Dienstag, 6. Februar 2024 – Hach und Herrgottnochmal

ZI-Tag. Ich beteiligte mich brav an der hauseigenen Umfrage zur Bibliothek, bescheinigte, dass ich alles supi fände und konnte mich gerade noch zusammenreißen, im letzten Kommentarfeld („Möchten Sie uns noch etwas mitteilen?“) eine Replik zu formulieren, in der die Worte „geistige Gesundheit“, „lebensverändernd“ und „Bällebad“ vorkamen.

Außerdem fand ich in einem Buch über das Haus der (Deutschen) Kunst noch eine kleine, für mich neue Information, die mich sehr beglückte, vor allem weil ich dachte, mir kann keiner mehr was über dieses Haus erzählen. Dann fiel mir aber ein, dass ich bisher meist bei der hauseigenen Chronologie so Anfang Mai 1945 aufgehört hatte zu lesen. Jetzt interessiert mich aber gerade die Zeit bis 1960 und da ist noch genug Neues für mich auszubuddeln. Im Bällebad, dem schönen.

Wo wir gerade bei Kunst sind: Vom Insta-Account des Lenbachhauses erfuhr ich von einer Pressemitteilung, die vorgestern online ging. Es geht um dieses Werk von August Macke, dessen Titel in der Ausstellung zum Blauen Reiter so geschrieben wird: „Reitende I******* beim Zelt“.

Auszug aus der Pressemitteilung:

„In einigen Medien wurde die Behauptung aufgestellt, das wissenschaftliche Team des Lenbachhauses habe den Bildtitel eines Gemäldes von August Macke “zensiert”.

Dieser Behauptung möchten wir hiermit widersprechen.

Als öffentliches Museum sind wir verpflichtet, den Blauen Reiter und sein Werk im historischen Kontext kritisch zu reflektieren. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts erfordert eine Beschäftigung mit historischen Quellen, deren Äußerungen in Sprache und Bild mitunter herabwürdigende oder sogar rassistische Elemente enthalten können.

Daher gilt es einerseits, die Quellen ungeschönt und kritisch darzustellen, und anderseits, ein möglichst respektvolles Miteinander in unserer Gegenwart sicherzustellen. Diese Abwägung treffen wir täglich und für jeden Einzelfall aufs Neue. Dies gebietet uns die Verantwortung einer der reflektierten Geschichtswissenschaft verpflichteten Institution, die in ihrer Arbeit dem internationalen wissenschaftlichen Standard folgt.

Selbstverständlich verändern wir in keiner Weise die historischen Quellen, die uns überantwortet wurden. Für das in Rede stehende Gemälde ist kein Titel von August Macke überliefert; der seit langem verwendete Titel stammt von Bernhard Köhler, Mentor und Sammler August Mackes. Er besaß das Werk einst und vermerkte den Titel auf der Rückseite der Leinwand.“

Ich hatte nicht mal mitbekommen, dass „einige Medien“ sich über ein Schild aufregen, das seit Mitte 2021 so am Werk zu sehen ist. Also googelte ich brav und fand: Es waren der Focus, die Bild und die Junge Freiheit. Eigentlich könnte man das ganze damit schon zu den Akten legen, weil who the fuck cares, aber natürlich ist es richtig, mal kurz die Einstellung des Hauses darzulegen, damit sich alle (Nervensägen) wieder beruhigen. Vor allem alle, die anscheinend den Rest des Schilds am Werk in der Ausstellung nicht gelesen habe, denn dort steht schon in Kurzfassung das, was da oben erwähnt wird. Herrgottnochmal.

Ich habe mir den Focus-Artikel angeschaut, auf die anderen Websites klicke ich aus Gründen der geistigen Hygiene nicht, und dort kommt ein wackerer Kämpfer der CSU zu Wort:

„CSU/Freie Wähler-Fraktionschef Manuel Pretzl fordert, dass man den historischen Titel wieder auf die Infotafel schreibt. „Jeder soll reden, wie er möchte. Ich bin aber dagegen, historische Werke dem jeweiligen Zeitgeist anzupassen. In das Werk eines bedeutenden Künstlers einzugreifen, der sich nicht mehr wehren kann, grenzt an Zensur“, so Pretzl.“

Okay, Hase: Zensur – it doesn’t mean what you think it means. Zensur wäre, wenn das Haus das Bild im Depot vergammeln ließe, es niemand zu Gesicht bekäme oder wir nicht darüber reden, schreiben oder bloggen geschweige denn den Titel des Werks anrühren dürften. Außerdem: Wenn du Historisches nicht anrühren möchtest, weil die Erschaffenden sich nicht mehr wehren können, müsste man auch die Alte Pinakothek rückbauen zum Ruinenhaufen von 1944, denn da wurde auch total eigenmächtig nicht mehr haargenau so wie bei Leo von Klenze wiederaufgebaut, sondern zeitgemäß geändert. Wenn wir schon bei dämlichen Argumenten sind.

Jeder*m, der*die sich mit Kunst und Werktiteln befasst, ist bei der wissenschaftlichen Arbeit schon aufgefallen, dass diese sich gerne ändern. Ja, auch wegen des jeweiligen Zeitgeistes, wer hätte es gedacht, den gibt es nämlich nicht erst seit vorgestern. Namen ändern sich, Schreibweisen, Ortsbezeichnungen (deutsche Ostgebiete) oder auch gerne mal der komplette Titel. Während meiner Diss hat mich das besonders genervt, als ich versucht habe, die Titel aus Protzens Werkverzeichnis in den Ausstellungskatalogen oder Presseberichten der Zeit wiederzufinden. Gerade die Presse neigte – zumindest in den 30er Jahren der Münchner Zeitungen – gerne dazu, Titel zu ändern in Beschreibungen, die ihnen gerade besser gefielen. Auch die Künstler*innen selbst ändern gerne Titel, warum auch nicht. Auch hier wieder die 30er Jahre: Da kam gerne mal zum Wort „Landschaft“ das Adjektiv „deutsch“ dazu, was nach 1945 wieder verschwand wie von Zauberhand. Mein liebstes Beispiel, wieder von Protzen: Im Werkverzeichnis heißt ein Gemälde „Tölz“, im Ausstellungskatalog „SS-Junkerschule Tölz“.

Kunst ist in seiner Funktion als gesellschaftspolitischer Akteur ebenso Zeitströmungen unterworfen wie alles andere. Dinge ändern sich und das ist okay so. Wenn du unbedingt rassistische Stereotype verwenden willst, dann darfst du das sogar, daran hindert dich niemand, wir haben nämlich keine Zensur. Und wenn du nochmal in die Pressemitteilung schauen willst: Es ist nicht mal ein Titel vom Künstler überliefert. Theoretisch könnten wir das Ding auch einfach „Bild“ nennen und es wäre okay. Könntest du dich jetzt bitte wieder mit wichtigen Dingen beschäftigen? Zum Beispiel, dass in München circa 150.000 Menschen auf die Straße gegangen sind, um auch gegen Rassismus aufzustehen? Ja? Danke.

(Again: Herrgottnochmal.)

Montag, 5. Februar 2024 – Hin und her

Im Hausflur hing der übliche Aushang zum jährlichen Rückschnitt des Blauregens, der im Hof nicht nur eine Pergola überdacht, wo die Leute ohne Balkon im Sommer schön schattig sitzen können, sondern der auch an den Balkonen der einen Hausseite inzwischen bis in den fünften Stock gewachsen ist. Im Sommer klettert er gerne in den Vorraum zum Fahrstuhl, weil dann die Fenster immer gekippt sind, wo ihn der Hausmeister persönlich beschneidet; ich freue mich immer über das Extragrün, so lange es da ist. Außerdem sehe ich die riesige Pflanze nicht nur vom Schreibtisch aus, sondern auch aus dem Küchenfenster, wo sie zusätzlich ein bisschen Sichtschutz zum Nachbarbalkon bietet.

Daher machte ich mir keinen Kopf, als gestern zwei Menschlein in einem Krankörbchen vor eben diesem Küchenfenster auftauchten, während ich gerade den morgendlichen Espresso zubereitete. Ich erschrak aber schnell: Die schnitten nicht zurück, die schnitten ab! Alles! Ich wimmerte ein bisschen vor mich hin, überzeugte mich dann aber selbst, dass das vermutlich nicht so super für den Außenfahrstuhl ist, wenn er irgendwann zuwuchert. Oder sowas in der Richtung, ich hab doch keine Ahnung.

