Sonntag, 11. Februar 2024 – Jüd*innen und Anti-Antisemit*innen

Beim letztjährigen Lesen des empfehlenswerten Buchs Jerusalem on the Amstel merkte ich peinlich berührt schon Wissenslücken, aber spätestens bei der Fortbildung zur Provenienzforschung fiel es mir erneut auf: Ich weiß zu wenig über alltägliches jüdisches Leben. (Und erspare mir hier jetzt jeden Hinweis, woran das in Deutschland wohl liegen könnte.) Zur Abhilfe erwarb ich ein Buch von Marina Weisband und Eliyah Havemann, das ich gestern zu lesen begann: Frag uns doch! Eine Jüdin und ein Jude erzählen aus ihrem Leben, das aus einem Tweet von Weisband entstand, aus dem eigentlich nur ein YouTube-Video von wenigen Minuten werden sollte, aber aus dem das Buch wurde.

Alleine für diese Sätze von Weisband aus dem Vorwort hat es sich schon gelohnt:

„Es ergab sich die Notwendigkeit, zumindest eine zweite Stimme in den Antworten zu haben, die ganz anders ist als meine. Das hätte zudem den Vorteil, die Hälfte der Schuld abwälzen zu können. Zu meinem Glück erbot sich Eliyah Havemann, den ich bis dahin nur ab und an auf Twitter gesprochen hatte, mir zu helfen. Wirklich kennengelernt haben wir uns also erst über die Arbeit an den Videos und an diesem Buch. Eliyah brachte sehr viel Expertise gerade in den Fragen der Religion und Halacha sowie in nicht aschkenasischen Strömungen des Judentums ein. (Wenn ihr diesen Satz nicht versteht, das ist okay. Dafür ist dieses Buch da.)“

Was die aschkenasischen Strömungen sind, wusste ich netterweise aus Amstel, aber schon bei Halacha hätte ich googeln müssen, weil ich mir nicht sicher war. Insofern: schon jetzt eine sinnvolle Anschaffung.

Der Lokalkrimi, den ich gestern erwähnte, konnte mich doch nicht überzeugen: Nach 50 Seiten fand ich es noch charmant, nach 100 nur noch nervig. Weggelegt. Mir egal, wer der Mörder ist.

Abends hatte ich den anmaßendsten First-World-Problem-Satz ever im Kopf: „Jetzt muss ich wegen dieser doofen Faschos vom Sofa runter, wo’s doch gerade so gemütlich ist.“ Aber was sein muss, muss sein, weswegen ich ab 17.30 Uhr mit F. und seinen Wacken-erprobten Camping-Lämpchen auf der Theresienwiese im Lichtermeer stand, um der AfD und anderen rechtsextremistischen Gruppierungen zu zeigen, dass wir mehr sind (SZ-Link ohne Paywall).

Viel mehr, wie sich netterweise auch in Dresden zeigte , wo sich 5000 Antifaschist*innen 1000 Rechtsextremen gegenübersahen. Auch darauf wies die Moderatorin der Kundgebung, Düzen Tekkal, hin: Wieviel mehr Mut es kostet, im Osten von Deutschland aufzustehen. Großer Applaus.

Der Abend begann musikalisch mit Enno Bunger, den ich noch nicht kannte, dessen zwei Protestsongs mir aber gut gefielen. Vor dem dritten Lied meinte Bunger, dass er eigentlich noch ein weiteres Lied aus diesem Spektrum geplant hätte, aber: „Das sieht so schön aus von hier oben, ich singe jetzt ein Liebeslied. Eigentlich hätte ich [Titel nicht gemerkt] geplant, aber das könnt ihr euch ja auf Spotify anhören.“

Ich hatte in der Dunkelheit und auf der riesigen Theresienwiese nicht schätzen können, wie viele Teilnehmer*innen es waren. Die SZ schreibt von 100.000, der BR hat Bilder. Danke, München.

Als ich wieder zuhause war, schaute ich in meine Timelines und stellte fest, dass anscheinend meine komplette Münchner Insta-Timeline auf der Demo gewesen war und Fotos gepostet hatte. Ich ja auch, wenn auch nur in der Story. Hier meine zwei Bilder von gestern. Das erleuchtete ist natürlich die Bavaria, vor der sich auch viele Lämpchen bewegten. Das sah sehr schön aus.

(Ja, ich muss mich endlich um größere Bilder im Blog kümmern.)

Samstag, 10. Februar 2024 – Mehl und Mord

Um 5 Uhr wachgeworden, what the hell, dann aber die Zeit entspannt am Handy verbracht, damit bekommt man ja durchaus einige Stündchen rum. Als es hell wurde, vom Bett an den Schreibtisch gewechselt, vor mich hingearbeitet, Dinge gelesen, Bücher bestellt, was ich halt so am Schreibtisch mache. Irgendwann das vorgestrige Rezept aus den Meal Plans nochmal zubereitet, weil es so hervorragend war und ich noch eine Avocado wegkriegen musste. Augsburg gegen Leipzig gesehen, dann Leverkusen gegen Bayern, mich dabei erwischt, Leverkusen die Daumen zu drücken. In der Halbzeitpause flugs die besten Schokomuffins der Welt angerührt, die so zart sind, dass sie fast zerkrümeln, und so bitter, dass sie dringend die Erdnussbuttercreme oben drauf brauchen. Für die hatte ich allerdings nur stückige Erdnussbutter statt feine, war mir aber egal war, bis ich versuchte, die Buttercreme durch die Spritztülle zu bekommen. Da klemmte nach drei Muffins leider etwas, weswegen ich die Spritztüte aufschnitt und die restlichen Muffins mit dem Löffel verzierte. Oder klumpig bestrich, ähem. Schmeckten aber natürlich hervorragend. Mit Buch aus der Stadtbibliothek ins Bett, ich lese gerade einen Lokalkrimi, spontan aus dem Regal gezogen, ich kannte die Autorin nicht, damit ich das auch mal gemacht habe. Bisher durchaus unterhaltsam.

Freitag, 9. Februar 2024 – Bonjour et bonne nuit

Duolingo hat ja die fiese Angewohnheit, dich dauernd an deinen heiligen Streak zu erinnern, den du bitte bloß nicht reißen lassen solltest, sonst Dürre, Komplikationen im Raum-Zeit-Kontinuum und Mundgeruch. Daher mache ich manchmal pflichtschuldig eine winzige Übung, nur um überhaupt etwas zu machen und dementsprechend brav einen weiteren Tag in der Statistik abzuhaken.

