Tagebuch Freitag/Samstag, 4./5. September 2020 – Restsommer

Freitagmorgen radelte ich zur Stabi, wo in einem der kleinen Forschungslesesäle mal wieder NS-Literatur auf mich wartete, die nicht in den normalen Lesesaal bestellt werden kann. Seit der Neuöffnung war ich in ihnen noch nicht wieder gewesen und so staunte ich über die gerade circa vier Sitzplätze, die von den geschätzt 18 noch übrig waren im Lesesaal für Musik und Karten, in den ich immer meine Giftschrank-Literatur ordere. Aber die musste ich erstmal finden: Normalerweise wird mir die von der Bibliothekarin persönlich ausgehändigt, die inzwischen hinter einer hohen Plastikscheibe sitzt; ich muss für dieses eine Buch, das ich inzwischen zum mindestens fünften Mal ausleihe, immer unterschreiben, das ich das für wissenschaftliche Zwecke benötige und nicht, weil ich es so toll finde. Als Quelle ist es allerdings toll, nur so nebenbei. Verfasser Otto Reismann war Pressereferent von Fritz Todt und von Anfang an beim Projekt Reichsautobahn dabei, wie mir durch Dokumente im Bundesarchiv Berlin klar wurde. Also ab 1933, davor muss ich leider passen, wie mir gerade erstmals selbst auffällt.

Jedenfalls lag das Buch nicht hinter der Dame im Regal, damit ich es persönlich und mit Unterschrift entgegennehmen konnte. Sie suchte das ganze Regal ab, rief noch eine zweite Dame zu Hilfe, beide wurden nicht fündig, bis ich meinte, ich würde einfach mal im Regal für mich nachschauen – wo es natürlich lag. Ich hatte aber auch noch ein zweites Buch bestellt, das weder dort noch im Regal hinter Plastik lag, woraufhin wieder gesucht wurde, bis es sich in einem falschen Fach wiederfand und ich endlich anfangen konnte zu arbeiten, leicht verschwitzt und verwirrt.

Ich blätterte das Buch zum wiederholten Male durch, denn nun hatte ich, für meinen Abstract, eine leicht veränderte Frage, die mich in der Diss null interessiert hatte. Ich hatte das Buch bereits am vergangenen Montag in der Bibliothek des Deutschen Museums durchgelesen, aber ich dachte, schadet ja nichts, wenn man das nochmal macht. Bei diesem Buch hatte ich recht lange mir mir gerungen, es antiquarisch zu erwerben, weil es eine recht zentrale Quelle für mein Thema ist, aber es ist schlicht zu teuer. Einige Bücher hatte ich mir für die Diss gegönnt und die auch so ziemlich für jedes Kapitel zerfleddert, aber der Reismann ist überall zu teuer, der wird weiterhin großflächig geliehen.

Das zweite Buch war neu für mich, das las ich sehr interessiert durch und beschäftigte mich vor allem mit den fotografischen Abbildungen. Ich genoss es sehr, ein ordentliches Grundwissen zum Thema mitzubringen und daher die Fotos anders anschauen zu können als ich es noch vor zwei Jahren gemacht hätte.

Nach nicht mal zwei Stunden wusste ich, was ich wissen wollte, dengelte am Abstract herum, gab dann die Bücher wieder zurück und radelte mit einem Umweg über den wöchentlich besuchten Supermarkt nach Hause, wo ich Sport trieb, Pflaumenkuchen buk, Orgakram erledigte und mal wieder nach dem Tagwerk auf dem Sofa einschlief.

Gestern trafen F. und ich uns mit einem Herrn im Biergarten. Ich musste leider von F. etwas Abstand halten; er hatte am Donnerstag mit 500 anderen Menschen in der Staatsoper bei Marina Abramovich gesessen, was ich partout nicht wollte und daher ist jetzt wieder für ein paar Tage Abstand und frische Luft angesagt. Ich hatte im Zuge dieser Opernkarten für mich beschlossen: nicht in diesem Jahr und im nächsten gucken wir mal. Ich werde 2020 noch mindestens achtmal in einem ICE nach oder von Hannover sitzen, weil ich keine Lust auf acht Stunden Autofahrt habe (nein, auch nicht auf den Autobahnen, die ich jetzt auch mit anderen Augen sehe). Und wir haben im Oktober eine Reservierung im Tantris, auf die ich mich seit Monaten freue, denn wie ich schon nach der Abgabe der Masterarbeit schrieb: Das mache ich nach Abgabe der Diss nochmal. Und so wird es sein. Aber das werden die einzigen Male in diesem Jahr sein, an denen ich mich mit vielen Leuten in einem Innenraum aufhalten werde; für Oper, Konzert oder Theater reicht mein Nervenkostüm (oder mein Immunsystem) noch nicht.

So saßen wir einen Meter voneinander entfernt auf der Bank, tranken zu dritt Radler und Wiesnbier, knabberten Brezn und Pommes, ich lernte viel über Punkbands, die es seit hundert Jahren gibt, und solche, die es noch nicht ganz so lange gibt, aber tolle Bandnamen haben und nur weibliche Mitglieder.

Getrenntes Aufbrechen und leider alleine eingeschlafen, es hilft ja nichts. Vorher noch einen Brief der LMU aus dem Briefkasten geholt, in dem sich meine Exmatrikulation befand. Ich wusste seit sechs Semestern, dass der irgendwann kommen wird am Ende des Promotionsstudiums, aber als ich ihn dann in den Händen hielt, war ich doch sehr traurig. Gleich mal das Seniorenstudium ergoogeln; müsste ja eh online stattfinden, perfekt!