Was schön war, Montag, 21. August 2018 – Der Schlüssel zum Luftschloss

Seit fast sechs Jahren wohne ich jetzt in München in meiner Einzimmerwohnung mit Wohnküche aka Wohnschlafzimmer plus Küche mit Arbeitsecke. Als ich hierherzog, sollte das nur eine Zweitwohnung sein; ich kaufte bei Ikea ein Bett, einen Sessel, ein Regal, einen Küchentisch, einen Bürocontainer und eine Art halbe Küchenzeile aus Edelstahl, um ein bisschen mehr Arbeitsfläche zu haben (die von Anfang an eher Abstellfläche wurde). Meine eigentlichen Habseligkeiten lagen schön in Hamburg in unserer Riesenwohnung.

Als Kai und ich uns 2015 trennten, wurde aus dem Zweitwohnsitz der einzige Wohnsitz, und ich musste meinen Krempel, der sich bequem in 120 qm Altbau breitgemacht hatte, auf 44 qm Neubau quetschen. Was natürlich nicht funktionierte; bis heute steht Zeug bei meinen Eltern und noch ein winziges bisschen bei Kai. In München wurde das Ikeabett auseinandergebaut und in den Keller gezerrt, damit mein Monstersofa (bestes Sofa ever, ich will nie wieder ein anderes) und eine Schlafcouch als Bettersatz Platz hatten. Das eine Regal wanderte in den kleinen Flur und wurde Abstellfläche, und im Wohnzimmer fanden stattdessen sechs Billys mit Aufsätzen ihre neue Heimat. Seitdem schaue ich verliebt auf diese Bücherwand, denn das war ein Punkt auf meiner Bucket List: irgendwann eine Wohnung zu haben, in der ich eine komplette Wand mit Büchern vollstelle, von Wand zu Wand, vom Boden bis zur Decke.

Auch deswegen mag ich meine kleine Wohnung; zudem hat man sie sehr schnell durchgeputzt, und ich verlege in ihr nie irgendwas, weil ich schlicht keinen Platz habe, um es zu verlegen. Aber so nach und nach gingen mir immer mehr Dinge auf den Zeiger. Solange ich ganz alleine hier war bzw. nur ab und zu mal der ehemalige Mitbewohner (auf dessen Sofa ich die ersten zwei Monate in München gewohnt hatte) auf ein Bier vorbeischaute, war der Tisch in der Küche immer ein Schreibtisch und halt ab und zu ein Esstisch. Ich esse seit Jahren am liebsten auf dem Sofa, den Teller irgendwie auf den Knien, außer wenn ich mir Spargel mache, den esse ich brav am Tisch. Aber das hat schon seinen Grund, warum ich gerne Dinge zubereite, die man in einen und aus einem tiefen Teller schaufeln kann. Neuerdings (jetzt auch schon drei Jahre, hui) habe ich aber nun F. an meiner Seite, der sehr gerne an meinem Tisch sitzt und sich bekochen lässt bzw. mit dem ich hier gerne eine Flasche Wein köpfe. Deswegen muss ich dauernd meine Bücher für die Uni oder meine Unterlagen für die Werbung oder meinen Steuerkram oder ähnliches wegräumen. Und weil ich keinen Platz habe, liegt das Zeug dann auf dem Drucker, der auf dem Bürocontainer steht, oder auf der Heizung, oder hinter mir in einem der zwei Bonde-Regale, die auch aus Hamburg hierhergewandert sind. Nie hat irgendwas, mit dem ich arbeite, einen festen Platz, und das nervt. Ich bin keine Strickmutti, die nebenbei was für Etsy bastelt, ich arbeite hier, wenn’s gut läuft, 40 Stunden die Woche wie an einem Agenturschreibtisch. Daher hätte ich gerne einen anständigen Arbeitsplatz, an dem alles da liegt, wo ich es haben will und wo sich Arbeit nach etwas Wertzuschätzendem anfühlt und nicht wie irgendwas, was ich halbherzig runterhusche, bevor ich den Tisch für Männe decke.

Dann: das Schlafsofa. Ich hasse es, das Ding aufzubauen, und nach fast 20 Jahren ist die Matratze auch echt nicht mehr die beste. Deswegen werfen wir immer zwei normale Matratzen oben drauf, die tagsüber hochkant hinter dem zusammengeklappten Schlafsofa an der Wand lehnen. Ich sehe das schon gar nicht mehr, aber es nervt trotzdem. Ich hätte gerne mal wieder ein Bett, in das ich abends einfach reinfallen kann anstatt es erst herstellen zu müssen.

Kurz: Ich quengele seit Monaten, dass ich wirklich gerne mal wieder ein Schlaf- und ein Arbeitszimmer hätte. Und weil meine Textertätigkeit in diesem Jahr richtig gut läuft, so als ob ich nie studiert hätte, begann ich vor einiger Zeit, spaßeshalber in den Immobilienportalen nach einer neuen Wohnung zu schauen. Das ließ ich aber meist sofort wieder bleiben. Wenn Sie mögen, können Sie ja mal nach drei Zimmern auf mindestens 60 qm in der Maxvorstadt schauen, dann wissen Sie, warum ich das wieder ließ. Da werden Summen abgerufen, die wirklich nicht mehr feierlich sind. Ich guckte also kurz, ließ es wieder, quengelte, guckte wieder, ließ es wieder, quengelte. Außerdem wollte ich nicht aus diesem Viertel raus, am liebsten wollte ich gar nicht aus diesem Haus raus, und einer meiner Standardsätze in den letzten Monaten zu F. war: „Wenn hier irgendwas im Haus frei wird, zieh ich da rein.“

Und so ging ich vor zwei Wochen auf meinen üblichen Samstagseinkauf und sah, dass direkt im Stockwerk unter mir jemand auszog. Ich wollte nicht so dreist in die Wohnung schauen und auch den armen schleppenden Kerlen nicht im Weg stehen, aber ich konnte mir natürlich ausrechnen, dass das mindestens zwei, vermutlich sogar drei Zimmer waren, die da schräg unter mir frei wurden.

Den Rest des Wochenendes schickte ich Stoßgebete zum Himmel, dass das bitte drei Zimmer sein mögen und rief montags um eine Minute nach neun Uhr den Verwalter an, dem man deutlich anhörte, dass er gerne erstmal reingekommen wäre und einen Kaffee getrunken hätte. Trotzdem beantwortete er mir brav meine hektischen Fragen: „Ja, die Wohnung ist frei, noch nicht wieder vermietet. … Drei Zimmer. … 82 Quadratmeter.“ Und dann kam die Miete, und wenn Sie brav in den Immoportalen geguckt haben, dann hätten Sie jetzt genauso nach Luft geschnappt wie ich, nämlich: SO WENIG? Also natürlich immer noch eine irrwitzig hohe Zahl, aber für diese Lage in München … geschenkt will ich nicht sagen, aber ich hatte mit 300 mehr gerechnet. Und so bat ich dringendst um einen Besichtigungstermin und stellte im Kopf schon die Möbel um.

Die Besichtigung war dann eine Woche später und ich war … ein winziges bisschen enttäuscht. Muss ich leider zugeben. Bis jetzt wusste ich bei jeder Wohnung, in die ich zur Besichtigung reinkam, sofort, ja, die isses oder nee, die isses nicht. Bei dieser sagte mein Bauch: Hase, ich weiß nicht so recht.

Das ließ ich mir natürlich nicht anmerken, fand alles pflichtschuldig toll und sagte, dass ich die Wohnung haben möchte, denn hey, drei Zimmer in meinem Haus und bezahlbar? Was ist daran nicht super?

Genau das wusste ich nicht. Ich wusste nicht, warum mein Kopf brav sagte, natürlich nimmst du die, bist du irre, die ist genau das, was du gesucht hast. Aber mein Bauch nöckelte rum und kam mit solchen Sachen wie „Aber die hat keine Abstellkammer, alle meine Wohnungen hatten Abstellkammern“ oder „Ach, Balkon brauch ich gar nicht so dringend, hatte ich noch nie, vermisse ich gar nicht“ oder „Meine geliebte Bücherregalwand – das Balkonzimmer ist so doof geschnitten, dass ich keine ganze Bücherwand mehr habe, und die liebe ich doch so“ oder „Das Bad hat so komische hellblaue Dekofliesen“ und wenn ich meinem Bauch nicht irgendwann gesagt hätte, er solle die Klappe halten, hätte er sich noch darüber beschwert, dass der Briefkasten nicht so schön hängt wie mein jetziger und der Kellerraum vermutlich weiter weg ist.

F. diskutierte mit mir alles brav aus und hatte hervorragende Gegenvorschläge, der gute Mann. „Da waren zwei Wandschränke und der eine ist auf jeden Fall tief genug für Staubsauger und Wäscheständer“ und „Aber auf dem Balkon kannst du endlich Kräuter züchten!“ und „Dann mach doch das Balkonzimmer zum Arbeitszimmer und das Zimmer nach vorne raus zur Bibliothek, dann hast du wieder die schöne Bücherwand“ und „Scheiß auf das Bad, echt jetzt mal, da ist man nicht lange genug drin, um sich über Dekofliesen aufzuregen“. Ich sollte erwähnen, dass ich in Hamburg einem Tischler 1400 Euro in die Hand gedrückt habe, damit er mir eine Badeinrichtung maßschneidert, weil ich die Ikea-Schränke nicht mehr sehen konnte.

Und so war der Bauch noch nicht überzeugt, und F. meinte schließlich, ich möge doch bitte die Hamburger Damen anrufen, vielleicht hätten die noch was Schlaues zu sagen. Das tat ich dann auch, und eine von beiden meinte, dass ich vielleicht deshalb mit dem Umzug hadere, weil ich gar nicht auf ihn vorbereitet war. Eigentlich hatte ich mich in meiner kleinen Quengelwohnung eingerichtet, weil es eben nicht anders geht. Und zudem lief seit Jahren endlich mal alles ruhig vor sich hin. Studium ist durch, Diss holpert zwar, läuft aber auch, Beziehung passt, Werbung passt, die wilden fünf Jahre sind rum. Endlich wieder langer ruhiger Fluss. Und dann kommt da auf einmal so ein Umzug!

Dann meinte sie noch etwas, bei dem mir erst in diesem Moment klar wurde, dass sie damit recht hatte: „Du trauerst immer noch den 120 qm in Hamburg hinterher, aber die wirst du in München nicht wiederfinden (und nicht bezahlen können). Und du kannst noch 50 andere Wohnungen angucken wie Kerle bei Tinder und immer wieder wegswipen, weil keine so ist wie die in Hamburg, aber die ist halt durch. Hör auf die neue Wohnung: „Ich bin nicht perfekt – aber ich bin da. Und du kannst entspannt in mich reinziehen und mich total hübsch machen.““

Das klang sehr schlau. Am nächsten Morgen rief ich wieder beim Verwalter an und erwartete, dass jetzt die übliche Leier käme von wegen „Wir haben noch andere Interessenten, wir gucken mal“, aber stattdessen kam: „Wir kennen uns ja schon gut. Dann kommen Sie doch nächste Woche rum, um den Mietvertrag zu unterschreiben.“ Und das war dann das. Auf Wiedersehen, Zweitwohnsitz, Studibutze und „Geht halt nicht anders“-Wohnung.

Passenderweise zog Kai ausgerechnet an diesem Tag auch endlich aus unserer ehemals gemeinsamen Wohnung aus. Er postete sie in leerem Zustand, ich verabschiedete mich ein weiteres Mal, und jetzt ist dieser Lebensabschnitt wirklich endgültig vorbei.

Seit letzter Woche fiepse ich panisch, dann freue ich mich, dann denke ich an den Kontostand – meine neue Miete ist mehr als doppelt so hoch als meine jetzige –, aber dann denke ich an ARBEITSZIMMER UND SCHLAFZIMMER UND BIBLIOTHEK UND WOHNKÜCHE SCHEISS AUF DAS BAD und freue mich endlich richtig. Gestern unterschrieb ich den Mietvertrag, worüber ich spontan gar nicht jubeln konnte, weil ich direkt danach noch einen Kundentermin hatte (yay, Geld für die neue Miete verdienen), aber abends köpfte ich dann alleine ein Fläschchen Le 7 und stieß auf mein Glück an. Das wird der kürzeste Umzug ever, und ich ignoriere einfach noch ein bisschen, dass ich hier mit 42 Bücherkisten angerückt kam, die jetzt alle wieder gepackt werden wollen.

Als ich vor knapp sechs Jahren in diese Wohnung zog, bestellte ich drei Zwölferkisten Le 7, meinen geliebten roten Blubberschaumwein. Gestern leerte ich die fünftletzte Flasche. Bis zum Umzug trinke ich noch drei, und mit der allerletzten taufe ich dann die neue Wohnung. Ich mag solche Abschlüsse gern.

Andererseits hätte ich in meiner neuen Küche endlich Platz für meine Weinregale, die noch im Keller stehen. Vielleicht trage ich auch noch drei Flaschen die eine Treppe runter.