In den letzten Tagen hat mich die App beim Hebräischlernen allerdings doch mehr genervt als motiviert, ich schob die Übung bis abends im Bett vor mir her – und dort fiel mir ein, hey, du hattest dich doch 2015 oder so eigentlich mal für Französisch dort angemeldet. Kann ich die Sprache, die ich lerne, zwischendurch wechseln? Todesmutig auf die Trikolore geklickt – und seitdem rausche ich durch die kompletten Anfängerübungen en français, die ich quasi im Schlaf kann, was sich daher auch nicht ganz wie Schummeln anfühlt, sondern wie eine Bestätigung, dass doch ein bisschen was hängengeblieben ist von zwei oder drei Jahren Schulfranzösisch, einem VHS-Kurs und den zwei Semestern an der Uni in München. Na gut, wir sind noch auf dem Level „Guten Tag, Herr Dubois“ und „Gute Nacht, Sophie“ sowie „Die Mädchen essen einen roten Apfel“. Aber das ist trotzdem nett, diese Sätze auf Französisch in mein Handy zu radebrechen.

Jetzt muss ich nur noch die Motivation wiederfinden, wieder auf den Davidstern zu klicken, um dann wieder drei Minuten zu brauchen, um ein Wort zu entziffern, dessen Übersetzung ich mal wieder vergessen habe.

Donnerstag, 8. Februar 2024 – Punkt und Komma

Fast den ganzen Tag die Fahnen für meinen Aufsatz korrigiert, der im Sammelband zur Bayerlein-Konferenz erscheinen wird, die schon im Oktober 2022 stattgefunden hatte. Das musste ich als totalen Gegensatz zur Werbung lernen: Die Wissenschaft hat gerne mal Gletschertempo. Also genau das richtige für mich ungeduldiges Hibbelbienchen.

Ich korrigierte freudig dutzende von Kommata zu Punkten um, weil der Style Guide nur so halbherzig verfolgt wurde bzw. sich nach der ersten Korrekturschleife irgendwie änderte; daher baute ich selber viele Fehler ein, die auch das Lektorat nicht alle fand, aber jetzt müsste alles hübsch sein. Hoffe ich. Der Band wird Open Access erscheinen, ich werde hier bei Erscheinen groß dafür trommeln.

Das ist jetzt der dritte Aufsatz oder längere Beitrag, den ich zu Protzen geschrieben habe, und jedesmal habe ich mir einen anderen Aufhänger gesucht; das wäre ja langweilig, einfach nur Teile der Diss abzuschreiben bzw. zu kürzen. Im Text für den Katalog zu „Kunst und Leben 1918 bis 1955“ ging es um eine superknappe Darstellung und warum man sich heute noch für den Maler interessieren sollte. Für die „Bayerische Staatszeitung“ wollte ich einen knackigen Reinkommer haben, wie in der Werbung: Grab them und lass sie nicht wieder los. Daher entschied ich mich dort für die Besichtigungsbusfahrt für Künstler*innen, die mit Ingenieuren und Konstrukteuren Baustellen anschauten, um sie abzumalen. Das dürfte nicht jeder*m bekannt sein.

Für den Sammelband der Bayerlein-Konferenz war die finanzielle und künstlerische Situation Protzens vor 1933 mein Einstieg, die nicht gerade rosig war: kaum Verdienste, kaum gute Kritiken, kaum überregionale Bekanntheit. Das änderte sich spätestens 1934, als er erste staatliche Aufräge bekam, 1936 war er Juror in „Die Straßen Adolf Hitlers in der Kunst“ und konnte seine sieben eingereichten Werke auch, Zauberei, sowohl in München als auch in Berlin und Breslau ausstellen und teilweise verkaufen. Ab 1937 reichte die Malerei als Lebensgrundlage, was ich für nicht unwichtig halte. Spätestens hier hätte der Herr sich auf Blumenstillleben zurückziehen können, aber er malte weiter Autobahnen, weil die halt ordentlich Geld brachten.

Mein Beitrag endet unter anderem mit einem Brief aus dem Nachlass, den ich in der Diss nur sehr en passant erwähne, weil mir gar nicht klar war, mit wem Protzen korrespondierte; das fiel mir erst ewig später auf, dass Herr Lorenz schon während der NS-Zeit ein Ansprechpartner für die Maler*innen war, denen er deutlich nahelegte, sich Mühe zu geben für „die Straßen des Führers“. Daher schließe ich mit der ersten Verkehrsausstellung nach dem Krieg in München, nämlich der Deutschen Verkehrsausstellung München 1953, wo, schon wieder Zauberei, sehr ähnliche Fotografien wie schon 1934 gezeigt wurden von sehr ähnlichen Streckenabschnitten. Diese Ausstellung hatte ich nicht in der Diss, dafür habe ich nochmal im Stadt- und Staatsarchiv gewühlt.

Mittwoch, 7. Februar 2024 – Sekt und Wein

Wir hatten etwas zu feiern, weswegen wir es uns im Broeding gut gehen ließen. Unter anderen mit einem Winzersekt, der ganz nah am Champagner ist, und einem Syrah, den ich nie bestellt hätte, weil Syrah gerne wie Marmelade schmeckt. Der hier nicht; danke für den Tipp. Sehr zufrieden nach Hause getramt.

Dienstag, 6. Februar 2024 – Hach und Herrgottnochmal

ZI-Tag. Ich beteiligte mich brav an der hauseigenen Umfrage zur Bibliothek, bescheinigte, dass ich alles supi fände und konnte mich gerade noch zusammenreißen, im letzten Kommentarfeld („Möchten Sie uns noch etwas mitteilen?“) eine Replik zu formulieren, in der die Worte „geistige Gesundheit“, „lebensverändernd“ und „Bällebad“ vorkamen.

Außerdem fand ich in einem Buch über das Haus der (Deutschen) Kunst noch eine kleine, für mich neue Information, die mich sehr beglückte, vor allem weil ich dachte, mir kann keiner mehr was über dieses Haus erzählen. Dann fiel mir aber ein, dass ich bisher meist bei der hauseigenen Chronologie so Anfang Mai 1945 aufgehört hatte zu lesen. Jetzt interessiert mich aber gerade die Zeit bis 1960 und da ist noch genug Neues für mich auszubuddeln. Im Bällebad, dem schönen.

Wo wir gerade bei Kunst sind: Vom Insta-Account des Lenbachhauses erfuhr ich von einer Pressemitteilung, die vorgestern online ging. Es geht um dieses Werk von August Macke, dessen Titel in der Ausstellung zum Blauen Reiter so geschrieben wird: „Reitende I******* beim Zelt“.

