Million Dollar Baby

Million Dollar Baby (USA 2004, 132 min)

Darsteller: Clint Eastwood, Hilary Swank, Morgan Freeman, Lucia Rijker, Brian F. O’Byrne, Margo Martindale, Jay Baruchel
Musik: Clint Eastwood
Kamera: Tom Stern
Drehbuch: Paul Haggis, nach Motiven aus Geschichten von F. X. Toole
Regie: Clint Eastwood

Trailer

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Ich mag am Kino die großen Wahrheiten, den Erfolg, den Sieg, aber auch das Scheitern und das Tragische. Einem Film dabei zuzusehen, wie er hinter Motiven und Bildern plötzlich den Blick auf das Große, Ganze freigibt, ist für mich unwiderstehlich und der Grund, warum ich Kino mag. Normalerweise ist Clint Eastwood ein Garant für derartiges Kino. Der zwingenden Sog von Mystic River, in dem es um Schuld, Sühne, Familie und Freundschaft ging. Die heillos romantische Liebesgeschichte aus The Bridges of Madison County, in dem ich einer verpassten Chance, ja einem verpassten Leben hinterhergeweint habe. Und natürlich der kompromisslose, gewalttätige und gleichzeitig seltsam zärtliche Unforgiven, um nur ein paar seiner Filme zu nennen. Ich mag die Art, wie Eastwood Regie führt, wie er sich auf seine Protagonisten konzentriert, schlicht ihre Geschichte erzählen will, ohne Schnörkel und hollywoodhafte Umwege. Kurz gesagt: Ich hatte mich auf Million Dollar Baby wirklich gefreut. Und war nach dem Kinobesucht wirklich mies gelaunt.

Million Dollar Baby handelt vom alten Boxtrainer Frankie (Eastwood), der zusammen mit seinem Freund Scrap (Morgan Freeman) ein heruntergekommenes Sportstudio betreibt, in dem sich hoffnungsvolle mit komplett talentfreien Boxern die Geräte teilen. Eines Tages spaziert Maggie (Hilary Swank) in das Studio und fängt an, einen Sandsack zu bearbeiten; sie will von Frankie trainiert werden, der nach einigem Zögern auch einwilligt.

Schon in den Anfangsszenen habe ich über die Ansammlung von Klischees gestöhnt: Dialoge der Marke “Some people say I’m pretty tough”– “Girlie, tough ain’t enough” waren zwar netterweise die Ausnahme, aber ansonsten war alles da: das Schild an der Wand mit der Deppenbotschaft “Winners are people who are willing to do what losers won’t”; der Südstaatenslang von Swank, die zu allem Überfluss natürlich auch noch Kellnerin ist, dem bekanntermaßen trashigsten aller White Trash-Jobs in Filmen; der weise, gutmütige und schlitzohrige Sidekick, der uns aus dem Off wahnsinnig tiefgründige Boxweisheiten einflüstert. Ihn darf undankbarerweise Morgan Freeman geben, der wirklich Besseres verdient hätte auf seine alten Tage.

Und damit nicht genug: Natürlich hat auch jeder der drei Protagonisten eine Vergangenheit, die er oder sie mit sich herumträgt. Dagegen ist ja auch im Prinzip nichts einzuwenden, wenn diese Vergangenheit irgendetwas mit dem Film zu tun hat, wenn also die Vergangenheit das Handeln der Figuren in der Gegenwart so sehr bestimmt, dass man sich diesem Handeln nicht entziehen kann. Hier aber hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass man sich beim Drehbuchschreiben irgendwie nebenbei überlegt hätte, was denn passiert sein könnte, damit z.B. Frankie sich so rührend um Maggie kümmert, warum Frankie jeden Tag in die Kirche geht oder warum Frankie und Scrap seit 100 Jahren aufeinander hocken. Ah, ich hab’s, der eine war ein Boxer, der andere sein Trainer, dann schmeißen wir noch einen verlorenen Titelkampf und eine unheilbare Verletzung mit rein blablabla … und das Fiese ist: Man muss sich diese ganze, langweilige Vergangenheit auch noch erzählen lassen anstatt sie irgendwie unterschwellig vermittelt zu bekommen. Nein, Freeman setzt sich hin und quatscht. Ich habe selten so eine unelegante Motivandeutung gesehen. Denn mehr als eine Andeutung ist es nicht: Scrap hätte auch Tankwart sein können und Frankie sein Kunde; es hätte am Ausgang des Films nichts geändert. Die Motive, die hinter den Figuren stehen – der Verlust eines geliebten Menschen, die Schuld, die man mit sich herumträgt, die verpassten Gelegenheiten, denen man nachtrauert – waren hier nicht mehr als eine wohlig-deprimierte Tapete, aber kein zwingender Motor der Geschichte.