Aber dann sah ich ein Stündchen später von der Schreibtischarbeit auf und erblickte die fleißigen Schnitter nun an der anderen Balkonseite, dort wo ich – ernsthaft! – gerade morgens noch ein Eichhörnchen vom vierten in den dritten Stock hatte klettern sehen, wo es kurz die Balkonkästen besuchte und dann wieder zur Erde huschte. Das Eichhörnchen hat damit dem riesigen Blauregen einen Abschiedsbesuch gemacht, denn auch diese Seite des Balkonsbewuchses wurde nicht zurückgeschnitten, sondern komplett entfernt.

Das erschütterte mich mehr als ich dachte; ich war innerlich ja nur auf den gewohnten Beschnitt vorbereitet, sah aber nun einen Berg an Ästen und Zweigen im Hof liegen, wusste, dass kein Fitzelchen Grün mehr auf der Hausseite zu sehen sein wurde und war darüber wirklich sehr traurig.

Ich musste vor die Tür, um ein Päckchen Lieblingsmüsli aus der Packstation zu holen und schaute nochmal auf den Aushang: Ja, da stand „Entfernung“ und nicht „Beschnitt“, ich hatte nicht gut genug gelesen. Fuck!

Als ich nach Hause kam, hörte ich schon die Kettensäge, die ich den ganzen Nachmittag über hören sollte, denn auch die überwachsene Pergola ist nun nackt und bloß. Die komplette Pflanze ist weg und wurde zu Kleinholz verarbeitet. Ich kann nur hoffen, dass sie nicht mehr gesund war oder es verdammt gute Gründe für die Entfernung gab – wovon ich ausgehe, ich halte große Stücke auf die Hausverwaltung und die Vermieter hier. Aber es sieht nun doch etwas grauer aus als vorher. Ich bin weiterhin traurig. Und googele nach Dingen wie Buchsbäumchen für den Balkon oder irgendwas anderes Immergrünes.

Der Tag war aber nicht komplett doof, denn ich schaffte am Schreibtisch schön was weg. Und ich konnte mal wieder einer wildfremden Frau ein Kompliment machen, was ich gerne tue, denn das macht die Welt besser. Die Dame kam mir auf dem Rückweg von der Packstation entgegen, sie trug einen orangefarbenen Blazer zu einer violetten Handtasche sowie einen grüngelben Schal zur bunten Hose. Das sah so klasse, fröhlich und zugleich stilvoll aus, dass ich ihr das sagte: „Tolle Farbkombination!“ „Oh, danke, freut mich, dass es Ihnen gefällt. Ich dachte, es ist ja fast Frühling.“ „Ja, das macht total gute Laune.“ „Danke! Schönen Tag noch!“

F., den ich natürlich den ganzen Tag über mit entsetzten DMs zum Pflanzenstand belästigte, schickte mir abends kommentarlos dieses Bild. Ich fühle mich verstanden.

Sonntag, 4. Februar 2024 – Wohnen und Essen

24 Minuten Radiobeitrag vom BR, unter anderem über die Mustersiedlung Ramersdorf:

Wohnsiedlungen der NS-Zeit: Völkisches Wohnen

Wir erinnern uns: In Ramersdort hatte Protzen mehrere Wandfresken erstellt, und ich war im Zuge der Diss 2019 dort einfach mal zu Fuß unterwegs, um zu schauen, ob sie noch existieren. Leider erfolglos. Aber ich bekam im November 2022 noch Post, weil jemand meinen Blogeintrag gelesen hatte und weiß jetzt: Ich hätte nichts gefunden, die Fresken sind schon lange übermalt.

Die beiden Wissenschaftlerinnen Ulrike Haerendel und Ursula Henn, die ich in der Diss zitiere, kommen auch im Radiobeitrag zu Wort. Das war ganz lustig, Jahre nach dem Tippen mal die Stimmen zu den Worten zu hören.

Kontrastprogramm:

Ein Leben im Tag von … Katharina Seiser

Ich schätze die Kochbücher von Seiser sehr, bisher habe ich noch kein Rezept aus ihnen vergeigt oder kam mit den Anweisungen nicht klar. Netterweise habe ich sie auch schon mehrfach in Wien getroffen, was immer eine Freude war. Und dass sie, ebenso wie ich, wenn auch auf einem ganz anderen Gebiet, gerne recherchiert, war daher fast klar.

„Bis zum Mittagessen arbeite ich meistens an Texten oder Büchern. Das bedeutet für mich vor allem Recherchieren. Check, Re-Check und Double-Check gilt auch bei Kochbüchern. Ich versuche auf dem neuesten Stand der Wissenschaft zu sein und lese mich manchmal stundenlang in Dinge wie die Beschaffenheit von japanischen ­Teekannen ein, obwohl ich eigentlich nur einen Text über Tee schreiben wollte. Als Konsequenz schreibe ich, so sagt man mir nach, die mitunter ­bestrecherchierten Kochbücher des Landes – ich würde sogar so weit gehen und sagen: Recherche ist meine ­Lieblingsspeise.“

Samstag, 3. Februar 2024 – Erinnern und gedenken

F. und ich besuchten eine Veranstaltung der Kurt-Landauer-Stiftung und lernten so auch mal den Freizeittreff Freimann kennen. „Stellt ihr eure Flaschen bitte wieder nach hinten, wir müssen um 12.30 Uhr hier raus sein, dann kommt eine Hochzeit.“ Nice.

Das Podiumsgespräch fand zum Erinnerungstag 2024 statt. Die Stiftung hatte Ronny Blaschke als Moderator eingeladen, was eine sehr gute Idee war. Manche Podiumsgespräche scheinen mir nach dem Motto „Wir laden spannende Menschen ein und gucken mal, was passiert“ entwickelt worden zu sein, was durchaus interessant sein kann, aber ein gut geführtes Gespräch war dem Thema Gedenken und Erinnerung angemessener.

Zuerst kam Andreas Wittner, langjähriger Mitarbeiter beim FC-Bayern-Museum, zu Wort, der sich um die Biografien von Spielern und Mitgliedern des FCB kümmert, die während der NS-Zeit ausgegrenzt, verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden. Diese Tätigkeit mündete in das Gedenkbuch, das bei der Stiftung auf der Website abrufbar ist. Seit dem 8. November 2023 werden am jeweiligen Geburtstag der Ehemaligen ihre Lebensläufe auf der Website, auf Instagram und auf Facebook vorgestellt, mal länger, mal kürzer, je nachdem, wie groß der Wissensstand gerade ist.

Um diesen zu erhöhen, arbeiten Wittner und die Stiftung mit dem Stadtarchiv zusammen sowie dem Kulturreferat. Daniel Baumann, Leiter des Stadtarchivs, erwähnte das Gedenkbuch verfolgter Münchner Juden und Jüdinnen, das seit 20 Jahren existiert und heute – natürlich – als Datenbank online verfügbar ist. Auch dort fand Wittner Informationen zu einigen Bayern-Spielern oder Mitgliedern. Maximilian Strnad vom Kulturreferat führte das Gespräch dann vom Gedenken und Erinnern ins heutige München: Was machen wir aus diesem Vermächtnis? Was macht der Verein aus seiner Geschichte?

Benny Folkmann, Geschäftsführer beim FCB und im Vorstand der Deutschen Sportjugend, berichtete unter anderem von Anti-Rassismus-Trainings, die für die Mitarbeitenden des Vereins durchgeführt wurden, auch zum Beispiel für die Menschen in den Shops oder die Jugendspieler. Bei den Lizenzspielern schien das Training nicht verpflichtend zu sein, „das sind erwachsene Männer“. Natürlich kam der Fall Mazraoui zur Sprache, und das Podium und das Publikum waren sich nicht ganz einig, ob die Reaktion des Vereins die richtige war.

Folkmann erwähnte auch, und das war für mich einer der wichtigsten Punkte gestern, dass Sport eben nicht in einer Blase existiert, gerade Fußball nicht als Massensport und Aktivität, die jedes Wochenende hunderttausende bewegt. „Dass Sport nicht politisch ist, ist Bullshit.“ Sport bzw. Fußball seien nicht parteipolitisch, aber auf jeden Fall gesellschaftspolitisch. Auch meine Meinung: Wie sich Sportler*innen und Vereine verhalten und positionieren, kann durchaus Einfluss auf die Gesellschaft haben – die sich ja schon im Stadion befindet. Darauf wies auch Patrick (Nachname vergessen) von der Kurt-Landauer-Stiftung hin: „Die Gesellschaft steht in der Kurve.“ Auch das wird meiner Meinung nach gerne unterschätzt: dass dort eben nicht nur 16-jährige Jungs stehen. Oder 40-jährige Familienväter. Oder 60-jährige Frauen, die ihren Kerl begleiten. Oder nur Heterosexuelle oder nur Weiße oder nur nicht-behinderte Menschen. Die Gesellschaft steht in der Kurve, und jedes Plakat, das die Spieler hochhalten, jede Choreo und jede Gedenkminute vor den Spielen kann Signalwirkung haben, weil sie Menschen erreichen, die vielleicht sonst nur die Bildzeitung lesen oder mit Geschichte nichts am Hut haben.