Auszug aus der Pressemitteilung:

„In einigen Medien wurde die Behauptung aufgestellt, das wissenschaftliche Team des Lenbachhauses habe den Bildtitel eines Gemäldes von August Macke “zensiert”.

Dieser Behauptung möchten wir hiermit widersprechen.

Als öffentliches Museum sind wir verpflichtet, den Blauen Reiter und sein Werk im historischen Kontext kritisch zu reflektieren. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts erfordert eine Beschäftigung mit historischen Quellen, deren Äußerungen in Sprache und Bild mitunter herabwürdigende oder sogar rassistische Elemente enthalten können.

Daher gilt es einerseits, die Quellen ungeschönt und kritisch darzustellen, und anderseits, ein möglichst respektvolles Miteinander in unserer Gegenwart sicherzustellen. Diese Abwägung treffen wir täglich und für jeden Einzelfall aufs Neue. Dies gebietet uns die Verantwortung einer der reflektierten Geschichtswissenschaft verpflichteten Institution, die in ihrer Arbeit dem internationalen wissenschaftlichen Standard folgt.

Selbstverständlich verändern wir in keiner Weise die historischen Quellen, die uns überantwortet wurden. Für das in Rede stehende Gemälde ist kein Titel von August Macke überliefert; der seit langem verwendete Titel stammt von Bernhard Köhler, Mentor und Sammler August Mackes. Er besaß das Werk einst und vermerkte den Titel auf der Rückseite der Leinwand.“

Ich hatte nicht mal mitbekommen, dass „einige Medien“ sich über ein Schild aufregen, das seit Mitte 2021 so am Werk zu sehen ist. Also googelte ich brav und fand: Es waren der Focus, die Bild und die Junge Freiheit. Eigentlich könnte man das ganze damit schon zu den Akten legen, weil who the fuck cares, aber natürlich ist es richtig, mal kurz die Einstellung des Hauses darzulegen, damit sich alle (Nervensägen) wieder beruhigen. Vor allem alle, die anscheinend den Rest des Schilds am Werk in der Ausstellung nicht gelesen habe, denn dort steht schon in Kurzfassung das, was da oben erwähnt wird. Herrgottnochmal.

Ich habe mir den Focus-Artikel angeschaut, auf die anderen Websites klicke ich aus Gründen der geistigen Hygiene nicht, und dort kommt ein wackerer Kämpfer der CSU zu Wort:

„CSU/Freie Wähler-Fraktionschef Manuel Pretzl fordert, dass man den historischen Titel wieder auf die Infotafel schreibt. „Jeder soll reden, wie er möchte. Ich bin aber dagegen, historische Werke dem jeweiligen Zeitgeist anzupassen. In das Werk eines bedeutenden Künstlers einzugreifen, der sich nicht mehr wehren kann, grenzt an Zensur“, so Pretzl.“

Okay, Hase: Zensur – it doesn’t mean what you think it means. Zensur wäre, wenn das Haus das Bild im Depot vergammeln ließe, es niemand zu Gesicht bekäme oder wir nicht darüber reden, schreiben oder bloggen geschweige denn den Titel des Werks anrühren dürften. Außerdem: Wenn du Historisches nicht anrühren möchtest, weil die Erschaffenden sich nicht mehr wehren können, müsste man auch die Alte Pinakothek rückbauen zum Ruinenhaufen von 1944, denn da wurde auch total eigenmächtig nicht mehr haargenau so wie bei Leo von Klenze wiederaufgebaut, sondern zeitgemäß geändert. Wenn wir schon bei dämlichen Argumenten sind.

Jeder*m, der*die sich mit Kunst und Werktiteln befasst, ist bei der wissenschaftlichen Arbeit schon aufgefallen, dass diese sich gerne ändern. Ja, auch wegen des jeweiligen Zeitgeistes, wer hätte es gedacht, den gibt es nämlich nicht erst seit vorgestern. Namen ändern sich, Schreibweisen, Ortsbezeichnungen (deutsche Ostgebiete) oder auch gerne mal der komplette Titel. Während meiner Diss hat mich das besonders genervt, als ich versucht habe, die Titel aus Protzens Werkverzeichnis in den Ausstellungskatalogen oder Presseberichten der Zeit wiederzufinden. Gerade die Presse neigte – zumindest in den 30er Jahren der Münchner Zeitungen – gerne dazu, Titel zu ändern in Beschreibungen, die ihnen gerade besser gefielen. Auch die Künstler*innen selbst ändern gerne Titel, warum auch nicht. Auch hier wieder die 30er Jahre: Da kam gerne mal zum Wort „Landschaft“ das Adjektiv „deutsch“ dazu, was nach 1945 wieder verschwand wie von Zauberhand. Mein liebstes Beispiel, wieder von Protzen: Im Werkverzeichnis heißt ein Gemälde „Tölz“, im Ausstellungskatalog „SS-Junkerschule Tölz“.

Kunst ist in seiner Funktion als gesellschaftspolitischer Akteur ebenso Zeitströmungen unterworfen wie alles andere. Dinge ändern sich und das ist okay so. Wenn du unbedingt rassistische Stereotype verwenden willst, dann darfst du das sogar, daran hindert dich niemand, wir haben nämlich keine Zensur. Und wenn du nochmal in die Pressemitteilung schauen willst: Es ist nicht mal ein Titel vom Künstler überliefert. Theoretisch könnten wir das Ding auch einfach „Bild“ nennen und es wäre okay. Könntest du dich jetzt bitte wieder mit wichtigen Dingen beschäftigen? Zum Beispiel, dass in München circa 150.000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um auch gegen Rassismus aufzustehen? Ja? Danke.

(Again: Herrgottnochmal.)

Montag, 5. Februar 2024 – Hin und her

Im Hausflur hing der übliche Aushang zum jährlichen Rückschnitt des Blauregens, der im Hof nicht nur eine Pergola überdacht, wo die Leute ohne Balkon im Sommer schön schattig sitzen können, sondern der auch an den Balkonen der einen Hausseite inzwischen bis in den fünften Stock gewachsen ist. Im Sommer klettert er gerne in den Vorraum zum Fahrstuhl, weil dann die Fenster immer gekippt sind, wo ihn der Hausmeister persönlich beschneidet; ich freue mich immer über das Extragrün, so lange es da ist. Außerdem sehe ich die riesige Pflanze nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern auch aus dem Küchenfenster, wo sie zusätzlich ein bisschen Sichtschutz zum Nachbarbalkon bietet.

Daher machte ich mir keinen Kopf, als gestern zwei Menschlein in einem Krankörbchen vor eben diesem Küchenfenster auftauchten, während ich gerade den morgendlichen Espresso zubereitete. Ich erschrak aber schnell: Die schnitten nicht zurück, die schnitten ab! Alles! Ich wimmerte ein bisschen vor mich hin, überzeugte mich dann aber selbst, dass das vermutlich nicht so super für den Außenfahrstuhl ist, wenn er irgendwann zuwuchert. Oder sowas in der Richtung, ich hab doch keine Ahnung.

Aber dann sah ich ein Stündchen später von der Schreibtischarbeit auf und erblickte die fleißigen Schnitter nun an der anderen Balkonseite, dort wo ich – ernsthaft! – gerade morgens noch ein Eichhörnchen vom vierten in den dritten Stock hatte klettern sehen, wo es kurz die Balkonkästen besuchte und dann wieder zur Erde huschte. Das Eichhörnchen hat damit dem riesigen Blauregen einen Abschiedsbesuch gemacht, denn auch diese Seite des Balkonsbewuchses wurde nicht zurückgeschnitten, sondern komplett entfernt.

Das erschütterte mich mehr als ich dachte; ich war innerlich ja nur auf den gewohnten Beschnitt vorbereitet, sah aber nun einen Berg an Ästen und Zweigen im Hof liegen, wusste, dass kein Fitzelchen Grün mehr auf der Hausseite zu sehen sein wurde und war darüber wirklich sehr traurig.

Ich musste vor die Tür, um ein Päckchen Lieblingsmüsli aus der Packstation zu holen und schaute nochmal auf den Aushang: Ja, da stand „Entfernung“ und nicht „Beschnitt“, ich hatte nicht gut genug gelesen. Fuck!

Als ich nach Hause kam, hörte ich schon die Kettensäge, die ich den ganzen Nachmittag über hören sollte, denn auch die überwachsene Pergola ist nun nackt und bloß. Die komplette Pflanze ist weg und wurde zu Kleinholz verarbeitet. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht mehr gesund war oder es verdammt gute Gründe für die Entfernung gab – wovon ich ausgehe, ich halte große Stücke auf die Hausverwaltung und die Vermieter hier. Aber es sieht nun doch etwas grauer aus als vorher. Ich bin weiterhin traurig. Und googele nach Dingen wie Buchsbäumchen für den Balkon oder irgendwas anderes Immergrünes.

Der Tag war aber nicht komplett doof, denn ich schaffte am Schreibtisch schön was weg. Und ich konnte mal wieder einer wildfremden Frau ein Kompliment machen, was ich gerne tue, denn das macht die Welt besser. Die Dame kam mir auf dem Rückweg von der Packstation entgegen, sie trug einen orangefarbenen Blazer zu einer violetten Handtasche sowie einen grüngelben Schal zur bunten Hose. Das sah so klasse, fröhlich und zugleich stilvoll aus, dass ich ihr das sagte: „Tolle Farbkombination!“ „Oh, danke, freut mich, dass es Ihnen gefällt. Ich dachte, es ist ja fast Frühling.“ „Ja, das macht total gute Laune.“ „Danke! Schönen Tag noch!“

F., den ich natürlich den ganzen Tag über mit entsetzten DMs zum Pflanzenstand belästigte, schickte mir abends kommentarlos dieses Bild. Ich fühle mich verstanden.

Sonntag, 4. Februar 2024 – Wohnen und Essen

24 Minuten Radiobeitrag vom BR, unter anderem über die Mustersiedlung Ramersdorf:

Wohnsiedlungen der NS-Zeit: Völkisches Wohnen

Wir erinnern uns: In Ramersdort hatte Protzen mehrere Wandfresken erstellt, und ich war im Zuge der Diss 2019 dort einfach mal zu Fuß unterwegs, um zu schauen, ob sie noch existieren. Leider erfolglos. Aber ich bekam im November 2022 noch Post, weil jemand meinen Blogeintrag gelesen hatte und weiß jetzt: Ich hätte nichts gefunden, die Fresken sind schon lange übermalt.

Die beiden Wissenschaftlerinnen Ulrike Haerendel und Ursula Henn, die ich in der Diss zitiere, kommen auch im Radiobeitrag zu Wort. Das war ganz lustig, Jahre nach dem Tippen mal die Stimmen zu den Worten zu hören.

Kontrastprogramm:

Ein Leben im Tag von … Katharina Seiser

Ich schätze die Kochbücher von Seiser sehr, bisher habe ich noch kein Rezept aus ihnen vergeigt oder kam mit den Anweisungen nicht klar. Netterweise habe ich sie auch schon mehrfach in Wien getroffen, was immer eine Freude war. Und dass sie, ebenso wie ich, wenn auch auf einem ganz anderen Gebiet, gerne recherchiert, war daher fast klar.

„Bis zum Mittagessen arbeite ich meistens an Texten oder Büchern. Das bedeutet für mich vor allem Recherchieren. Check, Re-Check und Double-Check gilt auch bei Kochbüchern. Ich versuche auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu sein und lese mich manchmal stundenlang in Dinge wie die Beschaffenheit von japanischen ­Teekannen ein, obwohl ich eigentlich nur einen Text über Tee schreiben wollte. Als Konsequenz schreibe ich, so sagt man mir nach, die mitunter ­bestrecherchierten Kochbücher des Landes – ich würde sogar so weit gehen und sagen: Recherche ist meine ­Lieblingsspeise.“

Samstag, 3. Februar 2024 – Erinnern und gedenken

F. und ich besuchten eine Veranstaltung der Kurt-Landauer-Stiftung und lernten so auch mal den Freizeittreff Freimann kennen. „Stellt ihr eure Flaschen bitte wieder nach hinten, wir müssen um 12.30 Uhr hier raus sein, dann kommt eine Hochzeit.“ Nice.

Das Podiumsgespräch fand zum Erinnerungstag 2024 statt. Die Stiftung hatte Ronny Blaschke als Moderator eingeladen, was eine sehr gute Idee war. Manche Podiumsgespräche scheinen mir nach dem Motto „Wir laden spannende Menschen ein und gucken mal, was passiert“ entwickelt worden zu sein, was durchaus interessant sein kann, aber ein gut geführtes Gespräch war dem Thema Gedenken und Erinnerung angemessener.

Zuerst kam Andreas Wittner, langjähriger Mitarbeiter beim FC-Bayern-Museum, zu Wort, der sich um die Biografien von Spielern und Mitgliedern des FCB kümmert, die während der NS-Zeit ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. Diese Tätigkeit mündete in das Gedenkbuch, das bei der Stiftung auf der Website abrufbar ist. Seit dem 8. November 2023 werden am jeweiligen Geburtstag der Ehemaligen ihre Lebensläufe auf der Website, auf Instagram und auf Facebook vorgestellt, mal länger, mal kürzer, je nachdem, wie groß der Wissensstand gerade ist.

Um diesen zu erhöhen, arbeiten Wittner und die Stiftung mit dem Stadtarchiv zusammen sowie dem Kulturreferat. Daniel Baumann, Leiter des Stadtarchivs, erwähnte das Gedenkbuch verfolgter Münchner Juden und Jüdinnen, das seit 20 Jahren existiert und heute – natürlich – als Datenbank online verfügbar ist. Auch dort fand Wittner Informationen zu einigen Bayern-Spielern oder Mitgliedern. Maximilian Strnad vom Kulturreferat führte das Gespräch dann vom Gedenken und Erinnern ins heutige München: Was machen wir aus diesem Vermächtnis? Was macht der Verein aus seiner Geschichte?

Benny Folkmann, Geschäftsführer beim FCB und im Vorstand der Deutschen Sportjugend, berichtete unter anderem von Anti-Rassismus-Trainings, die für die Mitarbeitenden des Vereins durchgeführt wurden, auch zum Beispiel für die Menschen in den Shops oder die Jugendspieler. Bei den Lizenzspielern schien das Training nicht verpflichtend zu sein, „das sind erwachsene Männer“. Natürlich kam der Fall Mazraoui zur Sprache, und das Podium und das Publikum waren sich nicht ganz einig, ob die Reaktion des Vereins die richtige war.

Folkmann erwähnte auch, und das war für mich einer der wichtigsten Punkte gestern, dass Sport eben nicht in einer Blase existiert, gerade Fußball nicht als Massensport und Aktivität, die jedes Wochenende hunderttausende bewegt. „Dass Sport nicht politisch ist, ist Bullshit.“ Sport bzw. Fußball seien nicht parteipolitisch, aber auf jeden Fall gesellschaftspolitisch. Auch meine Meinung: Wie sich Sportler*innen und Vereine verhalten und positionieren, kann durchaus Einfluss auf die Gesellschaft haben – die sich ja schon im Stadion befindet. Darauf wies auch Patrick (Nachname vergessen) von der Kurt-Landauer-Stiftung hin: „Die Gesellschaft steht in der Kurve.“ Auch das wird meiner Meinung nach gerne unterschätzt: dass dort eben nicht nur 16-jährige Jungs stehen. Oder 40-jährige Familienväter. Oder 60-jährige Frauen, die ihren Kerl begleiten. Oder nur Heterosexuelle oder nur Weiße oder nur nicht-behinderte Menschen. Die Gesellschaft steht in der Kurve, und jedes Plakat, das die Spieler hochhalten, jede Choreo und jede Gedenkminute vor den Spielen kann Signalwirkung haben, weil sie Menschen erreichen, die vielleicht sonst nur die Bildzeitung lesen oder mit Geschichte nichts am Hut haben.

Folkmann erwähnte auch, dass es nach der Rede von Uli Hoeneß bei der Abschiedsfeier für Franz Beckenbauer, bei der er die AfD deutlich verurteilt hatte, mehrere Vereinsaustritte gab. „Die bekommen von uns noch einen Brief, dass wir es gut finden, dass sie nicht mehr bei uns sind.“ Auch so kann man sich positionieren. Und man kann von Hoeneß halten, was man will, aber bei einer Gedenkfeier, die auch im Fernsehen übertragen wurde und damit nicht nur den Stadionbesuchern vorbehalten war, sich so deutlich auszudrücken, ist genau das richtige Zeichen.

Auf der Bühne war auch Alvaro von Lill-Rastern, Sportdirektor bei Maccabi München, der nach dem 7. Oktober ein so deutliches Zeichen vermisste. Dass sich direkt am 8. Oktober 500 Menschen am Odeonsplatz versammelt hatten, hätte gut getan, aber das waren eben nicht die Massen, die jetzt gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Was er natürlich sehr begrüßte. Lill-Rastern wurde gefragt, ob er noch mit seinem Maccabi-Schal unterwegs wäre, was er bejahte; er meinte aber auch, dass man früher nach Spielen oder dem Training, deutlich als Maccabi-Mitglied erkennbar, durch die Stadt gegangen wäre; das würden einige im Verein gerade nicht tun. Der Polizeischutz bei Spielen sei erhöht worden, denn, und das hatte ich zum Beispiel gar nicht auf dem Schirm, auch die Gegner würden gerade aufwendiger beschützt. Ein Irrsinn.

Lill-Rastern machte aber sehr deutlich, dass auch die Terroranschläge vom 7. Oktober nicht dazu führen sollten, neue Gräben aufzureißen. Muslimische Mitmenschen seien ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt, genau wie Antisemitismus sei das falsch. Wir sollten uns hüten, alle und alles über einen Kamm zu scheren, nicht alle Muslime seien antisemitisch. Natürlich nicht. Aber gut, dass es nochmal erwähnt wurde.

Wie es überhaupt gut war, Dinge zu hören, die ich wusste. Aber ähnlich wie bei der großen Demo in München hat es sich gut angefühlt, nicht allein zu sein. Darauf wies auch Strnad noch einmal hin, als es um den Ausblick ging. Gedenken und Erinnern reiche nicht, wichtig sei das gemeinsame Zusammenleben. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben und wie gestalten wir sie aktiv mit? Auch ihm habe das Demonstrieren wieder Mut gemacht und verdeutlicht, dass die AfD nicht unvermeidbar ist. Genauso mutlos habe ich mich in den letzten Monaten oft gefühlt und mich gefragt, wie man den Weg zu seiner friedvollen, gleichberechtigten, antirassistischen Gesellschaft gemeinsam hinbekommt. Ich nehme an, das Stichwort ist „gemeinsam“. Auch um mir das noch einmal zu vergegenwärtigen, hat sich der gestrige Vormittag gelohnt.

Freitag, 2. Februar 2024 – Zimt und Zucker

Fertig-Chapati mit Butter in der Pfanne anzubraten, ja klar, aber sie dann mit Zimt und Zucker zu bestreuen, ist vermutlich nicht ganz das, was Indien sich vorgestellt hatte. Aber wenn man aus Gründen selbst fürs Milchreiskochen oder Pfannkuchenbacken zu ungeduldig ist und echt dringend was Süßes braucht, ist das ziemlich super.

