Mittwoch, 21. Februar 2024 – Franz und Caspar
Nach Hamburg geflogen. Ja, geflogen, pünktlich und stressfrei trotz gerade erst beendetem Streik, mit freiem Mittelplatz. Deutlich entspannter angekommen als nach sechseinhalb Stunden im Zug, gleich am Flughafen ein Franzbrötchen erworben, weil wenn man schon mal hier ist.
Im Hotel: „Zimmerwünsche? Ganz oben mit Alsterblick?“ Gerne, Motel One!
Dann in die Kunsthalle gegangen, denn der Grund für meinen Besuchs war die Ausstellung zu Caspar David Friedrich. Mein Zeitticket galt von 16 bis 19 Uhr, die Website warnte davor, gleich zu Beginn des Zeitfensters da zu sein, weil voll. Ach was. Ich wartete also bis 16.30 Uhr und ging optimistisch davon aus, dass sich dann schon alles etwas entzerrt hätte, im Hinterkopf die Blockbuster Bruegel (Wien), Vermeer (Amsterdam) und Turner (München), die zwar auch alle voll waren, aber erträglich, gerade wenn man eben nicht dann reinwill, wenn alle mit ihren Karten wedeln.
Aber um 16.30 hatte sich mal so gar nichts entzerrt im blöden Kubus aka der Galerie der Gegenwart. Ich war selten so von einer Ausstellungsarchitektur genervt wie hier, es ist einfach zu eng für die Masse an Mensch, die hübsche Landschaften im Kleinformat angucken will. Und selbst die Großformate, die, wenn sie ganz normal drüben im Haupthaus der Kunsthalle hängen, Platz haben und atmen können, fühlten sich hier plötzlich eng und eingequetscht an. Einer meiner Lieblinge, das „Eismeer“, hatte zwar eine Wand für sich, aber die war ungefähr so lang wie mein Badezimmer aka nicht wirklich breit. Man konnte kaum seitwärts ans Bild gehen, weil da halt Wand war, weswegen man mit, ich erwähnte es, zu vielen Leuten in einer Traube davorstand und darauf hoffen musste, dass mal jemand sein Handy wegpackte, mit dem grundsätzlich alles und immer fotografiert wurde.
Immerhin: Ein anderer Liebling, der „Mönch am Meer“, hatte eine längere Wand, aber bei meinen insgesamt drei Runden durch die Ausstellung waren zweimal Führungen davor, die ja gerne einen festen Klumpen bilden, nicht, dass sich da jemand dazwischendrängelt, der nicht dafür bezahlt hat OMG! Beim dritten Mal konnte ich etwas näher ran, aber gestern waren gefühlt sehr viele Leute da, die sonst vielleicht seltener ins Museum gehen: Man bekam deutlich zu spüren, dass man nicht so nah rangehen sollte, sondern zwei Meter vor dem Bild zu stehen hat, wo alle anderen auch stehen. Das ist natürlich Blödsinn, denn wozu gucke ich mir denn Originale an? Genau: um mal dicht davorzustehen. Natürlich keine 20 Minuten, damit auch andere mal dürfen, aber die blieben gestern alle in einem größeren Abstand. Sofern das in den engen Räumen möglich war, denn es gab nur wenige Werke, vor denen wirklich Platz war, ansonsten schob man sich in der Masse durch enge Gänge und an Zwischenwänden vorbei. Kompletter Ausfall.