Folkmann erwähnte auch, dass es nach der Rede von Uli Hoeneß bei der Abschiedsfeier für Franz Beckenbauer, bei der er die AfD deutlich verurteilt hatte, mehrere Vereinsaustritte gab. „Die bekommen von uns noch einen Brief, dass wir es gut finden, dass sie nicht mehr bei uns sind.“ Auch so kann man sich positionieren. Und man kann von Hoeneß halten, was man will, aber bei einer Gedenkfeier, die auch im Fernsehen übertragen wurde und damit nicht nur den Stadionbesuchern vorbehalten war, sich so deutlich auszudrücken, ist genau das richtige Zeichen.

Auf der Bühne war auch Alvaro von Lill-Rastern, Sportdirektor bei Maccabi München, der nach dem 7. Oktober ein so deutliches Zeichen vermisste. Dass sich direkt am 8. Oktober 500 Menschen am Odeonsplatz versammelt hatten, hätte gut getan, aber das waren eben nicht die Massen, die jetzt gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Was er natürlich sehr begrüßte. Lill-Rastern wurde gefragt, ob er noch mit seinem Maccabi-Schal unterwegs wäre, was er bejahte; er meinte aber auch, dass man früher nach Spielen oder dem Training, deutlich als Maccabi-Mitglied erkennbar, durch die Stadt gegangen wäre; das würden einige im Verein gerade nicht tun. Der Polizeischutz bei Spielen sei erhöht worden, denn, und das hatte ich zum Beispiel gar nicht auf dem Schirm, auch die Gegner würden gerade aufwendiger beschützt. Ein Irrsinn.

Lill-Rastern machte aber sehr deutlich, dass auch die Terroranschläge vom 7. Oktober nicht dazu führen sollten, neue Gräben aufzureißen. Muslimische Mitmenschen seien ebenfalls Anfeindungen ausgesetzt, genau wie Antisemitismus sei das falsch. Wir sollten uns hüten, alle und alles über einen Kamm zu scheren, nicht alle Muslime seien antisemitisch. Natürlich nicht. Aber gut, dass es nochmal erwähnt wurde.

Wie es überhaupt gut war, Dinge zu hören, die ich wusste. Aber ähnlich wie bei der großen Demo in München hat es sich gut angefühlt, nicht allein zu sein. Darauf wies auch Strnad noch einmal hin, als es um den Ausblick ging. Gedenken und Erinnern reiche nicht, wichtig sei das gemeinsame Zusammenleben. In was für einer Gesellschaft wollen wir leben und wie gestalten wir sie aktiv mit? Auch ihm habe das Demonstrieren wieder Mut gemacht und verdeutlicht, dass die AfD nicht unvermeidbar ist. Genauso mutlos habe ich mich in den letzten Monaten oft gefühlt und mich gefragt, wie man den Weg zu seiner friedvollen, gleichberechtigten, antirassistischen Gesellschaft gemeinsam hinbekommt. Ich nehme an, das Stichwort ist „gemeinsam“. Auch um mir das noch einmal zu vergegenwärtigen, hat sich der gestrige Vormittag gelohnt.

Freitag, 2. Februar 2024 – Zimt und Zucker

Fertig-Chapati mit Butter in der Pfanne anzubraten, ja klar, aber sie dann mit Zimt und Zucker zu bestreuen, ist vermutlich nicht ganz das, was Indien sich vorgestellt hatte. Aber wenn man aus Gründen selbst fürs Milchreiskochen oder Pfannkuchenbacken zu ungeduldig ist und echt dringend was Süßes braucht, ist das ziemlich super.

Donnerstag, 1. Februar 2024 – Albertinum und Alte Meister

Ich saß gestern im ZI und befasste mich mit der Nachkriegszeit in den unterschiedlichen Besatzungszonen. Dabei stieß ich – natürlich – auf Hans Grundigs „Den Opfern des Faschismus“, das ich schon in meiner Masterarbeit von 2017 abgebildet, aber bis vor wenigen Monaten noch nie im Original gesehen hatte. Außerdem posteten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresdens vor wenigen Tagen auf Instagram einen Kanoldt und gestern oder vorgestern das Schokoladenmädchen, weswegen ich jetzt einfach ein paar Bilder nachreiche, die ich schon im November fotografiert hatte, die aber wegen meiner Blogpause nur in den Insta-Storys zu sehen waren.

Denn im November war ich für Teil 3 meiner vierteiligen Provenienzforschungsfortbildung in Dresden. Ich reiste einen Tag vorher an, um noch in Ruhe ein paar Bilder anschauen zu können. Ich startete im Albertinum, wo ich einen neuen Digitaldruck eines alten, wichtigen Werks von Gerhard Richter sah.

Gerhard Richter: „Tante Marianne (Fotofassung zu 87“, 1965/2018, Digitaldruck auf Alu-Dibond, 100 x 115 cm

In der Sammlung ist auch noch das ebenfalls wichtige „Onkel Rudi“ als Fotofassung. Guter Text zum Werk, by the way. Geht doch. Man kann also auch über Kunst nicht-schwafelig schreiben.

Doris Ziegler: „Esse II“, 1980, Öl auf Hartfaser.

Mit Stadtansichten und allem, was nach Neuer Sachlichkeit aussieht, kriegt man mich ja immer. Das Bild ist nicht in der Online-Collection, aber über Doris Ziegler stolperte ich gestern im ZI auch, wo ich ein Werk von ihr aus der Zeitschrift „Bildende Kunst“ abfotografierte, nur so. (Erwähnte ich jemals, wie sehr ich die Zeitschriften im ZI liebe? Nee, bestimmt noch nie.) Auf der Website von Ziegler ist „Esse II“ abgebildet, leider nicht „Eva“.

Doris Ziegler: „Bildnis Eva (aus der Bildnisfolge ‚Brigade Rosa Luxemburg‘“, 1975, Öl, 125 x 80 cm

Werner Tübke: „Gruppenbild (Zimmerbrigade Schirmer)“, 1971/72, Tempera auf Spanplatte, 148 x 148 cm.

Ich mochte an dem Werk den Rückbezug auf die Alten Meister. Der klassisch-symmetrische Bildaufbau, die in der Bewegung verharrenden Figuren, die kein Abbild sind, sondern Ideen von handwerkenden Menschen, der Faltenwurf des weißen Halstuchs, die Konzentration auf die mittlere Figur, die aus dem Bild schaut, seine Handgeste … wenn die Herren in Roben gewandet gewesen wären und im Hintergrund der Ölberg, hätte es auch gepasst.

Hans Grundig: „Den Opfern des Faschismus“, um 1947, Öl auf Hartfaserplatte, 110 x 200,3 cm

Das Werk existiert noch in einer zweiten Fassung, die sich, soweit ich weiß, im Leipziger Museum der bildenden Künste befindet. Vor dem Werk habe ich recht lange gestanden, ich hatte vergessen, wie groß es ist. Ich muss dazu nichts sagen. Auch hier: guter Text.

Totales Kontrastprogramm, einen Raum weiter:

Kurt Dornis: „Zweite Schicht“, 1986, Mischtechnik auf Möbelspanplatte, 82 x 101 cm

Hier musste ich sofort an meinen ewig langen Blogeintrag zur Frankfurter Küche denken, denn darin steht auch etwas zu Küchen in den Plattenbauten der DDR und Durchreichen. Außerdem fand ich den Bildtitel sehr gut.

Alexander Kanoldt: „Stilleben II“, 1926, Öl auf Leinwand, 105 x 65 cm

Und dann war ich endlich in der Neuen Sachlichkeit angekommen und in dem Raum, für den ich überhaupt ins Albertinum wollte. In diesem hängen nämlich zwei riesige Triptychen, einmal Otto Dix („Der Krieg“) und auf der Rückseite erneut Hans Grundig („Das Tausendjährige Reich“). Beide habe ich nicht fotografiert, aber alleine dafür lohnt sich die Reise nach Dresden. Man ist danach nicht sehr gut gelaunt, aber das kenne ich ja aus der Zeit meines Forschungsfelds. Beide Werke überwältigen zunächst durch ihre schiere Größe, aber die Details machen einen dann endgültig fertig. Ganz supi.

