Leserinnenpost

Ich verlinkte gestern den Zeit-Artikel über Sigmund Jähn und erwähnte, dass die DDR ein fremdes Land für mich war und vielleicht geblieben ist. Daraufhin bekam ich eine lange Mail, die ich mit Zustimmung der Verfasserin veröffentlichen darf. Wir kennen uns ein wenig – die Dame hat ein Porträt über mich geschrieben – und wir telefonierten noch, nachdem ich per Mail fragte, ob ich ihre Zeilen bloggen durfte. Danach glaube ich: Wir sollten mehr miteinander reden. Nicht die AfD-Anhänger mit ihren Gegnern, das halte ich inzwischen für rausgeschmissene Zeit, aber: BRD-Bürger*innen mit DDR-Bürger*innen. Schreibt DDR-Blogs! Erzählt mir von eurem Land und von euren Biografien!

Mir ist außerdem aufgefallen, dass ich, wenn ich die DDR als Ausland zähle, was sie ja war, sie öfter besucht habe als jedes andere Land außerhalb meines eigenen. Ich war öfter in der DDR als in Frankreich, den USA oder Dänemark. Ich verlinke mal einen Uralt-Blogpost, der das etwas illustriert.

Aber jetzt zur Leserpost, die ich sehr spannend fand. Darin wird auch die Landflucht beschrieben, die mir in diesem Ausmaß nicht klar war. Im letzten Spiegel stand dazu ein aufschlussreicher Artikel, leider momentan nur als Spiegel-Plus lesbar.

Liebe Frau Gröner,

ich habe wie Sie den Text von Jana Hensel in der ZEIT gelesen. Sigmund Jähn: das war ein Begriff in meiner Schulzeit. Wahrscheinlich auch deshalb, weil er quasi aus der Region stammt. (Meine Schule trug den Namen „Juri Gagarin“. Der Musiklehrer hatte ihm zu Ehren ein Lied komponiert, das zu den Appellen gesungen wurde. Es begann so: „13. April des Jahres ‚61, die ganze Erde schaut auf…) Zurück zu Morgenröthe-Rautenkranz (Jähns Geburtsort) – damit verbinden viele Ostdeutsche Raumfahrt, Weltall, unerreichte Weiten. (Dass das Dorf ein Kälteloch ist und in the middle of nowhere liegt, ist unerheblich.)

Sie schreiben, die DDR war ein fremdes Land für Sie. Vielleicht ist es das auch geblieben. Mir war die Bundesrepublik nicht ganz so fremd – hatte ich doch Westverwandtschaft und eine Brieffreundin. Eine Zahnarzttochter, deren Eltern Schweden waren. Schon allein diese Kombi war etwas ganz Besonderes. Leute, die sich einfach so in einem anderen Land ihre Existenz aufbauen konnten, gut Geld verdienten, in der Welt umher reisten und interessehalber uns besuchten. Der erste Besuch fiel genau mit dem Unglück in Tschernobyl zusammen. Irre, wie unterschiedlich die Angst vor Verstrahlung war. Lundbergs waren informiert; wir nicht. (Wir waren recht unbekümmert. Schließlich holte mein Vater täglich Uran aus dem Berg. Ihm fielen weder die Zähne noch die Haare aus, noch hatte er Leukämie oder Lungenkrankheiten. Damals zumindest.)

Was mir von diesen Stippvisiten in Erinnerung blieb, ist der Minderwertigkeitskomplex. Wir konnten nix vorweisen – weder Haus, Auto noch Reisen. Ich habe mich manchmal geschämt. Drei Jahre später kam alles anders. Der Mauerfall ist nach wie vor eines der größten Ereignisse meines Lebens. Dass das alles friedlich und ohne Blutvergießen ablief – das halte ich persönlich für ein Wunder. Selbst nach fast dreißig Jahren zieht es mir die Gänsehaut auf.

Allerdings hat keiner mit dem Affentempo der Wiedervereinigung und ihren Folgen gerechnet. Vom Herbst 1989 bis 1991 fühlte sich das Leben wie ein Schleudergang an. Nix war mehr sicher. Unsere Generation wurde blitzartig erwachsen. Wir regelten teilweise das Leben unserer Eltern: manchen Leuten fehlte einfach der Schneid (weil Arbeit weg etc.). Woher sollten sie den so fix herhaben? Der Großteil lief in der Masse mit. Alles war vorherbestimmt: Schulabschluss, Lehre, wenn es hoch kam Studium, Heirat mit 18,19,20 wegen Wohnung und Familienkredit, Arbeitsplatz ohne großartige Pendelei.) Um die Basics hat sich der Staat gekümmert; wollte man mehr, musste man Mittel und Wege finden. Vieles ging über Dritte; Menschen, die Beziehungen hatten oder wieder Leute an entscheidender Stelle kannten.

Die Kommunikation über Dritte, die Hoffnung, dass jemand von oben das regelt – das eitert einfach nicht heraus. (Die Generation unserer Eltern versucht das immer noch.) Vielleicht kann das helfen, sich der Ostdeutschen Denke anzunähern.

Seit den ersten Pegida-Demos in Dresden (das geht schon seit 2015), frage ich mich, warum hier solche Gedanken Humus finden. Die Masse hat Arbeit. Haben beide Eltern Jobs, ist ein Urlaub im Jahr mindestens drin. Die Bildung stimmt – auch wenn uns hinten und vorn die Lehrer fehlen. Der Spagat Familie-Beruf ist – zumindest auf dem Land – machbar. Auf dem Land: da leben die, die da geblieben sind. Leute, die ziemlich gebrochene Erwerbsbiografien haben, die nicht weggehen wollten, die keinen Schneid hatten, die ihre Wurzeln nicht kappen wollten oder konnten. Die jungen, gut ausgebildeten haben die Flucht ergriffen und tun es noch. Ich weiß, das ist kein typisch ostdeutsches Problem. Die Dimension der Landflucht allerding schon. Was nahezu komplett fehlt, ist meine Generation. Dreiviertel meiner ehemaligen Klasse (Oberschule) weg, dreiviertel meiner Seminargruppe (Fachschule) arbeitet in westdeutschen Kliniken, mehr als die Hälfte meines Abiturjahrgangs weg. Diese Lücke fühlen wir tagtäglich. Umgeben von Senior*innen in beigefarbenen Westen, die auf ihre Jugend zurück blicken, den Wert von Heimat ganz anders definieren als wir und sich nicht als Teil der Gesellschaft sehen, braucht man ein breites Kreuz. Ein sehr breites.

Blitzgescheite, reflektierte Menschen haben es mitunter sehr schwer. Dinge zu hinterfragen, dass das eigene Tun Folgen hat, jeder für sich verantwortlich ist oder Demokratie auszuhalten – das zählt nicht unseren Kernkompetenzen. Die Generation unserer Eltern tut sich damit sehr schwer. Wir, die Mitte der 1970er geborenen, üben uns darin. Täglich.

Vielleicht ist das der Vorsprung, den man in den alten Bundesländern uns gegenüber hat. Nach dem zweiten Weltkrieg zogen in den drei westlichen Besatzungszonen demokratische Verhältnisse ein. Die russischen Besatzer kannten nichts anderes als Diktatur. Während man in der BRD vierzig Jahre Demokratie ausprobieren durfte, sie erlernen konnten, stolperten wir – gewollt – hinein. Ruhiggestellt von DM-Mark und Reisefreiheit hat sich keiner so richtig für die Demokratie interessiert. Abgelenkt von Massenarbeitslosigkeit kümmerte man sich um sich. Nur um sich.

Jetzt, wo wir nahezu Vollbeschäftigung haben, ist das immer noch so. Viele sind sich selbst der Nächste. Gesellschaftliches Engagement findet im Fußballverein, der Feuerwehr oder im Schulförderverein aber kaum in der Flüchtlingshilfe statt. Hauptsache, uns geht es gut und wir können den Wohlstand halten. Globales Denken oder gar Verantwortung – Fehlanzeige.

Dass etwas im großen Ganzen nicht stimmt, merken die Leute seit der Flüchtlingskrise. Auseinandersetzen will man sich damit nicht. „Das sollen die da oben regeln.“ Merken Sie, da ist er wieder der Ruf nach einer dritten Person. Wie sich aber die Ereignisse überschlugen, die Kommunen mit der Unterbringung überfordert waren, auf einmal Leute da waren, die eine geballte Ladung Testosteron mitbrachten bzw. manche deutsche Verhaltensregeln nicht kannten oder ignorierten, wuchs der Frust. „Warum soll ich im Bus bezahlen und der Ausländer nicht?“ Fünf Euro für ein Ticket sind für mich kein Thema; für manch ältere Dame mit Mindestrente schon. Das sei nur als Beispiel genannt. Aber das Aussitzen unserer Sächsischen Staatsregierung trug dazu wesentlich bei. Es entschuldigt nicht das Verhalten der Sachsen/ Sächsinnen, die wieder mitlaufen und simple Lösungen für ein komplexes Problem haben wollen.

Ich persönlich ziehe vor dem jetzigen Ministerpräsidenten Kretschmer den Hut. Er soll binnen eines reichlichen Jahres die Kohlen aus dem Feuer holen, die Tillich, Milbradt und Konsorten verursacht haben. Er ist authentisch; logisch, dass ihm Fehler passieren. Die Beharrlichkeit des Dialogs ist anerkennenswert. Es muss aber sein. Ohne diesen Draht erfahren wir nichts voneinander.

Was mich immer wieder den Kopf schütteln lässt, ist die Tatsache, dass dreißig Jahre für zur Ausbildung eines demokratischen Selbstverständnisses nicht ausreichen. Eine letzte Überlegung dazu: Mit dem Abriss von Kirchen (siehe Paulinum Leipzig; Städtebaupolitik Walther Ulbricht) fielen auch die christlichen Werte. Was den Leuten heilig ist, wissen sie oft selbst nicht. Trotzdem rennen sie den Verkündern solcher Werte nach. Klingt an den Haaren herbeigezogen; sollte aber mitbedacht werden.

Die Würde des Menschen unantastbar. Das schmier‘ ich den Leuten aufs Brot – ob sie es hören wollen oder nicht. Denn ändern lässt sich die Misere nur, wenn wir miteinander und nicht übereinander reden.

Herzlichst!

Beatrix

Tagebuch, Mittwoch, 29. August 2018 – Pasta

Wie seit Tagen ewig früh aufgewacht (noch vor 6), warum auch immer. Ich schlafe gut, werde aber neuerdings von selber früh wach und mag dann auch nicht mehr schlafen. Ich mag es aber, morgens im Bett zu liegen und die kühle Luft von draußen bewusst mitzukriegen, daher lungerte ich ein Stündchen am iPhone rum, bevor ich aufstand. Allmählich sind die Temperaturen auch wieder so, dass ich morgens walken gehen möchte, aber gestern halt nicht. Gestern wollte ich rumlungern.