Und auch Maggie kriegt ihre Hintergrundgeschichte, die sie uns ebenfalls größtenteils erzählt: von ihrem Daddy und ihrem todkranken Hund, der leider irgendwann von Daddy umgebracht wurde und davon, dass sie nur einen Traum hat: zu boxen. Warum sie da erst mit 31 draufkommt, ist mir nicht klar geworden, aber gut. Wahrscheinlich hätte es noch alberner ausgesehen, wenn der 75jährige Eastwood eine 17jährige trainiert hätte. Maggies restliche Familie lernen wir immerhin im Bild kennen und nicht nur als Monolog, aber leider sind sie noch üblerer Trailer Trash, als wir uns das vorher vorgestellt hatten bzw. Trailer Trash-Abziehbilder: die dicke Mama, die babyschleppende Schwester, der tätowierte Bruder … eklig. Warum Maggie immer noch versucht, sich die Liebe ihrer Mutter zu verdienen oder zu erkaufen, obwohl diese für sie offensichtlich nichts übrig hat, habe ich nicht verstanden. Und ehrlich gesagt, war es mir irgendwann auch ziemlich egal.

Million Dollar Baby hatte zudem noch eine arg bemühte Dramaturgie. Die wenigen Spannungsmomente, die der Film hatte, als Maggie ihre Karriere als Boxerin aufnimmt und ehrgeizig verfolgt, werden allesamt zunichte gemacht durch den letzten Akt, die große Wende, als das Unglück über unsere drei Figuren hereinbricht. Dieser Bogen, den die Geschichte hier schlägt, kommt so unvermittelt und endet ebenso unvermittelt, dass ich mich gefragt habe, ob ich mir gerade ernsthaft eine zweistündige Exposition für eine Fünf-Minuten-Pointe angeguckt habe. Im Nachhinein fühlt es sich jedenfalls so an: Um die ganze Tragweite der Tragik klarzumachen, musste man im Vorfeld eben eine Menge erklären. Oder etwa nicht? Ich habe gerade vor zwei Wochen einen Film gesehen, in dem ein ähnlicher Schicksalsschlag wie der aus Million Dollar Baby vorkam. Dieser Film hieß Das Meer in mir, und der brauchte eine Rückblende und zwei vergilbte Fotos, um mir eine Lebensgeschichte zu erzählen, keine zwei Stunden.

Ich frage mich, seit ich aus dem Kino gegangen bin, was das Großartige an Million Dollar Baby ist, warum er alle Preise gekriegt hat, die er kriegen konnte. Freeman war in vielen anderen Filmen besser, Swank hat den Oscar, glaube ich, nur bekommen, weil sie so oft blutig und zerschlagen aussah, und warum die Regie jetzt auszeichnungswürdig ist, weiß ich auch nicht. Sicherlich hatten einige Szenen einen gewissen Charme, zum Beispiel wenn Frankie und Scrap über Scraps löcherige Socken philosophieren. Sicherlich macht es Spaß, Maggie dabei zuzuschauen, wie sie besser und besser wird; eine Montage aus ihren Erstrunden-K.O.s ist wundervoll leichtfüßig (im wahrsten Sinne des Wortes) und entschuldigt die üblichen Trainingssituationen, die man aus hundert Boxfilmen kennt. Aber die wenigen angenehmen Momente und die wenigen tragischen im Schlussteil werden erdrückt durch die Banalität, die über allem wabert. Die klare Linie, die ich sonst an Eastwood mag, verkommt hier zu einem schlichten Bilderreigen; kaum eine Szene ist mir wirklich in Erinnerung geblieben, fast alles floss widerstandslos an mir vorbei. Auch die Konzentration auf die Figuren war mir hier zu simpel gestrickt, mir fehlte das Geheimnisvolle, das Überraschende, das gewisse Etwas, das aus Charakteren Menschen macht. Hier fühlten sich alle Charaktere wie Schablonen an und dummerweise wie Schablonen, die ich schon hundertmal gesehen habe.