Nebenbei besitzt das Albertinum von Dix noch „Verwundeter (Herbst 1916, Bapaume)“, das man nicht mehr vergessen kann, wenn man es einmal gesehen hat.

Nach den Triptychen habe ich einfach nur noch geguckt und mir nicht mehr viel Kopf gemacht. Daher als Rausschmeißer ein paar Werke, die mir einfach gefallen haben.

Curt Querner: „Selbstbildnis mit Mütze“, 1931, Öl auf Leinwand, 64 x 55 cm

Oskar Zwintscher: „Bildnis einer Dame mit Zigarette“, 1904, Öl auf Leinwand, 82 x 68 cm

Vor dem Werk standen wir auch im Provenienzkurs länger, um uns anzuhören, wie das Werk ins Museum gekommen ist. Es ist viel toller als auf meinem blöden Foto. Ernsthaft, fahrt nach Dresden!

Jean-Étienne Liotard: „Das Schokoladenmädchen“, um 1744, Pastell auf Pergament, 82,5 x 52,5 cm

Das hängt natürlich nicht im Albertinum, sondern in der Gemäldegalerie Alte Meister, durch die ich nach dem Albertinum streifte. Ich sagte auch Herrn Raffael guten Tag, fotografierte dort aber nicht mehr so viel, sondern wanderte einfach durch die renovierten Räume, die ich in dieser Schönheit noch nicht kannte. Der letzte Dresden-Besuch war wirklich lange her. Aber der nächste wird bald kommen, das war wirklich schön dort.

Mittwoch, 31. Januar 2024 – Plitsch und Platsch

The Joy of Glory-Free Sports

(Eventuell ist da eine Paywall, hier ist der Archive-Link.)

Oder auch: The Joy of alles, was man nicht gut kann, es aber trotzdem macht. Vor sich hinzustümpern, ist nämlich super.

„That people like to do things because they are good at them makes sense; I also find satisfaction in pursuing what I know I can do well. But there’s a distinctly relaxing, no-pressure type of fun in doing something just for the hell of it. So much of modern life centers on productivity. Even in the realm of hobbies, people often become fixated on achievement. Playing a sport with no hope of glory can break up that stressful, somewhat robotic mindset.

Pursuing fun without goals can be its own pleasure. But setting goals that are blissfully disconnected from self-improvement can be empowering too: As Gloria Liu wrote in The Atlantic in 2022, working toward what she calls a “Big Pointless Goal” can serve as “an act of protest against the self-optimization hamster wheel.” (One goal Liu includes as an example: popping 100 wheelies a day on a bike for 30 days.)“

Mir geht es mit der Aquarellmalerei so. Ich habe sehr schnell gemerkt, dass ich lange nicht mehr so fasziniert davon bin, Bilder zu erstellen wie früher. Als Kind und Jugendliche habe ich Tapetenrollen vollgekritzelt, die auf meinem Arbeitstisch lagen; wenn die Lage vor mir voll war, konnte ich die Rolle einfach weiterziehen, und am Ende landete sie im Müll. Ich doodelte einfach ewig vor mich hin. Irgendwann wollte ich ja sogar mal was mit Design studieren, fertigte Mappen an, reichte sie an Hochschulen ein, aber bis zur Prüfung hat es nie gereicht. Rückblickend möchte ich sagen: total zu Recht. Damals tat das aber natürlich sehr weh, weil ich dachte, ich wäre gut genug dafür.

Dann entdeckte ich, dass Schreiben eher mein Ding ist, was ich nie als Talent wahrgenommen hatte, denn das konnte ich ja einfach. Dafür musste ich mich nicht so abquälen wie mit dem Abzeichnen von Faltenwürfen oder der Grundidee für ein Bild. Das Zeichnen und Malen hörte dann einfach irgendwann auf. Und jetzt, wo ich wieder einen kleinen Aquarellkasten besitze und wenige Pinsel, merke ich, dass ich es total schön finde, einfach Kleckse aufs Papier zu werfen und den Farben dabei zuzuschauen, ineinander zu laufen. Ich habe brav Blümchen und Vögelchen abgemalt, was alles nett war, aber was ich richtig gerne mache, sind sinnlose Farbkleckse. Mein Ziel ist es inzwischen nicht mehr, besser zu werden, sondern einfach bunte Dinge zu produzieren, mich an ihnen zu erfreuen und es damit gut sein zu lassen. No glory, but a lot of fun. Den Ehrgeiz hebe ich mir weiterhin fürs Kuchenbacken auf.

Dienstag, 30. Januar 2024 – Anselm und Jeff

Den Vormittag verbrachte ich im Bällebad des ZI, wo ich mir aus jedem der fünf Stockwerke Bücher zusammensuchte und über mehrere Künstler nachdachte, unter anderem Anselm Kiefer, mit dem ich anscheinend immer noch nicht durch bin. Dass ich auf allen fünf Stockwerken war, ist eher ungewöhnlich, daher fiel es mir gestern auf. Was mir mal wieder nicht aufgefallen ist: wie lange ich an den Büchern sitze – und welche Wege ich für sie zurücklege. Mein Schrittzähler nach dem ZI zeigte 4000 Schritte an, und es war fast 14 Uhr, als ich vor Hunger nicht mehr denken konnte und den Heimweg antrat.

Beim Preppen der Meal Plans am Sonntag dachte ich noch, echt, Kartoffeln vorkochen wie meine Mutter? Die kann ich doch auch frisch kochen am Tag, an dem ich sie essen will. Gestern war ich sehr dankbar fürs Vorkochen, denn die Dinger mussten noch eine halbe Stunde in den Ofen und ich war sehr, sehr hungrig.

Zu den Smashed Potatoes gab’s eine Tahinisauce und geröstete Erdnüsse (habe ich einfach die letzten fünf Minuten zu den Kartoffeln geworfen anstatt noch ein Pfännchen rauszuholen), dazu einen Salat aus geschreddertem Brokkoli und weißen Bohnen. Als ich das Rezept las, war ich eher skeptisch, aber wie bei so ziemlich allen Rezepten war er dann überraschend gut. Und ich danach sehr, sehr satt.

Abends stand ich im Lenbachhaus und lauschte Jeff Wall. Ich hätte gerne gesessen, aber es war so richtig schön voll im Atrium, weswegen um kurz nach halb sieben schon keine Sitzgelegenheiten mehr da waren, als ich ankam. F. und standen fast auf der obersten Stufe des zweistöckigen Treppenhauses, wo man sich immerhin zwischendurch mal auf die Stufen setzen konnte.

Jeff Wall dürfte mit einer der ersten Künstler sein, von dem ich mir einen Katalog gekauft habe, damals, als ich noch mit Kunstgeschichte überhaupt nichts am Hut hatte. Ich zog ihn gerade aus dem Regal: Er ist von 2005 und ich nahm ihn aus der Tate mit, wo mich Walls Werk „A Sudden Gust of Wind (After Hokusai)“ (1993) faszinierte. Ein weiteres meiner Lieblinge ist netterweise hier in München, leider nicht ständig in der Sammlung Goetz zu sehen, aber die „Zeit“ hat es in einer Ausstellungsbesprechung (Bild 3, „Jell-o“, 1995).

Ich habe Wall gerne zugehört und fand die Einblicke in seine Arbeitsweise sehr interessant. Noch interessanter fand ich, dass er keine einzig richtige Interpretation seiner Werke vorgibt, ja sie nicht einmal selbst hat. Jede*r Betrachter*in nimmt andere Dinge mit und genau so soll das sein. War auch mal schön, das zu hören.

Jeff Wall ist gerade in Basel zu sehen.

Montag, 29. Januar 2024 – Tagebuch und Diss

Die ersten Briefe und Tagebücher von Maxie Wander durchgelesen. Es gibt noch einen weiteren Band, den werde ich mir auf jeden Fall leihen.

