Tagebuch Dienstag, 1. September 2020 – White Russian(s)

Den Vormittag auf diversen Jobbörsen verbracht, sehr viel schlechte Laune gehabt, mich über Formulierungen aufgedotzt und bei manchen Anzeigen gedacht: Wer einen „gradlinigen Lebenslauf“ will, kriegt dann halt auch nur Langweiler für die eigene Butze und macht langweiliges Zeug.

Abends mit F. über die beknackte Idee gesprochen, dass Personaler:innen misstrauisch werden, wenn man sagt, man will gar keine große Karriere, man will diese Verantwortung nicht, man will nicht die nächste Stufe erklimmen, nur weil alle anderen das machen, man will nicht mehr Geld, wenn das auch fünfzehn Stunden mehr im Büro heißt, man will einfach nur seinen Job gewissenhaft erledigen, zu menschenwürdigen Zeiten Feierabend machen und ein gutes Leben haben. In solchen Momenten denke ich immer an den langen Blogeintrag von Frau Kaltmamsell, die es gewagt hat, ähnliche Forderungen zu stellen und quasi kurz vor der Rente noch einen neuen Job haben wollte.

Ich hatte mich nach dem Master-Abschluss schon einmal halbherzig sowohl bei Museen als auch bei Werbeagenturen beworben, weil ich noch nicht ganz so sicher war, ob die Promotion eine gute Idee wäre, ich Irre. Damals hatte ich schon das Gefühl, dass man Jobs als Festangestellte ähnlich bekommt wie als Freie: über Empfehlungen, Tipps, jemand kennt jemanden, die … keine Ahnung, ob das immer noch so ist. Ich gehe diesen Schritt gerade etwas ängstlich an, weil ich weiß, dass ich in meinen 12 Jahren Selbständigkeit jeden, wirklich jeden Job ohne Akquise bekommen habe; es sind immer Auftraggeber auf mich zugekommen, nie umgekehrt.

Abends einen sehr schönen Abend mit F. verbracht. Wir hängen gerade beide etwas in den Seilen, ich, weil ich noch keinen genauen Plan habe für die nächsten Jahre UND ICH BRAUCHE HALT EINEN PLAN, er, weil ihm durch Corona wichtige Aktivitäten fehlen, die er für seinen seelischen Ausgleich braucht. Er meinte gestern, in den letzten Wochen hätten wir es irgendwie nie hinkriegt, mal gemeinsam gute Laune zu haben, irgendwer war immer nöckelig. Gestern passte mal wieder alles, ich kochte ein Risotto mit dem herrlichen Mängisch von Jamei (große Empfehlung für Risotto!), wir öffneten einen Orange Wine von Princic, tolles Weingut, und irgendwie versackten wir dann bei White Russians (ich) und Birnenschnaps (F.) vom Bekannten meines Patenonkels aus Baden-Württemberg, der für den Stoff Fallobstwiesen abgrast und ziemliches gutes Zeug davon brennt.

Sehr spät, aber auch sehr glücklich gemeinsam ins Bett gefallen.

Noch nicht alles gehört bzw. gesehen, aber ich lasse das schon mal hier liegen: „Wie wir wurden, was wir sind“ – das Staatliche Museum Ägyptischer Kunst in München hat zu seinem 50. Geburtstag ein paar Vorträge erstellt. Gestern kam einer zu den Jahren 1930 bis 1950, die natürlich genau meine Zeit umfassen.

Einer meiner liebsten Insta-Accounts derzeit: Fashion Deconstruction.

Oder Carole Tanenbaum: