Was schön war, Donnerstag, 19. November 2020 – Erfolgreich verteidigt, Pizza und Champagner (Und dann noch einen) ((Ach, weil’s grad so nett ist))

Die Mail vom Doktorvater kam vorgestern abend noch: Bitte um 9.45 Uhr zur lauschigen Zoom-Konferenz einwählen, damit wir notfalls noch an der Technik rumzuppeln und dann um 10 starten können. Sine tempore! Das dürfte der einzige Termin in acht Jahren Uni sein, der nicht c. t. losging. Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Ich war seit fünf Uhr wach, keine Ahnung, warum, haha, kochte Kaffee, verbrachte nutzlos viel Zeit im Bad, warf mich in anständige Klamotten anstatt der üblichen Leggings und bestaunte mein sehr leergeräumtes Arbeitszimmer. Die Uni hatte mir mitgeteilt, dass man bei Zoom-Konferenzen erstmal seinen Ausweis in die Kamera halten müsse, man weiß ja nie, wer da einen Doktortitel haben will, und dann sollte man der Kommission einen 360-Grad-Rundumblick seiner Umgebung gönnen, damit da niemand unter dem Schreibtisch hockt, der mir Spickzettel zusteckt. Glaube ich jedenfalls, dass das der Grund ist, mir fällt sonst keiner ein außer alle Uni-Menschen gucken sich wie ich gerne fremde Wohnungen an, aber dafür gibt es ja Instagram.

Ich hatte vorgestern also brav nicht nur in allen Ecken staubgesaugt und -gewischt, sondern auch die Yogamatte ins Schlafzimmer getragen, die plüschigen Simpsons-Schuhe nach nebenan gebracht, das Stofftier vom Sofa genommen und, vermutlich in einer irren Übersprungshandlung, das deutlich am Rücken zu erkennende Buch des Drittprüfers hinter mir aus dem Regal gezogen und es in meine Nicht-Arbeits-Bibliothek nebenan gebracht, damit nicht der Eindruck einstehen könnte, ich würde mich irgendwie einschleimen wollen.

Donnerstag morgen tigerte ich dann sinnlos in der Gegend rum, ging nochmal meine Karteikarten durch, schlug noch eine Sache in der Diss nach, die mir im Bad eingefallen war, und natürlich kam quasi nichts von dem dran, was ich gelernt hatte. Fast nichts, ein paar Statistiken und Fun Facts konnte ich unterbringen, aber vermutlich dienten diese Karten eh nur dazu, meine eigene Nervosität zu bekämpfen. Ich habe noch nie eine Dissertation verteidigt, ich wusste schlicht nicht, was auf mich zukommt.

Um 9.44 Uhr saß ich aufgehübscht am Rechner, LMU-Studiausweis und Perso neben mir, ich hatte gerade noch das Post-it auf dem Schreibtisch befolgt – „Handy in Flugmodus, alle Programme außer Mail aus“ und das dann bei beginnender Prüfung auch, weil Mails bei mir sichtbar auf dem Bildschirm aufploppen und ich nicht wollte, dass bei freigegebenem Bildschirm blöder Spam auftauchte, den mein Filter nicht erwischt hatte. Vergaß ich natürlich, aber so sah ich immerhin mitten in der Prüfung (ohne freigegebenen Bildschirm) eine freundliche PayPal-Spende, dankeschön!

Ich loggte mich um 9.46 ein, man will ja nicht übereifrig erscheinen, Papi war schon da, der Rest ließ sich noch etwas Zeit, was meinem Doktorvater die Gelegenheit gab, mir noch einen Tipp mitzugeben. Seine Doktormutter hätte ihm nach der Prüfung gesagt, er habe wie ein Tagesschausprecher gewirkt – ich könne ruhig so locker sprechen wie immer. Gut, dass ich das nur halb beherzigt habe, denn auch durch das Blog habe ich mir in den letzten Jahren einen gewissen Plauderton angewöhnt, wenn es um schlimme Nazikunst geht. Dem versuchte ich bewusst in den letzten Tagen gegenzusteuern und redete selbst mit mir, als ob ich vor einem Uni-Seminar stände und ich meine, das war eine gute Idee. Ein paar Flapsismen sind mir durchgerutscht, aber das schien die Note nicht beeinträchtigt zu haben.

Wir warteten zu fünft (drei Prüfer:innen, die Protokollantin, icke), bis es Punkt 10 war, dann sollte ich mit meinem Vortrag anfangen. Ich fragte, ob ich nicht noch den Ausweis zeigen und den Schwenk machen … aber alle winkten nur amüsiert ab, nee, Quatsch, geht los jetzt. UMSONST STAUBGEWISCHT!

Ich überzog meine 15 Minuten etwas, was aber auch daran lag, dass sich das Internet bei einem Prüfer verabschiedete und dann auch kurz bei mir, supi, war aber alles kein Beinbruch. Generell war es eine äußerst entspannte Geprächssituation, aber ein paar Fragen brachte mich dann doch ins Schwitzen. Schon beim Doktorandenkolloquium wurde ich gefragt, ob man einen Künstler, der sich in den Dienst des NS-Systems gestellt hätte, genauso wissenschaftlich aufarbeiten sollte, dürfte, müsste wie jeden anderen. Vor vier Wochen bejahte ich das, aber als die Frage gestern noch einmal kam, ahnte ich, dass es noch eine andere Antwortmöglichkeit geben müsste, die mir blöderweise nicht einfiel. Ich begründete meine Antwort damit, dass die Damen und Herren auf der GDK größtenteils ausgebildete Künstler:innen gewesen seien (auch Protzen hat hier in München studiert), die Werke wurden als Kunst produziert und als Kunst gehandelt – dass Teile meines Fachs sie als „Unkunst“ bezeichnen, zum Beispiel Max Imdahl, halte ich für falsch. Dementsprechend würde ich auch die Handelnden nicht anders aufarbeiten als Künstler:innen aus anderen Epochen. Es muss allerdings immer der Kontext gegeben werden, in dem ihre Werke entstanden; deswegen sind die Werke zur Reichsautobahn auch keine Industrieabbildung oder eine Landschaftsdarstellung, sondern Teil einer politischen Inszenierung. Aber da die Frage bereits zum zweiten Mal kam, werde ich über diese Aussage bis zur Drucklegung der Diss noch weiter nachdenken.

Auch andere Fragen ließen mich ahnen, an welchen Stellen ich noch nacharbeiten muss – oder sollte: Ich kann das Ding jetzt sofort auf den Uniserver stellen und dann darf ich mich „Doktor“ nennen, ich nehme die Pointe des Eintrags mal total vorweg. Ich kann das ganze aber auch noch überarbeiten und erst dann veröffentlichen, bis dahin darf ich mich laut meiner Prüfungsordnung Dr. des. nennen. (Ich habe gerade aus dem verlinkten Artikel gelernt, dass die weibliche Form dieses Titels „Doctrix designata“ lautet, was für mich wie eine finnische Heavy-Metal-Band klingt and I think that’s beautiful.)

Mein Vortrag war übrigens abgelesen. Acht Uni-Jahre lang habe ich immer bequengelt, wenn Leute vorlesen und nicht frei sprechen, aber ich wollte meine Punkte exakt und sauber rüberbringen und das ging am besten mit Ablesen. Ich ahne, dass ich so sogar langsamer spreche als normal, was nie ein Fehler ist.

Weitere Fragen bezogen sich auf meine inhaltliche Anordnung – ob ich auch über eine andere als über die chronologische nachgedacht hatte? (Ja, sogar ausprobiert.) Es wurde nach einer speziellen Einordnung gefragt, über die ich lustigerweise gerade einen Abstract für einen Vortrag geschrieben hatte, das schien also eine gute Idee gewesen zu sein. Es ging um bildwissenschaftliche Fragen, bei denen ich immer glaube, keine Ahnung zu haben, weil ich mich eher als Kunst*historikerin* sehe anstatt als Bildwissenschaftlerin. Generell gaben mir die Fragen eine Ahnung davon, was der Arbeit gefehlt hatte bzw. welche Gedanken sie noch besser machen könnten, was ich sehr hilfreich fand. Auch wenn ich mir innerlich ständig an die Stirn schlug, so nach dem Motto „Da hättest du auch selbst drauf kommen können.“