Donnerstag, 1. Februar 2024 – Albertinum und Alte Meister

Ich saß gestern im ZI und befasste mich mit der Nachkriegszeit in den unterschiedlichen Besatzungszonen. Dabei stieß ich – natürlich – auf Hans Grundigs „Den Opfern des Faschismus“, das ich schon in meiner Masterarbeit von 2017 abgebildet, aber bis vor wenigen Monaten noch nie im Original gesehen hatte. Außerdem posteten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens vor wenigen Tagen auf Instagram einen Kanoldt und gestern oder vorgestern das Schokoladenmädchen, weswegen ich jetzt einfach ein paar Bilder nachreiche, die ich schon im November fotografiert hatte, die aber wegen meiner Blogpause nur in den Insta-Storys zu sehen waren.

Denn im November war ich für Teil 3 meiner vierteiligen Provenienzforschungsfortbildung in Dresden. Ich reiste einen Tag vorher an, um noch in Ruhe ein paar Bilder anschauen zu können. Ich startete im Albertinum, wo ich einen neuen Digitaldruck eines alten, wichtigen Werks von Gerhard Richter sah.

Gerhard Richter: „Tante Marianne (Fotofassung zu 87“, 1965/2018, Digitaldruck auf Alu-Dibond, 100 x 115 cm

In der Sammlung ist auch noch das ebenfalls wichtige „Onkel Rudi“ als Fotofassung. Guter Text zum Werk, by the way. Geht doch. Man kann also auch über Kunst nicht-schwafelig schreiben.

Doris Ziegler: „Esse II“, 1980, Öl auf Hartfaser.

Mit Stadtansichten und allem, was nach Neuer Sachlichkeit aussieht, kriegt man mich ja immer. Das Bild ist nicht in der Online-Collection, aber über Doris Ziegler stolperte ich gestern im ZI auch, wo ich ein Werk von ihr aus der Zeitschrift „Bildende Kunst“ abfotografierte, nur so. (Erwähnte ich jemals, wie sehr ich die Zeitschriften im ZI liebe? Nee, bestimmt noch nie.) Auf der Website von Ziegler ist „Esse II“ abgebildet, leider nicht „Eva“.

Doris Ziegler: „Bildnis Eva (aus der Bildnisfolge ‚Brigade Rosa Luxemburg‘“, 1975, Öl, 125 x 80 cm

Werner Tübke: „Gruppenbild (Zimmerbrigade Schirmer)“, 1971/72, Tempera auf Spanplatte, 148 x 148 cm.

Ich mochte an dem Werk den Rückbezug auf die Alten Meister. Der klassisch-symmetrische Bildaufbau, die in der Bewegung verharrenden Figuren, die kein Abbild sind, sondern Ideen von handwerkenden Menschen, der Faltenwurf des weißen Halstuchs, die Konzentration auf die mittlere Figur, die aus dem Bild schaut, seine Handgeste … wenn die Herren in Roben gewandet gewesen wären und im Hintergrund der Ölberg, hätte es auch gepasst.

Hans Grundig: „Den Opfern des Faschismus“, um 1947, Öl auf Hartfaserplatte, 110 x 200,3 cm

Das Werk existiert noch in einer zweiten Fassung, die sich, soweit ich weiß, im Leipziger Museum der bildenden Künste befindet. Vor dem Werk habe ich recht lange gestanden, ich hatte vergessen, wie groß es ist. Ich muss dazu nichts sagen. Auch hier: guter Text.

Totales Kontrastprogramm, einen Raum weiter:

Kurt Dornis: „Zweite Schicht“, 1986, Mischtechnik auf Möbelspanplatte, 82 x 101 cm

Hier musste ich sofort an meinen ewig langen Blogeintrag zur Frankfurter Küche denken, denn darin steht auch etwas zu Küchen in den Plattenbauten der DDR und Durchreichen. Außerdem fand ich den Bildtitel sehr gut.

Alexander Kanoldt: „Stilleben II“, 1926, Öl auf Leinwand, 105 x 65 cm

Und dann war ich endlich in der Neuen Sachlichkeit angekommen und in dem Raum, für den ich überhaupt ins Albertinum wollte. In diesem hängen nämlich zwei riesige Triptychen, einmal Otto Dix („Der Krieg“) und auf der Rückseite erneut Hans Grundig („Das Tausendjährige Reich“). Beide habe ich nicht fotografiert, aber alleine dafür lohnt sich die Reise nach Dresden. Man ist danach nicht sehr gut gelaunt, aber das kenne ich ja aus der Zeit meines Forschungsfelds. Beide Werke überwältigen zunächst durch ihre schiere Größe, aber die Details machen einen dann endgültig fertig. Ganz supi.

Nebenbei besitzt das Albertinum von Dix noch „Verwundeter (Herbst 1916, Bapaume)“, das man nicht mehr vergessen kann, wenn man es einmal gesehen hat.

Nach den Triptychen habe ich einfach nur noch geguckt und mir nicht mehr viel Kopf gemacht. Daher als Rausschmeißer ein paar Werke, die mir einfach gefallen haben.

Curt Querner: „Selbstbildnis mit Mütze“, 1931, Öl auf Leinwand, 64 x 55 cm

Oskar Zwintscher: „Bildnis einer Dame mit Zigarette“, 1904, Öl auf Leinwand, 82 x 68 cm

Vor dem Werk standen wir auch im Provenienzkurs länger, um uns anzuhören, wie das Werk ins Museum gekommen ist. Es ist viel toller als auf meinem blöden Foto. Ernsthaft, fahrt nach Dresden!

Jean-Étienne Liotard: „Das Schokoladenmädchen“, um 1744, Pastell auf Pergament, 82,5 x 52,5 cm

Das hängt natürlich nicht im Albertinum, sondern in der Gemäldegalerie Alte Meister, durch die ich nach dem Albertinum streifte. Ich sagte auch Herrn Raffael guten Tag, fotografierte dort aber nicht mehr so viel, sondern wanderte einfach durch die renovierten Räume, die ich in dieser Schönheit noch nicht kannte. Der letzte Dresden-Besuch war wirklich lange her. Aber der nächste wird bald kommen, das war wirklich schön dort.

Mittwoch, 31. Januar 2024 – Plitsch und Platsch

The Joy of Glory-Free Sports

(Eventuell ist da eine Paywall, hier ist der Archive-Link.)

