Montag bis Mittwoch, 8. bis 10. März 2021 – Gute Laune, schlechte Laune

Ich bin nach der Woche im Norden meist erstmal erledigt und will nur rumliegen, das habe ich am Wochenende auch großflächig gemacht, neben dem Tartebacken. Außerdem stellte ich überrascht fest, dass die Knieschmerzen fast weg sind, wenn ich im Vierfüßlerstand auf der Yogamatte bin oder Ausfallschritte mache. Hat das ewige schmerzhafte Treppensteigen der letzten Woche vielleicht doch einen guten Nebeneffekt gehabt. Fight fire with fire!

Montagabend genoss ich einen Vortrag von Henrike Naumann, deren Arbeiten ich seit längerem verfolge. Als F. und ich das letzte Mal in Wien waren, unserer zweiten Heimat, irgendwann ziehen wir da hin, es hilft ja nichts, sahen wir ein Ausstellungsplakat am Bahnhof, woraufhin wir dann gleich nach dem Kofferauspacken ins Museum gingen. Und die Ausstellung im Haus der Kunst nahmen wir auch noch mit, bevor alles geschlossen wurde.

Naumann sprach per Zoom im Kunstverein Hannover, nicht nur über die Installationen zu Reichsbürgern und ähnlichen, die ich kannte, sondern auch zu Hannover-zentrierten wie „Mensch. Natur. Twipsy“ (2019), für die sie ins Originalkostüm von Twipsy schlüpfen durfte. Alle Hannoveraner:innen kennen Twipsy und wissen, dass „Mensch. Natur. Technik“ das Motto der Expo 2000 in Hannover war. Ich erinnere mich noch lebhaft an die unwürdigen Diskussionen, dass Kraftwerk (KRAFTWERK!) Geld für den Jingle zur Ausstellung haben wollte, diese unverschämten Wegelagerer. Beim Wiederanschauen: Ich mag das wabernde Logo der Expo immer noch.

Naumann sprach über ihre ortsinspirierten Installationen, über die Materialien und die Rechercheprozesse. Normalerweise will ich gar nicht wissen, was Künstler:innen zu ihren Werken sagen, das ist ja mein Job, mir darüber Gedanken zu machen, aber ich hörte sehr fasziniert zu. Auch weil sie fast nebenbei den Effekt von bildender Kunst erklärte, ohne es zu wollen: Sie wurde gefragt, ob sie Worte oder Bilder der Neuen Rechten gefährlicher fände – siehe den dusseligen Schamanen beim Sturm aufs Kapitol, der jetzt schon eine gewisse ikonische Wirkung hat –, und in der mäandernden Antwort meinte sie, dass man bei Texten immer so viel erklären müsse, während Bilder, Objekte, Installationen bei jedem andere Reaktionen hervorriefen, jeder empfände diese Dinge anders. Anders formuliert: Bilder wirkten stärker, weil sie assoziativer sind. Tach, Kunst.

Das erinnerte mich an mein Lieblingszitat von Gerhard Richter, der in den 60ern, wenn ich mich richtig erinnere, mal meinte, er könne nur mit Malerei ausdrücken, was er zu sagen hätte; wenn er es mit Worten könne, würde er schreiben. Das habe ich gerne im Hinterkopf, wenn ich in meinen Bildbeschreibungen zu blumig, zu persönlich oder zu weit weg von allem werde und mich ermahnen muss, schlicht aufs Bild zu schauen und nicht schon rumzuinterpretieren. Das ist erst der zweite Schritt.