Am Schreibtisch gesessen, bis es klingelte und sich meine Umzugskartons ankündigten, die ich Montag online bestellt hatte. Irgendwie klappte die Kommunikation über die Sprechanlage nicht so, wie ich sie im Sinn hatte; der Lieferant fuhr mit den Kartons in den vierten Stock, obwohl ich im fünften wohne, während ich die Treppen runterrannte, weil ich dachte, er liefere nur bis zu Haustür. Wir fanden uns dann aber mit lieblichen „Hallo?“-„Hallooo!“-Rufen durchs Treppenhaus, ich unterschrieb für eine Lieferung, die ich noch nicht gefunden hatte, was mir aber erst nachher einfiel, entdeckte die Kartons, fuhr sie noch ein Stockwerk höher und packte mal probehalber gleich drei, um zu gucken, um wieviel kleiner die Profi-Bücherkisten sind als meine gewohnten Umzugskartons. Passte alles gut, und selbst ich Puddingärmchen konnte die vollgepackten Kisten noch gut heben und stapeln.

Zum sehr späten Mittag bzw. sehr frühen Abendessen gab es mal wieder selbstgemachte Pasta. Ich hatte von meiner Pizza noch Tomatensauce übrig und irgendwie keine Lust auf meine fertigen Nudeln, was eigentlich der Plan gewesen war – Schränke leeressen, um ihre Inhalte nicht in Kartons packen zu müssen. So verringerte ich immerhin die Menge von Mehl und Eiern, die ich im Haus habe, ist ja auch was.

Seit ich in München wohne, habe ich bergewiese komplett fürchterliche Pasta produziert. Zu hart, zu rissig, zu matschig, ließ sich nicht ausrollen, riss beim Befüllen, alles doof. Ich schob es sehr lange auf südliche Luft und bayerisches Wasser, dass hier nicht mehr klappte, was in Hamburg diverse Male perfekt gewesen war. Irgendwann merkte ich, dass ich nicht mehr mein gewohntes Superdupersimpelrezept für Nudeln benutzte, sondern bei jedem Runterholen der Nudelmaschine vom Schrank auch ein italienisches Kochbuch aufschlug, um mal eine Variante des Superdupersimpelrezepts zu versuchen.

Ich besitze diverse italienische Kochbücher, und nur eins davon habe ich mir selbst gekauft, gleich das erste. Alle danach sind Geschenke von Freund*innen oder Blogmenschen, und weil sie nun mal da sind, testete ich auch Rezepte daraus, unter anderem Pastateig, weil ich dachte, je mehr Zutaten man reinwirft, desto toller müsste der Teig ja werden. Inzwischen weiß ich: Nee, wird er nicht. Oder es ist wirklich das Münchner Wasser und alle Pastagottheiten hassen mich, weil ich sie nicht anbete, sondern weiterhin den Mann am Kreuz ganz okay finde. Wie dem auch sei: Seit Längerem nutze ich wieder mein Superdupersimpelrezept, wo auf 100 Gramm Mehl ein Ei kommt, bisschen Salz, bisschen Olivenöl, fertig. Wenn ich das 00-Mehl im Schrank habe, nehme ich das, wenn ich das nicht im Schrank habe, nehme ich das 405er. Gelingt immer.

So auch gestern, wo ich zwei Portionen machte – weniger lässt sich schwer kneten – und auch schon kurz vor den zehn Minuten Pflichtknetzeit aufhörte. In einem der vielen Kochbücher hatte ich nämlich gelesen: Wenn der Teig weicher wird, aufhören. Der wird schließlich noch weicher durch die Ruhezeit. Also stoppte ich gefühlt nach acht Minuten (ich knete ja per Spotify: drei Songs sind zehn Minuten), ließ den Teig eine Stunde rumliegen und stellte danach perfekte Tagliatelle her, warf noch Zwiebeln und Zucchini in die Pfanne und hatte herrliches Essen.


The New Reading Environment

Die Herausgeber*innen des N+1 Magazine schreiben in ihrem Editorial, wie doof Editorials seit Twitter geworden sind, weil man nur noch damit beschäftigt ist, Schnipsel zu diskutieren.

„All this is on your mind as you wait for your piece to go up. You’ve just written 1,200 words on Trump, norms, Twitter, Alexandria Ocasio-Cortez, and the future of the Democratic Party. Will you downplay its importance (“So I wrote a thing”), or promote it with a tweet thread? Will you retweet praise, or only muted endorsements, detailed enough not to appear self-congratulatory? Will you — boldly — retweet your haters? Or will your piece disappear like all the others, carried along the swift-moving current of the social feed only to be buried in the riverbed and ignored forever? But just when despair has reached its peak, it shows up on the homepage. People tweet lines from your story, or screenshot whole paragraphs, taking care to highlight certain sentences. Not the sentences you would highlight, but people care! They not only read your writing, you see; they want to show others that they read it. Your writing is a badge of intellect.

Then things take a turn. Readers lose patience, and the careful quoting, like snipping coupons with precision, becomes tearing — into lines, phrases, and points. The space grows for misinterpretation, co-optation, and misunderstanding. All it takes is one podcast host with a grudge and a modest following, like an Evangelical pastor of yore, for a small hell to break loose in your mentions. Your authorial control disintegrates. What you wrote is eclipsed by another person’s idea of what you wrote. It’s the reader’s text now — and so are you, an authorial construction, another text to be bandied about. Does anyone enjoy watching themselves get eaten and digested by other people? […]

TO BE A READER is to suffer. The endless call-and-response that leaves writers forever relitigating their work . . . all this is for our sake? In the not so distant past, we could sit with an article and decide for ourselves, in something resembling isolation, whether it made any sense or not. Now the frantic give-and-take leaves us with little sovereignty over our own opinions. We load up Twitter to discover some inscrutable debate (“Why is everyone fighting about the Enlightenment?”), usually over a series of misinterpretations, which in the space of an hour or two has ended friendships and caused major figures to leave the platform. The task then becomes to read in reverse — clicking backward through a series of quote-tweets to reconstruct the original offending article, and try to understand who’s on what side, so you can know precisely what to think and where it will land you, socially.“

#DieKanon

Anika Meier über Kanonbildungen, auch in der Kunstgeschichte. Sie zitiert unter anderem aus dem neuen Spiegel, in dem sich Ulrike Knöfel an Balthus gekonnt abarbeitet, dessen Bildern ich sehr kritisch gegenüberstehe.

„Im aktuellen “Spiegel” nimmt sich Ulrike Knöfel den kunsthistorischen Kanon vor, das anlässlich der Ausstellung “Balthus” in der Baseler Fondation Beyeler. Balthus ist für seine erotischen Kinderbilder bekannt, junge Mädchen, sehr junge Mädchen, hat er sexuell anzüglich dargestellt, der Vorwurf der Pädophilie steht im Raum, Balthus selbst spricht von einer pornografischen Spannung. Knöfel stößt sich daran, dass Balthus im Katalog zur Ausstellung als einer “der letzten großen Meister der Kunst des 20. Jahrhunderts” bezeichnet wird. “Genau das aber”, schreibt sie, “dass Balthus ein überragender Künstler gewesen sei – ist nur eine pure Behauptung. (…) Am Beispiel dieses Malers ließe sich – eigentlich – wunderbar nachvollziehen, wie Bekanntheit bloß gemacht wird, wie Kunstgeschichte geschrieben wurde und wird, sie ergibt sich ja nicht wie von allein. Was abgelehnt wurde und was gefeiert wird, das lebt von Moden, Beziehungen, Vorurteilen, eben genauso von Behauptungen.”

Das Ergebnis, so Knöfel: “Aus ihnen wiederum ergibt sich ein sogenannter Kanon. Stellt jemand den Kanon jedoch nur vorsichtig infrage, wird er oder sie reflexhaft zum Gegner der Kunstfreiheit erklärt. Niemand also kritisiert die seit Jahrzehnten andauernde Überhöhung diese fast schon absurde Überschätzung eines vermeintlichen Genies. Denn das hieße, auch den Kanon, nein, die ganze Kunstgeschichte und ihre Mechanismen anzuzweifeln.”

33 Comics, die man gelesen haben sollte

Die Liste bzw. der Twitter-Thread stammt von Flix, und ich habe immerhin zwölf davon schon gelesen.

Tagebuch, Montag/Dienstag, 27./28. August 2018 – Orgazeug

Wer umzieht, muss organisieren. Genau das habe ich in den letzten Tagen gemacht: Umzugskartons online bestellt, Internet umgemeldet, Hausratsversicherung angepasst, Kaution für die neue Wohnung überwiesen, Dauerauftrag geändert, endgültige Wandfarben festgelegt, Einkaufsplan für Zeug erstellt, meinen Kalender mit Terminen vollgeballert, wann ich welches Möbelstück erstehe, liefern lasse, aufbauen muss, damit ich das kurze Zeitfenster von Kistenpacken/neue Wohnung einziehbereit machen/ausziehen/einziehen/alte Wohnung übergabefertig machen bestmöglich nutze, um so wenig wie möglich doppelte Miete zu zahlen. Das wird ein etwas hektisches Septemberende, vor allem, weil gerade eine Woche nach dem Umzug die Familie aus Niedersachsen für einen lang geplanten Besuch im Süden aufschlagen wird, und bis dahin sollte die Wohnung halbwegs vorzeigbar sein (und die alte leer und besenrein).

Warum ist dieser Mann kein Held?

Längeres und vielschichtes Porträt von Jana Hensel über Siegmund Jähn. Ich musste an einen meiner ersten Besuche in der damaligen DDR denken, als ich unsere Verwandten fragte, wer denn dieser Otto Grotewohl war, nach dem so viele Straßen benannt sind. Die DDR war ein fremdes Land für mich, und jetzt, nach den Ausschreitungen in Chemnitz, dachte ich zum ersten Mal, vielleicht ist es auch eins geblieben. Rostock etc. konnte ich noch irgendwie wegargumentieren – andere Erziehung, andere politische Sozialisierung, Aufwachsen in einer Diktatur (ja, das entschuldigt Nazi- und Arschlochsein natürlich nicht, ist mir auch klar) –, aber die Wiedervereinigung ist 30 Jahre her. Kommt mal klar. (Gilt auch für bayerische AfD-Wähler*innen.)

„Bis heute kennen den ersten Deutschen im Weltraum viele Westdeutsche nicht. Die Westdeutschen sind für die Ostdeutschen wichtig, ob das auch umgekehrt gilt, ist nicht so sicher. “Sigmund Jähn ist im Orkus der marginalisierten DDR-Geschichte verschwunden”, sagt der Soziologe und Elitenforscher Raj Kollmorgen. An Juri Gagarin, den ersten Menschen im All, erinnern sich im Westen viele. An Neil Armstrong, der als Erster auf dem Mond war, viel mehr. Umgekehrt aber gilt: Alle ehemaligen DDR-Bürger wissen, wer Sigmund Jähn ist. Wirklich alle.

