fadennudeln goldbraun anrösten. Die Butter wird dabei braun, das duftet schon herrlich. Den Reis dazugeben, kurz mitrösten und mit
400 ml Gemüsebrühe ablöschen. Alles eine Minute kochen lassen, dann den Herd auf kleinste Stufe stellen, einen Deckel auf den Topf setzen und den Reis vor sich hinquellen lassen. Zwischendurch mal umrühren. Nach zehn bis 15 Minuten ist er fertig; ich musste noch etwas nachsalzen.

PS: Fadennudeln – die kleinen Nudeln, die wir sonst in Eintöpfe werfen, ähnlich wie Vermicelli. Geht nur um das Knuspern, vermutlich kann man auch Buchstabennudeln rösten. (Au ja!)

Für das Chatni Gashneez

25 g frischen Koriander mit Stielen und allem grob hacken und in einen Mixer geben. Dazu noch
2 geschälte Knoblauchzehen,
1 grüne Chili, in Ringe geschnitten, bei mir mit Kernen,
15 g Walnüsse (das sind so fünf Stück) und
1 großzügigen EL Weißweinessig. (Wer mag: Zitronensaft. Oder beides.)

Alles pürieren. Bei mir war es noch nicht so flüssig, wie ich es gerne gehabt hätte, daher gab’s bei mir noch einen EL Olivenöl dazu. Auch mit dem Mixer war ich nicht glücklich, aber das liegt an meinem Mixer, der kann irgendwie nur grob, weswegen ich alles nochmal im Mörser zu Paste verarbeitet habe. Mir fehlt noch etwas die Frische, daher meine Vermutung oben, dass noch Minze mit drin ist, aber Schärfe und Mundgefühl gefallen mir schon sehr gut. Und mit dem Reis zusammen ist es wirklich großartig.

Tagebuch Sonntag, 24. März 2019 – Sofasonntag

Die Scharte der misslungenen Laugenbrezn vom Samstag konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Einen halben Hefewürfel hatte ich noch, und aus dem wurde dann mein gelingsicherer Hefezopf, halt im Kleinformat, aber immerhin. Während er buk, rührte ich einen schnellen Lemon Curd an, dann quengelte ich rum, als der Zopf noch zu heiß und der Curd noch zu flüssig waren, aber nach einer unglaublich langen Wartezeit von einer guten halben Stunde hielt ich es nicht mehr aus, schnitt, schmierte, aß und war glücklich. (Und war zu gierig für einen hübschen Hintergrund oder ein ansprechend arrangiertes Bild.)

Ansonsten habe ich nur auf dem Sofa gesessen und weiter in Ibram X. Kendis Stamped from the Beginning: The Definitive History of Racist Ideas in America gelesen. Das liest sich zwar gut weg, aber der Verfasser beschränkt sich bei historischen Ereignissen meist auf wenige Sätze oder erklärt sie gar nicht, damit das Buch nicht dreimal so lang sein muss. Ich wusste zwar so ungefähr Bescheid über den Louisiana Purchase, den Missouri Compromise oder den texanischen Unabhängigkeitskrieg (der auch die Sklavenfrage betraf), las aber doch lieber noch ein paar Dinge nach, um die vielen Quellen und Gedankengänge nachvollziehen zu können, die Kendi in Bezug auf die Geisteshaltung zu Sklaverei, Rassismus und Abolitionismus anbringt. Deswegen schaffte ich nur knapp 100 Seiten, aber die waren dann auch vollgepackt mit allen Scheußlichkeiten, die dieses Thema so mit sich bringt. Ich lese wie immer mit Bleistift und eigentlich möchte ich bei allem, was ich unterstreiche, ein augenrollendes Emoji an den Rand malen.

Wer Sojourner Truth war, wusste ich auch, aber von Ain’t I a Woman? hatte ich noch nichts gehört. Kendi beschreibt ihre spontane Rede auf einem Kongress weißer Frauen zur Erlangung des Wahlrechts in Akron, Ohio, so:

„On May 29, 1851, day two of the meeting, men came in full force to berate the resolutions. The convention turned into a bitter argument over gender. Male ministers preached about superior male intellect, the gender of Jesus, Eve’s sin, the feebleness of women, all to counter the equal rights resolutions. The women were growing weary when Sojourner Truth, who had kept her head bowed almost the whole time, raised her head up. She lifted her body slowly and started walking to the front. “Don’t let her speak!” some women shouted.

Before the audience now, she laid her eyes on the convention organzier. Gage announced her and begged the audience for silence. Quiet came in an instant as all the eyes of White faces became transfixed on the single dark face. Truth straightened her back and raised herself to her full height – all six feet. She towered over nearby man. “Ain’t I a woman? Look at me! Look at my arm!” Truth showed off her bulging muscles.”Ain’t I a woman? I can outwork, outeat, outlast any man! Ain’t I a woman!” Sojourner Truth had shut down and shut up the male hecklers.

As she returned to her seat, Truth could not help but see the “streaming eyes, and hearts beating with gratidude” from the women, the muddled daze from the men. Truth imparted a double blow in “Ain’t I a Woman”: an attack on the sexist ideas of the male disrupters, and an attack on the racist ideas of females trying to banish her. “Ain’t I a Woman” in all of my strength and power and tenderness and intelligence. “Ain’t I a Woman” in all of my dark skin. Never again would anyone enfold more seamlessly the dual challenge of antiracist feminism.”

(Kendi, Stamped, London 2017, S. 192/193.)

Tagebuch Samstag, 23. März 2019 – Habe …

… außer misslungenen Laugenbrezn und einem richtig schön faulen Tag auf dem Sofa nichts zu erzählen.

Tagebuch Freitag, 22. März 2019 – Ausschneiden, drehen, benennen, speichern

Die morgendliche Testreihe mit der neuen Mühle wird immer vielversprechender, ich glaube, ich bin nah dran am perfekten Mahlgrad. Die Milch aus dem neuen Kännchen ist auch eher Flat White als Schaumhaufen. Happy Anke.

Am Schreibtisch an der Diss gearbeitet, weiter gelesen, aber vor allem weiter die fotografische Ausbeute aus dem malerischen Werk Protzens ausgewertet. Was erstmal banal heißt: Alle Fotos, die ich von den Fotoalben gemacht habe, in handliche Portionen zu teilen. Ich habe immer die komplette Albumseite fotografiert, weil ich nicht dauernd die Kamera neu positionieren wollte, und jetzt muss ich eben aus einem Bild vier machen. Ich bin inzwischen kurz davor, einfach nochmal ins Archiv zu fahren, muss ich eh, und dort alle restlichen Bilder simpel mit dem iPhone zu fotografieren. Erspart mir viel Ausschneiden und Drehen.

Bei der Dateibenennung schwanke ich dauernd zwischen dem handschriftlichen Werkverzeichnis des Künstlers und den Namen, die an den Albumfotos stehen, ich nehme an, von seiner Frau angefertigt. Die gleichen sich meist, aber nicht immer. Ich nehme jetzt die Namen im Werkverzeichnis, aber alleine die Bildnamen werden eine reine Fußnotenschlacht, weil ich natürlich auch immer den Titel angeben werde, der im Fotoalbum steht, und in vielen Fällen noch einen dritten, unter dem das Bild in Ausstellungen präsentiert wurde. Wie gesagt, immer recht ähnlich, aber leider auch oft nie gleich.

Außerdem lerne ich bei den gerade zu bearbeitenden Bildern das alte Westpreußen gut kennen, denn da hat der Mann einfach mal rumgemalt. Viele Ortsnamen kann ich nicht entziffern – die Beschriftung ist eine fiese Mischung aus alter und neuer deutscher Schreibschrift –, und daher rate ich meist und frage dann Google, ob es diesen Ort überhaupt gibt. Wenn Google nett ist, fragt es „Meinten Sie …?“, woraufhin ich meist nicken kann. Aber manches kann ich schlicht noch nicht lesen.