Oder auch: The Joy of alles, was man nicht gut kann, es aber trotzdem macht. Vor sich hinzustümpern, ist nämlich super.

„That people like to do things because they are good at them makes sense; I also find satisfaction in pursuing what I know I can do well. But there’s a distinctly relaxing, no-pressure type of fun in doing something just for the hell of it. So much of modern life centers on productivity. Even in the realm of hobbies, people often become fixated on achievement. Playing a sport with no hope of glory can break up that stressful, somewhat robotic mindset.

Pursuing fun without goals can be its own pleasure. But setting goals that are blissfully disconnected from self-improvement can be empowering too: As Gloria Liu wrote in The Atlantic in 2022, working toward what she calls a “Big Pointless Goal” can serve as “an act of protest against the self-optimization hamster wheel.” (One goal Liu includes as an example: popping 100 wheelies a day on a bike for 30 days.)“

Mir geht es mit der Aquarellmalerei so. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich lange nicht mehr so fasziniert davon bin, Bilder zu erstellen wie früher. Als Kind und Jugendliche habe ich Tapetenrollen vollgekritzelt, die auf meinem Arbeitstisch lagen; wenn die Lage vor mir voll war, konnte ich die Rolle einfach weiterziehen, und am Ende landete sie im Müll. Ich doodelte einfach ewig vor mich hin. Irgendwann wollte ich ja sogar mal was mit Design studieren, fertigte Mappen an, reichte sie an Hochschulen ein, aber bis zur Prüfung hat es nie gereicht. Rückblickend möchte ich sagen: total zu Recht. Damals tat das aber natürlich sehr weh, weil ich dachte, ich wäre gut genug dafür.

Dann entdeckte ich, dass Schreiben eher mein Ding ist, was ich nie als Talent wahrgenommen hatte, denn das konnte ich ja einfach. Dafür musste ich mich nicht so abquälen wie mit dem Abzeichnen von Faltenwürfen oder der Grundidee für ein Bild. Das Zeichnen und Malen hörte dann einfach irgendwann auf. Und jetzt, wo ich wieder einen kleinen Aquarellkasten besitze und wenige Pinsel, merke ich, dass ich es total schön finde, einfach Kleckse aufs Papier zu werfen und den Farben dabei zuzuschauen, ineinander zu laufen. Ich habe brav Blümchen und Vögelchen abgemalt, was alles nett war, aber was ich richtig gerne mache, sind sinnlose Farbkleckse. Mein Ziel ist es inzwischen nicht mehr, besser zu werden, sondern einfach bunte Dinge zu produzieren, mich an ihnen zu erfreuen und es damit gut sein zu lassen. No glory, but a lot of fun. Den Ehrgeiz hebe ich mir weiterhin fürs Kuchenbacken auf.

Dienstag, 30. Januar 2024 – Anselm und Jeff

Den Vormittag verbrachte ich im Bällebad des ZI, wo ich mir aus jedem der fünf Stockwerke Bücher zusammensuchte und über mehrere Künstler nachdachte, unter anderem Anselm Kiefer, mit dem ich anscheinend immer noch nicht durch bin. Dass ich auf allen fünf Stockwerken war, ist eher ungewöhnlich, daher fiel es mir gestern auf. Was mir mal wieder nicht aufgefallen ist: wie lange ich an den Büchern sitze – und welche Wege ich für sie zurücklege. Mein Schrittzähler nach dem ZI zeigte 4000 Schritte an, und es war fast 14 Uhr, als ich vor Hunger nicht mehr denken konnte und den Heimweg antrat.

Beim Preppen der Meal Plans am Sonntag dachte ich noch, echt, Kartoffeln vorkochen wie meine Mutter? Die kann ich doch auch frisch kochen am Tag, an dem ich sie essen will. Gestern war ich sehr dankbar fürs Vorkochen, denn die Dinger mussten noch eine halbe Stunde in den Ofen und ich war sehr, sehr hungrig.

Zu den Smashed Potatoes gab’s eine Tahinisauce und geröstete Erdnüsse (habe ich einfach die letzten fünf Minuten zu den Kartoffeln geworfen anstatt noch ein Pfännchen rauszuholen), dazu einen Salat aus geschreddertem Brokkoli und weißen Bohnen. Als ich das Rezept las, war ich eher skeptisch, aber wie bei so ziemlich allen Rezepten war er dann überraschend gut. Und ich danach sehr, sehr satt.

Abends stand ich im Lenbachhaus und lauschte Jeff Wall. Ich hätte gerne gesessen, aber es war so richtig schön voll im Atrium, weswegen um kurz nach halb sieben schon keine Sitzgelegenheiten mehr da waren, als ich ankam. F. und standen fast auf der obersten Stufe des zweistöckigen Treppenhauses, wo man sich immerhin zwischendurch mal auf die Stufen setzen konnte.

Jeff Wall dürfte mit einer der ersten Künstler sein, von dem ich mir einen Katalog gekauft habe, damals, als ich noch mit Kunstgeschichte überhaupt nichts am Hut hatte. Ich zog ihn gerade aus dem Regal: Er ist von 2005 und ich nahm ihn aus der Tate mit, wo mich Walls Werk „A Sudden Gust of Wind (After Hokusai)“ (1993) faszinierte. Ein weiteres meiner Lieblinge ist netterweise hier in München, leider nicht ständig in der Sammlung Goetz zu sehen, aber die „Zeit“ hat es in einer Ausstellungsbesprechung (Bild 3, „Jell-o“, 1995).

Ich habe Wall gerne zugehört und fand die Einblicke in seine Arbeitsweise sehr interessant. Noch interessanter fand ich, dass er keine einzig richtige Interpretation seiner Werke vorgibt, ja sie nicht einmal selbst hat. Jede*r Betrachter*in nimmt andere Dinge mit und genau so soll das sein. War auch mal schön, das zu hören.

Jeff Wall ist gerade in Basel zu sehen.

Montag, 29. Januar 2024 – Tagebuch und Diss

Die ersten Briefe und Tagebücher von Maxie Wander durchgelesen. Es gibt noch einen weiteren Band, den werde ich mir auf jeden Fall leihen.