Einen größeren Helden nämlich gab es in dem eingemauerten Land nicht. Auch weil er geschafft hatte, was vor ihm keinem Westdeutschen gelungen war. “Der erste Deutsche im All ein Bürger der DDR”, das titelte am Sonntag, den 27. August 1978, einen Tag nach seinem Flug, sogar das Neue Deutschland in einer Sonderausgabe. In großen roten Buchstaben, obwohl ein Wort wie Deutscher normalerweise auf dem Index stand. Die Bundesrepublik kam in DDR-Zeitungen nur als Abkürzung vor, die Deutschen hießen BRD-Bürger und DDR-Bürger. Aber am Tag nach Jähns Flug war das egal, der sozialistische Staat wollte Geschichte schreiben. Wahrscheinlich die größte Geschichte, die er je hatte.“

How to Get the Most Out of Art (Even When You’re Not Sure You Get It)

Der Artikel rennt die Türen ein, die wir mit unserem Podcast immer aufreißen: Geht einfach Kunst gucken. Nein, davon muss man keine Ahnung haben. Es erleichtert zwar einiges, aber gucken kann man auch so.

„Mr. Gray has a game he plays on museum tours called Buy, Steal, Burn. To play, choose a piece of art you feel strongly about — positive or negative — and tell your companion why you love it enough to buy it; want to steal it because you need it; or think it’s so terrible it just needs to be burned.

Besides getting people to talk about art, Mr. Gray said the real benefit of threatening priceless artwork with arson is getting viewers comfortable with the idea that it’s O.K. not to like or revere everything they see in a museum.

“The Met has over 230,000 objects,” Mr. Gray said. “You’d have to be crazy to find a single person who would love every object in there.”

He also suggested photo challenges as a way to build confidence and practice sharing art with friends. Don’t be afraid to keep themes light and a bit silly, and as you walk through the museum snap a picture of anything that reminds you of the prompt. If the challenge is “down to party,” it could be a painted jug of wine you’re planning to bring, a dreamy looking date or the perfect landscape for a dance party. If your dream get-together involves a bonfire, you can always choose which canvas you’d bring for kindling.“

Völlerei und Leberschmerz

Ein Podcast über gutes Essen und ebensolche Getränke muss ich natürlich hören. Die Testausgabe ist online und hat mir schon sehr gut gefallen. Die Gastgeber*innen sind Carmen Hillebrand, Lee Green (die Dame finde ich nicht, kleiner Hinweis für die nächste Ausgabe) und Thomas Knüwer.

Und darüber freue ich mich seit Sonntag.

Was schön war, Samstag/Sonntag, 25./26 August 2018 – Politische Goldene Hochzeit

Samstag früh um kurz vor acht trug ein schnuffiger IC F. und mich ins Schwäbische, wo mein Patenonkel und seine Frau ihre Goldene Hochzeit feierten. Normalerweise sitzen wir lesend oder dösend im Großraumwagen nebeneinander, wenn wir länger Zug fahren, aber hier gab es nur Abteile, wir hatten netterweise eins für uns, und so klönten wir entspannt bis Ulm. Das fehlende Dösen rächte sich ein bisschen in einem Nachmittagstief, aber das konnten wir mit Kaffee und frischer Luft bekämpfen.

Wir hatten in Ulm zwar bewusst eine gute halbe Stunde Aufenthalt zum Umsteigen gewählt anstatt der auch möglichen sieben Minuten, aber die Zeit reichte natürlich nicht, um kurz zum Münster rüberzuhüpfen. Ich bewunderte es beglückt aus der Ferne.

Am Zielort angekommen, wurden wir mit dem Auto abgeholt und zur ungefähr 800 Meter entfernten Kirche chauffiert, da hatte sich Frau Gröner in Maps arg bei der Entfernung verguckt. So waren wir etwas zu früh da, konnte dafür aber dem Posaunenensemble mehrfach dabei zuhören, ein Motiv aus einem der später zu singenden Lieder zu spielen. Überhaupt war es schön, mal wieder laut zu singen, vor allem „Bewahre uns Gott“, das mag ich sehr gerne. (Memo to me: endlich in München eine Gesangslehrerin suchen.)

Dann ging’s mit der ganzen Festgesellschaft in einen nahegelegenen Gasthof, wo die üblichen Familienfeierportionen auf uns warteten. Ich glaube allmählich, für derartige Feste trainiert man sich im Laufe seines Lebens einen eigenen Magen an. Wir hatten eine äußerst angenehme Tischgesellschaft, darunter auch den Sohn des Ehepaars und seine Frau, die schon bei der Goldenen Hochzeit meiner Eltern an meinem Tisch gesessen hatten. So konnten wir quasi nahtlos an unsere Gespräche über Kunst und Religion – die beiden sind Pastor*innen – anknüpfen.

Was mir an der Feier besonders gefallen hat, war das Rahmenprogramm, wenn man es so nennen kann. Das Ehepaar selbst hatte sich die üblichen Bilder ausgesucht, die nach dem Mittag und vor Kaffee und Kuchen gezeigt wurden – also im kleinen Zeitfenster von gefühlt 20 Minuten. Wir sahen Dias von der Hochzeit (Dias = gescannte Fotos über Beamer und Laptops der Söhne), einige Menschen wurden besonders erwähnt, weil sie nicht mehr am Leben waren und man an sie erinnern wollte. Und dann erwartete ich den üblichen Rückblick auf 50 Jahre Familienleben, aber: Die Söhne hatten sich etwas leicht anderes ausgedacht. Sie erinnerten daran, dass die Eltern ja ausgerechnet 1968 geheiratet hatten – ein Jahr, das für die Gesellschaft der Bundesrepublik eine gewisse historische Zäsur war. Praktischerweise waren viele der Gäste im Saal damals auch schon dabeigewesen, man habe also eine Menge Zeitzeugen versammelt, die der nachfolgenden Generation vielleicht etwas erzählen konnten. Und so starteten sie die Fragerunde gnadenlos mit einem Bild des Prager Frühlings und fragten ihre Eltern, wie sie die Ereignisse damals erlebt hätten. Was ich spannend fand – und womit ich ehrlich gesagt nicht gerechnet hatte: Nicht nur das Ehepaar erzählte kurz, sondern es schilderten auch sofort einige Gäste ihre Sicht. So meinte die Frau meines Patenonkels, dass sie die Ereignisse zwar mitbekommen hätte, aber keine Angst gehabt habe, woraufhin sich eine ältere Frau mit erkennbar sächsischem Akzent meldete, deren Freunde damals bei der NVA gewesen waren, um die hätte sie schon Angst gehabt. Ein Herr meinte, er wäre damals gerade frisch bei der Bundeswehr gewesen und auch dort sei diskutiert worden. Alleine für diese fünf Minuten hatte sich die ganze Feier gelohnt. (Ich erwischte mich wie in guten Vorlesungen dabei, mit offenem Mund zuzuhören.)

Es kamen natürlich auch entspannendere Fragen dran; wir hörten Heintje und sahen das Plakat von „Zur Sache, Schätzchen“, verbunden mit Fragen zu eigenen Lieblingssongs oder ob man gemeinsam im Kino war. War man interessanterweise eher selten, woraufhin ich meine Eltern, die auch da waren, gleich mal fragte, wie das bei ihnen war; ich wusste ja, dass Mama Autogramme der gesamten deutschen Filmbranche der 50er Jahre gesammelt hatte und dass Papa stapelweise Filmprogramme von Western im Keller hortete, aber auch die beiden waren kaum gemeinsam im Kino gewesen. Wieder was gelernt. Auch lustig: Bei der Frage, ob es die Hippiebewegung auch in die schwäbische Kleinstadt geschafft hätte, gingen die Meinungen sehr auseinander, von „Davon habe ich nichts mitbekommen“ bis zu einem verschmitzten „Aber hallo“.

Das Ehepaar ist bis heute ehrenamtlich sehr engagiert, was bereits damals begonnen hatte. So erzählte die Frau meines Patenonkels von der Umbenennung der männlichen und weiblichen Pfadfinderverbände bzw. der neuen Logoentwicklung. Kurz zuvor war aus dem Christlichen Verein junger Männer der Christliche Verein junger Menschen geworden. Bei den Pfadfindern wollte sie diese „Vereinnahmung“ der Frauen nicht einfach so hinnehmen und sie erklärte uns das Logo des 1973 entstandenen, gemeinsames Vereins : Die Lilie entstamme den christlichen Pfadfindern, das Kleeblatt drumrum den Pfadfinderinnen; beide bleiben sichtbar. Und ich saß wieder mit offenem Mund rum.

Ich fand es spannend, bei Menschen, die man seit fast 50 Jahren kennt, noch neue Facetten zu entdecken. Gerade meine „Tante“ hatte ich jetzt gar nicht als eine so dezidierte Streiterin für Frauenrechte wahrgenommen, obwohl mir die menschenfreundlichen und fortschrittlichen Ansichten der beiden natürlich klar gewesen war. Das war mit dem Effekt vergleichbar, wenn man alte Fotos der eigenen Eltern anschaut, die vor der Zeit entstanden sind, bevor man selbst auf der Welt war; es ist immer seltsam sich daran zu erinnern, dass die eigenen Eltern mal in dem Alter waren, in dem man selbst ist, mit ähnlichem Quatsch im Kopf, mit einem Lebensentwurf, mit Zielen und Plänen. Sie waren Einzelpersonen, bevor sie ein Paar und Eltern wurden, aber ich kenne sie halt nur im Doppelpack und vergesse manchmal, dass auch sie sich finden und zusammenraufen mussten.

Wir fuhren abends wieder nach München zurück, und nach dem langen Tag schlief ich recht schnell ein und erholte mich den Sonntag über alleine von den vielen Menschen am Samstag. Ich machte einen langen Spaziergang zu einer bewusst gewählten weiter entfernten Packstation und holte frischen Espresso ab, für den ich netterweise einen Gutschein geschenkt bekommen hatte. Dann schlief ich wie immer bei der Bundesliga auf dem Sofa ein, las ein bisschen die FAS, die ich gerade als vierwöchiges Geschenk der FAZ kriege, daddelte Candy Crush, plante im Kopf am Umzug weiter, bereitete mir abends herrliche Frühlingszwiebelpfannkuchen zu und schlief ebenso entspannt ein wie am Samstag.