Abends kam F. vorbei, bevor er für ein Jungswochenende ins Ausland fährt; wir verspeisten die Reste der Krachernudelsauce vom Schwager, von der er mir netterweise ein Gläschen dagelassen hatte. Dazu einen Rotwein, der mir letzten Samstag geschenkt wurde, ebenfalls gut. Blaufränkisch halt. Geht immer.

Mein Lieblingsartikel von gestern ist ein Longread aus dem Guardian (via Perlentaucher), den ich nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch sehr gerne gelesen habe. Sätze wie „“If you’ve got a lorry with three Matisses stuck in snow in Latvia, that’s stressful,” the registrar said“ hat man ja auch nicht alle Tage. Es geht um die Ausleihpraktiken von großen Museen und kleine Galerien – gibt’s du mir deinen Bruegel, kriegst du in fünf Jahren meinen Tizian –, wie unschätzbare Kunst transportiert wird – bitte als Kurier nicht betrunken in New Yorker Flughafenbars versacken, wie die Kisten ausgestattet sind, in denen eine „Mona Lisa“ liegt, falls das transportierende Schiff zwischen Frankreich und New York sinkt, und warum man sich das alles antut. Große Empfehlung.

How to move a masterpiece: the secret business of shipping priceless artworks

„Even if you are an obsessive gallery-goer, it’s possible you haven’t put much thought into how the works on the wall came to be there. The art world prefers it this way: what happens behind the signs reading “No Entry: Installation in Progress” remains a ferociously guarded secret. The only hint that this Song dynasty bronze has arrived from that private collection in Taiwan, for example, is a discreet credit on the wall. It may be that, absorbed in our face-to-face encounter with the artwork – what Walter Benjamin described as its “aura” – many of us prefer not to gaze too deeply into that mystery.

Yet the mechanisms required to get that bronze from Taipei to St Ives – loan agreements, insurance, packing, couriering, shipping, handling, installation – are delicate, expensive and complex. Behind every exhibition is an intricate logistical web that reaches across the globe. […]

The end result is that more art than ever, worth more money than ever, is travelling more than ever. Fine-art shipping is expensive, specialised and technically challenging work. Old masters are fragile, but some contemporary sculptures are so friable – or so poorly fabricated – that moving them anywhere is a major risk. And there is the added pressure of handling artefacts that are almost immeasurably culturally important.

There is perhaps another paradox here, too: desperate for a glimpse of genuine “aura” in an era of digital reproduction, we crave that once-in-a-lifetime opportunity to see those real Cézannes sharing a real wall, and stand in their presence, as the artist stood. But although the real value of a work of art lies in its being seen, simply putting it on display – let alone making it travel – is guaranteed to put it at risk, and probably shorten its life. “At the end of the day, you have to make your peace with that,” one conservator said. “You have to think what art is for.” […]

Given the value of museum-grade art, security is taken as seriously as you would expect. In most European countries, works travel by road with armed guards either in the truck or following in a chase car. “Italy quite likes a big drama – police convoys, stuff like that,” said Nicola Moorby, a former Tate curator. “In America, there can be a fair bit of machismo: someone perching on top of the palette with a gun. Someone once said to me: ‘If anything happens, just stay in the car.’ I remember thinking: ‘You know, I’m not paid enough for this.’”

In the UK, said Gogolos, the preference was to keep things low-key. “Do you know when the crown jewels leave the Tower of London? Of course you don’t. It’s not as if the truck says: ‘There’s a Monet Inside’.” […]

In June 1970, a three-and-a-half tonne Alexander Calder sculpture was being lowered into place at Princeton Art museum when the base of the crane collapsed; two engineers died. The following year, at Minneapolis’s Walker Art museum, an eight-foot square slab of steel plate, half of Richard Serra’s monumental Sculpture No 3, broke loose from its support and fell on to a rigger, Raymond Johnson, killing him. (The artist was exonerated, and the fabrication company were found negligent.)

Another handler I spoke to recalled unloading a large Anselm Kiefer painting from a truck. “It was absolutely massive, took 10 guys, and there was a really sketchy moment when the wind got up. It nearly went over; even in those massive cases, there’s a lot of flex. They always say, if it starts to move, get out of the way. Art isn’t worth anyone’s life. But those things are so expensive, you know? If it gets dropped you’ll definitely get sacked.”

Ideally, a work will travel with extensive documentation detailing how it should be assembled, stage by stage, like an elaborate version of Ikea flatpack instructions (usually printed documents, although videos are increasingly common). But – and anyone who’s ever assembled an Ikea flatpack can empathise – handlers often have to make it up. If the artist is alive and available to consult, great. Otherwise, they and the curators have to improvise.

Given the pressures, I asked the New York handler what the satisfactions were. “You get to unravel the magic, in a way,” he replied. “You see the backs of paintings, how things are assembled. You have a Cézanne or Picasso in your hands, and you’ll see a little sketch, or how they’ve reused a bit of canvas.” He laughed softly. “It’s intimate, you know?”“

Tagebuch Donnerstag, 21. März 2019 – Autobahnen und Schafe

Wieder Sofakaffee mit Blick ins Grüne. Auch wenn ich manchmal noch mit der hohen Miete für die neue Wohnung hadere, gerade wenn die Auftragsbücher nicht überquellen – alleine für diese täglichen fünf Minuten Ruhe und Ausblick hat sich der Umzug gelohnt.

Vielleicht lande ich doch irgendwann in einem Vorort, wo der Weg nach ganz draußen nicht so weit ist. Kann ich mir noch nicht vorstellen, aber fragt mich zum 25-jährigen Blogjubiläum noch mal.

Den Großteil des Tages verbrachte ich am Schreibtisch und hatte meine Nase in Büchern über die Reichsautobahn bzw. deren künstlerische Verarbeitung. Eine grundlegende Dissertation, die sich seit ihrem Erscheinen 1989 in so ziemlich jedem Aufsatz oder Buch über das Thema wiederfindet, hatte ich im letzten Sommer schon durchgelesen, aber nicht exzerpiert, das war die Zeit, wo ich eigentlich mit Grossberg beschäftigt war. Das holte ich jetzt nach. Gleichzeitig folgte ich vielen Fußnoten, die mich in Bücher führten, die ich seit einiger Zeit mein eigen nenne; viele grundlegende Werke habe ich mir antiquarisch gegönnt, um erstens in ihren rummalen zu können und zweitens, um nicht dauernd dafür in eine Bibliothek zu müssen.

Jetzt wo es wirklich ans Schreiben geht, denke ich wieder über einen festen Platz in der Stabi nach. Ich will noch diverse Zeitungen und Zeitschriften durcharbeiten, und gerade die würde ich gerne in Ruhe lesen und sie vor allem nicht dauernd durch den Lesesaal schleppen müssen. … Habe die letzten zehn Minuten damit zugebracht, dieses Angebot eines festen Platzes mit abschließbarem Schränkchen voller Bücher auf der BSB-Website wiederzufinden, leider erfolglos. Dafür habe ich interessiert festgestellt, dass es ab dem Sommersemester eine LMU-Card gibt, die unseren alten labberigen Studiausweis und den Plastik-Bibliotheksausweis vereint – und ersetzt. Ich bekomme eine neue Bibliotheksnummer! Ich muss mir jetzt kurz vor Schluss noch neue Abholregalnummern merken? ICH BIN ZU UNFLEXIBEL FÜR SOWAS!

Ein bisschen in LaTeX rumgewurschtelt, nur zum Warmwerden.

Nachmittags fuhr ich kurz zu F., der seit einigen Nächten an Schlaflosigkeit leidet. Ich dachte über ein kleines Körbchen mit Einschlafhilfen nach, Milch, Honig, Tee, langweilige Hörbücher mit schlimmen Stimmen, aber dann griff ich zu Papier und Schere, faltete, malte und bastelte lange Ketten mit kleinen Schafen, die ich nummerierte und bei ihm im Bett platzierte.

