Was schön war, Dienstag, 30. November 2021 – Fliegenpilzpflaster

Morgens einen Termin per Zoom mit dem Doktorvater gehabt, von dem ich gar nicht weiß, ob ich ihn noch so nennen sollte. Ex-Doktorvater? Er hat seinen Job ja erledigt. Er ist gerade Editor bei einem größeren Projekt, für das ich etwas beisteuern darf, was mich sehr freut. Unbezahlt natürlich. Wir forschen alle, weil wir so gute Menschen sind. Knurr.

Bei diesem ersten Zoom vom neuen Rechner gemerkt: Ich nehme für zukünftige digitale Meetings, bei denen man mich sieht, wieder den alten Rechner. Da waren alle Teilnehmenden pixelige Blobs und nicht diese superscharfen HD-People. Ich wollte mich die ganze Zeit schminken! Und den Bildhintergrund aufräumen.

Außerdem gemerkt: Die Kamera lässt sich nicht mehr so leicht mit einem länglichen Post-it abkleben, weil das Macbook diesen seltsamen Notch am oberen Bildschirm hat, von dem ich dachte, dass er mich wahnsinnig machen würde. Tut er nicht, aber er ist so schmal und klein, dass ich mein Post-it erstmal zurechtschneiden musste. Bei Netflix oder ähnlichem wird der ganze obere Bildrand dunkel, so dass diese seltsame Ausstülpung nicht mehr auffällt. Ja, darüber hatte ich im Vorfeld nachgedacht. Schließlich gucke ich die ganze Zeit dorthin.

Nach dem Zoom todesmutig (ich weiß gerade nicht, ob dieses Adjektiv geschmacklos ist) in die U-Bahn gestiegen, um zur Hausärztin zu fahren. Dort holte ich ein neues Rezept für die Dauermedikation ab und fragte mich zum wiederholten Male, ob man das nicht digital lösen könne anstatt alle drei Monate da auflaufen zu müssen, um einen Zettel abzuholen und eine Karte einlesen zu lassen. Aber wenn ich schon mal da war, fragte ich nach einer Grippeimpfung, die ich eigentlich vor drei Wochen hätte machen wollen, aber damals ergab sich unerwartet die Chance auf den Booster, den ich wichtiger fand.

Zuhause stellte ich fest, dass ich ein Kinderpflaster mit Fliegenpilzen auf die Einstichstelle bekommen hatte. Fand ich sehr gut.

Von der Ärztin mit der U-Bahn in die Nähe des Lieblingsbäckers gefahren und mein Lieblings-Körner-Ciabatta abgeholt. Zu Fuß durch Schneetreiben nach Hause spaziert. Vom Zoom und der Impfung (und der leeren U-Bahn) euphorisiert vergessen, das Rezept einzulösen, obwohl ich direkt an der Apotheke vorbeigekommen war.

Sehr gut: „Missbrauch des ‚Judensterns‘ kann jetzt verfolgt werden“. Das Landgericht Augsburg und das Bayerische Oberste Landesgericht sprachen ein Urteil, das hoffentlich auch in anderen Bundesländern Anwendung finden wird:

„Nicht nur auf Corona-Demonstrationen, auch im Netz ist dieses Motiv, versehen mit der Aufschrift “Ungeimpft”, immer wieder zu sehen, die Botschaft lautet: Ungeimpfte würden heute unterdrückt wie einst Juden durch die Nazis. […]

Strafrechtliche Folgen hatte das bislang nie. Verschiedene Amtsgerichte deutschlandweit entschieden: Das sei nicht als Verharmlosung des Holocaust strafbar. Denn nach dem Wortlaut des Strafgesetzbuchs ist ein Fall von Volksverhetzung erst dann gegeben, wenn sich die Verharmlosung auf Tötungen etwa in Konzentrationslagern bezieht. Die Gerichte differenzierten: Der gelbe Stern habe nicht der Tötung, sondern “nur” der Entrechtung der Juden gedient.

Eine Vorlage für die bayerische Justiz, um diese Rechtsprechung zu ändern, lieferte nun ausgerechnet ein AfD-Politiker. Auf dem Bundesparteitag der Rechtspopulisten im Messezentrum Augsburg am 30. Juni 2018 hatte der AfD-Kommunalpolitiker Rainer Lanzerath aus Nordrhein-Westfalen ein Plakat hochgehalten, das auf der einen Seite den “Judenstern” und den Text “1933 – 1945” zeigte, auf der anderen Seite das AfD-Logo und die Aufschrift “2013 – ?”. Ein Protest gegen die vermeintliche Unterdrückung der AfD. Das Amtsgericht Augsburg erließ einen Strafbefehl wegen Volksverhetzung.

Weil der AfD-Politiker Lanzerath die Geldstrafe nicht akzeptieren wollte und unter Berufung auf seine Meinungsfreiheit sämtliche Rechtsmittel ausschöpfte, konnte die Justiz in Bayern diese Frage nun bis in die letzte Instanz klären. Das Landgericht Augsburg und auch das Bayerische Oberste Landesgericht haben in diesem Verfahren erstmals festgehalten, ein “Judenstern” stehe sinnbildlich für den gesamten Holocaust.“

Abends verfolgte ich eine Diskussion des Leibniz-Zentrums für zeithistorische Forschung in Potsdam in der Reihe um die Hohenzollern; sie wurde aufgezeichnet und steht vermutlich demnächst online. Die ersten beiden Teile hatte ich nicht mitbekommen, die hole ich nach; die Videos sind im obigen Link zu finden.

Gestern schaute ich zu, weil unter anderem Stephan Malinowski dabei war, von dem ich sehr interessiert Vom König zum Führer: Deutscher Adel und Nationalsozialismus gelesen hatte. Sein neues Buch Die Hohenzollern und die Nazis: Geschichte einer Kollaboration wird sehr positiv rezensiert. Er wurde vorgestellt als der von den Hohenzollern am häufigsten verklagte Historiker.

Malinowski sprach auch mit eines der Schlusswörter. Es kam die Frage auf, warum man überhaupt über dieses Thema diskutieren müsse; er meinte sinngemäß, dass er die Debatte um das Kaiserreich und seine Verbindung mit dem Nationalsozialismus eher als politisch denn als historisch ansehe. Vor 15, 25 Jahren, als er Doktorand gewesen war, wurde anders über dieses Thema gesprochen. Heute hingegen überlappen sich „tagespolitische, geschichtspolitische und emotionalisierte Themen“, wie es Historiker Jörn Leonhard vor längerer Zeit im DLF formulierte. Was auch mit der AfD zu tun hat, die genau diese Schiene fährt. Das halte ich für einen wichtigen Hinweis: dass heute mit historischen Diskussionen Tagespolitik gemacht werden soll anstatt diese Diskussionen erst einmal in der Sphäre der Forschung zu belassen, bis ein Ergebnis feststeht.

Heute ist der erste Dezember.