Neu für mich entdeckt: „Blick auf Arkona mit aufgehendem Mond“, eine für mich in dieser Größe überraschende Zeichnung. Ebenfalls neu für mich und sofort verliebt: „Morgennebel im Gebirge“ sowie „Grabmale alter Helden“. Ansonste viele Landschaften, bei denen ich innerlich versuchte, mal durchzuatmen und aus meiner Grundgenervtheit rauszukommen. Das gelang mir aber erst, und damit hätte ich selbst nicht gerechnet, beim guten alten „Wanderer über dem Nebelmeer“, den ich natürlich auch schon kannte, weil er auch sonst in Hamburg hängt. Das Ding ist so tot-gememet und eigentlich total verbrannt, weil man ihn so oft sieht, aber: Er funktioniert. Bei dem Werk wartete ich nicht, bis alle ihre Fotos gemacht hatten und hielt auch keinen Abstand, sondern stellte mich einfach mal für zwei Minuten direkt vor das Bild, egal, ob gefühlt hinter mir alle nölten. Ja, ihr habt auch bezahlt, aber dann wartet halt, so wie ich bisher auf euch gewartet habe. Dann machte ich den Kopf aus und guckte und es passierte das Unerwartete: Alles andere war auf einmal egal. Die Leute, die Hitze, die Stimmen, die Enge. Man stand über den Wolken und guckte in die Ferne. Und alleine für diesen Augenblick vor einem Werk, von dem ich es wie erwähnt so null erwartet hatte, hat sich das ganze gelohnt.
Im Stockwerk drüber waren noch moderne Auseinandersetzungen mit Friedrichs Werk und im Haupthaus war auch noch irgendwas, aber ich war nach der dritten Runde, in der es sich immerhin etwas leerte, weiterhin so genervt von allem, das ich mir den Rest des Programms schenkte. Schließlich hatte ich noch eine Abendverabredung mit dem Ex-Kerl, der mich zu The Vegan Eagle ausführte (Empfehlung!), und mehr Zeit mit dem Mann war mir dann wichtiger.
Weil ich oben die anderen Blockbuster erwähnte: Natürlich sind solche Ausstellungen immer zu voll, natürlich sollte mich sich den Wanderer und das Eismeer einfach mal so in der Kunsthalle angucken, denn sie sind ja immer da, natürlich sind die Bruegels in Wien gemütlicher ohne die Masse an geliehenen Werken drumrum. Aber in Wien und in Amsterdam bei Vermeer sowie in München bei Turner hatte man schlicht größere Räume. Selbst wenn man jetzt gerade mal nicht vor das gewünschte Bild kam, konnte man seinen Blick schweifen lassen und woanders hängenbleiben. Hier gab es nichts zu schweifen, gerade auf meiner ersten Runde war das ein totaler Almabtrieb, man schob sich halt im Tempo der Menge an allem einfach vorbei. Ich ahne, dass es Gründe dafür gibt, diese Ausstellung nicht in den wundervollen Riesensälen des Haupthauses zu machen, aber es ist trotzdem äußerst unglücklich.
Das Rijksmuseum, das vermutlich andere Mittel zur Verfügung hat, als der Kulturbetrieb hier, hat nach dem Ansturm auf die Vermeer-Tickets die Öffnungszeiten brachial ausgedehnt, gute Idee. Aber dafür braucht man natürlich Leute. Ich ahne auch, dass der Gesamtverdienst dort vielleicht nicht ganz so offensichtlich im Vordergrund stand, denn es waren deutlich weniger Leute in den Räumen. Es war immer noch voll, natürlich, aber es verteilte sich schlicht besser. So auch bei Turner: Der Kunstbau des Lenbachhauses ist ein einziger langer Raum, weswegen man nie das Gefühl hat, mitten in einer Menge zu stehen, selbst wenn es eine Menge ist, mit der man sich gerade die Kunst teilt. Von allen Blockbustern war Bruegel bisher der anstrengendste, aber auch da halfen die großen Räume. Genau die fehlten leider bei Friedrich. Und gerade für seine Werke, die mich persönlich immer zur Ruhe kommen lassen, selbst wenn es nur eine Tanne im Schnee ist auf 20 Zentimetern wie in der Neuen Pinakothek, ist das tödlich, wenn diese Ruhe schlicht wegen der Räume nicht möglich ist.
Ich setze mich jetzt in den Zug und fahre zum Mütterchen und werde auf der Fahrt den Katalog durchblättern. Ich ahne, dass mir der besser gefällt als die Ausstellung. Schade.