Heute haben wir getrennt geschlafen und F.s morgendliche DM, die sonst immer um kurz nach 8 Uhr hier aufschlägt, kam erst um viertel vor 9 an. Ich gehe also davon aus, dass meine Schafarmee geholfen hat.

Who Should Own Photos of Slaves? The Descendants, not Harvard, a Lawsuit Says

Die Nachkommin eines Sklaven, dessen Foto seit über 170 Jahren genutzt wird, klagt auf die Herausgabe eben dieses Fotos. Spannende Frage zu den Themen Reparationen und dem Erbe vieler amerikanischer Institutionen. Also „spannend“ nicht im Sinne von „Ich hol mir mal Popcorn“, sondern „Wie wird Unrecht wieder gutgemacht oder es wenigstens versucht“.

„The images of the father and daughter, identified by their first names, Renty and Delia, were commissioned by a professor at Harvard and are now stored in a museum on campus as precious cultural artifacts.

But to the Lanier family, they are records of a personal family history. “These were our bedtime stories,” Shonrael Lanier said.

On Wednesday, Ms. Lanier’s mother, Tamara, 54, filed a lawsuit in Massachusetts saying that she is a direct descendant of Renty and Delia, and that the valuable photographs are rightfully hers. The case renews focus on the role that the country’s oldest universities played in slavery, and comes amid a growing debate over whether the descendants of enslaved people are entitled to reparations — and what those reparations might look like.

“It is unprecedented in terms of legal theory and reclaiming property that was wrongfully taken,” Benjamin Crump, one of Ms. Lanier’s lawyers, said. “Renty’s descendants may be the first descendants of slave ancestors to be able to get their property rights.”“

Tagebuch Mittwoch, 20. März 2019 – Bei der Optikerin

Gestern das Ritual aus dem vergangenen Jahr wiederbelebt, als ich ganz frisch in diese Wohnung eingezogen war und es so schön fand, morgens auf dem Sofa zu sitzen und über das Balkongitter ins Grüne schauen zu können. Den ersten Kaffee (Cappuccino, Flat White, ihr wisst schon) nahm ich immer dort ein, ohne Handy, ohne Laptop, ganz in Ruhe. Als es morgens nicht mehr hell genug dafür war, schlief das Ritual ein und ich trank wieder Kaffee (Cappuccino, Flat White, ihr wisst schon) am Rechner, während ich bloggte, aber jetzt sitze ich wieder auf dem Sofa.

Und weil ich seit Samstag eine tolle Espressomühle habe, ist die Zubereitung schneller. Ich muss nicht mehr Opas Mühle aus dem Schrank holen, sie mit Bohnen befüllen, mahlen, sie säubern und wieder zurückstellen, sondern halte einfach meinen Siebträger unter das tolle Mahlwerk und kann mit der Kaffeezubereitung beginnen. (Cappuccino, Flat White, ihr wisst schon.) Herrlich.

Beim heutigen Google-Doodle kann man sich wie Bach fühlen. Sehr hübsch gemachter Midi-Spaß, der wild hingeklickte Noten zu einer Komposition zusammenfügt.


@introvertdoodles fragt auf Instagram:

„I started an office job last month and it seems so ODD that people want to spend their breaks talking to each other instead of quietly decompressing 😂 Do you sneak away on your lunch break too? #introvert“

So allmählich wird mir klar, warum ich immer gerne alleine an meinem Schreibtisch geblieben bin, die Füße auf dem Tisch, ein Buch vor der Nase und das von zuhause mitgebrachte Essen dabei. Ich bin nicht unkollegial, ich brauche nur mal ein bisschen Ruhe. Ich liebe mein Home Office immer mehr.

In dem arbeitete ich morgens kurz einen Job ab, bevor ich mich zur Optikerin aufmachte. Die neue Brille sitzt jetzt seit zwei Wochen auf meiner Nase, und ich bin mit dem Gestell sehr zufrieden, mit den Gläsern aber leider nicht. Mir ist schon klar, dass sich meine Augen an die neue Stärke gewöhnen müssen, aber zweieinhalb Wochen scheint mir lang genug, um sicher zu sein, dass da irgendwas nicht stimmt. Meine Fernsicht ist bei Sonnenschein fantastisch – ich konnte am Sonntag im Biergarten Schilder lesen, die ich vorher nicht mal als Schilder wahrgenommen hätte, und gestern stelle ich fest, dass ich von der Kreuzung an meiner Haustür die Uhr am U-Bahn-Eingang lesen konnte, wo ich vorher nicht mal eine Uhr gesehen hätte. Bei Sonnenschein ist sowieso alles super. Oder bei Flutlicht im Stadion. Aber sobald das Licht diffus wird, wie zum Beispiel in jeder verdammten U-Bahn-Station oder auch in meiner eigenen Wohnung, wo ich einfach kein flakhelles Licht haben will, wird alles unscharf, selbst Dinge, die nur zwei Meter von mir weg sind. Ich sitze am Schreibtisch und kann die drei Meter von mir entfernt hängende Luise nicht scharf sehen. Am Laptop habe ich immer noch nicht den perfekten Abstand gefunden, wo das Sehen angenehm ist. Was mich am meisten irre macht, neben dem Fakt, dass ich mich zu doof zum Gucken fühle: Ich kann nicht genau beschreiben, wie es sich anfühlt. Es ist ein anderes Unscharf als vorher mit der alten Brille, wo ich einfach wusste, die Gläser sind nicht mehr stark genug, es ist das übliche Unscharf, das man als Kurzsichtige kennt, wenn man keine Brille aufhat. Mit den neuen Gläsern fühlt es sich so an, und ich weiß, dass sich das bescheuert anhört, als ob sie mich aktiv am Scharfsehen hindern. Ich kann die Augen zusammenkneifen, so viel ich will, es wird nicht besser.

Deswegen ging es gestern erneut zur Optikerin, die sich sehr freundlich um mich kümmerte. Wir machten zwei Tests, die ihre Kollegin letztes Mal nicht mit mir gemacht hatte, sie stellte mir Fragen zu Medikamenten oder anderen Lebensumständen, um herauszufinden, warum die letzte Messung anscheinend nicht korrekt gewesen war – oder ob sich etwas geändert hatte, was uns aber beiden in dieser kurzen Zeit unwahrscheinlich vorkam. Vielleicht hatte es auch schlicht an der Uhrzeit gelegen: Das letzte Mal war ich nachmittags zum Sehtest gegangen und hatte garantiert schon stundenlang auf irgendeinen Monitor geschaut, während ich jetzt um 10 Uhr morgens da saß und lustig Zahlenreihen ablas. „Nicht raten, nicht die Augen zusammenkneifen.“ Vielleicht hatte ich das letztes Mal unbewusst gemacht, keine Ahnung.

Ich bekam wieder die Legobrille mit der neuen Sehstärke aufgesetzt und bemerkte sofort eine Veränderung im Ladengeschäft selbst, wo ich vorher auch nicht scharf sehen konnte, weil es eben kein taghelles Licht im Raum war. Deutlich besser! Vielleicht lag es schlicht an dem großen Sprung zwischen der letzten und der jetzigen Brille – für mich war alles schärfer als vorher, aber ich konnte vielleicht noch nicht wirklich sagen oder sehen, wie scharf es sein musste, um mich nicht wahnsinnig zu machen. Die neuen Gläser sind bestellt, und ich hoffe, ich kann nächste Woche wieder entspannt einfach sehen und muss mich nicht darauf konzentrieren, genau das zu tun.