Ich spazierte beim Lesen im Zeitraffer durch ein fremdes Leben, musste unwillkürlich vergleichen oder wurde an Dinge, Ereignisse oder Worte erinnert, die ich entweder aus westlicher Perspektive anders wahrgenommen oder bereits vergessen hatte. Den Begriff „Westfernsehen“ habe ich zum Beispiel schon ewig nicht mehr gehört, ob ich ihn selbst benutzt habe, weiß ich gar nicht mehr. Dass Wander von ihrem Häuschen in Kleinmachnow manchmal Schüsse an der Grenze hörte und an Krieg dachte, hat mich völlig überrascht; in meinem Kopf war die Mauer immer ein komplett abgeriegeltes Gebiet, fast klinisch exakt aus der Lebenswirklichkeit der Menschen entfernt. Ich war in der Mitte von Niedersachsen anscheinend weit genug weg von allem, obwohl mein Vater bei einer Firma arbeitete, die die sogenannte Zonenrandförderung erhielt. Mit der Wiedervereinigung wurde der Zweig in Hannover geschlossen, weswegen mein Vater noch kurze Zeit am Hauptsitz in Berlin arbeiten musste, bevor er in einen frühen Ruhestand ging. Berlin war so gar nicht seins, da bin ich ganz Tochter meines Vaters.

Wander erlebt noch die Veröffentlichung ihres ersten Buchs kurz vor ihrem Tod. Ich musste erneut an Papa denken; ich bin immer noch traurig darüber, dass er geistig schon nicht mehr in der Lage war, meinen eigenen größten Erfolg, die Abgabe und die erfolgreiche Verteidigung meiner Dissertation, zu verstehen. Auch mit meinem Buch konnte er natürlich nichts mehr anfangen.

Dann dachte ich aber daran, dass ich Teile der Diss in der alten Heimat geschrieben habe, wenn ich wieder für ihn zuständig war, als er noch zu Hause gelebt hat. Ich weiß noch, dass ich am elterlichen Wohnzimmertisch die Einkünfte von Protzen zusammengerechnet habe, die er im Werkverzeichnis notiert hatte. Diese verglich ich mit seinen Angaben im Spruchkammerbogen. Papas Krankenbett war im Esszimmer, das direkt ins Wohnzimmer übergeht, ich guckte also ab und zu zu ihm rüber, während ich Dinge durchblätterte und am Handy Summen zusammenzählte. Er freute sich immer, wenn irgendjemand da war, also tippte ich gerne im Wohnzimmer, wenn der Fernseher gerade nicht lief.

Ich erinnere mich auch, von irgendjemand Wildfremden im Internet digitale Quellen zugeschickt bekommen zu haben, die ich auf Papier nicht finden konnte und über die ich teilweise beim Googeln gestolpert war. Auch diese öffnete ich erstmals, als ich gerade im Wohnzimmer saß. Und ich weiß noch, dass ich mich am elterlichen Küchentisch erstmals mit den ehemaligen Ostgebieten befasste bzw. die ersten Absätze zu diesem Thema schrieb. Das hatte ich völlig vergessen, dass Teile meiner Diss in Niedersachsen entstanden sind und dass Papa noch ein bisschen mitbekommen hat, an was ich arbeite. Das war schön, daran zu denken, auch wenn es mich traurig gemacht hat.

Sonntag, 28. Januar 2024 – Schlafen und lesen

Ich war um kurz vor sechs wach, stellte hochmotiviert die Espessomaschine an, zog alle Jalousien hoch, bewunderte den Fast-noch-Vollmond, der satt zu sehen war, las ein bisschen, daddelte am Handy, es wurde hell, ich war immer noch im Bett, zog noch einmal die Bettdecke über die kühl gewordenen Ärmchen … und wachte um halb elf wieder auf. Hach, Sonntag!

Den Meal Prep für die nächste Woche gemacht, zwei Saucen bzw. Dressings angerührt, Kartoffeln vorgekocht, Brokkoli zerkleinert. Ich werde demnächst etwas ausführlicher zu den abonnierten Meal Plans was sagen, aber bisher bin ich absolut begeistert – und habe so eher zufällig fast einen Veganuary hingelegt. Zwischendurch musste ein bisschen Fenchelsalami sein, die liebe ich sehr.

F. überraschte mich Freitag mit einem Spontangeschenk: On DSCH von Igor Levit auf CD. Das war eine ganz hervorragende Idee, mir von Schwester und Schwager irgendwann mal die Umzugskartons mit der Anlage nach München fahren zu lassen und bei einem weiteren Besuch auch die Boxen in einer blauen Ikeatüte in den Zug zu schleppen. Beim Weg vom Bahnhof nach Hause habe ich mit dem Gewicht zwar meinen ausgezogenen Koffergriff ruiniert, aber dadurch hatte ich endlich eine gute Ausrede, das schwere, alte Ding durch einem wundervoll leichten Rimowa zu ersetzen, der mich bei jeder Fahrt seither sehr glücklich macht.

Am Samstag hörte ich den Schostakowitsch-Teil, gestern dann den Stevenson-Teil; beide hatten wir live gehört, und es war sehr schön, diese beiden Konzerte nochmal Revue passieren zu lassen, nicht mit dem schraddeligen Klang aus dem Macbook, sondern aus halbwegs vernünftigen Boxen. Ich bin wirklich beeindruckt davon, dass diese 40 Jahre alte Anlage noch so gut funktioniert. (Hier die üblichen Boomer-Dinge wie „JA, DAMALS, ALS MAN SACHEN NOCH FÜR DIE EWIGKEIT GEBAUT HAT ETC.“ einfügen.)

Abends lernte ich mal wieder vernünftig Vokabeln und nicht nur so huschig, um den Duolingo-Streak nicht zu versauen. Ich schaltete den Geschirrspüler an, wusch den Kleinkram von Hand ab und räumte wie jeden Abend die Küche auf, weil ich die morgens gerne sauber habe, wenn ich hochmotiviert die Espressomaschine anschalte. Während ich diesen Blogeintrag tippte, hörte ich interessante Musik und ging schließlich zum Lesen ins Bett.

Liebes Tagebuch, das war ein sehr unaufregender, aber sehr schöner Tag.

„Wie gut es uns geht, wir sind so an die schönen, einfachen Dinge gewöhnt, daß wir sie nicht mehr sehen und soviel Fragwürdiges fordern, wünschen, erstreben … Weil ich über keine Dramen, keine großartigen Begegnungen und Erlebnisse zu erzählen hatte, fand ich es nicht der Mühe wert, ein Tagebuch zu führen. Schade. Unser Nachbar, der über die Hecke schaut, sagt, daß die Apfelblüten duften. Das haben wir nicht gewußt.“

Maxie Wander: Tagebucheintrag vom 30. April 1968, in: Leben wär’ eine prima Alternative, Berlin 2023 (Erstausgabe 1979), S. 142.

Samstag, 27. Januar 2024 – Maxie, Brigitte und Christa

Das Buch „Drei Frauen träumten vom Sozialismus. Maxie Wander, Brigitte Reimann, Christa Wolf“ durchgelesen – und mir gleich mehrere Titel für die Leihbücherei vorgemerkt. Neben mir liegt schon Wanders „Leben wär’ eine prima Alternative“, womit ich bereits halb durch bin. Zusätzlich besitze ich (dankeschön!) noch ihren Klassiker „Guten Morgen, du Schöne“, was ich erstens sofort als Grußformel übernehmen werde und auf das ich zweitens sehr gespannt bin.

Von Wander und Reimann hatte ich noch nie etwas gelesen, ehrlich gesagt, kannte ich die beiden Autorinnen nicht. Jetzt liegt auch „Franziska Linkerhand“ in der Warteschleife. Von Wolf lasen wir in der Schule „Der geteilte Himmel“, das ging anscheinend auch im Westen als Literatur durch.

Ich denke seit gestern nicht nur über das Buch, sondern auch über das Nachwort der Verfasserin Carolin Würfel nach, die zu Recht beklagt, dass direkt nach der Wende die komplette DDR-Kunst als wertlos ignoriert oder bewusst verdrängt wurde. Das ändert sich netterweise, aber ja, da liegt noch einiges im Argen.

Mein Hebräisch-Selbststudium ist in die Phase der Vokabelkarten eingetreten. Ich lerne weiter mit Duolingo, weil es da abwechslungsreich ist; ich kann zum Beispiel anklicken, was ich höre, hebräisch aufschreiben, was ich auf Englisch lese – der Kurs ist nicht in der deutschen Duolingo-Variante enthalten, egal – oder ganz simpel Vokabeln anklicken. Wobei mir da fehlt, dass sie mir vorgelesen werden wie in dem Teil der Lektionen, wo man nur die Buchstaben lernt, die zu totalen Fantasieworten zusammengesetzt wurden. Die konnte ich hören, die jetzigen Vokabeln nicht, was ziemlich doof ist, weil mir die Vokalauszeichnungen fehlen.