Million Dollar Baby eignet sich nicht für die großen Kinogefühle, die ich so mag. Er ist zu geradeaus, zu wenig von seinem eigenen Material überzeugt. Er nutzt Klischees, ohne sie zu brechen oder zu ironisieren, sondern tut im Gegenteil so, als wären es keine Klischees, sondern tiefgründige Wahrheiten. Und vor allem spricht er die Motive, den ganzen Sinn des Films, einfach aus, anstatt ihn durch Metaphern oder eine gute Story zu verklausulieren. Nichts ist langweiliger, als eine Lösung auf einem Silbertablett serviert zu bekommen. Und bei Million Dollar Baby ist es nicht mal das. Da ist es bloß ein Schild neben einem heruntergekommenen Boxring.

Danke …

… für Praschl-lesen-dürfen. Wie immer halt. Ich bewundere an seinen Texten stets diese Demut vor dem, was passiert, dieses Nie einfach hinnehmen, sondern Reflektieren, Nachhallen lassen, Spürbar werden lassen. Man traut sich fast nicht, einen Kommentar zu schreiben, weil es das Ende des Textes verwischt. Deswegen mache ich es auch nicht oft. Aber diesmal musste es mal wieder sein. Lesen, bitte.

Opa ist weise

Jedenfalls laut Jochen.

Zu Besuch beim Kanzler

Gestern lief die erste Folge von Kanzleramt. Erster Eindruck: nicht so schlecht, wie ich erwartet hatte, aber auch nicht so gut, wie ich gehofft hatte.

Die Charaktere haben mir gut gefallen, auch wenn ich Klaus J. Behrendt, so gerne ich ihn mag, als Kanzler völlig fehlbesetzt finde. Er ist mir zu leichtgewichtig, zu wenig eindrucksvoll. Das Problem mit den Figuren war, zumindest bei der gestrigen Folge, dass sie sich durch eine Handlung bewegten, die mit leichten Änderungen auch in einer großen Firma hätte spielen können. Mir hat das Politische gefehlt, das The West Wing so besonders macht. Kanzleramt hatte ein bisschen was von einem Tatort, der zufällig in einer Regierungsstelle passiert: zu viele Außenaufnahmen, zu vieles, was im Handumdrehen bzw. in 45 Minuten gelöst wurde. Der Trailer zur nächsten Folge lässt allerdings darauf hoffen, dass doch noch ein bisschen mehr Hinter-die-Kulissen-gucken kommt.

Ich fand übrigens auch die Dialoge ziemlich gelungen. Ab und zu war zwar ein erklärendes Sätzchen zuviel da, aber generell klang alles schön knapp und nicht so ziseliert wie der übliche deutsche Seriensprech. Ich bin gespannt auf die zweite Folge. Nächsten Mittwoch, 20.15 Uhr, ZDF.

Mange tak revisited

Ein Geburtstagsgeschenknachzügler ist gestern bei mir aufgelaufen: Wenn Gott ins Kino geht beschäftigt sich mit Filmen, die religiöse Motive haben oder ethische Fragen behandeln. In der Liste befinden sich die üblichen Verdächtigen wie Die Passion Christi, Jesus Christ Superstar oder Mission, aber auch Bad Lieutenant, Der Club der toten Dichter und Und täglich grüßt das Murmeltier. Bis jetzt habe ich nur quergeblättert, aber ich glaube, das wird ein netter Leseabend. Vielen lieben Dank, Herr Sebas.

Auf Leben und Tod

Nach tagelangem, eigentlich jahrelangem Hin und Her hat nun ein US-Bundesgericht festgelegt, dass Terri Schiavo nicht weiter künstlich ernährt werden soll. Sie wird daher in einigen Tagen sterben dürfen.