Abends kam F. zum Essen vorbei, ich machte endlich den Zucchinisalat, den ich Samstag nicht mehr geschafft hatte, und dazu Stemmelkort aus Deutschland vegetarisch (aus dem übrigens auch das Welfenspeisen-Rezept ist, das so gut ankam). Die Möhrenpuffer klappten leider wieder nicht – ich hatte sie schon einmal versucht, aber nie heile aus der Pfanne bekommen. Ging gestern auch nicht, womit ich dieses Rezept als das einzige bezeichne, das mich aus diesem Buch nicht so begeistern konnte. Nächstes Mal einfach wieder Kartoffeln dazureiben und die Möhren roh verwenden, fertig.

Die Süddeutsche hat einen neuen Newsletter mit dem hervorragenden Namen Nullachtneu, und alleine dafür habe ich ihn blind abonniert.

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Tagebuch Dienstag, 19. März 2019 – Soooo müde

Der Abend mit Schwester und Schwager war deutlich länger als geplant, ich war erst um 2 im Bett, stellte aber brav den Wecker auf immerhin 8, weil ich ab 9 für Kund*innen erreichbar sein will und das möglichst unverschlafen und schon mit Kaffee im Bauch. Das Aufstehen war dann hektischer als es mir lieb ist, aber hey, pünktlich am Schreibtisch, über einen Job drübergelesen, für gut gefunden, weggeschickt.

Anschließend war ich den halben Tag damit beschäftigt, die wirklich letzten Spuren der rauschenden Ballnacht zu verräumen. Die geschenkten acht Kilo Espresso- und Kaffeebohnen (Schätzwert) waren zuviel für meine kleine Kaffeekiste, weswegen ich sie malerisch in der Nähe drapierte und mir vermutlich noch eine Box kaufen muss, so geht das ja nicht und so schnell trinke ich auch nicht. Die ganzen Fläschchen passten immerhin in die Wein- und Küchenregale, die nach Samstag auch leerer waren als vorher. Die letzten Essensreste wurden jetzt verklappt, die mochte ich auch nicht mehr verspeisen, Verpackungen wurden zerrissen und gleich ins Altpapier gebracht, nochmal durchsaugen, obwohl ich das schon Sonntag erledigt hatte (sorry, Nachbarn), sonst hätte ich zuviele Chipskrümel in der Wohnung verteilt, und dann sah alles aus wie vorher.

Abends hatten F. und ich dann nach Sonntag morgen auch endlich mal wieder ein paar Augenblicke für uns alleine, wir waren aber beide müde und fielen ziemlich schnell ins Bett.

Aus Politik und Zeitgeschichte: Lesen

Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt gerne Hefte für umsonst weg. Ich erinnere mich noch, wie ich damals mit 16 oder so am Hannoverschen Hauptbahnhof stand, weil da eins dieser irre modernen BTX-Terminals stand, mit denen man sich stapelweise Informationen zur politischen Bildung bestellen konnte. Ja, genau die, mit denen man im Geschichts- und Sozialkundeunterricht immer genervt wurde. Ich habe die gerne gelesen.

Das Heft aus der Überschrift befasst sich mit dem Thema Lesen (man hätte es ahnen können) und kann hier als PDF heruntergeladen oder postalisch bestellt worden. Ich hab’s noch nicht durch, gebe diesen Tipp aber mal weiter, wie sich das in diesem irre modernen Interweb gehört.

When bad actors twist history, historians take to Twitter. That’s a good thing.

Der Historiker Waitman Wade Beorn schreibt in der Washington Post, warum es wichtig ist, auf Twitter ahistorischem Quatsch zu widersprechen. Gerade als Experte. Und nein, das ist kein Besserwissen, sondern eben Expertenwissen. Dass man das überhaupt noch erwähnen muss, macht mich schon wieder irre.

„Online media sites like Twitter allow scholars to reach thousands of people they may never have reached in an accessible way. Academic engagement on Twitter has been called “shallow scholarship,” but precisely the opposite is true; the very medium requires concision, structure and clarity. We are forced to address historical abuses directly, simply and publicly — not always our strong suit — but the form does not simplify the content or the message, only its delivery. Our history threads are time-consuming to write and research, but they string together multiple tweets in a narrative form that includes references and is easily digestible.

By dismantling bad history, brick by brick, historians online are modeling for readers the kind of critical interaction with sources we so desperately need. We confront black and white polemic with nuance, complexity and historical context while documenting our interpretations: We provide scholarly and primary sources for interested readers to follow. In a world of both alleged and real fake news, the ascendance of the publicly engaged scholar benefits the public arena. Few Twitter historians seek fame or self-aggrandizement — and we are certainly not “clinging to shreds of authority,” as Sam Fallon wrote in his Chronicle article. Legitimate scholars acting in good faith are authorities and experts. Sharing that knowledge with the world does not make them condescending. Why would historians, so often accused of existing aloof from society, buried in esoterica, be condemned for reaching out to the public while avoiding unintelligible jargon?“

Im WP-Artikel wird ein Artikel der Historikerin Sarah Bond angesprochen, in dem sie darauf hinwies, wie wichtig es sei, klassische Statuen, die wir nur weiß kennen, endlich als bunt neu zu sehen, wie sie ursprünglich waren. In diesem Artikel wird der Godfather of Kunstgeschichte, Johann Joachim Winckelmann, erwähnt, der sich ausgiebig mit antiken griechischen und römischen Statuen befasste und so den Klassizismus begründete. Dummerweise begründeten seine Schriften auch die Idee, dass weiße Schönheit die einzig wahre sei – oder zumindest die, an der sich Nicht-Weiße messen lassen müssen. Gerade gestern stolperte ich in Ibram X. Kendis Buch über Rassismusgeschichte über ein Zitat von ihm, von dem ich schon befürchtet hatte, dass es mir in diesem Werk begegnen würde: „A beautiful body will be all the more beautiful the whiter it is.“ (S. 86.)

Ein anderes Zitat hingegen kannte ich noch nicht und ich wäre froh, wenn es nicht vorhanden gewesen wäre. Kendi beschreibt einige Fälle von gebildeten Schwarzen in den Kolonien bzw. im England des 18. Jahrhunderts. Diese wurden von Abolitionisten als Beleg dafür angeführt, dass Schwarze Weißen geistig eben nicht unterlegen waren, was das Lieblingsargument der Sklavenhalter war: Man müsse sich als guter, christlicher, gebildeter Weißer um die armen Barbaren kümmern; Kendi erwähnt zum Beispiel Phillis Wheatley oder Francis Williams.

Auf Williams bezog sich David Hume in „Of Natural Characters“ (1753) mit der laut Kendi „most infamous footnote in the history of racist ideas“:

„I am apt to suspect the negroes and in general all the other species of men (for there are four or five different kinds) to be naturally inferior to the whites. There never was a civilized nation fo any other complexion than white, nor even any individual eminent either in action or speculation. On the other hand, the most rude and barbarous of the Whites … have still something eminent about them. … Such a uniform and constant difference could not happen, in so many countries and ages, if nature had not made an original distinction between these breeds of men. … In Jamaica, indeed, they talk of one Negro as a man of parts and learning, but it is likely he is admired for slender accomplishments, like a parrot who speaks a few words plainly.“ (Kendi, S. 95/96.)

Laut dem Aufsatz „Hume’s Revised Racism“ von John Immerwahr (1996) hat Hume die Fußnote kurz vor seinem Tod noch geändert. Es fehlt jetzt der Hinweis auf die verschiedenen Menschenarten (eine damals weit verbreitete Theorie, Polygenism), und aus „There never was“ wurde „There scarcely ever was“. Die Passage mit dem plappernden Schwarzen blieb allerdings unverändert. Immerwahr verweist auf James Beattie (1735–1803), der Hume auf die Zivilisationen in Mexiko und Peru aufmerksam machte, die wohl kaum von Weißen gelenkt worden waren. Arron Garrett argumentierte 2000 in „Hume’s Revised Racisms Revisited“ hingegen, dass Hume sich nicht von Beattie hätte beeinflussen lassen. Mir ist nicht ganz klar, was der Punkt des letzten Aufsatzes ist – es ändert nichts am rassistischen Gehalt des Zitats, ganz egal, auf wen die Änderungen zurückgehen.

Ich lege euch einfach mal wieder Kendi ans Herz. Das Buch entpuppt sich bisher als sehr gutes Sprungbrett zum wilden akademischen Rumgoogeln.

Tagebuch Montag, 18. März 2019 – Noch nicht ganz Alltag

Was von den zwei Tagen konzentrierter und wochenlanger nebenbei erledigter Vorbereitung für meine kleine Partay am meisten bei mir hängengeblieben ist: der Respekt vor der körperlichen Küchenarbeit. Mir war schon klar, dass ich nicht mehr in der Lage dazu wäre, auch nur den Kellnerinnen- und Zapferinnenjob wieder zu machen, den ich in meinen Zwanzigern so mochte, aber ich war doch erstaunt davon, wie sehr mich die zwei Tage intensiver körperlicher Arbeit geschlaucht haben, auch wenn ich immer zwischendurch brav ein, zwei Päuschen gemacht habe, damit mein Rücken nicht irgendwann überhaupt keine Lust mehr hat. Am Sonntag auf den Weg in den Biergarten humpelte ich ernsthaft ein wenig, weil meine Füße einfach nicht mehr mitspielen wollten, nachdem sie zwei Tage lang mehr standen als gingen. Was dazu führte, dass ich nach der Heimkehr, als ich endlich wieder alleine in der Wohnung war, mir ein meinem Alter entsprechendes Fußbad nahm und dabei endlich die neue Staffel Queer Eye beginnen konnte. Da fühlten sich die Füße im Schaumwasser dann auch gleich nach Selfcare und Wellness an, ha.

Ich erwähnte es schon im letzten Eintrag: Ich merkte auch, wie wenig meine private Küche für etwas größere Gästemengen geeignet ist. Auch der Aufbau nervte über die 48 Stunden immer mehr. Wo ich mich sonst nölig daran gewöhnt habe, für Salz und Öl nach ganz links zur Küchenzeile zu gehen und für die Messer ganz nach rechts, weil die Zeile halt so bescheuert unterteilt ist, dass nirgends ALLES hinpasst, was man dauernd in den Händen hat, quengelte ich Freitag und Samstag irgendwann sehr laut und wünschte mir ein Skateboard oder eins von den Flughafenrollbändern herbei. Oder einfach eine Küchenzeile, die jemand gestaltet, der ab und zu mal am Herd steht, herrgottnochmal. Ich habe zum wiederholten Male gemerkt, wie wichtig die Arbeit der Spülkräfte in der Küche ist, denn auch das nahm bei mir irrwitzig viel Zeit in Anspruch: einfach wieder saubere Arbeitsgeräte zu haben. Dankbar war ich aber für meine tollen Messer und Schneidebretter, bei denen ich gemerkt habe, dass es sich eben doch lohnt, für solche Dinge etwas mehr Geld auszugeben.

Mein Geschenketisch ist immer noch nicht abgeräumt, weil ich mich immer noch über die vielen netten Karten und Gaben so freue. Und ich habe gestern auch diverse Male einfach dumm vor mich hingegrinst, weil mir der Samstag, trotz aller Arbeit und körperlicher Herausforderungen, so viel Spaß gemacht hat. Das war schön.

Den Vormittag verbrachte ich am Schreibtisch, der inzwischen auch wieder wie ein Schreibtisch aussieht, und arbeitete vor mich hin. Nachmittags gönnte ich mir die letzte Staffelfolge von Kitchen Impossible und freute mich wie immer über Tim Raue, dessen Lachen ich einfach großartig finde und von dem ich nie genug bekomme. Von der Kochherausforderung fand ich den Campus Galli nicht so spannend, aber ich habe interessiert gesehen, dass wir Linsensuppe anscheinend immer noch so kochen wie vor 1200 Jahren: Linsen, Essig, Gemüse. Schmeckt halt. Außerdem habe ich mich sehr gefreut, bei der Zielvorstellung – also die Minuten in der Sendung, wo die Köch*innen den Kontrahent*innen die Länderflaggen hinlegen, die anzeigen, wo sie hinmüssen – das Karolus-Monogramm erkannt zu haben, das stellvertretend für den Campus Galli stand. Hat sich das Geschichtsstudium ja total gelohnt.

Abends waren F. und ich erneut mit Schwager und Schwester verabredet, die erst heute mittag wieder zurück in den Norden fahren. Wir hatten so ein, zwei Helle und eine kleine Mahlzeit im Obacht geplant, aber wie des Öfteren kann man dort ganz hervorragend versacken und gute Gespräche führen. Es endete damit, dass meine Schwester schon mal in meinem Bettchen vorschlief, während wir anderen drei noch einen Absacker in meiner Küche zu uns nahmen, der bei mir aber schon aus Spezi bestand. Um kurz nach 2 musste das Schwesterherz dann doch geweckt werden und trat sehr schlaf- und anderweitig trunken den Weg ins Hotel an. Eine WhatsApp informierte uns darüber, dass die beiden auch gut angekommen waren, aber die sah ich erst heute morgen, denn ich fiel sehr schnell sehr bettschwer um. Aber auch das war schön: mal wieder Zeit mit der Familie zu verbringen. Weiß ich auch erst seit Kurzem zu schätzen, aber jetzt dafür umso mehr.

Tagebuch, Donnerstag bis Sonntag, 14. bis 17. März 2019 – Fifty and fabulous (and some small freakouts)

Donnerstag morgen begann ich mit den Vorbereitungen auf meine Geburtstagsfeier am Samstag. Ich hatte mir erstmals einen Zeitplan gebastelt, um Einkaufen, Kochen und Wohnung besucherfein zu machen koordinieren zu können, ohne wahnsinnig zu werden. Im Nachhinein war das eine meiner besseren Ideen. Die Idee, alleine für 25 Leute zu kochen, würde ich eher unter „Das machen wir vermutlich nie wieder“ ablegen. Aber um das schon mal vorwegzunehmen: Es war eine der besten Partys, auf denen ich je war. Und ich hoffe, dass meine Gäste ähnlich viel Spaß hatten.

Zeitplan für Donnerstag:
– Arbeitszimmer putzen und umräumen
– Silber putzen, Geschirr und Gläser in der Küche bereitstellen
– Wäsche waschen
– Bohnenpüree und Muhammara machen

Morgens musste ich noch einkaufen. Auf dem Rückweg erwischte mich dann eine Kundin am Telefon; wir verabredeten uns für den Freitagvormittag noch mal. Damit war klar: Das Arbeitszimmer konnte noch nicht ganz Party Central werden, weil ich den Schreibtisch noch brauchen würde. Ich konnte ihn aber immerhin schon fast leerräumen, ein paar Stehlampen anders positionieren, damit meine Gäste nicht dauernd in sie reinrennen, und vor allem viele Kabel stolpersicher verstauen. (Ich umkreise sonst Kabel und Lampen. Ja, das muss so.) Ich konnte außerdem schon eine Decke auf den Tisch legen, damit die vermutlich unvermeidbaren Essensflecken nicht auf meiner blütenweißen Tischplatte landeten.

Das Bohnenpüree und der dazugehörige Paprikadip sind aus Ottolenghis „Simple“ und hiermit in die geistige Standardrezeptdatenbank aufgenommen. Geht schnell und einfach und schmeckt. Zum Silberputzen hatte ich natürlich keine Lust und ließ das Alufolie und Salz übernehmen. Gläser und Besteck konnte ich dann doch noch nicht dramatisch drapieren, weil ich die ganzen Flächen noch als Abstellraum brauchte. Aber wir haben ja Zeit, das geht alles bestimmt entspannt noch am Samstag.

(Haha.)

Donnerstag abend war ich verabredet: Der ehemalige Kerl, der inzwischen im Blog Kai heißt, war netterweise in der Stadt, und weil ich ahnte, dass ich am Samstag eh mit jedem Gast nur zwei Minuten würde sprechen können, gingen wir in Ruhe zu zweit ein Schnitzel essen, lungerten dann noch in meiner Küche rum, und ich freute mich, ihn zum Freund zu haben.

Freitag begann dann die ernsthafte Küchenschlacht. Ich hatte viele vegetarische Rezepte rausgesucht, die frisch zubereitet werden sollten, weswegen ich nicht so irre viel früher anfangen konnte als eben einen Tag vor der Party und auch noch am Feiertag selbst genug machen musste.

Zeitplan:
– Hackbällchen machen
– Muffins backen
– Welfenspeise machen
– Bohnentopf machen
– Hühnerbrüste pochieren für indonesischen Salat
– Cashewkerne für Zucchinisalat rösten
– Jogurtsauce für Möhren
– Dressing für Frühlingszwiebelsalat
– Knoblauchbutter machen
– Schlafzimmer, Flur, Bibliothek putzen

Freitagnachmittag:
– Getränke mit F. kaufen
– Bad putzen
– Küche soweit wie möglich putzen

Dass der letzte Punkt totaler Irrsinn ist, wenn man Samstag auch noch kochen will, ist mir netterweise noch eingefallen, aber aus Dokumentationszwecken lasse ich den mal stehen.

Aber dann: Hackbällchen, einmal mit, einmal ohne Petersilie für Menschen, die unfassbarerweise keine Petersilie mögen *hust* F. *hust*. Am Samstag konnte ich interessiert dabei zusehen, wie die Schüssel mit den Petersilienbällchen deutlich schneller leer wurde als die andere. Bei den vielen Schüsseln und Platten, anwesenden Vegetarier*innen und eventuell Menschen mit Unverträglichkeiten dachte ich schlau: Ich schreib einfach kleine Schilder, auf denen Zutaten bzw. Allergene draufstehen. Zwischen den zwei Hackbällchenschüsseln stand nur ein Schild: „< -- mit Petersilie ohne -->“. Funktionierte.

Dann buk ich Muffins, die ich Samstag noch glasieren wollte. An denen stand das Schild: „Zitronenmuffins, aus Zeitgründen unglasiert.“ Ihr seht schon, wo dieser Blogeintrag hingeht.

Dann warf ich die Zutaten für das fleischlose Chili zusammen, pochierte nebenbei Hühnerbrüste und schnitt soweit wie möglich schon Zutaten für den dazugehörigen Salat, mischte Dressings und Saucen, ignorierte die Idee mit der Knoblauchbutter und fand auch, dass Cashewkerne nicht geröstet werden müssten, um wohlschmeckend zu sein.

In einer kleinen Rücken- und Füßchenausruhpause auf dem Sofa sah ich, dass Okwui Enwezor verstorben war, was mich doch etwas mehr mitnahm als erwartet. Enwezor war von 2011 bis 2018 Direktor des Hauses der Kunst gewesen, und seine Postwar-Ausstellung hatte in meinem Kopf viel mehr umgeworfen und neu geordnet als ich vor dem Besuch dachte. Und obwohl man wusste, dass er krank war, dachte ich die ganze Zeit, ich könne vielleicht noch eine weitere Ausstellung von ihm sehen, nicht mehr in München, aber dann eben woanders. Leider nicht. Krebs ist also immer noch ein Arschloch.

Hier Enwezors Fotoserie für „Sagen Sie jetzt nichts“, von der gleich das erste Bild mein Liebling ist (und die 7!), hier der Nachruf in der FAZ, hier ein kleiner Ausschnitt aus dem Spiegel-Gespräch aus dem vergangenen August, das hinter einer Paywall ist.

Den restlichen Freitag putzte und wuschelte ich so rum und merkte langsam, aber sehr dringlich, dass ich eventuell zu optimistisch an alles rangegangen war, vor allem, was meine Küchenausstattung anging. Ich hatte mir so launig überlegt, hey, du nimmst einfach deine fünf liebsten Salatrezepte, verdreifachst die Mengen und gut ist. Was ich dabei total vergessen hatte: Wenn man dreimal mehr Zutaten nimmt, braucht man auch dreimal so große Schüsseln, und genau daran scheiterte ich diverse Male. Ich hatte genau zwei richtig große Schüsseln und die brauchte ich beide für die Welfenspeise, den besten aller Nachtische, den ich Niedersächsin den vielen Bayer*innen nahebringen wollte. So wurden aus den drei Kilo Möhren, die ich servieren wollte, nur noch zwei, weil die genau in eine Schüssel passten, in der sie bis Samstag im Kühlschrank ausharren konnten, bevor sie aufs Backblech mussten.

Apropos Kühlschrank. In meiner Wohnung gehört ein kleiner Kühlschrank zur Küchenzeile, der aber seit dem Umzug nur noch ausgeschaltet rumsteht, weil ich mir einen größeren gegönnt habe. Jetzt sollte er kongenial zum Getränkekühlschrank werden, weswegen er seit Donnerstag wieder angeschaltet war. Anstatt Freitag abend die erstandenen Bier- und Speziflaschen in ihn zu räumen, parkte ich dort erstmal geschnittenes Gemüse und Dressings in Marmeladegläsern, weil mein normaler Kühlschrank schon mit ungeschnittenem Gemüse voll war.

Flur und Bibliothek wurden entstaubt und gesaugt, das Schlafzimmer immerhin entstaubt, das Bad blieb ungeputzt.

Letzter Tagesordnungspunkt: Weinschaumcreme für die Welfenspeise machen. Die Vanillecreme hatte ich schon angefertigt, die kühlte seit Stunden vor sich hin. Nun schlug ich die zwölf Eigelbe mit Zucker und Weißwein über dem Wasserbad auf, schlug und schlug, bis alles endlich Schaum war und füllte den dann vorsichtig in die Schüssel mit der Vanillecreme. Aber erst, nachdem ich fünf ordentliche Kellen abgenommen hatte, denn sonst hätte nicht alles reingepasst. Ungeplantes Feierabendfutter! Creme und Schaum kamen in den Kühlschrank und ich hoffte darauf, dass Samstag morgen alles fest und hübsch war.

F. war Freitag schon vor Mitternacht eingeschlafen, weswegen ich die ersten Glückwünsche von ihm erst am Samstag morgen bekam. Direkt nach der Freude darüber, Geburtstagsprinzessin zu sein, bekam ich Atemnot ob der neuen Jahresanzahl.

Zeitplan:
– Bett neu beziehen
– Hefeteig für Zwiebel und Lauchtorte ansetzen
– Käse aus dem Kühlschrank holen
– Bäckereibestellung abholen (ab 9)
– Möhren rösten
– Blumenkohl für Salat rösten und abkühlen lassen /andere Zutaten zusammenfügen, erst kurz vor 19 Uhr zusammenwerfen
– Gemüse schneiden, Eiermilch machen für Lauch und Zwiebelkuchen
– Frühlingszwiebelsalat machen
– Nudeln kochen für Salat
– Muffins dekorieren
– Dressing für: Hähnchensalat, Zucchinisalat
– Käseplatte machen
– Chips verteilen, Aschenbecher auf Balkon
– Bohnenpüree verteilen
– Zucchinsalat 18 Uhr?

Die Bäckereibestellung übernahm netterweise F., der eh nach Hause musste, um sich in Fußballklamotten zu werfen, denn der FC Augsburg hatte Heimspiel, das mir leider entging. Ich hatte für einen winzigen Augenblick darüber nachgedacht, hinzufahren – „Ich bereite einfach alles perfekt vor und fange mit der Feier erst um 20 Uhr an, das geht schon“ –, mich aber intelligenterweise selbst davon abgebracht.