Seit ein paar Tagen weiß ich, dass ich Prio 2 bei den Impfungen bin, aber das kann ich leider nirgends auf der bayerischen Seite anklicken, auf der man sich anmelden soll. Laut der bin ich nämlich Prio 3, wie das in einer älteren Verordnung festgelegt wurde. Die Nummer beim Imfpzentrum, die ich mich gestern traute anzurufen, fragt per Menü erstmal ein paar Dinge ab, bevor sie einen weiterverbindet, nämlich ob ich über 80 bin und Pflegepersonal etc., und weil ich das wahrheitsgemäß verneinte, flog ich aus der Leitung: „Sie sind noch nicht dran, bitte informieren Sie sich in den Medien, wann Ihre Gruppe geimpft wird.“ Hmpf. Die bundesweite Nummer will ich nicht wählen, weil die vermutlich irre oft von anderen gewählt wird, die noch nicht wissen, wo ihr Impfzentrum ist. Ãœberhaupt will ich mich nicht vordrängeln oder ähnliches, aber wenn ich Prio 2 bin, würde ich auch gerne früher rankommen. Ich nehme auch AstraZeneca. Ich nehme Sputnik, wenn’s sein muss!

Launig textete ich F., dass meine Hausärztin mich vermutlich eher impfen würde als das Impfzentrum, aber dann kam gestern die Nachricht, dass man darüber wohl nochmal nachdenken müsse, Anfang April ist ja auch echt überstürzt, Mitte des Monats reicht auch, die zwei Wochen mehr machen uswusf. Ich mag nicht mehr. Ich will nicht mehr auf gute Nachrichten hoffen, ich lese jetzt einfach ein halbes Jahr keine Nachrichten mehr, warte ergeben darauf, dass mein Handy pingt und mir einen Impftermin nennt, von mir aus mit Sägespänen, ich kann dieses Gefühl nicht mehr ertragen, dass unser aller Gesundheit an Bürokratie, Dokumentationswahn und Logistik hängt.

Vorgestern schrieb mich eine Neu-Doktorandin meines Doktorvaters an (der Herr verknüpft uns gerne alle miteinander). Sie arbeitet zu einem weiteren Künstler aus dem Münchner Raum, über den es kaum bis gar keine Literatur gibt, und wie es der Zufall will, hat der Mann auch mindestens eine Autobahn gemalt. Dazu wusste die Dame nichts, kein Wunder, es gibt ja auch keine Literatur zu diesen Bildern, BIS JETZT, MUHARHAR!, also fragte sie mich und ich konnte sehr viel schreiben. Das hat mich gefreut zu merken, dass ich doch ein, zwei Dinge rausfinden konnte in den letzten Jahren.

Apropos: Heute abend um 18 Uhr gibt es einen Online-Vortrag von dem Herrn, der mein Kontakt in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen war, wann immer ich eine wilde Frage zu Protzens Werken im Haus hatte. Gramlich stellt sein Buch Begehrt, beschwiegen, belastend. Die Kunst der NS-Elite, die Alliierten und die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen (1943–2020) vor, und aus berufener Quelle wurde mir gesagt, dass auch ein Werk von Protzen auf einer Powerpoint-Folie zu sehen sein wird, ich tippe natürlich auf die Donaubrücke bei Leipheim, weil die von einem NS-Funktionär gekauft wurde und 1953 als sogenannte Überweisung aus Staatsbesitz im Depot der Pinakotheken landete. Schalten Sie ein, schauen Sie Autobahnen! Oder wenigstens eine.

Für das bzw. die Foto/s der Schokoladentarte probierte ich tagelang mit den neuen, alten Tellern rum, die ich aus dem Norden mitgeschleppt hatte. Ich habe keine Ahnung, warum ich, die gerne so schlicht wie möglich wohnt, auf einmal überkandidelte Blümchenteller mit Goldrand mag, aber egal, dann ist das jetzt so, dann verbiedermeiere ich jetzt halt. Auf simples Skandinavisches gucke ich seit 30 Jahren, vielleicht ist jetzt die Zeit für Schnörkel gekommen. (ORNAMENT UND VERBRECHEN!)

Daher esse ich seit Tagen mein Käsebrot von bunten Tellerchen, und gestern trug ich erstmals eine der alten Tassen an den Schreibtisch.

Das ist, wie ich merkte, eine Rechtshänderinnentasse. Wenn man sie mit links greift, sieht man keine Blume, sondern nur weiß. Gemein!