Ich finde die Diskussion, die sich um den Fall in Amerika entzündet hat, ziemlich geschmacklos. Beziehungsweise finde ich es geschmacklos, dass Präsident Bush sich entblödet, seine eilige, aber im Endeffekt wirkungslose Gesetzesunterzeichnung vom Montag zur Fortsetzung der künstlichen Ernährung ausgerechnet so zu kommentieren: “In cases like this one, where there are serious questions and substantial doubts, our society, our laws, and our courts should have a presumption in favor of life.”

In favor of life? Our laws, our courts? Einen derartigen Satz ausgerechnet aus einem Land zu hören, das jährlich hunderte von Menschen in eine Gaskammer schickt, sie mit einer Giftspritze tötet oder sogar auf dem elektrischen Stuhl hinrichtet, finde ich ziemlich scheinheilig. In favor of life ist die amerikanische Gesetzgebung gerne dann, wenn es um publikumswirksames Leben geht, wie zum Beispiel das vieler Ungeborener, die dringend vor ihren abtreibungswilligen Müttern geschützt werden müssen. Und nun eben das Leben von Terri Schiavo, die seit 15 Jahren in einem vegetativen Koma vor sich hinwartet. Auf den Tod, nehme ich an, der ihr gnädigerweise schon vor 15 Jahren hätte geschenkt werden sollen. Wieso ist ihr Leben auf einmal so viel wert? Und wieso ist es vor allem mehr wert als das derjenigen, die in irgendwelchen Zellen auf ihre Hinrichtung warten?

Natürlich kann man erstens argumentieren, dass es immer wieder Fälle gab, in denen Menschen auch nach jahrelangem Koma wieder erwacht sind. Meines Wissens waren das aber Komapatienten, deren Hirnfunktionen noch messbar waren, im Gegensatz zu Terri Schiavo, deren Großhirn abgestorben ist. Und zweitens ist Terris Leben nach alttestamentarischen „Auge um Auge“-Kriterien vielleicht mehr wert, weil sie sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Sie ist keine Mörderin, die auf ihre Hinrichtung wartet, die eventuell gnädigerweise in letzter Sekunde abgeblasen werden könnte. Sie ist nur eine Komapatientin, die Eltern hat, die sie nicht gehen lassen möchten. Verständlicherweise, aber ob ihr Handeln im Sinne ihrer Tochter ist, wage ich zu bezweifeln.

In den amerikanischen Medien und Weblogs wird gerne die Gottesfürchtigkeit Bushs zitiert, wenn es darum geht, seine Entscheidung und die des Kongresses zu rechtfertigen, Schiavo weiterhin künstlich zu ernähren: Gott gibt uns das Leben, und er nimmt es wieder. Es sei nicht unsere Aufgabe, darüber zu entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Aber auch hier beißt sich die Argumentation wieder, denn in jedem Gerichtsverfahren, in dem jemand zum Tode verurteilt wird, maßen sich Menschen das Recht an, Leben zu nehmen. Terri Schiavo ist, soweit ich weiß, zu spät ärztlich betreut worden, um ihr bisheriges, bewusstes Leben zu retten, aber schnell genug, um noch einige Körperfunktionen aufrecht zu erhalten, die allerdings nun seit Jahren komplettiert werden müssen, z.B. durch die künstliche Ernährung. Hätte Terri vor 15 Jahren schon sterben sollen? Haben sich damals nicht schon Menschen durch die Reanimation eingemischt in eine göttliche Entscheidung (wenn wir der Argumentation folgen wollen, dass Gott bestimmt, wer lebt und wer stirbt)? Wäre dann nicht die Einstellung der künstlichen Ernährung nur die letzte und endgültige Erfüllung von Gottes Wille?

Ich finde es ziemlich anstrengend, dem amerikanischen Zickzackkurs zu folgen: Mal ist Leben etwas Heiliges, dann etwas, das man durch Menschenhand vernichten darf. Ich frage mich auch gerade, wie man z.B. den Irak-Krieg religiös rechtfertigen kann – schließlich beginnt man einen Krieg nicht in der Absicht, niemanden umzubringen. Im Fall von Saddam Hussein ist, glaube ich, eher vom Gegenteil auszugehen.