Als F. gegangen war, schaute ich als erstes nach der Welfenspeise – und war traurig und muksch. Anstatt zu erstarren, hatte sich der Wein nach unten in die Schüssel verzogen, über ihm schwamm die Vanillecreme und oben drauf war eine hässliche Zuckerschicht. Sah füchterlich aus, aber wenn man einen Löffel durch alles zog, schmeckte es immerhin. Es landete trotzdem im Klo (sorry, Stadtwerke, aber wo soll das denn sonst hin?) und ich überlegte, den ganzen Quatsch zu lassen und Pizza zu bestellen. Klingt bescheuert, aber genau die Welfenspeise wollte ich am dringendsten haben, Rest ist egal, Salat machen ja alle. Dass ausgerechnet die jetzt so danebengegangen war, nervte kolossal. Normalerweise mache ich die Vanillecreme ein paar Stunden vorher und schlage dann den Weinschaum frisch zum Servieren auf. Dazu hatte ich als Gastgeberin natürlich überhaupt keine Zeit und Lust, daher der Versuch mit dem alles auf einmal. Doofer Versuch.

Im Hinterkopf hatte ich aber meinen Schwager, der auch gerne kocht und zudem total hilfsbereit ist; vielleicht würde der sich mal für zehn Minuten an den Herd stellen, während ich weiter die total entspannte und unverschwitzte Gastgeberin gab? Bestimmt! F. kam wieder vorbei, brachte Baguettes und Brezn, und ich bat ihn, noch eine Runde Sahne, Eier und Vanilleschoten zu kaufen, um eine neue Schüssel vorzubereiten.


Das Weinregal wurde professionell gegen durstige Langfinger gesichert.

Immerhin die ersten vier Punkte auf der Liste klappten gut, aber ab den Möhren entglitt dann wieder alles. Die Schüssel hatte ich noch mit ihnen vollbekommen, das Backblech scheiterte aber total. Ich brauchte nämlich zwei Bleche und nicht nur eins, um die Dinger auszubreiten, merkte danach außerdem, dass die Honigmarinade die Bleche trotz Backpapier so richtig schön eingesaut hatte, weswegen ich erstmal spülen musste und der tolle Plan, direkt nach den Möhren entspannt den Blumenkohl in den Ofen zu schieben, gegessen war. Außerdem brauchten die Möhren fast doppelt so lange wie im Rezept angegeben, um nicht mehr steinhart zu sein, aber das war dann auch schon egal. Ich briet Zwiebeln in der Pfanne an, damit sie nicht roh auf den Zwiebelkuchen kamen, verfluchte wieder Lauch und Lauchzwiebeln, weil sie immer dreckig sind und letztere auch noch in den Augen wehtun und superfitzelig zu schälen sind, immerhin war der Hefeteig so richtig geil aufgegangen, was mich sehr freute, ich rollte ihn aus, er passte auf mein allerletztes Backblech, ich verteilte schon Salate auf Platten, denn die Schüsseln brauchte ich ja dauernd, schnitt, spülte ab, räumte dreimal den Geschirrspüler ein und aus, machte in Rekordzeit Pesto und Nudelsalat, schrieb die letzten Schilder, konnte irgendwann endlich mal Gläser und Bestecke verteilen und schließlich mit letzter Kraft auch noch das Bad putzen und die völlig zerstörte Küche wiederherstellen. Der Zucchinisalat besteht bis heute aus acht Zucchinis, die in meinem Gemüsefach liegen (gut, dass ich die Cashews dafür nicht geröstet habe), die Muffins blieben unglasiert, ich vergaß Salz und Pfeffer für die Eiermilch auf dem Zwiebelkuchen, der ein kombinierter Lauch-Zwiebelkuchen wurde, weil ich keine zwei Bleche mehr hatte, warf den Blumenkohlsalat schon zusammen, nix mit „erst kurz bevor die Gäste kommen“, und überhaupt wollte ich in der Halbzeit des Fußballspiels, als ich endlich, endlich mit allem fertig und geduscht war, nur noch den ersten Sekt aufmachen und dann schlafen gehen.

Aber dann, als ich Füße und Rücken wieder ausgeruht, Augsburg 3:1 gewonnen und ich eine Spezi getrunken hatte, ging’s wieder. Schwester und Schwager kamen schon vor 19 Uhr vorbei, brachten noch einen hervorragenden Nudelsalat mit, und Schwagerschatz nickte natürlich sofort, als ich um das Weincremeschäumen bat. Dann klingelten 25 Leute hintereinander, ich stand eigentlich nur an der Tür, immer mit einem frischen Kremang in der Hand, den F. flaschenweise angeschleppt hatte, freute mich über Menschen und Umarmungen und sehr viele Geschenke, obwohl ich nur mit einem Massengeschenk gerechnet hatte. Wenn ich mir den Tisch so ansehe, kann ich die nächsten Monate betrunken literweise Espresso kochen.

Es hatten mich mehrere Gäste im Vorfeld gefragt, ob sie etwas Essbares beisteuern sollten, und obwohl ich natürlich dachte „DAS PASST ALLES NICHT INS KONZEPT!“, war ich im Nachhinein sehr dankbar für das Tiramisu, die Apfelschnecken und natürlich den Geburtstagskuchen, den ich völlig vergessen hätte. Danke dafür! Ich esse gerade das letzte Stück davon. (Das oben im Bild ist die Vanillecreme noch ohne Weinschaum, der wurde wirklich heiß serviert <3)


Das Massengeschenk, von dem ich vorher wusste, war eine Espressomühle, die Sonntag morgen gleich aufgebaut und eingeweiht wurde. Da meine Gästeschnuffis aber irre freigiebig waren, bekam ich dazu noch diverse Kaffeesorten, ein größeres Milchkännchen und, so geil, einen Latte-Art-Kurs, über den ich sehr laut gequietscht habe. Die ersten Dekowünsche wurden bereits angebracht – „die Augsburger Zirbelnuss!“ – und ich freue mich schon sehr vor.

Ich kann gar nicht beschreiben, wie viel Spaß ich an der eigenen Party hatte. Normalerweise bin ich die gestresste Gastgeberin, die bloß keine Flecke auf den weißen Sofas haben und spätestens nach zwei Stunden alle Gäste vor die Tür kärchern will, aber dieses Mal war es einfach schön. Ich habe mich darüber gefreut, dass Leute aus Hamburg und Köln nach München gekommen sind, dass so gut wie alle Eingeladenen auch kamen, dass sich alle hübsch und in wechselnden Formationen in der Wohnung verteilten, dass nicht nur über Fußball geredet wurde, dass es anscheinend allen geschmeckt hat – DIE WELFENSPEISE IST LEER GEWORDEN! –, dass sehr viele recht lange blieben und zwischendurch einfach mal abgespült wurde, weil ich nicht genug Teller und Gläser hatte. Ganz zum Schluss blieb noch ein Gast, der mit F. Omas Goldrandgeschirr abwusch, während ich den Rest der Wohnung schon wieder ansatzweise in den gästefreien Zustand zurückversetzte, und um kurz vor 3 war ich dann sehr glücklich, zufrieden, dankbar und nur ein bisschen angeschickert im Bett.

Und am Sonntag machten F., Schwager, Schwester und ich dann das, was alle Münchner mit Essensresten bei gutem Wetter machen: Man schleppt sie in den Biergarten und holt sich eine Maß dazu. Oma Gröner ruht sich jetzt aus.

Tagebuch Mittwoch 13. März 2019 – Shopping is not (yet) creating

Am Dienstag den ersten Teil des langen, laaangen Einkaufszettels abgearbeitet. Mein Kühlschrank war danach hauptsächlich voll mit Milchprodukten. Einkaufszettel am Rechner revidiert und neu ausgedruckt.

Gestern den zweiten Teil abgearbeitet. Ein Monatsgehalt für Vanilleschoten ausgegeben. Einen U-Bahn-Wagen mit Knoblauch im Rucksack beduftet, den ich zuhause in der Küche ablegte. Habe heute morgen bemerkt, dass der Duft sich inzwischen bis ins Arbeitszimmer ausgedehnt hat. Werde den Flur jetzt mit Zitronen auslegen, dann passt das wieder.