Ich spazierte beim Lesen im Zeitraffer durch ein fremdes Leben, musste unwillkürlich vergleichen oder wurde an Dinge, Ereignisse oder Worte erinnert, die ich entweder aus westlicher Perspektive anders wahrgenommen oder bereits vergessen hatte. Den Begriff „Westfernsehen“ habe ich zum Beispiel schon ewig nicht mehr gehört, ob ich ihn selbst benutzt habe, weiß ich gar nicht mehr. Dass Wander von ihrem Häuschen in Kleinmachnow manchmal Schüsse an der Grenze hörte und an Krieg dachte, hat mich völlig überrascht; in meinem Kopf war die Mauer immer ein komplett abgeriegeltes Gebiet, fast klinisch exakt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt. Ich war in der Mitte von Niedersachsen anscheinend weit genug weg von allem, obwohl mein Vater bei einer Firma arbeitete, die die sogenannte Zonenrandförderung erhielt. Mit der Wiedervereinigung wurde der Zweig in Hannover geschlossen, weswegen mein Vater noch kurze Zeit am Hauptsitz in Berlin arbeiten musste, bevor er in einen frühen Ruhestand ging. Berlin war so gar nicht seins, da bin ich ganz Tochter meines Vaters.

Wander erlebt noch die Veröffentlichung ihres ersten Buchs kurz vor ihrem Tod. Ich musste erneut an Papa denken; ich bin immer noch traurig darüber, dass er geistig schon nicht mehr in der Lage war, meinen eigenen größten Erfolg, die Abgabe und die erfolgreiche Verteidigung meiner Dissertation, zu verstehen. Auch mit meinem Buch konnte er natürlich nichts mehr anfangen.

Dann dachte ich aber daran, dass ich Teile der Diss in der alten Heimat geschrieben habe, wenn ich wieder für ihn zuständig war, als er noch zu Hause gelebt hat. Ich weiß noch, dass ich am elterlichen Wohnzimmertisch die Einkünfte von Protzen zusammengerechnet habe, die er im Werkverzeichnis notiert hatte. Diese verglich ich mit seinen Angaben im Spruchkammerbogen. Papas Krankenbett war im Esszimmer, das direkt ins Wohnzimmer übergeht, ich guckte also ab und zu zu ihm rüber, während ich Dinge durchblätterte und am Handy Summen zusammenzählte. Er freute sich immer, wenn irgendjemand da war, also tippte ich gerne im Wohnzimmer, wenn der Fernseher gerade nicht lief.

Ich erinnere mich auch, von irgendjemand Wildfremden im Internet digitale Quellen zugeschickt bekommen zu haben, die ich auf Papier nicht finden konnte und über die ich teilweise beim Googeln gestolpert war. Auch diese öffnete ich erstmals, als ich gerade im Wohnzimmer saß. Und ich weiß noch, dass ich mich am elterlichen Küchentisch erstmals mit den ehemaligen Ostgebieten befasste bzw. die ersten Absätze zu diesem Thema schrieb. Das hatte ich völlig vergessen, dass Teile meiner Diss in Niedersachsen entstanden sind und dass Papa noch ein bisschen mitbekommen hat, an was ich arbeite. Das war schön, daran zu denken, auch wenn es mich traurig gemacht hat.

Sonntag, 28. Januar 2024 – Schlafen und lesen

Ich war um kurz vor sechs wach, stellte hochmotiviert die Espessomaschine an, zog alle Jalousien hoch, bewunderte den Fast-noch-Vollmond, der satt zu sehen war, las ein bisschen, daddelte am Handy, es wurde hell, ich war immer noch im Bett, zog noch einmal die Bettdecke über die kühl gewordenen Ärmchen … und wachte um halb elf wieder auf. Hach, Sonntag!

Den Meal Prep für die nächste Woche gemacht, zwei Saucen bzw. Dressings angerührt, Kartoffeln vorgekocht, Brokkoli zerkleinert. Ich werde demnächst etwas ausführlicher zu den abonnierten Meal Plans was sagen, aber bisher bin ich absolut begeistert – und habe so eher zufällig fast einen Veganuary hingelegt. Zwischendurch musste ein bisschen Fenchelsalami sein, die liebe ich sehr.

F. überraschte mich Freitag mit einem Spontangeschenk: On DSCH von Igor Levit auf CD. Das war eine ganz hervorragende Idee, mir von Schwester und Schwager irgendwann mal die Umzugskartons mit der Anlage nach München fahren zu lassen und bei einem weiteren Besuch auch die Boxen in einer blauen Ikeatüte in den Zug zu schleppen. Beim Weg vom Bahnhof nach Hause habe ich mit dem Gewicht zwar meinen ausgezogenen Koffergriff ruiniert, aber dadurch hatte ich endlich eine gute Ausrede, das schwere, alte Ding durch einem wundervoll leichten Rimowa zu ersetzen, der mich bei jeder Fahrt seither sehr glücklich macht.

Am Samstag hörte ich den Schostakowitsch-Teil, gestern dann den Stevenson-Teil; beide hatten wir live gehört, und es war sehr schön, diese beiden Konzerte nochmal Revue passieren zu lassen, nicht mit dem schraddeligen Klang aus dem Macbook, sondern aus halbwegs vernünftigen Boxen. Ich bin wirklich beeindruckt davon, dass diese 40 Jahre alte Anlage noch so gut funktioniert. (Hier die üblichen Boomer-Dinge wie „JA, DAMALS, ALS MAN SACHEN NOCH FÜR DIE EWIGKEIT GEBAUT HAT ETC.“ einfügen.)

Abends lernte ich mal wieder vernünftig Vokabeln und nicht nur so huschig, um den Duolingo-Streak nicht zu versauen. Ich schaltete den Geschirrspüler an, wusch den Kleinkram von Hand ab und räumte wie jeden Abend die Küche auf, weil ich die morgens gerne sauber habe, wenn ich hochmotiviert die Espressomaschine anschalte. Während ich diesen Blogeintrag tippte, hörte ich interessante Musik und ging schließlich zum Lesen ins Bett.

Liebes Tagebuch, das war ein sehr unaufregender, aber sehr schöner Tag.

„Wie gut es uns geht, wir sind so an die schönen, einfachen Dinge gewöhnt, daß wir sie nicht mehr sehen und soviel Fragwürdiges fordern, wünschen, erstreben … Weil ich über keine Dramen, keine großartigen Begegnungen und Erlebnisse zu erzählen hatte, fand ich es nicht der Mühe wert, ein Tagebuch zu führen. Schade. Unser Nachbar, der über die Hecke schaut, sagt, daß die Apfelblüten duften. Das haben wir nicht gewußt.“

Maxie Wander: Tagebucheintrag vom 30. April 1968, in: Leben wär’ eine prima Alternative, Berlin 2023 (Erstausgabe 1979), S. 142.