Kotzkino
Der SPIEGEL berichtet über die finanziellen Nöte deutscher Kinobetreiber. Allen voran beschweren sich die Besitzer der Multiplexe – oder, wie sie im O-Ton genannt werden: „wuchtige Klötze aus Glas und Beton, funktional banale Zweckbauten mit Abfertigungsfoyers, die herabbaumelnde meterlange Plakate und Cola-Popcorn-Theken in Reklamefriedhöfe verwandelt haben“. Die Besucherzahlen in deutschen Kinos sind anscheinend 2005 munter weiter zurückgegangen, und nun fragen sich viele, woran das liegen könnte. Die üblichen Verdächtigen werden angeführt: Konsumzurückhaltung, Sparsamkeit der Werbekunden, zu gutes Wetter (äh … wann? Dieses Jahr?) – und im Nachsatz vielleicht auch noch die miesen Filme, die angelaufen sind. Ein dicker Teil der Schuld wird aber auch den oben angesprochenen Filmpalästen gegeben, die in ihrer „seelenlosen Atmosphäre“ keine rechte Filmbegeisterung aufkommen lassen. Einige Kinobetreiber rüsten nun um, bauen Kronleuchter und Ledersofas ins Foyer, um die McDonald’s-Stimmung zu vertreiben, oder begrüßen Besucherinnen der Cinestar-Filmreihe „Cinelady“ mit Prosecco und einer roten Rose. Ob’s hilft? Und vor allem: Wollen die Besucher das? Ist es wirklich die Optik im Cinemaxx, die mich davon abhält, dahinzugehen?
Okay, ich bin vielleicht ein schlechtes Beispiel. Ich bin hauptsächlich deshalb wenig bis gar nicht im Cinemaxx anzutreffen, weil da eben verdammt selten Originalfassungen laufen. Den letzten Film, den ich dort gesehen habe, war Gegen die Wand, und das ist auch schon anderthalb Jahre her. Außerdem gehe ich hier in Hamburg lieber ins UCI, weil es da schlicht und einfach bessere Parkmöglichkeiten gibt. Aber das ist eigentlich egal, denn es sind beides Multiplexe, und wenn ich einen deutschsprachigen Film sehe, dann gerne dort und nicht in den kleineren Kinos.
Im SPIEGEL-Artikel wird des Öfteren die Sehnsucht nach eben diesen Programmkinos beschworen, die ja angeblich so viel besser seien. Meine Meinung: ganz und gar nicht. Das mag ja sein, dass man in den Programmkinos keine Tacos kriegt, aber ich lege wirklich keinen Wert auf die ach so kuschelige Gemütlichkeit mit Kronleuchter und Rose – die, nebenbei, in den Programmkinos, die ich in Hamburg oder Hannover kenne, auch nicht vorherrscht. Ehrlich gesagt, ist mir die McDonald’s-Atmosphäre im Foyer eines Kinos ziemlich egal; ich gehe nicht ins Kino, um ewig im Foyer rumzulungern, ich gehe ins Kino, um einen Film zu sehen. Und den kann ich weitaus besser in den Riesensälen der Multiplexe angucken als in den intellektuellen Winzkinos. Ich ziehe gemütliche, ansteigend angeordnete Sessel, anständige Beinfreiheit, eine große Leinwand und einen satten Ton zehnmal den Schachtelkinos vor.
Ein weiterer Grund, dem Kino, welchem auch immer, fernzubleiben, wird kurz im Artikel angerissen: Die meisten Filme erscheinen schon kurze Zeit nach dem Kinostart auf DVD, und so warten viele Besucher einfach ein paar Monate, bis sie den Film gemütlich zuhause im Wohnzimmer gucken können. Schade eigentlich, denn natürlich sind Kinofilme eben fürs Kino konzipiert: Komödien funktionieren leichter, wenn um einen herum noch 300 Leute über den gleichen Witz lachen, Special Effects knallen besser auf einer großen Leinwand, die auch der schönste Beamer nicht ersetzen kann, und bei Dramen muss man sich seiner Tränen nicht schämen, wenn der Sitznachbar ebenfalls geräuschvoll ins Taschentuch schnieft. Das ist jedenfalls die Idealvorstellung. Warum ich, die eigentlich sehr gerne ins Kino geht, ebenfalls zunehmend auf die DVD wartet, lässt sich aber genau damit erklären: weil diese Idealvorstellung der großen, glücklichen Masse, die gemeinsam einen Film genießt, kaum noch vorkommt.
Ich weiche schon lange den Wochenend-Abendvorstellungen aus, weil da der Pöbel ins Kino geht, der sich nur alle Jubeljahre mal aufrafft und dann allen Ernstes noch über Like Ice in the Sunshine lacht (oder was auch immer gerade an Eiswerbung läuft). Ich weiche seit einiger Zeit sogar dem Donnerstagabend aus, weil es mir einfach zu nervig ist, von irgendwelchen Kassen-Hiwis in eine Reihe platziert zu werden, in der ich nicht sitzen will, nur weil da eben schon alle anderen sitzen und man dem Hiwi nicht klarmachen kann, dass man schlicht und einfach ein bisschen Platz haben möchte – was auch kein Problem sein sollte. Seit Matrix Reloaded habe ich keine ausverkaufte Vorstellung mehr erlebt. Ich gehe inzwischen am Wochenende in die Nachmittagsvorstellungen, gerne gleich um 14 Uhr, weil da kein Mensch ins Kino geht. Ich kann sitzen, wo ich will, ich hab Platz neben mir und hinter mir und vor mir, was gleichbedeutend ist mit: Ich hab meine Ruhe. Was den obigen Absatz aufgreift. Die angesprochene große, glückliche Masse besteht nämlich eher aus quatschenden Teenagern, gackernden Mädels, rumposenden Jungs, klingelnden Handys, Tacomief, Popcorngeknister und Colagezuzzel. Ich weiß, dass ich mit dem Alter immer intoleranter werde, aber besonders im Kino spüre ich das Blut meiner Oma in meinen Adern, wenn ich dem ganzen Pack zurufen möchte: SEID IHR WOANDERS AUCH SO SCHEISSE? Wieso kann man sich im Theater und in der Oper zusammenreißen und die Klappe halten, im Kino aber nicht? Wieso schafft man es, in der Schule oder in der Uni das Handy auszumachen, im Kino aber nicht? Und seit wann muss jeder Filmdialog nochmal für den ganzen Saal hörbar dem Kumpel erklärt werden, der direkt neben der Labernase sitzt?
Ich will das alles nicht. Ich glaube nicht, dass die angebliche Seelenlosigkeit der Multiplexe schuld daran ist, dass viele Leute keine Lust mehr aufs Kino haben. Ich denke eher, dass es die mangelnde Rücksicht und miese Kinderstube vieler Besucher ist, die sich immer noch auf dem heimischen Sofa wähnen, wo man eben einen Film kaputtquatschen und sich alle zehn Minuten was zu Knabbern aus der Küche holen kann, anstatt in einem öffentlichen Raum, wo es mal Spielregeln gab, die aber anscheinend keiner mehr kennt.
(Und, ja, vielleicht liegt es auch an den schlechten Filmen, aber ist das nicht die übliche Jammerei, die turnusmäßig alle paar Jahre angestimmt wird, wenn sich gerade mal nichts Weltbewegendes auf der Leinwand abgespielt hat?)
Edit: Der Artikel ist jetzt auch auf Spiegel Online erschienen.