Was schön war, Freitag, 24. August 2018 – Wuseln und Zen

Der Umzug wirft seine Schatten voraus. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, jeweils eine Wand in Schlaf- und Arbeitszimmer in der neuen Wohnung zu tapezieren, ich glaube, die Einrichtungsblogs nennen es „Signature Wall“, wenn eine Wand etwas hervorsticht. Dafür hatte ich auch schon Tapete ausgesucht, die nur leider irrwitzig teuer ist. Und mit irrwitzig meine ich irrwitzig. Aber so hübsch! Also jedenfalls die zwei, die ich haben will, ist klar. Ich verrate nicht welche, aber die Firma wäre die hier. Netterweise hat sie in München einen Showroom, den ich Freitagvormittag gut gelaunt betrat. Ich besorgte mir Muster, Farbvorschläge für die anderen Wände, fand alles toll, rechnete dann aber erstmals aus, was mich diese zwei Wände kosten würden, und nachdem ich schon im Schlafzimmer bei knapp 500 Euro war, dachte ich, ach nein, so Farbe an der Wand ist ja auch hübsch. Seufz.

Danach begab ich mich wieder in bezahlbare Gegenden und ließ mich mit S-Bahn und Bus zu Ikea chauffieren. Dort guckte ich nach Lampen, denn die in meiner jetzigen Wohnung reichen logischerweise nicht für fünf Räume, die ich unten bestücken muss, daher suchte ich nach Inspirationen. Ich wurde überraschend schnell fündig, gleich im ersten Raum des Ausstellungsparcours und konnte dann den restlichen Kilometer (behauptet die Health-App, die aber meiner Meinung nach arg großzügig Meter zählt) im Möbelhaus vergleichen. Ein weiteres Möbelstück, das ich kaufen muss, weil ich nun keine schöne Abstellkammer mehr habe, die mir als Kleiderschrank diente, wurde begutachtet und für hübsch befunden. Was ich als Garderobe nutzen werde, weiß ich noch nicht, auch die war bisher die Abstellkammer. Bleibt Baustelle. Ich verkniff mir außerdem jegliche Spontankäufe von Servietten und Kerzen (hat man ja nie genug, braucht man dauernd), weil ich wusste: Alles was ich jetzt kaufe, muss ich in vier Wochen schleppen. Ich ahne seit Freitag auch, dass ich jetzt ein paar Wochen lang meinen Vorratsschrank leerkochen werde.

Mit diesem Gedanken gönnte mir einen Besuch im Restaurant, wo ich vermutlich vor drei Jahren oder so das letzte Mal war. Die Schlange bei der Essensausgabe war quasi keine, aber dafür staute sich alles an zwei Kassen. Die Thekenkräfte verteilten Warmhaltehauben an die Wartenden, damit nicht alles kalt werden würde, was ich sehr aufmerksam fand. Trotzdem war ich etwas verstimmt: Der Kartoffelbrei zu den Köttbullar kommt nicht mehr per Kelle auf den Teller, sondern mit einer Art überdimensioniertem Portionierer, so dass man einen rundlichen Hügel vor sich hat, der irgendwie nach Ostblock-Kantine aussieht. Und die Preiselbeeren gibt’s aus einem Spender hinter den Kassen, so dass man mit einer traurigen gelbbraunen, halbfertigen Portion an der Kasse steht. Außerdem kam mir der Sitzbereich deutlich funktionaler und damit ungemütlicher vor als noch vor ein paar Jahren, aber das kann Einbildung gewesen sein. Und geschmeckt hat’s auch nur so halb. Hatten die Köttbullar nicht mal wenigstens die Andeutung von einer Konsistenz? Das war jetzt alles sehr astronautennahrungig.

Den Nachmittag am Schreibtisch verbracht und nebenbei Jamie Olivers Pizzateig hergestellt; das Rezepte-Wiki macht daraus vier Pizzen, Jamie acht. Ich halte mich an Jamies Mengen und mache meist Teig für zwei Pizzen, von dem ich die Hälfte einfriere. Wie immer klickte ich vor dem Teiganrühren Spotify an, denn ich stelle mir keinen Timer zum Kneten, sondern knete einfach drei Lieder lang, das passt immer irgendwie. Zum Gehen kam der Teig in eine leicht geölte Schüssel, Handtuch drauf, wieder Schreibtisch. Und nach einer Stunde sah das dann so aus:

Als ich das Handtuch von der Schüssel nahm, musste ich folgenden Satz denken (und twittern und instagrammen): Hefeteig ist mein Zen-Garten. Ich schrieb schon öfter darüber, wie sehr ich das Gefühl von Hefeteig unter den Finger mag, die Elastizität, diese seltsame Kühle, obwohl man ihn handwarm kriegt, die Oberflächenspannung, die Glätte, die Zartheit, obwohl man so robust mit ihm umgeht beim Kneten. Ein Wunderwerk, jedesmal. Und dann der Moment, bei dem man sich den aufgegangenen Teig anschaut. Ich kriege ihn selten so makellos hin wie hier, obwohl ich mir immer Mühe gebe, wenn ich die Teigkugel forme und den Ansatz schön nach unten in die Schüssel lege, damit die Oberfläche möglichst glatt aussieht, wenn ich die Abdeckung wegnehme. Aber der hier war wirklich mal hervorragend und es war ernsthaft so ein kleiner andächtiger Moment, als ich auf den Teig schaute und nur dachte, wie wunderschön er aussieht.

Und geschmeckt hat er auch. Ha! Nehmt das, olle Fleischklopse! (Wenn man ein mieses Essen mit einem hervorragenden ausgleicht, hat das auch keine Kalorien, glaube ich.)

Was schön war, Donnerstag, 23. August 2018 – Rührung

Als ich am Dienstag meinen Blogeintrag mit meinem Wohnungsglück veröffentlichte, meldeten sich sofort einige Leute, die Umzugshilfe anboten. Das rührte mich sehr, ich lehnte aber immer mit den Worten ab: „Das lasse ich Profis machen.“ Mit denen war ich nämlich äußerst entspannt von Hamburg nach München gezogen, und auch den zweiten Teil des Umzugs (restliche Kisten und Möbel zu meinen Eltern) hatten sie perfekt erledigt. Die verlinkte Firma hat übrigens auch gerade Kais Umzug durchgeführt, und der Herr, der vorher bei ihm vorbeischaute, um zu überprüfen, ob die Angaben zur Umzugsgutmenge auch halbwegs stimmten, konnte sich noch an meinen Umzug erinnern und ließ mich grüßen. Süß.

Am Mittwoch hatte ich mir einen Kostenvoranschlag von einer Münchner Firma geben lassen, die ebenfalls hervorragende Wertungen online hat und die mir empfohlen wurde. Ich war sehr erstaunt, dass dieser Umzug ein Stockwerk tiefer im gleichen Haus fast doppelt so teuer werden sollte als der von Hamburg nach München – abzüglich der Fahrtkosten natürlich, die damals den größten Posten ausgemacht hatten. Daher rang ich doch sehr mit der Beauftragung und dachte abends, ob ich vielleicht doch auf die freundlichen Angebote zurückkommen sollte. Packen wollte ich eh wieder selbst, aber schleppen will ich auf keinen Fall, auch nicht nur ein Stockwerk. Lampen, Kissen, meine Espressomaschine, das geht alles, aber 60 Kisten und die Möbel – nope. Also fragte ich kleinlaut F., der eh von Anfang an meinte, er hätte da schon drei, vier Leute, die er fragen könnte, denen er bei Umzügen geholfen habe. Die sagten auch sofort zu, zwei weitere, denen ich eigentlich abgesagt hatte, auch, und dann kam noch jemand um die Ecke, mit dem ich auch nicht gerechnet hatte. Eigentlich hatte ich mit gar keinen Angeboten gerechnet, denn wer bietet schon freiwillig Hilfe bei fieser Arbeit an? Ich war äußerst gerührt davon, dass Menschen, mit denen ich dreimal im Jahr in ein Fußballstadion gehe, von sich aus sagen, ja klar schleppe ich dir zwei Tonnen Zeug an meinem freien Tag. Menschen. Doch toll. (Ja, das gilt euch. Ich weiß, dass ihr mitlest. Ihr kriegt aber auch noch weinerliche Dankes-Mails – und den durchgetakteten Plan, zackzack! MIT GRUNDRISS UND ARBEITSANWEISUNGEN!)

Die Arbeit lief etwas besser als am Tag vorher. Nach dem späten Feierabend vorgestern begann mein Tag gestern früh, denn ich wollte bis 9 ein paar Dinge abgeliefert haben, weswegen ich ab 7 am Schreibtisch saß. Wer früher aufsteht, kriegt früher Kaffee! Wieder was gelernt.

Nachmittags besuchten mich meine Verwalter mit einer eventuellen Nachmieterin. Mir wurde nahegelegt, die Wohnung vorzeigbar zu gestalten, was sie natürlich immer ist (halbwegs). Durchgeputzt hatte ich allerdings nicht; bei 30 Grad geht meine Putzlust total gegen Null. Die junge Dame war interessiert, guckte aus meinen jeweiligen Fenstern, freute sich – wie ich mich damals – über ein verhältnismäßig riesiges Bad (in weiß, MISS YOU ALREADY) und die Abstellkammer, ich besprach noch Dinge mit den Verwaltern, dann gingen alle und ich begann meine Abendbrotvorbereitungen. Dabei entdeckte ich einen Faux-pas, bei dem ich nachträglich gerne die junge Dame gefragt hätte, ob er ihr aufgefallen war.

Mittags gab’s bei mir nämlich leckeres Rührei mit Tomaten und Champignons, und ich toastete mir zwei Scheiben Brot dazu. Für das Instagrambild legte ich aber nur eine Scheibe auf den Teller und ging nach dem Fotografieren in der Küche entspannt aufs Sofa. Ihr ahnt, was passiert ist: Bei der Besichtigung steckte noch eine Scheibe Toast im Toaster, und ich habe keine Ahnung, was das für einen Eindruck macht. Ist aber auch egal, ist nicht mein Problem. Die Scheibe esse ich gerade zum Frühstück, denn zum Abendbrot – asiatisch angehauchtes Rindfleisch – passte sie nicht so recht.

(Social Media wird uns alle ruinieren.)

Was den Blick verstellt

In der gestrigen FAZ stand ein interessanter Buchausschnitt aus Warum es kein islamisches Mittelalter gab: Das Erbe der Antike und der Orient von Thomas Bauer. Ich zitiere faul: „Halb Spätantike, halb Aufbruch: Wenn man die Geschichte Europas in einen weitgefassten Kulturraum einbetten will, der auch den Orient einschließt, sollte man sich vom Begriff des Mittelalters verabschieden. Ein Gastbeitrag.“

„Bleibt die Frage, wie die Epoche nach dem Ende der formativen Periode der ausgehenden Spätantike im elften Jahrhundert zu nennen ist. Dazu ist es aber nötig, zu fragen, wann wiederum diese Epoche zu Ende geht, eine Frage, die wesentlich schwerer zu beantworten ist, als es auf den ersten Blick aussieht.