Daher habe ich inzwischen ein Lehrbuch erworben und meine alten Vokabelkarten wieder rausgekramt, die ich in der Uni für Französisch und einen einzigen Italienischkurs hatte; ich spreche beide Sprachen heute nicht, mal sehen, was hier passiert. Vielleicht bleibt es auch einfach bei meiner Zweisprachigkeit, das ist auch eine ordentliche Leistung. (Durch die Tagebücher und Briefe von Maxie Wander, die ich jetzt lese, denke ich viel über mich nach. Weiß noch nicht, wie gut das ist.)

Im Lehrbuch sind die hebräischen Worte gleich ohne Vokalauszeichnungen abgedruckt, passt, und lustigerweise stehen sie nicht nur auf Deutsch dort, sondern auch mit hingedengelter Aussprache. Passt mir auch. Mein total umständliches Vorgehen ist nun, auf Duolingo neue Worte zu lernen, sie meist neben der geöffneten App irgendwo im Internet als Aussprache zu finden, und mir dann im Lehrbuch die Grammatik dazu rauszusuchen. Denn natürlich kommen im Buch andere Vokabeln für die ersten Lektionen vor als in der App. Es ist alles etwas wild, aber vielleicht bleibt durch diese Umstände ja mehr hängen als sonst. Und wenn nicht, hatte ich Spaß mit einer neuen Sprache. Und vor allem mit dem total ungelenken Malen der Buchstaben, wie man auch auf dem Foto gut sehen kann.

Freitag, 26. Januar 2024 – Lotto und Orwell

F. und ich schafften es endlich in die Ausstellung zur venezianischen Malerei, die noch eine Woche in der Alten Pinakothek zu bewundern ist. Ich freute mich vor allem über ein Wiedersehen mit meinem Lieblings-Lotto, der seit einiger Zeit nicht mehr in der ständigen Sammlung zu sehen ist (WIESO NICHT?). Und sobald ich vor dem Werk stand, fiel ich wieder in den grünen Samtvorhang, der die Szene umschirmt und war mit der Welt versöhnt.

Lorenzo Lotto: „Die mystische Vermählung der hl. Katharina“, um 1506, Holz, 71.3 x 91,2, Bayerische Staatsgemäldesammlungen.

Unter den Links verbergen sich deutlich bessere Abbildungen als meine schnellen Handyfotos, die ich nur gemacht habe, damit ich mir merken konnte, zu welchen Werken ich etwas erzählen möchte.

Von Lotto hingen mehrere Werke in der Ausstellung, was mich sehr gefreut hat. Diese Dame hatte es mir angetan:

Lorenzo Lotto: „Bildnis einer Frau“, um 1505, Holz, 36 x 28 cm, Musée des Beaux-Arts, Dijon. (Ich muss nach Dijon.)

Erstens: Auch hier ein grüner Vorhang. Zweitens: Ich fühlte mich gesehen. Die Frau ist nicht besonders hübsch oder besonders schlank, aber hey, sie wurde für würdig gehalten, gemalt zu werden. Eat this, überirdisch schöne Allegorien und griechische Göttinnen, die überall rumhängen und -stehen. Ich mochte das Bild einfach, es war so, Vorsicht, doofes Wort, normal.

Noch etwas normales. Der normalste Jesus, den ich je gesehen habe.

Venezianisch: „Kreuztragender Christus“, um 1515, Holz, 63 x 46,3 cm, Kunsthistorisches Museum Wien.

Ich frage mich, ob wir an dem Jesus in Wien immer vorbeigelaufen sind, weil dort sehr, sehr, sehr viele Jesusse hängen oder ob der im Depot war; in der Online-Sammlung scheint er nicht zu sein Edit: danke für den Hinweis, er ist doch online). Hier, in einer deutlich kleineren Ansammlung, fiel er total auf und hat es auch aufs Ausstellungsplakat geschafft.

Mich faszinierte der Blick über die Schulter, auf der gerade nicht das schwere Kreuz liegt, das der Mann zu seiner eigenen Hinrichtung schleift. Und dieser Blick passt so gar nicht zu der abgebildeten Tätigkeit. Ich fand ihn, wie eben erwähnt, so normal, was für mich zunächst nicht stimmig war, aber dann genau doch.

Ich musste an die Kurzgeschichte „A Hanging“ von George Orwell denken, die ich seit über 20 Jahren im Hinterkopf habe. Hier der entscheidende Ausschnitt, in dem Orwell einen Gefangenen beschreibt, der auf dem Weg zum Galgen ist:

„It was about forty yards to the gallows. I watched the bare brown back of the prisoner marching in front of me. He walked clumsily with his bound arms, but quite steadily, with that bobbing gait of the Indian who never straightens his knees. At each step his muscles slid neatly into place, the lock of hair on his scalp danced up and down, his feet printed themselves on the wet gravel. And once, in spite of the men who gripped him by each shoulder, he stepped slightly aside to avoid a puddle on the path.

It is curious, but till that moment I had never realized what it means to destroy a healthy, conscious man. When I saw the prisoner step aside to avoid the puddle, I saw the mystery, the unspeakable wrongness, of cutting a life short when it is in full tide. This man was not dying, he was alive just as we were alive. All the organs of his body were working –bowels digesting food, skin renewing itself, nails growing, tissues forming–all toiling away in solemn foolery. His nails would still be growing when he stood on the drop, when he was falling through the air with a tenth of a second to live. His eyes saw the yellow gravel and the grey walls, and his brain still remembered, foresaw, reasoned – reasoned even about puddles. He and we were a party of men walking together, seeing, hearing, feeling, understanding the same world; and in two minutes, with a sudden snap, one of us would be gone – one mind less, one world less.“

So schaut für mich Jesus. Er weicht hier keiner Pfütze aus, aber vielleicht hat jemand in der Menge nach ihm gerufen und er dreht sich nach dorthin um, wie man sich eben sein ganzes Leben lang jemandem zuwendet, der den eigenen Namen ruft. Er sieht für mich nicht so aus, als würde er in diesem Moment an seine Aufgabe denken, die vor ihm liegt, der fürchterliche Tod, das lange Leiden. Er lebt, er ist mitten im Leben und er hat kurz vergessen, dass dieses in nicht allzulanger Zeit vorbei ist.

(Ich muss immer eine kurze Pause machen, wenn ich an diese Short Story denke. Deswegen hier ein schönes Frauenporträt, zu dem ich nichts zu sagen habe, aber ich mochte es sehr gern.)

Sebastian del Piombo: „Bildnis einer jungen Frau“, um 1506/07, Holz, 33,6 x 28,6 cm, The Faringdon Collection, Buscot Park. Die Website ist fürchterlich, bitte selbst nach der Dame suchen (Katalognummer 48). Wobei hier mein Handyfoto echt besser ist als das auf der Website. Seufz.

Lorenzo Lotto: „Bildnis eines Mannes (Mercurio Bua?)“, um 1535, Leinwand, 118 x 105 cm, Galleria Borghese, Rom.

Diesen Lotto mochte ich auch sehr gern, auch wenn das Licht etwas genervt hat. Die dunkle Kleidung vor dunklem Hintergrund ist auch äußerst foto-unfreundlich, als ob Herr Lotto das vor 500 Jahren geahnt hat und er uns sagen möchte, da müsst ihr schon selbst vorbeikommen und gucken, das bringt online nix, stellt euch selbst vors Bild, ihr Nasen. Hab ich gemacht, recht lange sogar. Ich konnte mich vom Detail der rechten Hand nicht losreißen, die nicht nur Blütenblätter zerquetscht, sondern unter der sich auch ein winziger Totenschädel verbirgt.

Die italienische Malerei ist so gar nicht mein Fachgebiet, ich versuche in solchen Ausstellungen zwar immer das wenige zusammenzukratzen, was ich im Bachelor dazu mitbekommen habe, aber meist bin ich hier totale Laiin und denk mir nur, ach schön, ach spannend, ach, hier bleib ich einfach länger stehen und gucke. Dass der Totenkopf ein Hinweis auf unsere Sterblichkeit ist, habe ich mir immerhin gemerkt, und ich ahne, dass auch die Blütenblätter in diese Richtung gehen, aber eigentlich war es mir egal – ich fand das Detail einfach spannend. Hatte ich in dieser Kombi noch nie gesehen.

Woran ich mich aber gut erinnere, ist Hans Memling, den ich im allerersten Semester kennengelernt habe, aww, ich war so klein.