Natürlich hatte ich die 45 Minuten nach dem Vortrag das Gefühl, nur Quatsch zu reden, aber es schien okay gewesen zu sein. Nach gut einer Stunde wurde ich per Zoom in den Warteraum geschubst, saß sinnlos vor dem Rechner, wagte es nicht, aufs Klo zu gehen und wurde schließlich nach 15 Minuten wieder reingebeten. „Frau Gröner, die gute Nachricht vorneweg: Sie haben bestanden.“ Ich machte anscheinend ein Idiotengesicht, alle freuten sich mit mir. „Die Diss haben wir mit magna cum laude bewertet, die Verteidigung ebenso, daher ergibt sich eine Gesamtnote von … “ Schon klar, aber schön, es zu hören. Ich machte weiter mein Idiotengesicht, bemühte mich, total professionell nicht zu heulen, weil dann doch arg viel Spannung abfiel, es ging noch um ein paar Formalitäten und dann war ich Doktor (des.).

Normalerweise hätte ich dann den Raum in der Uni oder im Zentralinstitut für Kunstgeschichte verlassen, F. und vielleicht noch ein paar andere Menschen hätten draußen auf mich gewartet, möglicherweise mit Sekt und einem gebastelten Doktorhut, aber das fiel gestern leider alles aus. Ich klappte den Rechner zu und guckte, wie ich mich so als Doktor fühlte und dann fing ich endlich an zu heulen.

Nachdem die Tränen getrocknet waren, wurde das Mütterchen angerufen, dann bekam F. eine DM, wir verabredeten, wann er rumkommen sollte, danach empfingen die beiden Hamburger Damen gleichzeitig eine WhatsApp mit dem Doktorhut-Emoji, woraufhin ich mit gifs überschüttet wurde, anschließend bekam Schwesterherz eine WhatsApp und dann twitterte ich.

Und dann stand ich weiter sinnlos im Arbeitszimmer rum und wusste nichts mit mir anzufangen. Das war doch ein arg antiklimaktisches (vorläufiges) Ende von drei Jahren Promotion. Ich schlüpfte in die Bequemklamotten, aber das kam mir sofort falsch vor, also zog ich das Verteidigungs-Outfit wieder an und behielt es auch bis nach der letzten Flasche Champagner an, wie sich das am Tag der Disputation gehört.

F. kam netterweise recht schnell vorbei und überreichte mir das passendste Geschenk aller Geschenke:

Dann öffneten wir die erste von drei Flaschen Champagner bzw. Schaumwein und ließen es uns gutgehen. Mittendrin trudelte das Gutachten der Zweitprüferin ein, das mich sehr freute und an dem ich auch sehen konnte, wo meine eigenen Zweifel an der Arbeit (leider) berechtigt gewesen waren. Sehr gute Denkanstöße, die ich vermutlich alle umsetzen werde. Außerdem stand da auch die Note von 1,0 für die Diss, was mich außerordentlich freute. (Gutachten von Vati ist noch nicht da.) Edit: Auch vom Doktorvater gab’s eine 1,0, auf die ich mir durchaus etwas einbilde.

Irgendwann wurde Pizza bestellt, ich sah die vielen, vielen Glückwünsche auf Twitter (DANKESCHÖN!) und begann mich so langsam zu freuen. Das fehlte nämlich irgendwie, ich war so angespannt, dass ich mich erst allmählich an den Titel gewöhnte. Seit Jahren hatte ich ihn haben wollen und jetzt, wo er quasi da ist, war es eher so „Okay then. Next!“

Da wir bereits um 13 Uhr mit dem lustigen Trinken begonnen hatten, lagen wir um 22 Uhr äußerst erschöpft im Bett. Eine Reservierung im Lieblingsrestaurant zum Feiern war, genau wie die Prüfung vor Ort an der Uni, aus bekannten Gründen nicht möglich, aber das holen wir heute so halbwegs nach: Das Broeding bietet Menüs to go an, die F. uns heute abend anschleppen wird.

2020 mag ein richtiges Scheißjahr sein, aber es ist jetzt auch das, in dem ich meinen Doktortitel bekam. Frau Dr. des. ruht sich nun erstmal ein paar Tage aus.