Prinzipiell kommen zwei Antworten in Frage. Das erste mögliche Datum für eine Epochengrenze nach 1050 ist der Zeitraum um das Jahr 1500, mit dem man auch konventionell das „Mittelalter“ enden lässt. Tatsächlich gibt es eine Häufung wichtiger historischer Daten um diese Zeit. Um nur die bekanntesten zu nennen: 1453 erobern die Osmanen Konstantinopel, 1492 bricht Kolumbus zu seiner ersten Entdeckungsfahrt Richtung Amerika auf. Im selben Jahr fällt Granada, das letzte islamische Königreich auf der Iberischen Halbinsel. 1501 treten die Safawiden die Herrschaft über Iran an, wenig später entsteht östlich davon das Mogulreich. 1517 erobern die Osmanen das Mamlukenreich, im selben Jahr veröffentlicht Martin Luther seine 95 Thesen.

Allerdings gibt es auch Einwände gegen eine Epochenzäsur um 1500. Ein wichtiger Einspruch kommt von Jacques Le Goff, der in seinem Buch „Geschichte ohne Epochen“ etwa darauf hinweist, dass sich die Entdeckung Amerikas erst um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts wirklich spürbar in Europa bemerkbar machte. Le Goffs Einspruch gegen eine Epochengrenze um 1500 liegt auf der hier verfolgten Linie, nicht spektakuläre Ereignisse, die eine langfristige Entwicklung einleiten, zur Epochengrenze zu machen, sondern eine solche Grenze erst dann zu ziehen, wenn diese Auswirkungen allgemein geworden sind. So betrachtet lassen sich auch einige der übrigen genannten Ereignisse relativieren. Der Fall Granadas etwa ist nur der letzte Akt einer langen Entwicklung und überdies vor allem von regionalgeschichtlicher (wenngleich von hoher symbolischer) Bedeutung, das Oströmische Reich hatte ebenfalls lange zuvor seine alte Bedeutung eingebüßt, und Luthers Thesen – ein Einzelereignis im Laufe einer langen Reformationsgeschichte – entfalteten ihre Wirkung erst allmählich.

Andererseits machte sich die Eroberung Granadas für die jüdische und muslimische Bevölkerung der Iberischen Halbinsel, die zwangsbekehrt oder vertrieben wurde, doch sehr unmittelbar bemerkbar. Auch für die Bevölkerung Irans war der Herrschaftsantritt der Safawiden mehr als nur ein Dynastiewechsel, verfolgten diese doch, anders als ihre diversen sunnitischen oder schiitischen Vorgänger, eine offensiv proschiitische Religionspolitik. Kurz nach 1500 hatten sich drei Großreiche der islamischen Welt konsolidiert: das Mogulreich im Osten, das der Osmanen im Westen und dazwischen das der Safawiden. Dass sich diese Konstellation auch auf Alltag, Kunst und Kultur auswirkte, steht außer Zweifel. Ganz übergehen lässt sich die Zeit um 1500 also nicht, wenn man über Epochengrenzen nachdenkt.“

Tagebuch, Mittwoch, 22. August 2018 – Anstrengend

Ein in jeder Hinsicht herausfordernder Tag. Mehrere Jobs gleichzeitig auf dem Tisch, kenne ich ja, das scheint die Regel zu sein, wenn einer was will, wollen alle was, weswegen ich erst gegen 21 Uhr vom Schreibtisch wegkam, weil ich nicht mehr denken konnte. Zwischendurch mehrere Kontakte per Telefon oder Internet, von denen zwei mich etwas aufwühlten, was gestern echt nicht so richtig in meinen Arbeitstag passte, andere hingegen waren sehr nett, andere meh. Eine bunte Tüte, aber mein Problem war hauptsächlich, dass ich es nicht schaffte, mir irgendwann mal eine Denkpause zu gönnen, auch mittags nicht, wo ich ja gerne den Rechner zuklappe und Zeitung lese oder schnell was koche. Gestern konnte ich quasi erst nach der ganzen Arbeit und Aufregung ein bisschen Zeit für mich freischaufeln. So musste ich ein paar Bücher in der Unibibliothek abgeben und anstatt wie für den Hinweg den Bus zu nehmen (Bücherschleppen ist doof), ging ich den Rückweg zu Fuß. Auf mein Fahrrad hatte ich keine Lust, weil ich da hätte sitzen müssen und das hatte ich schon den ganzen Tag gemacht. Also gönnte ich mir einen kleinen Spaziergang, wenn schon sonst nichts ging. Weil der Tag so lang war, schafften F. und ich es auch nicht, uns zu sehen, was gestern ganz nett gewesen wäre nach dem durchwachsenen Tag. Und dann konnte ich natürlich vor lauter Zeug im Kopf nicht schlafen. Anstrengend, das alles.

Was schön war, Montag, 21. August 2018 – Der Schlüssel zum Luftschloss

Seit fast sechs Jahren wohne ich jetzt in München in meiner Einzimmerwohnung mit Wohnküche aka Wohnschlafzimmer plus Küche mit Arbeitsecke. Als ich hierherzog, sollte das nur eine Zweitwohnung sein; ich kaufte bei Ikea ein Bett, einen Sessel, ein Regal, einen Küchentisch, einen Bürocontainer und eine Art halbe Küchenzeile aus Edelstahl, um ein bisschen mehr Arbeitsfläche zu haben (die von Anfang an eher Abstellfläche wurde). Meine eigentlichen Habseligkeiten lagen schön in Hamburg in unserer Riesenwohnung.

Als Kai und ich uns 2015 trennten, wurde aus dem Zweitwohnsitz der einzige Wohnsitz, und ich musste meinen Krempel, der sich bequem in 120 qm Altbau breitgemacht hatte, auf 44 qm Neubau quetschen. Was natürlich nicht funktionierte; bis heute steht Zeug bei meinen Eltern und noch ein winziges bisschen bei Kai. In München wurde das Ikeabett auseinandergebaut und in den Keller gezerrt, damit mein Monstersofa (bestes Sofa ever, ich will nie wieder ein anderes) und eine Schlafcouch als Bettersatz Platz hatten. Das eine Regal wanderte in den kleinen Flur und wurde Abstellfläche, und im Wohnzimmer fanden stattdessen sechs Billys mit Aufsätzen ihre neue Heimat. Seitdem schaue ich verliebt auf diese Bücherwand, denn das war ein Punkt auf meiner Bucket List: irgendwann eine Wohnung zu haben, in der ich eine komplette Wand mit Büchern vollstelle, von Wand zu Wand, vom Boden bis zur Decke.

Auch deswegen mag ich meine kleine Wohnung; zudem hat man sie sehr schnell durchgeputzt, und ich verlege in ihr nie irgendwas, weil ich schlicht keinen Platz habe, um es zu verlegen. Aber so nach und nach gingen mir immer mehr Dinge auf den Zeiger. Solange ich ganz alleine hier war bzw. nur ab und zu mal der ehemalige Mitbewohner (auf dessen Sofa ich die ersten zwei Monate in München gewohnt hatte) auf ein Bier vorbeischaute, war der Tisch in der Küche immer ein Schreibtisch und halt ab und zu ein Esstisch. Ich esse seit Jahren am liebsten auf dem Sofa, den Teller irgendwie auf den Knien, außer wenn ich mir Spargel mache, den esse ich brav am Tisch. Aber das hat schon seinen Grund, warum ich gerne Dinge zubereite, die man in einen und aus einem tiefen Teller schaufeln kann. Neuerdings (jetzt auch schon drei Jahre, hui) habe ich aber nun F. an meiner Seite, der sehr gerne an meinem Tisch sitzt und sich bekochen lässt bzw. mit dem ich hier gerne eine Flasche Wein köpfe. Deswegen muss ich dauernd meine Bücher für die Uni oder meine Unterlagen für die Werbung oder meinen Steuerkram oder ähnliches wegräumen. Und weil ich keinen Platz habe, liegt das Zeug dann auf dem Drucker, der auf dem Bürocontainer steht, oder auf der Heizung, oder hinter mir in einem der zwei Bonde-Regale, die auch aus Hamburg hierhergewandert sind. Nie hat irgendwas, mit dem ich arbeite, einen festen Platz, und das nervt. Ich bin keine Strickmutti, die nebenbei was für Etsy bastelt, ich arbeite hier, wenn’s gut läuft, 40 Stunden die Woche wie an einem Agenturschreibtisch. Daher hätte ich gerne einen anständigen Arbeitsplatz, an dem alles da liegt, wo ich es haben will und wo sich Arbeit nach etwas Wertzuschätzendem anfühlt und nicht wie irgendwas, was ich halbherzig runterhusche, bevor ich den Tisch für Männe decke.

Dann: das Schlafsofa. Ich hasse es, das Ding aufzubauen, und nach fast 20 Jahren ist die Matratze auch echt nicht mehr die beste. Deswegen werfen wir immer zwei normale Matratzen oben drauf, die tagsüber hochkant hinter dem zusammengeklappten Schlafsofa an der Wand lehnen. Ich sehe das schon gar nicht mehr, aber es nervt trotzdem. Ich hätte gerne mal wieder ein Bett, in das ich abends einfach reinfallen kann anstatt es erst herstellen zu müssen.

Kurz: Ich quengele seit Monaten, dass ich wirklich gerne mal wieder ein Schlaf- und ein Arbeitszimmer hätte. Und weil meine Textertätigkeit in diesem Jahr richtig gut läuft, so als ob ich nie studiert hätte, begann ich vor einiger Zeit, spaßeshalber in den Immobilienportalen nach einer neuen Wohnung zu schauen. Das ließ ich aber meist sofort wieder bleiben. Wenn Sie mögen, können Sie ja mal nach drei Zimmern auf mindestens 60 qm in der Maxvorstadt schauen, dann wissen Sie, warum ich das wieder ließ. Da werden Summen abgerufen, die wirklich nicht mehr feierlich sind. Ich guckte also kurz, ließ es wieder, quengelte, guckte wieder, ließ es wieder, quengelte. Außerdem wollte ich nicht aus diesem Viertel raus, am liebsten wollte ich gar nicht aus diesem Haus raus, und einer meiner Standardsätze in den letzten Monaten zu F. war: „Wenn hier irgendwas im Haus frei wird, zieh ich da rein.“

Und so ging ich vor zwei Wochen auf meinen üblichen Samstagseinkauf und sah, dass direkt im Stockwerk unter mir jemand auszog. Ich wollte nicht so dreist in die Wohnung schauen und auch den armen schleppenden Kerlen nicht im Weg stehen, aber ich konnte mir natürlich ausrechnen, dass das mindestens zwei, vermutlich sogar drei Zimmer waren, die da schräg unter mir frei wurden.