Hans Memling: „Bildnis des Bernado Bembo“, um 1480/1510, Holz, 35,7 x 22 cm, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Antwerpen. (Ich muss nach Antwerpen.)

Über den Herrn und seine Diptychen habe ich eins meiner ersten Referate gehalten. Die Porträts Memlings mag ich sehr gern; das hier kannte ich noch nicht im Original und habe mich sehr gefreut, dass die Ausstellung damit begann. Der Herr war Botschafter in Venedig, wie mir die Antwerpener Website verrät. Das wäre vielleicht auch in interessantes Detail für den nicht vorhandenen Wandtext am Bild gewesen.

Bernadino Licinio: „Das Konzert“, 1518/20, Leinwand, 114 x 172 cm, Privatsammlung. (Privatsammlung!)

Als Rausschmeißer das Werk, vor dem ich am längsten gestanden habe und über das ich dringend Dinge im ZI nachlesen möchte. Sind das vier Stände oder Berufe, die dort abgebildet sind? Soldat, Student (?), Musikant(in?), Kaufmann? Warum hängen über allen vier verschiedene Blumen und Früchte? Was bedeuten sie? Für wen ist dieses Konzert? Für wen wurde das Werk gemalt? Ich hatte viele Fragen. Auch die nach einem Wandtext, wie überall. Es gab Einleitungstexte für Werkgruppen, die ich manchmal arg beliebig fand, aber an den einzelnen Werken stand bis auf Künstler, Werktitel und Entstehungsdatum nichts. Nicht mal das Material, was ich bei den Arbeiten auf Papier doch gerne gewusst hätte. Reines Interesse. Die Basics der Kunstgeschichte halt.

Ich hadere ein bisschen mit der Ausstellung, weil sie ihr Versprechen im Titel „Die sanfte Revolution“ nicht so recht einlöst – was genau war denn nun diese Revolution? Die Farbigkeit? Die lyrischen Männerporträts? Wobei mir das erst beim Rausgehen auffiel, das mir das nicht so recht klargeworden war. Könnte auch daran liegen, dass ich den einleitenden Wandtext nicht gelesen habe, dort stand gerade eine Führung, wie gestern fast durchgängig irgendwo. Freut mich, dass so viele Besucher*innen kommen, aber wenn man dann nicht mehr zu den anderen Räumen gelangt, weil alles vollsteht und die Aufseher einen nicht zu nahe an die Werke kommen lassen (völlig zu Recht!), um an den Gruppen vorbeizukommen, dann hinterfrage ich doch etwas die Planung.

Das habe ich der Ausstellung aber trotzdem verziehen, weil ich einige spannende Werke kennengelernt habe. Und halt meinen geliebten Lotto wieder anschauen konnte. Ich hoffe sehr, dass er bald wieder nach oben in die Dauerausstellung darf. Er hängt zwar als Druck in meiner Küche, aber es war so schön, wieder vor dem Original zu stehen und sich in den Vorhang fallenlassen zu können. Das Werk hat eine derart beruhigende Wirkung auf mich, die mich immer wieder erstaunt.

Donnerstag, 25. Januar 2024 – Impfung und Smartes

Die freundliche Ärztin, die mich gestern impfte, klärte mich vorher auf, dass die Covid-Impfung derzeit nur für über 60-Jährige jährlich empfohlen wird, was irgendwie an mir vorbeigegangen ist. Aber aufgrund meiner Vorerkrankungen fand sie die Idee auch gut, mich zu impfen. „Hauptsächlich, damit Sie es nicht nochmal kriegen.“ – „Ich hab’s noch nicht gehabt.“ – „Oh, das ist gut!“ Finde ich auch.

Einziger Wermutstropfen, haha, Wermut: Ich soll drei Tage keinen Alkohol trinken? War das sonst nicht immer nur ein Tag? Hmpf. Damit fällt der Burgunder bei der heutigen Date Night flach, aber ich denke, wir werden uns auch bei Pepsi Zero (Lieferservice hatte keine Coke) was zu sagen haben. Und die gieße ich gnadenlos in die guten Gläser!

Da ich mich gestern schonen sollte, habe ich das total brav gemacht, den Schreibtisch mal ignoriert und versackte mit Büchern und Handy auf dem Sofa. Dass ich älter werde und interessante neue Anforderungen an mein Smartphone stelle, merkte ich, als ich mir vor einigen Wochen wie in Trance eine Malen-nach-Zahlen-App runterlud, die ich sogar ernsthaft benutze. Nicht jeden Tag und ich muss auch keine knuffigen Hunde oder Villen in italienischer Landschaft malen, aber so ab und zu erwische ich mich dabei, beim Ausklicken eines bunten Blumenstraußes geistig 20 Minuten abzuschalten.

Blöderweise hat die App nach jedem Bild Werbung für andere Apps, weswegen ich jetzt auch ein Spiel habe, bei dem man 3D-Gegenstände aus einem Berg anderer, sinnloser 3D-Gegenstände herausfischen muss. Es macht total hibbelig und hektisch und ruiniert total das Zen-Erlebnis, das ich mit den Blümchen habe.

Ich habe einen kleinen Ersatz für die schmerzlich vermissten Artbots auf Twitter gefunden: Ich reposte viele Werke in meine Storys, die mir die ganzen Museen, denen ich folge, in die Insta-Timeline werfen. Vorgestern posteten die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden einen Kanoldt, der natürlich sofort weiterverwendet wird. #KanoldtUltras #NeueSachlichkeitForever

Bobby Berk Explains Why He’s Really Leaving Queer Eye

Ich mochte Bobby sehr gerne in QE, er war neben Tan und Jonathan, deren Verwandlungskünste mich so gut wie immer sprachlos machten, mein Liebling. Dass er die Show verlässt, machte mich in den letzten Tagen trauriger als erwartet, aber ich hoffe einfach auf eine eigene Sendung, bei der ich stundenlang Innendesign anschmachten kann.

„Queer Eye’s breezy nature belies what a beast it can be to film. “It’s beautiful and amazing and heartfelt, but behind the scenes, it’s an emotionally hard show to make,” Berk says. “Queer Eye has opened up a lot of wounds—not just for me, but for my castmates too. We’ve had to open up wounds that we thought we had forgotten about and healed from, from our childhood and our past. That takes a lot out of you, to revisit those again in front of the world.“

The 42-year-old Berk has alluded to a few of those wounds onscreen. He grew up on a farm in the small, conservative city of Mount Vernon, Missouri, and left home at 15. His religious family and community were incredibly hostile to queer people: “Some person came out and they literally tried to kill him. Some guys ran him off the road one night. So I couldn’t live with this mask anymore,” says Berk. “I had to leave.” […]

Berk’s charisma and design skills got him the job—but his ability to connect with makeover subjects, particularly religious ones, has been his superpower. Berk says he received an email from an Assemblies of God pastor who told him that he’d spent his life preaching “that anybody who is gay is a sinner and they need to repent,” noting that he’d “always thought it was a choice.” However, the pastor told him that watching the series had made him “realize that it’s not a choice and that you were born that way,” Berk says; he said he would “never preach that hate” in his church again. Receiving the message, Berk says, “was one of the most amazing moments in my life. [By] allowing myself to be vulnerable and allowing myself to relive that trauma, I may have had a hand in preventing that trauma for future generations.”

(Archive-Link, falls ihr euren einzigen Vanity-Fair-Artikel in diesem Monat schon verballert habt.)

Mittwoch, 24. Januar 2024 – Wind und Hund

Gestern windete es in München ziemlich schön, weswegen ich meine Einkäufe zu Fuß erledigte, um mich mal wieder durchpusten zu lassen. Ich war die ganze Zeit damit beschäftigt, mir die Haare aus dem Gesicht zu streichen, wenn ich die Hände nicht gerade ausgestreckt neben mir in den Wind hielt, um den Widerstand zu erhöhen und sich wie auf See zu fühlen. Das war sehr norddeutsch und hat sehr gut getan.

Bis auf den letzten Abschnitt, den ich dann doch, inzwischen schwer bepackt, mit dem Bus zurücklegen wollte. Ich sah an der Tür, in die ich einsteigen wollte, eine Dame mit zotteligem Hund, weswegen ich flugs zur nächsten Tür schritt – meine Tierhaarallergie weiß nie so genau, auf was sie allergisch reagiert, daher bin ich vorsichtig. Fünf Meter Abstand schienen zu reichen, aber an der nächsten Station stieg eine weitere Hundedame ein, und da merkte ich schon nach wenigen Sekunden, dass die Nase zu jucken begann. Daher stieg ich nur zwei Stationen nach dem Einstieg wieder aus, weil ich ebenfalls merkte, dass das Atmen schwerer fiel, nahm kurz einen Hub Spray und ging dann doch lieber weiter zu Fuß.