Festgestellt, dass meine neue Brille gefühlt schlechter wird als besser. Der zunächst größte Unterschied zur alten Brille war eine stärker korrigierte Hornhautkrümmung. Die ersten Tage sah mein iPhone nicht mehr wie ein rechtwinkliges Rechteck, sondern wie ein schiefes Parallelogramm aus. Das hat sich inzwischen gegeben, aber dafür kann ich jetzt mit meiner alten Brille nicht mehr sehen, da ist jetzt alles schief, Zauberei, verdammte. Die ersten Tage war ich beglückt über die neu gewonnene Fernsicht. Gleich am ersten Tag war ich abends in Augsburg im Stadion, wo wir auf der Haupttribüne sitzen. Uns gegenüber ist die VIP-Tribüne mit den glasverkleideten Boxen, zwischen denen sich ein Stück weiße Wand befindet. Jedenfalls dachte ich bisher immer, die Wand sei weiß. Mit der neuen Brille konnte ich Sponsorennamen in heller Schrift entdecken und die meisten sogar lesen. Toll. Auch der Nahbereich ist irrsinnig scharf, am Anfang war mir der sogar zu scharf. Die Optikerin hatte mich vorgewarnt, ich müsse iPhone und Bücher jetzt vermutlich etwas weiter von mir weghalten, darauf hatte ich mich eingestellt, das ist auch so passiert. Ist aber alles noch im erträglichen Rahmen.

Was allerdings nervt, und ich behaupte, es wird immer schlechter, ist der mittlere Bereich, also genau der, für den ich eine Brille trage. Lesen kann ich auch ohne Brille, und eine wirkliche Fernsicht habe ich quasi seit 40 Jahren nicht mehr. Ich erkenne Autos, die 100 Meter von mir weg sind, aber ich kann nicht sagen, welches Modell es ist geschweige denn das Kennzeichen lesen. Ist aber egal, Hauptsache, ich sehe, dass ein Auto kommt, wenn ich über die Straße will.

Was für mich aber elementarer ist, sind Schilder in meiner Nähe. Dummerweise merkt man sich ja nie, was man vor einem Brillenwechsel gut sehen konnte und was schon nicht mehr. Gestern hatte ich endlich einen Beleg dafür, dass sich meine Augen noch weiter gewöhnen müssen oder wir nochmal an die Gläser ranmüssen. Ich habe von Anfang an gemerkt, dass ich die leuchtenden U-Bahn-Schilder, die mir sagen, welche U-Bahn in wieviel Minuten nach wohin ankommt, nur noch sehr unscharf lesen kann, wusste aber nicht mehr, ab wann ich sie scharf sah. Im Moment kann ich direkt davor stehen und sehe sie nicht scharf, was mir nicht optimal erscheint. Gestern konnte ich aber auf ein altes Wissen zurückgreifen: Am Sendlinger Tor komme ich aus dem unteren Geschoss ins mittlere, von wo man in die U3 (orangenes Quadrat auf der Anzeigentafel) oder die U6 (blaues Quadrat) umsteigen kann. Als ich noch in die Allianz-Arena gegangen bin, war das mein Weg: die Treppe von der U2 rauf, die mich genau in der Mitte des Bahnsteigs für U3 und U6 ausspuckt. Von dort reichte ein Blick nach links und rechts, wo am Bahnsteigende die Tafeln hängen, um mir zu zeigen, wann die nächste U6 nach Fröttmaning raus einfährt. Gestern merkte ich, dass ich nicht mal mehr erkennen kann, ob auf den Tafeln ein orangefarbenes oder ein blaues Quadrat vor dem weißen Streifen kommt, der eigentlich die Schrift ist. Fuck.

In der Fußgängerzone merkte ich dann, wie praktisch das ist, dass Firmen in ihre Logos investieren. Ich konnte kein einziges wirklich erkennen, wusste aber, nach welcher Form und Farbe ich suchen musste, um einen Laden zu finden, in dem ich noch nie war und von dem ich daher nicht genau wusste, auf welcher Höhe der Fußgängerzone er sich befand. Ein grünes Quadrat reichte mir dann als Anhaltspunkt, um den Body Shop zu finden, dessen weiße Schrift auf dem Quadrat ich erst lesen konnte, als ich fünf Meter davorstand. (Jetzt habe ich wieder schönes Duschgel zuhause, das nicht nach Bazooka Joe riecht, obwohl Granatapfel draufsteht.)

Der Optiker meinte, die Augen bräuchten schon ein bisschen, bis sie mit den neuen Gläsern klarkämen, aber wenn nach zwei Wochen immer noch nicht alles gut ist, bitte vorbeikommen. Das wäre morgen, aber jetzt gerade brauche ich die Brille sehr, denn ich werde morgen und übermorgen sehr viel mit sehr scharfen Messern arbeiten und wenigstens das kann ich momentan halbwegs okay erkennen. Meine Gäste am Samstag werde ich hoffentlich anhand ihrer Stimmen identifizieren können. Und Montag geht’s dann zum Optiker.

Aber hey, das Gestell ist super! Ich würde nur gerne mal wieder Fahrradfahren. Und Luise scharf sehen.

Arab men’s lived experience in and outside of Europe

Die Kulturwissenschaftlerin Asal Dardan hat für das Goethe-Institut in Schweden ein Gespräch mit drei Geflüchteten aus Syrien und Ägypten, die jetzt in Schweden und Deutschland leben, geführt. Leseempfehlung.

„Q: Before you went on the boat, did you know about these trips? Did you know that people die?

Nedal: I knew. I read up on everything and counted all the accidents, I made a mathematical calculation and came to the conclusion that 99 percent of these trips survived. I decided that I could take the risk. But after having done the trip, now I would never do it again. It was so, so, so bad.

Q: Do you want to tell me what was so bad?

Nedal: Everything. Every single thing. From the smell to the sleeping situation. The weather. Whenever something happened, like the wind blew harder, it’s always the kids you hear first. There were babies. And you hear the mothers screaming. It starts raining. And you think, if something happens, who can help? You can’t even help yourself, you know. And you have those thoughts every single moment. All you see is the sea, water and nothing but water. I keep thinking about it. I keep my old phone I had on that trip. I still have the safety vest. I bought it in Istanbul and after my trip I found out that it would not have saved me. I would have drowned instantly. I keep it to remind myself of the risk I took to come here. The situation during the war in Syria was very bad and Tunisia was also bad. I wanted something else. […]

Q: How did you deal with the lack of social contacts?

Mahdi: Well, in Kalmar I started realising that we Arabs were hanging out together. We didn’t have Swedish friends. One factor was that we didn’t speak Swedish. The other one was that Swedes didn’t really want to interact with us beyond the official level. So you have a reaction, you think they don’t want to know you so you stick to your people. This is how it went. I thought, well, I’m not really here to stay with my own people. I don’t have this feeling of Arab or Syrian identity, I just feel like I am a human being. But at the time I felt Syrian because people saw me as Syrian. So what are you going to do? I started an internship at Kalmar library and started to hang out with my co-worker. I hate saying we and them but I realised that they aren’t bad but that we are just different. It’s like nobody really wants to compromise and change, a lot of people do but it’s slow coming. I’m thinking about this equation that every Arab is a Muslim and every Muslim is a terrorist. Swedes don’t think like that but they are cautious and I guess some have made negative experiences with migrants. It takes a lot of time to build trust. For example, I live with twelve people in my corridor here in Lund and we have never hugged each other. I left for Berlin for six months and when I came back it was just like “hej” and I said, “come on man, give me a hug” and he was like, “Yeah, okay fine, I’ll give you a hug.” [laughs]

PS: Das Headline-Zitat „Shopping is not creating“ ist von Douglas Coupland, vermutlich aus Generation X, weiß ich aber nicht mehr. Schleppe ich schon zu lange mit mir herum.