Den Rest des Wochenendes schickte ich Stoßgebete zum Himmel, dass das bitte drei Zimmer sein mögen und rief montags um eine Minute nach neun Uhr den Verwalter an, dem man deutlich anhörte, dass er gerne erstmal reingekommen wäre und einen Kaffee getrunken hätte. Trotzdem beantwortete er mir brav meine hektischen Fragen: „Ja, die Wohnung ist frei, noch nicht wieder vermietet. … Drei Zimmer. … 82 Quadratmeter.“ Und dann kam die Miete, und wenn Sie brav in den Immoportalen geguckt haben, dann hätten Sie jetzt genauso nach Luft geschnappt wie ich, nämlich: SO WENIG? Also natürlich immer noch eine irrwitzig hohe Zahl, aber für diese Lage in München … geschenkt will ich nicht sagen, aber ich hatte mit 300 mehr gerechnet. Und so bat ich dringendst um einen Besichtigungstermin und stellte im Kopf schon die Möbel um.

Die Besichtigung war dann eine Woche später und ich war … ein winziges bisschen enttäuscht. Muss ich leider zugeben. Bis jetzt wusste ich bei jeder Wohnung, in die ich zur Besichtigung reinkam, sofort, ja, die isses oder nee, die isses nicht. Bei dieser sagte mein Bauch: Hase, ich weiß nicht so recht.

Das ließ ich mir natürlich nicht anmerken, fand alles pflichtschuldig toll und sagte, dass ich die Wohnung haben möchte, denn hey, drei Zimmer in meinem Haus und bezahlbar? Was ist daran nicht super?

Genau das wusste ich nicht. Ich wusste nicht, warum mein Kopf brav sagte, natürlich nimmst du die, bist du irre, die ist genau das, was du gesucht hast. Aber mein Bauch nöckelte rum und kam mit solchen Sachen wie „Aber die hat keine Abstellkammer, alle meine Wohnungen hatten Abstellkammern“ oder „Ach, Balkon brauch ich gar nicht so dringend, hatte ich noch nie, vermisse ich gar nicht“ oder „Meine geliebte Bücherregalwand – das Balkonzimmer ist so doof geschnitten, dass ich keine ganze Bücherwand mehr habe, und die liebe ich doch so“ oder „Das Bad hat so komische hellblaue Dekofliesen“ und wenn ich meinem Bauch nicht irgendwann gesagt hätte, er solle die Klappe halten, hätte er sich noch darüber beschwert, dass der Briefkasten nicht so schön hängt wie mein jetziger und der Kellerraum vermutlich weiter weg ist.

F. diskutierte mit mir alles brav aus und hatte hervorragende Gegenvorschläge, der gute Mann. „Da waren zwei Wandschränke und der eine ist auf jeden Fall tief genug für Staubsauger und Wäscheständer“ und „Aber auf dem Balkon kannst du endlich Kräuter züchten!“ und „Dann mach doch das Balkonzimmer zum Arbeitszimmer und das Zimmer nach vorne raus zur Bibliothek, dann hast du wieder die schöne Bücherwand“ und „Scheiß auf das Bad, echt jetzt mal, da ist man nicht lange genug drin, um sich über Dekofliesen aufzuregen“. Ich sollte erwähnen, dass ich in Hamburg einem Tischler 1400 Euro in die Hand gedrückt habe, damit er mir eine Badeinrichtung maßschneidert, weil ich die Ikea-Schränke nicht mehr sehen konnte.

Und so war der Bauch noch nicht überzeugt, und F. meinte schließlich, ich möge doch bitte die Hamburger Damen anrufen, vielleicht hätten die noch was Schlaues zu sagen. Das tat ich dann auch, und eine von beiden meinte, dass ich vielleicht deshalb mit dem Umzug hadere, weil ich gar nicht auf ihn vorbereitet war. Eigentlich hatte ich mich in meiner kleinen Quengelwohnung eingerichtet, weil es eben nicht anders geht. Und zudem lief seit Jahren endlich mal alles ruhig vor sich hin. Studium ist durch, Diss holpert zwar, läuft aber auch, Beziehung passt, Werbung passt, die wilden fünf Jahre sind rum. Endlich wieder langer ruhiger Fluss. Und dann kommt da auf einmal so ein Umzug!

Dann meinte sie noch etwas, bei dem mir erst in diesem Moment klar wurde, dass sie damit recht hatte: „Du trauerst immer noch den 120 qm in Hamburg hinterher, aber die wirst du in München nicht wiederfinden (und nicht bezahlen können). Und du kannst noch 50 andere Wohnungen angucken wie Kerle bei Tinder und immer wieder wegswipen, weil keine so ist wie die in Hamburg, aber die ist halt durch. Hör auf die neue Wohnung: „Ich bin nicht perfekt – aber ich bin da. Und du kannst entspannt in mich reinziehen und mich total hübsch machen.““

Das klang sehr schlau. Am nächsten Morgen rief ich wieder beim Verwalter an und erwartete, dass jetzt die übliche Leier käme von wegen „Wir haben noch andere Interessenten, wir gucken mal“, aber stattdessen kam: „Wir kennen uns ja schon gut. Dann kommen Sie doch nächste Woche rum, um den Mietvertrag zu unterschreiben.“ Und das war dann das. Auf Wiedersehen, Zweitwohnsitz, Studibutze und „Geht halt nicht anders“-Wohnung.

Passenderweise zog Kai ausgerechnet an diesem Tag auch endlich aus unserer ehemals gemeinsamen Wohnung aus. Er postete sie in leerem Zustand, ich verabschiedete mich ein weiteres Mal, und jetzt ist dieser Lebensabschnitt wirklich endgültig vorbei.

Seit letzter Woche fiepse ich panisch, dann freue ich mich, dann denke ich an den Kontostand – meine neue Miete ist mehr als doppelt so hoch als meine jetzige –, aber dann denke ich an ARBEITSZIMMER UND SCHLAFZIMMER UND BIBLIOTHEK UND WOHNKÜCHE SCHEISS AUF DAS BAD und freue mich endlich richtig. Gestern unterschrieb ich den Mietvertrag, worüber ich spontan gar nicht jubeln konnte, weil ich direkt danach noch einen Kundentermin hatte (yay, Geld für die neue Miete verdienen), aber abends köpfte ich dann alleine ein Fläschchen Le 7 und stieß auf mein Glück an. Das wird der kürzeste Umzug ever, und ich ignoriere einfach noch ein bisschen, dass ich hier mit 42 Bücherkisten angerückt kam, die jetzt alle wieder gepackt werden wollen.

Als ich vor knapp sechs Jahren in diese Wohnung zog, bestellte ich drei Zwölferkisten Le 7, meinen geliebten roten Blubberschaumwein. Gestern leerte ich die fünftletzte Flasche. Bis zum Umzug trinke ich noch drei, und mit der allerletzten taufe ich dann die neue Wohnung. Ich mag solche Abschlüsse gern.

Andererseits hätte ich in meiner neuen Küche endlich Platz für meine Weinregale, die noch im Keller stehen. Vielleicht trage ich auch noch drei Flaschen die eine Treppe runter.

Was schön war, Montag, 20. August 2018 – Kalte Füße

Ich krabbelte weiter aus dem Dissertationsloch, indem ich endlich mal wieder ins ZI ging. Bzw. fuhr, ich nahm die U-Bahn und nicht das Rad. So irrwitzig heiß ist es nicht mehr, ich trug aber weiterhin Sandalen statt meiner üblichen Sneaker. Das merkte ich vor allem daran, dass ich im herrlich klimatisierten Lesesaal ernsthaft kalte Füße bekam.

Ansonsten las ich viel über die Ausstellungspolitik der Bundesrepublik, gerade was NS-Kunst angeht, lungerte in den ersten kunsthistorischen Abhandlungen rum, die nach 1945 verfasst wurden, als man diese Kunst noch mit sehr spitzen Fingern, wenn überhaupt, angefasst hat. Das hat sich lustigerweise nicht großartig geändert, weswegen da eben immer noch viel zu forschen ist – das wollte einfach niemand machen. Je länger ich auf den Kram gucke, desto mehr weiß ich auch, warum. Wieder arge Grossberg-Vermissung, aber gleichzeitig eine totale Bockigkeit auf die Erben. Die hätten eine dermaßen wohlwollende Diss gekriegt von einem totalen Groupie, ABER NEIN. Mpf.

Am frühen Nachmittag begann mein Magen zu knurren, was immer das Zeichen für den Aufbruch ist. Beim Schließfachaufräumen begegnete ich einer ehemaligen Kommilitonin, die die interessante Angewohnheit hat, dir in zehn atemlosen Minuten zu erzählen, was sie gerade alles macht, um sich dann blitzschnell zu verabschieden, bevor du auch nur ein Wort dazwischenquetschen kannst. So weiß ich jetzt, dass auch sie ihren Master inzwischen in der Tasche hat, bei wem, über welches Thema, mit welcher Endnote (ich so innerlich: Ich war besser, Schätzelein, but nice try), was sie alles dafür gemacht hat, wie zufrieden ihr Prof war, dass sie sich aber trotzdem gegen eine Promotion entschieden habe (die Dame ist noch älter als ich), sondern stattdessen einfach mit dem nächsten Bachelor angefangen hat. Das fand ich dann doch ziemlich klasse. Es ist bei ihr Geschichte geworden, und sie stöhnte über die ungewohnte Quellenarbeit. Um die drückt sich die Kunstgeschichte ganz gerne, weswegen ich sehr dankbar über mein Nebenfach Geschichte war; ich sage immer gerne, dass ich das wissenschaftliche Arbeiten deutlich gründlicher im Geschichts- als im Kunstgeschichtsstudium gelernt habe.

Abschließend meinte sie noch, und auch das fand ich sehr lustig: „Nach dem MA-Abschluss bin ich erstmal zwei Monate durch Italien gefahren, um mir endlich alles anzugucken, worüber ich fünf Jahre lang geschrieben habe.“ Das erinnerte mich nämlich an einen meiner Dozenten, bei dem ich es leider nie in ein Seminar geschafft habe, sondern nur seine Vorlesungen genießen konnte. Bei seinem Steckenpferd, der altniederländischen Malerei, entschuldigte er sich bei einem Bild von ungefähr 800 im Semester auf der PowerPoint-Folie – über dieses Bild könne er nur das sagen, was er gelesen habe, das habe er selbst noch nie gesehen. Und ich kleines Drittsemester wurde sehr ehrfürchtig.

In diesem Zusammenhang lege ich vor allem den Berliner*innen mal wieder die Gemäldegalerie ans Herz: Die altniederländische Abteilung machte gefühlt ein Viertel unserer Bilder aus. Ihr habt da wirkliche Schätze an der Wand hängen.