Ich ahne, dass das Leser*innen kostet, aber: Könnt ihr eure vierbeinigen Freunde bitte einfach zuhause lassen, wo ich ihnen weiträumig ausweichen kann? Bringt Schildkröten in öffentliche Räume oder Goldfische, aber nichts, was haart. Übrigens auch ein gutes Argument fürs Home Office: Bürohunde. Wann hat dieser Quatsch eigentlich so überhand genommen? Oder sind das nur Werbeagenturen und Start-ups?

Leseempfehlung 1:

Umarmung und Abwehr. Wie nach 1945 eine rechte Sammlungspartei verhindert wurde – und was wir daraus lernen sollten

Ich fand den Artikel sehr lesenswert, auch wenn er sich ziemlich um eine Gruppe von Menschen herumdrückt: die Opfer des NS-Regimes. Ja, durch die Einbindung von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern und weiteren Nazis in die staatlichen Stellen hat man ihre (imaginierte oder tatsächliche) Gefahr mindern können, aber zu welchem Preis? Dem, dass Opfer weiterhin davon ausgehen mussten, sich bei möglichen Ansprüchen an den neuen Staat den alten Kadern gegenüberzusehen.

Das bewusste Beschweigen der NS-Zeit, die schon frühe Schlussstrich-Debatte haben nicht nur dafür gesorgt, dass Nationalsozialisten sich ganz eventuell doch mit einer demokratischen Staatsform anfreunden konnten und vor allem Wirtschaft und Zeug wieder liefen, aber auch dafür, dass Opfer mitschweigen mussten, um den brüchigen Frieden nicht zu gefährden.

„Zur Erinnerung: Auch wenn wir es heute in Teilen der Polizei, aber auch des Militärs wieder mit rechten Netzwerken, unter anderem von selbsterklärten „Reichsbürgern“, zu tun haben, stellte sich seinerzeit die Frage nach der Zuverlässigkeit der Bürokratie in einem ungleich größeren Ausmaß. Die Alliierten hatten 1945 nicht weniger als 200 000 Personen, die sie als rechte Gefährder einstuften, in Sicherheitsverwahrung genommen: NSDAP-Funktionäre, Angehörige des Sicherheitsapparates, Berufssoldaten, höhere Beamte, Topmanager. Noch einmal so viele wurden entlassen – als „Nazis“, aber auch als „Militaristen“, wenn sie aus dem Sicherheits- und Militärapparat oder der Rüstungsindustrie des Reiches kamen.

Teile der SPD und der Gewerkschaften setzten angesichts dieser riesigen Herausforderung auf eine Politik, die sie in Anlehnung an das Republikschutzgesetz von 1922 „Schutz der Demokratie“ nannten. Der Demokratieschutz sollte stabilisieren durch soziale Absicherung der potenziellen Gefährder: Die meisten der von der Denazifizierung betroffenen Personen sollten ein Anrecht auf Wiedereinstellung bekommen. Allerdings sollten Spitzenpositionen weiterhin durch Nazigegner besetzt werden.

Praktiziert wurde diese Politik in Ansätzen in Hessen, wo ein einzelner mutiger und gut platzierter Staatsanwalt wie Fritz Bauer wichtige Akzente setzte – übrigens nicht nur bei der Ahndung von NS-Verbrechen, sondern auch im Kampf gegen rechte Paramilitärs. Außerdem war die SPD gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und für eine Entflechtung der Großindustrie. So sollte die Abkehr vom Militarismus sichergestellt werden.

Demgegenüber setzten die bürgerlichen Parteien, zu denen neben der CDU/CSU und der FDP auch die monarchistisch-nationalkonservative Deutsche Partei (DP) zählte, auf eine Politik, die den „Schutz des Staates“ in den Mittelpunkt stellte. Dieser Staatsschutz gab vor, sich nicht sonderlich für etwaige Gefahren von rechts zu interessieren. Mit umso größerem Nachdruck beschwor er die Existenz einer „roten Gefahr“.“

#FritzBauerUltras, wisst ihr ja. Dem Institut kann man folgen.

Leseempfehlung 2:

245,000 Jewish Holocaust survivors are alive today. Where are they now?

Der Artikel aus der Washington Post ist ein „gift article“, wer ihn trotzdem nicht lesen kann, klickt bei archive.

„After the Holocaust, Europe’s heavily diminished Jewish population spread out across the globe. Since most countries do not systematically track survivors, it has not been clear how many were still alive — until now.

The Conference on Jewish Material Claims Against Germany published on Tuesday what is thought to be the first comprehensive, verified estimate of the size of this population, where they live and what their needs are. Known as the Claims Conference, it is an organization that secures compensation payments from the German and Austrian governments for Jewish Holocaust survivors.“

Fast die Hälfte der Überlebenden lebt heute in Israel. Falls noch jemand nach dem 7. Oktober Argumente braucht. Und warum das Ganze? Deswegen:

„When survivors die, a living piece of history dies with them. Leon Weintraub, 98, one of the living Jewish survivors, said it is more crucial than ever to share and preserve the lessons from that history in the face of Holocaust denialism and rising nationalist sentiment across Europe. Despite the troves of evidence of Nazi crimes, “there are still people who deny that this happened,” he said.“

Das im Artikel angesprochene PDF ist hier.

Dienstag, 23. Januar 2024 – Brahms und Brahms

Wir saßen schon wieder in einem Konzert, das ballt sich gerade etwas. Und es gab, genau wie Samstag, Brahms, dieses Mal nicht nur Klavier, sondern Klavier und Orchester vor der Pause (1. Klavierkonzert) und danach nur noch Orchester (4. Sinfonie). Die Münchner Philharmoniker hatten sich Zubin Mehta als Dirigent eingeladen und spielen seit Tagen mit ihm alle Sinfonien durch, wenn ich das richtig gesehen habe. Auch wegen des Dirigenten hatte F. die Karten erworben, denn wer weiß, wie lange man den Herrn noch sehen kann, und Yefim Bronfman hatte ich zumindest auch noch nie live gehört. Jetzt weiß ich: gerne wieder.

Mehta hatten wir gemeinsam in Wien gesehen, als wir noch sehr spontan Karten für den Musikverein bekamen. Wegen dieser Spontaneität saßen wir in der letzten Reihe im seitlichen Rang und überblickten nur ein Drittel der Bühne. War im Prinzip egal, denn der Klang war unglaublich und wunderschön, das Konzert rangiert in meinem Kopf ganz oben bei den besten, aber ich hatte Mehta halt noch nie bei der Arbeit gesehen. Als wir gestern in der Isarphilharmonie Platz nahmen, wo der Flügel mittig auf der Bühne stand, meinte F.: „Heute siehst du ihn auch nicht. Zumindest in der ersten Hälfte.“ Und ja, der aufgeklappte Deckel verdeckte das Dirigentenpult fast. Aber ich sah ihn immerhin ein bisschen: die sich nicht übermäßig bewegenden Hände und ab und zu seinen Kopf. Netterweise sah ich aber Bronfman, dem ich sehr gerne zuschaute und noch lieber zuhörte.

Für mich überraschend mochte ich die erste Hälfte lieber, beim Klavierkonzert von 1859 hatte ich mich seelisch auf was Nettes, Unaufgeregtes eingestellt, bei der Sinfonie, die 1885 uraufgeführt wurde, dann auf gefühlt Neueres, wir sind ja schon auf dem Weg ins 20. Jahrhundert. Es war aber, für mich Laiin, genau umgekehrt. Beim Klavierkonzert entfleuchte mir direkt im Schlussapplaus ein „Wow“, bei der Sinfonie stieg ich geistig irgendwann im dritten Satz etwas aus und ließ den vierten dann eher milde interessiert an mir vorbeiziehen. (Edit 30 Minuten nach dem Posten: Die oben verlinkte Aufnahme läuft gerade, und momentan finde ich den 3. Satz super.) Aber alleine für die ersten beiden Sätze hat es sich, es hat sich wie immer gelohnt, im Konzertsaal zu sitzen. Und wenn diese Abendveranstaltungen noch etwas früher begännen, könnte man danach noch auf einen Cocktail … aber so stiegen wir in unsere U-Bahnen und Trams und waren brav um 23 Uhr im Bett.