Tagebuch Mittwoch, 20. März 2019 – Bei der Optikerin

Gestern das Ritual aus dem vergangenen Jahr wiederbelebt, als ich ganz frisch in diese Wohnung eingezogen war und es so schön fand, morgens auf dem Sofa zu sitzen und über das Balkongitter ins Grüne schauen zu können. Den ersten Kaffee (Cappuccino, Flat White, ihr wisst schon) nahm ich immer dort ein, ohne Handy, ohne Laptop, ganz in Ruhe. Als es morgens nicht mehr hell genug dafür war, schlief das Ritual ein und ich trank wieder Kaffee (Cappuccino, Flat White, ihr wisst schon) am Rechner, während ich bloggte, aber jetzt sitze ich wieder auf dem Sofa.

Und weil ich seit Samstag eine tolle Espressomühle habe, ist die Zubereitung schneller. Ich muss nicht mehr Opas Mühle aus dem Schrank holen, sie mit Bohnen befüllen, mahlen, sie säubern und wieder zurückstellen, sondern halte einfach meinen Siebträger unter das tolle Mahlwerk und kann mit der Kaffeezubereitung beginnen. (Cappuccino, Flat White, ihr wisst schon.) Herrlich.

Beim heutigen Google-Doodle kann man sich wie Bach fühlen. Sehr hübsch gemachter Midi-Spaß, der wild hingeklickte Noten zu einer Komposition zusammenfügt.


@introvertdoodles fragt auf Instagram:

„I started an office job last month and it seems so ODD that people want to spend their breaks talking to each other instead of quietly decompressing 😂 Do you sneak away on your lunch break too? #introvert“

So allmählich wird mir klar, warum ich immer gerne alleine an meinem Schreibtisch geblieben bin, die Füße auf dem Tisch, ein Buch vor der Nase und das von zuhause mitgebrachte Essen dabei. Ich bin nicht unkollegial, ich brauche nur mal ein bisschen Ruhe. Ich liebe mein Home Office immer mehr.

In dem arbeitete ich morgens kurz einen Job ab, bevor ich mich zur Optikerin aufmachte. Die neue Brille sitzt jetzt seit zwei Wochen auf meiner Nase, und ich bin mit dem Gestell sehr zufrieden, mit den Gläsern aber leider nicht. Mir ist schon klar, dass sich meine Augen an die neue Stärke gewöhnen müssen, aber zweieinhalb Wochen scheint mir lang genug, um sicher zu sein, dass da irgendwas nicht stimmt. Meine Fernsicht ist bei Sonnenschein fantastisch – ich konnte am Sonntag im Biergarten Schilder lesen, die ich vorher nicht mal als Schilder wahrgenommen hätte, und gestern stelle ich fest, dass ich von der Kreuzung an meiner Haustür die Uhr am U-Bahn-Eingang lesen konnte, wo ich vorher nicht mal eine Uhr gesehen hätte. Bei Sonnenschein ist sowieso alles super. Oder bei Flutlicht im Stadion. Aber sobald das Licht diffus wird, wie zum Beispiel in jeder verdammten U-Bahn-Station oder auch in meiner eigenen Wohnung, wo ich einfach kein flakhelles Licht haben will, wird alles unscharf, selbst Dinge, die nur zwei Meter von mir weg sind. Ich sitze am Schreibtisch und kann die drei Meter von mir entfernt hängende Luise nicht scharf sehen. Am Laptop habe ich immer noch nicht den perfekten Abstand gefunden, wo das Sehen angenehm ist. Was mich am meisten irre macht, neben dem Fakt, dass ich mich zu doof zum Gucken fühle: Ich kann nicht genau beschreiben, wie es sich anfühlt. Es ist ein anderes Unscharf als vorher mit der alten Brille, wo ich einfach wusste, die Gläser sind nicht mehr stark genug, es ist das übliche Unscharf, das man als Kurzsichtige kennt, wenn man keine Brille aufhat. Mit den neuen Gläsern fühlt es sich so an, und ich weiß, dass sich das bescheuert anhört, als ob sie mich aktiv am Scharfsehen hindern. Ich kann die Augen zusammenkneifen, so viel ich will, es wird nicht besser.

Deswegen ging es gestern erneut zur Optikerin, die sich sehr freundlich um mich kümmerte. Wir machten zwei Tests, die ihre Kollegin letztes Mal nicht mit mir gemacht hatte, sie stellte mir Fragen zu Medikamenten oder anderen Lebensumständen, um herauszufinden, warum die letzte Messung anscheinend nicht korrekt gewesen war – oder ob sich etwas geändert hatte, was uns aber beiden in dieser kurzen Zeit unwahrscheinlich vorkam. Vielleicht hatte es auch schlicht an der Uhrzeit gelegen: Das letzte Mal war ich nachmittags zum Sehtest gegangen und hatte garantiert schon stundenlang auf irgendeinen Monitor geschaut, während ich jetzt um 10 Uhr morgens da saß und lustig Zahlenreihen ablas. „Nicht raten, nicht die Augen zusammenkneifen.“ Vielleicht hatte ich das letztes Mal unbewusst gemacht, keine Ahnung.

Ich bekam wieder die Legobrille mit der neuen Sehstärke aufgesetzt und bemerkte sofort eine Veränderung im Ladengeschäft selbst, wo ich vorher auch nicht scharf sehen konnte, weil es eben kein taghelles Licht im Raum war. Deutlich besser! Vielleicht lag es schlicht an dem großen Sprung zwischen der letzten und der jetzigen Brille – für mich war alles schärfer als vorher, aber ich konnte vielleicht noch nicht wirklich sagen oder sehen, wie scharf es sein musste, um mich nicht wahnsinnig zu machen. Die neuen Gläser sind bestellt, und ich hoffe, ich kann nächste Woche wieder entspannt einfach sehen und muss mich nicht darauf konzentrieren, genau das zu tun.

Abends kam F. zum Essen vorbei, ich machte endlich den Zucchinisalat, den ich Samstag nicht mehr geschafft hatte, und dazu Stemmelkort aus Deutschland vegetarisch (aus dem übrigens auch das Welfenspeisen-Rezept ist, das so gut ankam). Die Möhrenpuffer klappten leider wieder nicht – ich hatte sie schon einmal versucht, aber nie heile aus der Pfanne bekommen. Ging gestern auch nicht, womit ich dieses Rezept als das einzige bezeichne, das mich aus diesem Buch nicht so begeistern konnte. Nächstes Mal einfach wieder Kartoffeln dazureiben und die Möhren roh verwenden, fertig.

Die Süddeutsche hat einen neuen Newsletter mit dem hervorragenden Namen Nullachtneu, und alleine dafür habe ich ihn blind abonniert.

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