Der Hunger nach dem ZI wurde mit Wokgemüse ohne Wok gestillt. Ich habe immer noch keinen, aber buntes Gemüse mit Nudeln und Sojasauce ist halt Wokgemüse.

Abends sah ich dann F. mal wieder, der den ganzen Sonntag unterwegs war, um dem FCA beim Siegen zugugucken (in der Nähe von Siegen, ba-dumm tss). Ich konnte auch endlich das, Achtung, neues Wort gelernt: match-worn Trikot bewundern, das Felix Götze ins Publikum geschmissen hatte und das sich F. sichern konnte. Dafür gibt er dem Überreicher erstens Bier für alle Heimspiele in dieser Saison aus und spendet zusätzlich noch ein bisschen an In Safe Hands, der Stiftung von Andreas Luthe.

Tagebuch, Sonntag, 19. August 2018 – Backtag

Vormittags weiter den Samstag erstandenen Spiegel gelesen; das ist gar nicht schlecht, das habe ich schon sehr lange nicht mehr gemacht. Ich erinnere mich noch an die Zeit, in der das Magazin Pflichtlektüre war. Den Jahrgang 1989 habe ich ewig aufgehoben, Wende und so, direkte Geschichte. Irgendwann fiel mir auf, dass ich da nie wieder reingucken werde und auch niemanden habe, an den ich den Papierberg vererben werde, also bat ich meinen Papa, den Kram vom Dachboden zu holen und wegzuwerfen. So wie ich ihn kenne, ist er immer noch da. „Vielleicht überlegst du dir das nochmal anders! Wir haben ja Platz.“

Spontan Lust gehabt, mal wieder Macarons zu backen. Laut meinem Blog habe ich das seit Dezember 2010 nicht mehr gemacht. Nachdem ich 20 Minuten Puderzucker und gemahlene Mandeln mühsam durch ein feines Sieb gestrichen hatte, wusste ich auch wieder, warum. Das Ergebnis war nur so halb zufriedenstellend: Die Macarons hatten keine Füßchen, waren viel zu groß (weil ich vergessen hatte, dass man nur winzige Kreise aufs Blech spritzen soll, weil sie irre auseinanderlaufen) und die Farbgebung durch rote Lebensmittelfarbe sorgte für die Optik „Leberwurst“ statt des geplanten „Roséchampagner“. Auch die Füllung aus Earl-Grey-Ganache war irgendwie bröselig statt feincremig. Aber geschmeckt haben sie prima.

Ein paar Folgen Jane the Virgin geguckt. Hm. Anfangs fand ich es reizvoll, die Idee einer Telenovela auf eine 45-minütige Serie anzuwenden, aber so richtig mag ich es nach drei, vier Folgen dann auch nicht mehr. Hm. Ich glaube, ich habe Netflix durchgespielt. Ich meine, ich habe Freitag allen Ernstes Pretty Woman angeklickt, weil ich IRGENDWAS gucken wollte.

Mich über den Erstrundensieg des FC Augsburg im DFB-Pokal gefreut. Und über viele begeisterte DMs von F., der dafür morgens um sieben losgefahren ist und nach Mitternacht wieder zuhause war. Aus mir wird vermutlich keine Auswärtsfahrerin mehr, viel zu anstrengend.

Abends Pizzabrot gebacken. Einen schönen Teig produziert, ihn liebevoll zu einem Fladen auseinandergezogen, wie immer das einmalige Gefühl genossen, elastischen, straffen, kühlweichen Hefeteig unter den Fingern zu haben – und dann die Köstlichkeit drei Minuten zu lange im Ofen gelassen. Das war alles knuspriger als ich es haben wollte. Aber ich stinke heute morgen noch nach Knoblauchbutter. War also ein halber Erfolg.

Tagebuch Freitag/Samstag, 17./18. August 2018 – Raus da

Freitag buddelte ich mich erfolgreich aus dem Dissertationsmotivationsloch heraus, indem ich mich brav an den Schreibtisch setzte und endlich mal die Bibliotheksbücher durcharbeitete, die hier seit Wochen liegen und die ich immer nur verlängere anstatt reinzugucken. Das tat gut, den Kopf wieder sinnvoll zu beschäftigen anstatt Herrn Grossberg nachzutrauern oder Netflix leerzugucken. Die Uni-Sommerferien sind anscheinend vorbei.

Abends wieder bei F. vom Balkon runtergeguckt. Mit einigen Dingen, die mich seit einer Woche stressen und dann freuen und dann wieder stressen und dann wieder freuen, meinen Frieden gemacht. Der Mann holte Pizza, und damit wird ja eh immer alles gut.

Der Samstagvormittag fühlte sich dann fast wie zusammenwohnen an, weil ich nicht nach Hause ging, um meinen Tag mit Kaffee und Lektüre zu beginnen, sondern stattdessen die Tram zum Stachus nahm, um dort mein derzeitiges Lieblingsbrot zu kaufen (zu heiß zum Selberbacken) und meine Drogen bei Starbucks zu holen, um dann weiter bei F. rumzulungern, weil der Mann gerade nicht allein sein wollte. War mir sehr recht.

Den neuen Spiegel nahm ich auch mit, weil ich ein Interview mit Okwui Enwezor darin entdeckte, dem gerade zurückgetretenen Direktor vom Haus der Kunst. Die Postwar-Ausstellung, die er mitkuratierte, gehört mit zum Besten, das ich je gesehen habe, und ich trauere dem Mann sehr hinterher. Auch auf diese Ausstellung nahm Enwezor Bezug, als er meinte:

„Enwezor: Das Haus der Kunst hat – und das schon seit Jahrzehnten – ein strukturelles Defizit. Das Geld reicht nicht, die Einrichtung ist chronisch unterfinanziert, es fehlen Mitarbeiter. Man wollte nicht viel investieren, aber eine große Wirkung erzielen. Das ist das eine.

Spiegel: Was ist das andere?

Enwezor: Womöglich passte unsere inhaltliche Ausrichtung nicht ins heutige politische Klima. Wir haben uns wirklich dem Dialog verpflichtet gefühlt, natürlich bedeutete das auch, dass wir nicht nur Blockbuster veranstaltet haben. „Postwar“, unsere Ausstellung zur Nachkriegszeit, hat neue Maßstäbe gesetzt.

Spiegel: Sie haben darin bekannte und weniger bekannte Künstler aus der gesamten Welt zusammengebracht und gezeigt, dass der kulturelle Fortschritt seit 1945 nicht nur im Westen stattgefunden hat. Das war eine weitreichende Neubewertung der jüngeren Kunstgeschichte, Sie erhielten international viel Lob. Aber der große Besucherandrang blieb aus.

Enwezor: Nicht alles lässt sich auf Erfolge an der Museumskasse reduzieren. Manchmal ist der Zugewinn, den eine Institution erhält, kein finanzieller. Wissen Sie, was erstaunlich ist?

Spiegel: Was?

Enwezor: Etliche unserer Ausstellungen sind, nachdem sie hier zu sehen waren, von anderen Museen übernommen worden. Unsere Ausstellung mit den Skulpturen von Louise Bourgeois [Fehlfarben-Podcast dazu] reiste nach Russland, Dänemark und Spanien. In Moskau und im dänischen Humlebaek kamen so um die 200.000 Besucher, in Bilbao sogar 600.000. In München, dem Ausgangsort, aber waren es weniger als 80.000 gewesen. Unsere Ausstellungen haben eine internationale Strahlkraft, nur warum sind sie woanders populärer als hier?

Spiegel: Ist München kein guter Ort mehr für die zeitgenössische Kunst? Auch in der Münchner Theaterszene haben es experimentierfreudige Leute schwer. Matthias Lilienthal, Intendant der Kammerspiele, verlässt die Stadt.

Enwezor: Die Leute behaupten oft, sie würden sich für zeitgenössische Kunst interessieren. Aber zeitgenössische Kunst ist etwas Toughes und Herausforderndes, nichts Eingängiges, und das gefällt nicht jedem. Hier wird immer noch über die wirklich großartige Ai-Weiwei-Ausstellung gesprochen, die 2009 im Haus der Kunst eröffnet wurde, also einige Jahre bevor ich kam. Aber wenn sie die Popularität in Besucherzahlen messen wollen, muss ich sie enttäuschen, es kamen nur 100.000 Leute.“

(Der Spiegel 34 (2018), S. 115/116.)

Ich habe schon länger keinen gedruckten Spiegel mehr in der Hand gehabt. Ganz schön dünn geworden, das Ding. Und keine wirklich langen Artikel mehr außer der Titelstory? Und neue Headline-Typo. UND FÜNF EURO ZEHN? Aber immerhin noch einen schönen Artikel über ein Buch über Wein und seine Bedeutung in der bundesrepublikanischen Politik gefunden. Über diesen Absatz musste ich sehr lachen:

„Beim allerersten Staatsbesuch der jungen Bundesrepublik war sie [die Qualität der angebotenen Weine] eher mäßig. Was Bundespräsident Theodor Heuss unter dem „Pathos der Nüchternheit“ verstand, erfuhr der Kaiser von Äthiopien, als er im November 1954 nach Bonn reiste. Wein aus guten Lagen, aber schlechten Jahrgängen, und ein Sekt, „Söhnlein Rheingold“, zu dessen Gunsten nur vorgebracht werden konnte, dass der Kaiser 1875 angeordnet hatte, alle Kriegsschiffe der Marine fortan damit zu taufen.“

(Der Spiegel 34 (2018), S. 30.)

Kalte Pizza ist das beste Frühstück, basta, keine Diskussion.

Nachmittags alleine DFB-Pokal geguckt, weil der Mann zum Grillen eingeladen war (ich auch, aber ich wollte nicht mit). Sehr belustigt dabei zugesehen, wie das kleine niedersächsische Drochtersen-Assel aus der vierten Liga den großen FC Bayern anstrengte, der nur so gerade mit 1:0 gewinnen konnte. In der Vorberichterstattung meinte der Kapitän der Truppe: „Ziel ist es, weniger Gegentore zu kriegen als der HSV.“ Das hat ziemlich gut geklappt.

Abends einen Riesenberg Caesar Salad vertilgt. Seit einiger Zeit hadere ich mit den Anchovis, die ins Dressing kommen. Ich esse die Viecher schon, aber ich arbeite extrem ungern mit ihnen. Das Ölig-Glitschige macht mir nichts aus, aber diese gefühlten Widerhaken, die mich pieksen, wenn ich sie zerschneide, finde ich sehr unangenehm, und ich denke dann zu lange über mein Essen nach, als dass es mir danach schmeckt. Also lasse ich sie neuerdings weg. Ja, dann fehlt diese herbsalzige Komponente, aber ganz ehrlich: knackiger Salat, frisch gehobelter Parmesan, heiße Knoblauchcroutons – da reicht auch ein Dressing aus Crème fraîche, Senf und Zitronensaft, das schmeckt auch so geil.