Dieses Herumgeeiere und die Tatsache, dass Religion bzw. in vielen amerikanischen Fällen der christliche Glaube gerne für persönliche Zwecke instrumentalisiert wird, macht es mir persönlich sehr schwer, meinen eigenen Glauben zu verteidigen. Es ist ziemlich nervig, allein durch das kleine silberne Kreuz, das ich trage, von vornherein in einen Topf geworfen zu werden mit einer Gruppe von Hinterwäldlern, die die Bibel wörtlich nehmen wollen und ihren Kindern beibringen, dass Darwin keine Ahnung hatte und Homosexuelle in der Hölle landen. Es ist nervig mitanzusehen, dass die Bibel gerne so ausgelegt wird, als wäre es noch 500 v. Chr, als die ersten Bücher Mose entstanden sind, anstatt dieses Buch als eine Art Guideline zu sehen mit Werten und Ideen, die zeitgemäß interpretiert werden können, in meinen Augen sogar müssen. Es ist nervig mitanzusehen, dass ein meiner Meinung nach fortschrittliches, pluralistisches, faszinierendes Land wie Amerika immer mehr zu einem Hort von religiösen Eiferern und politischen Rednecks wird, die völlig ignorieren, dass eine Zivilisation wächst und sich entwickelt und sich damit auch ihre Werte ändern und man dementsprechend den Moralkodex anpassen muss.

Ich würde mir generell mehr Respekt vor dem individuellen menschlichen Leben wünschen. Respekt für persönliche Entscheidungen, wie z.B. die eines Ehemannes, der seine vor 15 Jahren faktisch gestorbene Frau endlich gehen lassen möchte. Respekt für Menschen, die einen Fehler gemacht haben, auch einen so schwerwiegenden und unwiderruflichen Fehler wie den, jemanden zu töten. Respekt für Menschen, die an etwas glauben, Respekt aber auch für Menschen, die genau das Gegenteil glauben. Mehr Respekt für den einzelnen Menschen an sich, anstatt sich auf alte Bücher zu berufen, anstatt seine persönlichen Moralvorstellungen auf ein ganzes Land auszudehnen und anstatt den Staat entscheiden zu lassen, wie ein Einzelner zu leben – und zu sterben – hat.

Gebt mir ein A!

Merke: Nie zu gut gelaunt zum Gesangsunterricht kommen, sonst werden deine blöden Gackeranfälle gleich musikalisch verwurstet – zum Beispiel im Schwips-Lied aus Eine Nacht in Venedig von Johann Strauß, wo ein paar Zeilen lauten: „Vorhin trank ich nur aus einem Glas, jetzt trink’ ich aus zwei’n, wie kommt denn das? Und dann denk’ ich nach, wenn ich nur wüsst’, hab ich heute schon geküsst? Nein, nein, nein, nein, ha, ha, ha, ha, ha, ha ha.“ Und ich dachte, nach 1000 Jahren Akkordeon-Unterricht müsste ich nie wieder was mit Polkas zu tun haben.

Zum Ausgleich habe ich mich auch noch am Schluss von The Ballad of Baby Doe von Douglas Moore vergehen dürfen. (Es gibt amerikanische Opern. Eat this, „Amerika hat keine Kultur“-Schwätzer.) Das Stück jagt mein armes Stimmchen bis zum zweigestrichenen h hinauf, was eigentlich nur ein marginales Problem sein sollte – in den Übungen komme ich inzwischen bis zum dreigestrichenen d. Noch zwei Töne bis zur Königin der Nacht. In my dreams.

