Donnerstag, 6. Oktober 2022

In Nürnberg findet gerade die Konferenz „Nationalsozialismus ausstellen. Zugänge, Perspektiven und Herausforderungen im 21. Jahrhundert“ statt, die netterweise größtenteils im Livestream übertragen wird. Die Vorträge sind ab dem 12. bis zum 30. Oktober auch noch nachträglich anzuschauen, ich werde das verlinken.

Ich war gespannt auf den Beitrag von Dr. Monika Sommer aus dem Haus der Geschichte Österreich (ohne S am Ende, wie mir gestern auffiel). Sie sprach über die Ausstellung „Hitler entsorgen. Vom Keller ins Museum“, die F. und ich im April gesehen hatten und wo wir jedes einzelne Texttäfelchen durchlasen, weil alles so spannend war. Im damaligen Blogeintrag könnt ihr bis ca. zur Mitte scrollen, der Teil fängt unter dem Foto mit dem Plakat zur Reichsautobahn an. Wer gerade keine Lust zum Rüberklicken hat, für den copypaste ich kurz, wie die Ausstellung aussah:

„Schon den Reinkommer fand ich gut und vertwitterte ihn auch: Man stand vor einer Stellwand mit gezeichneten NS-Objekten (Eisernes Kreuz, ein Dolch, ein Teller mit einem Hakenkreuz drunter, wenn ich mich richtig erinnere, eine Ausgabe von „Mein Kampf“) und konnte auf einer Postkarte markieren, was man damit machen würde, sollte einem ein derartiges Objekt unterkommen: bewahren, zerstören, verkaufen? An drei weiteren Wänden wurden dann diese Möglichkeiten erörtert und man konnte lesen, was Besucher*innen so als Begründung für ihre Entscheidung geschrieben hatten. Eine für „bewahren“ war natürlich immer: einem Museum geben, damit Nachkommende davon lernen können.

Und damit beschäftigte sich dann der Rest der Ausstellung […] An 13 Tischen standen Dinge, die dem Museum einst übergeben wurden, gerne mit der jeweiligen Originalverpackung – Bananenkisten, eine Aktentasche, ein anonymer Großbrief. Das Museum machte deutlich, was an diesen Exponaten so wichtig war, dass man sie aufheben sollte. Textkarten ordneten ein und gaben Hintergrund zu Details des NS-Staats. Das klingt superlangweilig und pädagogisch, aber wie gesagt, wir lasen alles durch.“

Sommer berichtete, dass dem Haus der Geschichte Diverses zugesandt wurde und dass der Großteil aus der NS-Zeit stammt, was mich wieder darüber sinnieren ließ, dass der Grusel des Faschismus anscheinend doch funktioniert, denn warum hebt man Kram von 1938 auf, aber nicht von 1958. Das Museum wollte bewusst eine „unauratische Präsentation“ dieser Dinge, legte den Raum daher mit Messeteppich aus, der an ein Büro erinnert, und schuf diese eher unbeeindruckende Raumatmosphäre, die auch der in den Räumen der Angestellten ähneln sollte, die sich bei jedem eingesandten Stück fragen mussten, wie sie damit umgehen: aufheben oder entsorgen?

Das kuratorische Team stellte sich bei jedem Stück fünf Fragen, die ich gestern schon auf Twitter erwähnte, indem ich ein paar Seiten des Ausstellungskatalogs fotografierte. Sie lauteten: Was ist dieses Objekt? (Zum Beispiel ein Puppenwagen, der aus einer alten Feldpostkiste gebastelt wurde.) Wofür steht es? (Einerseits für die Kiste, in der der damalige Besitzer geraubte Gegenstände aus Frankreich in die Heimat schickte, andererseits für die Kindheitserinnerung der Tochter, die eher den Puppenwagen sieht als die Kiste.) Wer verwendete das Objekt und wie? (Auch hier wieder der Gegensatz zwischen Raub und Geschenk.) Was wird über dieses Objekt erzählt? (Die Töchter erinnern sich eher an den liebevollen Vater und wissen nicht genau, was in den Kisten verschickt wurde.) Wie kann dieses Objekt im Museum verwendet werden? (Der Wagen erzählt, dass NS-Propaganda in einem anderen Kontext weitergegeben werden kann.)

Sommer erwähnte auch die Karten, die ich im Blogeintrag beschrieb und meinte, dass sie sehr genau geschaut hätten, was dort notiert wurde. Bisher mussten sie nur einen einzigen Zettel entfernen, der, ihre Worte, „nicht der Netiquette“ entsprochen habe.

Was ich an den fünf Fragen so spannend fand, war der Kontext, in dem die Objekte existierten und der nun im Museum neu hergestellt bzw. eingeordnet wird. Dieser Kontext ist bei jeder Quelle wichtig, wie mir gerade eben in einem anderen Vortrag der Tagung noch einmal vor Augen geführt wurde (deswegen kommt der Eintrag heute auch erst so spät). Dort wurde die „visuelle Meistererzählung“ des NS angesprochen, der ich in meiner Forschung ja auch ständig begegne, nämlich bei den Vorurteilen über sogenannte NS-Kunst. Es gab eben nicht nur Bauerndarstellungen und weibliche Akte, auch wenn die in der GDK eine große Anzahl ausmachten. Aber das war nur eine Facette der Malerei dieser Zeit, und in der über Jahrzehnte verfestigten Erzählung ist der ganze Rest vergessen bwz. in den Hintergrund gedrängt oder – wie die Gemälde zur Autobahn – als zu wichtig angesehen worden. Es ist daher weiterhin unsere Aufgabe in Forschung und Vermittlung, diese Erzählung zu hinterfragen, zu erweitern und wenn nötig zu verändern.