Im Bett bei ausgeschaltetem Licht auf dem Smartphone einen Artikel darüber gelesen, dass Lesen auf dem Smartphone bei ausgeschaltetem Licht eventuell ganz böse ist. (Gerade eben beim Linkgoogeln einen weiteren Artikel gefunden, der mich wieder beruhigt hat.)

Tagebuch, Donnerstag, 16. August 2018 – Innerer Jekyll und Hyde

Morgens einen Text abgegeben, mit dem ich eigentlich zufrieden war. Der Kontakt zum Kunden leider nicht so, ich korrigierte, hatte aber anscheinend einige Korrekturwünsche fehlinterpretiert, weswegen ich noch weitere Schleifen drehen musste. Erst um kurz vor 21 Uhr war Feierabend und ich ein bisschen konsterniert.

Generell den Tag über entweder traurig oder schlecht gelaunt gewesen. Diverse Entscheidungen angezweifelt. Oder wie es F. ausdrückte: „Du machst dir wieder selbst einen Knoten ins Hirn.“ Ja, das klingt nach mir.

In der Mittagspause bei 27 Grad ein paar Besorgungen gemacht. Bei diesen Temperaturen hätte ich im letzten Sommer alles online geordert und wäre nicht vor dem Ventilator weggegangen. Nach den vergangenen Wochen kamen mir die 27 Grad fast lauschig vor und ich stutzte über mich selber, als ich dachte, ach, das ist ja recht angenehm draußen. Hat die Hitze doch ihr Gutes gehabt: Sie hat meine derzeitige Temperaturtoleranzgrenze ein bisschen nach oben verschoben. Muss ich trotzdem nicht weiter haben. Bitte Wetter auf 20 Grad runterfahren, danke.

Den durchwachsenen Tag bei F. auf dem Balkon äußerst undurchwachsen ausklingen lassen. Das ist immer nett da, mit dem weiten Ausblick über Münchens Kirchtürme und meist einer schönen Flasche Wein auf dem Tisch. Der einzige Nachteil ist das benachbarte italienische Restaurant, von dem es stets herrlich hochduftet, weswegen ich immer zu viele Chips essen muss. Logisch.

Tagebuch, Mittwoch, 15. August 2018 – Kein Feiertag

Im Gegensatz zum Dienstag, wo ich was zu feiern hatte und wo dementsprechend persönlicher Feiertag war, war gestern offizieller Feiertag in den katholischen Gegenden in Bayern (also auch in München), aber ich saß am Schreibtisch und tippte für Geld, weil jemand im Norden auf meine Texte wartet anstatt frei zu haben. Also eher weniger Feier-, sondern ein normaler Arbeitstag. Auch gut.

In den letzten Jahren hat sich mein Portfolio etwas erweitert. Wo ich früher ziemlich ausschließlich für die Autoindustrie tätig war, habe ich heute vermehrt Kunden aus anderen Branchen. Das ist lustig, weil ich mich so dauernd mit Themen beschäftige, über die ich manchmal noch nie nachgedacht habe. Manchmal sind es netterweise auch Themen, über die ich dauernd nachdenke wie Kaffee oder Tee, und ich will so dringend einmal für Schokolade Werbung machen, aber das hat bisher noch nicht geklappt. Außerdem kommen neuerdings eher kleinere Firmen oder Auftraggeber auf mich zu, was mir auch sehr gut gefällt, weil die linke Hand meist weiß, was die rechte tut. Das ist bei riesigen Kunden manchmal eher nicht der Fall. Oder es gibt zu viele Menschen, die eine Meinung zum Text haben. Abstimmungen gehen schneller, weil eben nicht fünf Abteilungen drei Sätze abnicken müssen, Korrekturschleifen sind kleiner, der Job eher erledigt.

Was mir bei meinen geistigen Ausflügen in die Welt der Kommunalverwaltung, der Windenergie oder der Dachziegelproduktion aufgefallen ist: Auch hier lege ich gerne Wissensbröckchen an Wissensbröckchen. Das kannte ich etwas anders aus der Automobilbranche, wo mein neues Wissen (aus einem neuen Briefing) mein altes Wissen (die tausend Kataloge, die ich schon geschrieben hatte) ergänzte. Hier kommt bei jedem Job ein neuer Aspekt dazu, der aber, warum auch immer, meine geistige Landkarte von Deutschland und seiner Industrie, seinem Handwerk, seiner Firmenkultur in kleinen Schritten vervollständigt. Ich lerne viel über interne Abläufe, bekomme aber auch mit, wer eigentlich was so macht an unserem Industriestandort. Ich lerne Branchen kennen, von denen ich vorher noch nie gehört hatte, und manchmal ergeben sich Überschneidungen – in der Arbeitsweise, in der Auftragsvergabe, in der Zusammenarbeit mit anderen Branchen. Es fühlt sich alles praktischer an, obwohl ich genau das gleiche mache wie früher – ich sitze an meinem Schreibtisch und tippe, ich schreinere weder Küchenzeilen noch erschließe ich Neubaugebiete. Aber irgendwie fühlt es sich mehr nach sinnvoller Arbeit an als früher, weil ich über Produkte schreibe, deren Nutzen sich mir inzwischen besser erschließt als der Nutzen eines Autos, das dringend 250 fahren muss, drei Tonnen wiegt und so groß ist wie früher ein Kleinbus.

Ich ahne inzwischen auch, warum mir die Wissenschaft so viel Spaß gemacht hat: weil ich auch hier die innere Landkarte der Kunstgeschichte mit jedem Seminar vervollständige. Klar ist feministische Performancekunst der 1970er Jahre was anderes als altniederländische Malerei, aber beides bewegt sich in einem bestimmten Bezugsrahmen. Und je mehr ich über das eine weiß, desto mehr fällt mir auch beim anderen auf.

Weiterhin Dissertationsmotivationsloch. Verdammt.

Die innere Anspannung der letzten Woche fiel gestern völlig ab, ich war um 22 Uhr komplett bettschwer. Mein Kopf aber noch nicht, und auf einmal hinterfragte ich wieder alles. Erst gegen 2 (glaube ich) eingeschlafen.

Tagebuch, Dienstag, 14. August 2018 – Feiertag

Gleich am Morgen eine Nachricht bekommen, die meinen Bauch jubeln ließ, was mich sehr beruhigte, denn dem Kopf war das schon klar, aber der Bauch musste noch nachziehen. Das Luftschloss ist kein Luftschloss mehr, aber bis ich das nächste Woche schriftlich habe, halte ich noch meine Klappe.

Den ganzen Tag am Schreibtisch verbracht. In der Mittagspause die neue Folge von Better Call Saul geguckt. Das Vorstellungsgespräch im Kopierladen! So großartiges … ich wollte gerade „Fernsehen“ schreiben, aber das ist es ja gar nicht. Großartiger Streaming-Inhalt?

Die morgendliche Nachricht musste gebührend gefeiert werden. F. und ich gingen ins Walter & Benjamin, dessen Name der tollste Name für eine Weinbar überhaupt ist. Ich war bis jetzt zwei- oder dreimal da, aber so richtig, ganz, vollständig, total hatte mich der Laden nie überzeugt. Er war immer nett, aber eben nicht so nett, dass ich dringend wieder hinwollen würde. Gestern war aber alles richtig, ganz, vollständig, total in Ordnung. Wir saßen draußen, schauten im Gärtnerplatzviertel rum, ich freute mich über jede Tram, die vorbeifuhr, wir genossen vier Gänge, von denen zwei richtig toll, einer sehr gut und einer okay war, aber der okaye war nur deshalb okay, weil ich Kalbsnierchen nicht so richtig spannend finde. Dazu hatten wir drei Weißweine und zum Dessert einen blubberigen Lambrusco, den ich bisher nur aus der korbumwickelten Literflasche kannte. Der hier war fast ein Schaumwein und passte ganz hervorragend zum Nachtisch aus Kürbiskernbiskuit, -creme und halt Kürbiskernen plus einer Nocke Brombeereis. Das würde ich gerne nachbasteln, das war toll.

Wir saßen gut, unterhielten uns gut, das Essen war gut, die Temperaturen genau richtig, ich mochte den Anblick aus kleinen Holztischchen, vielen Gläsern, schönem Geschirr und steifen Servietten, die Gespräche von den Nachbartischen, die man nicht verstand, die aber eine schöne Atmosphäre zauberten, die Stadt machte Feierabend und wurde langsamer und ruhiger, und wenn der Typ nebenan nicht irgendwann einen Zigarillo entzündet hätte, wäre alles perfekt gewesen. Das hatte ich völlig verdrängt, dass man in Lokalen draußen noch rauchen darf. In meinem Kopf gehen Essen und Rauchen gar nicht mehr zusammen, obwohl ich immer noch, trotz inzwischen jahrelangem Nichtraucherdasein, manchmal beim abendlichen Espresso denke, ach, jetzt ne Kippe. Kaffee und Zigarette zusammen sind nämlich super.

Gemeinsam eingeschlafen. Ich freue mich darüber immer noch sehr. Jedesmal.

Tagebuch, Montag, 13. August 2018 – Ein Herz für Hamburch

Jetzt wo der Espresso langsam wird, verlassen mich meine Milchschäumfähigkeiten. Irgendwas ist ja immer.

Update zu einem Job gekriegt. „Hast du dafür in den nächsten Tagen Zeit?“

„Mittwoch ist eh Feiertag, da habe ich bergeweise Zeit.“

„Wasn fürn Feiertag?“

„Irgendwas bayerisches.“

„Hä? Wo bist du denn?“

„München.“

„Haha, ich dachte, du säßest in Hamburg.“

Luftschlossbesichtigung ging in die nächste Runde und schickte mein Gehirn auf viel zu viele Reisen auf einmal. Wie gut, dass es Freundinnen in Hamburg gibt, die Stichworte wie „Ich bin nicht super, aber ich bin okay“ und „Tinder“ in den Raum werfen, um das Gehirn wieder auf Spur zu kriegen. (Nein, das hat alles nichts mit den Herren der Schöpfung zu tun, aber das passte wirklich gut.) Also auf in die nächste Runde.

Aus mehlig kochenden Kartoffeln kann man keine guten Bratkartoffeln machen. Wer hätte es gedacht. (Wieder blind eingekauft.)

„Hier gilt: Jeder für sich, Scheiße für alle. Das hier ist der Dschungel.“

(Fiston Mwanza Mujila (Katharina Meyer/Lena Müller (Übers.): Tram 83, Wien 2016, S. 105 von 190, eBook.)