Ich weiß nicht, warum ich in den Übungen so hoch komme, in den Liedern selbst aber sofort zurückzucke bei allem, was übers e” hinausgeht. Wahrscheinlich, weil ich für diese Töne wirklich ne Menge Luft und Courage und vor allem Kraft brauche. Ich hätte nie gedacht, dass Singen so anstrengend ist. Ich fange wirklich an, bei den Übungen zu schwitzen und empfinde die Lieder, die wir danach singen, fast als Erholung. Solange sie unter dem e” bleiben, versteht sich. Die Anstrengung rührt nicht nur daher, dass ich mich darauf konzentrieren muss, die richtigen Töne zu treffen. Das klappt eigentlich fast immer. Was anstrengend ist, ist die Konzentration darauf, bei hohen Tönen nicht plötzlich lauter zu werden (was ich unwillkürlich will) oder bei tiefen Tönen leiser (was ich unwillkürlich will) oder bei tiefen Tönen den Mund allmählich zu schließen (was ich … you get the idea) oder oder oder. Ich muss darauf achten, die Zunge vorne an den Zähnen zu lassen, um den Raum, den mein Mund beschreibt, so groß wie möglich werden zu lassen. Ich muss darauf achten, ab und zu mal Luft zu holen, damit ich nicht am Ende einer Phrase völlig außer Atem bin. Ich muss aber auch darauf achten, nicht zu geräuschvoll oder zu lange Luft zu holen, so dass unschöne Pausen entstehen, die der Komponist nicht vorgesehen hatte. Soviel zum Thema, ach sing einfach drauflos, denk nicht zuviel nach. Ich ahne allmählich, was mir noch alles in Fleisch und But übergehen muss, bevor ich wirklich „einfach so drauflos“ singen kann.

Aber wie sagt Tony immer so schön: Alle Organe, die wir zum Singen benutzen, sind eigentlich nicht dafür vorgesehen. Der Mund ist zum Kauen da, die Stimmbänder zum Sprechen, der Kehlkopfdeckel dient zum Schutz der Luftröhre, die Nase zum Riechen usw. Wenn wir singen, zweckentfremden wir diese Organe. Und deswegen müssen wir ihnen manche Reflexe austreiben, um richtig singen zu können. Gestern musste ich zum Beispiel eine Übung machen, bei der ich von gaaaaanz weit oben den Ton in einer langen Bewegung bis ganz nach unten fallen lassen musste. Klang wie ein schlechter Soundeffekt im Film, wenn ein Flugzeug abstürzt oder wie ein abschwellendes Sirenengeheul. Immer, wenn ich nach unten gegangen bin, habe ich fast instinktiv den Mund schließen wollen, meine Schultern hingen immer weiter runter, und selbst meine Augen wollten in Richtung Boden blicken. Es hat einige Versuche gekostet, den Mund aufzulassen, geradeaus zu gucken und so zu tun, als würde man wachsen, während man immer tiefer singt, damit man nicht so in sich zusammenfällt.

Was aber am anstrengendsten war, war natürlich erstmal den hohen Anfangston zu kriegen. Und der war deshalb anstrengend, weil ich vergessen musste, dass ich mich gerade total zum Klops mache. Tony fragte mich anscheinend arglos nach meinem Lieblingssschauspieler, worauf ich natürlich „Kiefer Sutherland“ sagte.

Tony: Nee, Kiefer ist doof. Noch wen?

Anke (beleidigt): Viggo Mortensen.

Tony: Nee, Viggo ist auch doof. Noch wen?

Anke (jetzt isses auch egal): Russell Crowe?

Tony: Ja, Russell ist gut. Ich möchte, dass du jetzt auf diesem Ton (hier bitte einen widerlich hohen Klavierton vorstellen) „Aaah, Russell“ singst. Wie eine 13jährige, die ihn an der Straßenecke sieht und ihm hinterherkreischt.

Deswegen sind Kiefer und Viggo auch doof, weil ihre Namen so einen fies kleinen Mund machen. Bei „Russell“ geht man aber mit einem „a“ nach oben, was bedeutet, dass es sich leichter singen lässt. Also habe ich jeden Gedanken daran verdrängt, wie sich das wohl auf dem Gang anhört, was ich hier tue und habe lustig „Aaaa, Raaassaaall“ gesungen. Bis zum d”’, Baby. Jetzt kann Herr Crowe kommen. Und wenn er nett ist, singe ich ihm auch noch besoffen eine Polka vor. Stößchen!

Willenbrock

Willenbrock (D 2005, 104 min)

Darsteller: Axel Prahl, Inka Friedrich, Anne Ratte-Polle, Dagmar Manzel, Christian Grashof, Andrzej Szopa, Tilo Prückner
Kamera: Michael Hammon
Drehbuch: Laila Stieler, nach dem Roman von Christoph Hein
Regie: Andreas Dresen

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Man lebt sein Leben, richtet sich in ihm ein, Tag für Tag, Nacht für Nacht, nie passiert etwas oder nur das, von dem man weiß, dass es passiert, oder das, was man selbst aktiv gestaltet. Das Leben ist eigentlich eine Abfolge von Dingen, die wir selbst gestalten. Im günstigsten Fall. Im schlechteren Fall geschieht etwas, das wir nicht beeinflussen können. Dann merken wir auf einmal, was wir Tag für Tag und Nacht für Nacht eigentlich tun. Und vielleicht fragen wir uns dann, ob das alles so seine Ordnung hat.

Axel Prahl spielt Bernd Willenbrock, einen Autohändler, der eine halbwegs laufende Firma hat, ein Einfamilienhaus mit einer Doppelgarage, die sich ein Mercedes und ein BMW teilen, eine Frau, der er eine Boutique gekauft hat, damit sie was zu tun hat, ein Ferienhäuschen, in dessen Küche Bunzlauer Porzellan wartet, und eine Geliebte, die er mit Champagner in Hotelbars anschickert, bevor es aufs Zimmer geht. Willenbrock gräbt nebenher noch die Tochter seines neu eingestellten Nachtwächters an und schenkt seiner wissenden Frau nach jedem Seitensprung ein paar Blümchen. Alles passt ins Bild, nichts überrascht, wir als Publikum nehmen diese Figur genauso hin wie seine Frau ihn hinnimmt oder seine Angestellten.

Aber plötzlich bricht die angebliche Idylle: Willenbrock und seine Frau werden im Ferienhäuschen überfallen. Zwar werden die Täter gefasst, kommen aber wieder auf freien Fuß. Und von nun an ist alles anders. Die Sicherheit, die vorher aus dem dahinplätschernden Dasein ein Leben gemacht hat, ist nicht mehr da. Auf einmal wachen alte Instinkte wieder auf. Auf einmal fragt sich Willenbrock, warum er eigentlich eine Geliebte hat, obwohl er doch seine Frau liebt, während sich Willenbrocks Frau auf einmal fragt, warum sie sich das Verhalten ihres Ehemanns eigentlich bieten lässt.

Willenbrock ist ein ruhiger Film, unter dessen Oberfläche aber viele Handlungsstränge brodeln. Einige von ihnen werden nur angerissen und nicht beendet, aber komischerweise passt dieses Unaufgelöste ins Gesamtbild. Der Film fühlt sich an, als ob einem jemand auf einer Party eine Geschichte über einen Bekannten erzählt; man hört zu, nippt zwischendurch am Bier, fragt nach und wendet sich nach der Story wieder etwas anderem zu. So ungefähr kam ich jedenfalls aus der Vorstellung. Willenbrock ist in sich rund und stimmig, obwohl er so ausgefranst wirkt. Vielleicht weil er sich so wahr anfühlt. Die Dialoge sind zwar manchmal arg deutsch, d.h. sie gaukeln einen tieferen Sinn vor, den ich persönlich nicht gefunden habe, aber meist klingen sie einfach so, wie sie klingen sollten, wenn man eine schlichte Geschichte erzählen will.

Mir hat die unaufgeregte Normalität gefallen, die in Willenbrock „passiert“. Nichts, was wir sehen, fühlte sich falsch oder überzogen oder nach Hollywood an. Alles passte: das Timing, die Figuren, sogar die Bettwäsche sah aus, als würde wirklich jemand in ihr schlafen, und nicht wie ein erfüllter Traum eines Set Designers. Und trotzdem folgt man dem Geschehen gespannt. Nicht weil man erwartet, dass plötzlich doch noch wilde Wendungen auftauchen. Nein, weil man sehen möchte, wie die Personen weitermachen, deren Exposition eigentlich ganz banal klang. Wahrscheinlich, weil eben dieses Banale das Leben ausmacht. Und wenn auf einmal etwas diese Ruhe stört, merken wir, wie gerne wir diese Banalität haben und wie sehr sie uns fehlt, wenn sie zerbricht.

Willenbrock Nachtrag

Muss ja auch mal gesagt werden: Danke an das Passage-Kino für einen Eins A scharfgestellten Film. Auch wenn ich mir das Grinsen nicht verkneifen konnte, als die Leinwand langsam nach vorne fuhr und dann links und rechts ein kleiner Flügel aufklappte, um Cinemascope-Format zu erreichen. Hatte was Rührendes.

Der ADC entdeckt das Internet

Samstag wurden die goldenen Nägel unters Werbevolk geschmissen. Für mich war in diesem Jahr leider nur eine Auszeichnung dabei, wenn ich richtig geguckt habe. Daher weise ich lieber auf die Gewinner hin, die ne Menge schönes Zeug abgeliefert haben. Und meines Wissens hat es der ADC zum ersten Mal geschafft, die Filme, Funkis und Kampagnen auch in Bild und Ton ins Netz zu stellen anstatt nur eine blöde Liste mit den jeweiligen Titeln und Agenturen abzudrucken. Wenn sie es nächstes Jahr auch noch einrichten könnten, dass man die Texte entziffern kann (hint: beim Anklicken gibt’s ein schönes, großes Pop-up oder so), wäre ich als geneigter Copy-Leser sehr dankbar. So muss ich wieder warten, bis das arschteure Buch rauskommt.

(Edit: Wie ich gerade im Werbewunderland gesehen habe, schreibt Matthias Jahn von FCB in seinem Weblog etwas über die Arbeit in der Jury. Und außerdem habe ich mir jetzt das Trostpreis-Shirt bestellt.)

Read me, like me, buy my stuff

Salon lästert über Promi-Weblogs und fragt sich, warum Menschen, die sowieso schon in der Öffentlichkeit stehen, das auch noch aufschreiben müssen – jedenfalls, wenn es anscheinend so schrottig ist wie das Weblog von Melanie Griffith. Moby, Jeff Bridges und Ian McKellen kommen besser weg, und Wil Wheaton ist sowieso der Liebling (zu Recht). Wer sonst noch bloggt: Attack of the celebrity blogs.

In an era when celebrities already carry so much currency, and get so much ink and so many TV pixels, why should they want to bother to communicate with us directly? Sometimes celebrity blogs, updated lackadaisically if ever, feel like nothing so much as a publicity stunt. ((Gwen) Stefani‘s blog is filled with boring stuff along the lines of “Thanks for coming out to our tsunami benefit” – falsely noble and eminently unreadable. A Stefani fashion blog would be much more fun, and more honest.) Some celebrities, like KISS’s (Gene Simmons,) are at least forthright about their intentions: “Appeared on CNN ShowBiz today with FABIO to shill for my MR. ROMANCE television series,” he writes with joyous crassness in his entry for March 15.

(kostenloser Tagespass erforderlich)

Mange tak!

Die Geburtstagsprinzessin bedankt sich ganz herzlich bei Emily, die mir netterweise Die Tante Jolesch hat zukommen lassen, und bei Tobias, der mir mit Mobys Hotel eine große Freude gemacht hat. Ich bin nicht nur von den Geschenken begeistert, sondern auch davon, dass ihr den arg versteckten WUNSCHZETTEL HIER IST ER WAHNSINN ES GIBT IHN WIRKLICH KAUFT IHN LEER BEVOR ICH ES TUE gefunden habt. Und natürlich auch vielen Dank für die netten Mails.

Weit aufmachen, bitte

Zum Zahnarzt gehen macht viel mehr Spaß, wenn man bei der Behandlung Filme gucken kann. Bei meinem Zahnarzt geht das. Eine kleine DVD-Brille hat gestern dafür gesorgt, dass ich bei der Zahnreinigung schön Hurlyburly geguckt habe und mir daher kaum aufgefallen ist, dass gerade spitze Geräte mein Zahnfleisch perforierten. Die Praxis kann ich übrigens nicht nur wegen dieser netten Zusatzeinrichtung empfehlen, sondern auch wegen der Ärzte, die einem das Zahnfleisch mit einer Paste (Erdbeer- oder Kirschgeschmack) vorbetäuben, bevor die Spritzen kommen oder der Dentalhygenistin (heißen die so?), die meinen Konfirmandenkreislauf mit Traubenzucker betüttelt und mir Baldrian reicht, bevor sie die Instrumente ansetzt. Außerdem ist die Praxis schön groß, schön modern, hat das Dentallabor gleich in den eigenen Räumen und grandiose Öffnungszeiten: täglich von 7.30 bis 19 Uhr. Geht doch.

Wulffmorgenthaler mal wieder.